Erstes Buch.
Das Christenthum unter den Germanen und Slaven. Der
Islam erobert Asten und Afrika und bedroht das
christliche Europa.
Obwohl die Provinzen des abendländischen römischen Reiches von
germanischen Stämmen besetzt sind, welche über die übriggebliebene rö-
mische Bevölkerung (Romani, Provinciales) herrschen, so ist für das
Abendland doch noch keine ruhige Zeit gekommen. Denn außerdem, daß
noch Wanderungen einzelner germanischer Stämme (der Angelsachsen
und Longobarden) folgen, bekriegen auch die ansässigen sich selbst fast
unaufhörlich, theils aus ererbtem Stammhaß, theils aus Raubsncht und
Kampflust, da germanische Könige und Völker noch keinen andern Ruhm
kennen als den kriegerischen. Andererseits folgen den germanischen
Völkern im Osten her in der ganzen Breite vom baltischen bis zum
schwarzen Meere die slavischen Völker, während diese selbst im Rücken
von dem Ural her durch die finnischen Stämme der Ungarn und die west-
türkischen der Awaren (die bereits zwischen Don und Wolga lagern),
Kumanen, Petschenegen rc. gedrängt werden. Die Bulgaren, wahr-
scheinlich ein Mischvolk aus Slaven und Türken, sind von der Kama
an das schwarze Meer und in das untere Dacien gewandert, gefährliche
Feinde des byzantinischen Reichs, das zugleich in Asien gegen Perser
und Saracenen (Araber) zu kämpfen hat und sich wenigstens der Auf-
gabe gewachsen zeigt, den von Arabien gegen den christlichen Südosten
Europas gerichteten Stoß abzuwehren. Zm Herzen Europas gründen
endlich die katholischen Franken durch die Vereinigung der meisten ger-
manischen Stämme, die gleichzeitig in die Gemeinschaft der Kirche
eingeführt werden, eine Großmacht, welche den Kampf mit barbarischen
Heiden und fanatischen Moslemin siegreich besteht und dadurch die nächste
Zukunft Europas, die Blüte der christlich-germanischen Kultur im Mittel-
alter, rettet und schützt.
Bumüller, Gesch. t>. Mittelalters.
1
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
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Extrahierte Ortsnamen: Afrika Europa Ungarn Asien Europas Europas Europas
Die Ungarn. Arpad.
101
getrieben; 973 blieb er gegen die Petschenegen, die vom Ural in die
Steppen vom unteren Don bis zur unteren Donau vorgedrungen waren
und die Ungarn westwärts getrieben hatten. Sein Sohn Wladimir I.,
der Große oder Apostelgleiche (973 — 1015), erkämpfte sich gegen seine
Brüder die Alleinherrschaft, bekriegte das byzantinische Reich, schloß aber
mit demselben Frieden und heirathete die griechische Prinzessin Anna;
988 ließ er sich zu Kiew taufen und führte das Christenthum im ganzen
Reiche ein. Er rief auch Gelehrte und Künstler herbei, baute Kirchen
und Klöster, lebte aber wie ein türkischer Chan in Vielweiberei und be-
wies dadurch, daß Rußland der Barbarei noch keineswegs entrissen war.
Sein Reich war das größte in Europa; das germanische Element war
aber bereits in dem slavischen aufgegangen, was daraus erhellt, daß
Wladimir das Slowenische als allgemeine Kirchensprache einführte. Er
theilte Rußland unter seine zwölf Söhne; der Großfürst Jaroslaw wie-
derholte die Theilung 1054, und nun dauerte sie einige Jahrhunderte
fort, was die russische Macht, die in ihren Anfängen so furchtbar aufge-
treten war, dermaßen schwächte, daß sie auf die Geschicke Europas im
Mittelalter keinen bedeutenden Einfluß mehr ausübte; auch die Keime
der von Wladimir gepflanzten Bildung wurden noch im 12. Jahrhun-
derte durch die Mongolen beinahe vernichtet.
Die Ungarn. Arpad (888-9v7).
Mit den Ungarn trafen die Russen unter Igor zusammen, der sie
zurückwarf, worauf sie ihre Raubzüge fast ausschließlich gegen Westen
richteten. Das finnisch-türkische Volk der Ungarn hatte sich allmälig am
Ural herunter an den Dniepr in das Reich der Chazaren gezogen und
wurde von den türkischen Petschenegen gedrängt, worauf es in sieben
Stämmen, denen sich der fremde der Maghyaren, nach welchem sich das
ganze Volk nannte, angeschlossen hatte, um die Mitte des 9. Jahrhun-
derts in Pannonien einbrach, welches damals die Bulgaren beherrschten,
und sich des ganzen Landes von der Raab bis zur Aluta bemächtigte.
Sein König Arpad (die von ihm stammende Dynastie der Arpaden er-
losch 1301) verband sich mit dem Kaiser Arnulf und zertrümmerte das
großmährische Reich Swatopluks. Dadurch wurden die Ungarn die östlichen
Nachbarn Deutschlands, und als sie nach Arnulfs Tode die herrschende
Anarchie sahen, versuchten sie alsbald einen Naubzug, und als dieser
vortrefflich gelang, kamen sie fast jedes Jahr regelmäßig wieder und
verwüsteten Deutschland bis Bremen, Basel und Metz; ebenso wenig
verschonten sie Oberitalien, wo sie 900 an der Brenta das Heer Be-
rengars von Friaul aufrieben. Man nannte sie damals Hunnen, weil
sie denselben an Wildheit und Häßlichkeit ungefähr gleich waren und
wie jene nur zu Pferde fochten. Wie alle Wilden und Halbwilden be-
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Extrahierte Personennamen: Arpad Wladimir_I. Anna Jaroslaw Arpad_( Igor Arpad_(
Extrahierte Ortsnamen: Ungarn Donau Ungarn Europa Europas Ungarn Pannonien Swatopluks Ungarn Deutschlands Deutschland Bremen Basel Oberitalien Brenta
Erstes Buch
Das Ehristenthnm unter den Germanen und Slaven. Der Islam
erobert Asien und Afrika und bedroht das christliche Europa.
Die Franken.
Obwohl die Provinzen des abendländischen römischen Reiches von
germanischen Stämmen besetzt sind, welche über die übriggebliebene rö-
mische Bevölkerung (Komgni, ?rovincial68) herrschen, so ist für das
Abendland doch noch keine ruhige Zeit gekommen. Denn außerdem, daß
noch Wanderungen einzelner germanischer Stämme (der Angelsachsen
und Longobarden) folgen, bekriegen auch die ansässigen sich selbst fast
unaufhörlich, theils aus ererbtem Stammhaß, theils aus Raubsucht und
Kampflust, da germanische Könige und Völker noch keinen andern Ruhm
kennen, als den kriegerischen.
Andererseits folgen den germanischen Völkern im Osten her in der
ganzen Breite vom baltischen bis zum schwarzen Meere die slavischen
Völker, während diese selbst im Rücken von dem Ural her durch die
finnischen Stämme der Ungarn und die wefttürkischen der Awaren (die
bereits zwischen Don und Wolga lagern), Kumanen, Petschenegen rc.
gedrängt werden. Die Bulgaren, wahrscheinlich ein Mischvolk aus
Slaven und Türken, sind von der Kama an das schwarze Meer und
in das untere Dacien gewandert, gefährliche Feinde des byzantinischen
Reiches, das zugleich in Asien gegen Perser und Saracenen (Araber)
zu kämpfen hat und sich wenigstens der Aufgabe gewachsen zeigt, den
von Arabien gegen den christlichen Südosten Europas gerichteten Stoß
abzuwehren.
2m Herzen Europas gründen endlich die katholischen Franken durch
die Vereinigung der meisten germanischen Stämme, die gleichzeitig in
die Gemeinschaft der Kirche eingeführt werden, eine Großmacht, welche
den Kampf mit germanischen und nichtgermanischen Heiden und fanati-
schen Moslemin siegreich besteht und dadurch die nächste Zukunft Euro-
pas, die Blüte der christlich-germanischen Kultur im Mittelalter, rettet
und schützt.
Lumüller, Mittelalter.
1
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Ortsnamen: Afrika Europa Ungarn Asien Europas Europas
Theilungsvertrag zu Verdun.
83
-wollte Ludwig und Karl ihres Erbtheils berauben, zu welchem Zwecke
er sich mit dem Aquitanier Pipin verband. Allein der Theil seines
Heeres, welchen er gegen Karl den Kahlen an der Seine zurückließ,
wurde von diesem geschlagen, und als er sich nun gegen Karl wandte,
zersprengte Ludwig das von ihm zurückgelassene Heer in einer Schlacht
auf dem Ries (schwäbische Ebene, von der Wernitz bewässert, an der
Gränze zwischen Schwaben, Bayern und Franken) vollständig (Mai
841), ging bei Worms über den Rhein und vereinigte sich unweit Toul
mit Karl dem Kahlen. Beide lieferten am 25. Juli bei Fontenaille
(k'ontnnetum) unweit Aurerre Lotharn eine 14stündige Schlacht, in
welcher dieser besiegt und der austrasische Heerbann fast aufgerieben
wurde (40,000 Mann todt). Rur widerstrebend und auf günstige Zwi-
schenfälle lauernd bequemte sich Lothar zu Unterhandlungen; er wiegelte
sogar die Sachsen gegen Ludwig auf, indem er ihnen die Wiederher-
stellung des Gesetzes ihrer Väter, wie es vor Karl dem Großen bestand,
versprach und die Frilinge und Liten gegen die Edelinge hetzte, als ihm
diese nicht mehr anhingen (Aufstand der Stellinga); ja er zog die
normanischen Seeräuber herbei und räumte ihnen die Insel Walchern
ein. Endlich sah er sich, weil die Völker des Krieges überdrüssig waren,
dennoch zu einem Vergleiche mit seinen Brüdern genöthigt, der im August
843 zu Verden (Verdun) zu Stande kam.
Lothar behielt mit dem Kaisertitel Italien, den südlichen Theil von
Rhätien und Rorikum, von Helvetien die heutigen schweizerischen Kan-
tone Wallis, Genf, Waadt, Freiburg, Neuenburg, Bern, Solothurn,
Aargau jenseits der Aare, Basel; den Länderstreifen an der Rhone bis
zum Genfersee, nordwärts den zwischen Saone, Maas und Schelde
einerseits und dem Rhein andererseits; diesseits des Rheins noch Fries-
land. Ludwig bekam Deutschland diesseits des Rheins, jenseits des-
selben die Bisthümer Mainz, Worms und Speyer, den nordöstlichen
Theil von Helvetien und Rhätien; Karl endlich den von Lothars Herr-
schaft westlich gelegenen Theil des Reiches (Neustrien, Aquitanien, ein
Stück von Burgund, die spanische Mark), mußte aber noch längere Zeit
mit dem Aquitanier Pipin kämpfen.
Daß diese Theilung wohl die Oberherrlichkeit des Kaisers Lothar
über die königlichen Brüder aufhob, aber keineswegs die deutschen und
romanischen Völker auseinander schied, ergibt der Augenschein, obwohl
sich in der Folge der Theilung der Gegensatz zwischen deutsch und roma-
nisch rascher entwickelte; auch lag dem Vertrage von 843 der Gedanke,
Karls des Großen Reich dauernd in drei Reiche aufzulösen, nicht ent-
fernt zu Grunde; es bestand vielmehr das Erbrecht der drei karolingi-
schen Dynastieen im Falle des Aussterbens der einen oder andern fort,
woraus wir neue Theiluugen, eine kurz dauernde Wiedervereinigung
6 *
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Ludwig Karl Karl Karl Karl Karl Karl Ludwig Ludwig Karl Karl Lothar Ludwig Ludwig Karl_dem_Großen Karl August Lothar Ludwig_bekam_Deutschland Ludwig Karl Karl Lothar Karls
Die Ungarn. Arpad.
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warf die Chazaren bis an den Iaik (Uralfluß), die türkischen Stämme
der Kassogen und Jassen zwischen dem asowschen und kaspischen Meere,
einen Theil der Bulgaren, und wurde von dem byzantinischen Kaiser
Johannes Tsimiszes 971 bei Silistria mit Mühe zurückgetrieben; 973
blieb er gegen die Petschenegen, die vom Ural in die Steppen vom
unteren Don bis zur unteren Donau vorgedrungen waren und die
Ungarn westwärts getrieben hatten.
Wladimir der Große (973—1015). Theilung des Reichs.
Sein Sohn Wladimir I., der Große oder Apostelgleiche (973—1015),
erkämpfte sich gegen seine Brüder die Alleinherrschaft, bekriegte das by-
zantinische Reich, schloß aber mit demselben Frieden und heirathete die
griechische Prinzessin Anna; 988 ließ er sich zu Kiew taufen und führte
das Christenthum im ganzen Reiche ein. Er rief auch Gelehrte und
Künstler herbei, baute Kirchen und Klöster, lebte aber wie ein türkischer
Chan in Vielweiberei und bewies dadurch, daß Rußland der Barbarei
noch keineswegs entrissen war. Sein Reich war das größte in Europa;
das germanische Element war aber bereits Ln dem slavischen aufgegangen,
was daraus erhellt, daß Wladimir das Slowenische als allgemeine
Kirchensprache einführte. Er theilte Rußland unter seine zwölf Söhne;
der Großfürst Jaroslaw wiederholte die Theilung 1054, und nun dauerte
sie einige Jahrhunderte fort, was die russische Macht, die in ihren An-
fängen so furchtbar aufgetreten war, dermaßen schwächte, daß sie auf die .
Geschicke Europas im Mittelalter keinen bedeutenden Einfluß mehr aus-
übte; auch die Keime der von Wladimir gepflanzten Bildung wurden
noch im 12. Jahrhunderte durch die Mongolen beinahe vernichtet.
Die Ungarn. Ärpal, (838—907).
Mit den Ungarn trafen die Russen unter Igor zusammen, der sie
zurückwarf, worauf sie ihre Raubzüge fast ausschließlich gegen Westen
richteten. Das finnisch-türkische Volk der Ungarn hatte sich allmählig
um Ural herunter an den Dniepr in das Reich der Chazaren ge-
zogen und wurde vdn den türkischen Petschenegen gedrängt, worauf
es in sieben Stämmen, denen sich der fremde der Maghyaren (vgl.
oben S. 41) angeschlossen hatte, um die Mitte des 9. Jahr-
hunderts in Pannonien einbrach, welches damals die Bulgaren be-
herrschten, und sich des ganzen Landes von der Aluta bis zur Raab
bemächtigte. Sein König Arpad (die von ihm stammende Dynastie der
Arpaden erlosch 1301) verband sich mit dem Kaiser Arnulf und zer-
trümmerte das großmährische Reich Swatopluks. Dadurch wurden die
Ungarn die östlichen Nachbarn Deutschlands, und als sie nach Arnulfs
Tode die herrschende Anarchie sahen, versuchten sie alsbald einen Raub-
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Personennamen: Arpad Johannes_Tsimiszes Wladimir_I. Anna Jaroslaw Igor Raab Arpad_(
Extrahierte Ortsnamen: Ungarn Silistria Donau Ungarn Europa Europas Ungarn Pannonien Aluta Swatopluks Ungarn Deutschlands
Die schweizerische Eidgenossenschaft gegründet.
247
Die schwehcrische Eidgenossenschaft gegründet (1308).
Der ermordete König hatte besonders eifrig darnach getrachtet, die
Leute im schweizerischen Alpengebirge an sich zu bringen; denn er er-
kannte die Wichtigkeit dieses Landes als Eckstein gegen Frankreich und
Italien recht wohl und als tüchtiger Kriegsmann schätzte er das aleman-
nische Fußvolk wie sein Vater, der sich ausgesprochen hatte, mit 40,000
Fußgängern und 4000 Reitern aus Alemannien wolle er der ganzen
Welt die Schlacht anbieten; denn die Natur jener Thäler und Berge
hatte dafür gesorgt, daß die altdeutsche Kriegsweise dort erhalten blieb.
Albrecht hatte vieles ererbt und vieles erworben in diesen Gegen-
den, und es brauchte nur noch einige Schritte, bis seine Herrschaft ab-
gerundet war. Thurgau, Zürichgan, Aargau, Zug, Freiburg und Luzern
gehörten ihm; als Schirmvogt von Säckingen war er Oberherr von
Glarus, als Schirmvogt von St. Gallen, Bisthum Chur und Kloster
Einsiedcln war er in diesen Stiftslanden Oberrichter und Pannerherr;
in Schwyz und Unterwalden hatte er Landvogtrechte, überdies Herr-
schaften und Güter; dagegen sind die Rechte Habsburgs in Uri noch
nicht hinlänglich aufgehellt. Von diesen drei Ländern ging ein Wider-
stand aus, dessen Veranlassung und Umfang wir nicht mehr bestimmen
können; denn was die Schweizer erzählen, ist Volkssage, durch lange
Feindseligkeit gänzlich verunstaltet, und gleichzeitige Geschichtschreiber
haben wir über jene Ereignisse keine. Wir lassen demnach die Geschichte
von Tell, Melchthal, Walter Fürst und Staufacher der Poesie und Sagen-
geschichte und begnügen uns, die Punkte herauszustellen, die unbestritten
bleiben müssen. Obwohl kein Geßler auf der Burg bei Küßnacht ge-
schichtlich erwiesen ist, so haben jedenfalls Adelige des Königs, mögen
diese Vögte gewesen sein oder nicht, das Landvolk durch Uebermuth er-
bittert; dies war bei der damals überhaudnehmenden Entartung des
Adels allbereits an der Tagesordnung. Noch gewisser ist, daß die Land-
gemeinden in den Bergen die Wirren der Zeit so gut benutzt hatten als
die Fürsten; als kein Kaiser die Rechte des Reiches wahrte, die Adeligen
sich für oder gegen die Hohenstaufen oder in eigenen Fehden schlugen,
als selbst die beiden Habsburger Linien einander bekriegten, nahmen die
Städte im damaligen Oberdeutschland (so nennt es noch der Schweizer
Tschudi im sechszehnten Jahrhundert) z. B. Zürich und noch mehr Bern
die Gelegenheit wahr sich jeder Oberherrlichkeit, die doch keinen Schutz,
sondern nur Lasten im Gefolge hatte, zu entziehen, was um so leichter
anging, als Schwaben keinen Herzog von Burgund, keinen Neichsstatt-
halter mehr hatte. Das gleiche thaten die Bauern, voran die Schwyzer,
welche bereits zweihundert Jahre mit dem Kloster Einsiedeln in einem
Streite wegen Wäldern und Alpen lagen; Zürich hatte sich an ihnen
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TM Hauptwörter (200): [T68: [Schweiz Zürich Kanton Bern See Stadt Genf Basel Schweizer Schwyz], T80: [Kaiser Stadt Fürst Recht Reich König Reichstag Macht Adel Fürsten], T4: [Orden Ritter Peter Kreuzzug Land Jahr Jerusalem Johanniter Arnold Frankreich], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Extrahierte Personennamen: Albrecht Walter_Fürst Schweizer
Tschudi
194 Englische Revolution. Zeitalter Ludwigs Xiv. rc.
ihre barbarischen Gewohnheiten abthun; allein er richtete nicht viel aus,
weil Gesittung nicht geboten werden kann, sondern nur als eine Frucht
der Jahrhunderte reift. Peter selbst blieb Zeitlebens ein Barbar, der seine
Minister eigenhändig durchprügelte, die Gesandten und Räthe betrunken
machte und sich selbst lästerlich berauschte, seiner Wollust mit thierischer
Schamlosigkeit stöhnte, das Leben anderer für nichts achtete und zu seinem
Zeitvertreibe aufzuopfern geneigt war und bei den Hinrichtungen selbst
Hand anlegte. Aber dieser Barbar war ein genialer Mann und hatte
einen politischen Scharfblick, der ihn das nahe und ferne Ziel klar er-
kennen und jeden Schritt abmessen ließ; bei seiner starken Willenskraft
war er dennoch seiner Eroberungslust ganz mächtig und gab ihr nur
in so weit nach als nothwendig war, um zu der Macht Rußlands
und dessen künftiger Weltherrschaft die Fundamente und Grundmauern
zu bauen.
Als er die Negierung übernahm hatte das weitausgedehnte Ruß-
land noch keine Küsten in seinem Besitze als die des Eismeeres mit dem
Seehafen Archangel, welcher die Hälfte des Jahres durch Eis geschlossen
ist, und die sibirische Küste bis Kamtschatka, bis wohin die Russen im
Laufe des 17. Jahrhunderts vordrangen. Die Mündungen der andern
russischen Flüsse waren in den Händen der Türken und Schweden. Ruß-
land hatte noch keinen selbstständigen Handel, war also auch ein geldarmes
Land. Peter erkannte, daß ohne Seehandel und Seemacht die Stärke
eines Staates keine nachhaltige ist, darum suchte er an dem baltischen
und asowischen Meere festen Fuß zu fassen, und fing mit den Türken
Krieg an, als sie gerade an Prinz Eugen die neue Kriegskunst kennen
lernten. Es gelang ihm mit den Schiffen, die er auf dem Don gebaut
hatte, die türkische Flotte zu überfallen und zu schlagen; die Stadt Asow,
von welcher die Palus Mäotis der Alten den heutigen Namen des aso-
wischen Meeres trägt, fiel in seine Gewalt und wurde ihm von den
Türken im Frieden von 1699 abgetreten. So öffnete Peter seinem
Volke das bisher verschlossene Meer.
Schweden von Gustav Ädotpli dis Kart Xii. (1631 — 1699).
Seine Hauptanstrengung richtete Peter aber gegen Schweden, wel-
ches das baltische Meer beherrschte, dessen Herrschaft er als die erste
Bedingung der russischen Größe ansah. Gustav Adolf und die Erobe-
rungen der schwedischen Feldherren im dreißigjährigen Kriege hatten das
schwachbevölkerte und arme Schweden in den Rang der Großmächte vor-
geschoben, und nur auf Schwedens Kosten konnte Rußland zunächst Einfluß
auf Europa gewinnen.
Auf Gustav Adolf folgte seine minderjährige Tochter Christine,
für die während zwölf Jahren ein Reichsrath von fünf Mitgliedern,
TM Hauptwörter (50): [T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs Peter Peter Eugen Peter Gustav_Ädotpli Gustav Peter Gustav_Adolf Gustav Adolf Gustav_Adolf Gustav Adolf Christine
Extrahierte Ortsnamen: Kamtschatka Schweden Schweden Schwedens Europa
412
Die Zeit von 1815 bis 1857.
einmal von den Türken erlöst zu werden sprach sich in den Prophe-
zeihungen aus, die unter dem Volke verbreitet waren und durch die
sichtbar zunehmende Schwäche des osmanischen Reichs als bestätigt er-
schienen. Die Kraft der Osmanen war durch Prinz Eugen in ihren
Grundfesten erschüttert worden und wenn auch der Kaiser den von
Eugen vorgezeichneten Weg, welcher an das schwarze Meer geführt
hätte, verließ und den Türken seinerseits Erholung gewährte, so drängte
Rußland seit Peter I. um so entschiedener gegen das schwarze Meer,
das Pfand der Herrschaft über Kleinasien und die unteren Donauländer.
Rußland rückte auf Kosten der Türkei au die Mündungen des Kuban,
des Don, des Dnieper, Dniester, bis an den Pruth und die Donau
vor, in Asien über den Kaukasus bis an den Phasis und Kur und stei-
gerte durch jeden neuen Krieg die Schwäche der Pforte. Durch die
Unterwerfung der Tataren in der Krim und nogaischen Steppe erlitt
die türkische Militärmacht einen unheilbaren Schlag, indem sie jene
leichte Reiterei verlor, welche bisher die Schwärme der russischen Ko-
saken unschädlich gemacht hatte; auch das ehemals so gefürchtete Fuß-
volk der Janitscharen zeigte sich der neuen Taktik und Bewaffnung, die
Rußland durch deutsche Offiziere empfangen hatte, immer weniger ge-
wachsen, und der Versuch, das türkische Heer nach christlichem Muster
zu organisieren, kostete 1807 dem edlen Sultan Selim Ih. Thron und
Leben. Sein Nachfolger Sultan Mahmud 11. verlor zwar im Frie-
den von Bukarest au Rußland nur einen kleinen Landstrich, aber
Rußland sorgte dafür, daß es über die Türkei eine Art von Oberhoheit
behielt. Dies geschah durch die russische Schutzherrlichkeit über die der
Türkei tributpflichtigen Donaufürstenthümer, besonders aber durch das
im Frieden von Kutschuk Kainardsche (1774) gewonnene und in
jedem späteren Friedensschlüsse bestätigte Recht des russischen Kaisers,
kraft dessen er darüber wacht, daß die griechische Kirche in der Türkei
in ihren Privilegien nicht beeinträchtigt werde. Dadurch erschien der
russische Kaiser den Griechen als der natürliche Beschützer und künftige
Erlöser, und er selbst hatte zu jeder Zeit, wann er es für gut fand,
einen Anlaß, der Türkei einen neuen Stoß zu geben; wie sollte es näm-
lich bei dem rohen Fanatismus der Türken jemals an Gewaltthätigkeiten
gegen die Griechen fehlen? Rußland hatte in seinen Kriegen gegen die
Türken noch jedesmal die Griechen gegen die Türken aufgerufen, 1770
sogar die peloponuesischen, jedesmal aber im Frieden die Griechen den Tür-
ken thatsächlich preisgegeben; die barbarische Rache derselben machte sie den
Griechen nur um so verhaßter und diese vergaßen darüber, daß Rußland
sie verlassen hatte, und hofften um so mehr von der Zukunft, auf welche
sie von den russischen Agenten vertröstet wurden; auch ermangelte der
russische Hof niemals, den Griechen Zeichen seiner Sympathie zu geben
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr]]
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Extrahierte Personennamen: Eugen Eugen Eugen Eugen Mahmud
Extrahierte Ortsnamen: Kleinasien Donau Asien Kaukasus Bukarest Kutschuk_Kainardsche
Rußland.
441
der Menschenverlust wurde um so mehr empfunden, als die Bevölkerung
des Reichs ohnehin eine dünne ist, und die finanziellen Kräfte waren so
abgespannt, daß sie allein schon den Frieden als das einzige Heilmittel
rathsam machten. Unter Alerander ruhten daher von 1815 bis 1825
die russischen Waffen und die seit Peter I. traditionelle russische Politik
zeigte sich während dieses Decenniums nur dadurch, daß 1824 die Nord-
westküste von Amerika zum großen Aergeruisse der Briten und Nord-
amerikaner förmlich in Besitz genommen wurde; wie das Augenmerk der
russischen Herrscher unverrückt gegen Centralasien schaut, bewies die Ge-
schicklichkeit, mit der im gleichen Jahre 7 kirgisische und kalmückische Hor-
den sich dem chinesischen Reiche entziehen und zu russischen Schützlingen
machen ließen. Für den Ackerbau sorgte der Kaiser, insoweit dies über-
haupt ein Fürst thun kann, in dessen Lande die Mehrzahl der Bauern
Leibeigene sind. Den Ausfuhrhandel mit den Erzeugnissen des Acker-
baues, der Viehzucht, der Jagd, des Fischfangs, des Bergbaues (Hanf,
Lein, Talg, Häute, Pelzwerk, Hausenblase, Kaviar, Holz, Theer, Kupfer),
beförderte er durch weise Gesetze; die Industrie, die den Bedürfnissen
Rußlands bei weitem nicht genügte, versuchte er bereits durch die un-
mittelbare Betheiligung des Staats zu heben, indem er z. B. Wollen-
tuchfabriken auf Regierungskosten anlegte. Erst 1823 jedoch wurde durch
den Finanzminister Kankrin (einen Deutschen aus Hanau) das System
der russischen Handelspolitik in seinen Grundzügen aufgestellt, das jetzt
vollendet dasteht: Ausschließung jedes fremden Fabrikats, dessen Erzeu-
gung in Rußland nur irgendwie möglich ist; Herstellung einer einheimi-
schen Industrie nicht allein durch diese Sperre gegen das Ausland, son-
dern nöthigenfalls dadurch, daß aus den Leibeigenen Arbeiter für die
Fabriken wie Rekruten ausgehoben, gedrillt und eingetheilt werden; Ver-
schließung des alten Handelswegs nach Centralasien über Kolchis und
das kaspische Meer für alle nichtrussischen Maaren. Dadurch strebte Ruß-
land sein ungeheueres Gebiet der Abhängigkeit von fremder Industrie
zu entziehen, wie es auch andererseits als eine eigene Welt dastehen und
dem, was man in dem andern Europa den Zeitgeist zu nennen pflegt,
keine Opfergaben oder Tribute darbringen wollte. Anfangs gehörte Ale-
rander selbst der liberalen Richtung an (das beweisen die finnländische
und polnische Verfassung, die Manifeste im Kriege von 1812—15 re.),
er entzog ihr jedoch bald seine Gunst. Er gründete allerdings 5 Uni-
versitäten, 50 Gymnasien, 100 Kreis- und mehrere tausend Volksschulen,
aber er ließ den öffentlichen Unterricht streng überwachen und führte
eine scharfe Censur ein, Maßregeln, die unter seinem Nachfolger bis zur
äußersten Konsequenz ausgebildet wurden, so daß der Umfang des Wis-
sens jedem Russen der unteren Stände genau zugemessen ist. Religiö-
sen Bewegungen und Differenzen wurde er schon 1816 sehr abhold; in
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Extrahierte Ortsnamen: Amerika Hanau Kolchis Europa
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Die Zeit von 1815 bis 1857.
noch schlimmer kommen. Die Bevölkerung des von der Natur außer-
ordentlich gesegneten Ländchens war zur Hälfte katholisch, zur Hälfte
protestantisch, jedoch so, daß der letztere Theil um etwa 5000 Seelen
überwog; die Verfassung hatte deßwegen vollständige Parität bestimmt,
so daß in allen Landesbehörden beide Theile gleich repräsentiert waren.
Bei Gelegenheit der Revision machte sich eine doppelte Agitation geltend;
auf katholischer Seite verlangte man Sicherstellung der konfessionellen
Rechte, namentlich in Betreff der Verwaltung des Kirchenguts, des Un-
terrichtswesens u. s. w., dagegen wollte der protestantische Theil gerade
hierin nichts geändert wissen und stimmte mit den Katholiken nur darin
überein, daß er eine demokratische Erweiterung der Volksrechte verlangte.
Daran hatte aber der Große Rath kein Wohlgefallen und daher kam es,
daß die von ihm vorgelegte neue Verfassung am 5. Oktober 1840 bei
der Volksabstimmung mit 23,095 Stimmen gegen 3171 verworfen wurde.
Der Große Rath versammelte sich sogleich wieder und brachte in sehr
kurzer Frist eine neue Verfassung zu Stande, in welcher die Parität der
konfessionellen Vertretung wegfiel, indem die Mehrzahl der katholischen
Repräsentanten gegen dieselbe stimmte und nur zwei einläßlich für die-
selbe zu sprechen wagten. Am 5. Januar 1841 ging die Volksabstim-
mung in Ruhe und Ordnung vor sich und ergab: in den reformierten
Bezirken Aarau, Brugg, Kulm, Lenzburg und Zofingen nahm die über-
wiegende Mehrheit an, in den katholischen: Baden, Bremgarten, Laufen-
burg, Rheinfelden und Muri verwarf sie; da aber die radikalen Katho-
liken zahlreicher für die neue Verfassung als die konservativen Protestanten
gegen sie stimmten, so zählten die Annehmenden 15,336, die Verwerfen-
den 11,454 Stimmen. Dadurch wurde klar: 1. daß die katholischen
Großräthe nicht im Sinne des katholischen Volks gestimmt hatten, 2.
daß die neue Verfassung dem katholischen Volke nur aufgezwungen wer-
den könne, 3. daß der protestantische Aargau dies nur mit der Hilfe
radikaler Nachbarkantone auözuführen vermöge. Die aargauische Regie-
rung schritt nun nach dem Muster von Solothurn vor, wozu sie beson-
ders von dem Regierungsrath Waller, einem Katholiken und radikalen
Fanatiker, gespornt wurde. Die Häupter des Komites von Bünzen,
das während der Revisionsbewegung für die Parität gearbeitet, aber
auch nicht einen ungesetzlichen Schritt gethan hatte, sollten mit Hilfe
der Gensdarmerie und der radikalen Schutzvereine verhaftet werden. Dies
geschah am 10. Januar morgens an einem Sonntage zu Bremgarten
und Muri, an welchen Ort Waller auf sein eigenes Begehren als Ne-
gierungskommissär geschickt wurde. Wegen dieser Verhaftungen rottete
sich das Volk zusammen, befreite die Gefangenen und sperrte Waller
sammt den Gensdarmen ein, aber schon am 11. rückten die von der Re-
gierung aufgebotenen Milizen aus den protestantischen Landestheilen ein,
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