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1867 -
Breslau
: Max
- Autor: Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Privatunterricht, Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Peter Iii. Katharina Ii.
371
auf ihre Seite, und Alle versprachen ihr Beistand. Um auf das
Volk zu wirken, zeigte sie sich oft mit trauriger Miene und
Thränen in den Augen. Endlich war Alles verabredet unter
ihren Vertrauten; man wartete nur auf die Abreise des Kaisers,
der gegen Dänemark zu Felde ziehen wollte — als die unbeson-
nene Schwatzhaftigkeit eines der Mitwissenden Alle in Gefahr
brachte. Nur das schleunigste Handeln konnte die Kaiserin und
die Verschworenen retten. Die letzteren holten am 9. Juli 1762
schnell die Kaiserin aus Peterhof, wo sie sich aushielt, nach
Petersburg. Hier eilte sie gleich nach den Kasernen der Garde,
redete zu den Soldaten: der Kaiser wolle sie und ihren Sohn
(Paul) tödten lassen; die Mörder wären schon unterwegs; sie
werfe sich der Garde in die Arme. Alle schworen für ihre Ver-
th eidigung zu sterben. Der Haufe wurde immer größer; auch
mehrere angesehene Russen eilten herbei; die Soldaten griffen zu
den Waffen, und bald sah sich Katharina an der Spitze von
10,000 Soldaten, die ihr zu folgen bereit waren. Alles dies
war vollendet binnen wenigen Vormittagsstunden. Jetzt eilte sie
nach dem Schlosse, zeigte ihren Sohn den jauchzenden Soldaten,
legte die Uniform der Garde an und setzte sich zu Pferde, um
die Regimenter gegen den Kaiser anzuführen.
Dieser befand sich in Oranienbaum*) und fuhr an dem-
selben Tage nach Peterhof, um da seinen Namenstag zu feiern.
Hier fand er schon Alles in Bestürzung wegen der Entweichung
der Kaiserin nach Petersburg, und bald kamen auch die Nach-
richten aus Petersburg, welche den Aufstand der Garden und
des Volks dem erschrockenen Kaiser meldeten. Er gab in der
größten Bestürzung eine Menge widersprechender Befehle, nicht
wissend, welche Maßregeln er ergreifen sollte. Der alte Münnich
rieth, der Kaiser solle nach der gegenüberliegenden Insel und
Festung Kronstadt segeln, deren Garnison sich noch nicht ent-
schieden hatte, und sich der dortigen Flotte bemächtigen. Wäh-
rend Peter noch schwankte und dadurch Zeit verlor, kam die
Nachricht, die Kaiserin sei in Anmarsch mit 20,000 Soldaten.
In Hast schiffte sich Peter mit seinem Gefolge nach Kronstadt
ein. Hier hatte sich indessen Alles geändert; die Soldaten waren
für die Kaiserin in Eid und Pflicht genommen, und als die Jacht,
*) Etwa sechs Stunden von Petersburg liegt am finnischen Meerbusen
das Lustschloß Petcrhof; zwei Stunden weiter Oranienbaum.
24*
1906 -
Langensalza
: Gressler
- Autor: Noesselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
ft cf) aushielt, nach Petersburg. Sie eilte gleich nach den Kasernen der Garde, redete zu den Soldaten, der Kaiser wolle sie und ihren Lohn Paul töten lassen, die Mörder wären schon unterwegs und sie Werse sich der Garde in die Arme. Alle schwuren, sür ihre Verteidigung zu sterben. Der Haufe wurde immer größer; auch mehrere angesehene Russen eilten herbei; die Soldaten griffen zu den Waffen und bald sah sich Katharina an der Spitze von 10000 Mann, die ihr zu folgen bereit waren. Alles dies war vollendet bt*nen wenigen Stunden. Jetzt eilte sie nach dem Schlosse, zeigte ihren Sohn den jauchzenden Soldaten, legte die Uniform der Garde an und setzte sich zu Pferde, um die Regimenter gegen den Kaiser anzuführen.
Dieser befand sich in Oranienbaum*) und fuhr an demselben Tage nach Peterhof, um da seinen Namenstag zu feiern. Hier fand er schon alles in Bestürzung wegen der Entweichung der Kaiserin nach Petersburg, und bald kamen auch die Nachrichten aus Petersburg, welche den Aufstand der Garden und des Volks deni erschrockenen Kaiser meldeten. Er gab in der größten Bestürzung eine Menge widersprechender Befehle, nicht wissend, welche Maßregeln er ergreifen sollte. Der alte Münnich riet, der Kaiser solle nach der gegenüberliegenden Insel und Festung Kronstadt segeln, deren Garnison noch frei war, und sich der dortigen Flotte bemächtigen. Während Peter noch schwankte und dadurch Zeit verlor, kam die Nachricht, die Kaiserin sei in Anmarsch mit 20000 Soldaten. In Hast schiffte sich Peter mit seinem Gefolge nach Kronstadt ein. vier hatte sich indessen alles geändert; die Soldaten waren für die Kaiserin in Eid und Pflicht genommen, und als die Jacht, auf welcher der Kaiser sich befand, anlegen wollte, rief die Schildwache: „Wer da!" — „Der Kaiser!" antwortete man vom Schiffe. — „Es gibt keinen Kaiser mehr!" -- Bei diesem Rufe springt Peter vor, schlägt seinen Mantel auf, um seinen Ordensstern sehen zu lassen, und rüst: „Ich bin es selbst! Kennt ihr mich nicht?" Aber die Wache hält ihm die Bajonette entgegen und droht Feuer zu geben, wenn er
*) Etwa sechs Stunden von Petersburg liegt am filmischen Meerbusen das Lustschloß Peterhof, und zwei Stunden weiter Oranienbaum.
1839 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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Einwilligung. Ihre Freunde leiteten alles ein. Die mächtigen Gar-
den wurden heimlich gewonnen, und ihnen vorgespiegelt, Peter denke
darauf, seine Frau und seinen Sohn Paul, den er auch nicht leiden
konnte, ums Leben bringen zu lassen. „Das werden wir nicht zuge-
den," riefen sie; „wir sind bereit für eure Vertheidigung zu sterben."
Eines Morgens, als Peter auf dem Schlosse Oranienbaum, 7 Meilen
von Petersburg, abwesend war, erschien Katharina auf dem Platze
vor den Kasernen der Garde, und als die Soldaten neugierig sich um
sie drängten, rief sie: „ich komme, mich in eure Arme zu werfen; die
Mörder sind schon unterwegs, die mich und meinen Sohn tödten sol-
len!" — „Nimmermehr!" riefen Alle mit einer Stimme; „nimmer-
mehr, so lange wir leben!" Alle schwuren ihr den Eid der Treue.
Dann warf sie sich in die Uniform der Garde, stieg zu Pferde, und
führte die Garden zur Stadt hinaus, auf Oranienbaum zu. Die
Nachricht von dem Aufstande erreichte endlich auch Petern, der eben
auf dem Wege von Oranienbaum nach Peterhof war, welches zwischen
jenem Schlosse und Petersburg liegt. Er stieg in Peterhos aus, und
war so bestürzt, daß er nicht wußte, was er machen sollte. Bald gab
er Befehle, die benachbarten Regimenter zusammenzuziehen, und die
Kaiserin zu ermorden, bald wollte er sie um Gnade anflehen, oder
die Flucht ergreifen. Zuletzt folgte er dem Rathe des alten Feldmar-
schalls Münnich, nach der Festung Kronstadt zu eilen, wo die Flotte
liegt, und die großen Kriegsvorräthe sich befinden, und sich an die
Spitze der dort stehenden Soldaten zu stellen. Er warf sich also in
ein kleines Schiff, und ließ sich hinüberrudern. Kurz zuvor aber war
die Besatzung für die Kaiserin gewonnen worden, und als die Jacht
des Kaisers landete, und er auf den Ruf der Wache: „Wer da?" —
„der Kaiser!" antwortete, rief man ihm zu: „es giebt keinen Kaiser
mehr!" — Peter trat vor, schlug den Mantel auseinander, rief, indem
er seinen Ordensstern zeigte: „ich bin es ja! Kennt ihr mich nicht?"
— und wollte aussteigen; aber die ganze Wache hielt ihm die Bajo-
nette entgegen, und drohte zu schießen, sobald er sich nicht entfernte.
„Fort mit der Galeere! fort mit der Galeere!" schrie die Menge.
Peter sank seinen Begleitern in die Arme, und gab Befehl zurückzu-
rudern. Dies geschah mit äußerster Schnelligkeit, während in der Fe-
stung das wilde Geschrei: „es lebe Katharina die Kaiserin!" sich zu
den Wolken erhob. „Wehe! wehe!" rief Peter weinend aus; „die
Verschwörung ist allgemein. Ach! ich habe sie vom ersten Tage mei-
ner Regierung an bemerkt!" Die Nacht brachte er aus dem Schiffe
zu. Gegen Morgen ließ er den erfahrenen Münnich in die Cajüte
kommen. „Feldmarschall!" sagte er; „Ihr habt ja so viele Gefahren
in Eurem Leben gesehen; sagt mit, was soll ich thun?" — „Bis
letzt ist nichts verloren," antwortete Münnich. „Segeln Sie schnell
Röfs. Weltgcsch. Iii. Th. 21
1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
617
Regierung in Peter Iii. sein besseres Sein die Oberhand gewinnen
sollte, als ob er aus der Wollust und Trunkenheit, in welcher er in
Oranienbaum verkommen war, zu einer klaren Einsicht seiner Aufgabe
geleitet werden könne. Aber bald zeigte sich, daß diese Umwandlung
nur eine augenblickliche war, und indem er sich wiederum den Lüsten
zügellos hingab, erbitterte er zugleich das Volk und die Großen durch
eine aus unbegreiflicher Verblendung hervorgehende Schonungslosigkeit
gegen die russische Volksthümlichkeit, gegen die Neigungen des Adels
und gegen die Gebote der herrschenden Kirche. Es erregte Unwillen,
daß Peter Hi. Deutschen, besonders Preußen, den Vorzug vor den Rus-
sen im Heere einräumte, daß er die einst so gefürchteten Garderegimenter
seinen nach preußischer Weise eingeübten Holsteinern nachsetzte, den Po-
pen einen Theil ihrer Einkünfte entzog, seinen Gottesdienst auf die von
ihm in Oranienbaum erbaute lutherische Kirche beschränkte und den festen
Entschluß äußerte, dem Könige von Dänemark das Heczogthnm Schles-
wig zu entreißen, auf welches Peters Iii. Vater verzichtet hatte.
Die Ehe Peters Iii. mit Katharina war nicht glücklich, obgleich
die Großfürstin (1754) einen Sohn geboren hatte. Während Peter den
Unwillen der Russen erregte, suchte Katharina die Herzen derselben durch
erheuchelte Liebe für alles Nationale zu gewinnen. Sie besuchte täglich
die Kirchen, nahte sich den Popen mit allen Zeichen äußerer Ehrfurcht
und schloß sich den hintangesetzten Großen an. Nach seiner Thronbestei-
gung ließ Peter sich merken, daß er seine Gemahlin in ein Kloster sper-
ren lasten könnte. Katharina dagegen gewann den Grafen Panin,
einen klugen Weltmann, und die Brüder Gregor und Alexis Or-
low, zwei Officiere der Garde. Die dumpfe Unzufriedenheit, welche die
Maßregeln Peters unter den Truppen, dem Volke und der Geistlichkeit
erzeugt hatten, ließ einen glücklichen Ausgang für den Plan der Kaise-
rin erwarten, den ihr drohenden Gefahren durch den Sturz des Kaisers
zuvorzukommen. Peters Auge war unverwandt auf Schleswig gerichtet.
Schon stand ein Theil seines Heeres in Pommern, zwei Flotten, zu
Kronstadt und zu Reval, lagen segelfertig, und der Tag war bestimmt,
an welchem er sich über Berlin zum Heere begeben und zugleich seine
Gemahlin verhaften lasten wollte. Um so mehr beschleunigten die Ver-
schwornen die Ausführung ihres Vorhabens.
In der zweiten Stunde des 9. Juli eilte Katharina von Peterhos
nach Petersburg, während sich Peter von Oranienbaum nach dem Lust-
schlosse Peterhof begab. Mit Gregor Orlow erschien Katharina vor den
Kasernen und rief die Soldaten zu ihrem Beistände aus. Innerhalb
zweier Stunden waren 2000 Soldaten gewonnen, unter deren Jubel
Katharina nach der Kirche von Kasan ging, wo der mit ihr einverstan-
dene Erzbischof von Nowgorod am Altar ihrer harrte, die Krone auf
ihr Haupt setzte, sie als Kaiserin ausrief und das Tedeum anstimmte.
Am Abend hatte die kühne Frau 15,000 Gewastnete um sich, und ihr
gehörte die Hauptstadt, ohne daß ein Tropfen Bluts vergossen war.
Während Katharina mit entblößtem Degen an der Spitze der Tcup.
pen erschien, zeigte sich Peter Iii., von den Geschehenen benachrichtigt,
keines männlichen Entschlusses fähig. Von weinenden Frauen umringt
durchirrte er den Garten von Peterhof. Wäre er den entschlossenen
Rathschlägen des greisen Feldmarschalls Münnich gefolgt, sein Schicksal
1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
278
ließ dann und wann heimliche Seufzer hören; zuweilen sah man sie verstohlen
weinen, Alles Dinge, wodurch das Mitleiden derer, die sie leiden sahen, ans
den höchsten Grad gespannt wurde. Eifrig bewarb sie sich um die Gunst
der Soldaten, sprach freundlich mit ihnen, und erlaubte ihnen, ihr die Hand
zu küssen. Aller Augen wandten sich mitleidsvoll auf sie, wenn sie sich blicken
ließ, und immer größer wurde zugleich der Haß gegen den Kaiser, der die
arme Frau so mißhandelte. Bald sah sie um sich eine Menge von Anhängern,
die in sie drangen, nicht länger die schlechte Behandlung ihres Gemahls zu
dulden, und selbst die Regierung zu übernehmen. Nicht lange blieb sie un-
schlüssig. Es blieb ihr nur übrig, zwischen zwei Fällen zu wählen: entweder
ins Kloster zu wandern, oder den Kaiser zu stürzen; und da sie keine Liebe
zu ihm, und keine Achtung vor ihm hatte, selbst nicht ohne Ehrgeiz war, und
die Kraft in sich fühlte, ein großes Reich zu regieren, so gab sie ihre Ein-
willigung. Ihre Freunde leiteten Alles ein. Die mächtigen Garden wurden
heimlich gewonnen, und ihnen vorgespiegelt, Peter denke darauf, seine Frau
und seinen Sohn Paul, den er auch nicht leiden konnte, ums Leben bringen
zu lassen. „Das werden wir nicht zugeben," riesen sie, „wir sind bereit für
eure Vertheidigung zu sterben." Eines Morgens, am 9. Juli 1762, als
Peter auf dem Schlosse Oranienbaum, 7 Meilen von Petersburg, abwesend
war, erschien Katharina auf dem Platze vor den Kasernen der Garde, und
als die Soldaten neugierig sich um sie drängten, rief sie: „Ich komme, mich
in eure Arme zu werfen; die Mörder sind schon unterwegs, die mich und
meinen Sohn todten sollen!" — „Nimmermehr!" riefen Alle mit einer
Stimme, „nimmermehr, so lange wir leben!" Alle schwuren ihr den Eid der
Treue. Dann warf sie sich in die Uniform der Garde, stieg zu Pferde, und
führte die Garden zur Stadt hinaus, auf Oranienbaum zu. Die Nachricht
von dem Aufstande erreichte endlich auch Petern, der eben auf dem Wege von
Oranienbaum nach Peterhof war, welches zwischen jenem Schlosse und Peters-
burg liegt. Er stieg in Peterhof aus, und war so bestürzt, daß er nicht
wußte, was er machen sollte. Bald gab er Befehle, die benachbarten Regi-
menter zusammenzuziehen, und die Kaiserin zu ermorden, bald wollte er sie
um Gnade anflehen, oder die Flucht ergreifen. Zuletzt folgte er dem Rathe
des alten Feldmarschalls Münuich, nach der Festung Kronstadt zu eilen, wo
die Flotte liegt, und die großen Kriegsvorräthe sich befinden, und sich an die
Spitze der dort stehenden Soldaten zu stellen. Er warf sich also in ein
kleines Schiff, und ließ sich hinüberrudern. Kurz zuvor aber war die Be-
satzung für die Kaiserin gewonnen worden, und als die Jacht des Kaisers
landete, und er auf den Ruf der Wache: „Wer da?" — „der Kaiser!" ant-
wortete, rief man ihm zu: „Es giebt keinen Kaiser mehr!" — Peter trat
vor, schlug den Mantel auseinander, rief, indem er seinen Ordensstern zeigte:
„Ich bin es ja! Kennt ihr mich nicht?" — und wollte aussteigen; aber
die ganze.wache hielt ihm die Bajonette entgegen, und drohte zu schießen,
sobald er sich nicht entfernte. „Fort mit der Galeere! Fort mit der Galeere!"
schrie die Menge. Peter sank seinen Begleitern in die Arme, und gab Be-
fehl zurückzurudern. Dies geschah mit äußerster Schnelligkeit, während in
der Festung das wilde Geschrei: „Es lebe Katharina, die Kaiserin!" sich zu
den Wolken erhob. „Wehe! wehe!" rief Peter weinend aus, „die Verschwö-
1838 -
Stuttgart
: Belser
- Autor: Bauer, Ludwig Amandus
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
I
Siebenjähriger Krieg. 46®
feit dem 22. Juni in dem 8 Stunden von Petersburg
entfernten Lustschlosse Oranienbaum. Nur die Orlows
ließ er beobachten, aber durch den Adjutanten Perfi-
livw, der mit ihnen spielte und soff. Am 8. Juli mach-
ten ein Gardist und der Gardehauptmann Jsmailow
bei der Regimentskanzlei Anzeigen: Jener behauptete,
Passek habe im Rausch seltsame Dinge herausgeredet;
Jsmailow erzählte, ein Mensch, der sich auf Passek be-
rief, habe zu ihm gesagt: „wird der Plan bald executirt
werden?" Abends 9 Uhr wurde Passek aus kaiserlichen
Befehl arretirt, jedoch mit dem Beifügen: nach dem
Peter, und Paulsfeste, welches in Rußland damals auf
den 10. Juli neuen Slyls fiel, solle die Untersuchung
Statt haben. Hievon in Kenntnis; gesetzt, eilte Fürstin
Daschkow zu Pauin: „die Umstände haben sich geändert,
die Revolution müsse sogleich beginnen." Panin zögerte:
die Fürstin, als Mann gekleidet, begab sich um Mitter-
nacht auf den gewöhnlichen Sammelplatz der Verschwor,
neu, auf die grüne Brücke beim alten Wintcrpallast,
schickte den Gregor ab, um mit Perfiliow zu zechen,
den Alexis und Bibikvw, um Katharina zu holen, und
gieng nebst einigen Andern zu den Garden. Katharina
war mit dem Kaiser bei einem Feste auf dem Landgut
Gostilitz gewesen, und vor Einbruch der Nacht in ihr
Lustschloß Peterhof unweit Oranienbaum zurückgekommcn.
Nach Peterhvf also sprengte Alexis mit Bibikvw, gieng
durch die unbewachten und unverriegelten Zimmer der
Kaiserin, weckte sie, stog wieder hinunter, und schaffte
eine seit Wochen bereit gehaltne Halbchaise herbei. Zit-
ternd stieg Katharina ein; ihre Kammerfrau Tschere-
kowsky setzte sich neben sie; Alexis kutschierte; Bibi-
kow ritt ihnen zur Seite. Die Damen hatten einen Theil
des Anzugs vergessen: man wurde munter und lachte.
Den 9. Juli, Morgens gegen 7 Uhr, langte Katharina
vor den Kasernen der Garde an: Gregor war schon dort:
3 bestochne Compagnien des Regiments Jsmailow, an
deren Spitze Fürstin Daschkow, empfiengen die Kaiserin:
1867 -
Breslau
: Max
- Autor: Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Privatunterricht, Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
372
Neue Geschichte. 3. Periode. Rußland.
auf welcher der Kaiser sich befand, anlegen wollte, rief die Schild-
wache: „Wer da!" — „Der Kaiser!" antwortete man vom Schiffe.
„Es giebt keinen Kaiser mehr!" — Bei diesem Rufe springt Peter
vor, schlägt seinen Mantel auf, um seinen Ordensstern sehen zu
'lassen, und ruft: „Ich bin es selbst! Kennt ihr mich nicht?"
Aber die Wache hält ihm die Basonnete entgegen und droht
Feuer zu 'geben, wenn er sich nicht augenblicklich entferne. „Fort
mit dem Schiff! Hoch lebe Katharina!" schreit die an der Küste
stehende Menge. Peter sinkt in die Arme seiner Begleiter und
sagt weinend: „Die Verschwörung ist allgemein; seit dem ersten
Tage meiner Regierung habe ich es so kommen sehen!" Die
Barke blieb während der Nacht auf der See.
Katharina war mit ihren Regimentern die Nacht zwischen
Petersburg und Peterhof geblieben. Indessen zeigte sich der
unglückliche Kaiser ganz rathlos; noch einmal verlangte er Mün-
nichs Rath. Dieser meinte, noch sei nichts verloren; er solle
nach Preußen fliehen zu seinem dort stehenden Heere und mit
demselben zurückkehren; aber Peter konnte sich auch nicht dazu
entschließen, sondern befahl, ihn bei Oranienbaum ans Land zu
setzen, um mit Katharina zu unterhandeln. Er ließ sie bitten,
ihn nach Holstein zu entlasten. Statt der Antwort sandte sie
eine Entsagungsacte, die er zu unterzeichnen habe. Er unter-
schrieb und wurde zu Wagen nach Peterhof geführt. Hier em-
pfing ihn das unaufhörliche Geschrei der Soldaten: „Es lebe die
Kaiserin!" Als er ganz verwirrt ausstieg, schrien sie ihm zu:
„Entkleide dich!" Er selbst riß sich das Ordensband, den Degen
und den Rock ab und sprach: „Nun bin ich in euern Händen."
So ließ man ihn einige Zeit im bloßen Hemde und barfuß
stehen, bis er ins Schloß in sichere Verwahrung gebracht wurde.
Man führte den Unglücklichen daraus nach einem Schlosse, sechs
Stunden von Petersburg. Da sich gleich in den ersten Tagen
unter den Soldaten, die über die rasche That Ueberlegungen
anzustellen anfingen, Bewegungen zeigten, hielten die Verschwo-
renen es für nöthig, den Kaiser aus der Welt zu schaffen. Alexei
Orlow, ein Bruder des Günstlings der Kaiserin, Gregori Or-
low, begab sich mit einem gewissen Teplow nach dem Kerker
Peters und kündigte ihm an, daß sie mit ihm speisen würden.
Nach der Gewohnheit der Russen wurden vor Tische Gläser mit
Branntwein gebracht. Nachdem Peter das seinige, welches Gift
enthielt, getrunken hatte, verlangten sie, daß er ein zweites
1906 -
Langensalza
: Gressler
- Autor: Noesselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
393
sich nicht augenblicklich entferne. „Fort mit dem Schiff! Hoch lebe Katharina!" schreit die an der Küste stehende Beenge. Peter finft in die Arme seiner Begleiter und sagt weinend: „Die Ver-schwörnng ist allgemein; seit dem ersten Tage meiner Regierung habe ich es so kommen sehen!" Die Barke blieb während der Nacht aus der See.
Katharina war mit ihren Regimentern die Nacht zwischen Petersburg und Peterhof geblieben. Indessen zeigte sich der unglückliche Kaiser ganz ratlos; noch einmal verlangte er Münnichs Rat. Dieser meinte, noch sei nichts verloren, er solle nach Prenßen fliehen zu seinem dort stehenden Heere und mit demselben zurückzukehren; aber Peter konnte sich nicht dazu entschließen und befahl, ihn bei Oranienbaum ans Land zu setzen; denn er wollte mit Katharina unterhandeln. Er ließ sie bitten, ihn nach Holstein zu entlassen. Statt der Antwort sandte sie eine Entsagungsakte, die er zu unterzeichnen habe Er unterschrieb und wurde zu Wagen nach Peterhof geführt. Hier empfing ihn das unaufhörliche Geschrei der Soldaten: „Es lebe die Kaiserin!" Als er ganz verwirrt ausstieg, schrien sie ihm zu: „Entkleide dich!" Er selbst riß sich das Ordensband, den Degen und den Rock ab und sprach: „Nun bin ich in euren Händen." So ließ man ihn einige Zeit im bloßen Hemde und barfuß stehen, bis er ins Schloß in sichere Verwahrung gebracht wurde. Man führte den Unglücklichen daraus nach einem Landhause, das in der Nähe lag. Da sich gleich in den ersten Tagen unter den Soldaten, die über die rasche Tat Überlegungen anzustellen au-fingen, Bewegungen zeigten, hielten die Verschworenen es für nötig, den Kaiser aus der Welt zu schaffen. Alexei Dr low, ein Bruder de» Günstlings der Kaiserin, begab sich mit einem gewissen Teplow nach dem Kerker Peters und kündigte ihm an, daß sie mit ihm speisen würden. Nach der Gewohnheit der Russen wurden vor Tische Gläser mit Branntwein gebracht. Nachdem Peter das feinige, welches Gift enthielt, getrunken hatte, verlangten sie, daß er ein zweites trinken sollte. Da er dies aber verweigerte, weil er das Gift schon verspürte, wars ihn Orlow, ein riesenstarker Mensch, zu Boden und erdrosselte ihn mit Hilfe -leplow» und zweier Offiziere.
1880 -
Stuttgart
: Heitz
- Autor: Nösselt, Friedrich, Kurts, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 16
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule, Privatunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Peters Iii. Tod. Katharina Ii.
371
nach der gegenüberliegenden Insel und Festung Kronstadt segeln, deren Garnison sich noch nicht entschieden hatte, und sich der dortigen Flotte bemächtigen. Während Peter noch schwankte und dadurch Zeit verlor, kam die Nachricht, die Kaiserin sei in Anmarsch mit 20,000 Soldaten. In Hast schiffte sich Peter mit seinem Gefolge nach Kronstadt ein. Hier hatte sich indessen alles geändert; die Soldaten waren für die Kaiserin in Eid und Pflicht genommen, und als die Jacht, auf welcher der Kaiser sich befand, anlegen wollte, rief die Schildwache: „Wer da!" — „Der Kaiser!" antwortete man vom Schiffe. „Es giebt keinen Kaiser mehr!" —Bei diesem Ruse springt Peter vor, schlägt seinen Mantel auf, um seinen Ordensstern sehen zu lassen, und ruft: „Ich bin es selbst! Kennt ihr mich nicht?" Aber die Wache hält ihm die Bajonnete entgegen und droht Feuer zu geben, wenn er sich nicht augenblicklich entferne. „Fort mit dem Schiff! Hoch lebe Katharina!" schreit die an der Küste stehende Menge. Peter sinkt in die Arme seiner Begleiter und sagt weinend: „Die Verschwörung ist allgemein; seit dem ersten Tage meiner Regierung habe ich es so kommen sehen!" Die Barke blieb während der Nacht auf der See.
Katharina war mit ihren Regimentern die Nacht zwischen Petersburg und Peterhof geblieben. Indessen zeigte sich der unglückliche Kaiser ganz rathlos; noch einmal verlangte er Münnichs Rath. Dieser meinte, noch fei nichts verloren; er solle nach Preußen fliehen zu seinem dort stehenden Heere und mit demselben zurückkehren ; aber Peter konnte sich auch nicht dazu entschließen, sondern befahl, ihn bei Dranienbaum ans Land zu setzen, um mit Katharina zu unterhandeln. Er ließ sie bitten, ihn nach Holstein zu entlassen. Statt der Antwort sandte sie eine Entsagungsacte, die er zu unterzeichnen habe. Er unterschrieb ohne Weigerung und wurde zu Wagen nach Peterhof, von hier nach einem Landgute, sechs Stunden von Petersburg, geführt. Aber die Anhänger der Kaiserin hielten den Tod des entthronten Fürsten zur Sicherung ihrer Pläne für nothwendig. Alexei Orlow begab sich mit einigen andern Verschworenen zu dem Gefangenen und unter ihren Händen endete er am 17. Juli sein Leben. Von Katharina ist der Befehl zu dieser schrecklichen That nicht ausgegangen, aber daß sie straflos bleiben würden, haben die Männer, welche sie vollbrachten, wohl gewußt. Am andern Tage wurde bekannt gemacht, daß der gewesene Kaiser an einem Ansalle von Kolik, an welcher er bisweilen litt, gestorben sei.
1827 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Nösselt, Friedrich
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Bürgerschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gymnasium
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
502
und selbst die Negierung zu übernehmen. Nicht lange blieb sie
unschlüssig. Es blieb ihr nur übrig, zwischen zwei Fällen zu
wählen: entweder ins Kloster zu wandern, oder den Kaiser zu
stürzen; und da sie keine Liebe zu ihm und keine Achtung vor
ihm hatte, selbst nicht ohne Ehrgeiz war, und die Kraft in sich
fühlte, ein großes Reich zu regieren, so gab sie ihre Einwilli-
gung. Ihre Freunde leiteten alles ein. Die mächtigen Garden
wurden heimlich gewonnen, und ihnen vorgespiegelt, Peter
denke darauf, seine Frau und seinen Sohn Paul, den er auch
nicht leiden konnte, ums Leben bringen zu lassen. „Das wer-
den wir nicht zugcbcn," riefen sie; „wir sind bereit für eure
Vertheidigung zu sterben." Eines Morgens, als Peter auf
dem Schlosse Oranicnbaum, 7 Meilen von Petersburg, abwe-
send war, erschien Katharina auf dem Platze vor den Kasernen
der Garde, und als die Soldaten neugierig sich um sie dräng-
ten, rief sie: „ich komme, mich in eure Arme zu werfen; die
Mörder sind schon unterwegs, die mich und meinen Sohn töd-
ten sollen!" — „Nimmermehr!" riefen Alle mit einer
Stimme; „nimmermehr, so lange wir leben!" Alle schwuren
ihr den Eid der Treue. Dann warf sie sich in die Uniform
der Garde, stieg zu Pferde, und führte die Garden zur Stadt
hinaus, auf Oranicnbaum zu. Die Nachricht von dem Auf-
stande erreichte endlich auch Petern, der eben auf dem Wege
von Oranicnbaum nach Peterhof war, welches zwischen jenem
Schlosse und Petersburg liegt. Er stieg in Petershof aus, und
war so bestürzt, daß er nicht wußte, was er machen sollte.
Bald gab er Befehle, die benachbarten Regimenter zufammen-
zuziehen, und die Kaiserin zu ermorden, bald wollte er sie um
Gnade anflehcn, oder die Flucht ergreifen. Zuletzt folgte er
dem Rathe des alten Feldmarschalls Münnich, nach der Festung
Kronstadt zu eilen, wo die Flotte liegt, und die großen Kriegs-
vorräthe sich befinden, und sich an die Spitze der dort stehen-
den Soldaten zu stellen. Er warf sich also in ein kleines
Schiff, und ließ sich hinüberrudern. Kurz zuvor aber war die
Besatzung für die Kaiserin gewonnen worden, und als die
Jacht des Kaisers landete, und er auf den Ruf der Wache:
„Wer da?" — „der Kaiser!" antwortete, rief man ihm zu:
>
1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
279
rung ist allgemein. Ach! ich habe sie vom ersten Tage meiner Regierung an
bemerkt!" Die Nacht brachte er auf dem Schiffe zu. Gegen Morgen ließ er-
den erfahrenen Münnich in die Cajüte kommen. „Feldmarschall!" sagte er,
„Ihr habt ja so viele Gefahren in Eurem Leben gesehen; sagt mir, was soll
ich thun?" — „Bis jetzt ist nichts verloren," antwortete Münnich. „Segeln
Sie schnell nach Reval (in Esthland), nehmen Sie dort ein Kriegsschiff, fah-
ren Sie nach Preußen, wo Ihr Heer steht, und kehren Sie an der Spitze
von 80,000 Mann nach Ihren Staaten zurück. Ich schwöre, ehe sechs
Wochen vergehen, sind Sie wieder Herr Ihres Reiches." — So vernünftig
dieser Rath auch war, so ließ sich Peter doch durch seine Höflinge bestimmen,
ihn zu verwerfen. Er fuhr wieder nach Oranienbaum zurück, und schwankte
von einem Entschlüsse zum andern. Bald ließ er sich sein schnellstes Pferd
satteln, um allein nach Polen zu entfliehen; bald wollte er sich seiner Ge-
mahlin zu Füßen werfen. Endlich beschloß er, ihr den russischen Thron zu
überlassen, und sie dafür um die Erlaubniß zu bitten, sich nach Holstein zu-
rückziehen zu dürfen. Sogleich ließ er seine ihm nock) getreuen Haustruppen
auseinander gehen und die Waffen niederlegen. „Sir!" sprach Münnich,
den dieser Anblick mit Unwillen erfüllte, „wissen Sie denn nicht an der
Spitze Ihrer Soldaten als Kaiser zu sterben? Wenn Sie sich fürchten, nieder-
gehauen zu werden, so nehmen Sie ein Cruzifix in die Hand, und Keiner
wird wagen, Hand an Sie zu legen; ich werde das Schwert führen." Aber
vergebens! Petern riß sein Verhängniß fort. Er schrieb an Katharinen, und
bat demüthig um freien Abzug. Diese war indeß bis Peterhos gekommen,
ohne auf Truppen zu stoßen. Statt der Antwort schickte sie ihm eine Ent-
sagungs-Acte zu, die er unterschreiben sollte. Sie fing sich an: „Während
der kurzen Zeit meiner Regierung habe ich erkannt, daß ich für eine solche
Last zu schwach bin und daß es über meine Kräfte geht, das Reich auf irgend
eine Art zu regieren" u. s. w. — Und das unterschrieb Peter ohne Umstände.
Der Kammerherr, der ihm die Schrift überbracht hatte, nöthigte ihn, in einen
Wagen zu steigen, und führte ihn nach Peterhof, wo Katharina war. Als
er durch die hier stehenden Regimenter fuhr, brüllten die Soldaten: „Hoch
lebe Katharina!" und als er am Schlosse ausstieg, rief man ihm barsch zu:
„Entkleide dich!" Er gehorchte, riß seinen Ordensstern ab, zog den Rock aus,
gab den Degen weg, und nun, entkleidet dem Gespötte der Soldaten preis-
gegeben, die noch zwei Tage vorher vor ihm gezittert hatten, stellte er ein
recht bedauernswürdiges Bild der Nichtigkeit menschlicher Größe dar. Jetzt
wurde er nach einem 6 Stunden von Petersburg entfernten Hause als Ge-
fangener abgeführt, und wäre dort vielleicht viele Jahre geblieben, hätten sich
nicht unter den Soldaten, die zum Theil die rasche That zu bereuen ansingen,
Bewegungen gezeigt. Katharina willigte endlich in den Rath ihrer Freunde
ein, ihn aus der Welt zu schaffen. Alexei Orlow, ein Bruder des Gre-
gorei Orlow, Günstlings der Kaiserin, bisher ein gemeiner Edelmann, aber
durch die Gunst Katharinens zum Grafen erhoben, übernahm das Bubenstück.
Er begab sich mit einem andern verworfenen Menschen, Namens Teplow, zu
Peter ins Gefängniß, und erklärte, sie würden mit ihm speisen. Nach Ge-
wohnheit der Russen wurde vor Tische Branntwein getrunken, dem Kaiser
aber dies Mal ein vergiftetes Glas vorgesetzt. Weil sie indessen besorgten,
1827 -
Leipzig
: Brockhaus
- Autor: Meynier, Johann Heinrich
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Europäische Geschichte
252
rina erschrak über diese armseligen Anstalten und erblaßte.
Indessen kamen auch die andern zum Vorschein. Die
Kaiserin sagte ihnen in einer Anrede, die sie hielt, sie
komme, sich in ihre Arme zu werfen und Schutz und
Rettung zu suchen vor ihrem Gemahl, der Befehl ertheilt
habe, sie und ihren Sohn zu tödten. Sie sprach nicht
vergeblich. Alle schrieen und schwuren, für sie zu sterben.
Die Ofsiciere eilten herbei und der Haufe vergrößerte sich
mit jeder Minute. Es wurde ein Priester gerufen, der
Allen beim Crucisix den Eid der Treue abnahm. Auch
sammtliche Häupter der Verschwörung fanden sich ein, und
der verhaftete Paffig wurde wieder frei gemacht. Or-
loff war zum Artillerieregimcnte geeilt, dessen Schatzmei-
ster er war. Bald sah sich die Kaiserin von 10,000 Mann
umgeben. Nun zog sie, von den Truppen und einer un-
zähligen Menschenmenge begleitet, nach der Hauptkirche
der Stadt, um ihre Andacht zu verrichten und ihrem Un-
ternehmen den Schein einer heiligen Pflicht zu geben.
Don da ging der Zug nach einem großen Palaste, der
mit Soldaten umstellt wurde.
Schon vorher hatte Orloff die Brücke verrammeln
lassen, die von Petersburg nach Oranienbaum führte,
damit Peter nichts von dem, was vorgegangen war, er-
fahren möchte; allein schon war es zu spat. Ein ehema-
liger Haarkräusler, Namens Bressan, der dem Kaiser
sein Glück verdankte, hatte einen Knecht, als Bauer ver-
kleidet, mit einem Schreiben an ihn abgeschickt, worin er
ihm Nachricht von den Ereignissen dieses Tages ertheilte,
mnd der Bote kam glücklich über die Brücke, ehe sie ab-
gebrochen war.
Indessen ließ die Kaiserin ihren Prinzen aus dem
Schlafe wecken und zu sich bringen. Von einem Balkon
herab stellte sie ihn den Soldaten und der zahllosen Volks-
1906 -
Langensalza
: Gressler
- Autor: Noesselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
391
Als beide vor ihm zum erstenmale erschienen, befahl er, drei Gläser
Wein zu bringen, reichte jedem eins, nahm selbst das dritte und
trank es ihnen zu. In diesem Augenblick wurde er abgerufen. Beide Feinde standen eine Zeitlang mit den Gläsern in der Hand starr und sprachlos einander gegenüber; endlich setzte jeder seiu Glas hin
und kehrte dem andern den liefen zu.
Peter verstand nicht, sich die Liebe seiner Untertanen zu erwerben. Schon seine deutsche Abkunft, noch mehr der Vorzug, den er seiner holsteinischen Garde vor der russischen gab, seine geringe Achtung vor der Geistlichkeit und den Zeremonien der griechischen Kirche und seine Vorliebe für den damals in Nußland nicht beliebten König von Preußen machten ihn verhaßt. Er liebte Friedrich den Großen so, daß er nicht nur, wie schon gesagt, sogleich Frieden und Bündnis mit ihm schloß, sondern auch dem russischen Militär einen preußischen Zuschnitt geben wollte. Er sprang einmal von der Tafel auf, warf sich, mit dem Weinglase in der Hand, vor dem Bildnisse des Königs nieder und rief: „Mein Bruder, wir werden miteinander die Welt erobern!" und da er außerdem rücksichtslos die russischen Gewohnheiten hintenansetzte und lächerlich machte und eine Menge anderer Torheiten beging, so wandten sich die Russen immer mehr von ihm ab und seiner Gemahlin zu. Katharina bildete sich nun eine Partei, die täglich an Zahl und Gewicht zunahm, und da das Gerücht ging, daß der Kaiser sie in ein Kloster , sperren wollte, glaubte sie, ihm zuvorkommen zu müssen. Durch ihre Freundin, die Fürstin Daschkow, brachte sie mehrere russische Große, die beiden £ rlotr, Offiziere in der Garde, den Grafen Pantn, die vornehmsten Geistlichen und viele andere auf ihre Seite, und alle versprachen ihr Beistand. Um auf das Volk zu wirken, zeigte sie sich oft mit trauriger Miene und Tränen in den Augen. Endlich war alles verabredet unter ihren Vertrauten; man wartete nur auf die Abreise des Kaisers, der gegen Dänemark zu Felde ziehen wollte, als die unbesonnene Schwatzhaftigkeit eines der Mit» wissenden alle in Gefahr brachte. Nur das schleunigste Handeln konnte die Kaiserin und die Verschworenen retten. Die letzteren holten am 9. Juli 1.62 schnell die Kaiserin aus Peterhof, wo sie
1838 -
Stuttgart
: Belser
- Autor: Bauer, Ludwig Amandus
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
T
Siebenjähriger Krieg. 4*71
wackre, khiintnißreiche Jtaliäner noch unmittelbar vor
Besetzung der kalinkischen Brücke an seinen Herrn abge-
,andt hatte. Wie ein Donnerschlag wirkte die Nachricht
auf den armen Fürsten. Endlich gestattete er, daß Groß-
kanzlcr Woronzow mit zwei Andern nach Petersburg
gehe. Woronzow trat unangemeldet ein. "Ich komme
von der Seite des Kaisers, meines Herrn." „Was wol-
len Sie?" schrie Katharina wüthend. „Eure Majestät
sprechen.» Als sie schwieg, fuhr er kaltblütig fort:
„welches Recht, Madam, haben Sie auf den Thron, den
der Kaiser einnimmt, und einst Ihr Sohn besteigen soll?"
Katharina führte ihn ans Fenster, deutete auf das Volk
und die Garden, welche Hurrah riefen, und sagte: „fra-
gen Sie diese; denn ich handle nicht, ich gebe nur nach.-.
Der Kanzler erhielt Arrest in seinem Hause. Abends
gegen 9 Uhr stellte sich Katharina in Gardeuniform, auf
einem weißgrauen Hengste reitend, an die Spitze von
15,000 Mann. Etwa 2 Stunden vor Peterhof über-
nachtete sie in der rothen Schenke. Hier war cs, wo
sie viele Papiere verbrannt haben soll; hier vielleicht hat
sie auch schon die Entdeckung gemacht, daß Friedrich
ihren Gemahl, weit entfernt, ihn zu reitzen, vielmehr
dringend zum ehlicheu Frieden ermahnt hatte. Jeden-
falls gelangte sie bald zu dieser bessern Einsicht, und
milderte daher ihre anfänglich gegen Preussen feindselige
Gesinnung. Peter hatte inzwischen in sinnloser Bestür-
zung tolle Manifeste diktirt, seinen 3000 Soldaten wi-
dersprechende Befehle ertheilt, einen Landsturm benach-
barter Bauern aufbietcn lassen, manchen vernünftigen
Vorschlag des Münnich, Gudowitsch und Götze verwor-
fen, und nach Kronstadt den beschränkten Grafen De-
viere geschickt, welchen Talysin natürlich überlistete. Nach
Mitternacht schiffte er selbst auf Kronstadt zu. Schon
wollte man eine Brücke werfen. „Wer da?" rief die
Schildwache. „Kennst du mich nicht?" sagte Peter, den
Mantel nusreisscnd. Da erscholl das fürchterliche Wort:
„wir haben keinen Kaiser mehr, es lebe Katharina die
1864 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
80. Katharina Ii. von Rußland. Potemkin. 531
Geburt des Großfürsten Paul (1754) nicht gebessert. Als Soltikow
auf einen Gesandtschaftsposten nach Madrid entfernt wurde, weinte Ka-
tharina bitterlich über die Trennung, wandte aber bald nachher ihre
Gunst dem polnischen Grafen Poniatowsky zu.
Kaum war Peter Iii. nach dem Tode der Kaiserin Elisabeth (Ja-
nuar 1762) zur Regierung gelangt, so zeigte er einen übermäßigen
Eifer, umfassende Reformen auf der Stelle durchzuführeu. Da er vor
Allem die russische Geistlichkeit nicht leiden mochte, so verfügte er mit
einem Federstriche die Confiscation alles Kirchengutes in dem weiten
Reiche, mehr als 40 Millionen Rubel werth. Zugleich änderte er die
äußere Politik ins Gegentheil um, indem er mit Friedrich Ii. ein
Bündniß schloß (s. S. 515). Gegen Katharina und den jungen Groß-
fürsten Paul verhehlte er nirgendwo seinen Haß; er dachte daran,
seinen Sohn von der Thronfolge auszuschließen, und da er keine
eigenen Nachkommen mehr erwartete, so ließ er einige Vettern aus
Holstein kommen, um vielleicht ihnen dereinst die Nachfolge zuzuwendeu.
So vereinigten sich verschiedene Elemente zu seinem Sturze. Die Popen
wütheten über den Berauber der Kirche, die Garderegimenter knirschten
über den Vergötterer der Preußen, eine Menge der bisherigen Macht-
haber fürchtete ihren Sturz durch die von Peter gestattete Rückkehr der
sibirischen Exilirten. Es wurde Katharina nicht schwer, mit diesen
allen anzuknüpfen. Ihr Freund Poniatowsky war damals nach Polen
zurückgekehrt, und an seine Stelle ein Artillerie-Ofsicier, Gregor Or-
low, getreten, ein schöner, starker und kühner Mann, der mit voller
Hingebung Katharinens Sache auf Leben und Tod ergriff. Sein Bru-
der Alexei, noch herculischer und trotziger, aber auch roher und gewalt-
thätiger als Gregor, warb in den Casernen für die Kaiserin. In der
Nacht auf den 9. Juli wurde Katharina aus ihrem Lustschlosse Peter-
Hof aus dem Schlaf geweckt; ein Mann stand an ihrem Bette, cs war
Alexei Orlow, der ihr hastig zurief: „Einer unserer Freunde ist ver-
haftet, eilen Sie, kein Augenblick darf verloren gehen." Sie war an-
fangs wie betäubt und zitterte, als sie in den Wagen stieg, um nach
Petersburg zu fahren; es war wohl weniger ängstliche Furcht als das
Gefühl, daß jetzt die Entscheidung über ihr ganzes Leben da sei.
Während der Fahrt verlor sich ihre Verwirrung, und unter fröhli-
chem Lachen kam sie in der Hauptstadt bei der Caserne der Garden
an. Dort hatte Gregor Orlow die Regimenter vorbereitet; in der
Kasan'schen Kirche wartete der Erzbischof von Nowgorod mit dem Cle-
rus. Panin, der Erzieher des jungen Paul, versammelte die Senatoren,
binnen zwei Stunden war Katharina als Selbstherrschern: aller Reußen
ausgerufen, im Palast installirt, von Beamten, Truppen, jubelnden
Volkshaufen umgeben.
Niemals war eine Revolution leichter, rascher, einmüthiger von Stat-
ten gegangen. Am Abende setzte sie sich selbst an die Spitze der Trup-
pen, welche gegen das Schloß Oranienbaum, den Aufenthalt Pcter's,
geschickt wurden; sie trug die altrussische Uniform der Garde. Die
34*
1827 -
Leipzig
: Brockhaus
- Autor: Meynier, Johann Heinrich
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Europäische Geschichte
2 54
konnte aber sein ganzes Unglück noch nicht glauben. An-
gelangt zu Petershof, eilte er auf Katharinens gewöhn-
liches Zimmer, suchte sie in dem Bette, unter dem Bette,
in den Schranken, hinter der Wand. Umsonst, sie war
nirgends. Sagte ichs nicht., schrie er, daß für sie kein
Entschluß zu kühn ist? Alle Höflinge schwiegen. Ein jun-
ger Franzose aber drängte sich heran und versicherte, man
könne ganz ruhig seyn, die Kaiserin sey in Petersburg,
wo man das St. - Petersfest ganz glänzend feiere, denn
alle Truppen stehen unter den Waffen. In demselben
Augenblicke kam auch Bressans abgeschickter Knecht un-
ter einer Menge Fußfalle und Kreuze, die er schlug, und
überreichte das ihm anvertraute Papier. Peter las darin,
daß das Regiment der Leibwache in .vollem Aufruhr und
die Kaiserin an seiner Spitze sey.
Eiligst ließ nun der Kaiser seine holsteinischen Trup-
pen, 3000 Mann an der Zahl, von Oranienbaum herbei-
rufen. Er lief unschlüssig hin und her wie ein Mensch,
der den Kopf verliert. Der berühmte Marschall Mün-
nich, den er aus Sibérien zurückgerufen hatte, und der
ihm zur Seite stand, rieth ihm, sich eiligst der Stadt
Kronstadt und der Flotte zu versichern; Peter wollte
aber nicht wie ein Feigherziger gehen, ohne vorher den
Feind gesehen zu haben. Jndeß er so zauderte, eilte ihm
ein Abgeordneter der Kaiserin nach Kronstadt zuvor.
Bald darauf kam einer von seinen Adjutanten mit der
Nachricht angesprengt, es nähere sich Katharina mit
einem Heere von 20,000 Mann. Jetzt säumte Peter
nicht langer und eilte nach dem Gestade, wo zwei Pachten
ihn mit seinem ganzen Gefolge aufnahmen.
Abends um zehn Uhr langte er in Kronstadt an.
Wer da? rief der Pacht eine Schildwache zu — Der Kai-
ser — Es ist kein Kaiser mehr. Wirklich ließ man ihn
17. Bd. 8
- S. 276
1846 -
Braunschweig
: Westermann
- Autor: Hermes, Karl H., Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1812
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
276
Dreizehntes Kap. Der Norden und Osten.
Rathe für den König verbindlich seyn. Auch sollte ohne Bewilligung der
Stände der König keinen Offensiv-Krieg führen können.
Wunberschncll erblühte wieder, nach also gebrochenem Aristokraten-Joche,
Schwedens Kraft und Glück. Aber die gedemüthigten Oligarchen brüteten
insgeheim über Planen der Rache.
§. 4. Rußland. Katharina's El Thronbesteigung.
In Rußland war nach dem Tode der Kaiserin Elisabeth ihr Neffe,
Karl Peter Ulrich, Herzog von Ho.lftcin-Gottorp, welchen sie schon
1742 zum Thronfolger erklärt hatte, zur Herrschaft gelangt (3. Jänner
1762). Noch während des Lebens der Muhme war eine mächtige Partei
gegen ihn aufgestanden, und selbst seine Gemahlin Katharina, Prinzessin
von Anhalt-Zerbst, hatte daran Theil genommen. Das Mißverhältniß
mit dieser Lcztcn nahm zu nach seiner Thronbesteigung; aber der sorglose
Peter, dem Trünke und anderen rohen Leidenschaften ergeben, ckannte die
Gefahr nicht, welcher er dadurch sich aussezte. Schon durch die schnelle
Veränderung des politischen Systems seiner Vorfahrin gegen Preußen und
Dänemark erregte er vieles Mißvergnügen, mehr noch durch unklugen An-
griff auf Nationalvorurtheile, durch den der teutschen (holsteinischen) vor der
russischen Garde ertheilten Vorzug, durch Verordnungen wider die Bilder
und wider die Bärte der Geistlichen, durch Geringschäzung der Großen des
Reichs. Also geschah, daß, nachdem er seiner Gemahlin, deren Treue er
in nicht unbegründetem Verdachte hielt, Gefangenschaft in einem Kloster, dem
Sohne derselben, Paul Petrowitsch, aber Verstoßung drohte, Er Selbst
plözlich des Thrones beraubt, in's Gefängniß geworfen, getödtet ward
(9—14. Juli 1762)*).
Katharina, mit Hilfe der Brüder Orlow, des Kosaken-Ataman
R a sumo w ski, des Fürsten Ba rjat in s k i, des Grafen P ani n, der
Fürstin Daschkow u. A. brachte diese schnelle Umwälzung zu Stande.
Der Kaiser war aus dem Lustschlosse Oranienbaum. In Petersburg
brach der Aufstand aus. Katharina wurde von den Garden, von dem Adel
*) Vergleiche Geschichte der russischen Revolution im Jahr 1762, von Roulhiöre.
Germanien 17s7.
18. Bd. 2
- S. 60
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
60
Europa.
tagen und andern Festen des kaiserlichen Hauses. Zahllose Lustwand-
ler aller Stände, Alter und Geschlechter überströmen dann die Fuß-
wege. Mit unabsehlichen Wagenzügen sind dann die Land- und mit
Bootenflotten die Wasserwege dahin bedeckt. Ein dichtes Gewühl
der Vornehmen und der feinern Mittelstände herrscht überall in den
Erfrischungshausern und auf den Spaziergängen. Volksmassen drän-
gen sich zu ihren fröhlichen Spielen. Aus Wald und Gebüsch, von
Wiesen und vom Strome her erschallen Musik- und Gesangchöre der
Regimenter. Schon früh Nachmittags erscheinen die untern Klassen,
eilend zu den Rutschbahnen, Schaukeln, Caroussels (Ringelrennen),
Rennpfaden, Ball- und Kegelspielen, Seiltänzer-, Pantomim- und
Gauklerbuden k., um sich zu erlustigen. Einige Stunden später fol-
gen ihnen die Klassen des Mittelstandes, und am Spätabend erscheint
die vornehme und elegante Welt.
In der Nähe von Petersburg und in einiger Entfernung davon
liegen viele der kaiserlichen Familie gehörigen Lustschlösser. Zu dem
4 Meilen von Petersburg entfernten Lustschlosse Peterhof führt eine
der schönsten Kunststraßen, an beiden Seiten mit herrlichen Gärten
und Landhäusern besetzt. Es verdankt Peter dem Großen seine erste
Entstehung, ist aber von seinen Nachfolgern erweitert und zum Theil
erneuert worden, so daß-es wenig von seiner ersten Anlage behalten
hat, liegt am südlichen Ufer des Finischen Meerbusens, und kann
nicht mit Unrecht das Russische Versailles genannt werden, sowohl
was die Palläste als die Gärten und die kunstreichen Wasserwerke
betrifft, ja in Hinsicht der letztem laßt es das Französische Versailles
weit hinter sich. Einen Theil des Sommers hält sich der kaiserliche
Hof zu Peterhof auf; aber vorzüglich besucht ist dieses Lustschloß am
29. Junius, dem festlich begangenen Petri-Paulitage, wo sich wohl
an 100,000 Personen aller Stände aus der Hauptstadt und den
andern benachbarten Orten in den großen Gärten Peterhofs belustigen.
An der von Petersburg nach Nowgorod und Moskau führenden
Kunsistraße liegt 3ss M. von Petersburg das bekannte und prachtvolle
kaiserliche Lustschloß Zarskoje-Selo oder Zarskoe-Selo, das seine
Pracht und Größe der Kaiserin Katharina Ii. zu verdanken hat;
allein die ursprüngliche Anlage ist das Werk der Kaiserin Katharina 1.,
welche hier in Abwesenheit ihres Gemahls ein Schloß erbauen ließ,
um ihn bei seiner Rückkunft damit zu überraschen. Diese erste Anlage
erweiterte und verschönerte sodann die Kaiserin Elisabeth. Das Schloß
hat in der Fronte eine Länge von 1200 F. und imponirt von ferne
gesehen durch seine Riesengröße, aber in der Nähe betrachtet, verliert
es an Eindruck, wegen seiner Überladung von Verzierungen. Dem
prachtvollen Äußern entspricht das Innere mit seinen zahllosen Prunk-
zimmern und in Orientalischer Art geschmückten Sälen und mit sei-
nen kostbaren Verzierungen in Marmor, Mosaik, Jaspis, Agat, Lapis
Lazuli, und den feinsten farbigen Holzarten. Dazu kommen die aus-
1838 -
Stuttgart
: Belser
- Autor: Bauer, Ludwig Amandus
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
470
Sechzehntes Hauptstück.
sie gieng zu Fuß bei den Garden umher, sprach von Pe-
ters Absicht, ihren Sohn und sie zu beseitigen, schilderte
die Gefahr, welche der griechischen Religion, den Zerfall,
welcher dem ganzen Reich drohe, und bot jeden Zauber
ihrer Gestalt und Beredsamkeit auf. Neugierig, über-
rascht , entzückt drängten sich die Soldaten herzu, Dieser
in Pantoffeln, Jener im bloßen Hemd. Premier-Major
Graf Bruce gewann das semenowsche Garderegiment.
Wie ein Schnecball vergrößerte sich der Haufe. Man
zerriß die preussischen Montirungsstücke, suchte alte, zum
Theil zerlumpte hervor. Um 9 Uhr giengs nach der ka-
sanschcn Kirche: während der getäuschte Erzbischofs Se-
t sch in von Nowgorod Katharina als Vormünderin ih-
res Sohns Paul empfieng, und das Tedeum anstimmte,
wurde sie von Alexis ausserhalb der Kirche als Selbst-
Herrscherin ausgerufen. Im neuen Pallast bemächtigte
sie sich der geheimen Papiere des Kaisers, verfügte sich
dann in den alten, und ließ ihn mit Kanonen umgeben.
Wachposten schnitten die Wege nach Oranienbaum ab.
Viceadmiral Ta.ly sin erbot sich, die Besatzung von
Kronstadt zu gewinnen. Ein Truppencorps sollte die
Straße nach Lievland sperren, und Narwa schließen.
Den Pöbel beschäftigte man durch Gerüchte, die in Um-
lauf gesetzt wurden, und durch ein Trauergefolge, das,
als ob Peter gestorben wäre, in dumpfer Stille einen
Sarg begleitete. In den Kabacken oder Branntweinhäu-
fern, die aus kaiserlichen Magazinen gefüllt werden, konnte
jeder Soldat trinken, soviel er wollte. Auch die Gesand-
ten der gegen Friedrich verbundncn Mächte theilten Brannt.
wein in Fülle aus. Unterdessen war der Kaiser um 1 Uhr von
Oranienbaum nach Peterhvf aufgebrvchen, wo er die Ab-
sicht hatte, mancherlei Vorbereitungen für das Paulsfest
zu treffen. Ein Bauer auf einem elenden Karren schrie
dem Kutscher und den Vorreitern zu: man hielt ihn für
betrunken. In Peterhof wußte Niemand, wo die Kai-
serin scy. Bald kam jener Bauer; cs war ein verklei-
deter Diener des Staatsraths Bressan, den dieser
1848 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Neudecker, Chr. Gotth., Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Privatunterricht, Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
247
Orlow, Günstlinge der Kaiserin, benutzten das Mißverhältniß des Kaiser-
paares und beredeten Katharina, sich an die Spitze einer Verschwörung
zu stellen, welche den Kaiser entthronen und sie zur Alleinherrscherin erheben
sollte. Katharina, der man gesagt hatte, daß ihr Gemahl gedroht habe,
sie in ein Kloster sperren zu lassen, willigte ein. Während Peter auf
seinem Lustschlosse sich befand, eilte Katharina nach der Hauptstadt und
ließ sich von den Soldaten und dem Volke zur Kaiserin ausrufen. Zugleich
wurde bekannt gemacht, daß sie die Negierung darum übernehme, weil
Peter mit den geschworenen Feinden Rußlands Frieden und Bündniß ge-
schlossen habe und die russische Kirche in großer Gefahr schwebe. Als diese
Nachricht zu Peter gelangte, rieth man ihm, sich an die Spitze der Hol-
steiner Garde nach Petersburg zu begeben und den Aufruhr zu ersticken;
er gab aber den Bitten seiner Freundinnen nach und wollte lieber versuchen,
sich mit seiner Gemahlin zu versöhnen. Da geschah es, daß er gefangen
genommen und in einem entlegenen Dorfe nach kurzer Haft von einigen
russischen Offizieren ermordet wurde. Ob die Kaiserin von dieser schwarzen
That wußte, ist noch nicht ausgemittelt worden. In Petersburg hieß es:
der Kaiser sei plötzlich an Kolik gestorben.
Diese Veränderungen am russischen Hofe hatten einen großen Einfluß
auf die europäischen Angelegenheiten, denn Kaiser Peter Iii. hatte gleich
beim Antritte seiner Regierung dem russischen Heere in Schlesien befehlen
lassen, mit den Preußen gemeinsame Sache zu machen. Schon stand
Friedrich Ii. bei Neichenbach den Oestreichern gegenüber, als die Nach-
richt vom Tode Peter's und zugleich der Befehl an den General Czer-
niczew eintraf, mit dem Heere heimzukehren. Da beredete Friedrich Ii. den
General, den Befehl nur noch drei Tage lang geheim zu halten; das Treffen
erfolgte, und Friedrich siegte. Das russische Heer blieb dabei zwar un-
thätig, stand aber doch in Schlachtordnung und entmuthigte den östreichi-
schen Feldherren den Kampf fortzusetzen. Anfangs hatte Katharina be-
schlossen, den Krieg gegen Friedrich fortzuführen, weil sie meinte, er habe
ihren Gemahl gegen sie aufgebracht; als sie aber Briefe in ihre Hände be-
kam, aus welchen sie das Eegentheil erfuhr, verzieh sie dem Czcrniczew
das Ueberschreiten des erhaltenen Befehles und schloß mit ^Preußen Frieden.
Auch in Schweden änderte sich die Politik, hier trat man gleichfalls dem
Frieden bei, und so wurde Friedrich von zwei Feinden befreit. Obschon
er erschöpft war, kämpfte er doch im Vereine mit dem heldenmüthigen Fer-
dinand von Braunschweig noch ein Jahr lang, bis alle kriegführende
Mächte ermüdet und ohne Geld den Frieden wünschten, der endlich im
I. 1^63 auf dem sächsischen Jagdschlösse Hubertusburg geschlossen wurde.
Den Bestimmungen des Friedens gemäß wurde für den Länderbesitz Preu-
ßens der Umfang anerkannt, welchen es vor dem Kriege hatte, und so hatte
sich Friedrich Ii. sieben Jahre lang gegen einen halben Welttheil ver-
theidigt, ohne eine Handbreit Landes zu verlieren. War auch ein großer