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1906 -
Leipzig
: Hahn
- Autor: Wehrhan, Karl, Kleineberg, W.
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
59
und Gesellen lustig um die Wette: hüuh—hitt, hüuh—hitt! Die
Sonne sandte durch das saftige Weingerank, welches die Werkstatt-
senster so schön verschleierte, ihr liebliches Lächeln aus die fleißigen
Leutchen da drinnen hin, und Meister Wernthal begleitete ihren Blick
zuweilen mit ganz eigenen Augen, wenn derselbe auf den jungen
Gesellen fiel, der dort an seiner Seite so emsig hantierte, daß es
geradezu eine Freude war, ihm zuzusehen.
Friedrich Breitkopf war ein schmucker Bursch. Schlank und
kräftig gewachsen, bot er mit seinem jugendfrischen, von dunklem,
dichtem Haargelock umrahmten und mit leichtem Bartflaum gezierten
Gesichte das köstliche Bild eines echten deutschen Handwerksgesellen.
Er verstand auch sein Handwerk, das sah man an der Art, wie er
das Werkzeug führte, und der Meister Wernthal mußte wohl zufrieden
mit dem jungen Burschen sein; denn die Blicke, die er ihm zuweilen
zuwarf, zeugten von Wohlwollen und Güte.
Indessen, wer den schmucken Gesellen näher betrachtete, bemerkte
bald, daß es heute nicht die Lust zum Handwerke war, welche ihn
so emsig den Hobel führen ließ, sondern daß eine Art Aufregung
sich seiner bemächtigt hatte, ein Etwas, das sich als Unzufriedenheit
mit sich und seinem Geschick auf seinem hübschen Antlitze wieder-
spiegelte.
Und so war es auch. Der schmucke, fleißige Friedrich Breitkopf,
der tüchtigste und geschickteste Geselle, den Meister Wernthal je in
seiner Werkstatt beschäftigt hatte, war unzufrieden mit seinem Berufe.
Der gute Junge haderte mit seinem Geschicke, das ihn zum Tischler
gemacht und für die Zeit seines Lebens an die Hobelbank gestellt
hatte, während andere, die kaum halb so hübsch und gewandt waren
wie er (z. B. sein Schulkamerad Heinrich Hacker), in Frack und
weißer Weste auf dem Bahnhöfe herumstolzieren konnten, statt mit
rauhen, ungehobelten Brettern mit artigen, gebildeten Reisenden zu
tun hatten und statt eines kärglichen Wochenlohnes reichliche Trink-
gelder einstrichen, für welche sie sich endlich selbst eine Restauration
oder ein Gasthaus kaufen oder pachten konnten, um dann als große
Herren zu leben, während er es höchstens bis zu einer bescheidenen
eigenen Werkstatt bringen konnte, in der er zeitlebens hobeln und
bohren, sägen und nageln mußte, um sein tägliches Brot zu ver-
dienen.
Rein! Was Heinrich Hacker konnte, konnte er auch, hüuh—hitt
— hitt—hitt! Friedrich Breitkopf ließ noch einmal den Hobel kräftig
über sein Brett hingleiten, blies sodann die Späne aus demselben
fori, warf ihn auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich mache
Schicht!"
Meister Wernthal glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu sollen;
er blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du
Arllst fremd machen?"
„Jawohl Meister," erwiderte Friedrich trotzig, „ich habe das
1912 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
355
führte, und Meister Wernthal mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen
sein; denn die Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohl-
wollen und Güte.
Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, bemerkte bald,
daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die ihn so emsig den Hobel
führen ließ, sondern daß eine Aufregung sich seiner bemächtigt hatte, und daß
sich eine gewisse Unzufriedenheit auf seinem hübschen Antlitz widerspiegelte.
In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Heinrich
Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhöfe umherstolzieren sehen;
der hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern mit artigen, gebildeten
Reisenden zu tun, und statt eines kärglichen Wochenlohnes strich er reichliche
Trinkgelder ein, für welche er sich endlich selbst eine „Restauration" oder ein
Gasthaus kaufen oder pachten wollte, um dann als großer Herr zu leben.
Der arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer bescheidenen
eigenen Werkstatt bringen, in der er zeitlebens hobeln und bohren, sägen und
nageln mußte, um sein karges tägliches Brot zu verdienen. Nein, was
Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch! Friedrich Breitkopf ließ noch
einmal den Hobel kräftig über sein Brett hingleiten, blies sodann die Späne
fort, warf ihn auf die Hobelbank und rief; „Meister, ich mache Schicht!"
Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Er
blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du willst fremd
machen?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich trotzig, „ich habe das
Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres werden und hänge den Tischler an
den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzetrel und meinen Lohn, wenn
Sie wollen!" „Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd,
„eigentlich-----------" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen
Lohn nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm Friedrich
noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und die
paar Groschen Lohn kann ich missen!" — „Nun, nun," antwortete Meister
Wernthal jetzt mit leisem Spott, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich
nicht halten, 's ist freilich jetzt grad' viel zu tun; aber ich bekomme schon
einen andern Gesellen, und was deinen Lohn anbelangt, den kannst du auch
haben."
2. Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit
Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe, sondern auf
dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich gerade eine Kunst-
gewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet worden, und so hatte
Friedrich Breitkopf schnell das Ziel seiner Wünsche erreicht: er war Kellner
in einem Ausstellungs-Ausschank geworden, und reichlich flössen die Trink-
gelder in seine Tasche. Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen,
und im Geiste sah er sich schon als Gasthofsbesitzer in einer glänzenden
Kutsche spazieren fahren.
Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es ihm
etwas wunderlich zu Mute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich
auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel aus Eichenholz,
woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mitgearbeitet hatte. Ein Schreibtisch
war es, der von vornherein die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher auf
sich gelenkt hatte. Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in
allen seinen Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, und sie mußten
gestehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Friedrich
1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
355
führte, und Meister Wernthal mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen
fein; denn die Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohl-
wollen und Güte.
Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, bemerkte bald,
daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die ihn so emsig den Hobel
führen ließ, sondern daß eine Aufregung sich seiner bemächtigt hatte, und daß
sich eine gewisse Unzufriedenheit auf seinem hübschen Antlitz wiederspiegelte.
In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Heinrich
Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhöfe umherstolzieren sehen;
der hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern mit artigen, gebildeten
Reisenden zu tun, und statt eines kärglichen Wochenlohnes strich er reichliche
Trinkgelder ein, für welche er sich endlich selbst eine „Restauration" oder ein
Gasthaus kaufen oder pachten wollte, um dann als großer Herr zu leben.
Der arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer bescheidenen
eigenen Werkstatt bringen, in der er zeitlebens hobeln und bohren, sägen und
nageln mußte, um sein karges tägliches Brot zu verdienen. Nein, was
Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch! Friedrich Breitkopf ließ noch
einmal den Hobel kräftig über sein Brett hingleiten, blies sodann die Späne
fort, warf ihn auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich mache Schicht!"
Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Er
blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du willst fremb
machen?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich trotzig, „ich habe das
Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres werden und hänge den Tischler an
den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzettel und meinen Lohn, wenn
Sie wollen!" „Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd,
„eigentlich------—" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen
Lohn nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm Friedrich
noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und die
paar Groschen Lohn kann ich missen!" — „Nun, nun," antwortete Meister
Wernthal jetzt mit leisem Spott, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich
nicht halten, 's ist freilich jetzt grad' viel zu tun; aber ich bekomme schon
einen andern Gesellen, und was deinen Lohn anbelangt, den kannst du auch
bekommen."
2. Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit
Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe, sondern auf
dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich gerade eine Kunst-
gewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet worden, und so hatte
Friedrich Breitkopf schnell das Ziel seiner Wünsche erreicht: er war Kellner
in einem Ausstellungs-Ausschank geworden, und reichlich flössen die Trink-
gelder in seine Tasche. Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen,
und im Geiste sah er sich schon als Gasthofsbesitzer in einer glänzenden
Kutsche spazieren fahren.
Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es ihm
etwas wunderlich zu Mute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich
auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel aus Eichenholz,
woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mitgearbeitet hatte. Ein Schreibtisch
war es, der von vornherein die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesncher auf
sich gelenkt hatte. Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in
allen seinen Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, und sie mußten
gestehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Friedrich
23*
1907 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
355
führte, und Meister Wernthal mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen
sein; denn die Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohl-
wollen und Güte.
Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, bemerkte bald,
daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die ihn so emsig den Hobel
führen ließ, sondern daß eine Aufregung sich seiner bemächtigt hatte, und daß
sich eine gewisse Unzufriedenheit ans seinem hübschen Antlitz wiederspiegelte.
In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Heinrich
Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhöfe umherstolzieren sehen;
der hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern mit artigen, gebildeten
Reisenden zu tun, und statt eines kärglichen Wochenlohnes strich er reichliche
Trinkgelder ein, für welche er sich endlich selbst eine „Restauration" oder ein
Gasthaus kaufen oder pachten wollte, um dann als großer Herr zu leben.
Der arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer bescheidenen
eigenen Werkstatt bringen, in der er zeitlebens hobeln und bohren, sägen und
nageln mußte, um sein karges tägliches Brot zu verdienen. Nein, was
Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch l Friedrich Breitkopf ließ noch
einmal den Hobel kräftig über sein Brett hingleiten, blies sodann die Späne
fort, warf ihn auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich mache Schicht!"
Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Er
blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du willst fremd
machen?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich trotzig, „ich habe das
Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres werden und hänge den Tischler an
den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzettel und meinen Lohn, wenn
Sie wollen!" „Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd,
„eigentlich----------" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen
Lohn nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm Friedrich
noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und die
paar Groschen Lohn kann ich missen!" — „Nun, nun," antwortete Meister
Wernthal jetzt mit leisem Spott, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich
nicht halten, 's ist freilich jetzt grad' viel zu tun; aber ich bekomme schon
einen andern Gesellen, und was deinen Lohn anbelangt, den kannst du auch
bekommen."
2. Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit
Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe, sondern ans
dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich gerade eine Kunst-
gewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet worden, und so hatte
Friedrich Breitkopf schnell das Ziel seiner Wünsche erreicht: er war Kellner
in einem Ausstellungs-Ausschank geworden, und reichlich flössen die Trink-
gelder in seine Tasche. Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen,
und im Geiste sah er sich schon als Gasthofsbesitzer in einer glänzenden
Kutsche spazieren fahren.
Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es ihm
etwas wunderlich zu Mute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich
auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel aus Eichenholz,
woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mitgearbeitet hatte. Ein Schreibtisch
war es, der von vornherein die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher auf
sich gelenkt hatte. Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in
allen seinen Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, und sie mußten
gestehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Friedrich
23*
1908 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Volksfortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
60
Und doch gibt es noch ärgeren Frevel als den genannten, das ist der
Baumfrevel oder die mutwillige Beschädigung der Bäume an den Landstraßen
und des jungen Anwuchses in den Gärten, öffentlichen Anlagen und Wäldern.
Wer ein Kunstwerk oder ein Denkmal beschädigt, der versündigt sich an seinem
Nächsten, dessen Arbeit und Freude er mutwillig zerstört. Der Baumfrevler
versündigt sich zugleich an einem Gebilde Gottes, das keine menschliche Kunst
wiederherstellen kann.
Und was soll ich von denen sagen, die ein Tier mißhandeln, quälen
und martern, die ihm etwa eine Last aufladen, welche es nicht tragen oder
ziehen kann, die ihm die Nahrung verkümmern, deren es zu seinem Bestehen
bedarf? Sie kennen wohl nicht das Wort der Heiligen Schrift „Der Gerechte
erbarmt sich seines Viehes; aber das Herz des Gottlosen ist unbarmherzig."
Hugo Weber.
42. Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
|n Meister Wernthals Werkstatt pfiffen die Hobel um die Wette.
Die Sonne warf durch das Weingerank, welches das Werkstatt-
fenster leicht verschleierte, ihre freundlichsten Strahlen auf die fleißi-
gen Leute da drinnen. Auch Meister Wernthal schaffte rüstig mit; nur
ließ er zuweilen seine Augen mit Wohlgefallen auf dem jungen
Gesellen ruhen, der an seiner Seite so emsig hantierte, daß cs eine
Freude war ihm zuzusehen.
Friedrich Breitkopf war ein schmucker Bursche. Schlank und
kräftig gewachsen, bot er mit seinem jugendfrischen, von dunklem,
dichtem Haargelock umrahmten Gesicht das Bild eines echten deut-
schen Handwerksgesellen. Er verstand auch seine Arbeit; das sah
man an der Art, wie er das Werkzeug führte, und Meister Wernthal
mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen sein; denn die
Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohlwollen
und Güte.
Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, be-
merkte bald, daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die
ihn so emsig den Hobel führen ließ, sondern daß eine Aufregung
sich seiner bemächtigt hatte und daß sich eine gewisse Unzufrieden-
heit auf seinem hübschen Antlitz widerspiegelte.
In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Hein-
rich Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhof umher-
stolzieren sehen. Hacker hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern
mit artigen, gebildeten Reisenden zu tun und statt eines kärglichen
Wochenlohnes strich er reichliche Trinkgelder ein, für die er
1910 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Autor: Salzgeber, Franz
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Sonntagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
60
Und doch gibt es noch ärgeren Frevel als den genannten, das ist der
Baumfrevel oder die mutwillige Beschädigung der Bäume an den Landstraßen
und des jungen Anwuchses in den Gärten, öffentlichen Anlagen und Wäldern.
Wer ein Kunstwerk oder ein Denkmal beschädigt, der versündigt sich an seinein
Nächsten, dessen Arbeit und Freude er mutwillig zerstört. Der Baumsrevler
versündigt sich zugleich an einem Gebilde Gottes, das keine menschliche Kunst
wiederherstellen kann.
Und was soll ich von denen sagen, die ein Tier mißhandeln, quälen
und martern, die ihm etwa eine Last aufladen, welche es nicht tragen oder
ziehen kann, die ihm die Nahrung verkümmern, deren es zu seinem Bestehen
bedarf? Sie kennen wohl nicht das Wort der Heiligen Schrift „Der Gerechte
erbarmt sich seines Viehes; aber das Herz des Gottlosen ist unbarmherzig."
Hugo Weber.
42. Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
jn Meister Wernthals Werkstatt pfiffen die Hobel um die Wette.
Die Sonne warf durch das Weingerank, welches das Werkstatt-
fenster leicht verschleierte, ihre freundlichsten Strahlen auf die fleißi-
gen Leute da drinnen. Auch Meister Wernthal schaffte rüstig mit; nur
ließ er zuweilen seine Augen mit Wohlgefallen auf dem jungen
Gesellen ruhen, der an seiner Seite so emsig hantierte, daß es eine
Freude war ihm zuzusehen.
Friedrich Breitkopf war ein schmucker Bursche. Schlank und
kräftig gewachsen, bot er mit seinem jugendfrischen, von dunklem,
dichtem Haargelock umrahmten Gesicht das Bild eines echten deut-
schen Handwerksgesellen. Er verstand auch seine Arbeit; das sah
man an der Art, wie er das Werkzeug führte, und Meister Wernthal
mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen sein; denn die
Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohlwollen
und Güte.
Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, be-
merkte bald, daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die
ihn so emsig den Hobel führen ließ, sondern daß eine Aufregung
sich seiner bemächtigt hatte und daß sich eine gewisse Unzufrieden-
heit auf seinem hübschen Antlitz widerspiegelte.
In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Hein-
rich Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhof umher-
stolzieren sehen. Hacker hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern
mit artigen, gebildeten Reisenden zu tun und statt eines kärglichen
Wochenlohnes strich er reichliche Trinkgelder ein, für die er
1910 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Autor: Salzgeber, Franz
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Sonntagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
61
sich endlich selbst eine Speisewirtschaft oder ein Gasthaus zu kaufen
oder zu pachten gedachte um dann als großer Herr zu leben. Der
arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer beschei-
denen eigenen Werkstatt bringen, wo er zeitlebens hobeln und bohren,
sägen und nageln mußte um sein karges tägliches Brot zu verdienen.
Nein, was Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch! Friedrich
Breitkopf ließ noch einmal den Hobel kräftig über sein Brett hin-
gleiten, warf ihn dann auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich
mache Schicht!"
Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.
Er blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du
willst fremd werden?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich
trotzig, „ich habe das Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres
werden und hänge den Tischler an den Nagel. Geben Sie mir meinen
Fremdenzettel und meinen Lohn, wenn Sie wollen!" „Hm, hm,"
brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd, „eigentlich
-----—" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen Lohn
nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm
Friedrich noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel
und die paar Groschen Lohn kann ich missen!" „Nun, nun," ant-
wortete Meister Wernthal, „wenn es so mit dir steht, dann will ich
dich nicht halten, ’s ist freilich jetzt gerade viel zu tun; aber ich
bekomme schon einen anderen Gesellen, und was deinen Lohn an-
belangt, den kannst du auch bekommen."
Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls
in Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe,
sondern auf dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich
gerade eine Kunstgewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet
worden und so hatte Friedrich Breitkopf schnell das Ziel seiner
Wünsche erreicht: er war Kellner in einem Ausstellungs-Ausschank
geworden und reichlich flössen die Trinkgelder in seine Tasche. Der
junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen und im Geiste sah er
sich schon als Gasthofbesitzer in einer glänzenden Kutsche spazieren
fahren.
Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es
ihm etwas wunderlich zumute geworden. Der Meister Wernthal hatte
nämlich auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes
Möbel aus Eichenholz, woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mit-
gearbeitet hatte. Ein Schreibtisch war es, der von vornherein die
Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher auf sich gelenkt hatte.
1908 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Volksfortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
61
sich endlich selbst eine Speisewirtschaft oder ein Gasthaus zu kaufen
oder zu pachten gedachte um dann als großer Herr zu leben. Der
arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer beschei-
denen eigenen Werkstatt bringen, wo er zeitlebens hobeln und bohren,
sägen und nageln mußte um sein karges tägliches Brot zu verdienen.
Nein, was Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch! Friedrich
Breitkopf ließ noch einmal den Hobel kräftig über sein Brett hin-
gleiten, warf ihn dann auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich
mache Schicht!"
Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.
Er blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du
willst fremd werden?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich
trotzig, „ich habe das Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres
werden und hänge den Tischler an den Nagel. Geben Sie mir meinen
Fremdenzettel und meinen Lohn, wenn Sie wollen!" „Hm, hm,"
brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd, „eigentlich
-----—" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen Lohn
nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm
Friedrich noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel
und die paar Groschen Lohn kann ich missen!" „Nun, nun," ant-
wortete Meister Wernthal, „wenn es so mit dir steht, dann will ich
dich nicht halten, ’s ist freilich jetzt gerade viel zu tun; aber ich
bekomme schon einen anderen Gesellen, und was deinen Lohn an-
belangt, den kannst du auch bekommen."
Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls
in Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe,
sondern auf dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich
gerade eine Kunstgewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet
worden und so hatte Friedrich Breitkops schnell das Ziel seiner
Wünsche erreicht: er war Kellner in einem Ausstellungs-Ausschank
geworden und reichlich flössen die Trinkgelder in seine Tasche. Der
junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen und im Geiste sah er
sich schon als Gasthofbesitzer in einer glänzenden Kutsche spazieren
fahren.
Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es
ihm etwas wunderlich zumute geworden. Der Meister Wernthal hatte
nämlich auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes
Möbel aus Eichenholz, woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mit-
gearbeitet hatte. Ein Schreibtisch war es, der von vornherein die
Aufmerksamkeit der Ausstcllungsbesucher auf sich gelenkt hatte.
1912 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
354
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
reichlich ausgestattete Büchersammlung, die mein Meister und seine Angehörigen
fleißig benutzten. Da habe ich manches schöne Buch gelesen. Ja, der Verein
hatte sogar eine öffentliche Lesehalle eingerichtet, in der Abends Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher zu beliebiger Benutzung auslagen. Dort habe ich
häufig den Abend zugebracht und Spiel und Trunk, wodurch sich so mancher
Kamerad Vergnügen und Erholung verschaffte, nicht vermißt."
„Bester Freund," rief jetzt der Steinmetz aus, „deine Schilderung könnte
mich beinahe von meiner Naturschwärmerei ein wenig abbringen. Dazu hat
sie liebe Erinnerungen in mir wachgerufen. Mein Vater war ein ehrsamer
Schuhmachermeister in einem kleinen Städtchen am Main. Meine gute
Mutter nannte ihn scherzweise einen Bücherwurm, weil es sein höchstes Er-
götzen war, wenn er für einige überschüssige Groschen ein Buch erstehen
konnte. Auch ein Liebhaber von Bildern war er. Freilich konnte er höchstens
dann und wann einen wohlfeilen Holzschnitt erschwingen; aber eines Tages
— ich sehe ihn noch, als wenn es gestern gewesen wäre — kam er, eine
Rolle in der Hand, triumphierend von einer Reise nach Nürnberg heim.
Was war's? Er hatte in einer Kunsthandlung für ganze drei Mark einen
Steindruck erstanden, der fast so vornehm aussah, wie ein Kupferstich, —
und was stellte er dar? Hans Sachs im traulichen Gespräch mit seinem
Evchen, Hans Sachs meines lieben Vaters angebeteter Landsmann und Berufs-
genosse, den er fast wie einen Schutzheiligen verehrte. Ach, wenn sich mein
Vater die herrlichen Werke von Malern und Kupferstechern hätte anschaffen
können, die jetzt Photographen und Lithographen für wenig Geld in die
ärmsten Hütten tragen! Und wie fleißig würde er eine solche Bibliothek be-
nutzt haben!"
„Bruder, ich mache dir einen Vermittelungsvorschlag," sagte jetzt der
Zimmermann, „laß uns am morgenden Nachmittag nach dem nächsten Dorfe
wandern und bei einem Schöpplein Neckarwein den Klängen der Zither
lauschen, die der Sohn des Kronenwirtes so trefflich zu schlagen versteht!
Am Abend aber wollen wir den Vortrag hören, den ein Wanderlehrer im
Städtchen über das Genossenschaftswesen halten wird."
„Einverstanden," sagte der Steinmetz, „so kann es uns morgen nicht
fehlen. — Als die beiden Gesellen am Sonntagabend heimkehrten, waren sie
darüber einig, daß sie den Ruhetag nicht besser hätten verbringen können.
Am nächsten Morgen aber gingen sie frisch und fröhlich an ihre Arbeit.
A. Gutsch.
ßandwerk ehrt, ßcmdwerk nährt.
1. In Meister Wernthals Werkstatt pfiffen die Hobel um die Wette.
Die Sonne warf durch das Weingerank, welches das Werkstattfenster leicht
verschleierte, ihre freundlichsten Strahlen auf die fleißigen Leute da drinnen.
Auch Meister Wernthal schaffte rüstig mit; nur ließ er zuweilen seine Augen mit
Wohlgefallen auf dem jungen Gesellen ruhen, der an seiner Seite so emsig
hantierte, daß es eine Freude war, ihm zuzusehen.
Friedrich Breitkopf war ein schmucker Bursch. Schlank und kräftig
gewachsen, bot er mit feinem jugendfrischen, von dunklem, dichtem Haargelock
umrahmten Gesicht das Bild eines echten deutschen Handwerksgesellen. Er
verstand auch seine Arbeit; das sah man an der Art, wie er das Werkzeug
1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
354
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
reichlich ausgestattete Büchersammlung, die mein Meister und seine Angehörigen
fleißig benutzten. Da habe ich manches schöne Buch gelesen. Ja, der Verein
hatte sogar eine öffentliche Lesehalle eingerichtet, in der Abends Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher zu beliebiger Benutzung auslagen. Dort habe ich
häufig den Abend zugebracht und Spiel und Trunk, wodurch sich so mancher
Kamerad Vergnügung und Erholung verschaffte, nicht vermißt."
„Bester Freund," rief jetzt der Steinmetz aus, „deine Schilderung könnte
mich beinahe von meiner Naturschwärmerei ein wenig abbringen. Dazu hat
sie liebe Erinnerungen in mir wachgerufen. Mein Vater war ein ehrsamer
Schuhmachermeister in einem kleinen Städtchen am Main. Meine gute
Mutter nannte ihn scherzweise einen Bücherwurm, weil es sein höchstes Er-
götzen war, wenn er für einige überschüssige Groschen ein Buch erstehen
konnte. Auch ein Liebhaber von Bildern war er. Freilich konnte er höchstens
dann und wann einen wohlfeilen Holzschnitt erschwingen; aber eines Tages
— ich sehe ihn noch, als wenn es gestern gewesen wäre — kam er, eine
Rolle in der Hand, triumphierend von einer Reise nach Nürnberg heim.
Was war's? Er hatte in einer Kunsthandlung für ganze drei Mark einen
Steindruck erstanden, der fast so vornehm aussah, wie ein Kupferstich, —
und was stellte er dar? Hans Sachs im traulichen Gespräch mit seinem
Evchen, Hans Sachs meines lieben Vaters angebeteter Landsmann und Berufs-
genosse, den er fast wie einen Schutzheiligen verehrte. Ach, wenn sich mein
Vater die herrlichen Werke von Malern und Kupferstechern hätte anschaffen
können, die jetzt Photographen und Lithographen für wenig Geld in die
ärmsten Hütten tragen! Und wie fleißig würde er eine solche Bibliothek be-
nutzt haben!"
„Bruder, ich mache dir einen Vermittelungsvorschlag," sagte jetzt der
Zimmermann, „laß uns am morgenden Nachmittag nach dem nächsten Dorfe
wandern und bei einem Schöpplein Neckarwein den Klängen der Zither
lauschen, die der Sohn des Kronenwirtes so trefflich zu schlagen versteht!
Am Abend aber wollen wir den Vortrag hören, den ein Wanderlehrer im
Städtchen über das Genossenschaftswesen halten wird."
„Einverstanden," sagte der Steinmetz, „so kann es uns morgen nicht
fehlen. — Als die beiden Gesellen am Sonntagabend heimkehrten, waren sie
darüber einig, daß sie den Ruhetag nicht besser hätten verbringen können.
Am nächsten Morgen aber gingen sie frisch und fröhlich an ihre Arbeit.
A. Gutsch.
165. Bcmdwerk ehrt, Bcmdwerk nährt.
1. In Meister Wernthals Werkstatt pfiffen die Hobel um die Wette.
Die Sonne warf durch das Weingerank, welches das Werkstattfenster leicht
verschleierte, ihre freundlichsten Strahlen auf die fleißigen Leute da drinnen.
Auch Meister Wernthal schaffte rüstig mit; nur ließ er zuweilen seine Augen mit
Wohlgefallen auf dem jungen Gesellen ruhen, der an seiner Seite so emsig
hantierte, daß es eine Freude war, ihm zuzusehen.
Friedrich Breitkopf war ein schmucker Bursch. Schlank und kräftig
gewachsen, bot er mit seinem jngendfrischen, von dunklem, dichtem Haargelock
umrahmten Gesicht das Bild eines echten deutschen Handwerksgesellen. Er
verstand auch seine Arbeit; das sah man an der Art, wie er das Werkzeug
1907 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
reichlich ausgestattete Büchersammlung, die niein Meister und feine Augehörigen
fleißig benutzten. Da habe ich manches schöne Buch gelesen. Ja, der Verein
hatte sogar eine öffentliche Lesehalle eingerichtet, in der Abends Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher zu beliebiger Benutzung aussagen. Dort habe ich
häusig den Abend zugebracht und Spiel und Trunk, wodurch sich so mancher
Kamerad Vergnügen und Erholung verschaffte, nicht vermißt."
„Bester Freund," rief jetzt der Steinmetz aus, „deine Schilderung könnte
mich beinahe von meiner Naturschwärmerei ein wenig abbringen. Dazu hat
sie liebe Erinnerungen in mir wachgerufen. Mein Vater war ein ehrsamer
Schuhmachermeister in einem kleinen Städtchen am Main. Meine gute
Mutter nannte ihn scherzweise einen Bücherwurm, weil es sein höchstes Er-
götzen war, wenn er für einige überschüssige Groschen ein Buch erstehen
konnte. Auch ein Liebhaber von Bildern war er. Freilich konnte er höchstens
dann und wann einen wohlfeilen Holzschnitt erschwingen; aber eines Tages
— ich sehe ihn noch, als wenn es gestern gewesen wäre — kam er, eine
Rolle in der Hand, triumphierend von einer Reise nach Nürnberg heim.
Was war's? Er hatte in einer Kunsthandlung für ganze drei Mark einen
Steindruck erstanden, der fast so vornehm aussah, wie ein Kupferstich, —
und was stellte er dar? Hans Sachs im traulichen Gespräch mit seinem
Evcheu, Hans Sachs meines lieben Vaters angebeteter Landsmann und Berufs-
genosse, den er fast wie einen Schutzheiligen verehrte. Ach, wenn sich mein
Vater die herrlichen Werke von Malern und Kupferstechern hätte anschaffen
können, die jetzt Photographen und Lithographen für wenig Geld in die
ärmsten Hütten tragen I Und wie fleißig würde er eine solche Bibliothek be-
nutzt haben!"
„Bruder, ich mache dir einen Vermitteluugsvorschlag," sagte jetzt der
Zimmermann, „laß uns am morgenden Nachmittag nach dem nächsten Dorfe
wandern und bei einem Schöpplein Neckarwein den Klängen der Zither
lauschen, die der Sohn des Kroueuwirtes so trefflich zu schlagen versteht!
Am Abend aber wollen wir den Vortrag hören, den ein Wanderlehrer im
Städtchen über das Genossenschaftswesen halten wird."
„Einverstanden," sagte der Steinmetz, „so kann es uns morgen nicht
fehlen."—Als die beiden Gesellen am Sonntagabend heimkehrten, waren sie
darüber einig, daß sie den Ruhetag nicht besser hätten verbringen können.
Am nächsten Morgen aber gingen sie frisch und fröhlich an ihre Arbeit.
A. Gutsch.
165. ßcmdwerk ehrt, ßcmdwerk nflhrf.
1. In Meister Wernthals Werkstatt pfiffen die Hobel um die Wette.
Die Sonne warf durch das Weiugerank, welches das Werkstattfenster leicht
verschleierte, ihre freundlichsten Strahlen auf die fleißigen Leute da drinnen.
Auch Meister Wernthal schaffte rüstig mit; nur ließ er zuweilen seine Augen mit
Wohlgefallen auf dem jungen Gesellen ruhen, der an seiner Seite so emsig
hantierte, daß es eine Freude war, ihm zuzusehen.
Friedrich Breitkopf war ein schmucker Bursch. Schlank und kräftig
gewachsen, bot er mit seinem jugendfrischen, von dunklem, dichtem Haargelock
umrahmten Gesicht das Bild eines echten deutschen Handwerksgesellen. Er
verstand auch seine Arbeit; das sah man an der Art, wie er das Werkzeug
1912 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
Breitkopf gehört, und er hatte auch gesehen, wie der Herr Reichstagspräsident
und später sogar der Kronprinz dem Meister Wernthal auf die Schulter
klopften und ihm leutselige und ehrende Worte sagten. Auch das hatte er
bemerkt, wie der Meister Wernthal bei diesen ehrenden Worten einen weh-
mutigen Blick auf ihn, seinen früheren Gesellen, geworfen hatte, der im Frack,
die Hände voller Bierkrüge, dabei stand. Da war es Friedrich Breitkopf,
wie gesagt, etwas wunderlich ums Herz; indessen siegten die goldenen Träume,
in denen er sich wiegte, bald über dieses Wehgefühl, und er schleppte ver-
gnügt seine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung zu Ende war.
Nun war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu Ende.
Eine Stelle als Kellner, wie er sie sich wünschte, fand sich für den früheren
Tischlergesellen in keinem Ausschank und in keinem Gasthof; überall wollte
man „routinierte" Leute haben, und Friedrich Breitkopf, zu stolz, um wieder
zum Handwerk zurückzukehren, entschloß sich endlich, nachdem die Ausstellungs-
trinkgelder verzehrt waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknechtstelle
in einem Fuhrmannsgasthause der Provinzialhauptstadt anzunehmen.
Trinkgelder gab es hier wenig, dafür aber um so mehr Arbeit, schwere
und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Fuhrleute und Dienst-
knechte sind eben zuweilen, trotz aller sonstigen Vorzüge, noch ungehobelter
als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breitkopf kam es manchmal recht schwer
an, alles das einzustecken, was ihm von ihnen geboten wurde, bis es ihm
eines guten Tages zu viel wurde und — seine kräftigen Fäuste seinem inneren
Ärger Ausdruck verliehen.
Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum Hause
hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung und Körper-
verletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Wie
schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein, als der Richter das
Urteil verkündete! — Sechs Monate Gefängnis! — Fahr hin, Reichtum,
Ehre und Glück!
Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines Tages auf-
getragen wurde, einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da hätte er fast noch
lauter aufgejubelt als damals, da er Kellner in der Ausstellung wurde.
Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen, und wie fleißig hantierte er an
den rauhen Brettern herum! Es war ihm fast, als habe er niemals ein
größeres Glück empfunden als in diesem Augenblick. Der Fleiß des jungen
Gesellen gefiel auch den Gefängnisbeamten, und da es Tischlerarbeiten in
solchem großen Hause genug gibt, so ließ man ihn in der Gefängniswerkstatt
weiter arbeiten nach Herzenslust, bis endlich seine Zeit abgelaufen war.
3. Mit freundlichen Ermahnungen und einem Zeugnis über seine gute
Führung wurde Friedrich Breitkopf in seine Heimat entlassen. Er hatte sich
im Gefängnis einen hübschen Groschen Geld erspart und hätte damit wohl
anderwärts hingehen können als gerade zu den Bekannten des heimatlichen
Dorfes; indessen Friedrich Breitkopf war im Gefängnis ein anderer geworden.
Wohl kam es ihm schwer an, den früheren Bekannten wieder unter die Augen
zu treten; aber es zog ihn zu seinem alten Mütterchen, das er so bitter ge-
kränkt hatte, und dessen Vergebung ihm vor allem andern am Herzen lag.
Der erste, welcher dem entlassenen Sträfling entgegentrat, als er in
das Dorf schritt, war der greise Dorfdiener. Tief beschämt schlug Friedrich
die Augen nieder, als er dem alten Manne gegenüberstand, und kein Wort
der Begrüßung wollte über seine Lippen. Da fühlte er, wie der Greis feine
1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
356
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
Breitkopf gehört, und er hatte auch gesehen, wie der Herr Reichstagspräsideut
und später sogar der Kronprinz dem Meister Wernthal auf die Schulter
klopften und ihm leutselige und ehrende Worte sagten. Auch das hatte er
bemerkt, wie der Meister Wernthal bei diesen ehrenden Worten einen weh-
mütigen Blick auf ihn, seinen früheren Gesellen, geworfen hatte, der im Frack,
die Hände voller Bierkrüge, dabei stand. Da war es Friedrich Breitkopf,
wie gesagt, etwas wunderlich ums Herz; indessen siegten die goldenen Träume,
in denen er sich wiegte, bald über dieses Wehgefühl, und er schleppte ver-
gnügt seine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung zu Ende war.
Nun war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu Ende.
Eine Stelle als Kellner, wie er sie sich wünschte, fand sich für den früheren
Tischlergesellen in keinem Ausschank und in keinem Gasthof; überall wollte
man „routinierte" Leute haben, und Friedrich Breitkopf, zu stolz, um wieder
zum Handwerk zurückzukehren, entschloß sich endlich, nachdem die Ausstellungs-
trinkgelder verzehrt waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknechtstelle
in einem Fuhrmannsgasthause der Provinzialhauptstadt anzunehmen.
Trinkgelder gab es hier wenig, dafür aber um so mehr Arbeit, schwere
und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Fuhrleute und Dienst-
knechte sind eben zuweilen, trotz aller sonstigen Vorzüge, noch ungehobelter
als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breitkopf kam es manchmal recht schwer
an, alles das einzustecken, was ihm von ihnen geboten wurde, bis es ihm
eines guten Tages zu viel wurde und — seine kräftigen Fäuste seinem inneren
Ärger Ausdruck verliehen.
Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum Hause
hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung und Körper-
verletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Wie
schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein, als der Richter das
Urteil verkündetel — Sechs Monate Gefängnis! — Fahr hin, Reichtum,
Ehre und Glück!
Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines Tages auf-
getragen wurde, einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da hätte er fast noch
lauter aufgejubelt als damals, da er Kellner in der Ausstellung wurde.
Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen, und wie fleißig hantierte er an
den rauhen Brettern herum! Es war ihm fast, als habe er niemals ein
größeres Glück empfunden als in diesem Augenblick. Der Fleiß des jungen
Gesellen gefiel auch den Gefängnisbeamten, und da es Tischlerarbeiten in
solchem großen Hause genug gibt, so ließ man ihn in der Gefängniswerkstatt
weiter arbeiten nach Herzenslust, bis endlich seine Zeit abgelaufen war.
3. Mit freundlichen Ermahnungen und einem Zeugnis über seine gute
Führung wurde Friedrich Breitkopf in seine Heimat entlassen. Er hatte sich
im Gefängnis einen hübschen Groschen Geld erspart und hätte damit wohl
anderwärts hingehen können als gerade zu den Bekannten des heimatlichen
Dorfes; indessen Friedrich Breitkopf war im Gefängnis ein anderer geworden.
Wohl kam es ihm schwer an, den früheren Bekannten wieder unter die Augen
zu treten; aber es zog ihn zu seinem alten Mütterchen, das er so bitter ge-
kränkt hatte, und dessen Vergebung ihm vor allem andern am Herzen lag.
Der erste, welcher dem entlassenen Sträfling entgegentrat, als er in
das Dorf schritt, war der greise Dorfdiener. Tief beschämt schlug Friedrich
die Augen nieder, als er dem alten Manne gegenüberstand, und kein Wort
der Begrüßung wollte über seine Lippen. Da fühlte er, wie der Greis seine
1907 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
856
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
Breitkopf gehört, und er hatte auch gesehen, wie der Herr Reichstagspräsident
und später sogar der Kronprinz dem Meister Wernthal auf die Schulter
klopften und ihm leutselige und ehrende Worte sagten. Auch das hatte er
bemerkt, wie der Meister Wernthal bei diesen ehrenden Worten einen weh-
wütigen Blick auf ihn, seinen früheren Gesellen, geworfen hatte, der im Frack,
die Hände voller Bierkrüge, dabei stand. Da war es Friedrich Breitkopf,
wie gesagt, etwas wunderlich ums Herz; indessen siegten die goldenen Träume,
in denen er sich wiegte, bald über dieses Wehgefühl, und er schleppte ver-
gnügt seine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung zu Ende war.
Nun war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu Ende.
Eine Stelle als Kellner, wie er sie sich wünschte, fand sich für den früheren
Tischlergesellen in keinem Ausschank und in keinem Gasthof; überall wollte
man „routinierte" Leute haben, und Friedrich Breitkops, zu stolz, um wieder
zum Handwerk zurückzukehren, entschloß sich endlich, nachdem die Ausstellungs-
trinkgelder verzehrt waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknechtstelle
in einem Fuhrmannsgasthause der Provinzialhauptstadt anzunehmen.
Trinkgelder gab es hier wenig, dafür aber um so mehr Arbeit, schwere
und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Fuhrleute und Dienst-
knechte sind eben zuweilen, trotz aller sonstigen Vorzüge, noch ungehobelter
als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breitkopf kam es manchmal recht schwer
an, alles das einzustecken, was ihm von ihnen geboten wurde, bis es ihm
eines guten Tages zu viel wurde und — seine kräftigen Fäuste seinem inneren
Ärger Ausdruck verliehen.
Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum Hause
hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung und Körper-
verletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Wie
schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein, als der Richter das
Urteil verkündete! — Sechs Monate Gefängnis I — Fahr hin, Reichtum,
Ehre und Glück!
Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines Tages aus-
getragen wurde, einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da hätte er fast noch
lauter aufgejubelt als damals, da er Kellner in der Ausstellung wurde.
Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen, und wie fleißig hantierte er an
den rauhen Brettern herum I Es war ihm fast, als habe er niemals ein
größeres Glück empfunden als in diesem Augenblick. Der Fleiß des jungen
Gesellen gefiel auch den Gefängnisbeamten, und da es Tischlerarbeiten in
solchem großen Hause genug gibt, so ließ man ihn in der Gefängniswerkstatt
weiter arbeiten nach Herzenslust, bis endlich seine Zeit abgelaufen war.
3. Mit freundlichen Ermahnungen und einem Zeugnis über seine gute
Führung wurde Friedrich Breitkopf in seine Heimat entlassen. Er hatte sich
im Gefängnis einen hübschen Groschen Geld erspart und hätte damit wohl
anderwärts hingehen können als gerade zu den Bekannten des heimatlichen
Dorfes; indessen Friedrich Breitkopf war im Gefängnis ein anderer geworden.
Wohl kam es ihnl schwer an, den früheren Bekannten wieder unter die Augen
zu treten; aber es zog ihn zu seinem alten Mütterchen, das er so bitter ge-
kränkt hatte, und dessen Vergebung ihm vor allem andern am Herzen lag.
Der erste, welcher dem entlassenen Sträfling entgegentrat, als er in
das Dorf schritt, war der greise Dorfdiener. Tief beschämt schlug Friedrich
die Augen nieder, als er dem alten Manne gegenüberstand, und kein Wort
der Begrüßung wollte über seine Lippen. Da fühlte er, wie der Greis seine
1908 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Volksfortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
62
Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in allen seinen
Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt und sie mußten ge-
stehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Fried-
rich Breitkopf gehört und er hatte auch gesehen, wie der Herr
Reichstagspräsident und später sogar der Kronprinz dem Meister
Wernthal auf die Schulter klopften und ihm leutselige und ehrende
Worte sagten. Auch das hatte er bemerkt, wie der Meister Wernthal
bei diesen ehrenden Worten einen wehmütigen Blick auf ihn, seinen
früheren Gesellen, geworfen hatte, der im Frack, die Hände voller
Bierkrüge, dabeistand. Da war es Friedrich Breitkopf, wie gesagt,
etwas wunderlich ums Herz; indessen siegten die goldenen Träume,
worin er sich wiegte, bald über dieses Wehgefühl und er schleppte
vergnügt seine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung geschlossen
wurde.
Nun war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu
Ende. Eine Stelle als Kellner, wie er sie sich wünschte, fand sich
für den früheren Tischlergesellen in keinem Ausschank und in keinem
Gasthof; überall wollte man gut geschulte Leute haben und Friedrich
Breitkopf, zu stolz um wieder zum Handwerk zurückzukehren, ent-
schloß sich endlich, nachdem die Ausstellungstrinkgelder verzehrt
waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknechtstelle in einem
Fuhrmannsgasthaus der Kreishauptstadt anzunehmen.
Trinkgelder gab cs hier wenig, dafür aber um so mehr Arbeit,
schwere und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Fuhrleute und
Dienstknechte sind eben zuweilen trotz aller sonstigen Vorzüge noch
ungehobelter als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breitkopf kam es
manchmal recht schwer an, alles das einzustecken, was ihm von
ihnen geboten wurde, bis es ihm eines guten Tages zuviel wurde und
— seine kräftigen Fäuste seinem inneren Ärger Ausdruck verliehen.
Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum
Hause hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung
und Körperverletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs
Monaten. Wie schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein,
als der Richter das Urteil verkündete! — Sechs Monate Gefängnis!
— Fahre hin, Reichtum, Ehre und Glück!
Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines Tages
aufgetragen wurde einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da hätte er
fast noch lauter aufgejubelt als damals, da er Kellner in der Aus-
stellung wurde. Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen und wie
fleißig hantierte er an den rauhen Brettern herum! Es war ihm
1910 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Autor: Salzgeber, Franz
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Sonntagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in allen seinen
Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt und sie mußten ge-
stehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Fried-
rich Breitkopf gehört und er hatte auch gesehen, wie der Herr
Reichstagspräsident und später sogar der Kronprinz dem Meister
Wernthal auf die Schulter klopften und ihm leutselige und ehrende
Worte sagten. Auch das hatte er bemerkt, wie der Meister Wernthal
bei diesen ehrenden Worten einen wehmütigen Blick auf ihn, seinen
früheren Gesellen, geworfen hatte, der im Frack, die Hände voller
Bierkrüge, dabeistand. Da war es Friedrich Breitkopf, wie gesagt,
etwas wunderlich ums Herz; indessen siegten die goldenen Träume,
worin er sich wiegte, bald über dieses Wehgefühl und er schleppte
vergnügt seine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung geschlossen
wurde.
Nun war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu
Ende. Eine Stelle als Kellner, wie er sie sich wünschte, fand sich
für den früheren Tischlergesellen in keinem Ausschank und in keinem
Gasthof; überall wollte man gut geschulte Leute haben und Friedrich
Breitkopf, zu stolz um wieder zum Handwerk zurückzukehren, ent-
schloß sich endlich, nachdem die Ausstellungstrinkgelder verzehrt
waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknechtstelle in einem
Fuhrmannsgasthaus der Kreishauptstadt anzunehmen.
Trinkgelder gab es hier wenig, dafür aber um so mehr Arbeit,
schwere und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Fuhrleute und
Dienstknechte sind eben zuweilen trotz aller sonstigen Vorzüge noch
ungehobelter als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breitkopf kam es
manchmal recht schwer an alles das einzustecken, was ihm von
ihnen geboten wurde, bis es ihm eines guten Tages zuviel wurde und
— seine kräftigen Fäuste seinem inneren Ärger Ausdruck verliehen.
Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum
Hause hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung
und Körperverletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs
Monaten. Wie schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein,
als der Richter das Urteil verkündete! — Sechs Monate Gefängnis!
— Fahre hin, Reichtum, Ehre und Glück!
Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines Tages
aufgetragen wurde einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da hätte er
fast noch lauter aufgejubelt als damals, da er Kellner in der Aus-
stellung wurde. Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen und wie
fleißig hantierte er an den rauhen Brettern herum! Es war ihm
1914 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Lerche, Otto
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Stadtschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Großstadtschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
C. Unser Stadtteil.
13
Kaufmann einholen kannst, und wo der Kaufmann seine Waren aufhebt.
Schubfächer, Kisten, Fässer, Büchsen. Der Ein- und Verkauf. Wage, Ge-
Wichte, Litermaß, Tüten, Kasse. — Der Kaufmann und seine Kunden: Ge-
genseitige Höflichkeit, Reihenfolge in der Bedienung. Alte Kundschaft. —
Die Schwere des Kaufmannstandes. Sonntagsruhe und 8-Uhr-Laden-
schluß. — Austausch der Waren. Die Bürger siud aufeinander angewiesen. —
Woher der Krämer seine Waren hat. Kleinhandel! (Diese Frage wird
am besten erst beantwortet, wenn die Schüler über Fabrikbetrieb und Groß-
Handel unterrichtet sind.)
3. In einer Tischlerwerkstatt (Handwerk).
In der Großstadt darf die Bedeutung des Handwerks nicht unterschätzt
werden. Es ist wünschenswert, mit den Kindern die eine oder andere Werkstatt
aufzusuchen und den Handwerker bei seiner Arbeit zu beobachten. Als Beispiel
sei der Besuch einer Tischlerwerkstatt geboten.
Meister und Gesellen stehen im blauen Schurz eifrig bei der Arbeit,
während ein Lehrling sich rüstet, fertige Sachen an die Kuudeu abzuliefern.
An den Wänden stehen große, noch ungehobelte Bretter und schmale Leisten.
Hobel- und Sägespäne bedecken deu Fußboden. An den Wänden hängen
große und kleine Sägen, dort aus dem Tische liegt das Winkelmaß und
nebenbei der Zollstab. Nägel, Hammer und Zange sehen wir in der
Kiste da ausgebreitet; auf dem Herde brodelt der Leim im Topf. Der
Meister steht au der Hobelbank und glättet mit geschickter Hand die rauhe
Oberfläche eines Brettes. Wie leicht das aussieht, aber wollten wir's ver-
suchen — es würde ganz mißlingen. Das Handwerk erfordert Geschick-
lichkeit und treuen Fleiß. Dort hiuteu sägt der Geselle die Bretter so
laug, wie der Meister sie braucht, um die verlaugten Möbelstücke zusammen-
stellen zu können. Er muß vorsichtig sein, genau das Maß und die Rich-
tuug treffen, sonst passen die Stücke nicht zusammen: dazu gehört eben
peinliche Genauigkeit und eine sichere Hand. Jede Arbeit muß vorher
im Plan fertig sein, damit sie sicher, zweckmäßig und schön ist. Dazu ge-
hört Nachdenken, genaue Berechnung, auch viel Schönheitssinn.
Das kann nur ein Meister vollbringen, und Jahre vergehen, bis er's ge-
lernt hat.
Der Handwerker verkauft die Waren an seine Kunden und erhält dafür
von ihnen Geld. Er bezahlt davon seine Gesellen und kaust sich neues
Material. Den Rest braucht er zu seinem Leben.
Zur Belebung des Stoffes wird nach dem Besuch der Werkstatt in der Klasse
ein Anschauungsbild von einer Tischlerwerkstatt (Meinholds Handwerkerbilder)
ausgehängt; der Lehrer begleitet die Wiederholung und Vertiefung mit ent-
sprechenden Skizzen an der Tafel (Hobel, Säge, Hammer usw.). — Schüler, die
Gelegenheit haben, andere Handwerksstätten zu besuchen, erzählen etwa von der
Einrichtung einer Bäckerei, der Tätigkeit eines Schusters, der Arbeit in einer
Schneiderwerkstatt.
1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
60
Hundeleben satt, ich kann etwas Besseres werden und hänge den
Tischler an den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzettel und
meinen Lohn, wenn Sie wollen!"
„Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd,
„eigentlich----------"
„Wenn Sie mir meinen Fremdenzettel und meinen Lohn nicht
geben wollen, können Sie es auch bleiben lassen," fiel ihm Friedrich
noch trotziger in das Wort, „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und
die paar Groschen Lohn kann ich missen!"
„Nun, nun," antwortete Meister Wernthal jetzt mit leiser Spott-
rede, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich nicht halten;
's ist freilich jetzt grad viel zu tun; aber ich bekomme schon einen
andern Gesellen, und was den Lohn anbelangt, den kannst du auch
bekommen."
Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit
Frack und weißer Weste umher, d. h. nicht auf dem Bahnhöfe, sondern
auf dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es fand nämlich eine
große Provinzial-Kunstgewerbeausstellung statt, zu der viele Kellner
verlangt wurden, und hier hatte Friedrich Breitkopf schnell das Ziel
seiner Wünsche erreicht: er war Kellner in einem der Ausstellungs-
restaurants geworden, und Trinkgelder flössen reichlich in seine Tasche.
Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen; er sah sich schon
im Geiste als Gasthofsbesitzer in einem feinen Prunkwagen spazieren
fahren, an seiner Seite das schönste Mädchen der Stadt und--------------
na und so weiter. Einmal freilich, in den letzten Tagen der Aus-
stellung, welche sechs Wochen gewährt hatte, war es ihm etwas wunder-
lich zumute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich auch ein
Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel, stark aus Eichen-
holz gefertigt, woran Friedrich Breitkopf wacker mitgearbeitet hatte.
Dieses Möbel, ein Schreibtisch war es, hatte von vornherein die Auf-
merksamkeit der Ausstellungsbesucher auf sich gelenkt. Ingenieure waren
aus der Residenz berufen, die hatten es prüfen müssen in allen seinen
Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, bis sie endlich freudig
gestanden, das Werk sei ein Kunstwerk ersten Ranges.
Das hatte Friedrich Breitkopf gehört, und er hatte auch gesehen
wie der Herr Reichstagspräsident von Wedell - Piesdorf und später
sogar Se. K. K. Hoheit „Unser Fritz" dem Meister Wernthal auf
die Schulter klopften und ihm leutselige und ehrende Worte sagten,
und endlich hatte er auch bemerkt, wie der Meister Wernthal unter
diesen ehrenden Worten einen wehmütigen Blick auf ihn, den Friedrich
Breitkopf, geworfen hatte, der in seinem Frack, die Hände voll leerer
Bierkrüge, dabei stand. Da war es dem letzteren, wie gesagt, etwas
wunderlich ums Herz herumgezogen; indessen siegten die goldenen
Träume, in denen er sich wiegte, bald wieder über dieses Wehgefühl,
und er schleppte vergnügt seine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung
zu Ende war.
1906 -
Leipzig
: Hahn
- Autor: Wehrhan, Karl, Kleineberg, W.
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Hundeleben satt, ich kann etwas Besseres werden und hänge den Tischler
an den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzettel und meiner;
Lohn, wenn Sie wollen!"
»Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd,
„eigentlich ---------"
„Wenn Sie mir meinen Fremdenzettel und meinen Lohn nicht
geben wollen, können Sie es auch bleiben lassen," fiel ihm Friedrich
noch trotziger in das Wort, „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und
die paar Groschen Lohn kann ich missen!"
„Nun, nun," antwortete Meister Wernthal jetzt mit leiser Spott-
rede, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich nicht halten;
's ist freilich jetzt grad viel zu tun; aber ich bekomme schon einen
andern Gesellen, und was den Lohn anbelangt, den kannst du auch
bekommen."
Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit
Frack und weißer Weste umher, d. h. nicht auf dem Bahnhöfe, sondern
auf dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es fand nämlich eine
große Provinzial-Kunstgewerbeausstellung statt, zu welcher viele Kellner
verlangt wurden, und hier hatte Friedrich Breitkopf schnell das Ziel
seiner Wünsche erreicht: er war Kellner in einem der Ausstellungs-
restaurants geworden, und Trinkgelder flössen reichlich in seine Tasche.
Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen; er sah sich schon
im Geiste als Gasthofsbesitzer in einem feinen Prunkwagen spazieren
fahren, an seiner Seite das schönste Mädchen der Stadt und — —
na und so weiter. Einmal freilich, in den letzten Tagen der Aus-
stellung, welche sechs Wochen gewährt hatte, war es ihm etwas
wunderlich zu Mute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich
auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel, stark
aus Eichenholz gefertigt, woran Friedrich Breitkopf wacker mitgearbeitet
hatte. Dieses Möbel, ein Schreibtisch war es, hatte von vornherein
die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher auf sich gelenkt. Ingenieure
waren aus der Residenz berufen, die hatten es prüfen müssen in
allen seinen Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, bis sie
endlich freudig gestanden, das Werk sei ein Kunstwerk ersten Ranges.
Das hatte Friedrich Breitkopf gehört, und er hatte auch gesehen,
wie der Herr Reichstagspräsident von Wedell - Piesdorf und später
sogar Se. K. K. Hoheit „Unser Fritz" dem Meister Wernthal auf
die Schulter klopften und ihm leutselige und ehrende Worte sagten,
und endlich hatte er auch bemerkt, wie der Meister Wernthal unter
diesen ehrenden Worten einen wehmütigen Blick auf ihn, den Friedrich
Breitkopf, geworfen hatte, der in seinem Frack, die Hände voll leerer
Bierkrüge, dabei stand. Da war es dem letzteren, wie gesagt, etwas
wunderlich ums Herz herumgezogen; indessen siegten die goldenen
Träume, in denen er sich wiegte, bald wieder über dieses Wehgefühl,
und er schleppte vergnügt feine Bierkrüge weiter, bis die Ausstellung
zu Ende war.
1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Da war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu
Ende. Eine Stelle als Kellner, wie er sie wünschte, fand sich für
den Tischlergesellen, der er doch immer war, in keinem Restaurant
und in keinem Gasthofe; überall wollte man „routinierte" Leute
haben, und Friedrich Breitkopf, zu stolz, um wieder zum Handwerk
zurückzukehren, entschloß sich endlich, nachdem die Aussiellungstrink-
gelder verzehrt waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknecht-
stelle in einem Fuhrmannsgasthause der Provinzialhauptstadt anzu-
nehmen.
Trinkgelder gab es hier wenig, dafür um so mehr Arbeit, das
heißt schwere und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Herren
Fuhrleute und Dienstknechte sind eben zuweilen trotz aller sonstigen
Vorzüge noch ungehobelter als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breit-
kopf kam es manchmal recht schwer an, alles das einzustecken, was
ihm von ihnen geboten wurde, bis es ihm eines guten Tages zu viel
wurde und — seine kräftigen Fäuste dem Ärger in seinem Innern
Ausdruck verliehen.
Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum
Hause hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung
und Körperverletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs
Monaten.
Wie schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein, als
der Richter das Urteil verkündete.
Sechs Monate Gefängnis!
Lebt wohl nun, Reichtum und Ehre, Liebe und Glück!
Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines
Tages aufgetragen wurde, einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da
hätte er fast noch lauter aufgejubelt wie damals, als er Kellner in
der Ausstellung war. Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen,
und wie fleißig hantierte er an den rauhen Brettern herum! Es
war ihm fast, als habe er niemals ein größeres Glück empfunden
als in diesem Augenblick, wo er wieder mit den trauten Freunden
seiner Lehrlingsjahre, mit dem gewohnten Handwerkszeuge, arbeiten
durste. Der Fleiß des jungen Gesellen gefiel auch den Gefängnis-
beamten, und da es Tischlerarbeiten in einem solchen großen Hause
genug gibt, ließen sie ihn in der Gefängniswerkstatt weiter arbeiten
nach Herzenslust, bis endlich seine Zeit abgelaufen war.
Mit freundlichen Ermahnungen und dem Zeugnis über seine
gute Führung wurde Friedrich Breitkopf in seine Heimat entlassen.
Er hatte sich im Gefängnis einen hübschen Groschen Geld erspart
und hätte damit wohl anderwärts hingehen können als gerade zu
all den Bekannten des heimatlichen Dorfes; indessen, Friedrich Breit-
köpf war im Gefängnis ein anderer geworden. Wohl kam es ihm
schwer an, den früheren Bekannten wieder unter die Augen zu tteten;
er hatte sich aber gelobt, er wolle die Strafe für seinen Fehler bis
auf die Hefe auskosten, und die Rückkehr in seine Heimat aus dem