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1. Deutsche Prosa - S. 225

1900 - Gera : Hofmann
Erinnerungen. 225 treten, verhältnismäßig geringes Gewicht legten, im Vergleich zu anderen, die ihnen schwer wurden, die aber den Lesern und Beschauern viel weniger gelungen erscheinen. Ich erinnere nur an Goethe, der nach Eck er m ann s Bericht einmal geäußert hat, seine dichterischen Werke schätze er nicht so hoch, wie das, was er in der Farbenlehre geleistet. Soll ich nun Ihren Versicherungen und den Urhebern der an mich gelangten Adressen Glauben schenken, so mag es mir — wenn auch in bescheidenerem Maße — ähnlich gegangen sein. Erlauben Sie mir also, Ihnen kurz zu berichten, wie ich in meine Arbeitsrichtung hineingekommen bin. In meinen ersten sieben Lebensjahren war ich ein kränklicher Knabe, lange an das Zimmer, oft genug an das Bett gefesselt, aber mit lebhaftem Triebe nach Unterhaltung und nach Thätigkeit. Die Eltern haben sich viel mit mir beschäftigt; Bilderbücher und Spiel, haupt- sächlich mit Bauhölzchen halfen mir sonst die Zeit ausfüllen. Dazu kam ziemlich früh auch das Lesen, was natürlich den Kreis meiner Unterhaltungsmittel sehr erweiterte. Aber wohl ebenso früh zeigte sich auch ein Mangel meiner geistigen Anlage darin, daß ich ein schwaches Gedächtnis für unzusammenhängende Dinge hatte. Als erstes Zeichen davon betrachtete ich die Schwierigkeit, deren ich mich noch deutlich entsinne, rechts und links zu unterscheiden; später, als ich in der Schule an die Sprachen kam, wurde es mir schwerer als anderen, die Vokabeln, die unregelmäßigen Formen der Grammatik, die eigentümlichen Rede- wendungen mir einzuprägen. Der Geschichte vollends, wie sie uns damals gelehrt wurde, wußte ich kaum Herr zu werden. Stücke in Prosa auswendig zu lernen, war mir eine Marter. Dieser Mangel ist natürlich nur gewachsen und eine Plage meines Alters geworden. Wenn ich aber kleine mnemotechnische Hilfsmittel hatte, auch nur solche, wie sie das Metrum und der Reim in Gedichten geben, ging das Auswendiglernen und das Behalten des Gelernten schon viel besser. Gedichte von großen Meistern behielt ich sehr leicht, etwas gekünstelte Verse von Meistern zweiten Ranges lange nicht so gut. Ich denke, das wird wohl von dem natürlichen Fluß der Gedanken in den guten Gedichten abhängig gewesen sein, und bin geneigt, in diesem Verhält- nis eine wesentliche Wurzel ästhetischer Schönheit zu suchen. In den oberen Gymnasialklassen konnte ich einige Gesänge der Odyssee, ziemlich viele Oden des Horaz und große Schätze deutscher Poesie recitieren. In dieser Richtung befand ich mich also ganz in der Lage unserer ältesten Vorfahren, welche noch nicht schreiben konnten und deshalb ihre Gesetze und ihre Geschichte in Versen fixierten, um sie auswendig zu lernen. Was dem Menschen leicht wird, pflegt er gern zu thun; so war ich denn zunächst auch ein großer Bewunderer der Poesie. Die Neigung M. Henschke, Deutsche Prosa. 15

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1. Teil 7 = Für Obersekunda - S. 300

1918 - Leipzig [u.a.] : Teubner
300 schwer wurden, die aber den Lesern und Beschauern viel weniger gelun- gen erscheinen. Ich erinnere nur an Goethe, der nach Eckermanns Bericht einmal geäußert hat, seine dichterischen Werke schätze er nicht so hoch wie das, was er in der Farbenlehre geleistet. Soll ich nun Ihren Versicherungen und den Urhebern der an mich gelangten Adressen Glauben schenken, so mag es mir — wenn auch in bescheidenerem Maße — ähnlich gegangen sein. Erlauben Sie mir also. Ihnen kurz zu berichten, wie ich in meine Arbeitsrichtung hin- eingekommen bin. In meinen ersten sieben Lebensjahren war ich ein kränklicher Knabe, lange an das Zimmer, oft genug an das Bett gefesselt, aber mit lebhaftem Triebe nach Unterhaltung und nach Tätigkeit. Die Eltern haben sich viel mit mir beschäftigt,' Bilderbücher und Spiel hauptsächlich mit Bauhölz- chen halfen mir sonst die Zeit ausfüllen. Dazu kam ziemlich früh auch das Lesen, was natürlich den Kreis meiner Unterhaltungsmittel sehr er- weiterte. Aber wohl ebenso früh zeigte sich ein Mangel meiner geistigen Anlage darin, daß ich ein schwaches Gedächtnis für unzusammenhängende Dinge hatte. Als erstes Zeichen davon betrachtete ich die Schwierigkeit, deren ich mich noch deutlich entsinne, rechts und links zu unterscheiden; später, als ich in die Schule kam, wurde es mir schwerer als anderen, die Vokabeln, die unregelmäßigen Formen der Grammatik, die eigen- tümlichen Redewendungen mir einzuprägen. Der Geschichte vollends, wie sie uns damals gelehrt wurde, wußte ich kaum Herr zu werden. Stücke in Prosa auswendig zu lernen, war mir eine Marter. Dieser Mangel ist natürlich nur gewachsen und eine Plage meines Alters geworden. Wenn ich aber kleine mnemotechnisches Hilfsmittel hatte, auch nur solche, wie sie das Metrum und der Reim in Gedichten geben, ging das Auswendiglernen und das Behalten des Gelernten schon viel besser. Ge- dichte von großen Meistern behielt ich sehr leicht, etwas gekünstelte Verse von Meistern zweiten Ranges lange nicht so gut. Ich denke, das wird wohl von dem natürlichen Fluß der Gedanken in den guten Gedichten abhängig gewesen sein, und bin geneigt, in diesem Verhältnis eine wesent- liche Wurzel ästhetischer Schönheit zu suchen. In den oberen Gymnasial- klassen konnte ich einige Gesänge der Odyssee, ziemlich viele Oden des Horaz und große Schätze deutscher Poesie rezitieren. In dieser Richtung befand ich mich also ganz in der Lage unserer ältesten Vorfahren, welche noch nicht schreiben konnten und deshalb ihre Gesetze und ihre Geschichte in Versen fixierten, um so auswendig zu lernen. Was dem Menschen leicht wird, pflegt er gern zu tun; so war ich I) I) Mnemotechnik: Gedächtnis-, Erinnerungskunst, insbesondere Hilfsmittel, um die Gedächtniskraft zu stärken.

2. Geschichte des Mittelalters - S. 282

1854 - Weimar : Böhlau
282 lands, dessen Namen die Geschichte hier zu nennen hat, das Kloster St. Gallen. Die dortige Schule blühte, als die zu Fulda ge- sunken war, zu Anfang des elften Jahrhunderts. Die Hauptsache für die gelehrte Thätigkeit war hier wie anderswo nächst der Bi- bel und den Kirchenvätern die antike, namentlich die lateinische Li- teratur, und die Uebung in lateinischer Poesie und Prosa. Aber auch die deutsche Sprache erfreute sich des gelehrten Gebrauchs und literarischer Pflege, zwar nicht als Gegenstand, doch als Mittel des Unterrichts. Man bediente sich ihrer zur Erklärung der geistlichen und weltlichen Schriften, die man in der Schule las und sonst zur Verdeutlichung des Schulvortrages. Daher ist, was wir aus die- ser Zeit der St. Galler Mönche haben, lauter Uebersetzungs- und Erklärungsprosa, abgefaßt für den Schulgebrauch und nur zum klei- neren Theile auch für anderweitigen Gebrauch bestimmt. Diese Schriften sind nicht ganz in deutscher Sprache abgefaßt, sondern entweder wird der wesentlich lateinische Text nur unterbrochen von der Verdeutschung einzelner Worte oder ganzer Sätze, oder umge- kehrt der wesentlich deutsche Text unterbrochen von lateinischen Wor- ten und Sätzen. Wo die deutsche Abfassung überwiegt, da fließt die Rede leicht und gewandt dahin. Der eifrigste der St. Galler Uebersetzer war Notker Labeo. Dem Hofe der Ottone fehlte auch nicht der Schmuck der Poe- sie und des Gesanges; aber man dichtete da lateinisch. Es ent- stand an dem gelehrten Hofe die fremdartige Erscheinung einer la- teinischen Hofdichtung. Das einzige deutsche Gedicht aus die- ser Zeit, das wir noch kennen, ist nur zur Hälfte deutsch, zur Hälfte aber, da Vers um Vers die Sprache wechseln, lateinisch. Es ist ein Leich aus die Versöhnung Otto's I. mit seinem Bruder Hein- rich im Jahre 941. Zu den lateinischen Hofdichtungen gehört eine von Hroswitha, einer Nonne im Kloster Gandersheim, in latei- nischen Versen abgefaßte Lebensgeschichte Otto's I. Dieselbe Nonne schrieb auch lateinische Komödien, um den Terenz zu verdrängen. Von den Mönchen wurde die lateinische Poesie mit Liebe und Er- folg gepflegt und von der lateinischen Klosterdichtung ein- heimische Sagen, die Thiersage und die Heldensage bearbeitet. Von der deutschen Dichtung hielt sich Hof und Geistlichkeit fern. Bisher war sie Sache und Eigenthum des ganzen Volkes gewesen; nun sank das deutsche Lied, welches die Geistlichen und die gelehrten Laien am Hofe fallen ließen, mehr in die niederen Schichten der Gesellschaft hinab, und es begann, von den Vorneh- men verachtet und den Geistlichen nicht des Aufschreibens werth ge- halten, die deutsche Volksdichtung. Nur die Bauern sangen noch deutsch, und wenn an Höfen jetzt noch deutscher Gesang er- scholl, so verhehlten die vornehmen Herrn ihre Geringschätzung nicht. Die Gesänge des Volkes waren theils Ueberlieferungen aus früherer Zeit, Lieder aus dem Schatze der Sagen, theils wurden sie zu Ruhm oder Schmach der Ereignisse des öffentlichen Lebens gedich- tet, und ihr Inhalt war die Geschichte des Tages. Das Volk sang die Geschichts- und Sagenlieder; aber Dichter derselben waren meist wohl diejenigen, welche auch aus deren Vortrage und dem beglei-

3. Geschichte des Mittelalters - S. 460

1854 - Weimar : Böhlau
460 den. Doch kann man auch den südfranzöfischen Dichtern nicht ab« sprechen, mehrere Ritterdichtungen erfunden zu haben. Fraglich ist es auch, ob mit der normannischen Sprache auch die normannischen und nordfranzösischcn Stoffe dieser Gedichte mit nach England ge- kommen sind, oder ob auf diesem Boden bereits früher sich diesel- den erzeugt haben und von hier aus umgekehrt nach Frankreich übertragen worden sind. Wahrscheinlich ist, daß bei beiden Natio- nen gewisse Sagenstoffe vorhanden waren und aus beiden Ländern wechselsweis übergeführt worden sind. Die französischen Dichter werden Trouvères und douxleurs ge- nannt. Man unterscheidet sie gewöhnlich so, daß man unter er- stern Leute versteht, welche sich mit Kunstpoesie beschäftigten oder erfanden und Gedichte verfertigten , unter letzteren aber solche, welche nicht allein Gedichte erfanden, sondern sie auch selbst absangen und gewissermaßen mit der Poesie und Musik eine Art Gewerbe trieben. Die Ritterromane bieten das poetische Bild ihres Zeitalters dar. Die ritterliche Bildung umfaßt die Elemente einer rein geistigen, dogmatischen Religion und eines sinnlichen, halbbarbarischen Le- bens. Die verwirrten Ueberlieferungen des Alterthums mischen sich unter die nationalen Erinnerungen; eine halb verstandene Schul- weisheit erschwert den Aufschwung des poetischen Geistes. In den französischen Romanen des Mittelalters findet sich nicht die klassi- sche, vollendete Form, die einfache Schönheit, die reine Menschlich- keit der homerischen Gesänge. Die Phantasie verliert sich in ihnen oft ins Grenzenlose; das Interesse des reichen und mannigfaltigen Stoffes verdrängt das der Form. Die Romane sind reich an poe- tischen Situationen, sie glänzen durch Reichthum der Erfindung, sie rühren durch die Wahrheit der in ihnen ausgedrückten Gefühle; aber das Maß, die Harmonie der einzelnen Theile, die Einheit des Interesses fehlt ihnen, unter den Tausenden von Bänden findet sich kein klassisches Kunstwerk. Man nimmt an, daß die französi- schen Romane aus alten Liedern (Lais) entstanden sind; sie waren in Versen abgefaßt und wurden gesungen. Wegen ihrer Länge wa- ren sie in mehrere Brauch«« getheilt, die einzeln vorgetragen wur- den und eine ziemlich abgeschlossene Thatsache enthielten. Biswei- len wechselte aber auch Prosa mit Versen, und es wurde dann die Prosa gelesen, die Verse aber abgesungen. Die Poesie verherr- lichte nicht nur die Feste der Könige und des Adels, sondern be- gleitete den Ritter in allen Lagen des Lebens. Wenn es zur Schlacht ging, stimmten die Krieger Heldenlieder an und nach dem Kampfe feierten Triumphgesänge die Ehre des Siegers. Den Stoff dieser altfranzösischen Heldengedichte bilden 1)Karl der Große und seine Paladine. Der phantastisch religiöse Auf- schwung des 11. und 12. Jahrhunderts sah in Karl dem Großen nur den Vorkämpfer der Christenheit gegen die Saracenen. Nur eins dieser Gedichte, der transon des Saxons, erwähnt die Sach- senkriege, in den übrigen bekämpft Karl entweder empörte Vasal- len oder unternimmt Züge gegen die Feinde der Kirche. Der Ro- man de Roncevaux erzählt Karl's Zug gegen die Araber und be- sonders den unglücklichen Rückzug, der in dem Thale von Ronce-

4. Der Denkfreund - S. 136

1811 - Gießen : Heyer
i36 5.) Das Gedächtniß hangt demnach mit der Einbildungskraft aufs engste zu- sammen: denn Gedächtniß ist Fortsetzung des Bewußtseyns durch Einbildungskraft. Da- von war schon bey Erwähnung der Einbildungskraft die Rede, und ich führe das Gedächtniß nur deswillen noch einmal an, um euch ein Paar gute Lehren zu geben: Das beßte Stärkungsmittel des Gedächtnisses ist fleißige Übung. Übung macht den Meister. Man nniß aber das Gedächtniß an man »ich faltigen Gegenständen üben, -und nicht etwa blos an Lieder- versen. Der Postillon würde vielleicht nicht mit mir fortkommen, wenn wir in die Wette aus einem Buche auswendig lernen wollten; aber die Wege merkt er gewiß besser als ich. Warum? — Mancher hat ein treffliches Sachgedächtniß; aber Namen und Zahlen be- halt er nicht gut. Ein andrer hat ein. sehr treues Orts- gedächtniß. Er weiß z. E. genau den Platz, wo er et- was gelesen hat, aber die Worte hat er vergessen. Viele dürfen einen Menschen nur Einmal sehen, und sie erinnern sich seiner nach Jahren sogleich wieder, in- deß Andre, die übrigens ziemlich gut merken, nach so viel Tagen sich der Person kaum mehr erinnern. Ge- wöhnlich kommt das daher, daß sie ihr Gedächtniß nicht an allerley Gegenständen übten. Durch Übung können es auch Menschen, die von Natur eben nicht das glücklichste Gedächtniß zu haben scheinen, zum Be- wundern weit in der Gedachtnißkunst bringen. In meinem Geburtsorte kannte ich eine arme Wittwe, die weder schreiben noch geschriebnes lesen konnte. Gleich- wohl hatte sie den wöchentlichen Botengang m eine be- nachbarte Stadt übernommen, und selten ging sie den Weg, ohne 60 — 80 Bestellungen, die sie alle auf das genaueste besorgte; und neben diesen Aufträgen hatte sie noch Hunderterley wegen eines kleinen Handels zii mer- ken, den sie mit ihrem Botengänge verband. Wie oft

5. Der Bildungsfreund in den Oberclassen deutscher Volksschulen - S. 123

1843 - Altona : Schlüter
123 sächlich an Wortvorrath, oder an der Fertigkeit, die rechten Worte zur Hand zu haben und zu gebrauchen. Diesen Mangel glaubte ich durch Versemachen ersetzen zu können, wobei man ja genöthigt ist, theils des Versmaßes, theils des Reimes we- gen, beständig mehrere Ausdrücke für dieselben Gedanken auf- zusuchen und sich zu eigen zu machen. Deßhalb brachte ich einige Erzählungen aus dem Spectator in Verse und verwan- delte später, wenn ich das Original ziemlich vergessen hatte, meine Verse wieder in Prosa. Auch warf ich zuweilen die oben erwähnten kurzen Auszüge durch einander, und versuchte, dann später, sie wieder richtig zu ordnen und darauf auszuführen, um mich so in der Methode und in der Anordnung meiner Gedanken zu üben. Dann verglich ich wieder meine Arbeit mit dem Original und verbesserte meine Fehler. Zuweilen bildete ich mir aber auch ein, daß meine Arbeit, in Hinsicht der Me- thode oder der Sprache, in einzelnen Punkten das Original überträfe, und dieß ermunterte mich zu der Hoffnung, gut schrei- den zu lernen. Die Zeit, die ich auf diese Sprachübungen verwenden konnte, war spät Abends oder in der Frühe, ehe die Tagesarbeit begann. — Franklin. Laß Etwas auf dich rechten Eindruck machen, So wirst du schnell den rechten Ausdruck finden. Und kannst du nur den rechten Ausdruck finden, So wirst du schnell den rechten Eindruck machen. R ü ck e r t. Das rechte Wort an der rechten Stelle, das ist der rechte Styl, sagt Swift. 65. 1. Es ist leichter, die erste Begierde zu unterdrücken, als allen folgenden Genüge zu leisten. I. Paul., 2. Den schlechten Mann muß man verachten, der nie bedacht, was er vollbringt. Schiller. 3. Wenn ich einen bittern Geschmack auf der Zunge habe, * so schmeckt mir bitter, was mir zu einer andern Zeit nicht bit- ter schmeckt. Claudius.

6. Geschichte des Mittelalters - S. 463

1854 - Weimar : Böhlau
463 zu ihnen. Die Franzosen eigneten sich wohl die Formen der pro- venzalischen Poesie an, sie besaßen aber nicht das warme Gefühl und die glühende Phantasie der provenzalischen Troubadours; in ihren besten Gesängen läßt ein kalter Ton die Nachahmung empfin- den. Der berühmteste lyrische Dichter dieser Zeit ist Thibaut, König von Navarra. Während Romane, Chansons und andere Gedichte in großer Zahl in französischer Sprache verfaßt wurden, bediente man sich doch in der Wissenschaft, auf der Kanzel und im Gerichtssaale der lateinischen Sprache. Man betrachtete die volksthümliche Prosa nur als ein Mittel, sich im Umgänge des Privatlebens verständlich zu machen. Die Entwickelung der französischen Sprache ist aber der der anderen Sprachen lateinischen Ursprungs vorangegangen. Der klare Verstand, die gesellige Gewandtheit und vielleicht auch die Leichtfertigkeit der Franzosen haben sie frühzeitig von dem Uebergewicht befreit, welches ein überliefertes und dem Leben fremdes Wissen in der Bildung aller anderen neueren Völker lange behauptet hat. Wilhelm der Eroberer drang die französische Sprache den Rechtsgelehrten und selbst der Geistlichkeit Englands auf, und im 13. Jahrhundert sprach man sie an allen Höfen. Die französische Prosa stand bereits im 13. Jahrhundert unter dem Ein- flüsse des Lebens und nicht der Schule. Die ersten französischen Prosaiker, die einen ehrenvollen Platz in der Literatur behaupten, sind nicht in Klöster eingeschlossene Gelehrte, es sind Ritter und Staatsmänner, welche schreiben was sie während eines bewegten Lebens gesehen, gefühlt und gethan haben. Die ersten Meisterwerke der französischen Prosa sind Memoiren, d. h. historische Erzäh- lungen, welche die Ereignisse so darstellen, wie der Verfasser sie gesehen hat, ohne auf gelehrte Genauigkeit Anspruch zu machen. Zwei Werke dieser Art aus dem 13. Jahrhundert geben uns ein treueres Bild von dem Leben der Zeit als alle lateinischen Chroni- ken. Das erste dieser Werke ist die Chronik von der Eroberung von Constantinopel von Geoffrey de Villehardouin, das andere die Geschichte Ludwig's Ix. von des» Lire de Jomville. Bei dem allgemeinen Aufschwung erhob sich auch der deutsche Adel zu feinerer Sitten- und Geistesbildung. Während im 11. Jahrhundert deutscher Gesang nur unterm niederen Volke, in den Klöstern nur deutsche Prosa und lateinische Dichtung und selbst am Hofe nur letztere zu finden war, ließ sich im 12. Jahrhundert an den Höfen und in Klöstern deutsche Dichtung vernehmen. Die Geistlichkeit nahm einen größeren, der Adel einen neuen Antheil an der deutschen Literatur. Die Vorliebe für den Reim bewirkte die Ausbildung desselben zur Form der Poesie und das Zurücktreten der Prosa. Zu dem bisher allein üblichen Singen kam nun auch ein davon verschiedenes Sagen, ein bloßes Lesen der Gedichte. Die Geistlichen trugen einander und den Laien Stoffe der ihnen zunächst angemessenen Gattung vor, religiös und sittlich belehrende und ge- lehrt erzählende nach lateinischen Duellen, bis sie und noch mehr die Ritter nach französischen Epopöen griffen und diese in deutscher Sprache nachahmten. Es waren das keine Lieder mehr, sondern Die deutsche Literatur.

7. Handbuch für den deutschen Unterricht in den oberen Klassen der Gymnasien - S. 137

1872 - Köln : DuMont-Schauberg
Fünfte Periode. Vorbildung der neuen Stoffe und Formen. 1625—1725. Die Zeit der Schule. Poesie bei den Gelehrten. Gelehrte Sprachmischung und Sprachreinigung, gelehrte Nachahmung und gelehrtes Verderbniß. Altclassisches Studium. Neuere Metrik. (In den folgenden Stücken ist gleichmäßige Orthographie gehalten! nur beispielshalber bei einigen nicht ) Friedrich von Spee. Geb. 1591 zu Kaiserswerth bei Düsseldorf, wurde zu Köln 1610 Jesuit, wirkte später an verschiedenen Orten (Paderborn, Würzburg, Hildesheim, Trier) als Priester und Lehrer, erhob sich 1631 mit Kraft gegen die Heren- proceffe in seiner Oautlo criminalis, und starb zu Trier 1635. Werke: „Trutznachtigall", eine Sammlung von geistlichen Liedern, erst nach seinem Tode 1649 gedruckt; und „goldenes Tugendbuch", ein Erbauungsbuch mit eingestreuten Gedichten. Spee hat nichts mit der Steifheit der Gelehrten-Poesie gemein; er steht einzig da; seine Poesie ist, was sie sein soll: reiner Erguß des Gemüthes und unmittelbar lebendige Anschauung. Nur von dem gelehrten Mythologischen und Idyllischen blieb er nicht frei; seine Sprache hat viel Provincielles. Gedichte, wie Franz Taver und Christus am Oelberg sind nach Anlage und Durchführung den vollendetsten Goethe'schen Balla- den zur Seite zu stellen; und das Gedicht von der h. Dreifaltigkeit zeigt, wie der Dichter auch das Abstractcste zu gestalten und die gefährlichsten Klippen zu durchfahren wußte. Vorredezur Trutznachtigall. Trutznachtigall wird dies Büchlein genannt, weiln es trutz allen Nachtigallen süß und lieblich singet, und zwar aufrichtig poetisch, also, daß es sich auch wohl bei guten Latei- nischen und anderen Poeten dürft hören lassen. Daß aber nicht allein in Lateinischer Sprache, sondern auch sogar in der Teutschen man recht gut poetisch reden und dichten könne, wird man leicht aus diesem Büchlein abnehmen mögen, und merken, daß es nicht an der Sprach, sondern vielmehr an den Personen, so es einmal auch in der Teutschen Sprache wagen dürfen, gemangelt habe. Derohalben habe ich solchen zu Helfell unterstanden, und beflissen mich, zu einer recht lieblichen Teutschen Poetica die Bahn zu zeigen, und zur größeren Ehren Gottes einen neuen geistlichen Parnassum oder Kunstberg allgemach anzutreten. Sollt nun solches dem Leser, wie verhoffentlich, Wohlgefallen, so sei Gott zu tausendmal gelobt und gebenedeit; dann ja anders nichts allhie gesucht und begehrt wird, als daß Gott auch in Teutscher Sprach seine Poeten hätte, die sein Lob und Namen ebenso künstlich, als andere in ihren Sprachen singen und verkünden könnten, und also deren Menschen Herz, so es lesen oder hören werden, in Gott oder göttlichen Sachen ein Gnügen und Frohlocken schöpfen. Und zwar die Teutsche Wörter betreffend solle sich der Leser sicher darauf verlassen, daß keines passirt worden, so sich nicht bei guten Autoren finden lasse oder bei guten Teutschen bräuchlich sei, obschon alle und jede Wörter nit bei einer Stadt oder Land zu finden sind, sondern ist das Privilegium oder Vollmacht, Dialekten zu gebrauchen, in Acht genommen. Neben dem ist Fleiß angewendet worden, daß so gar nichts ungleiches, hart, rauh oder gezwungenes je dem Leser zu Ohren komme, wann nur der rechte Schlag und Ton im Ablesen der Versen beobachtet und getroffen wird, welches insonderheit in Acht muß genom- men werden; nämlich in den Sprung-Reim oder -Versen in Teutscher Sprach, die sonsten Trochaische Verse bei den Gelehrten genannt werden; sonsten feind es Jambische Versen: dann dieser Arten sich am meisten in unser Teutscher Sprach fügen. Und werden die Tro- chaische Reim also gelesen wie das Pange lingua gloriosi, wie hie mit Schlägen gezeigt steht; mit den andern hats keine besondere Beschwerniß. Es soll aber der Leser gute Acht geben, daß er im Lesen keinen Buchstaben oder Syllaben zusetze oder auslasse, damit die poetische Zahl und Maß der Versen nicht verändert, und der Schlag und Klang unartig werde. Dann keine Syllabe zu viel oder zu wenig ist, wann nur im Abschreiben oder im Truck nichts verfehlt ist. Darum merke man wohl, ob Exempelweis geschrieben sei: drauf oder daraus, gehn oder gchen k. . . . und dergleichen andere Wörtlein, welche zuweilen eine Syllabe machen und andersmal zwo. Was aber die Quantität, Mensur oder Maß ar Kürze und Länge der Syllaben angeht, wird dieselbe am füglichsten genommen aus

8. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 5

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
A. W. Schlegel: Wesen und Ursprung der Poesie. 5 nie so gänzlich depoetisiert werden kann, daß sich nicht überall in ihr eine Menge zerstreute poetische Elemente finden sollten, auch bei dem willkürlichsten und kältesten Verstandesgebrauch der Sprach- zeichen, wie viel mehr im gemeinen Leben, in der raschen, unmittel- baren, oft leidenschaftlichen Sprache des Umgangs. Viele Wendungen, Redensarten, Bilder und Gleichnisse, die, sogar im plebejischten Tone, vorkommen, sind unverändert auch für die würdige und ernste Poesie brauchbar. Ebenso aber, wie das Geschmückte, Bild- liche im einzelnen Ausdruck keineswegs hinreicht die wirkliche Gegen- wart der Poesie in der ganzen Zusammensetzung zu beweisen, be- weist auf der andern Seite der Mangel daran in einzelnen Stellen ebenso wenig die Abwesenheit des poetischen Prinzips. Eine uralte, schlichte und bürgerliche Meinung ist die, alles in Versen Geschriebene für Poesie zu halten. Ein solch empirisches Merkmal ist in der Kindheit der Kunst verzeihlich, wo es auch nichts weiter prätendiert als sinnliche Zusammenfassung der Masse. Uns hat aber leider eine millionenfache Erfahrung belehrt, daß sich ganz prosaische Verse machen lassen, und man darf das unselige, so außerordentlich kultivierte Handwerk der Versemacherei nicht noch durch schöne Titel begünstigen. Schon bei den Griechen war selbst in der schönsten, blühendsten Periode ihrer Poesie, als nicht leicht jemand ohne natürliche Eingebung dichtete, ehe noch gelehrte Eitel- keit ihre Unschuld zerstört und sie mit willkürlicher Künstelei be- handelt hatte, diese populäre Meiuung nicht ganz richtig, und Aristoteles bestreitet sie deswegen auch. Denn es gab lokale, nur für ein gewisses Zeitalter gültige Anlässe manches in Versen abzu- fassen, was zwar eben durch diese Entstehungsart einen von der Prosa verschiedenen Charakter im ganzen Vortrage beibehielt, aber doch seinem Inhalte nach nicht eigentlich dem dichtenden Vermögen angehörte. Allein für uns wäre der Satz nicht einmal mehr richtig, wenn er auch folgendermaßen abgeändert würde: nur das ist Poesie, was in Versen abgefaßt werden soll; wiewohl man alsdann nichts daraus erführe, denn nun würde sich erst fragen: was soll denn in Versen abgefaßt werden? Es hat sich nämlich in der roman- tischen Poesie eine Gattung aufgethan, welche nicht nur ohne Verse bestehen kann, sondern in vielen Fällen die Versifikation gänzlich verwirft: dies ist der Roman. Wir werden uns wohl hüten Theorien ohne historisches Fundament in die Luft zu bauen, denen zulieb nachher das unübersehbare Gebiet der echten Poesie will- kürlich verengt werden muß. Mit Worterklärungen und zufällig aufgehaschten Merkmalen ist demnach nichts ausgerichtet. Um dem Wesen der Poesie analytisch näher zu kommen, müßte man wenigstens ein poetisches Ganze als

9. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 1

1877 - Stuttgart : Heitz
Älles, was wir sprechen und schreiben, ist entweder Poesie oder Prosa. Aber nicht alles, was in Versen geschrieben ist oder sich reimt, ist deshalb Poesie. Eben so wenig ist alles, was nicht in Versen ausgedrückt ist, darum Prosa; es kann auch Poesie sein. Der Inhalt also und die Art des Ausdrucks muß entscheiden, ob es Poesie oder Prosa sei. Das, was in Versen geschrieben ist, nennen wir gebundene Rede, gleichviel ob es Poesie oder Prosa ist; denn es giebt auch gereimte Prosa. Das, was nicht in Versen geschrieben ist, heißt ungebundene Rede, und diese kann sowohl Poesie als Prosa sein. Jedoch besteht die meiste Poesie in gebundener, und die meiste Prosa in ungebundener Rede; nur darf dies nicht als Regel angenommen werden. Wodurch unterscheiden sichnunpoesieund Prosa? — Die Prosa drückt das ans, was wir gedacht, die Poesie das, was wir empfunden oder was wir durch die Einbildungskraft erzeugt haben. In jener herrscht also der ruhig betrachtende Ver- stand, in dieser das aufgeregte, begeisterte Gefühl. Jene soll Andere von der Wahrheit dessen, was ich sage, überzeugen; sie sollen meinen deutlich ausgedrückten Gedanken folgen; es sollen dieselben Gedanken in ihnen erzeugt werden, damit sie die Richtig- keit meiner Aussprüche einsehen. Der Hauptzweck der Prosa ist also Wahrheit. — Die Poesie dagegen geht von der Begeisterung des Gefühls für das Schöne, Edle, Große, und von einer lebhaften Einbildungskraft aus. Der Dichter läßt seinen Empfindungen freien Lauf, drückt sie in einer edlen, lebhaften Sprache, in einer ansprechenden Form aus, und findet in dem Herzen jedes fühlenden Literaturgesch. v. Nesselt. I. 6. Aufl. 1

10. 1. Bd. - S. 77

1827 - Heidelberg : Engelmann
77 Als Franz nach Hause ging/ sagte er: «Nun/ Mutter/ da ich weiß/ was mit den Bienen in ihren Wachszellen gemeint ist/ kann ich jene Verse lernen/ wenn Du sie mir vorsagen willst." Mutter: Es ist mir beschwerlich / mein Kind / sieso oft herzusagen; aber hier ist ein Buch / in welchem Du sie selbst lesen kannst; Du magst sie nun gern auswendig lernen / wenn es Dir Vergnügen macht." Franz las die Verse über und versuchte/ sie auswen- dig zu lernen; endlich konnte er sie/ wie er glaubte/ fer- tig hersagen/ und eines Tages ging er nach dem Mittagö- essen zu seinem Vater/ und erzählte ihm/ daß er ihm einige hübsche Verse hersagen könne/ wenn er es ihm er- lauben wollte. ..Es wird mir lieb seyn/ sie zu hören/" sagte sein Va- ter; «fang' an und sage sie auf." Franz sagte sie darauf/ ohne sich einmal zu verspreche» / her; sein Vater legte ihm einige Fragen über diese Worte vor/ um zu versu- chen/ ob er sie auch verstände und freute sich/ daß er sie wirklich verstanden hatte. Franz erzählte ihm/ daß seine Mutter so gut gewesen wäre/ ihm ein Johanniswürmchen zu zeigen / und eine Mücke/ und einen Bienenkorb/ und daß sie ihm jedes Wort in den Versen erklärt/ die er zuerst nicht verstanden hätte. «Ich freue mich/ lieber Franz/" sagte sein Vater/ «daß Du so viel Vergnügen genossen/ und die Beharrlich- keit gehabt hast/ dasjenige gut zu lernen / was Du ein- mal zu lernen angefangen hattest. Aber sage mir doch/ warum Du beständig den Knopf an Deinem Rock auf- und wieder zuknöpftest/ als Du mit mir sprachst und die Verse hersagtest?« «Das weiß ich nicht/ Vater/" sagte Franz lachend; ich erinnere mich nur/ daß/ als ich die Verse auswendig

11. Prosalesebuch für Prima - S. 184

1909 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
184 I. Zur allgemeinen Kultur. zauberische Anziehung, die Goethes Lyrik auf uns ausübt. Es fehlt noch etwas, was nicht ausgesprochen ist, das ist die M u si k der Lieder. Woher stammt sie? Ob aus dem Versmaß? Es macht frei- lich diel, wie es sich in Fall und Tempo wechselnd dem jeweiligen Inhalt schmeichelnd anschmiegt. Auch der Reim tut das Seine. Aber daß weder er noch das Versmaß bei Goethischen Gedichten, deren Wohllaut uns gefangen nimmt, den Ausschlag gibt, das läßt sich leicht aus Goethes Prosa beweisen, wo wir Stücke von nahezu gleichem musikalischem Reize finden. Woher quellen die Melodien, die diese Stücke seiner Prosa so wie seine Poesie wunderbar uitd geheimnisvoll durchtönen? Ist es etwa der Lautklang der gewählten Worte? Wie wenige Lautverbindungen fallen angenehm in unser Ohr! Die allermeisten sind gleichgültig, nicht wenige mißtönend. Aber wenn es nicht ihr Lautklang ist, der uns melodisch tönt, so ihre Bedeutung, die Bedeutung der einzelnen und noch mehr der gebundenen Worte. Sie erzeugen in uns Vorstellungen, erwecken Bilder und Gedanken, die wie liebliche Harmonien uns ins Ohr fallen. Das ist der Hauptgrund der Goethischen Wortmusik. Und wenn wir fragen, wie kommt gerade Goethes Dichtung und Prosa diese Musik in besonderem Maße zu? so können wir darauf nur von neuem antworten: weil er die größte Harmonie des Geistes besaß, der sich alles Zusammenstimmend ordnete. Diese Harmonie des Geistes glänzt in der Lyrik zumal als Harmonie des Auges und des Gemütes. Da also das wesentliche Element Goethischer Sprachmusik rein geistiger Art ist, so wird es begreiflich, weshalb es für die Komponisten so schwer ist, sie ins Materielle zu übertragen. Sie müssen die gleiche Harmonie in ihr Schaffen hineinlegen oder sie unterliegen. Die Goethische Geistesharmonie bildet sich im Sprachkleide entsprechenden Ausdruck durch die Wortwahl (Stärke und Milde, sinnliche Kraft des Ausdrucks) und den Wort- sall, der in der Prosa sich in der Rhythmik des Satzbaues zeigt. In der Poesie kommen als unterstützende Elemente hinzu Vers- und Strophenbau, häufig auch der Reim, selten die Alliteration. — Nicht nur die meisten, sondern auch die Tüchtigsten und Reifsten werden in Stunden, da es sie drängt, sich aus dem trüben Wirrsal des Alltags in reine, hohe Luft zu erheben, mit dem Gefühl der Sehnsucht nach Goethes Gedichten greisen und sie mit dem Bewußt- sein tiefer Beruhigung, der Versöhnung mit der Welt, des frisch erworbenen Lebensmutes aus der Hand legen. Man wird böi wiederholter Rückkehr zu ihnen immer wieder die Wahrnehmung machen, daß sie stets neue Saiten anschlagen, neue Ausblicke eröffnen, neue Tiefen enthüllen. So wachsen sie einem jeden im Fortgang

12. Teil 7 = Für Obersekunda - S. 301

1918 - Leipzig [u.a.] : Teubner
301 denn zunächst auch ein großer Bewunderer der Poesie. Die Neigung wurde durch meinen Vater gefördert, der zwar ein pflichtstrenger, aber enthusiastischer Mann war, begeistert für Dichtkunst, besonders für die große Zeit der deutschen Literatur. Er gab uns in den oberen Gymnasial- klassen den deutschen Unterricht und las mit uns den Homer. Wir mußten unter seiner Leitung auch abwechselnd deutsche Aufsätze in Prosa und metrische Übungen machen — Gedichte, tvie wir sie nannten. Aber wenn auch die meisten von uns schwache Dichter blieben, so lernten wir doch dabei besser als durch irgend eine andere mir bekannte Übuilg das, was wir zu sagen hatten, in die mannigfaltigsten Ausdrucksweisen umzuwenden. Das vollkommenste mnemotechnische Hilfsmittel, was es gibt, ist aber die Kenntnis des Gesetzes der Erscheinungen. Dies lernte ich zuerst in der Geometrie kennen. Von meinen Kinderspielen mit Bauhölzern her waren mir die Beziehungen der räumlichen Verhältnisse zueinander durch Anschauung wohl bekannt. Wie sich Körper von regelmäßiger Form an- einander legen und zusammenpassen würden, wenn ich sie so oder so wendete, das wußte ich sehr gut, ohne vieles Nachdenken. Als ich zur wissenschaftlichen Lehre der Geometrie kam, waren mir eigentlich alle Tat- sachen, die ich lernen sollte, zur Überraschung meiner Lehrer ganz wohl- bekannt und geläufig. Soweit meine Rückerinnerung reicht, kam das schon in der Volksschule des Potsdamer Schullehrerseminars, die ich bis zu meinem achten Lebensjahre besuchte, gelegentlich zum Vorschein. Neu war mir dagegen die strenge Methode der Wissenschaft, und unter ihrer Hilfe fühlte ich die Schwierigkeiten schwinden, die mich in anderen Gebieten gehemmt hatten. Der Geometrie fehlte nur eines; sie behandelte ausschließlich abstrakte Raumsormen, und ich hatte doch große Freude an der vollen Wirklichkeit. Größer und kräftiger geworden, bewegte ich mich viel mit meinem Vater oder mit Schulgenossen in den schönen Umgebungen meiner Vaterstadt Potsdam umher und gewann große Liebe zur Natur. So kam es wohl, daß mich die ersten Bruchstücke der Physik, die ich im Gymnasium kennen lernte, bald viel intensiver fesselten als die rein geometrischen und alge- braischen Studien. Hier war ein reicher und mannigfaltiger Inhalt mit der vollen Machtfülle der Natur, der unter die Herrschaft des begrifflich gefaßten Gesetzes zurückgeführt werden konnte. Auch war in der Tat das erste, was mich fesselte, vorzugsweise die geistige Bewältigung der uns anfangs fremd gegenüberstehenden Natur durch die lo- gische Form des Gesetzes. Aber natürlich schloß sich bald die Erkennt- nis an, daß die Kenntnis der Gesetze der Naturvorgänge auch der Zauber- schlüssel sei, der seinem Inhaber Macht über die Natur in die Hände gebe. In diesen Gedankenkreisen fühlte ich mich heimisch.

13. Der gesammte deutsche Sprachunterricht in Volksschulen oder die Uebungen im Lesen, der Grammatik, Orthographie und dem mündlichen und schriftlichen Gedankenausdrucke ; geknüpft an den Lesestoff im Preußischen Kinderfreund - S. 2

1847 - Königsberg : Bon
s Gebankenausdruck verbundene Uebungen verstehen. Die Beispiele zu den nothwendigsten, gelegentlich entwickelten Sprachregeln werden im Lesebuche aufgesucht, die Regeln selbst dem Gedächt- nisse durch vielfältige Uebungen eingeprägt, und, wenn auf diese Weise ein Abschnitt der Sprachlehre beendigt ist, die einzelnen Capitel übersichtlich zusammengestellt. Zur Befestigung in der Orthographie wird das Diktando-Schreiben und Aufschreiben der auswendig gelernten Lesestücke fleißig geübt. Nicht bloß in den- jenigen Stunden, welche den Lese-, Stil- und orthographischen Uebungen gewidmet sind, sondern auch in allen andern.unter- richtsgegenständen hat-der Lehrer darauf zu halten, daß seine Schüler sich einer richtigen, hochdeutschen Aussprache befleißigen, Fehler gegen die Sprachregeln vermeiden und ihre Antworten in wohlgebildete Sätze einkleiden. Er muß durchaus nicht eher weiter gehen, als bis der Schüler den begangenen Fehler ver- bessert hat. Das ist freilich im Anfange zeitraubend, allein die hierauf verwandte Zeit ist ein Capital, das reichliche Zinsen trägt. Die Kinder, welche an diesem Unterrichte Theil nehmen sollen, müssen leichte, einfache Sätze lesen, lautrichtig aufschreiben und über Gegenstände der Anschauung ihre Gedanken mit einiger Geläufigkeit mündlich ausdrücken können. So vorbereitet treten sie aus der Unter- (Vorschule oder eigentlichen Elementarschule) in die Mittelklasse. Hier soll die erworbene Geschicklichkeit im Lesen an kleinen Erzählungen und leichtverständlichen Gedichten (Kinderfreund I. Theil, zweiter Abschnitt, S. 26. bis 83.) zu eini- ger Fertigkeit gesteigert und der Grund zu einer richtigen Beto- nung gelegt werden. Dabei sollen die Schüler an den Lese- stücken die Wörterklassen, das Wichtigste über die Biegung, Bil- dung und Zusammensetzung der Wörter kennen, die nothwendig- sten orthographischen Regeln anwenden und ihre Gedanken über sinnliche und bekannte Gegenstände aufschreiben lernen. Bei der Wiederholung dieses Kursus erhalten die Fähigeren Anleitung, die gelesene Geschichte mündlich und schriftlich nachzuerzählen und leichtverständliche Gedichte in Prosa überzutragen. In der Ober- klasse wird der Kursus der Mittelklasse wiederholt und erweitert, ein ausdrucksvolles Lesen erzielt, die Satzlehre mit Inbegriff der Interpunktions-Regeln aus den Lesestücken entwickelt, Anleitung gegeben, die gelesenen Erzählungen mit andern Worten und in anderer Form wiederzugeben, die darin handelnden Personen zu schildern, ähnliche Erzählungen in die Form der gelesenen einzu- kleiden, poetische Aufsätze in Prosa zu verwandeln, Kunst- und Naturgegenstände, Naturbegebenheiten und Vorfälle des gemei- nen Lebens zu beschreiben, Geschäftsaufsätze und Briefe nach ge- gebenen Mustern anzufertigen rc. Es lag nicht in der Absicht des Verfassers, in dem vorlie- genden Handbuche eine vollständige Lese-, Sprach-, Rechtschreibe- und Uussatzlehre zu geben, besonders da ihm aus gewichtigen

14. Geschichte der neueren und neuesten Zeit - S. 422

1858 - Weimar : Böhlau
422 Ohne Gelegenheitsgedichte und ohne poetische Lobschriften ouf hohe Po- tentaten konnte die junge Kunst den Schutz nicht gewinnen, dessen sie zu ihrem Wachsthums bedurfte. Es wurde nun die Ansicht allge>nein, wie sie es bei den Philologen längst gewesen war, die Poesie sei nichts als eine erlernbare Fertigkeit, deren Regeln man nur kennen und län- gere Zeit üben müsse, um bald den Dichterlorbeer sich aufs Haupt setzen zu können. Nur das poetische Handwerkszeug, die Mythologie, die aus der lateinischen und französischen Poesie entlehnten Redensarten, die so- genannten sinnreichen Beiwörter, die Tropen und Figuren und dre Re- geln des Versbaues mußte man zur Hand haben, dann konnte man Verse machen. Diese neue Art von gelehrter Poesie entwickelte sich in Schlesien und Martin Opitz (1597 — 1639) war das zu seiner Zeit gefeierte Vorbild dieser Dichter. Opitz war kein Dichtergeist, seine Phantasie war arm und er entlehnte den Stoff seiner Gedichte aus Büchern. Seine Gedichte zeigen nirgends einen Schwung der Phantasie, und er selbst schreibt vor, daß ein Christ im poetischen Delirium sparsamer sein müsie als die Heiden. Opitz war mehr Graminatiker und Rhetor als Dichter; er widersetzte sich dem Einflicken fremder Wörter, während die Prosa und die Umgangssprache durch geschmacklose Sprachmengerei verdorben war; er regelte die schwankende Prosodie durch das Gesetz des Wort- accents. Die alten Verse wurden nach der Zahl der Hebungen gemes- sen, aber im 16. Jahrhundert zählte man nur die Silben ohne Rücksicht auf Hebung und Senkung. Opitz lehrte nun, daß man auch im deut- schen Verse wie im antiken Länge und Kürze, Hebung und Senkung unterscheiden müsse. Nachdem Opitz die deutsche Poesie der neulateinischen ebenbürtig gemacht hatte, fand seine Kunst allenthalben Gönner und Jünger. Der Name Poet' hörte aus ein Schimpfwort zu sein, die Dichterkcone war nun auch durch deutsche Verse zu erlangen. Die höheren Stände litten den Dichter in ihrer Mitte. Die Muttersprache war wieder zu Ehren gebracht und verlor mit der Unehre ihre bäuerische Robheit. Vorzüglich war es Nocddeutschland, Schlesien, Sachsen und Königsberg in Preu- ßen, wo Opitz viele Nachahmer fand. Man bezeichnete diese Dichter als die erste schlesische Dichterschule. Wir nennen nur die be- deutendsten dieser Dichter. Paul Flemming und Simon Dach zeigen in ihren lyrischen Gedichten mehr Wahrheit und Tiefe des Ge- müths, als in den meisten Reimgedichten jener Zeit herrscht. Friedrich von Logau ist ein fruchtbarer Epigrammendichter. In vielen seiner Sinngedichte zeigt sich Wahrheit der Empsindung und Ernst vec Gesin- nung. Logau war am wenigsten besangen in der engherzigen Gelehr- samkeits- und Formelpoesie seiner Zeit. Andreas Gryphius war nicht bloß lyrischer, sondern auch dramatischer Dichter. Er ist Volks- thümlich in seinen Lustspielen. In seinen Trauerspielen ober suchte er nach einseitig aufgefaßten Regeln der Alten die Kunstform deß antiken Drama's nachzuahmen. Der Hauptfehler seiner Trauerspiele geht aus seiner eigenen Weltverachtung und Schwermuth hervor. Die Erde mit aller ihrer Herrlichkeit ist eiteler Schaum; es scheint dem Dichter kindisch, nach ihren Gütern zu trachten und deren Verlust zu beklagen. Erha- den ist ihm, wer, wenn es die Pflicht fordert, ohne Seufzer das Leben

15. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 93

1877 - Stuttgart : Heitz
93 Bat sich des Dichters Zuspruch aus Und ließ sich seine Verse lesen. Der Dichter las ein frostig Trauerspiel, Das, wo nicht seinem Wirth, doch ihm sehr wohlgesiel. Der Geist, den nur der Wirth, doch nicht der Dichter sah, Erschien und hörte zu; es fing ihn an zu schauern; Er konnt' es länger nicht als einen Austritt dauern; Denn, eh' der andre kam, so war er nicht mehr da. Der Wirth, von Hoffnung eingenommen. Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen. Der Dichter las, der Geist erschien, Doch ohne lange zu verziehn. „Gut!" sprach der Wirth bei sich, „dich will ich bald verjagen! „Kannst du die Verse nicht vertragen?" ' Die dritte Nacht blieb unser Wirth allein. Sobald es zwölse schlug, ließ das Gespenst sich blicken. „Johann!" sing drauf der Wirth gewaltig an zu schrein, „Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein, „Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken!" Der Geist erschrak und winkte mit der Hand, Der Diener solle ja nicht gehen. Und kurz, der weiße Geist verschwand Und lieh sich niemals wieder sehen. Ein Jeder, der dies Wunder liest, Zieh' sich daraus die gute Lehre: Daß kein Gedicht so elend ist, Das nicht zu etwas nützlich wäre. Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut, So kann uns dies zum großen Troste dienen. Gesetzt, daß sie zu uns'rer Zeit Auch legionenweis' erschienen, So wird, um sich von allen zu befrei'n, An Versen doch kein Mangel sein. Musen und Grazien in der Mark. (Göthe*). O wie ist die Stadt so wenig; Laßt die Maurer künftig ruhn! Unsre Bürger, unser König Könnten wohl was Besser's thun. *) Gegen Schmidt's, Pfarrers zu Werneuchen in der Mark „Kalender der Musen und Grazien" gerichtet. Das Gedicht erschien zuerst in Schiller's Musen- Almanach für 1797.

16. Das Mittelalter und die Neuzeit - S. 123

1897 - Leipzig : Voigtländer
123 schildert die groartige Natur des Alpenlandes und das sittenreine, zufriedene Hirten-leben der Gebirgsbewohner. von Hagedorn, ein Hamburger, ebenfalls 1708 geb., hat leichte, anmutige, heitere Lieder, Fabeln und Erzhlungen gedichtet (z. B. Johann, der muntere Seifensieder"). Gellert, Professor in Leipzig, geb. 1715, wurde durch seine Fabeln, die auch Friedrichs des Groen Beifall fanden, und durch seine geistlichen Lieder, von denen nicht wenige in die evangelischen Gesangbcher bergingen (Wie groß ist des Allmcht'gen Gte" 2c.), einer der Lieblingsdichter des deutschen Volkes. Auch Lichtwer und der etwas jngere Elssser Pfeffel sind bekannte Fabeldichter. 2. Klopftock, Lessing, Wieland. Der Vorbereitungszeit folgte dann die eigentliche Blteperiode unserer Poesie, die mit dem Hervortreten Klopstocks und Lessingsum 1750 begann. Neben diesen beiden ist zunchst Wieland zu nennen. Klopstock war 1724 zu Quedlinburg geboren und starb 1803 zu Hamburg. Ein bahnbrechender Dichtergenius von Gottes Gnaden, der, voll Begeisterung fr Religion und Vaterland, der deutschen Poesie einen hheren Geist einhauchte und - mit Anwen-dung der dichterischen Mae und Formen des klassischen Altertums eine neue, gehobene Sprache gab. Seinen Ruhm begrndete er durch den .Messias", dessen drei erste Ge-snge 1748 erschienen und mit berschwnglicher Bewunderung aufgenommen wurden. In diesem groen Heldengedicht (20 Gesnge in Hexametern) singt der Dichter der sn-digen Menschen Erlsung, die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet". Von hohem dichterischen Werte sind ferner Klopstocks Oden, in denen er die edelsten Gter und Gefhle, Gott, Vaterland, Freundschaft zc., in kunstreichen (reimlosen) Versen feiert (Der Zricher See", Die Frhlingsfeier"). Auch geistliche Lieder (Auf-erftehn, ja auferstehn" u. a.) hat er gedichtet. Sehr verschieden von dem erhabenen Schwnge der Poesie Klopstocks, aber durch edelste Klarheit und wirkungsvolle Kraft der Sprache ausgezeichnet, ist die Dichtung des nur fnf Jahre jngeren Lessing. Geb. 1729 zu Kamenz in Sachsen, gest. 1781 in Braunschweig, hat er seine poetische Thtigkeit vorzugsweise dem Drama zugewandt. In seiner Minna von Barnhelm" schuf er das beste Lustspiel, das wir besitzen, nach Goethes Behauptung .die erste Theaterproduktion von vollkommenem Nationalgehalt"; in der Emilia Galotti" gab er der deutschen Bhne das erste tragische Meisterwerk. Sind diese beiden Schauspiele in Prosa gedichtet, so ging Lessing schlielich doch zum Drama in Versen der: seinem folgenden und letzten Stck verlieh er den Schmuck der rhythmischen Rede. Es war das dramatische Gedicht Nathan der Weise", durch wel-ches er den fnffigen Jambus zum stehenden Verse des Dramas fr unsere ganze Bltezeit erhob. Auch hat Lessing wertvolle Fabeln (in Prosa) geschrieben. Seine wissenschaftlichen Schriften sind durch Geist, Grndlichkeit und Scharfsinn aus-gezeichnet, in der sprachlichen Darstellung wie alle seine Werke mustergiltig fr alle Zeiten. Wieland, 17331813, ist der lteste der sogenannten weimarischen Dichter. Er verstand, leicht, lebendig und witzig in Prosa und Versen zu erzählen. Von bleibendem Werte ist sein Hauptwerk D beton, ein romantisches Heldengedicht in zwlf Gesngen". 3. Zeitgenossen Klopstocks und Lessings waren die preuischen

17. Abriß der Weltgeschichte mit eingehender Berücksichtigung der Kultur- und Kunstgeschichte für höhere Mädchenschulen - S. 202

1891 - Leipzig : Voigtländer
202 Gellert, Professor in Leipzig, geb. 1715, wurde durch seine Fabeln, die auch Friedrichs des Groen Beisallfanden, und durch seine geistlichen Lieder, von denen nicht wenige in die evangelischen Gesangbcher bergingen (Mein erst' Gefhl sei Preis und Dank", Wie groß ist des Allmcht'gen Gte" 2c.), einer der Lieblingsdichter des deutschen Volkes. Auch Lichtwer und der etwas jngere Elssser Pfeffel sind bekannte Fabeldichter. 2. Klopstock, Lessing, Wieland. Der Vorbereitungszeit folgte dann die eigentliche Blteperiode unserer Poesie, die mit dem Hervor-treten Klopstocks und Lessings um 1750 begann. Neben diesen beiden ist zunchst Wieland zu nennen. Klopstock war 1724 zu Quedlinburg geboren und starb 1803 zu Hamburg. Ein bahnbrechender Dichtergenius von Gottes Gnaden, der, voll Begeisterung fr Religion und Vaterland, der deutschen Poesie einen hheren Geist einhauchte und mit Anwendung der dichterischen Mae und Formen des klassischen Altertums eine neue, gehobene Sprache gab. Seinen Ruhm begrndete er durch den Messias", dessen drei erste Gesnge 1748 erschienen und von dem deutschen Volke mit berschwnglicher Bewunderung aufgenommen wurden. In diesem groen Heldengedicht (20 Gesnge in Hexametern) singt der Dichter der sndigen Menschen Erlsung, die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet". Dem erhabenen Gegenstand entspricht die Erhabenheit der Darstellung; doch fehlt dem Werke, das zu hoch der die irdische Welt hinausgreift, die rechte Anschaulich-keit und lebensvolle Mannigfaltigkeit: kaum gelingt noch der Versuch, es vollstndig zu lesen. Von hohem dichterischen Werte sind ferner Klopstocks Oden, in denen er die edelsten Gter und Gefhle, Gott, Vaterland, Freundschaft 2c. voll Begeisterung in schwung- und kunstreichen (reimlosen) Versen feiert. Hier feien nur genannt: der Zricher See", der Eislauf", die Frhlingsfeier". Auch geistliche Lieder ( Auf er steh n, ja auserstehn" u. a.) hat er gedichtet. Sehr verschieden von dem erhabenen Schwnge der Poesie Klopstocks, aber durch edelste Klarheit und wirkungsvolle Kraft der Sprache ausgezeichnet ist die Dichtung des nur fnf Jahre jngern Lessing. Geb. 1729 zu Kamenz in Sachsen, gest. 1781 in Braunschweig, hat er seine poetische Thtigkeit vorzugsweise dem Drama zugewandt. In seiner Minna von Barnhelm" schuf er das beste Lustspiel, das wir besitzen, nach Goethes Behauptung, die erste Theaterproduktion von vollkommenem National-gehalt, die den Blick in eine hhere bedeutendere Welt glcklich erffnete;" in der Emilia Galotti" gab er der deutschen Bhne das erste tragische Meister-werk. Sind diese beiden Schauspiele in Prosa gedichtet und zwar der trefflichsten, die sich bis dahin bei einem deutschen Schriftsteller findet, so ging Lessing schlielich doch zum Drama in Versen der: seinem folgenden und letzten Stck verlieh er den Schmuck der rhythmischen Rede. Es war das dramatische Gedicht Nathan der Weise", durch welches er den fnffigen Jambus zum stehenden Verse des Dramas fr unsere ganze Bltezeit erhob. Auch hat Lessing wertvolle Fabeln (in Prosa) geschrieben. Seine wissenschaftlichen Schriften sind durch Geist, Grndlichkeit und Scharfsinn ausgezeichnet, in der sprachlichen Dar-stellung wie alle seine Werfe mustergiltig fr alle Zeiten. Mit Recht sagt Goethe

18. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 12

1877 - Stuttgart : Heitz
12 1. Das trochäische Versmaaß. Es eignet sich besonders zu ernsten und feierlichen Gedichten. Nicht leicht hat man mehr als fünf Füße in einer Zeile. Wenn die goldne Frühe, neu geboren, Am Olymp mein matter Blick erschaut: Dann erblass' ich, wein' und seufze laut: Dort im Glanze wohnt, die ich verloren! Der vierfüßige trochäische Vers findet sich vorzugsweise in der spanischen Poesie und wird auch nach dem Vorgänge der deutschen Romantiker von unsern Schicksalstragöden Mül ln er, Grillparzer, Houwald u. A. in Anwendung gebracht. Der wahrhaft dramatische Vers aber ist der fünffüßige jambische, den zuerst die Engländer gebraucht und Blancvers genannt haben. Auch der jambische Quinär (von quini, je fünf) wird er genannt. In das deutsche Drama ist er zuerst durch Lessing's Meisterwerk „Nathan den Weisen" 1779 eingeführt worden. Lessing be- handelte diesen Vers noch so, daß er ihn der Prosa annäherte. 2. Das jambische Versmaaß ist das am häufigsten vorkommende: So schläfst du nun den Todesschlaf im Grabe, Du großer Held, gefärbt mit schönem Blut'! Dein Leben war für Tausend Lebensgabe, Dein Tod erquickt auch Sterbende mit Muth. Oder: Willst du dich auf gen Himmel schwingen, Und hören, was die Engel fingen, Und hören, was Jehova spricht, So lies dies himmlische Gedicht. Es kommen zwei- bis achtfüßige jambischen Verse vor; doch sind die vier- und fünffüßigen die gewöhnlichsten. Die gereimten sechsfüßigen nennt man Alexandriner. Sie bestehen aus zwei gleichen Hälften, so nämlich, daß nach dem dritten Jambus ein Wort zu Ende ist. So liegt demnach der Einschnitt, die so- genannte Cäsur, gerade in der Mitte des Verses, wodurch Ein- tönigkeit entsteht. Er wurde zuerst in französischen Heldengedichten gebraucht und erhielt auch seinen Namen von einem Alexander- liede von Lambert li Tors und Alexander von Bernay. Später wurde er der Vers des sogenannten classischen Drama's der Franzosen und trug wesentlich mit zu der Gespreiztheit und

19. Mittlere Geschichte - S. 309

1848 - Leipzig : Brandstetter
309 wie die ihrer Zöglinge. Die Geistlichen bekümmerten sich wenig darum, Volkslehrer zu bilden; diese mußten sich auf folgende Weise zu ihrem wich' tigen Amte vorbereiten. Jeder Schulmeister hielt sich seine Gesellen, die gleich Handwerksburschen unter dem Namen der fahrenden Schüler, Bac- chanten und Abcschützen *), bald einzeln, bald mit dem Meister in ganzen Haufen im Lande herumzogen und ihr Brod an den Thüren singend oder bettelnd suchten, oder wohl auch stahlen, „denn es war Brauch," wie es in der Lebensbeschreibung des Thomas Platter heißt, „daß die Schüler dürfen Gans und Enten, auch andre essige Speis rauben." Nebenbei wurden diese Gesellen im Lesen, Schreiben und Singen unterrichtet. Mar- der Unterricht an sich höchst kläglich im Verhältnisse zu dem Unterrichte der Jetztzeit, so förderte er doch immer die allgemeine Bildung des Bürger- standes. Daß er mit Ruthensireichen und Stockschlägen eingebläut wurde, erregte keinen Anstoß. Vortheilhafter wirkte noch eine andere Anstalt auf den Bürgerstand — die Zunft der Meistersänger. Noch irrte hie und da ein Minnesänger im Lande herum und ließ sich zuweilen in Städten hören. Vielleicht ist auch manches geschriebene Minnelied in die Hände lese- und wißbegieriger Städter gekommen (freilich erklangen die meisten, ohne ausgeschrieben zu werden, und die niedergeschriebenen vermoderten in Klosterbibliotheken oder sonst in einem abgelegenen Gemache zerfallener Schlösser), und es erwachte auch bei ihnen die Liebe zu Gesang und Poesie. Da versammelten sich dann die Liebhaber dieser Kunst an Sonn- und Feiertagen in den Kirchen, nach dem Nachmittagsgottesdienste oder auch in Wirthshäusern und sangen zur Zither nach alten und neuen Melodien allerlei Reimgedichte, zu denen der Stoff meist aus der biblischen Geschichte entnommen war; oft enthielten sie auch satyrische Ausfälle über Sitten und Laster des Zeitalters. Wer ein solches Lied nach dem Urtheile der sogenannten Merker gut und fehlerfrei sang, wurde ein Meister oder Meistersänger genannt und bekam einen Preis, der in silbernen und gol- denen Denkmünzen, oder Ketten und Kränzen von seidenen Blumen bestand. Unter den Händen solcher Sänger sank zwar die Poesie zum Hand- werke herab, denn die meisten Gedichte waren nur platte, schale und ge- haltlose Reimereien, doch diente die Beschäftigung mit solchen Gegenständen dazu, die deutsche Sprache selbst für die Prosa allmälig einzurichten, die Handwerksleute vom Spiele und rohen Zechgelagen zu einer harmlosen und veredelnden Unterhaltung zu führen, dem Gefühle für Anstand und gute Sitte Eingang zu verschaffen und wohl auch den Verstand für ge- meinnützige Gedanken zu öffnen. Auf jeden Fall ist das Leben in den Etädten, wenn es auch keine eigentlichen Dichter gab, mit den Possen- und *) Das Wort Abcschützen kommt von dem Worte schießen (werfen) her, weil die schüler, die oft nicht mehr als das Abc verstanden, durch Werfen Gänse und anderes Geflügel sich zueigneten.

20. Prosalesebuch für Prima - S. 334

1909 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
334 Iii. Zur deutschen Literaturgeschichte. alle Lessingschen Arbeiten und Verdienste mir ein Urteil anzumaßen. Ich maße mir eigentlich gar kein Urteil über ihn an; sage nur über einiges meine Meinung tmd überlasse das andere, insonderheit seine Theaterwerke, andern. Meine Absicht ist nur, überhaupt die Spur zu verfolgen, wo Lessing seinen Weg nahm, wo er aufhörte, wo andere ihm nachzugehen oder weiter zu gehen haben. Lessings erste Schriften und Lebensumstättde kenne ich nicht. Sein eigentlicher Name fängt ziemlich mit den sogenannten kleinen Schriften an, die seit 1763 in Berlin erschienen. In ihnen zeigte er sich von allen den mancherlei Seiten, von denen er nachher mit den Jahren immer reifer und glänzender hervortrat. In diesen sechs Bändchen was für ein Reichtum an Inhalt und Einkleidung! Eine Abwechslung und Gründlichkeit in Arterien, die man sonst in Duodezbändchen nicht findet! Lieder und Fabeln, Sinn- und Lehr- gedichte, Aufsätze iu Poesie und Prosa, sogar lateinische Verse treffen hier zusammen. Es folgen Briefe fast so mancherlei Inhalts, als gelehrte Briefe irgend nur sein können; Kritik und Philosophie, Geschichte und Literatur nehmen hier Briefgestalt an, und man muß gestehen, ganz auf die Lessing eigne, leichte und glückliche Weite. Hierauf ein Teilchen gelehrter Abhandlungen, Rettungen des Horaz u. a., die man schwerlich vor dem, was solgt, vor Lust- und Trauerspielen erwartet. Daß dies abwechselnde Mancherlei, mit dein sich Lessing meistens nur proben-, nur stückweise gleich anfangs zeigte, nicht Eitelkeit, nicht Prahlerei war, beweiset sein weiteres literarisches Leben. Alle die Beschäftigungen, alle die Einkleidrmgen hat er fortgesetzt; und gewiß keine mit minderem Gliick, als er in diesen Jugendversuchen zeigte. Wenn e i n Schriftsteller nüt seiner Zeit fortging und Blüten in Früchte verwandelt hat, ist's Lessing; ja, was sage ich, fortging? bis an sein Ende ging er seiner Zeit vor. Einige dieser Jugendschriften hat er bei reiferen Jahren um- gearbeitet; und so wenig er sich seiner Jugend zu schämen halle, so sehr gewannen sie durch die verbessernde Hand des Mannes. Mit der neuen Ausgabe seiner Fabeln fing er an. Aus wenigen Proben, die er gegeben hatte, wurden drei Bücher, meistens eigner oder fortgesetzter äsopischer Erfindung. Tie gereimten oder ihre Reime sind weggefallen, und statt dieser der Fabel unnötigen oder hinderlichen Fesseln — wenigstens wie Lessing es glaubte -- stehen sie hier in eine Sprache gekleidet, die in einer jedem Gegen- stand angemessenen Prose die schönste Poesie ist. Der blanke männ- liche Harnisch kleidet Lessing mehr als das Gängelband der Reime; seine Fabeln sind nicht bloß für Kinder, sondern auch Männern, und Männern insonderheit, lesbar. Noch mehr sind's die Abhand-