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sonders die Psalmen, sodann las er das neue Testament und Lieder. In der
Zwischenzeit hätte er selber gerne Lieder gedichtet: aber wie das machen
ohne Papier und Feder und Vinte? — Doch die Noth macht erfinderisch. Nach
einigen andern, weniger gelungenen Versuchen kratzte er mit der Spitze sei-
ner Lichtputze Buchstaben in die weisse Wand, und wenn dieselben auch an-
fangs gross waren, so lernte er sie nach und nach kleiner und feiner machen.
So überschrieb er nun die ganze Wand in Stube und Kammer, so weit er
reichen konnte, mit Liedern, die er gedichtet hatte. Die Lieder stunden nun
zwar an der Wand; aber wie sie mitnehmen, wenn er etwa wieder frei wer-
den sollte ?
Steinhofers Predigtbuch war auf Schreibpapier gedruckt ; wenn er etwas
Hartes unter ein Blatt legte , konnte er mit der Spitze der Lichtputze darauf
schreiben, dass gute Augen es lesen konnten. Das that er denn recht fleissig.
Doch die Lichtputze nützte sich ab, und das Buch war bald voll, da er nur
eine Seite benützen konnte. Da nahm er seine Schere zu Hülfe. Selbst die
dünnen Blätter seiner baltischen Bibel mussten ihm dazu dienen.
Als seiner Frau und später auch seinen Kindern die Erlaubniss zu Theil
ward, an ihn zu schreiben, so freuten ihn die Briefe derselben nicht nur we-
gen ihres Inhalts, sondern weil er in ihnen immer auch wieder Papier bekam,
wo er zwischen die geschriebenen Zeilen seine w’eissen Zeilen hineinkratzen konnte.
Und was hat er denn auf diese Weise zusammengeschrieben? — Ueber
hundert Lieder, die nach seiner Befreiung gedruckt erschienen sind, und von
denen auch unser Gesangbuch eines enthält. (Nro. 207.) Auch andere Sachen
schrieb er so, z. B. ein Büchlein mit der Aufschrift: »Eines alten Mannes
muntere Stunden während eines engen Festungsarrestes.«
Seine Frau starb im dritten Jahr seiner Gefangenschaft ihm zum grossen
Schmerz. Er selbst wurde bedenklich krank, so dass man besorgte, sein
Ende möchte herbeikommen. Doch es war noch nicht an dem; im Gegentheil
erlangte er seine Gesundheit schnell auf eine ausserordentliche Weise. Dar-
über müssen wir ihn selber hören: »In Hohentwiel war ich an dem Hüftweh
und an Gliederschmerzen erbärmlich krank, musste mich unter dem einen Arm
einer Krücke bedienen und in der andern Hand einen Stock halten , und
konnte dennoch mit genauer Noth also etliche Schritte weit zum Tisch oder
Bett kommen.
An einem Morgen setzte ich mich also an den Tisch, legte die Krücke
und Stock auf denselben, las in der Bibel die Geschichte , wie Jesus den zu
ihm gebrachten Gichtbrüchigen gesund gemacht, gab ihm in meinem Herzen
die Ehre, dass er auch noch jetzt auf seinem Thron eben dieses thun könne,
wo er Glauben antreffe, bat aber in Ansehung meiner Person um Nichts. Als
es Essenszeit war, kam der Commandant, Herr General von Boman, nebst
dem Arzt, Dr. Eppli von Diesenhofen , gegen weiche ich mich entschuldigte,
dass-ich sie weder an der Thüre empfinge, noch bis an dieselbige begleitete,
weil ich ausser Stand sei, es zu thun. Als Herr Dr. Eppli meine Krücke und
Stock auf dem Tisch liegen sah, sagte er: »Ei behüte Gott; was für fürcli-
tige Instrumente!« Ich versetzte: »Ich danke Gott, dass er Holz habe wach-
sen lassen, welches mir nun so gute Dienste leistete«. Als sie fort waren und
ich an Nichts dachte, stand ich auf und fand, dass ich im Stande war, frei zu
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
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Hohentwiel den Gehorsam, weil er dem Herzog gleich anfangs das Wort ge-
geben hatte, die ihm anvertraute Feste bis auf den letzten Blutstropfen zu ver-
theidigen und selbst die herzoglichen Befehle zur Uebergabe nicht zu achten.
Endlich beschloß er sogar ein besonderes Bündniß mit dem Herzog Bernhard
von Weimar und trat als Oberst in dessen Dienste, um so zum Worthalten
genöthigt zu sein; denn er konnte wohl wissen, daß er dadurch dem Herzog den
besten Dienst erweise, wenn er die Festung auf keine Bedingung ausliefere. Er
machte kühne Ausfälle und Streifzüge in die Nachbarschaft, auf denen er ent-
weder bedrängte Orte befreite, oder die bedrohten Erntefelder schützte, oder-
reiche Beute davon trug, die er auf seine Burg hinaufführen ließ. Sein Tisch
war immer offen für Kranke, Verwundete und Arme. Als sein Feldprediger
gestorben war, so erbat er stch angelegentlich vom Herzog wieder einen Geist-
lichen und brachte ihn unter großer Gefahr mitten durch den Feind hindurch
auf die Burg; denn er war von Herzen gottesfürchtig, hielt die evangelische
Lehre sehr werth, und man sagte, daß er seine Feinde weit mehr durchs Gebet,
als durchs Schwert bezwinge. So lange er keinen Geistlichen hatte, so ging
der fromme Held selbst an den Betten der Kranken umher, um ihnen den Trost
des göttlichen Wortes zu bringen, und las in der Kirche seinen Kriegern selbst
eine Predigt vor.
Mitten unter den Schrecken der Belagerung erbaute er auf der Burg eine
neue Kirche. Dem Herzog Eberhard sandte er in seiner Geldnoth durch einen
als Bettler verkleideten Soldaten einen ausgehöhlten, dicken Knotenstock, der
mit Geld gefüllt war. Im Jahr 1643 rückte er einsmals des Nachts in aller
Stille vor Ueberlingen am Bodensee, hieb das Thor ein und überfiel die Wache
am Spieltisch. Ohne Schwertstreich bemächtigte er sich der Stadt mit ihren
reichen Vorräthen aller Art. Man bot ihm eine große Summe Geldes; er-
schlug sie aus; denn diesmal stund sein Sinn nach etwas Anderem: es fehlte
ihm in seiner neuerbauten Kirche nur noch eine Orgel. Diese ließ er sich von
einem Kloster in der Stadt geben und zog damit ab. Seine Kriegszucht war
streng; er duldete bei seinen Kriegern keine Ausschweifung, keine Bedrückung
des friedlichen Bürgers, kein Fluchen und Schwören. Als nun der Herzog in
alle seine Rechte und in den ungeschmälerten Besitz des Landes wieder einge-
setzt war, da übergab ihm Widerhold die unbezwungene Feste am 4. Juli 1650
viel fester und besser versehen, als er sie übernommen hatte. Er starb als
Obervogt von Kirchheim und Besitzer des Ritterguts Neidlingen, Ochsenwang
und Randeck, von seinem Fürsten geehrt, vom Vaterland in dankbarstem An-
denken behalten. Sein Vermögen hat er zu gemeinnützigen Zwecken, zur Un-
terstützung von Studirenden, Armen, Kirchen und Schulen vermacht. Auf
seinem Grabmal in Kirchheim steht:
Der Commandant von Hohentwiel,
Fest, w'ie sein Fels der niemals fiel,
Des Fürsten Schild, des Feindes Tort,
Der Künste Freund, des Armen Hort,
Ein Bürger, Held und Christ, wie Gold —
So schläft hier Konrad Wiberholb.
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Extrahierte Personennamen: Bernhard
von_Weimar Eberhard Kirchheim Konrad_Wiberholb Konrad
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Gebet überschwenglich erhört und mich fein gesegnet. Ich habe mich nun viele
Jahre in dieser Stadt ausgeruht, Gott hat mir gute Zehrung gegeben, dazu
Geld in den Kasten, gute Kleider, gute Wohnung, und dazu fromm Gemahl
und gesunde Kinder, auch treu Gesinde. Für solche überschwengliche Wohl-
thaten kann ich ihm nicht genug danken! "
Psalm 50, 15. Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten, so
sollst du mich preisen.
183. Das Hallische Waisenhaus.
(Von 1700 an.)
Vor einem der Thore in Halle (einer Stadt in Preussen, an der Saale
gelegen) steht ein hohes Gebäude, das über seinem Eingang Jes. 40, 31. als
Inschrift trägt: »Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auf-
fahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie
wandeln und nicht müde werden.« Dieser Eingang führt durch das Vorder-
gebäude in einen sehr langen Hof, in eine wahre Strasse, auf deren beiden
Seiten hohe Häuser stehen. Hier erblickt man ein Waisenhaus für arme Kin-
der, eine Erziehungsanstalt für Kinder aus höheren Ständen, eine Buchdrucke-
rei, besonders zum Druck von Bibeln, eine grosse Buchhandlung, viele Wirth-
schaftsgebäude, Gärten u. dergl.
Alles dieses ist erwachsen aus der gesegneten Glaubensarbeit des armen
Predigers und Professors August Hermann Franke, geboren in Lübeck im
Jahr 1663. Dieses Waisenhaus mit allen damit zusammenhängenden Gebäu-
den und Anstalten hatte, wie alles Grosse, einen gar kleinen Anfang. Es
ging damit folgendermassen zu: an jedem Donnerstag kamen Arme aus Fran-
kes Gemeinde in das Pfarrhaus. Statt ihnen bloss Almosen in Brod oder
Geld zu reichen, sprach er mit ihnen über christliche Wahrheiten und schloss
jedesmal mit einem Gebet. Weil er selber arm war, so entzog er sich eine
Zeit lang das Abendessen, um Geld für die Armen zu erübrigen. Im Jahr
1695 hing er in seiner Wohnstube eine Armenbüchse auf und liess oben da-
rüber den Spruch schreiben: 1 Joh. 3, 17 : »Wenn Jemand dieser Welt Güter
hat und siehet seinen Bruder darben, und schleusst sein Herz vor ihm zu,
wie bleibet die Liebe Gottes in ihm?« und darunter die Worte des Paulus:
2 Kor. 9, 7.: »Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.« Nach Verlauf von einem
Vierteljahr gab eine Person auf einmal 4 Thaler 16 Groschen (8 fl. 12 kr.)
hinein. »Als ich dieses in die Hände nahm,« so erzählt er selbst, »sagte ich
mit Glaubensfreudigkeit: das ist ein ehrlich Kapital, davon muss man etwas
Kechtes stiften, ich will eine Armenschule damit anfangen. — Ich besprach
mich nicht darüber mit Fleisch und Blut, sondern fuhr im Glauben zu und
machte noch desselben Tages Anstalt. — Es wurden für zwei Thaler Bücher
gekauft und an arme Kinder vertheilt; ein armer Student musste ihnen täg-
lich zwei Stunden Unterricht geben. Die Bettelkinder nahmen die neuen Bücher
mit Freuden an; aber von 27 Büchern, die unter sie vertheilt worden, wurden
nicht mehr als vier wiedergebracht; die andern Kinder behielten oder ver-
kauften die Bücher und blieben weg.« — Franke liess sich dadurch nicht ab-
schrecken; er kaufte neue Bücher, räumte einen Saal neben seiner 8 tu dir-
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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Extrahierte Personennamen: August Hermann_Franke Franke
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Nichts hat und sich auf Nichts verlassen kann, kennt aber den lebendigen
Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, und setzet auf ihn allein sein Ver-
trauen, dabei man auch im Mangel so ruhig sein kann!« Kaum war er nach
Hause zurückgekehrt, so kommt ein Bauaufseher und verlangt Geld für die
Arbeitsleute. »Ist was kommen?« fragte er. Ich antwortete: »Nein, aber ich
habe Glauben an Gott.« Kaum hatte ich das Wort ausgeredet, so liess sich
ein Student bei mir melden, welcher dreissig Thaler von Jemandem, den er
nicht nennen wollte, brachte. Da ging ich wieder in die Stube und fragte den
andern, wie viel er diesmal zur Bezahlung der Bauleute bedürfte? Er ant-
wortete: »Dreissig Thaler.« Ich sagte: »Hier sind sie«; fragte dabei, ob er
mehr brauchte? Er sagte: »Nein«; welches denn uns beide sehr stärkte, in-
dem wir so gar augenscheinlich die Hand Gottes erkannten , die es in dem
Augenblick gab, da es vonnöthen war.«
»Im Jahr 1698«, erzählt Franke weiter, »sandte ich einer frommen, durch
Leiden bewährten Christin einen Dukaten. Sie antwortete: »Der Dukaten wäre
ihr zu einer Zeit gekommen, da sie dessen wohl benöthigt gewesen. Sie habe
Gott gebeten, dass er meinen armen Waisen einen Haufen Dukaten wieder be-
scheren möchte.« Bald darauf wurden mir vier Dukaten und zwölf Doppel-
dukaten gebracht. An eben dem Tage wurden mir auch zwei Dukaten von
einem guten Freund aus Schweden geschickt. Nicht lange darnach empfing
ich von der Post fünfundzwanzig Dukaten, dabei der Geber nicht genannt war.
Gleichfalls wurden mir von einem Gönner zwanzig Dukaten eben damals ge-
schickt. Da um dieselbe Zeit Prinz Ludwig von Württemberg zu Eisenach
starb, ward mir berichtet, dass er eine Summe Geldes dem Waisenhaus ver-
macht. Es waren 500 Dukaten. Sie wurden mir zu einer Zeit zugesendet,
da ich sie zum Bau des Waisenhauses höchst nöthig hatte. Da ich nun die-
sen Haufen Dukaten auf dem Tisch vor mir sah, dachte ich an das Gebet der
frommen Frau: Gott wolle meinen armen Waisen einen Haufen Dukaten wie-
der bescheren. So ging der Bau ungestört fort, obwohl kein sichtbares Bau-
kapital da war, aber Gott hat von Zeit zu Zeit so viel Segen zufliessen las-
sen, dass die Bauleute und Taglöhner um der richtigen Zahlung willen gern
und mit Lust gearbeitet, wie denn auch zu vieler Arbeiter gutem Vergnügen
der Bau täglich mit Gebet angefangen, auch bei der Zahlung des Sonnabends
Gott für den verliehenen Beistand in der Woche gedanket worden.«
Im Herbst 1698 war das Haus schon unter das Dach gebracht, trotz dem
dass ein ungläubiger Mensch beim Anblick der bereits zur Hälfte aufgeführ-
ten Mauer sprach: »Wenn die Mauer in die Höhe kommt, will ich mich dran
hängen lassen!«
Zu Ostern des Jahres 1700 konnte es bereits von den Waisenkindern be-
zogen werden.
Wie bei der Erbauung, so ging es auch bei der Erhaltung desselben.
»Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat«, sagt Franke, »hat mir der
Herr zugebröckelt, wie man den kleinen Küchlein das Brod zubröckelt, was
dienothdurft erfordert.« Von vielen Beispielen, die er hier erzählt, stehe hier
nur eins. »Zu einer Zeit wurde auch des Morgens früh zur Zahlung desselben
Tages Geld von mir gefordert. Ich hatte aber nur sechs Thaler , welche ich
abgab. Der Hausverwalter nahm es in die Hand, zählte es und sagte: »Wenn
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Extrahierte Personennamen: Franke Ludwig_von_Württemberg Ludwig Franke
402
es ist doch nur ein körperlicher Schmerz; hat er aber einmal Frau und Kin-
der, dann brennen ihm die Thränen, die der Hunger seinen Lieben auspreßt,
wie Feuer auf die Seele, die Noth wird dann ein den innern Menschen fast
erdrückender, Herz durchbohrender Schmerz.
In dieser Lage war der arme H. Die gute Frau, von langer Noth
und Kummer krank, das Töchterchen, die einzige Person in der Familie, die
seit einigen Tagen ein wenig Brod bekommen hatte, auf der Thürschwelle
sitzend und vor Hunger weinend. Der Vater, der wohl vor Mattigkeit kaum
mehr aufrecht stehen konnte, drängt sein bleichgehärmtes Gesicht ans Fenster
und sieht hinaus. Aber draußen war finstere Nacht und sehr starker Regen
und Sturm; in seinem Herzen sprach es immer: ohne Hülfe, ohne Hülfe! Da
wurde das geängstete, zerschlagene Herz auf einmal von seinen Banden frei,
es konnte recht innig und mit tausend milden Thränen zu dem flehen und
um Hülfe seufzen, der unsere Zuversicht und Zuflucht noch sein will, wenn
keine Menschenhülfe mehr nützen kann. — Aber wer soll ihm denn noch
heute, und sein Herz mußte in dieser äußersten Noth bitten „noch heute", in
diesem Regenwetter und Sturm Brod bringen?
Da kommt auf einmal noch Jemand auf der finstern, steilen Treppe
herauf, sucht an der Thüre, cs war der Hausknecht aus dem gegenüberstehen-
den Gasthof. Ein dort liegender Fremder hatte einen Schneider begehrt,
der ihm schnell, noch in dieser Nacht, ein Paar Beinkleider fertigen sollte;
der Hausknecht hatte in dem schlimmen Wetter nicht erst weit nach einem ihm
bekannten Meister gehen mögen und rief denn den armen H.
Da dieser zu dem Fremden in seiner armen Kleidung und mit seiner von
langem Kummer schüchtern gewordenen Miene hineintritt, mißt ihn der mit
großen Augen, fragt ihn, ob er sichs wohl getraue, das verlangte Kleidungs-
stück zu fertigen, er (der Fremde) sei überaus eigensinnig, und ihm habe noch
kaum ein berühmter Meister Kleidungsstücke dieser Art zur vollen Zufrieden-
heit, und doch auch mit der nöthigen Bequemlichkeit gefertigt. Das dazu
bestimmte Tuch sei sehr fein und theuer, es sei deßhalb sehr schade, wenn
es verdorben würde, er wolle ihm lieber einige Groschen dafür geben,
daß er sich herbemüht habe, und einen andern Meister rufen lassen. Der
arme, in seinem Handwerk wirklich geschickte H. fühlt sich über jenen
Mangel an Zutrauen tief gekränkt, versichert, er wolle den Fremden
wohl zufriedenstellen, und dieser gibt ihm das Tuch mit der Aeußerung:
nun, er wolle das nur einmal an eine sehr wahrscheinlich mißlingende
Arbeit wagen.
Die Liebe gibt dem armen, aus Hunger sehr müden H. Kraft, die ganze
Nacht durchzuarbeiten. Er sitzt ja bei dem Bette seiner lieben Frau und
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403
seines schlafenden Kindes, die er morgen beide wird erquicken können. Wenn
die Kräfte nicht mehr aushalten, wenn die Augenlieder zusammensinken
wollen, sieht er die beiden Schlafenden an, die matte Hand erhält neue
Kraft, wenn er sie auf die kranke, heiße Hand seiner lieben Frau, oder auf
die heute recht bleich aussehende Wange des Kindes legt; so ist gegen
Morgen die Kleidung fertig. Er trägt sie zur bestimmten Stunde dem
Fremden hin, und dieser findet sie so vollkommen nach seinem Wunsche,
daß er dem armen Schneider mehr gibt als gewöhnlich, ■ und da er die
Freudenthränen sieht auf der bleichen Wange, noch mehr. Der Arme geht
und erquickt sich und die Seinen.
Aber sein gestriges Abendgebet aus dem geängstigten und zerschlagenen
Herzen war auf eine Weise erhört worden, wie er sichs heute, so sehr auch
seine Seele voll Freude und Hoffnung, sein Mund voll Dankes war, nicht
träumen konnte. Der Fremde blieb diesen Tag noch in Altenburg. Bei
einem gar sonderbaren Zufall, der in einer vornehmen Gesellschaft, wobei
der Fremde war, sich ereignete, fand er eine sehr gute Gelegenheit, den armen
Schneider als einen in seinem Handwerk ganz vorzüglich geschickten Meister
anzuempfehlen. Mehrere Anwesende merkten sich Wohnung und Namen,
und von nun an fand H. so viel Arbeit, daß er sich nie mehr mit den Seinen
hungrig schlafen legen durfte und daß er später sein Auskommen sehr gut
hatte.
187. Denksprüche.
1. Lotteriezettel sind Eingangszettel ins Bettelhaus.
2. Bettelstab ist das härteste Holz.
3. Spar' in der Zeit, so hast dn in der Noth.
4. Dem Fleißigen guckt der Hunger wohl ins Fenster, darf aber
nicht ins Haus kommen.
5. Der Herr muß selber sein der Knecht,
Will ers im Hause haben recht.
6. Den Geschickten hält man werth,
Den Ungeschickten Niemand begehrt.
7. Wer sich im Haus um den Nagel nicht kümmert, dem faulen
die Sparren.
8. Der Groschen, den das-Weib erspart, ist so gut, als der
Groschen, den der Mann erwirbt.
9. Man muß nicht mit Sechsen fahren, wenn man nur für
Zwei Futter hat.
26
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201. Herr Charles.
Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose, wiegte
eben sein wunderschönes Büblein auf dem Knie und machte ein Ge-
sicht dazu, daß er ein wohlhabender und glücklicher Mann sei und
sein Glück für einen Segen Gottes halte. Indem trat ein fremder
Mann, ein Pole, mit vier kranken, halb erfrorenen Kindern in die
Stube. „Da bring ich euch die Kinder." Der Kaufmann sah den
Polen kurios an. „Was soll ich mit diesen Kindern thun? Wem
gehören sie? Wer schickt euch zu mir?" — „Niemand gehören sie",
sagte der Pole, „einer todten Frau im Schnee, siebzig Stunden her-
wärts Wilna. Thun könnt ihr mit ihnen, was ihr wollt." Der
Kaufmann sagte: „Ihr werdet nicht am rechten Orte sein", und der
diese Geschichte erzählt, glaubts auch nicht. Allein der Pole er-
wiederte, ohne sich irre machen zu lassen: „Wenn ihr der Herr Char-
les seid", und der Erzähler glaubts auch; er war der Herr Charles.
Nemlich es hatte eine Französin, eine Wittwe, schon lange im Wohl-
stand ohne Tadel in Moskau gelebt. Als aber vor fünf Jahren die
Franzosen in Moskau waren, benahm sie, sich landsmannschaftlicher
gegen sie, als den Einwohnern wohlgefiel; denn das Blut ver-
leugnet sich nicht; und nachdem sie in dem großen Brand ebenfalls
ihren Wohlstand und ihr Häuslein verloren und nur ihre fünf Kin-
der gerettet hatte, mußte sie, weil sie verdächtig sei, nicht nur ans
der Stadt, sondern auch ans dem Land reisen. Sonst hätte sie sich
nach Petersburg gewendet, wo sie einen reichen Vetter zu finden
hoffte. Der geneigte Leser will bereits Etwas merken. Als sie aber
in einer schrecklichen Kälte und Flucht mti> unter unsäglichen Leiden
schon bis nach Wilna gekommen war, krank und aller Bedürfnisse
und Bequemlichkeiten für eine so lange Reise entblößt, traf sie in
Wilna einen edlen russischen Fürsten an iiub klagte ihm ihre Noth.
Der edle Fürst schenkte ihr dreihundert Rubel, und als er erfuhr,
daß sie in Petersburg einen Vetter habe, stellte er ihr frei, ob sie
ihre Reise nach Frankreich fortsetzen, oder ob sie mit einem Paß nach
Petersburg umkehren wolle. Da schaute sie zweifelhaft ihr ältestes
Büblein an, weil es das verständigste und kränkste war. „Wo willst
du hin, mein Sohn?" — „Wo du hingehst, Mutter", sagte der Knabe,
und hatte Recht. Denn er ging noch vor der Abreise ins Grab.
Also versah sie sich mit dem Nothwendigen -und akkordirte mit einem
Polen, daß er sie für fünfhundert Rubel nach Petersburg brächte
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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an die Badgäste verkauft. In der Gefangenschaft thut sie anfangs ziemlich
wild, wird aber bald zahm, ohne jedoch Etwas zu fressen.
Diese Nattern alle sind völlig unschädlich. Ebenso unschädlich sind die
Blindschleichen, welche übrigens richtiger zu den Eidechsen gezählt werden,
mit denen sie, den Mangel der Füße abgerechnet, viele Aehnlichkeit haben.
Sie sind bei uns fast allerwärts zu Hause und leben hauptsächlich von nackten
Schneckchen und Regenwürmern. Den Menschen thun sie niemals was zu
Leide.
Dagegen gibt es aber allerdings auch giftige Schlangen in unserm
Vaterlande. Dies sind die Ottern, welche man besonders daran erkennt,
daß ihr Kopf mit zahllosen kleinen Schuppen, wie mit Körnern, bedeckt ist,
während die ungiftigen Schlangen neun größere Tafeln auf dem Kopfe haben,
bei uns besonders die Kreuzotter, viel seltner die Viper. Die Kreuzotter,
auch Kupferschlange oder Feuerotter genannt, ist grau (bald röthlich- bald
bläulich-grau), am Bauche schwarz und hat vom Kopfe an über den ganzen
Rücken ein schwarzes Zickzackband. Sie wird selten über zwei Schuh lang
und einen Zoll dick. Die Viper, welche ihr fast ganz gleicht, aber etwas
größer wird, unterscheidet sich von ihr dadurch, daß sie keinen Zickzackstrei-
sen, sondern nur große schwarze Flecken auf dem Rücken hat. Man findet
die Ottern, diese gefährlichen Thiere, an sehr vielen Orten, wo niedriges
Gesträuch steht, alte Baumstämme oder Steinmassen sich vorfinden und kein
Mangel an Sonnenschein und Mäusen ist, am häufigsten in den hohen Wald-
gebirgen, auf den Alpen, dem Schwarzwald, dem Thüringer Wald u. s. w.
Im Ganzen zwar sind sie bei uns nicht häufig; doch vergeht selten ein Jahr,
wo nicht da und dort ein Holzmacher oder ein Kind, welches Heidelbeeren,
Preiselbeeren, isländisches Moos, Reisig u. dgl. sucht, gebissen würde.
Mäuse und Maulwürfe müssen hauptsächlich ihre Wohnung graben und werden
dann zum Dank dafür vergiftet und gefressen. Wenn die Otter nach einer
Beute oder einem Feinde beißen will, so zieht sie erst den Hals ein und schnellt
dann den Kopf mit großer Geschwindigkeit vor; sie springt aber nicht nach
dem Feinde, verfolgt ihn auch nicht, wenn er Reißaus nimmt. Menschen
widerfährt es am häufigsten, daß sie von Ottern gebissen werden, wenn sie
baarfuß gehen oder beim Beerenpflücken, Moossammeln u. s. w. mit den
Händen dem Boden nahe kommen. Der Biß pflegt sehr verschieden zu sein,
denn er macht mitunter bloß feine Ritzen, oder es trifft nur ein Gistzahn statt
beider, oder es dringen auch beide stechend ein, was am gefährlichsten ist. Bin-
nen fünfzig Minuten kann ein so vergifteter Mensch todt sein. Nach dem
Bisse schwillt die Wlmde augenblicklich und wird roth ober blau. Man kann
mit der Hülfe nicht genug eilen; wo möglich muß das Gift sogleich durch einen
11!
Mindeste zu sehen war. Der besorgte Vater eilte nach seinem Kinde;
allein bei der Dunkelheit und seiner Angst verfehlte er den Weg. Er
suchte mehrere Stunden lang in den gefährlichen Moorgründen und
unter den Wasserfällen umher, bis ihn die Nacht übereilte. Immer
wanderte er weiter, ohne zu wissen, wohin; endlich kam er aus dem
Nebel heraus und entdeckte, daß er nicht weit von seiner Hütte sei.
In der Nacht weiter zu suchen, war unmöglich; aber kaum dämmerte
der Morgen, so brach er von seinen Nachbarn begleitet auf; den
ganzen Tag kletterte und suchte man umher, aber kein Kind wurde
gefunden.
Indessen war der Hund nach Hause gekommen, hatte sein Haber-
brod erhalten, war damit gleich davon gelaufen und nirgends zu sehen.
Alle Tage erneute der Vater mit zerrissenem Herzen sein Forschen;
aber Alles umsonst. Doch, wenn er am Abend in die Hütte trat,
erfuhr er, daß der Hund da gewesen war, sein Haberbrod bekommen
habe und gleich wieder verschwunden sei. Dies fiel ihm ans, und als
der Hund wieder kam, ging er ihm auf der Stelle nach.
Das treue Thier leitete ihn zu einem Wasserfall, und zwar nahe
an dem Punkte, wo der Vater das Kind verlassen. Es war ein
schrecklicher Ort. Auf beiden Seiten hohe Klippen; oben näherten
sie sich einander und wurden nur durch einen furchtbar tiefen Abgrund
getrennt. Längs eines der steilen Pfade eilte der Hund hinunter und
lief endlich in eine Höhle, deren Eingang mit dem tobenden Wasser-
fall ziemlich eine Höhe hatte. Der Schäfer folgte mit vieler Mühe
nach, und wie er hinein kam, welches Gefühl ergriff ihn da! Er sah
sein Kind das Brod essen, welches ihm der Hund gebracht hatte,
und das treue Thier saß vor ihm und hatte mit größtem Wohlgefallen
das Auge auf seinen jungen Pflegling geheftet.
Unstreitig war, als der Vater so lange ausblieb, das Kind an
den Rand des Abgrundes gegangen und hinuntergestürzt, oder an
dem Felsen hinabgeklettert, bis es in die Höhle kam; die Furcht vor
dem Wasserfalle aber hinderte es glücklicherweise, aus dieser hervor-
zugehen. Der Hund hatte mittelst des Geruchs die Spur des Kindes
entdeckt und es treu gegen das Verhungern geschützt, indem er ihm
sein eigenes Futter brachte. Tag und Nacht schien er das Kind nicht
verlassen zu haben, außer wenn er das Brod holte, und dann sah
man ihn in vollem Lause aus der Hütte eilen.
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TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch]]
54. Der kleine Friedensbote.
Eph. 4, 26.
Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und die
gelbe und meiste Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Ger-
der ein Kind geboren wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe, und
wenn der Bäcker in seinem großen Obstgarten an die Stelle eines
ausgedienten Invaliden einen Rekruten bedurfte, ging der Gerber in
seine schöne Baumschule und hob den schönsten Mann aus, den er
darin hatte, eine Pflaume, oder einen Apfel, oder eine Birne, oder
eine Kirsche, je nachdem er auf diesen oder jenen Posten, auf einen
fetten oder magern Platz gestellt werden sollte. — An Ostern, an
Martini und am heiligen Abend kam die Bäckerin, welche keine Kin-
der hatte, immer, einen großen Korb unter dem Arme, zu den Nach-
barsleuten hinüber und theilte unter die kleinen Pathen aus, was
ihr der Hase, oder der gute Märte, oder gar das Christkindlein selbst
unter die schneeweiße Serviette gelegt hatten. — Je mehr sich die
Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher rückten sich
die Herzen der beiden Weiber, und man brauchte keine Zigeunerin
zu sein, um aus dem Satz in ihren Kaffeeschalen zu prophezeien,
daß sie einander immer gut bleiben würden.
Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber
als Jagdliebhaber einen großen, braunen Feldmann und der Bäcker
einen kleinen, schneeweißen Wächter. Beide meinten die besten und
schönsten Thiere in ihrem Geschlechte zu haben. Und da geschah es
denn eines Tages, daß Wächter ein Kalbsknöchlein gegen den Feld-
mann behauptete. Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es
nicht gut sei, einem großen Herrn Etwas abzuschlagen. Vom Knur-
ren kam es zum Beißen, und ehe sich der Bäcker von seiner grünen
Bank vor dem Hause erheben konnte, lag sein Hündlein mit zer-
malmtem Genick vor ihm, und der Feldmann lief mit dem eroberten
Knochen und mit eingezogenem Schweif davon. Sehr ergrimmt und
entrüstet warf der Herr des Erwürgten dem Raubmörder einen ge-
waltigen Stein nach. Aber was halfs? Die Handgranate flog
nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch das
Fenster, mitten auf den Tisch, an dem er gerade die Zeitung las.
Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen sei, riß der Gerber
den zertrümmerten Fensterflügel auf und fing an zu schimpfen. Der
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TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
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Extrahierte Personennamen: Martini Feldmann Feldmann