§ 224. Die Schweiz. 623
die Regierungsgewalt in den Hänben der Patrizier lag. Diese Unruhen gaben Frankreich willkommene Veranlassung, dieses Land durch den General Schauenburg besetzen zu lassen, um den ms. republikanisch Gesinnten zu helfen. Es würde der Schweiz eine neue Verfassung aufgedrängt, nach welcher dieselbe ans 22 Kantonen bestehen und tu Luzern, als der Hauptstadt, ein Direktorium eingesetzt werden sollte. Bis die Schweizer sich dazu verstanden, diese Verfassung anzunehmen, war ihr Land der Schauplatz blutiger Kämpfe, da insbesondere die Gebirgsbewohner gegen die Franzosen aufstanden. Die Verbindung mit Frankreich brachte es mit, daß die Österreicher unter dem Erzherzog Karl und die Russen unter Suwarow und Korsakow auf dem Schweizerboden gegen die Franzosen unter Mass 6 na ihre Kämpfe ausfochten. Um sich die französischen Truppen ootnra. Halse zu schaffen, mußte sich die Schweiz bequemen, ein Schutz-und Trutzbündnis mit Frankreich einzugehen und ein Hilfsheer von 16 000 Mann zu stellen. Die nächsten zehn Jahre verliefen is03. ruhig, aber nach dem jähen Sturze Napoleons wurde auch die Schweiz von den Alliierten besetzt und die Patrizier ergriffen, namentlich in Bern, Luzern, Solothurn und Freiburg, die Gelegenheit, frühere Zustände wiederherzustellen. Der Wiener Kongreß erkannte übrigens die Neutralität der Schweizisis. an und regulierte ihre Grenzen.
620) Die Anerkennung der Schweiz als eines neutralen Landes hatte die Folge, daß sie eine Zufluchtsstätte der politischen Flüchtlinge wurde, und es sammelten sich in ihr Unzufriedene aus allen Ländern. Viele von ihnen wurden an den schweizerischen Lehranstalten angestellt und beeinflußten die Jugend im Sinne der Revolution und des Unglaubens. Es war um so leichter, Unzufriedenheit zu erwecken, als die Vielgestaltung der einzelnen Kantonsregierungen die Notwendigkeit einer großem politischen Einheit fühlbar machte. Dazu kamen noch konfe f-sionelle Zerwürfnisse, hauptsächlich der Haß, mit dem der Liberalismus die katholische Kirche in allen Staaten verfolgt. Dieser Haß ries den Aargauer Klo st er sturm hervor, wodurch i84i. die Gemüter der Katholiken auf das tiefste gekränkt wurden. Daßjdie Verfassung im Angesicht der Garanten der Neutralität der Schweiz ohne alle Ahndung gebrochen werden durfte, machte
die liberale Partei um so dreister. Es wurde eine radikale Umgestaltung der Verfassung auf dem Wege der Gewalt angestrebt.
621) Die äußere Veranlassung zum Bürgerkriege mußten die Jesuiten wieder bieten, denen der Kanton Luzern seine höhere Lehranstalt übergeben hatte. Angeblich im Interesse des konfes-1«44.
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Extrahierte Personennamen: Albrechts Albrechts Heinrich_Vii Heinrich Albrechts_Söhne Albrechts Leopold Leopold Leopold_von_Oesterreich Leopold Albrechts_I. Arnold_Struthan_von_Winkelried Heinrich_Vii Heinrich Heinrich Albrechts Albrechts Adolfs Adolfs
Vom westfäl. Frieden bis zur ersten französischen Revulution. 157
mit 80,000 Mann in Esthland eingebrochen und belagerte Narwa.
Mit 9o00 Mann landete Karl in Liefland, rückte vor Narwa und
schlug daselbst das fast zehnfach überlegene Heer der Rüsten (1700).
Der König hatte sich so in die Hitze treiben lasten, daß er einen Stiefel
im Moraste stecken ließ und im Strumpfe heranstürmte. Unter Kano-
nendonner zog der junge Held in die Stadt ein; sein erster Gang
war in das Haus des Herrn, um Gott auf den Knien für seinen
Sieg zu danken. Peter der Große soll nach dieser Niederlage die
prophetischen Worte gesprochen haben: „Ich weiß wohl, daß uns die
Schweden noch oft schlagen werden, aber endlich müssen sie uns auch
siegen lehren."
Auch das sächsische Heer unterlag bei Riga. König August ver-
suchte insgeheim und öffentlich den Frieden zu erhalten; allein Karl
wies die Unterhandlungen zurück, und nach zwei neuen Siegen über
die Sachsen ließ er in Warschau den König August durch den polnischen
Reichstag absetzen und den Woiwoden Stanislaus Lesczinski zum Könige
ausrufen. August Ii. machte mit Hülfe der Russen Versuche, den pol-
nischen Thron wieder zu erlangen, allein Karl besiegte seine Gegner
abermals und beschloß, trotz aller Vorstellungen seiner Freunde und dem
ausdrücklichen Verbote des deutschen Kaisers, seinen Gegner' in Sachsen
anzugreifen. Er führte seinen Vorsatz aus, und als er in der Nähe
von Dresden erschien, bequemte sich August zum Frieden von Altran-
städt (1706), worin er für sich und seine Nachkommen auf den polni-
schen Thron verzichtete und dem Bunde mit Rußland entsagte.
Aus Karls Rückmarsch nach Polen traf eines Tages eine Ge-
sandtschaft schlesischer Protestanten bei ihm ein und bat um Schutz
ihres Gottesdienstes. Ein alter Bauer drängte sich an Karl heran
und wich nicht von ihm, bis ihm der König die Hand darauf gegeben
hatte, er werde ihnen die freie Ausübung ihres Gottesdienstes verschaffen.
Karl hielt Wort. Als er den Kaiser Joseph I. hierum anging, ge-
währte dieser bereitwillig das Gesuch und schrieb dem Papste, welcher
ihn darüber tadelte, daß er die eingezogenen Kirchen herausgegeben
habe, er sei noch glücklich gewesen, daß der König von Schweden nicht
auch seinen Uebertritt zur lutherischen Kirche begehrt habe; denn er
wisse nicht, was er alsdann gethan haben würde.
Fünf Jahre waren seit der Schlacht bei Narwa verflossen. Peter
der Große hatte die Abwesenheit seines Gegners vortrefflich benutzt,
Jngermannland, Liefland und Esthland genommen und am Ausflusse
der Newa (1703) den Grundstein zur neuen Hauptstadt des Reiches,
St. Petersburg, gelegt. 100,000 Leibeigene arbeiteten Tag und Nacht
u. August n.
vou Sachsen.
Karl seht den
König von
Polen ab
und zwingt
Sachsen zum
Frieden.
Die schlesi-
schen Prote-
stanten erhal-
ten Karls
Beistand.
Peter der
Große grün-
det St. Pe-
tersburg
1703.
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl August Karl Karl August Stanislaus_Lesczinski August Karl Karl August Karls Karl Karl Karl Karl Peter
der_Große August Karl Karl Karls
Extrahierte Ortsnamen: Esthland Liefland Schweden Riga Sachsen Warschau Sachsen Dresden Karls Polen Schweden Narwa Petersburg Sachsen Polen Sachsen Karls
34
Erste Periode der neueren Geschichte.
die Protestanten in gerechtem Unwillen über biefe Verurteilung ihrer Glaubenssache ohne richterlichen Entscheib ihre Theilnahme ab und luben ihre Anhänger zu einer neuen Versammlung nach Schmalkalben ein, wo die förmliche Lossagung vom Papste erfolgte (1537). Die zu biesem Zwecke abgefaßte Schrift Luthers, die sogenannten Schmalkalber Artikel, die beibert Katechismen Luthers, bilben mit der Augsburger Consession und der Apologie die symbolischen Bücher ober Be-kenntnisschriften der lutherischen Kirche.
io. Die Wiedertäufer und die Jesuiten.
Zwei Ereignisse jener Tage schienen den Fortgang der Reformation zu gefährden: der Unfug der Wiedertäufer in Münster und die Stiftung des Jesuitenordens durch Ignatius Loyola.
'taufet^1 Ju der westfälischen Stadt Münster waren seit dem Bauernkriege Johann häufig Unruhen zwischen den Bürgern und dem Bischof vorgekommen; jj?jttbieien, der Prediger Rottmann hatte angefangen die neue Lehre zu versündigen. Darum mußte das Domcapitel es geschehen lassen, daß in den sechs Pfarrkirchen die evangelische Prebigt gehalten würde, währenb die Dom-kirche dem katholischen Gottesbienste verblieb. Allein balb brachen neue und gefährlichere Unruhen aus. Die Wiebertäufer hatten sich nach ihrer Nieberlage in Sachsen in die Nieberlanbe begeben. Von ba B°Ä°7und kamen einzelne nach Münster. Unter biesen Schwärmern zeichneten ihre Genossen sich der Bäcker Johann Matthiesen aus Harlem und der Schneider Johann Bockelson von Leyben aus. Als sie durch ihre Weissagungen das Volk aufregten, wurden sie aus der Stadt gewiesen. Allein sie kehrten zurück, brachten den Prediger Rottmann, den reichen Tuchhändler Knipperdolling und den Bürger Krechting auf ihre Seite und predigten in den Straßen Buße und Wiedertaufe. Durch ihre Reden und fünfte? Prophezeiungen wurde die Menge bethört; überall standen Propheten gräulichen ans und entzückte Jungfrauen, welche den Himmel offen und die Engel ^1533-34°"' herabsteigen sahen. Die Weiber tobten in Masse auf den öffentlichen Plätzen umher, jauchzten laut auf, hielten rasende Tänze oder fielen wie tobt nieber. Besonbers zeichneten sich babei die Nonnen aus, welche ihre Kloster verlassen hatten. Man gewahrte unter ihnen Jungfrauen aus den ebelsten Familien, welche von ihren Eltern und Verwanbten vergeblich zur Rückkehr aufgestöbert würden, „Ihr seid nicht unsere Eltern," riefen sie, „denn ihr habt uns in die Häuser des Todes und der Hölle begraben." Die Verirrungen waren so ansteckend, daß selbst Edelfrauen und Töchter der Umgegend ihre Männer und Väter ver-
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Extrahierte Personennamen: Ignatius_Loyola Johann Johann Rottmann Johann Schneider_Johann_Bockelson_von_Leyben Johann Rottmann
588
Die Zeit von 1815 bis 1857.
Gericht zu stellen, sondern sie zu beschimpfen und zu pensionieren; es
war gegen alles Recht, die Mitglieder einer Korporation anzuklagen, sie
nicht zu strafen, aber die Korporation aufzuheben und ihr Gut wegzu-
nehmen; die Aufhebung der Klöster schlug endlich das eidgenössische Bun-
desrecht ins Gesicht, indem §. 12 der Bundesakte ausdrücklich den Be-
stand der Klöster und Stifte verbürgte. Die katholischen Kantone Uri,
Schwyz, Unterwalden, Zug und Fr ei bürg protestierten alsbald
energisch gegen die Gewaltthat, Neuen bürg sprach sich in gleicher Weise
aus, St. Gallen erklärte sich ebenfalls in diesem Sinne und der Vor-
ort Zürich mußte auf das Begehren der sechs ersten Stände eine außer-
ordentliche Tagsatzung einberufen, die einzelnen Kantone also ihren Ge-
sandten die nothwendigen Instruktionen in der Klosterfrage ertheilen, was
das Feuer der Zwietracht in der ganzen Schweiz aufs neue anfachte. Die
Tagsatzung kam 1841 den 15. März in dem Vororte Bern zusammen,
dessen Schultheiß Neuhaus sie mit einer gespreizten Rede in franzö-
sischer Sprache eröffnete. Dieser Neuhaus war ein geborner Vieler,
hatte die Handlung erlernt und war lange in Frankreich beschäftigt ge-
wesen, woher er den angebornen protestantischen Haß gegen die Klöster
mit philosophischem Franzosenthum verquickt in die Schweiz zurückbrachte.
Seit dem Zahre 1830 war er in die politische Laufbahn eingerückt, war
1831 Sekretär des Verfassungsraths, hierauf Vorstand des Departements
des Erziehungswesens und wurde, als die radikale Partei in Bern das
Uebergewicht erhielt, Schultheiß und so Präsident der Tagsatzung. Er
hatte der Solothurner Negierung bei der Verfassungsrevision den Ge-
fallen gethan und Bataillone an die Gränze geschickt (von nichts sprach
er lieber als von Berns 30,000 Bajonetten), hatte das Freienamt er-
drücken helfen und der aargauischen Regierung die bestimmte Versicherung
gegeben, daß sie auf die Unterstützung Berns unter allen Umständen
rechnen dürfe. Schon in seiner französischen Eröffnungsrede zeigte er
seine radikale Gewaltthätigkeit und Sophisterei, indem er dem Artikel 12
der Bundesakte den Artikel 1 gegenüber stellte, der jedem Kanton seinen
unversehrten Bestand garantierte; Aargau aber könne allein entscheiden,
ob der Bestand der Klöster mit dem Bestand des Kantons vereinbarlich
sei und bei dem Urtheil des Aargaus werde es die Tagsatzung bewen-
den lassen. So beutete damals der Radikalismus die Käntonalsouve-
ränität aus, die er sonst als eine Duelle des nationalen Unheils an-
klagte; die Tagsatzung jedoch ging nicht darauf ein, sondern erklärte mit
Stimmenmehrheit (zu der die reformierten Stände Zürich, Schass-
hausen, Waadt, Neuenburg, Baselstadt, die paritätischen St. Gallen,
Glarus und Graubünden, nicht aber die katholischen Luzern und Solo-
thurn gehörten), Aargau möge wegen seines Dekrets, die Klosteraufhe-
bung betreffend, noch einmal eintreten und dem Bunde Genüge thun,
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Schlacht bei Kappel.
29
mit Luzern und Schwyz Schirmorte des Stifts St. Gallen waren, ver-
kauften dasselbe um ein Spottgeld an die Stadt St. Gallen. Die ka-
tholischen Kantone protestierten und wurden nicht gehört, man forderte
im Gegentheile von ihnen, sie sollen auch in ihrem Lande das Evange-
lium frei predigen und Disputationen abhalten lassen. Das wollten
diese nicht; Zwingli rieth zu raschem Kriege (seine kriegerischen Ent-
würfe sind noch handschriftlich auf dem Züricher Nathhause erhalten),
Bern und Zürich wollten aber die Hirtenkantone allmählig mürbe machen
und sperrten ihnen die Zufuhr an Korn und Salz. Vergebens predigte
Zwingli, daß sie dadurch nur den Krieg später herbeiführten; hätten sie
das Recht die Bergkantone auszuhungern, so hätten sie auch das Recht
sie zu bekriegen, und jetzt sei der Zeitpunkt günstiger als im Herbste,
jetzt könne man den kleinen Kantonen nehmen, was sie zu viel Recht
hätten. Die Städte blieben bei ihrer Sperre, und als die Hirten im
Herbste mit ihrem Vieh von den Alpen gefahren waren, rückten sie mit
ihren Bannern aus und sandten Zürich den Absagebrief. Die Züricher
zogen ihnen über den Albis entgegen auf die Hochebene bei Kappel,
ohne Ordnung und Begeisterung, auch der Zahl nach viel schwächer.
Dennoch ließen sie sich in ein Treffen ein; „druckend tapfer nach, ihr
alten Christen," scholl es aus dem Schlachthaufen der Bergleute, und die
Züricher wurden mit einem Verluste von mehr als 400 Bürgern in die
Flucht getrieben. Auch Zwingli blieb auf dem Schlachtfelde; er lag
schwer verwundet auf dem Gesichte (wie die Augenzeugen melden), als
ihn die feindlichen Krieger auffanden und fragten, ob er beichten wolle;
er schüttelte mit dem Kopfe und wurde von einem Unterwaldner durch-
stochen, sein Leichnam aber zerrissen und verbrannt. Nach dieser Niederlage
kamen die Berner und reformierten Landschaften den Zürchern zu Hilfe
und standen den Katholischen bei Baar unweit Zug mit großer Ueber-
macht gegenüber. Diese überfielen aber (21. Oktober) eine Heeresabthei-
lung nächtlicher Weile auf der Höhe des Gubels und rieben sie auf.
Nun wurde abermals ein Friede geschlossen, denn das unzufriedene Land-
volk zwang Zürich und Bern hiezu, in welchem die Städte versprechen
mußten, die Katholiken „bei ihrem wahren christlichen Glauben unarguiert
und undisputiert zu lassen", die einseitig aufgehobenen Klöster wieder-
herzustellen und in den gemeinsamen Vogteien den Unterthanen die freie
Wahl des Glaubens zu gestatten. Jetzt wurde Solothurn wieder ka-
tholisch, ebenso viele Leute in den gemeinschaftlichen Vogteien, die Klöster
wurden in diesen wieder hergestellt, und der Abt von St. Gallen durfte
wieder in sein halbzerstörtes Stift zurückkehren. Dieser Kappeler
Friede bezeichnet den Stillstand der Reformation in der deutschen
Schweiz.
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Europa —
Nußland.
975
Konstautinopel eine russische Fregatte aus dem schwarzen Meere aulaugeu, sowie bald
darauf der Zar mit seinen eignen Schiffen das finnische Meer ^ befuhr.
ergriff dessen Gemahlin, die anhaltinische Prinzeß
Katharina Ii. das Szepter; sie verstand es auch zu führen. Vor ihrer Zeit hatte
man wohl den Zar Peter bewundert, doch die russische Macht noch wenig beachtet.
Katharinas Regierung beschäftigte die Aufmerksamkeit von ganz Europa. Der Schimmer
ihres Hofe?, ihre Heere, ihre Flotten, ihre politischen Schritte, ihre Eroberungen hoben
Rußland unter die Staaten ersten Ranges und machten die übrigen bangen. Sie
nahm den Türken die tatarischen Länder der Krim und Otschakow (Süd- oder
Neurußland) am schwarzen Meere, der Herzog von Kurland, bis 1795in schein-
barer Unabhängigkeit belaffen, mußte sich freiwillig anschließen, der polnische Staat
wurde mit List und Gewalt zerstört und von ihm ganz Littauen mit Wolhynien,
Podolien :c. ans russische Reich gebracht. Bei dem Tatarendorfe Odessa, das sie
1730 zur Stadt umwandelte, ließ sie einen Wegweiser errichten mit der Inschrift:
Hier gehts nach Konstautinopel! — Und wie sie dadurch ihre Absichten auf die Türkei
kund that, so drohete ihre gegen die Weichsel vorgeschobene Grenze, wo nun kein pol-
nisches Reich mehr den Deutschen als Bollwerk diente, dem ganzen Westen Europas.
Rußland, dessen Volksmenge sich unter ihrem Scepter um 1/i vergrößerte, ward ein
Koloß, woriu freilich neben Pracht, Glanz und größtentheils nur äußerer Kultur noch
unendliche Niedrigkeit und Unwissenheit des Volkes vorhanden war, jedoch der feinere
deutschredende Adel Livlands und Kurlands, zu dem russischen gesellt, auf Beschäftigung
mit Wissenschaft und Kunst in den höheren Ständen gewirkt hatte. Nicht mehr bloß
Deutsche wie zuvor (z. B. Münnich und Ostermann) führten die kaiserlichen Heere;
man sah schon geborne Russen an ihrer Spitze, wie Romanzoff und Suwarow. Der
letztere, berüchtigt durch die Blutfcenen in Otschakow und Praga (Vorstadt Warschaus),
focht uuter der Regierung Panls schon auf dem Boden Italiens gegen Frank-
reich (im Feldzug 1799), so daß unter Katharinas Enkel Alexander die russischen
Truppen mit zur Entscheidung über Europas Schicksal berufen wurden.
Alexander der Milde (1891—1825) that Vieles, das ihm zur Ehre und
seinem Volke, besonders den untern vernachlässigten Klassen, zum Vortheil gereichte.
Vergrößert ward das Reich, wie im Innern durch Verbreitung des Anbaus und Be-
thätiguug der Industrie, so nach außen durch Eroberungen in der Türkei (z. B.
Bessarabien) und in Persien, durch die Erwerbung Finnlands (1809) und des
Großherzogthums Warschau (1814, f. o. Polen). Zwar vermochten seine Feld-
Herrn, wiederum fast sämmtlich Ausländer, wenig oder nichts gegen Napoleon: sie ver-
loren bei Austerlitz in Mähren, bei Eilau und Friedland in Preußen, selbst im Herzen
des Reichs bei Moschaiks an der Moskwa; allein das Glück Rußlands, damals (doch
nur damals) zugleich das Glück Europas, wollte, daß Napoleon zu spät vor der
Winterkälte sich zurückzog und sein Heer einbüßte. In Verbindung mit den Deutschen
genossen dann die russischen Truppen des Triumphs, sogar Paris zu sehen. — Auf
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Extrahierte Personennamen: Katharina_Ii Peter Katharinas Ostermann Romanzoff Suwarow Katharinas Alexander Alexander Alexander Alexander Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Europa Europa Kurland Wolhynien Podolien Odessa Europas Otschakow Warschaus Italiens Frank- Europas Türkei Bessarabien Persien Finnlands Warschau Eilau Friedland Moschaiks Moskwa Europas Paris
168
tränen bereitwilligst zur Verfügung stellten, fuhr Friedrich Wilhelm mit seiner schwarzen echnr der Weser zu und schiffte sich bei Elsfletb auf englische Schiffe ein Dieselben Dänen, die Schill hatten umgarnen helfen, waren auch am Ausgange der Weser bereit, den Tapferen den
6 Zu verlegen. Der Herzog grüßte mit den Seinen das freie große Meer und die Helden ruhten nun aus von den Mühsalen der vierzehn Tage, während welcher sie Don Böhmen bis zur Nordsee geradezu geflogen waren. 3 1
w heldenmütige Zug des Herzogs, der selbst Napoleon Worte
des Beifall, entlockte, erregte m Deutschland die größte Bewundminq
emen beispiellosen Eindruck auf die deutsche Jugend In Iä ml%9cbslc5te darauf der 18jährige Jüngling Friedrich Stapß an. Naumburg an der Saale, Napoleon im Angesicht seiner -^nippen zu ermorden. Er wurde festgenommen, und da er die Gnade Napoleons abwies, am 17. Oktober 1809 erschossen . Die schwarze Legion kämpfte später mit großer Auszeichnung, teils 111 Hamen teils in Italien, gegen die Franzosen. Ihr tapfrer Herzog siel 1815, von einer Kugel durchbohrt, bei Waterloo.
79. Napoleons Zug nach Rußland.
(1812).
Napoleon wollte auch Rußland niederwerfen. Mit einem ungeheuren Heere von 500,000 Mann, aus Italienern, Holländern und Franzosen, zu denen die Rheinbundsfürsten 100,000 die Preußen 20 000 , dte Österreicher 30,000 und die Schweiz 12,000 Mann gestellt, ruckte er 1812 in Rußlaud ein. Nachdem die Russen in der mörderischen Schlacht bei Borodino, in welcher 60,000 Mann das ^Scylodptfelb bedeckten, zurückgewichen, langte das französische Heer am 14. September 1812 bei Moskau an. Am andren Tage hielt Napo-
Lilien Einzug. Die schöne Stadt von 300,000 Einwohnern war still und öde, wie das Grab. Die Einwohner hatten die Stadt verlassen, und nur unheimliches, lumpiges Gesindel schlich umher. Schon während des Einzugs brannte die Stadt an mehreren Orten. Graf Rostopschin, der Befehlshaber der Stadt, hatte die Gefängnisse geöffnet und deu Verbrechern unter der Bedingung die Freiheit gegeben, daß sie die Stadt^anzündeten. Ein Sturm erhob sich und verwandelte die angezündete tatobt in ein Flammenmeer. Was die geflüchteten Einwohner nicht zerstört, vernichtete der Brand. Hunger, Kälte und Mangel an Lebensmitteln zwangen Napoleon, da sein Friedensantrag vom russischen Kaiser abgelehnt worden, zum Rückzug, den er am 18. Oktober antrat. Zum Unglück für ihn stellte sich schon früh Lin harter Winter ein. Halbverhungert, entblößt und im tiefen Schnee
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Extrahierte Ortsnamen: Nordsee Deutschland Naumburg Italien Napoleons Rußlaud Borodino Moskau
475
200 neue Städte angölegr. Bei dem Tatendorfe Odessa, dns stö 1790 zur
Stadt umwandelte, ließ sie einen Wegweiser errichten mit der Inschrift: Hier
aebt's nach Constantinopel! — Und wie sie dadurch ihre Absichten auf die Tür.
Fei kund that, so drohete ihre gegen die Weichsel vorgeschobene Grenze, wo nun
kein polnisches Reich mehr den Deutschen als Bollwerk diente, dem ganzen We-
sten Europas. Rußland, dessen Volksmenge sich unter ibrem Scepter um
vergrößerte, ward ein Coloß, worin freilich neben Pracht, Glanz, und größten-
theils äußerer Kultur noch unendliche Niedrigkeit und Unwissenheit des Volks
vorhanden war, jedoch der feinere deutschredende Adel Lieflands und Kurlands,
zu dem russischen gesellt, auf Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst in den
höheren Ständen gewirkt hatte. Nicht blos Deutsche wie zuvor (z. B. Münnich
und Ostermann) führten die kaiserlichen Heere; man sah schon geborne Russen
an ihrer Spitze, w,e Romanzof und Suwarow. Der letztere, berüchtigt durch
die Blutscenen in Oczakow und Prag« (Vorstadt Warschaus) focht unter der
nächsten Regierung Paul's schon auf dem Boden Italiens gegen Frankreich
(im Feldzug 1799), so daß unter Katharinas Enkel Al er and er die russischen
Truppen mit zur Entscheidung über Europa's Schicksal berufen wurden. Welche
Aussicht!
Alexander der Milde — von 1801 bis 1825 — erzogen von dem
wackern Schweizer Laharpe, schon im 22sien Jahre nach dem plötzlichen Tode
seines Vaters auf den Thron gehoben, that Vieles, das ihm zur Ehre und sei-
nem Volke, besonders den untern vernachlässigten Klassen, zum Vortheil ge-
reichte. Es ward für den Unterricht gesorgt. Selbst die Aufhebung der Leiber»
genschaft ward wenigstens begonnen, indem er sie auf eignen Krongütern gebot,
in Liefland und Kurland beförderte, und somit dem ganzen hohen Adel ein Bei-
spiel für die Zukunft gab. Vergrößert ward das Reich, wie im Innern durch
Verbreitung des Anbaus uiid Bethätigung der Industrie, so nach außen durch
Eroberungen, Perser, Türken, Preußen, Polen, Schweden mußten dazu herge-
den. Zwar vermochten seine Feldhcrn, wiederum fast sämmtlich Ausländer,
wenig oder nichts gegen Napoleon, c^ie verloren bei Austerlitz in Mähren, bei
Eilau und Friedland in Preußen, selbst im Herzen des Reichs bei Mojaisk an
der Moskwa; allein das Glück Rußlands, damals (doch nur damals) zugleich
das Glück Europas, wollte, daß Napoleon zu spät vor der Winterkälte sich
zurück zog, und sein Heer einbüßte. In Verbindung mir den Deutschen genossen
dann die russischen Truppen des Triumfs, sogar Paris zu sehen.
Die wichtigsten Erwerbungen Alexanders sind Finnland, Bialystok (Stück v.
preuß. Polen) und der größte Theil des Herzogtt-ums Warschau. Doch fühlte
der Kaiser, wie sehr diese neue Vergrößerung seines unablässig wachsenden Ge-
biets die ihm verbündeten Europäer beunruhigen müsse. Er nahm deshalb
das Herzogth. Warschau nur als Königreich Polen mit eigner Ver-
fassung, doch unter seiner Oberherrschaft, und fügte dem Kaisertitel den eines
polnischen Königs hinzu. — Die letzte Zeit seines Lebens erfreute er sich des
errungenen Friedens und starb den 1. December 1825 zu Taganrok am schwar-
zen Meer.— Gegenwärtig regiert sein Bruder Nico laus, der bereits mit
Persern und Türken glücklich gekriegt und neue Eroberungen dadurch ange-
bahnt hat. —
Land, Völker, Ortschaften.
Das russische Reich umfaßt den Osten Europas, Nordasien, u. Nieder-
lassungen an gegenüber liegender Küste Nw. Amerikas, zusammen über .860000
Om. also den 9ten Theil des festen Landes auf der Erdkugel; und streckt sich
2100 M. in die Länge. Doch wird die Menschenzahl nicht über 54 Millio-
nen geschätzt.
Das europäische Rußland hat etwa 47 Mill. Menschen auf 80000
Om. Grenzen: Sibirien, schweb. Lappland am Tornea, Preußen, Polen am
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Extrahierte Personennamen: Ostermann Katharinas Alexander Alexander Napoleon Napoleon Alexanders Nico
Extrahierte Ortsnamen: Odessa Constantinopel Europas Oczakow Warschaus Italiens Frankreich Kurland Polen Schweden Friedland Moskwa Europas Paris Finnland Bialystok Warschau Warschau Europas Nordasien Amerikas Sibirien Lappland Polen