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1. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 5

1913 - Leipzig : Hahn
5 durch, der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war, an dem Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwandt und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur, eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht an- schneidest." Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ er von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er auch wohl ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fort- trägt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud' und geh still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andre Mode; da heißt's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt's auch denken, mein lieber Bub'; aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derff- linger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpelhoser zu mir: „Schneider werden? Wie ist dir denn das einge- fallen ? Alleweil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut' nicht einmal Lust zu den Fenstern herein. Wenn du

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1. Lesebuch für unterfränkische Fortbildungsschulen - S. 185

1917 - München : Oldenbourg
185 und nähte. Ich blieb an der Tür stehen. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr und mein Herz pochten. „Was willst du denn?" fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht' ich halt gern," antwortete ich zagend. — „So setz dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen!" So tat ich — aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen; da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister; aber der tat nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an, legte den Lodenstoff aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch, der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdreüte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht anschneidest." Als ich das mit Augst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie mir sie der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand ein- zwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zu- sammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenkuecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegeubock meckern. Laß ihm die Freud' und geh still und sittsam deiner Wege! Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt's auch denken, mein lieber Bub'; aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervor-

2. Teil 3 = 6. u. 7. Schulj - S. 99

1911 - Breslau : Hirt
99 nach und kam endlich darauf, das; von mir vergessen worden war, in den Faden einen knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es wand und verdrehte sich der Zwirn; es staute sich die Nadel am Finger; es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen; es riß sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben mußt du nur, daß bu den Loden nicht anschneidest!" 3. Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst. Just nicht ungeschickt; aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem bu die Nadel eindrückst, mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt bu mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche; sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du allemal so zusammennähen, daß du sie nicht wieder von- einander zu trennen brauchst wie diesmal. Und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt du kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich aus- spotten und wird dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihn! die Freud' und geh still und sittsam deiner Wege! Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus. Jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andre Mode. Da heißt's nicht bloß zu- schneiden und nähen, da heißt's auch denken, mein lieber Bub'. Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr heraus- gewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider ge- wesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesenr Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." 4. Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpelhofer zu mir: „Schneider werden? Wie ist dir denn das

3. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 5

1906 - Leipzig : Hahn
5 durch, der erste Süch war mißlungen. Tief erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war, an dem Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwandt und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht an- schneidest." Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ er von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie uno Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still Liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Deit Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder von einander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fort- trägt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud' und geh still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt stch nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andre Mode; da heißt's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt's auch denken, mein lieber Bub'; aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpelhofer zu mir: „Schneider werden? wie ist dir denn das einge- fallen ? Alleweil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut' nicht einmal Luft zu den Fenstern herein. Wenn du

4. Die weite Welt - S. 358

1905 - Leipzig [u.a.] : Klinkhardt
358 vergessen worden war, an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit grosser Mühe ein Knötlein und nähte hier- auf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das Zeug und liess sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riss sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne dass mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben musst nur, dass du den Stoff nicht anschneidest.“ Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so da- lagen, wie mir sie der Meister in die Hand gegeben hatte, liess dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muss man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du’s einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger musst du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn musst mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reifst. Die Stiche musst du so machen, dass einer über den andern reitet, das heisst man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile musst du so zu- sammennähen, dass du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so musst kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Hand- werk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, dass dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner an- sichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Lass ihm die Freud' und geh still und sittsam deiner Wege! Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heisst’s nicht bloss zuschneiden und nähen, da heisst’s auch denken, mein lieber Bub'; aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der grosse Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann.“ Ich neigte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpelhofer zu mir: „Schneider werden? wie ist dir denn das eingefallen? Alleweil in der finstern Stube sitzen; in den meisten

5. Teil 5 = 7. - 9. Schulj - S. 182

1911 - Hannover [u.a.] : Carl Meyer (Gustav Prior)
182 Ich blieb an der Tür stehen.' Es war alles still. Er zog die Nadel auf und nieder. Nur die Wanduhr tickte, und mein Herz pochte dem Augenblicke entgegen. „Was willst denn?" fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht' ich halt gern," antwortete ich zagend. „So, bist du derselbe," sagte er und blickte eine Weile auf mich her. „In Gottes Namen, geh's an. Setz dich her, nimm Nadel und Zwirn, und nähe mir diesen Ärmling zusammen!" 4. So tat ich; aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel ver- schiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie behandelt und zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister. Er tat nichts dergleichen, als wisse er mehr als ich. Ich fädelte ein und legte den Loden aufs Knie und machte einen Such. Der Faden schlüpfte durch. Der erste Stich war mißlungen. An den Wangen tief ergllh?nd^ch>r schte ich der Ursache nach und kam endlich drauf, daß von mir vergessen - war, in den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und beschäftigte all meine zehn Finger dabei. Hierauf nähte ich mit Erfolg, aber auch mit Hinder- nissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich der Loden und ließ sich mit jedem Zug hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. 5. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf — bis auf den letzten Stich alles auf und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben mußt nur, daß du den Loden nicht anschneidest." Und als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie mir sie der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Waldbauernbub'! Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sach' angreifst. Just nicht ungeschickt. Aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er auch wohl ohne Einzwängen stilliegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem du die Nadel eindrückst, mußt du einen Fingerhut stecken; sonst kriegt deine Haut gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt im Loden so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißl man Hinterstiche; sonst klafft die Naht. Und die Teile mußt du allemal so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, wie dasmal. Und gibt es schon doch einmal zu

6. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 91

1900 - Essen : Baedeker
91 der Kleidermacher muss Menschen- und Weltkenner sein (s. Nr. 98). Na, werd’ ihn ’mal anschauen; soll nächster Tage zum Alpeihofer kommen, dort wird er mich finden!“ 2. So bin ich denn an einem hellen Morgen hingegangen. Lange stand ich auf dem Antrittstein der Hausthür und dachte: „Wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete?“ Da ich in die Stube trat, sass der Meister am Tische und nähte. Ich blieb an der Thür stehen. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr und mein Herz pochten. „Was willst du denn?“ fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht’ ich halt gern,“ antwortete ich zagend. — „So setz dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen.“ So that ich; aber es ist leichter gesagt als gethan. Da staken im Kissen an die dreissig Nadeln aller Grössen, da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie zusammengethan ? Ich warf fragende Blicke auf den Meister; aber der that nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an, legte den Lodenstoff aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch; der erste Stich war misslungen. Tief erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, dass von mir vergessen worden war, an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit grosser Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn; es staute sich die Nadel am Finger; es verschob sich das Zeug und liess sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen; es riss sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne dass mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hatte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu be- ginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben musst nur, dass du den Stoff nicht anschneidest.“ Als ich das mit Angst und Schmerz gethan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, liess dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab’ nur sehen wollen, wie du die Sache an- greifst. Just nicht ungeschickt; aber den Loden muss man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst hegt er nicht still. Später, wenn du ’s einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger musst du einen Fingerhut stecken; sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn musst mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reifst. Die Stiche musst du so machen, dass einer über den andern reitet, das heisst man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile musst du so zusammennähen, dass du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und giebt es doch einmal zu trennen, so musst kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, dass dich der Wind nicht fort- trägt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Lass ihm die Freud’ und geh still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer ver- mag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heisst ’s nicht bloss Zuschneiden und Nähen, da heisst ’s auch denken, mein lieber Bub’!

7. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 340

1912 - Essen Berlin : Bachmann Baedeker
340 Die Berufswahl. auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hatte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem „Auge fragte, was nun zu be- ginnen fei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht anschneidest." Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache an- greifst. Just nicht ungeschickt; aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du 's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken; sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er franzig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über den andern reitet; das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügel- eisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud' und gehe still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt 's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt 's auch denken, mein lieber Bub'! Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpel- hofer zu mir: „Schneider werden? Wie ist dir denn das eingefallen? Alle- weil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut' nicht einmal Luft zu den Fenstern hinein. Wenn du meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärst, hättest du nicht können ein Almhalter werden oder so was, wo du auf freier Weid' gewesen wärest! Jetzt bist einmal Schneider, so bleib dabei und schick dich, und wenn dir das Kreuz weh tut vom vielen Sitzen, so denk an den da oben; der will 's haben, daß der Mensch mit Müh' und Fleiß sein Brot verdient. Nur alles schön mit Willen und Geduld, so wird 's schon gut gehen! In meinem Hause hast heut' an- gefangen, so bin ich dir der Pate fürs Handwerk, und wenn du ein An- liegen hast, oder eine Klag', so komm zu mir!" In meiner Lehrzeit gab 's wenig zu klagen. Ich hätte mein Anliegen dem Alpelhofer auch nicht vorbringen können; denn der gute Mann ist schon fünf Wochen nach meinem Eintritt ins Handwerk gestorben. Stach Peter Noseggcr.

8. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 340

1903 - Essen : Baedeker
340 Die Berufswahl. auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hatte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem, Auge fragte, was nun zu be- ginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht anschneidest." Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache an- greifst. Just nicht ungeschickt; aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du 's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken; sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er franzig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über den andern reitet, daß heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügel- eisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud' und gehe still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt 's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt 's auch denken, mein lieber Bub'! Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpel- hofer zu mir: „Schneider werden? Wie ist dir denn das eingefallen? Älle- weil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut' nicht einmal Luft zu den Fenstern hinein. Wenn du meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärst, hättest du nicht können ein Almhalter werden oder so was, wo du auf freier Weid' gewesen wärest! Jetzt bist einmal Schneider, so bleib dabei und schick dich, und wenn dir das Kreuz weh tut vom vielen Sitzen, so denk an den da oben, der will 's haben, daß der Mensch mit Müh' und Fleiß sein Brot verdient. Nur alles schön mit Willen und Geduld, so wird 's schon gut gehen! In meinem Hause hast heut' an- gefangen, so bin ich dir der Pate fürs Handwerk, und wenn du ein An- liegen hast, oder eine Klag', so komm zu mir!" In meiner Lehrzeit gab 's wenig zu klagen. Ich hätte mein Anliegen dem Alpelhofer auch nicht vorbringen können; denn der gute Mann ist schon fünf Wochen nach meinem Eintritt ins Handwerk gestorben. Nach Peter Rosegger.

9. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 340

1907 - Essen Berlin : Bachmann Baedeker
340 Die Berufswahl. auch uur eine Silbe zu mir gesprochen hatte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem, Auge fragte, was nun zu be- ginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden sauber aus! Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht anschneidest." Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache an- greifst. Just nicht ungeschickt; aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du 's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken; sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er franzig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über den andern reitet; das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du das Bügel- eisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud' und gehe still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt 's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt 's auch denken, mein lieber Bub'i Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Dersflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpel- hofer zu mir: „Schneider werden? Wie ist dir denn das eingefallen? Alle- weil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut' nicht einmal Luft zu den Fenstern hinein. Wenn du meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärst, hättest du nicht können ein Almhalter werden oder so was, wo du auf freier Weid' gewesen wärest! Jetzt bist einmal Schneider, so bleib dabei und schick dich, und wenn dir das Kreuz weh tut vom vielen Sitzen, so denk an den da oben; der will 's haben, daß der Mensch mit Müh' und Fleiß sein Brot verdient. Nur alles schön mit Willen und Geduld, so wird 's schon gut gehen! In meinem Hause hast heut' an- gefangen, so bin ich dir der Pate fürs Handwerk, und wenn du ein An- liegen hast, oder eine Klag', so komm zu mir!" In meiner Lehrzeit gab 's wenig zu klagen. Ich hätte mein Anliegen dem Alpeihofer auch nicht vorbringen können; denn der gute Mann ist schon fünf Wochen nach meinem Eintritt ins Handwerk gestorben. Nach Peter Rojegger.

10. Neuntes Schuljahr - S. 52

1912 - Halle a.S. : Schroedel
— 52 paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: ,,Jetzt trenne den Ärmling wieder auf — bis auf den letzten Stich alles auf und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Loden nicht anschneidest.“ Und als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie mir sie der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: ,,Waldbauernbub! Ich hab’ nur sehen wollen, wie du die Sach’ angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du’s einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem die Nadel ein- drückst — das ist der mittlere, der lange — mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Haut gerade so viele Löcher, als wie der Loden. Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt im Loden so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche — sonst klafft die Naht. Und die Teile mußt du allemal so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, wie dasmal. Und gibt es schon doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen, mein lieber Waldbauernbub. Empfindsam sein, das leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich meistern, und jeder Halterbub wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du wohl das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht verträgt, und wird, solang’ er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud’ und geh still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein Dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus, jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andre Mode; da heißt’s nicht gerade Zuschneiden und Nähen, da heißt’s auch denken, mein lieber Waldbauernbub. Aus dem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feld- herr Derfflinger, der Wiedertäuferprophet Johann von Leyden sind Schneider gewesen, in Amerika gibt es sogar eine Gattung von Schnei- dern, welche Präsidenten von den Vereinigten Staaten werden. Ich hab’ ein Büchel, das will ich dir einmal zeigen, da wirst alle berühmten Schneider darin finden. Deswegen, Waldbauernbub, wenn du in dir wirklich die Neigung und das Talent zu diesem Stande empfindest, so bleibe da, und ich will dir lernen, was ich selber kann.“ Ich neigte dankend mit dem Kopfe.

11. Teil 3b = 9. Schulj - S. 53

1912 - Halle a.S. : Schroedel
53 paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf — bis auf den letzten Stich alles auf und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Loden nicht anschneidest.“ Und als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie mir sie der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Waldbauernbub! Ich hab’ nur sehen wollen, wie du die Sach’ angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem die Nadel ein- drückst — das ist der mittlere, der lange — mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Haut gerade so viele Löcher, als wie der Loden. Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt im Loden so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche — sonst klafft die Naht. Und die Teile mußt du allemal so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, wie dasmal. Und gibt es schon doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen, mein lieber Waldbauernbub. Empfindsam sein, das leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich meistern, und jeder Halterbub wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du wohl das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht verträgt, und wird, solang’ er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud’ und geh still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein Dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus, jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andre Mode; da heißt’s nicht gerade Zuschneiden und Nähen, da heißt’s auch denken, mein lieber Waldbauernbub. Aus dem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feld- herr Derfflinger, der Wiedertäuferprophet Johann von Leyden sind Schneider gewesen, in Amerika gibt es sogar eine Gattung von Schnei- dern, welche Präsidenten von den Vereinigten Staaten werden. Ich hab’ ein Büchel, das will ich dir einmal zeigen, da wirst alle berühmten Schneider darin finden. Deswegen, Waldbauernbub, wenn du in dir wirklich die Neigung und das Talent zu diesem Stande empfindest, so bleibe da, und ich will dir lernen, was ich selber kann." Ich neigte dankend mit dem Kopfe.

12. Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten - S. 4

1905 - Wittenberg : Herrosé
4 Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Waldbauernbub, ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sach' angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischwand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem du die Nadel eindrückst, mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Haut gerade so viel Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt im Loden so machen, daß einer über dem andern reitet, das heißt man Hinterstiche — sonst klafft die Naht. Und die Teile mußt du allemal so zusammen nähen, daß du sie nicht wieder von- einander zu trennen brauchst, wie dasmal. Und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen. Empfindsam sein, das leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dick meistern, und jeder Halterbub wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du wohl das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht verträgt, und wird, so lang' er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud' und geh' still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein Dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt's nicht gerade zuschneiden und nähen, da heißt's auch denken. Aus dem tüchtigen Schneider ist schon manch' ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, Waldbauernbub, wenn du in dir wirklich die Neigung und das Talent zu diesem Stande empfindest, so bleibe da, und ich will dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der Alpelhofer zu mir: „Schneider werden, wie ist dir denn das ein- gefallen? Alleweil in der finsteren Stuben sitzen; in den meisten Häusern lasten die Leut' nicht einmal Luft zu den Fenstern hinein. Wenn du meinst, daß du für Bauernarbeit zu gefüg' bist, hättest nicht können was anderes werden? Jetzt bist einmal Schneider, so bleib' dabei und schick' dich, und wenn dir das Kreuz weh' tut vom vielen Sitzen, so denk' auf den da oben, der will's haben, daß der Mensch mit Mühe und Not sein Brot verdient. Kreuzer wirst nicht in Über- fluß gewinnen, als Lehrling schon gar nicht. Nur alles schön mit Willen und Geduld, 's wird dir schon einmal besser gehen. In meinem Haus hast heut' angefangen, so bin ich dir Pati für's Handwerk. Wenn du ein Anliegen hast oder eine Klag', so komm' zu mir, und nun alleweil wohlgemut!" R°s-gger. 4. Behmiguny. 1. Eines schickt sich nicht für alle. Sehe jeder, wie er's treibe, sehe jeder, wo er bleibe, und wer steht, daß er nicht falle! 2. Willst du immer weiter schweifen? Sieh! das Gute liegt so nah'. Lerne nur das Glück ergreifen; denn das Glück ist immer da. Goethe.

13. Lesebuch für Oberklassen - S. 169

1914 - Metz : Even
— 169 — kriecht zusammen; dieses hält Farbe, das andere schießt ab. Wer das vorher nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß Menschen- und Weltkenner sein. Na, werd' ihn mal anschauen; soll nächster Tage zum Bauer Alpelhofer kommen, dort wird er mich finden.» So bin ich denn an einem hellen Morgen hingegangen. Lange stand ich auf dem Antrittstein der Haustür und dachte: «Wie wird es sein, wenn ich „wieder heraustrete?» Da ich in die Stube trat, saß der Meister am Tische und nähte. Ich blieb an der Tür stehen. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr und mein Herz pochten. «Was willst du denn?» fragte er mich nach einer Weile. .« Schneider möcht ich werden,» antwortete ich zagend. — « So setz dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen.» So tat ich; — aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel ver- schiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärm- lings, wie werden sie zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister; aber der tat nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an, legte den Stoff aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch; der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war, an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: «Jetzt trenne den Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich •und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt du nur, daß du den Stoff nicht anschneidest.» Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so da lagen, wie sie der Meister mir in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: «Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Stoff muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn

14. Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten - S. 3

1905 - Wittenberg : Herrosé
3 So bin ich denn am Erchtag in Heller Morgenfrüh zum Alpel- hofer gegangen. Lange stand ich auf dem Antrittsstein der Haustür und dachte: wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete? Eine fast feierliche Stimmung lag um das Haus, das auf dem Berge zwischen Eschen und Linden stand, und in dem die Entscheidung über mein Schicksal getroffen werden sollte. Als ich in die Stube eintrat, saß der Meister am Tisch und nähte. Vor ihm lag das Handwerkszeug, daneben zugeschnittenes Lodentuch, und an der Sitzbank hing das Bügeleisen. „Gelobt sei Jesus Christus," flüsterte ich. „In Ewigkeit," antwortete er mit milder, tiefer Stimme. Ich blieb an der Tür stehen. Es war alles still. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr tickte, und mein Herz pochte dem Augenblicke entgegen. „Was willst denn?" fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht ich halt gern," ant- wortete ich zagend. „So, bist du derselbe," sagte er und blickte eine Weile auf mich her. „In Gottes Namen, geh's an. Setz' dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen." So tat ich — aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kiffen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel ver- schiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie behandelt und zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister, aber er tat nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an. Ich fädelte ein und legte den Loden aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch. Der erste Stich war mißlungen. An den Wangen tief erglühend, forschte ich der Ur- sache nach und kam endlich d'rauf, daß von mir vergeffen worden war, in den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und beschäftigte all' meine zehn Finger dabei. Hierauf nähte ich mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es ver- wand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich der Loden und ließ sich mit jedem Zug hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. Mittlerweile kam der alte Alpelhofer in die Stube und rief: „Zum Dünner, jetzt ist ein junger Schneider Herkommen!" „Ja," sagte mein Meister. Wie mir dies Wörtlein wohlgetan hat! Im Voll- bewußtsein meiner Ungeschicklichkeit hatte ich von Minute zu Minute erwartet, daß der Meister mich fortschicken werde; aber dieses Ja war wie eine Anerkennung und Einsetzung. „Das ist brav," sagte der Alpelhofer und ging wieder davon. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hatte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling wieder auf — bis auf den letzten Stich alles auf und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Loden nicht anschneidest! Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der

15. Lesebuch für die Volksfortbildungsschulen der Pfalz - S. 33

1908 - Zweibrücken : Kranzbühler
33 Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir sprach, und als ich end- lich mit dem Ärmel fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmel wieder auf und ziehe die Fäden sauber aus! Gib aber ja acht, daß du den Stoff nicht anschneidest!“ Als die Teile des Äimels wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ er von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab’ nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du’s einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen stilliegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem anderen reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt du kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud’ und geh still und sittsam deiner Wege! Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen anderen Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt’s nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt’s auch denken, mein lieber Bub’. Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann.“ Ich nickte dankend. Beim Weggehen sagte der Alpel- hofer zu mir: „Schneider werden? wie ist dir denn das ein- gefallen? Immer in der finsteren Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut’ nicht einmal Luft zu den Fenstern herein. Wenn du meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärest, hättest du nicht können ein Almhalter werden oder so was, wo du Lesebuch für die Volksfortbildungsschulen der Pfalz. Z

16. Lesebuch für die Sonntagschulen der Pfalz - S. 33

1910 - Zweibrücken : Kranzbühler
33 Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir sprach, und als ich end- lich mit dem Ärmel fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmel wieder auf und ziehe die Fäden sauber aus! Gib aber ja acht, daß du den Stoff nicht anschneidest!" Als die Teile des Äimels wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ er von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Ich hab’ nur sehen wollen, wie du die Sache angreifst Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du’s einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen stilliegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhul stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden. Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem anderen reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt du kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und dich fragen, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt, und wird, solange er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud’ und geh still und sittsam deiner Wege! Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen anderen Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt’s nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt’s auch denken, mein lieber Bub’. Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Wenn du in dir wirklich die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann." Ich nickte dankend. Beim Weggehen sagte der Alpel- hofer zu mir: „Schneider werden? wie ist dir denn das ein- gefallen? Immer in der finsteren Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leut’ nicht einmal Luft zu den Fenstern herein. Wenn du meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärest, hättest du nicht können ein Almhalter werden oder so was, wo du Lesebuch für die Sonnlagschulen de: Pfalz. > q

17. Neuntes Schuljahr - S. 51

1912 - Halle a.S. : Schroedel
51 seines Kunden, er muß auch seinen Charakter kennen lernen, muß, sozusagen, das ganze Wesen erfassen, um ihm ein Kleid zu geben, welches paßt! Und wie er den Menschen kennen muß, den er nach außen hin vollendet, so muß er den Stoff kennen, von dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches? kriecht zusammen, dieses hält Farbe, das andre schießt ab. Wer das von vornherein nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß Menschen- und Weltkenner sein." „Na," versetzte am Ende der Meister, „werde ihn einmal anschauen! Mag nächster Tage zum Alpeihofer kommen, dort wird er mich finden!“ . . . 2. So bin ich denn am nächsten Erchtag (Dienstag) in heller Mor- genfrüh zum Alpelhofer gegangen. Lange stand ich auf dem Antritt- stein der Haustür und dachte: Wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete? Eine fast feierliche Stimmung lag um das Haus, welches auf dem Berge zwischen Eschen und Linden stand, und in welchem die Entscheidung meines Schicksals saß. Da ich in die Stube trat, saß der Meister am Tisch und nähte. Vor ihm lag das Handwerkszeug, daneben zugeschnittenes Lodentuch, und an der Sitzbank hing das Bügeleisen. „Gelobt sei Jesus Christus," flüsterte ich. „In Ewigkeit," antwortete er mit milder, sonorer Stimme. Ich blieb an der Tür stehen. Es war alles still. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr tickte, und mein Herz pochte dem Augenblick entgegen. „Was willst denn?“ fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht’ ich halt gern," antwortete ich zagend. „So, bist du derselbe," sagte er und blickte eine Weile auf mich her. „In Gottes Namen, geh’s an. Setz dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen.“ So tat ich — aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel verschiedner Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie behandelt und zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister. Er tat nichts dergleichen, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an. Ich fädelte ein und legte den Loden aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch. Der erste Stich war mißlungen. An den Wangen tief erglühend, forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war, in den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und beschäftigte alle meine zehn Finger dabei. Hierauf nähte ich mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich der Loden und ließ sich mit jedem Zug hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden . . . Als ich ein 4 *

18. Teil 3b = 9. Schulj - S. 52

1912 - Halle a.S. : Schroedel
52 seines Kunden, er muß auch seinen Charakter kennen lernen, muß, sozusagen, das ganze Wesen erfassen, um ihm ein Kleid zu geben, welches paßt! Und wie er den Menschen kennen muß, den er nach außen hin vollendet, so muß er den Stoff kennen, von dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches, kriecht zusammen, dieses hält Farbe, das andre schießt ab. Wer das von vornherein nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß Menschen- und Weltkenner sein." „Na,“ versetzte am End.e der Meister, „werde ihn einmal anschauen! Mag nächster Tage zum Alpeihofer kommen, dort wird er mich finden!" . . . 2. So bin ich denn am nächsten Erchtag (Dienstag) in heller Mor- genfrüh zum Alpeihofer gegangen. Lange stand ich auf dem Antritt- stein der Haustür und dachte: Wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete? Eine fast feierliche Stimmung lag um das Haus, welches auf dem Berge zwischen Eschen und Linden stand, und in welchem die Entscheidung meines Schicksals saß. Da ich in die Stube trat, saß der Meister am Tisch und nähte. Vor ihm lag das Handwerkszeug, daneben zugeschnittenes Lodentuch, und an der Sitzbank hing das Bügeleisen. „Gelobt sei Jesus Christus," flüsterte ich. „In Ewigkeit," antwortete er mit milder, sonorer Stimme. Ich blieb an der Tür stehen. Es war alles still. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr tickte, und mein Herz pochte dem Augenblick entgegen. „Was willst denn?" fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht’ ich halt gern," antwortete ich zagend. „So, bist du derselbe," sagte er und blickte eine Weile auf mich her. „In Gottes Namen, geh’s an. Setz dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen." So tat ich — aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel verschiedner Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie behandelt und zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister. Er tat nichts dergleichen, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an. Ich fädelte ein und legte den Loden aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch. Der erste Stich war mißlungen. An den Wangen tief erglühend, forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war, in den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und beschäftigte alle meine zehn Finger dabei. Hierauf nähte ich mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich der Loden und ließ sich mit jedem Zug hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden . . . Als ich ein

19. Lesebuch für Oberklassen - S. 170

1914 - Metz : Even
— 170 — du’s einmal kannst, wird er auch wohl ohne Einzwängen still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Finger- hut stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Stoff. Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über den andern reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt du kein saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk nicht. Verspotten dich törichte Leute und fragen dich, ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fortträgt: laß ihnen die Freude und geh still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Hand- werks, und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus: jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt’s nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt’s auch denken, mein lieber Bub. Aus einem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervor- gewachsen. Der große Feldherr Derfflinger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich die Neigung emp- findest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was ich selber kann.» Ich neigte dankend den Kopf. Beim Weggehen sagte der Alpeihofer zu mir: « Schneider werden? Wie ist dir denn das eingefallen? Alleweil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern lassen die Leute nicht einmal Luft zu den Fenstern hinein. Wenn du meinst, daß du für die Bauernarbeit zu schwach wärst, hättest du nicht können ein Almhalter werden oder so was, wo du auf freier Weide gewesen wärest! Jetzt bist du ein- mal Schneider, so bleib dabei und schick dich, und wenn dir das Kreuz weh tut vom vielen Sitzen, so denk an den da oben, der will's haben, daß der Mensch mit Müh’ und Fleiß sein Brot verdient. Nur alles schön mit Willen und Geduld, so wird’s schon gut gehen. In meinem Hause hast heut angefangen, so bin ich dir der Pate fürs Handwerk, und wenn du ein Anliegen hast oder eine Klage, so komm zu mir!» In meiner Lehrzeit gab's wenig zu klagen. Ich hätte mein Anliegen dem Alpeihofer auch nicht vorbringen können; denn der gute Mann ist schon fünf Wochen nach meinem Eintritt ins Handwerk gestorben. p. Rosegger.

20. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 339

1912 - Essen Berlin : Bachmann Baedeker
Die Berufswahl. 333 eines Abends über mich in der Stube des Waldbauern abgehalten wurde. Meine Mutter ging zu dem Geistlichen, Hülfe heischend, daß ich in die Studie (zum Studieren) kommen könnte. Der Herr Dechant sagte ihr aber: „Laß die Waldbäuerin das bleiben I Wenn der Bub' sonst keine Anzeichen für den Priester hat, als daß er schwach ist, so soll er was anderes werden." Nun, so ging denn meine Mutter vom Herrn Dechanten zum Schneidermeister: sie hätte einen Buben, der möcht' Schneider werden. — Was ihn auf diesen Gedanken brächte? — Weil er halt so schwächlich wäre. Stand der Meister auf und sprach: „Ich will der Waldbäuerin nur sagen, daß der richtige Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß. Einmal das viele Sitzen, nachher zur Feierabendzeit das weite Gehen über Berg und Tal und das ganze Zeug mitschleppen wie der Soldat seine Rüstung. Dann die ver- schiedene Kost: bei einem Bauer mager, beim andern feist, in einem Hause lauter Mehlspeisen, im andern wieder alles von Fleisch, heut' nichts als Erdäpfel und Grünzeug, morgen wieder alles Suppen und Brei. Und red' ich erst von den unterschiedlichen Leuten, mit denen man sich abgeben mußl Da eine brummige Bäuerin, der kein ordentlicher Zwirn feil ist, dort ein Bauer, der mit seinen närrischen Späßen den Handwerker erheitern und satt machen will. All' die Leut' soll der Schneider mit einem Maß messen. Und was die Hauptsache ist: Kopf muß einer haben! Was an einem krummen, buckeligen, einseitigen Menschenkinde verdorben ist, das soll der Schneider wieder gut machen. Der Schneider muß aber nicht allein den Körper seines Kunden, er muß auch, so zu sagen, sein ganzes Wesen erfassen, um ihm ein Kleid zu geben, welches paßt. Und ebenso muß er den Stoff kennen, von dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches kriecht zusammen; dieses hält Farbe, das andere schießt ab. Wer das vorher nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß Menschen- und Weltkenner sein (s. Nr. 171). Na, werd' ihn 'mal anschauen; soll nächster Tage zum Alpelhofer kommen, dort wird er mich finden!" 2. So bin ich denn an einem Hellen Morgen hingegangen. Lange stand ich auf dem Antrittstein der Haustür und dachte: „Wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete?" Da ich in die Stube trat, saß der Meister am Tische und nähte. Ich blieb an der Tür stehen. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr und mein Herz pochten. „Was willst du denn?" fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht' ich halt gern," antwortete ich zagend. — „So setz dichter, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen!" So tat ich; aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Ärmlings, wie werden sie zusammeugetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister; aber der tat nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an, legte den Lodenstoff aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch; der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden war, an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hinder- nissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn; es staute sich die Nadel am Finger; es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen; es riß sogar der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister