Ähnliche Ergebnisse
1917 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Hrsg.: Kloss, Katharina, Porger, Gustav, Biastoch, Otto, Lemp, Eleonore
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
alle Verwandten herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen Leuten."
„Das lass' ich mir gefallen," sagte der Schneider; „dann brauch' ich
mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen," sprang selbst fort und ries
die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen waren, hieß sie der
Müller Platz nehmen, breitete sein Tuch aus ltitb brachte den Esel in
die Stube. „Jetzt gebt acht," sagte er und rief: „Bricklebrit!" Aber es
fielen keine Goldstücke herab, und es zeigte sich, daß das Tier nichts von
der Kunst verstand; denn es bringt's nicht jeder Esel so weit. Da machte
der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war, und bat
die Verwandten um Verzeihung, die arm heimgingen, wie sie gekommen
waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach der Nadel
greifen und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen,
und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen.
Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen
ergangen wäre, und
hatte, einen Sack und
sagte: „Es liegt ein Knüppel darin." „Den Sack kann ich umhängen, und
er kann mir gute Dienste leisten; aber was soll der Knüppel darin? Der
macht ihn nur schwer." „Das will ich dir sagen," antwortete der Meister,
„hat dir jemand etwas zuleide getan, so sprich nur: ,Knüppel, aus dem
Sack!' so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen
so lustig auf dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen
und bewegen können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst: ,Knüppel,
in den Sack!'" Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn
ihm jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er: „Knüppel
aus dem Sack!" Alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem
nach dem andern den Rock oder das Wams gleich auf dem Rücken aus
Lesebuch sür Mädchen-Mittelschule». Ii. Br. u. Westpr. 12
4.
wie sie der Wirt noch
am letzten Abend um
ihre schönen Wünsch-
dinge gebracht hätte.
Als der Drechsler
nun ausgelernt hatte
und wandern sollte,
so schenkte ihm sein
Meister, weil er sich
so wohl gehalten
1914 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Hrsg.: Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Aber es fielen keine Goldstücke herab, und es zeigte sich, daß das Tier nichts
von der Kunst verstand; denn es bringt's nicht jeder Esel so weit. Da
machte der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war,
und bat die Verwandten um Verzeihung, die arm heimgingen, wie sie
gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach
der Nadel greifen und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
4.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen,
und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen.
Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen
ergangen wäre, und
wie sie der Wirt noch
am letzten Abend um
ihre schönen Wünsch-
dinge gebracht hätte.
Als der Drechsler
nun ausgelernt hatte
und wandern sollte,
so schenkte ihm sein
Meister, weil er sich
so wohl gehalten
hatte, einen Sack
und sagte: „Es liegt ein Knüppel darin." „Den Sack kann ich umhängen;
und er kann mir gute Dienste leisten; aber was soll der Knüppel darin?
Der macht ihn nur schwer." „Das will ich dir sagen," antwortete der Meister,
„hat dir jemand etwas zuleide getan, so sprich nur: Knüppel, aus dem Sack!'
so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig
auf dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen
können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst: Knüppel, in den
Sack!'" Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm
jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er: „Knüppel,
aus dem Sack!" Alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem
nach dem andern den Rock oder das Wams gleich auf dem Rücken aus
und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so
geschwind, daß, ehe sich's einer versah, die Reihe schon an ihm war.
Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an,
wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor
sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges
in der Welt gesehen habe. „Ja," sagte er, „man findet wohl ein Tischchen
Porger-Wolfs, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen. Ii. 12
Zeichnung von Ludwig Richter.
1912 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Koch, Hermann
- Hrsg.: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
es fielen keine Goldstücke herab, und es zeigte sich, daß das Tier nichts
von der Kunst verstand; denn es bringt's nicht jeder Esel so weit. Da
machte der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war,
und bat die Verwandten um Verzeihung, die arm heimgingen, wie sie
gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach
der Nadel greisen und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
4.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen^
und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen.
Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen
ergangen wäre, und
wie sie der Wirt noch
am letzten Abend um
ihre schönen Wünsch-
dinge gebracht hätte.
Als der Drechsler
nun ausgelernt hatte
und wandern sollte,
so schenkte ihm sein
Meister, weil er sich
so wohl gehalten
hatte, einen Sack
und sagte: „Es liegt ein Knüppel darin." „Den Sack kann ich umhängen;
und er kann mir gute Dienste leisten; aber was soll der Knüppel darin?
Der macht ihn nur schwer." „Das will ich dir sagen," antwortete der Meister,
„hat dir jemand etwas zuleide getan, so sprich nur: Knüppel, aus dem Sack!'
so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig
auf dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen
können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst: Knüppel, in den
Sack!'" Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm
jemand zu nahe kam und aus den Leib wollte, so sprach er: „Knüppel,
aus dem Sack!" Alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem
nach dem andern den Rock oder das Wams gleich auf dem Rücken aus
und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so
geschwind, daß, ehe sich's einer versah, die Reihe schon an ihm war.
Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an,
wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor
sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges
in der Welt gesehen habe. „Ja," sagte er, „man findet wohl ein Tischchen
Porger-Wolff, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen. Ii. 12
Zeichnung von Ludwig Richter.
1915 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav, Nückell, K., Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
es fielen keine Goldstücke herab, und es zeigte sich, daß das Tier nichts
von der Kunst verstand; denn es bringt's nicht jeder Esel so weit. Da
machte der arme Mütter ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war,
und bat die Verwandten um Verzeihung, die arm heimgingen, wie sie
gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach
der Nadel greifen und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
4.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen,
und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen.
Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen
ergangen wäre, und
wie sie der Wirt noch
am letzten Abend um
ihre schönen Wünsch-
dinge gebracht hätte.
Als der Drechsler
nun ausgelernt hatte
und wandern sollte,
so schenkte ihm sein
Meister, weil er sich
so wohl gehalten
hatte, einen Sack
und sagte: „Es liegt ein Knüppel darin." „Den Sack kann ich umhängen;
und er kann mir gute Dienste leisten; aber was soll der Knüppel darin?
Der macht ihn nur schwer." „Das will ich dir sagen," antwortete der Meister,
„hat dir jemand etwas zuleide getan, so sprich nur: ,Knüppel, aus dem Sack!'
so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig
ans dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen
können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst: ,Knüppel, in den
Sack!'" Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm
jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er: „Knüppel,
aus dem Sack!" Alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem
nach dem andern den Rock oder das Wams gleich auf dem Rücken aus
und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so
geschwind, daß, ehe sich's einer versah, die Reihe schon an ihm war.
Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an,
wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor
sich auf dem Tisch und stng an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges
in der Welt gesehen habe. „Ja," sagte er, „man findet wohl ein Tischchen
Porger-Wolfs, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen, Ii. Hessen-Nassau. 12
Zeichnung von Ludwig Richter.
1911 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Günther, Fr., Tews, Joh., Hahn, R., Ernst, Albert
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule, Mädchenschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): Mädchen
28 v^av^nv^amnvza
Drechsler: „Wo du das Tischchen deck' dich und den Goldesel nicht
wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen." „Ach nein,"
rief der Wirt ganz kleinlaut, „ich gebe alles gerne wieder heraus;
laßt nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen." Da
sprach der Geselle: „Ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber
hüte dich vor Schaden!" Dann rief er: „Knüppel, in den Sack!" und
ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am andern Morgen mit dem Tischchen deck' dich
und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als
er ihn wiedersah, und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt
hätte. „Lieber Vater," antwortete er, „ich bin ein Drechsler geworden."
„Ein kunstreiches Handwerk," sagte der Vater, „was hast du von
der Wanderschaft mitgebracht?" „Ein kostbares Stück, lieber Vater,"
antwortete der Sohn, „einen Knüppel in dem Sack." „Was!" rief
der Vater, „einen Knüppel? Das ist der Mühe wert! Den kannst du
dir von jedem Baume abhauen." „Aber einen solchen nicht, lieber
Vater; sage ich: ,Knüppel, aus dem Sack', so springt der Knüppel
heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen
schlimmen Tanz und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde
liegt und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe
ich das Tischchen deck' dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die
der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt
sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein: ich will sie speisen und
tränken und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen." Der alte
Schneider wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten
zusammen. Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den
Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder,
sprich mit ihm." Der Müller sagte: „Bricklebrit", und augenblicklich
sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen,
1917 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Hrsg.: Kloss, Katharina, Porger, Gustav, Biastoch, Otto, Lemp, Eleonore
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
wortete er, „ich bin ein Drechsler geworden." „Ein kunstreiches Hand-
werk," sagte der Vater; „was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?"
„Ein kostbares Stück, lieber Vater," sprach der Sohn, „einen Knüppel
in dem Sack." „Was," rief der Vater, „einen Knüppel? Das ist der
Miihe wert! Den kannst du dir von jedem Baume abhauen." „Aber
einen solchen nicht, lieber Vater; sage ich: ,Knüppel, aus dem Sack!'
so springt der Knüppel Heralls und macht mit dem, der es nicht gut mit
mir meint, einen schlimmen Tanz und läßt nicht eher nach, als bis er
auf der Erde liegt und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem
Knüppel habe ich das Tischchen deck' dich und den Goldesel wieder herbei-
geschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt
laßt sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen
und tränken lind will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen." Der alte
Schneider wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten
zusammen. Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den
Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder,
sprich mit ihm!" Der Müller sagte: „Bricklebrit!" und augenblicklich
sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen,
und der Esel hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie
nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dir's an, du wärst auch gerne
dabeigewesen.) Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte:
„Lieber Bruder, nun sprich mit ihm!" Und kaum hatte der Schreiner
„Tischchen, deck' dich!" gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten
Schüsseln reichlich besetzt. Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute
Schneider noch keine in seinem Hause erlebt hatte, und die ganze Verwandt-
schaft blieb beisammen bis in die Nacht, und waren alle lustig und ver-
gnügt. Der Schneider verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in
einen Schrank und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
5.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die Schuld war, daß der
Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie
schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und
verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Hause kam, funkelten ihm ein
Paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und
wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz ver-
stört aussah, so sprach er: „Was ist dir, Bruder Fuchs? Was machst
du für ein Gesicht?" „Ach," antwortete der Rote, „ein grimmig Tier
sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt."
1914 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Hrsg.: Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
dir von jedem Baume abhauen." „Aber einen solchen nicht, lieber
Vater; sage ich: Knüppel, aus dem Sack!' so springt der Knüppel
heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen
schlimmen Tanz und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt
und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich
das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der
diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide
rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken
und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen." Der alte Schneider
wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen.
Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel
herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder, sprich mit
ihm!" Der Müller sagte: „Bricklebrit!" und augenblicklich sprangen die
Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel
hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie nicht mehr
tragen konnten. (Ich sehe dir's an, du wärst auch gerne dabeigewesen.)
Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte: „Lieber Bruder, nun
sprich mit ihm!" Und kaum hatte der Schreiner „Tischchen, deck dich!"
gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt.
Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in
seinem Hause erlebt hatte, und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen
bis in die Nacht, und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider
verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank und
lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
5.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der
Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie
schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und
verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein
Paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und
wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz ver-
stört aussah, so sprach er: „Was ist dir, Bruder Fuchs? Was machst
du für ein Gesicht?" „Ach," antwortete der Rote, „ein grimmig Tier
sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt."
„Das wollen wir bald austreiben," sprach der Bär, ging mit zu der
Höhle und schaute hinein. Als er aber die feurigen Angen erblickte,
wandelte ihn ebenfalls Furcht an; er wollte mit dem grimmigen Tiere
nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und
da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach
1912 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Koch, Hermann
- Hrsg.: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
dir von jedem Baume abhauen." „Aber einen solchen nicht, lieber
Vaters sage ich: Knüppel, aus dem Sack!' so springt der Knüppel
heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen
schlimmen Tanz und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt
und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich
das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der
diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide
rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken
und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen." Der alte Schneider
wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen.
Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel
herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder, sprich mit
ihm!" Der Müller sagte: „Bricklebrit!" und augenblicklich sprangen die
Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel
hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie nicht mehr
tragen konnten. (Ich sehe dir's an, du wärst auch gerne dabeigewesen.)
Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte: „Lieber Bruder, nun
sprich mit ihm!" Und kaum hatte der Schreiner „Tischchen, deck dich!"
gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt.
Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in
seinem Hause erlebt hatte, und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen
bis in die Nacht, und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider
verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank und
lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
5.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der
Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie
schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und
verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein
Paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und
wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz ver-
stört aussah, so sprach er: „Was ist dir, Bruder Fuchs? Was machst
du für ein Gesicht?" „Ach," antwortete der Rote, „ein grimmig Tier
sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt."
„Das wollen wir bald austreiben," sprach der Bär, ging mit zu der
Höhle und schaute hinein. Als er aber die feurigen Augen erblickte,
wandelte ihn ebenfalls Furcht an; er wollte mit dem grimmigen Tiere
nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und
da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach
12*
m
1915 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav, Nückell, K., Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
dir von jedem Baume abhauen." „Aber einen solchen nicht, lieber
Vater; sage ich: Knüppel, aus dem Sack!' so springt der Knüppel
heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen
schlimmen Tanz und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt
und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich
das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der
diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide
rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken
und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen." Der alte Schneider
wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen.
Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel
herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder, sprich mit
ihm!" Der Müller sagte: „Bricklebrit!" und augenblicklich sprangen die
Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel
hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie nicht mehr
tragen konnten. (Ich sehe dir's an, du wärst auch gerne dabeigewesen.)
Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte: „Lieber Bruder, nun
sprich mit ihm!" Und kaum hatte der Schreiner „Tischchen, deck dich!"
gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt.
Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in
seinem Hause erlebt hatte, und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen
bis in die Nacht, und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider
verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank und
lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
5.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der
Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie
schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und
verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein
Paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und
wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz ver-
stört aussah, so sprach er: „Was ist dir, Bruder Fuchs? Was machst
du für ein Gesicht?" „Ach," antwortete der Rote, „ein grimmig Tier
sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt."
„Das wollen wir bald austreiben," sprach der Bär, ging mit zu der
Höhle und schaute hinein. Als er aber die feurigen Augen erblickte,
wandelte ihn ebenfalls Furcht an; er wollte mit dem grimmigen Tiere
nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und
da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach
12*
1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
und augenblicklich fing das Tier an, Gold zu speien, daß es ordentlich
auf die Erde herabregnete. „Ei der tausend," sagte der Wirt, „da sind
die Dukaten bald geprägt! So ein Geldbeutel ist nicht übel." Der
Gast -bezahlte seine Zeche und legte sich schlafen; der Wirt aber schlich
in der Nacht herab in den Stall, führte den Münzmeister weg und band
einen andern Esel an seine Stelle. Den folgenden Morgen in der Frühe
zog der Geselle mit seinem Esel ab und meinte, er hätte seinen Goldesel.
Mittags kam er bei seinem Vater an, der sich freute, als er ihn
wiedersah, und ihn gern aufnahm. „Was ist aus dir geworden, mein
Sohn?" fragte der Alte. „Ein Müller, lieber Vater," antwortete er.
„Was hast du von deiner Wander-
schaft mitgebracht?" „Weiter nichts
als einen Esel." „Esel gibt’§ hier
genug," sagte der Vater, „da wäre mir
doch eine gute Ziege lieber gewesen."
„Ja," antwortete der Sohn, „aber es
ist kein gemeiner Esel, sondern ein
Goldesel; wenn ich sage,Bricklebrittz
so speit Euch das gute Tier ein ganzes
Tuch voll Goldstücke. Laßt nur alle
Verwandten herbeirufen, ich mache sie
alle zu reichen Leuten." „Das lass'
ich mir gefallen," sagte der Schneider;
„dann brauch' ich mich mit der Nadel
nicht weiter zu quälen," sprang selbst
fort und rief die Verwandten herbei.
Sobald sie beisammen waren, hieß sie Zeichnung von Ludwig Richter.
der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus und brachte den Esel
in die Stube. „Jetzt gebt acht," sagte er und rief: „Bricklebrit!" Aber
es fielen keine Goldstücke herab, und es zeigte sich, daß das Tier nichts
von der Kunst verstand; denn es bringt's nicht jeder Esel so weit. Da
machte der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war,
und bat die Verwandten um Verzeihung, die arm heimgingen, wie sie
gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach
der Nadel greifen und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
4.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen,
und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen.
L>eine Brüder aber meldeten ihm in einem Briese, wie schlimm es ihnen
1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
ergangen wäre, und
wie sie der Wirt noch
am letzten Abend um
ihre schönen Wünsch-
dinge gebracht hätte.
Als der Drechsler
nun ausgelernt hatte
und wandern sollte,
so schenkte ihm sein
Meister, weil er sich
so wohl gehalten
hatte, einen Sack und sagte: „Es liegt ein Knüppel darin." „Den
Sack kann ich umhängen, und er kann mir gute Dienste leisten; aber
was soll der Knüppel darin? Der macht ihn nur schwer." „Das
will ich dir sagen," antwortete der Meister; „hat dir jemand etwas
zuleide getan, so sprich nur: ,Knüppel, aus dem Sack!' so springt dir
der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig auf dem
Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen
können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst: ,Knüppel, in den
Sack!'" Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm
jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er: „Knüppel,
aus dem Sack!" Alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem
nach dem andern den Rock oder das Wams gleich auf dem Rücken aus
und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so
geschwind, daß, ehe sich's einer versah, die Reihe schon an ihm war.
Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an,
wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor
sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges
in der Welt gesehen habe. „Ja," sagte er, „man findet wohl ein Tischchen
deck' dich, einen Goldesel und dergleichen, lauter gute Dinge, die ich nicht
verachte; aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben
habe und mit mir da in meinem Sack führe." Der Wirt spitzte die
Ohren. Was in aller Welt mag das sein? dachte er, der Sack ist wohl
mit lauter Edelsteinen angefüllt; den sollte ich billig auch noch haben;
denn aller guten Dinge sind drei. Als Schlafenszeit war, streckte sich
der Gast aus die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der
Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei, rückte
und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht
wegziehen und einen andern unterlegen konnte. Der Drechsler aber hatte
1914 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Hrsg.: Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
176
sagte, er solle nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große
Augen, lief und suchte das Beste, was er auftreiben konnte. Nach der
Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre; der Wirt wollte
die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke
müßte er zulegen. Der Geselle griff in die Tasche; aber sein Gold war
eben zu Ende. „Wartet einen Augenblick, Herr Wirt," sprach er, „ich
will nur gehen und Geld holen," nahm aber das Tischtuch mit. Der
Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach,
und da der Gast die Stalltür zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch.
Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief „Bricklebrit!",
und augenblicklich fing das Tier an,
Gold zu speien, daß es ordentlich
auf die Erde herabregnete. „Ei der
tausend," sagte der Wirt, „da sind
die Dukaten bald geprägt! So ein
Geldbeutel ist nicht übel." Der Gast
bezahlte seine Zeche und legte sich
schlafen; der Wirt aber schlich in der
Nacht herab in den Stall, führte den
Münzmeister weg und band einen
andern Esel an seine Stelle. Den
folgenden Morgen in der Frühe zog
der Geselle mit seinem Esel ab und
meinte, er hätte seinen Goldesel.
Mittags kam er bei seinem Vater
an, der sich freute, als er ihn wieder-
sah, und ihn gern aufnahm. „Was ist
aus dir geworden, mein Sohn?" fragte
der Alte. „Ein Müller, lieber Vater," antwortete er. „Was hast du von
deiner Wanderschaft mitgebracht?" „Weiter nichts als einen Esel." „Esel
gibt's hier genug," sagte der Vater, „da wäre mir doch eine gute Ziege lieber
gewesen." „Ja," antwortete der Sohn, „aber es ist kein gemeiner Esel,
sondern ein Goldesel; wenn ich sage,Bricklebrit!', so speit Euch das gute Tier
ein ganzes Tuch voll Goldstücke. Laßt nur alle Verwandten herbeirufen,
ich mache sie alle zu reichen Leuten." „Das lass' ich mir gefallen," sagte
der Schneider; „dann brauch' ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen,"
sprang selbst fort und rief die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen
waren, hieß sie der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus und brachte
den Esel in die Stube. „Jetzt gebt acht," sagte er und rief: „Bricklebrit!"
Cst
Zeichnung von Ludwig Richter.
1912 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Koch, Hermann
- Hrsg.: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
176 0707070707070707070707070707 070707070707
sagte, er solle nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große
Augen, lief und suchte das Beste, was er auftreiben konnte. Nach der
Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre; der Wirt wollte
die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke
müßte er zulegen. Der Geselle griff in die Tasche; aber sein Geld war
eben zu Ende. „Wartet einen Augenblick, Herr Wirt," sprach er, „ich
will nur gehen und Geld holen," nahm aber das Tischtuch mit. Der
Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach,
und da der Gast die Stalltür zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch.
Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief „Bricklebrit!"
und augenblicklich fing das Tier an,
Gold zu speien, daß es ordentlich
auf die Erde herabregnete. „Ei der
tausend," sagte der Wirt, „da sind
die Dukaten bald geprägt! So ein
Geldbeutel ist nicht übel." Der Gast
bezahlte seine Zeche und legte sich
schlafen; der Wirt aber schlich in der
Nacht herab in den Stall, führte den
Münzmeister weg und band einen
andern Esel an seine Stelle. Den
folgenden Morgen in der Frühe zog
der Geselle mit seinem Esel ab und
meinte, er hätte seinen Goldesel.
Mittags kam er bei seinem Vater
an, der sich freute, als er ihn wiedersah,
Zeichnung von Ludwig Richter. und ihn gern aufnahm. „Was ist aus
dir geworden, mein Sohn?" fragte der Alte. „Ein Müller, lieber Vater,"
antwortete er. „Was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?" „Weiter
nichts als einen Esel." „Esel gibt's hier genug," sagte der Vater, „da wäre
mir doch eine gute Ziege lieber gewesen." „Ja," antwortete der Sohn,
„aber es ist kein gemeiner Esel, sondern ein Goldesel; wenn ich sage
,Bricklebrit!' so speit Euch das gute Tier ein ganzes Tuch voll Goldstücke.
Laßt nur alle Verwandten herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen
Leuten." „Das lass' ich mir gefallen," sagte der Schneider; „dann
brauch' ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen," sprang selbst
fort und rief die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen waren, hieß
sie der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus und brachte den Esel
in die Stube. „Jetzt gebt acht," sagte er und rief: „Bricklebrit!" Aber
1915 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav, Nückell, K., Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
176
sagte, er solle nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große
Augen, lief und suchte das Beste, was er auftreiben konnte. Nach der
Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre; der Wirt wollte
die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke
müßte er zulegen. Der Geselle griff in die Tasche; aber sein Gold war
eben zu Ende. „Wartet einen Augenblick, Herr Wirt," sprach er, „ich
will nur gehen und Geld holen," nahm aber das Tischtuch mit. Der
Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach,
und da der Gast die Stalltür zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch.
Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief „Bricklebrit!",
und augenblicklich fing das Tier an,
Gold zu speien, daß es ordentlich
auf die Erde herabregnete. „Ei der
tausend," sagte der Wirt, „da sind
die Dukaten bald geprägt! So ein
Geldbeutel ist nicht übel." Der Gast
bezahlte seine Zeche und legte sich
schlafen; der Wirt aber schlich in der
Nacht herab in den Stall, führte den
Münzmeister weg und band einen
andern Esel an seine Stelle. Den
folgenden Morgen in der Frühe zog
der Geselle mit seinem Esel ab und
meinte, er hätte seinen Goldesel.
Mittags kam er bei seinem Vater
an, der sich freute, als er ihn wieder-
sah, und ihn gern aufnahm. „Was ist
aus dir geworden, mein Sohn?" fragte
der Alte. „Ein Müller, lieber Vater," antwortete er. „Was hast du von
deiner Wanderschaft mitgebracht?" „Weiter nichts als einen Esel." „Esel
gibt's hier genug," sagte der Vater, „da wäre mir doch eine gute Ziege lieber
gewesen." „Ja," antwortete der Sohn, „aber es ist kein gemeiner Esel,
sondern ein Goldesel; wenn ich sage,Bricklebrit!', so speit Euch das gute Tier
ein ganzes Tuch voll Goldstücke. Laßt nur alle Verwandten herbeirufen,
ich mache sie alle zu reichen Leuten." „Das lass' ich mir gefallen," sagte
der Schneider; „dann brauch' ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen,"
sprang selbst fort und rief die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen
waren, hieß sie der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus und brachte
den Esel in die Stube. „Jetzt gebt acht," sagte er und rief: „Bricklebrit!"
Zeichnung von Ludwig Richter.
1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
172 070707070707070707070707070707<070707<07<0707
sich, daß er wie ein Lügner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn
aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heimwandern. Der
Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn
aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
3.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in
die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister:
„Weil du dich so wohl gehalten hast, schenke ich dir einen Esel von einer
besonderen Art; er zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke."
„Wozu ist er denn nütze?" fragte der junge Geselle. „Er speit Gold,"
antwortete der Müller; „wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst:
,Bricklebrit'! so speit dir das gute Tier Goldstücke aus." „Das ist eine
schöne Sache," sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die
Welt. Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel
„Bricklebrit" zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter
keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm
nur das Beste gut genug, und je teurer, je lieber; denn er hatte immer
einen vollen Beutel.
Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er:
„Du mußt deinen Vater aussuchen; wenn du mit dem Goldesel kommst,
so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen." Es trug
sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder
das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und
der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden; der junge Geselle
aber sprach: „Gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich
selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an; denn ich muß wissen,
wo er steht." Dem Wirt kam das wunderlich vor, und er meinte, einer,
der seinen Esel selbst besorgen müßte, hätte nicht viel zu verzehren. Als
aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und
sagte, er solle nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große
Augen, lief und suchte das Beste, was er auftreiben konnte. Nach der
Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre; der Wirt wollte
die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke
müßte er zulegen. Der Geselle griff in die Tasche; aber sein Gold war
eben zu Ende. „Wartet einen Augenblick, Herr Wirt," sprach er, „ich
will nur gehen und Geld holen," nahm aber das Tischtuch mit. Der
Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach,
und da der Gast die Stalltür zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch.
Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief „Bricklebrit!"
1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
schon lange darauf gewartet; wie nun der Wirt eben einen herzhaften
Ruck tun wollte, rief er: „Knüppel, aus dem Sack!" Alsbald fuhr das
Knüppelchen heraus, dem Wirte auf den Leib und rieb ihm die Nähte,
daß es eine Art hatte. Der Wirt schrie zum Erbarmen; aber je lauter-
er schrie, desto kräftiger schlug der Knüppel ihm den Takt dazu auf
dem Rücken, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel. Da sprach der
Drechsler: „Wo du das Tischchen deck dich und den Goldesel nicht wieder
herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen." „Ach nein," rief
der Wirt ganz kleinlaut, „ich gebe alles gerne wieder heraus; laßt nur
den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen." Da sprach der
Geselle: „Ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor
Schaden!" Dann rief er: „Knüppel, in den Sack!" und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am andern Morgen mit dem Tischchen deck dich
und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich,
als er ihn wiedersah, und fragte auch ihn, was er in der Fremde
gelernt hätte. „Lieber Vater," antwortete er, „ich bin ein Drechsler
geworden." „Ein kunstreiches Handwerk," sagte der Vater; „was hast
du von der Wanderschaft mitgebracht?" „Ein kostbares Stück, Ueber
Vater," sprach der Sohn, „einen Knüppel in dem Sack." „Was," rief
der Vater, „einen Knüppel? Das ist der Mühe wert! Den kannst du
dir von jedem Baume abhauen." „Aber einen solchen nicht. Ueber
Vater; sage ich: ,Knüppel, aus dem Sack!' so springt der Knüppel
heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen
schlimmen Tanz und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt
und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich
das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der
diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide
rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken und
will ihnen die Taschen
noch mit Gold füllen."
Der alte Schneider
wollte nicht recht trau-
en, brachte aber doch
die Verwandten zu-
sammen. Da deckte der
Drechsler ein Tuch in
die Stube, führte den
Goldesel herein und
sagtezuseinem Bruder:
Zeichnung von. Ludwig Richter.
1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
176 S7s7<S7<S7<S7s7<S7s7<S7<S7<S7<S7<S7s7<S7s7s7s7s7s7<S7
„Nun, lieber Bruder, sprich mit ihm!" Der Müller sagte: „Bricklebrit!"
und augenblicklich sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein
Platzregen, und der Esel hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten,
daß sie nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dir's an, du wärst auch
gerne dabeigewesen.) Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte:
„Lieber Bruder, nun sprich mit ihm!" Und kaum hatte der Schreiner
„Tischchen, deck dich!" gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten
Schüsseln reichlich besetzt. Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute
Schneider noch keine in seinem Hause erlebt hatte, und die ganze Verwandt-
schaft blieb beisammen bis in die Nacht, und waren alle lustig und ver-
gnügt. Der Schneider verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in
einen Schrank und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
5.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der
Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie
schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lies in eine Fuchshöhle und
verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein
Paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und
wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz ver-
stört aussah, so sprach er: „Was ist dir, Bruder Fuchs? Was machst
du für ein Gesicht?" „Ach," antwortete der Rote, „ein grimmig Tier
sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt."
„Das wollen wir bald austreiben," sprach der Bär, ging mit zu der
Höhle und schaute hinein. Als er aber die feurigen Augen erblickte,
wandelte ihn ebenfalls Furcht an; er wollte mit dem grimmigen Tiere
nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und
da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach
sie: „Bär, du machst ja ein gewaltig verdrießlich Gesicht, wo ist deine
Lustigkeit geblieben?" „Du hast gut reden," antwortete der Bär; „es
sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen in dem Hause des Roten, und
wir können es nicht herausjagen." Die Biene sprach: „Du dauerst
mich, Bär. Ich bin ein armes, schwaches Geschöpf, das ihr im Wege
nicht anguckt; aber ich glaube doch, daß ich euch helfen kann." Sie flog
in die Fuchshöhle, setzte sich der Ziege auf den glatten, geschorenen Kops
und stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrie und wie
toll in die Welt hineinlief, und weiß niemand bis auf diese Stunde,
wo sie hingelaufen ist.
<S7<S7s7s7s7s7s7<S7s7<S7s7<S7<S7s7s7s7s7<S7s7<S7s7s7s7
1917 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Hrsg.: Kloss, Katharina, Porger, Gustav, Biastoch, Otto, Lemp, Eleonore
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
ihm. „Vater, ich bin ein Schreiner geworden." „Ein gutes Handwerk,"
erwiderte der Alte, „aber was hast du von deiner Wanderschaft mit-
gebracht?" „Vater, das Beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen."
Der Schneider betrachtete es von allen Seiten und sagte: „Daran hast
du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen."
„Aber es ist ein ,Tischchen deck' dich'," antwortete der Sohn; „wenn ich
es hinstelle und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten
Gerichte darauf und ein Wein dabei, der das Herz erfreut. Ladet nur
alle Verwandten und Freunde ein, die sollen sich einmal laben und
erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt." Als die Gesellschaft
beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach:
„Tischchen, deck' dich!" Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so
leer wie ein anderer Tisch, der die Sprache nicht versteht. Da merkte
der arme Geselle, daß ihm das Tischchen vertauscht war, und schämte
sich, daß er wie ein Lügner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn
aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heimwandern. Der
Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn
aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
3.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in
die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister:
„Weil du dich so wohl gehalten hast, schenke ich dir einen Esel von einer
besonderen Art; er zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke."
„Wozu ist er denn nütze?" fragte der junge Geselle. „Er speit Gold,"
antwortete der Müller; „wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst:
,Bricklebrit!' so speit dir das gute Tier Goldstücke aus." „Das ist eine
schöne Sache," sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die
Welt. Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel
„Bricklebrit" zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter
keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm
nur das Beste gut genug, und je teurer, je lieber; denn er hatte immer
einen vollen Beutel.
Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er:
„Du mußt deinen Vater aufsuchen; wenn du mit dem Goldesel kommst,
so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen." Es trug
sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder
das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und
der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden; der junge Geselle
aber sprach: „Gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich
1912 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Koch, Hermann
- Hrsg.: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen."
„Aber es ist ein ,Tischchen deck' dich'," antwortete der Sohn; „wenn ich
es hinstelle und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten
Gerichte darauf und ein Wein dabei, der das Herz erfreut. Ladet nur
alle Verwandten imb Freunde ein, die sollen sich einmal laben und
erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt." Als die Gesellschaft
beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach;
„Tischchen, deck' dich!" Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so
leer wie ein anderer Tisch, der die Sprache nicht versteht. Da merkte
der arme Geselle, daß ihm das Tischchen vertauscht war, und schämte
sich, das; er wie ein Liigner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn
aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heimwandern. Der
Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn
aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
3.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in
die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister:
„Weil du dich so wohl gehalten hast, schenke ich dir einen Esel von einer
besonderen Art; er Zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke."
„Wozu ist er denn nütze?" fragte der junge Geselle. „Er speit Gold,"
antwortete der Müller; „wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst:
,Bricklebrit!' so speit dir das gute Tier Goldstücke aus." „Das ist eine
schöne Sache," sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die
Welt. Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel
„Bricklebrit" zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter
keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm
nur das Beste gut genug, und je teurer, je lieber; denn er hatte immer
einen vollen Beutel.
Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er:
„Du mußt deinen Vater aufsuchen; wenn du mit dem Goldesel kommst,
so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen." Es trug
sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder
das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und
der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden; der junge Geselle
aber sprach: „Gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich
selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an; denn ich muß wissen,
wo er steht." Dem Wirt kam es wunderlich vor, und er meinte, einer,
der seinen Esel selbst besorgen müßte, hätte nicht viel zu verzehren. Als
aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und
1915 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav, Nückell, K., Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
bu kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen."
„Aber es ist ein ,Tischchen deck' dich'," antwortete der Sohn; „wenn ich
es hinstelle und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten
Gerichte daraus und ein Wein dabei, der das Herz erfreut. Ladet nur
alle Verwandten und Freunde ein, die sollen sich einmal laben und
erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt." Als die Gesellschaft
beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach:
„Tischchen, deck' dich!" Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so
leer wie ein anderer Tisch, der die Sprache nicht versteht. Da merkte
der arme Geselle, daß ihm das Tischchen vertauscht war, und schämte
sich, daß er wie ein Lügner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn
aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heimwandern. Der
Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn
aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
3.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in
die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister:
„Weil du dich so wohl gehalten hast, schenke ich dir einen Esel von einer
besonderen Art; er zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke."
„Wozu ist er denn nütze?" fragte der junge Geselle. „Er speit Gold,"
antwortete der Müller; „wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst:
,Bricklebrit!' so speit dir das gute Tier Goldstücke aus." „Das ist eine
schöne Sache," sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die
Welt. Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel
„Bricklebrit" zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter
keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm
nur das Beste gut genug, und je teurer, je lieber; denn er hatte immer
einen vollen Beutel.
Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er:
„Du mußt deinen Vater aufsuchen; wenn du mit dem Goldesel kommst,
so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen." Es trug
sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder
das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und
der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden; der junge Geselle
aber sprach: „Gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich
selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an; denn ich muß wissen,
wo er steht." Dem Wirt kam es wunderlich vor, und er meinte, einer,
der seinen Esel selbst besorgen müßte, hätte nicht viel zu verzehren. Als
aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und