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1. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 5

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
Verehrte Festgenossen! Wie im engen Kreise der Familie von sämmtlichen Mitgliedern derselben ein Tag in jedem Jahre durch besondere Feier ausgezeichnet wird, der Tag, an welchem der traute Hausvater geboren wurde, so kehrt alljährlich auch ein Tag wieder, der innerhalb der weiten Grenzen des Staates von allen guten Bürgern in gehobener Stimmung begangen wird, weil es der Tag ist, an welchem der erhabene Landesvater das Licht der Welt erblickte. Einen solchen Tag zu feiern, ist ebenso sehr eine heilige Pflicht, die nicht vernachlässigt, als ein heiliges Recht, das nicht verkürzt werden darf. So begeht denn am heutigen Tage in vollster Eintracht — denn heute schweigt jedes Parteigetriebe — ganz Deutschland, doch was sage ich, „So weit die deutsche Zunge klingt," feiert heute jedes deutsche Herz in aller Innigkeit das achtzigste hohe Geburtsfest Sr. Majestät des glorreich regierenden Kaisers Wilhelm. _ . Derjenige aber, welcher am heutigen Tage zu festlicher Rede das Wort ergreift, darf nicht so sehr im eigenen Namen sprechen, nicht so sehr seinen persönlichen Gefühlen Ausdruck leihen: er muß vielmehr, so weit als möglich, zugleich von dem Geiste sich erfassen und durchdringen lassen, der die gesammte Bevölkerung des Landes beseelt, damit er gleichsam den leitenden Grundton anschlagen könne, den dann jeder Einzelne, je nachdem sein Herz besaitet und gestimmt ist, in sich an- und weiter klingen lassen möge. Zu diesem Zwecke, verehrte Festgenossen, werde ich auf dieser neuen, und doch alten Bildungsstätte deutscher Jugend mir erlauben, an der Hand der Geschichte Ihnen vorzuführen, wie die Liebe zum Vaterlande, so wie sie entstand und auf eine höhere Stufe sich hob, auch in immer höherem Grade kulturschaffend und

2. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 10

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 10 — Auf diese Weise begründete der Ackerbau allmählich die Anhänglichkeit an Den heimatlichen Boden und die ihm eigenthümlich gehörenden Beschaffenheiten, die Zuneigung zu den dieses selbe Land bewohnenden Menschen gleicher Abstammung, die Zufriedenheit mit der gesetzten staatlichen Einrichtung, Verwaltung und Herrscherperson, mit einem Worte, die Vaterlandsliebe. Bts dahin war der Begriff, ja die Ahnung des Begriffes der vollen Vaterlandsliebe nicht denkbar, und die es heutzutage so weit gebracht haben, daß sie überall da, wo es ihnen gut geht, ihr Vaterland finden — solcher Leute gibt es — die sind in patriotischer Beziehung auf die tiefste Stufe der Gesittung zurückgesunken, gerade wie andere in sozialer Hinsicht. Beide Menschenklassen, jene sozialen Kommunisten wie diese patriotischen Utilitarier sind — gestatten Sie mir den zoologischen und, wenigstens formell, durchaus treffeudeu Ausdruck — nichts weiter als Schmarotzerkrebse. Erst der Ackerbau hat also die Vaterlandsliebe^möglich gemacht und wirklich erzeugt. Allein welches ist ihr uranfänglicher Charakter? Sehen wir zu. Der Staat setzt die Familie voraus, und während das Familienleben sich schon bis zu einem gewissen Grade entwickelt hat, liegt das Staatsleben noch in tiefem Schlummer befangen. Die Familie wird nämlich geregelt nach der Sitte, die, ähnlich wie das Volkslied, zugleich mit dem Volke entsteht, fortschreitet, wächst, nach den auf die Liebe gegründeten sittlichen Motiven der Autorität auf der einen, der Pietät auf der andern Seite; der Staat ruht auf dem Schwerpunkt des Rechtes, das, ähnlich wie das Kunstlied, in einzelnen Personen seine Urheber hat, die es in Gesetze fassen und formen. Dieser grundsätzlich offenbar vorhandene starre Gegensatz wird in der Wirklichkeit flüssig; er war es jedoch uicht auf den niedrigsten politischen Entwickelungsstufen, im patriarchalischen und despotischen Staate. Der patriarchalische und despotische Staat war mehr oder weniger nur die erweiterte Familie, und der Organismus der Familie hatte mehr oder weniger ihm zum Muster gedient. Die auch unserm Erdtheile nicht ganz fremden Zigeuner liefern schon hierzu einen schlagenden Beleg: sie selbst nennen sich Rom oder Romanisaal, d. h. Familienvolk; ihr Häuptling

3. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 11

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 11 — hat unumschränkte Gewalt; nur ihresgleichen gegenüber gilt Familien- und Stammessitte; die ganze übrige Welt ist in ihren Augen vogelfrei. Der Orient nun hat diesen samilienhasten Ursprung und Charakter seiner Staaten oder vielmehr Reiche niemals abgestreift, sondern im wesentlichen bis zur Jetztzeit unverändert allenthalben beibehalten. Was aber das Familienleben adelt und heiligt, die gegenseitige Liebe, konnte bei dieser uuge-bürlichen Erweiterung, welche in den kolossalen Naturformen Asiens gewissermaßen ihr Vorbild hatte, unmöglich beibehalten werden: die Gefühle der Autorität und Pietät mußten sich vielmehr bis zum äußersten Extrem konzentriren und Potenziren, und so schufen sie in rascher Folge einerseits den würdigen Patriarchen, den launischen Despoten, wohl gar die allgewaltige unnahbare Gottheit, andererseits den schüchternen Fremdling, den zitternden Sklaven, wohl gar die willenlos sich hinopfernde Kreatur. Es entstand ein alleinberechtigtes Reich, in welchem sich alle Völker der Erde wie in einem Hause zusammenfinden sollten, innerhalb dessen nur eiuer schrankenlos Befehle ertheilte als der Herr der Herren, jeder andere blind zu gehorchen hatte, außerhalb dessen es nur niemals erfüllte Pflicht, oder zeitweilig gelungenen frechen Abfall gab. Jetzt begreifen wir es, wenn die Babyloner naiv glaubten, daß ihr Land zu allererst vom Gotte Baal erschaffen worden sei; wenn die Bewohner des Hochlandes von Iran den Völkern anderer Rasse gegenüber stolz sich rühmten als die „Arier," d. H. die „Ersten;" wenn die Chinesen bis auf den heutigen Tag ihr Reich „Reich der Mitte" nennen, den übrigen Völkern, den „rothborstigen Barbaren," nur schmale Ränder auf dem Erdenrund einräumen und ihren Herrscher als „Sohn des Himmels" ansehen, der sogar Natur-Ereignisse in der Gewalt habe. Und es klingt daher auch nicht ganz unwahrscheinlich, wenn berichtet wird, der regierende Shah von Persien, Nassr-Eddin, habe bei Gelegenheit seines im Jahre 1873 dem Abendlande abgestatteten Besuches allerhuldvollst geruht, in den verbindlichsten Ausdrücken unserm Kaiser gegenüber seinen Ansprüchen auf Deutschland zu entsagen. Dieses egoistische, exklusive, intolerante Vaterlandsgefühl

4. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 12

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 12 — musste vor allem darauf ausgehen, sich durch auswärtige Eroberungen Luft zu machen — wodurch dann im Orient die Aufeinanderfolge von vier Weltreichen, dem der Assyrer, Babyloner, Dieder und Perser sich ergab — wenn aber auch nebenbei im Innern eine gewisse Kultur immerhin hervorgebracht werden mochte und wirklich hervorgebracht worden ist, so konnte diese bei der herrschenden Unfreiheit des Geistes, welche jedem idealen Aufstreben feind ist, doch nur höchst einseitig und beschränkt fein, und der spätern Geschichte der Menschheit ist nur sehr wenig davon zu Gute gekommen. Man fühlte bah er eine gewisse Be-friebignng, als man im v. I. gelegentlich der Weltausstellung zu Philabelphia las, der allerälteste dieser orientalischen Kulturstaaten, das Europa an Größe gleiche, an Bevölkerung ihm weit überlegene Monstre-Reich China habe endlich die Kunbe auch von andern Zivilisationen, als der eigenen, in Folge des hartnäckigen Absperrungs-Shstems der Stagnation anheimgefallenen vernommen, habe'begonnen, einen Glauben baran, ein Verstänbnis bafür zu empfinben, und die Aufforberung zu einem geistigen Wett-kämpf mit andern Nationen wenigstens einigermaßen beantwortet Unter den Orientalen haben nur die Juben nachhaltig und bauernb auf die Völker aller Klimate und Zungen einzuwirken vermocht, wenngleich ihre Heimat eines der kleinsten und unscheinbarsten Länbchen der Erbe ist, an Flächeninhalt nicht einmal das boppelte unseres Reichslanbes erreicht. In das Maximum der Berührungen der bret Erbtheile der alten Welt gestellt und von den wichtigsten der alten Kulturreiche bicht umgeben, blieb Palästina boch durch die Natur abgesonbert und geschieben, um gleich einer Muschel, die auf einsamem Meeresgrunb haftet, für ' sich allein eine kostbare Perle, den das Christenthum unmittelbar vorbereiteten Monotheismus, zu bewahren und zu zeitigen. Jnbem der Jubaismus die einheitliche Geistigkeit Gottes festhielt und zugleich den Menschen als ein selbstbewußtes, willensfreies Wesen auffaßte, leitete er, geistig vermittelnb, vom Orient nach dem Occibent hinüber, welch letzterem auch wir uns jetzt zuwenben müssen, um zunächst unter den Griechen unsere Ueberfchau fortzusetzen. Schon auf dem Wege borthin wirb alles ganz anders. Die

5. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 15

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 15 — seine Werke wurden gelesen, wo man sich nur einigermaßen um Bildung bewarb. Und als die politischen Kräfte des Volkes erschöpft waren, und es einem Mächtigern erlag, unterjochte es auch seinen Sieger durch die Ueberlegenheit seiner Kultur, befreundete ihn mit seiner Sprache und nöthigte ihm eine Bewunderung seiner Kunstwerke ab, die endlich in eifrige Nachahmung ausschlug. So zeigt sich wahr, was der römische Dichter Horaz (Epist. Ii, 1, 156 und 157) singt, daß „Hellas, bezwungen, bezwang den verwilderten Krieger die Künste Uebersiedelnd in Latiums Gauen." Die gelehrigsten Schüler fanden die Griechen an den Römern. Der Siebenhügelstadt an der Tiber gelang es, über die in Italien in ähnlicher Weise wie in Griechenland einer politischen Zusammenfassung des Gauzen sich entgegensetzenden natürlichen Hindernisse zu triumphiren und nicht nur alle Völkerschaften dieser Halbinsel zu einigen, sondern auch, nachdem dies erreicht worden, von dem neugewonnenen Zentrum im mittelländischen Meere aus alle dieses Beckeu umgebenden Länder mit im ganzen wohl 120 Millionen Menschen in ihren Machtbereich zu ziehen und zu einem riesigen Staatskörper auszubilden. Aeußerlich betrachtet könnte es daher scheinen, als ob bei den Römern das Vaterlandsgefühl auf die niedrige Stufe wieder zurückgesunken wäre, auf welcher wir es bei den Orientalen angetroffen haben; indessen anders stellt sich die Sache bei nähern: Zusehen dar. Wie der Grieche reiner Gefühlsmensch, so war der Römer reiner Verstandesmensch. Er that nichts um der Sache selbst, sondern nur um des Nutzeus willen, und insofern sie solchen überhaupt gewährte. „Das ganze Leben der Römer", sagt Schlosser, „war ein fast bloß äußerliches, aus Ackerbau, -Staatsverwaltung und Krieg gerichtetes Leben, in welchem stets das Praktische, das Reelle, das Dürre, aber dabei Verständige und Handgreifliche das Uebergewicht hatte. . . . Dieses Uebergewicht des Nützlichen und praktisch Verständigen über das rein Geistige ist für alle folgenden Zeiten dem römischen Wesen und Leben eigenthümlich geblieben." Und der zarteste Dichter der Römer, Vergil (Aen. Vi, 853) singt: „®ein sei, Römer, das Amt, als Herrscher die Völker zu zügeln."

6. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 17

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 17 — und Kunstgerechten allen künftigen Geschlechtern nnübertreffbare Muster hinterlassen haben, so sind sie doch weit davon entfernt geblieben, den Menschen als solchen gebürend zu würdigen und demnach die allgemein menschliche Bildung, das, was man gewöhnlich Humanität nennt, zum reinsten und vollendetsten Ausdruck zu bringen. Zeder Nicht-Grieche, Nicht-Römer war ihnen ein Barbar, und als solcher ein Feind, den man zum Sklaven machen, oder auch tödteu dürfte. Selbst im eignen Bernde galt nur der dem Staate vollauf dienende Bürger als vollberechtigt, während die Gewerbtreibenden und die Frauen, volleuds die Sklaven aus dem Vollbesitz der Menschenrechte faktisch ausgeschlossen waren, und theoretisch dies sogar von Männern wie Sokrates, Plato und Cicero gauz unbefangen ausgesprochen wurde. So hat also der Patriotismus des klassischen Alterthums seinen selbstsüchtigen, ausschließenden und unduldsamen Charakter noch in einem Hohen Grade beibehalten, eben dadurch aber auch einen wesentlichen Theil menschlicher Gesittung, die Pflege und Bethätigung des Guten, groß ent Heils vernachlässigen und der überwiegenden Mehqahl der Staatsangehörigen gegenüber seine Kultur-Mission unerfüllt lassen müssen. Diese Lücke auszufüllen, das falsche, naturwüchsige, übertriebene Vaterlandsgefühl zu läutern, zu regeln und zu mäßigen, den Gedanken der Humanität in seiner ganzen Ausdehnung und Reinheit aufzusprechen und durchzuführen, war dem Universalismus des Christenthums vorbehalten. Das Christenthum, tm römischen Weltreiche auf mannigfache Weise angebahnt und vorbereitet, brachte die frohe Botschaft vom allgemeinen Reiche deö einen Gottes, von der Würde jedes Menschen als eines Kindes dieses Gottes, von der über alles gehenden Liebe zu diesem Gotte und der allumfassenden selbstlosen Bruderliebe als den beiden Grundgesetzen dieses Reiches. Nun fallen alle Schranken. „Gehet in die ganze Welt und verkündigt das Evangelium allen Geschöpfen" (Mart. Xvi, 15), so lautet Christi Gebot an seine Jünger; und: „Es gilt da nicht Jude, noch Grieche; es gilt nicht Knecht, noch Freier; es gilt nicht Männlich, noch Weiblich! benn alle seid ihr Eins in Christo Jesu", so schreibt in bemselbeu Sinne der Apostel Paulus (Paul. Gal. Iii, 28). Hiermit ist aber keineswegs die nationale und staatliche Verschiedenheit für Dr. Wingeralh: Ueber 8ateilaiibsliebe. *2

7. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 20

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
t — 20 — als durch das Gesetz gefestigte, enge Moralität und besonders strenge Heilighaltung der Ehe, die uns fast als vom Ideal eines Volkes hergenommen scheinen will, das war anderntheils eine die enggezogenen Stammesgrenzen weit überfliegende und die . allgemeine Brüderlichkeit der Menschen anerkennende Gastfreundschaft, welcher es für gottlos gilt, einen Menschen, wer er auch sei, von der Schwelle zu weisen. So ist es zu erklären, daß gerade mit dem deutschen Geiste das Christenthum seine innigste Vermählung gefeiert hat. Da nun das Christenthum trotz feines Nniversalismus, der ja eben ein geistiger ist, das Vaterlandsgefühl, wie wir gezeigt, durchaus nicht verflacht oder gar vernichtet, sondern vielmehr hebt und veredelt, so haben die Deutschen auch gerade vor allem der christlichen Lehre, die sie aufrichtig annahmen, und der wesentlich einheitlichen christlichen Kirche, der sie sich auch in manchen staatlichen Dingen einfügten, ihre nationale Existenz zu verdanken gehabt, die sonst bei der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Bodenformen und der daraus naturgemäß folgenden außerordentlichen Mannigfaltigkeit der geistigen Durchbildung beinahe ebenso eine Unmöglichkeit gewesen sein würde, wie sie es aus denselben Gründen in Alt-Griechenland wirklich war. Die Sprache hat erst an zweiter Stelle mitgewirkt, die Deutschen national zusammenzuschließen und insbesondere mit dem von ihr hergenommenen Gesa mm tnamen zu benennen: allein merkwürdiger Weise, jene beiden sprachlichen Denkmale, welche am Eingänge der zwei wichtigsten Wendepunkte unserer Geschichte stehen, die Bibel-Uebersetznngen des Ulphilas und Luther, verkünden beide in gleichberedter Weise die Lehre von dem allgemeinen Gottesreiche auf Erden, dem Christenthum. Es entstand das „heilige römische Reich deutscher Nation" und war Jahrhunderte lang „das Mittelland der Geschichte des Menschengeschlechtes; deutscher Patriotismus, deutscher Geist und deutsche Kraft brachten Christenthum und christliche Kultur nach Norden und Osten und erneuerten >im 10. und 11. Jahrhundert das Papstthum im Süden, freilich zum politischen Ruin Deutschlands selbst, dessen Kaiserthum den nothwendigen Kamps mit jener orientalische Alleinherrschafts-Ansprüche erhebenden und durchführenden Macht muthig aufzunehmen wagte,

8. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 22

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 22 — Da erschien Friedrich der Große und vollendete das Werk seines großen'ahnen, den brandenburgisch-preußischen Staat. Sein Wahlspruch war: „Der König ist der erste Diener des Staates," und so trat Friedrich nicht nur dem mit Hülse der geistlichen Macht gezeitigten und namentlich in Ludwigs Xiv. despotischem Wahlspruch: „3ch bin der Staat!" aufs treffendste sich kennzeichnenden romanischen Orientalismus schnurgerade gegenüber, sondern er befolgte zugleich, was unendlich mehr gilt, die Vorschrift des Christenthums: „Der Größte unter euch sei wie der Kleinste, und der Oberste wie ein Diener (Luk. Xxii, 26). Diese demüthige Selbstverleugnung, diese echt christliche, vom Könige vorbildlich geübte Vaterlandsliebe theilte Friedrich seinen Unterthanen mit, 'und so hat durch christlich patriotisches, auch in den ernstesten Perioden bewährtes Zusammenwirken von Fürst und Volk in Preußen die deutsche Nation ihren Namen wieder zu Ehreu gebracht und einen neuen Mittel- und Schwerpunkt gewonnen. Dieser konnte zwar — denn man war „ eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen" (Königin Luise) — noch einmal aufs äußerste bedrängt und eingeengt werden, dann aber — denn durch die Großthaten deutscher Dichter und Denker war unterdes deutscher Sinn und deutsches Lebeu und das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Gemeinschastlichkeit gegenüber dem Auslande wieder erwacht und erstarkt — warf er den fremden Bedrücker siegreich zurück, um nach mehr als halbhuudertjähriger, friedlicher und kriegerischer Arbeit aller nationalen Lebenskräfte endlich mit gebieterischer Natnr-nothwendigkeit die zerstreuten Glieder au sich zu ziehen und zum „hohen Heldenleibe einer Riesin voller Mark" auszugestalten, wie wir dies alles ja vor unsern Augen sich haben vollziehen sehen unter ihm, den wir jetzt als Kaiser begrüßen. „Wie das Herz des ganzen Körpers bedarf," sagt G. Funke, „so bedarf Deutschland der ganzen Welt;" aber mit demselben Recht fügt E. Kapp hinzu: „Wie der Körper im Herzschlag seinen Lebenspunkt hat, so ist der ganzen Welt in Deutschland ihr geographischer und historischer Einheitspunkt gegeben." Es ist daher für Europa, ja für die Welt, wichtig und wesentlich, daß Deutschland einig, stark und gesund sei; aber eben deshalb wird auch hier wohl ein christlicher Wahlspruch gelten

9. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 6

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
— 6 — kulturverbreitend gewirkt hat. Schon aus äußern Gründen jedoch — denn es ist mir ja nur eine ganz kurze Spanne Zeit zugemessen — muß ich mich hierbei auf die Orientalen, Griechen, Römer und Deutschen beschränken. Und nicht ausführliche Entwickelungen, nur fertige Resultate werde ich bieten können: es sind gleichsam nur Lesefrüchte, gereift in eingehenderem Studium der Geschichte. Der Mensch muß, um sein Leben zu fristen, unbedingt körperlich arbeiten. Diese körperliche Thätigkeit erfordert aber zuvor irgendwelche geistige Thätigkeit, und je entwickelter erstere sich äußert, desto mehr muß letztere innerlich angespannt sein. Die Arbeit ist also ein Naturgesetz, und der Mensch, welcher, gleichviel in welcher Form, zuerst gearbeitet, ist demuach als der erste Kulturmensch zu betrachten. Die Erdgegend, wo zuerst eine Kultureutwickeluug stattgesunden, wird wahrscheinlich weder in der heißen Zone gelegen haben, weil, von der erschlaffenden Wirkung des Tropenklimas auf deu Menschen abgesehen, die Natur hier alles nothwendige in üppiger Fülle hervorbringt, noch innerhalb eines kalten Gürtels, weil hier die natürlichen Gaben in ganz ungenügendem Maße vorhanden sind; man hat vielmehr alles Recht zu vermuthen, daß eine gemäßigte Zone der Ursitz aller Kultur gewesen: hier mußte der Mensch sinnen und irgendwie arbeiten, um dann freilich auch sicher sein zu können, der Natur die Nothdurst des Lebens abzuringen. Das natürliche Ergebnis der Arbeit aber war das erworbene Gut, das Eigenthum, nicht jedoch das individuelle, sondern das gemeinschaftliche Eigenthum, der Kommunismus: dieser also bildet die tiefste Stufe der Kulturentwickelung, von welcher die Menschheit glücklich heraufgestiegen, und nicht die höchste, welche in glücklicherer Zukunft erst noch zu ersteigen ist. Die älteste und roheste Art der Arbeit war die Jagd. Der Mensch, ursprünglich wohl im Walde lebend, hatte die belaubten Bäume, welche sich ihm zum Obdach wölbten, und die murmelnde Quelle, welche ihn lockte, seinen Durst zu löschen. Es fehlte ihm aber die erforderliche Nahrung, um seinen Hunger zu stillen, wie auch die nöthige Bedeckung, um sich gegen die Unbilden der

10. Ueber Vaterlandsliebe im Kulturleben der Völker - S. 7

1877 - Leipzig : Siegismund u. Volkening
Witterung zu schützen. Er mußte daher seinen Sinn darauf richten, das Wild zu erjageu und mittels seiner angeborenen Gliedmaßen oder mittels in seiner Umgebung fertig vorhandener oder doch auss leichteste herzustellender Werkzeuge zu erlegen, unj dann das Fleisch und das Fell desselben sich anzueignen. Der Jäger machte es kaum auders wie ein Raubthier, welches die Natur nur bezwingt, indem es ihr Leben tobtet. Naturgemäß bedurfte er zu seinem Zwecke eines weit ausgedehnten Raumes, denn die Quadrat-Meile selbst des ergiebigsten Jagdgrundes ernährt für sich allein, ohne andere Nahrungsquellm, nur wenige Köpfe. Jägervölker konnten sich daher wohl ausbreiten, aber nicht verdichten, und hierin lag ein weiteres Hindernis, in der kaum begonnenen Gesittung voranzuschreiten. „So blieb ihr Leben ohne geschichtlichen Fortschritt, wie das Ringen eines Schwimmers gegen den Strom, das zwar hinreicht, ihn oben zu erhalten, aber ihn nicht weiter führt." (H. Lotze.) Eine wenigstens etwas höhere Art der Arbeit leistete der Fischer, indem er nicht bloß mit einem Einzelwesen, sondern mit einer allgemeinen Naturmacht, dem Wasser, den Kamps aufnahm. Er konnte sich auch, wie leicht ersichtlich, mit einem kleinern Gebiete begnügen als der Jäger, also näher bei andern Menschen verweilen; ja der zu bekämpfende Feind forderte zu gemeinschaftlicher Hilfeleistung geradezu auf, und so wird man unter den Fischervölkern die allerersten Spuren eines vorübergehenden geselligen Verkehrs und damit eines, wenn auch sehr geringen Fortschrittes in der Gesittung zu suchen haben. Eine verhältnismäßig schon viel edlere Kulturstufe bezeichnet das Hirtenleben. Der Hirt baute nicht mehr auf die Gunst des flüchtigen Augenblickes, um das Wild zu erschlagen oder den Fisch zu überlisten: er erhielt das Thier, gab sich mit dessen Milch zufrieden, machte sich dasselbe dienstbar, pflegte und züchtete es. Es liegt klar am Tage, daß ihm ein noch viel kleineres Arbeitsfeld schon ohnehin genügt haben würde; da nun aber sein Besitz konkrete Form angenommen hatte und allmählich immer mehr zunehmen mußte, konnte der Hirt, durch die dankbare Pflege feines thierischen Genossen milber gestimmt, erst recht seinesgleichen in der Nähe bulben und sogar erwünscht finben. Die
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