Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 32 —
blickte, war Frau Eleonore. Ihrem Scharfblicke war es nicht verborgen geblieben, daß nur ihrer Tochter großes Vermögen die Ursache war, wenn jetzt von Hannover ein anderer Wind wehte, daß aber im übrigen die Gesinnungen der Verwandten noch dieselben waren, wie ehedem. Aber es war vergeblich, daß sie ihre warnende Stimme erhob. Ihr Gemahl Georg Wilhelm war durch die Worte Platens und Berustorsfs ganz und gar überzeugt, daß nur Glück aus dieser Verbindung erblühen werde, und selbst ihre Tochter sah mit jugendlichem Leichtsinn darüber hinweg, daß der Bräutigam immer noch verzog, nach Celle zu kommen und die Braut zu begrüßen. Statt seiner kam nach einiger Zeit Graf Platen noch einmal im Auftrage seines Herrn mit der Meldung, daß der Kurprinz bereitwilligst seine Zustimmung zu dem Heiratsplane gegeben habe und daß selbst die Kurfürstin demselben nicht mehr abgeneigt sei. Alles, meldete er, sei bereit, die Braut zu empfangen; im Schlosse werde eine ganze Zimmerreihe neu eingerichtet, um ihr als Wohnung zu dienen, und die Bürgerschaft der guten Stadt Hannover sinne bereits darauf, wie man der neuen Herrin eine glänzende Huldigung bereiten könne. Zugleich brachte Graf Platen im Namen des Prinzen herrliche Geschenke für die jugendliche Braut, — und obgleich es ihr nicht an Schmucksachen und Geschmeide fehlte, so hatte sie doch eine kindliche Freude an den glänzenden Sachen, die ihr erstes Brautgeschenk bildeten. Stundenlang saß sie am Schmuck' kästchen und ließ die kostbaren Steine und Perlen durch ihre zarten Finger gleiten, befestigte dieselben in ihren üppigen blonden Haaren und beschaute sich im Spiegel, und sie stellte es sich vor, wie herrlich diese Kleinodien glänzen würden im Wiederschein der unzähligen Kerzen bei den prunkhaften Hoffesten im kurfürstlichen Schlosse zu Hannover, die ihr so feenhaft geschildert worden waren, denen sie aber niemals beigewohnt hatte. Jetzt aber, so träumte sie, sollte sie der Mittelpunkt dieser Feste werden, und noch mehr als aller Schmuck würde sie selbst strahlen im Glanze aufrichtigen Glückes an der Seite
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Extrahierte Personennamen: Eleonore Georg_Wilhelm Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Hannover Celle Hannover Hannover
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
- 49 —
Seit Du vor Szegedin an den grünen Ufern der Theiß mit dem schmucken deutschen Krieger geplaudert, der mit vollen Händen weiße und rotgoldene Münzen unter die Kinder warf und auch Du darnach haschtest, seitdem ist Dir der Kopf verdreht. Ich weiß zwar nicht, wovon Ihr redetet, aber das weiß ich, daß Du seit der Zeit nicht mehr die alte Lischka bist. Dein Frohsinn ist dahin, Dein heiterer Gesang ist verstummt. Kind, Kind, hüte Dich vor den weißen Männern! Ihr Herz ist falsch, sie reden heute freundlich mit dem armen brannen Mädchen von Glück und Liebe, aber wenn sie den Rücken gewendet haben, so haben sie es vergessen und Dir bleibt nichts als Herzeleid und Schande!"
»Das sagst Dn immer, Mutter", antwortete Lischka. „Ich weiß es ja wohl, daß die weißen Männer, wenn sie mit uns tändeln und spielen, uns nur als ein Spielzeug ansehen, das man achtlos beiseite schiebt, wenn man seiner überdrüssig geworden, aber der Ritter, von dem Du sprichst, Mutter, ist nicht von dieser Art. Er hat mir nichts gesagt, was Du oder der Dade nicht hätte hören dürfen. Er war ein armer Mann, mit tiefer Sehnsucht im Herzen nach einer weißen Jungfrau hier in diesem Nordlande, und davon hat er mit mir geredet, als ich ihn fragte, warum er so traurig sei und so ganz anders als seine Kameraden. Aber ich, Mutter, ich liebe ihn, obgleich er mir niemals von Liebe gesprochen, und siehe, darum mochte ich fort, fort aus diesem Lande. Ich fürchte stets, ihr zu begegnen, der das Herz des blajsen Kriegers gehört. Ich vermöchte es nicht, ihren Anblick zu ertragen. Laß uns umkehren nach der grünen Pußta; dort, wo der Ungar und der Deutsche im Kampfe stehen gegen den Türken, dort allein, in der Nähe des Geliebten, kann ich froh und glücklich sein".
Schweigend hatte die Alte der Tochter zugehört; ihre Gestalt war bei den letzten Worten noch mehr zusammengesunken, mit ihren dürren Händen streichelte sie das schwarze Haar ihres Lieblings. „Armes, armes Kind", flüsterte sie leise. Dann aber sprach sie lauter: „Kennst
Tiemann. Die Burgfrau von Ahlden 4
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 52 —
Plötzlich wurde die alte Zigeunerin aus ihren Grübeleien aufgeschreckt; die Wagen hielten an, Rufen und Schreien dnrcht'önte die lange Reihe der heimatlosen Wanderer. Etwas Ungewöhnliches mußte geschehen sein; deshalb öffnete sie das Fenster ihres fahrenden Hauses und rief mit scharfer Stimme ihrem Manne zu: „Ja-gello, was giebt's? Warum fahren wir nicht weiter?" Der Häuptling deutete mit der Hand nach Norden, wo in der Ferne ein Zug von Reitern und Fuhrwerken bemerkbar war. „Fahrendes Volk kommt uns entgegen", antwortete er; „ich weiß doch, daß in der ganzen Gegend zur Zeit keine andere Familie unseres Volkes weilt, außer der nnsrigen. Wer mag es sein, und in welcher Absicht kreuzen sie unsern Weg?" Einige jüngere Männer waren aber bereits eine Strecke vorausgelaufen und blickten mit ihren scharfen Augen den Näherkommenden entgegen. „Sie gehören nicht zu unserm Volke", verkündeten sie dem Häuptling; „eine vornehme Gesellschaft scheint es zu sein, die Sonne spiegelt sich in den Glasfenstern der Karossen und im Winde wehen die Helmbüsche der Ritter. Was sollen wir thun, Dade? sollen wir ausweichen und uns hinter jenem Föhrenkampe verbergen, oder sollen wir mutig die Fremden erwarten?" Unschlüssig blickte bei dieser Frage der Häuptling auf seine Frau, als erwarte er von ihr die Antwort; diese aber entschied: „Warum sollen wir ausweichen vor Leuten, die wir nicht kennen? Wir weichen keinen Schritt vom Wege, sondern behaupten unsern Platz. Ja noch mehr wollen wir thun, wir wollen den Fremdlingen den Weg verlegen, unsere Wagen querüber die Straße stellen und dieselbe erst wieder frei geben, wenn wir mit einer Gabe abgefunden sind. Sind es vornehme Leute, die des Weges ziehen, so werden sie für uns arme Zigeuner auch wohl ein Scherflein geben, und mit den Waffen dreinschlagen werden sie nicht sogleich".
Diesen mit großer Bestimmtheit gesprochenen Worten folgte alsbald die That. Die Wagen wurden quer über die Straße gezogen, und die ganze Sippschaft stellte sich
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 53 —
vor denselben auf, die ihnen Entgegenkommenden erwartend. Die Zigeunermutter aber sagte leise zu dem Dade: „Ich weiß, daß es ein vornehmer und reicher Herr ist, dem wir begegnen werden. Wie er die ihm bereitete Störung aufnehmen wird, weiß ich zwar nicht, — aber gleichviel. Ich will mich an ihn heranmachen und versuchen, ob es mir gelingt, ihm seine Zukunft zu enthüllen. Ich werde ihm Dinge weissagen, die ihn freuen sollen, und, leichtgläubig, wie die Weißen sind, wird er den Beutel offnen und einige goldene Füchse springen lassen. Leider taugt Lischka heute nicht dazu, ihre Künste zu zeigen; das Mädchen ist wieder schwermütig und dringt auf Umkehr. Wozu ist sie jung und schon, wenn sie ihre Schönheit nicht nützen will? Aber sie wird es nimmer lernen, daß Schönheit für uns so gut ist wie bare Münze".
„Laß das Mädchen", sprach der Dade sanft. „Sie ist nicht, wie die andern Mädchen unseres Stammes. Ihr Geist nimmt höhern Flug; sie kann nicht wie der Igel im Staube kriechen, sie muß sich in die reine Luft erheben wie die Lerche, die der Sonne zustrebt. Oder willst Du ihr die Flügel brechen, daß sie im Sumpf verkümmert?"
Die Alte antwortete nichts, sondern zog sich murrend in das Innere des Wagens zurück; der Häuptling aber ritt an die Spitze seines Zuges wie ein Feldherr, der den heranziehenden Feind erwartet.
Sechstes Kapitel:
Eine Begegnung.
Es ist wohl nicht nötig dem Leser zu verraten, was es für Leute waren, die die Zigeunerfamilie so in Unruhe und Aufregung versetzten. Als die Reiter, die dem jungen fürstlichen Paare voranritten, in der Ferne die Wagenreihe bemerkten, waren sie nicht weniger erstaunt, als die braunen Kinder der Pußta. Zuerst
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 59 —
Während so der Häuptling mit dem Prinzen unterhandelte, waren die Zigeuner näher getreten, zuerst scheu, nach und nach aber dreister werdend. Hie und da wagte schon ein in Lumpen gehülltes Kind oder ein halbwüchsiges Mädchen bittend die Hand auszustrecken und zu rufen: „Gieb, Herr, gieb!" Auch die alte Frau des Dade war aus ihrer Klause herausgetreten, und selbst Lischka konnte der Neugier nicht widerstehen, sich die weißen Männer, ihre Pferde und Wagen anzuschauen. Wohl richtete der Blick der Herren sich auf die herrliche Gestalt, die wie eine Königin einherschritt; wohl flüsterte der eine dem andern zu: „Wahrlich, ein schönes Mädchen!" Aber Lischka that, als höre sie es nicht. Sie schritt ruhig und würdevoll zwischen den Pferden und Wagen einher, hier das prächtige Zaumzeug anstaunend, dort die Sammetpolster eines Wagens mit ihren Fingern betastend. So kam sie auch zu dem Wagen, in welchem Sophie Dorothea saß. Ihre Blicke begegneten sich; starr sah Lischka der Prinzessin eine Weite ins Gesicht, dann fuhr sie mit den Händen zum Herzen und stieß einen leisen Schrei aus, während ihr Antlitz mit einer fahlen Blässe sich überzog. „Sie ist es, sie ist es!" flüsterte sie; „o Gott meine Ahnung!" Die Prinzessin konnte sich das plötzliche Erschrecken des Zigeunermädchens nicht erklären, aber da ihr die anmutige Gestalt Lisch-ka's gefiel, winkte sie dieselbe zu sich. Zögernd kam diese heran; als sie aber dicht bei der Prinzessin war, ergriff sie deren Hand und bedeckte sie mit Thränen und Küssen. Dann sprach sie leise: „Du bist es, die ich gesucht, aber stets gefürchtet habe zu finden. Nicht lange Zeit habe ich mit Dir zu reden; deshalb neige Dein Ohr zu mir, damit ich Dir schnell alles sage. Im fernen Ungarlande, bort bei dem Heere des Kaisers, der im Felde steht gegen die Türken, weilt ein Mann, der Deiner in Liebe gedenkt. Er ist es, der mich zu Dir sendet; er hat mir Dein Bild gezeigt und gesagt, daß die braune Lischka die blasse Dame seines Herzens grüßen soll und ihr sagen, daß er eingedenk ist der
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Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
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Konfession (WdK): offen für alle
— 60 —
Worte, die er Dir beim Abschied zurief. So denkt er Dem alle Tage und Stunden, auf einsamer Feldwacht und im Gewühl des Kampfes; — aber Du — Du — ach ich sehe es, Du hast ihm die Treue gebrochen, Du W das Weib eines andern geworden. Wehe, wehe! Blut und Thränen werden stromweis fließen, bis endlich da§_ Haus zusammenstürzt und Dich und ihn begräbt unter seinen Trümmern!"
Mit fliegender Hast hatte Lischka diese Worte gesprochen, als fürchte sie, gestört zu werden, ehe sie alles gesagt. Die Wirkung derselben war eine furchtbare. Totenblaß saß die Prinzessin, zurückgelehnt in die Polster des Wagens; dann rang sich ein Schrei aus ihrer Brust, so markerschütternd, daß ihre Kammerfrau, die sich für ein Weilchen entfernt hatte, um das fremdartige Getriebe anzusehen, eiligst herbeikam. Als sie das Zigeunermädchen bei ihrer Herrin sah, glaubte sie nicht anders, als daß diese die Ursache der Ohnmacht sei; sie stieß deshalb Lischka zurück und rief laut um Hülfe. Lischka stand unbeweglich, die Hände über der Brust gekreuzt; ihre Wangen waren blaß, sie zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Den Hülferuf der Kammerfrau hatten einige Diener des Prinzen gehört; sie eilten herbei, und als sie vernahmen, daß Lischka es sei, die der Prinzessin ein Leid gethan, gab ein roher Knecht ihr einen Stoß, daß sie taumelte und mit der Stirn hart gegen einen am Wegrande liegenden scharfen Stein schlug. Das helle Blut rieselte ihr über die Stirn, als sie sich mühsam wieder erhob, und, ohne einen Laut von sich zu geben, ihrem Wagen zuwankte; aber es war ihr nicht möglich, ihr Ziel zu erreichen. Eine tiefe Ohnmacht bemächtigte sich auch ihrer, und mit einem Weheruf sank sie abermals zu Boden. Sofort wurde sie von einer Menge ihrer Volksgenossen umringt, die laut schreiend das Ereignis dem Dade, der noch immer mit dem Prinzen sprach, und der Mutter Lischka's verkündeten. Während letztere sich wehklagend über ihre anscheinend leblos am Boden liegende Tochter stürzte, sprach der Häuptling zu
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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Konfession (WdK): offen für alle
— silbern Prinzen: „Treulos haben Deine Knechte gegen meine Kinder gehanbelt. Ich hätte die Macht, blutige Rache zu nehmen, benn der Meinen sinb mehr als der Leute, die um Dich sinb, und auf ein Wort von mir würden sie b-ie in den Wagen verborgenen Waffen ergreifen und mit zerschlagenen Köpfen Euch heimseuben. Aber ich weiß, Du bist nicht schulbig biefes Blutes. Ziehe beshalb in Frieden Deine Straße; aber hüte Dich, daß nicht einmal der Übereifer bei* Deinen Dich ins Unglück stürze. Du bist ein Mensch, wie wir, und auch Dein Geschick ist dem Wechsel unterworfen. Aber eile, eile, daß Du fortkommst von hier; schon sehe ich feiub-selige Blicke auf Dich gerichtet, und bleibst Du länger, so stehe ich nicht bafür, daß der Zorn die Meinen übermannt und sie Dir und den Deinen übel mitspielen. Die Straße ist frei, säume nicht!"
Auf einen Wink des Häuptlings würden nunmehr die Karren beiseite geschoben, so daß der prinzliche Zng vorbeikommen konnte. Laute Verwünschungen tönten hinter ihnen her; aber der Prinz und die Seinen waren klug genug, sie nicht zu hören. Als aber die alte Zigeunerin erfuhr, daß die Weißen sich entfernt, erhob sie sich mühsam, streckte ihre Knochenarme gegen bieselben aus und kreischte so laut sie konnte: „Wehe, wehe über Euch, die Ihr mein Kind getötet! Fluch über alle, die Ihr glaubt besser zu sein als wir!" Gellenb schallten ihre Worte über bte Heide und tönten schauerlich wieder in den Ohren der Forteilenben; auch die aus ihrer Ohnmacht erwachte Prinzessin hörte bieselben, und schaudernb verbarg sie ihr Gesicht in den Hänben und weinte bitterlich.
Die Verwuubung Lischka's war glücklicherweise nicht gefährlich; nach kurzer Rast konnten auch die Zigeuner ihre Wanbernng fortsetzen. Sie thaten _ es schweigend, benn auf die meisten von ihnen hatte biefe Begegnung einen tiefen Einbruck gemacht. Weiter, weiter ging ihre Reife, ohne Ziel, ohne Ende und als nach wenigen Tagen auf Befehl des Kurfürsten Häscher ausgeraubt
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
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Konfession (WdK): offen für alle
— 147 —
Das Wiederauffinden seiner Truppe machte Görgei keine große Mühe, und fast gleichzeitig mit ihm trafen auch die andern Ausgesandten wieder ein. Görgei teilte ihnen nun den Plan mit, wie die glücklich Gefundene entführt werden solle. Die Truppe sollte sich am Fuße des Burgberges lagern, alsdann wollte er Eva von der Burg herunterholen, und so schnell als möglich wollte man alsdann mit ihr entfliehen. Ein langes, starkes Tau, das zur Flucht notwendig war, wurde bald beschafft, und an einem dunkeln Novemberabend wurde das schwierige Werk ausgeführt. Mit Lebensgefahr erklomm Görgei den Felsen und kletterte an dem Epheu empor bis auf das Dach des Turmes. Schnell entfernte er hier einige Ziegel und kroch durch die Öffnung auf den Boden, wo er zuerst die Rolle wieder zu finden suchte, welches ihm ohne Mühe gelang. Er befestigte dieselbe an einem Balken, warf das mitgebrachte Tau darüber und machte an dem einen Ende desselben eine Schlinge. Langsam ließ er sich an dem befestigten Tau bis zu dem Fenster Eva's nieder, klopfte leise an die Scheiben und rief: „Mach auf, der Retter ist da!" Schon im nächsten Augenblicke stand er im Zimmer und bedeutete Eva, sich vertrauensvoll in die Schlinge zu setzen; er werde sie ungefährdet in den Burggraben, wo seine Gefährten sie in Empfang nehmen würden, hinablassen. Eva that, was ihr geheißen wurde, und Görgei band sie zu größerer Sicherheit noch in der Schlinge fest. Während Eva nun so schwebend zwischen Himmel und Erde hing, kletterte Görgei mit katzenartiger Geschwindigkeit wieder auf den Boden, und langsam ließ er dann mittelst der Rolle seine Bürde nach unten. Es war ein Glück, daß völlige Dunkelheit herrschte; sonst würde Eva sicher vom Schwindel erfaßt worden sein und wäre vielleicht doch trotz der haltenden Stricke in den Abgrund hinabgestürzt; so aber kam sie ungefährdet nach unten und wurde von starken Armen in Empfang genommen und von ihren Banden befreit. Ein lauter Zuruf, dem Geschrei des Wildkaters ähnlich, belehrte Görgei, daß die Rettung gelungen sei; da warf er das
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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Konfession (WdK): offen für alle
— 134 —
Ruhe mehr in ihrem Zimmer, sie stand auf und ging in den Schloßgarten hinab; vielleicht wurde sie dort, unter den schattigen Bäumen, Herrin ihrer aufgeregten Gedanken.
In der nordöstlichsten Ecke des Gartens, dort, wo jetzt drei mächtige Kastanien ihre Zweige zu einem grünen Lanldache vereinigen, erhob sich eine Terrasse von mäßiger Höhe. Von hier hatte die Gefangene einen freien Blick weit ins Land hinein, zu ihren Füßen die alte Leine, jenseits derselben üppige Wiesengründe und die still dahinflutende Aller, und darüber hinaus die braune Heide mit ihrer eigenartigen Schönheit; hier pflegte sie deshalb oft und gern zu weilen, um von der Steinbank aus ihre Blicke in die Ferne schweifen zu lassen. Auch heute begab sie sich dorthin, und sie war nicht unaugenehm überrascht, als sie, nur durch die Leine von ihr getrennt, das Lager der Zigeuner vor sich sah. Sie' konnte deutlich das Leben und Treiben derselben vor den Zelten beobachten, sie konnte das Geschrei der Kinder vernehmen, die im Grase sich herumbalgten, und hätte sie die Sprache der Fremdlinge verstanden, so hätte sie es wiedersagen können, wovon die Männer, die rauchend am Feuer lagen, sich so eifrig unterhielten. Sie war so vertieft in den Anblick, der sich ihren Augen darbot, daß sie es nicht einmal hörte,_ als hinter ihr plötzlich das dürre Laub rauschte und ein Zigeunerweib zu ihr trat. Ein trauriger Zug lag auf dem Gesichte der Fremden, welches noch immer schön genannt werden konnte, obgleich die erste Jugendblüte vorbei war; eine gewisse Vornehmheit lag in ihrer ganzen Erscheinung, und daß sie eine mehr als gewöhnliche Stellung bei der Truppe einnahm, davon zeugten die goldenen Ringe an den Fingern und die Goldmünzen in dem schwarzen Haar. Ein wehmütiges Lächeln spielte um die Lippen des Zigeunerweibes, als ihre Augen auf der Prinzessin ruhten, die sie noch immer nicht bemerkt hatte. Jetzt aber tupfte sie mit dem Finger leise auf deren Arm, und überrascht blickte Sophie Dorothea auf. Als sie die Zigeunerin neben sich bemerkte,
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Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Neuzeit
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 135 -
erschrak sie, und ihr erster Gedanke war, um Hülfe zu rufen und zu entfliehen. Das Weib aber legte den Finger auf den Mund und sagte: „Sei ruhig, blasse Schwester, und bleibe hier; ich thue Dir keiu Leid. Nicht in böser Absicht habe ich meine Truppe verlassen und bin zu Dir gekommen; ich meine es gut mit Dir". Mit leiser Stimme hatte die Zigeunerin diese Worte gesprochen, und als die Prinzessin ihr nun in die Augen sah, da gewahrte sie, wie zwei helle Thränen aus denselben die braunen Wangen hinunter liefen. Sie glaubte jetzt, eine Bittende vor sich zu haben. „Du bist in Not", sprach sie sanft; „Du bist gekommen, um mich um eine Gabe zu bitten. Hier, nimm, was ich bei mir habe". Mit diesen Werten wollte sie der Zigeunerin ihre Börse anbieten, aber mit einer stolzen Handbewegung wurde dieselbe zurückgewiesen. „Du irrst", sprach das Weib; „ich bin nicht gekommen, um eine Gabe zu heischen. Der Zigeuner nimmt nur Geld au von Menschen, die glücklicher sind als er; die Gabe des Unglücklichen aber bringt ihm Unglück". Verwundert starrte die Prinzessin das Weib an. „Wer hat es Dir gesagt, daß ich unglücklich bin?" sprach sie; „was willst Du von mir, wie bist Du in diesen Garten gekommen?" Du stellst viele Fragen zu gleicher Zeit", antwortete die Zigeunerfrau lächelnd. „Von Deinem Unglück weiß ich, daß ein harter Spruch Deiner Verwandten Dich hier festhält. Du bist ein Vogel, dem die Flügel geknickt sind. Ich weiß auch, weshalb Du hier bist. Ich will von Dir nichts, sondern ich will Dir etwas bringen; und wie ich, trotz der Wachen, die Dich umgeben, in den Garten gekommen? Frage nicht darnach; für den braunen Menschen giebt es Wege, die der weiße niemals findet. Aber sieh mir ins Gesicht; ich glaube, wir sehen uns heute nicht zum ersten Male. Weißt Du, wer ich bin?"
Indem sie diese Worte sprach, strich sie das schwarze Haar, das ihr über die Stirn hing, zurück; eine breite rote Narbe wurde sichtbar. Sophie Dorothea erbleichte; ja, das war ja das Mädchen, an welches sie noch soeben
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