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er hat sich selber schon bestraft. Die zweite aber — ich mus
das harte Wort dir aussprechen — war ein Werk des Bösen.
Es war die schwarze Grube der Lüge und der Verläumduug,
worin du deinen Nächsten stürzen wolltest. Der Himmel
bewahre dich vor einem solchen Laster! Zur Erinnerung aber
an das Abscheuliche und Strafwürdige desselben gehst du
diesen ganzen Winter nicht wieder auf das Eis/'
«Jede böse That hat ihre bösen Folgen.
39. Der dankbare Löwe.
Ein armer Sclave, der seinem Herrn entlaufen war,
wurde zum Tode verurtheilt. Man brachte ihn auf einen
großen, von Mauern umgebenen Platz, und ließ einen furcht-
baren Löwen auf ihn los. Mehrere lausend Menschen sahen
zu. Der Löwe sprang grimmig auf den armen Menschen
zu — blieb aber plötzlich stehen, wedelte mit dem Schweife,
hüpfte wie vor Freude um ihn herum und leckte ihm freund-
lich die Hand. Die Leute staunten und fragten den Sclaven,
wie das komme. Der Sclave erzählte: „Als ich meinem
Herrn entlaufen war, verbarg ich mich in eine Höhle der
Wüste. Da kam dieser Lowe winselnd zu mir herein und
zeigte mir seine Tatze, in die er sich einen scharfen Dorn
getreten hatte. Ich zog ihm den Dorn heraus; —von der
Zeit an versah mich der Löwe mit Wildprett, und wir lebten
in der Höhle friedlich zusammen. Bei der letzten Jagd wurden
wir von einander getrennt und beide gefangen, — und
nun freuet sich das gute Thier, mich wieder zu finden."
Alles Volk war über solche Dankbarkeit eines wilden Thieres
entzückt und rief laut: „Es lebe der wohlthätige Mensch und
der dankbare Löwe!" Der Sclave wurde freigesprochen
und reichlich beschenkt. Der Löwe aber begleitete ihn vom
Richtplatze wie ein zahmes Hündchen, und blieb, ohne
Jemanden ein Leid zu thun, immer bei ihm.
Oie Dankbarkeit kann wilde Thiere zähmen;
lass dich, mein Kind, von ihnen nicht beschämen.
40. Der Löwe und das Lamm.
„Kamm, wehr' dich, oder stirb!" — „„Ach, ich mich
wehren ?
Mir gab, du weist ? ja, die Natur
nicht Waffen, gab mir Unschuld nur.""
„An deine Unschuld werd’ ich mich nicht kehren!"
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39
darauf an, welches zuerst oder zuletzt geschieht!"^ Mit
diesen Worten warfen sie ihre Bücher zur Seite und hüpften
leichten Sinnes hinaus »n den Garten. Die älteren blickten
ihnen nach in die lockende Freiheit; aber sie ließen sich
nicht verleiten und arbeiteten fort, still und fleißig, wie
es der Vater befohlen hatte. Draußen aber stand die Sonne
noch hoch, und die Luft war schwül. Die Kinder aber
achteten der Hitze nicht, sprangen in wilder Jagd hinter
een Schmetterlingen her und trieben allerlei unbändige
Spiele, und gebehrdeten sich, wie eine zügellose Schaar.
Als nun die ältern ihre Arbeit beendigt hatten und sich zu
den jüngeren in den Garten begaben, um sie an ihre
Pflicht zu ermahnen, gedachten diese voll Schrecken ihrer
Aufgaben. Des Vaters Strenge eingedenk, begaben sie
sich ohne Widerrede in das Zimmer zurück; als sie aber
die Bücher ergriffen, siehe, da vermochte keines weder zu
lesen, noch zu schreiben: denn sie alle waren erhitzt und
erschöpft, und die Buchstaben tanzten vor ihren Augen.
Dabei wurde es dunkler und dunkler im Zimmer. Sie
traten an's Fenster; aber, ach, während sie trauernd
hinaussahen, wanderten die glücklichen Geschwister in dem
kühlen Schatten umher, die Blumen begießend und sich
erquickend an dem linden, herrlichen Abend. Vor Unmuth
weinend, daß sie die schöne Feierstunde verscherzt hatten,
griffen sie wieder zu den Büchern; aber sie vermochten
nicht mehr ihre Gedanken zu sammeln, und sie irrten, eins
wie das andere, voll Furcht und Unruhe im Zimmer umher.
Als nun der Vater zurückkam und die verlegenen
Gesichter der Kinder sah, und wie sich das eine hinter das
andere verbarg; rief er die ältesten herein und fragte:
„Was ist hier geschehen?" Da trat einer derselben hervor
und erzählte, was sich begeben hatte, und wie jene zuerst
gespielt hätten und dann zur Arbeit gegangen wären.
„Und wo sind die Arbeiten?" fragte der Vater. „Da,"
rief einer der jüngern unter Weinen: „Vergib uns, Vater!
Wir waren erhitzt und zerstreut und vermochten nichts
zu vollbringen: denn wir sahen die Freuden der andern."
,/Jhr Unfolgsamen!" zürnte der Vater. „Habe ich euch
nicht gesagt: nur nach gethaner Pflicht ziemt dem Menschen
Erholung? Warum wollet ihr diese Ordnung verkehren?
Seht, jede Uebertretung straft sich selbst! Die Fleißigen
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41
daß er in einem kleinen Dorfe seinen Aufenthalt nehmen
mußte. Auch hier wußte er zuletzt nicht mehr, wie er
sein Leben fristen sollte. Es war an einem späten Abend,
als er trübselig über die Landstraße hinwanderte. Nur das
Endliche Vertrauen auf Gottes Fürsorge erhielt ihn noch
aufrecht. Da sah er das Helle Feuer einer nahen Schmiede,
und hörte die eiligen Schläge des fleißigen Arbeiters.
Das klang ihm so heiter und traulich entgegen, als käme
es aus der Schmiede seiner Heimath. Er konnte sich
nicht enthalten hinzu zu treten und den rüstigen Arbeiter
anzureden. „Ihr habt viel zu thun, guter Meister?"
fragte er mit zutraulicher Stimme. „Mehr als zu viel!"
war die Antwort; „denn ich werde von allen Seiten
gedrängt, und kann nicht begreifen, was der Krieg mit
all den Nägeln thut." — Habt ihr denn keinen Gesellen?"
fragte der Graf weiter. „Man kann keine finden,"
rief der Emsige zwischen sein Gehämmer. Das war für
den bedrängten Grafen genug, um sich sofort zur Hülfe
anzubieten. „Es ist zwar nicht viel, was ich verstehe,"
sagte er, „aber ich verlange auch nur den nöthigen Lebens-
unterhalt zum Lohne, und mein Eifer soll den Mangel an
Geschicklichkeit ersetzen." Der Meister ließ ihn einen
Versuch machen, und war hinreichend damit zufrieden. Bald
war der Graf wieder ganz in seiner früheren Uebung,
uno hatte sich so sehr die Gewogenheit des Meisters
erworben, daß er reichlicheren Lohn bekam und sich nun
etwas zurück legen konnte. Da er sich in seine Lage gefunden
hatte, so verlebte er heitere Tage in der redlichen Familie.
Das Glück wollte aber auch, daß ihm nach Ablauf der
Kriegsunruhen alle seine Güter zurückerstattet wurden.
Da erst offenbarte er dem Meister seinen Stand und
Namen, und versprach ihm, ein Andenken an die bei ihm
verlebte Zeit zu überschicken. Noch mehr aber gedachte
er den wackeren Schmied seiner Heimath zu belohnen, dem
er das köstliche Kleinod eines Handwerks zu verdanken
hatte. Er sehnte sich fast nach dessen Wiedersehen.
Wie staunte er aber, als er statt der früheren Hütte ein
großes Haus mit einem bedeutenden Lager von Eisenwaaren
da stehen sah. Daneben stand die Schmiere, und in
derselben waren viele Gesellen, nicht blos mit Nägeln,
sondern auch mit verschiedenen andern Arbeiten beschäftigt.
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43
Gottlieb (ihn unterbrechend). Wir sollen also Diebe
werden, meinst du; denn das würden wir, wenn wir
wissentlich und absichtlich fremdes Eigenthum behielten.
Nein, Johann, wenn du ein so schlechter Junge bist, so
mag ich nichts mehr mit dir zu thun haben.
Johann (erschrocken"). Diebe? nein, wenn du das
meinst-----aber es ist doch verdrießlich — ich hatte mich
schon so gefreut.
Gottlieb. Wir wollen uns darüber freuen, daß der
Reisende sein Geld wieder erhalten wird. Vielleicht war
es ein armer Bote, der setzt in der größten Angst ist, und
sich nur damit tröstet, daß ein ehrlicher Finder es hat. —
Johann. Es ist wahr, Gottlieb, meine Gedanken
waren auf einem bösen Wege — es soll künftig nicht wieder
so kommen (reicht ihm die Hand).
Gottlieb. Ehrlich wahrt am längsten! sagt der Vater
immer, und mein Herz sagt mir, daß er recht hat.
Mer büse Thaten hindern kann
und thut es nicht, ist Schuld daran.
57. Die Theilung.
Ein reicher Vater war gestorben. Drei Söhne
hatten, was sein Fleiss erworben, sich gleich getheilt.
Nach kurzer Zeit kam Krieg in s Land. Da sah man
weit Brandstätten, Blutgefilde, Wüsteneien; und ach!
zwei Brüder von den dreien verloren durch der Feinde
Wuth in wenig Jahren Hab’ und Gut.
Der drille hörte dies und sprach: „Ich will den
Segen, den ich, seit unser Vater starb, durch Glück
gewann oder durch Fleiss erwarb, zu dem geerbten
Drittel legen. Denn wie? ich allein sollte reich und
glücklich sein, und sie, meine Brüder, in Armuth
darben? Nein, verarmte Brüder, kommt und theilt
mit mir von neuem! Und sie theilten wieder.
Bruderliebe ist eine zarte Pflanze des häuslichen
Glücks.
58. Das Vergnügen wohlzuthun.
Der arme Mann! die Gabe, die ich gegeben habe, was
bringt sie mir für Seligkeit! Mein Herz fühl' ich erweitert
und mein Gemüth erheitert von himmlischer Zufriedenheit.
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Extrahierte Personennamen: Gottlieb_( Johann Johann Johann Gottlieb Johann Gottlieb Gottlieb
83
ein mannigfaltig groß Gebäu,
durch Meisterhand vereinet,
wo seine Lieb' und seine Treu'
uns durch die Fenster scheinet.
Er selbst wohnt unerkannt darin
und ist schwer zu ergründen-,
seid fromm und sucht von Herzen ihn,
ob ihr ihn möget finden!
9t. Das Gewitter.
Die Sonne verbirgt sich hinter den schwarzen Wolken-
gebirgen: die Nacht überwältigt den Tag- die Lüfte heulen,
die Wälder rauschen, die wirbelnden Stürme, die Vor-
boten des nahen Donners, treiben Sand, Staub und Blät-
ter mit einem bangen Getose umherz die Wellen der Flüsse
empören sich, brausen und wälzen sich ungestümer fort; die
scheuen Thiere fliehen sich zu verbergen; mit ängstlichem
Geschwirre flattern die Vögel unter Dächer und Bäume;
der Landmann eilt nach seiner Hütte; Felder und Gär-
ten werden verlassen; das Herz kämpft mit verschiedenen
Gefühlen, will seine Furcht verbergen, die in allen Gebei-
nen zittert, und arbeitet, sich mit Standhaftigkeit und Ruhe
zu waffnen Indessen wird die über die Erde ausgebreitete
Nacht immer fürchterlicher, und aus der Ferne sendet schon
leise der nahende Donner, dem Ohr immer hörbarer, seine
Drohungen herüber. Auf einmal scheint sich das ganze
Gewölk des Himmels zu zerreißen; ein schreckliches Kra-
chen füllt den weiten Luftraum; die Erde bebt, und alle
Echv's in den Gebirgen werden erregt, mit jedem Schlage
des Donners fahren die flammenden Blitze Strahl auf
Strahl aus, durchkreuzen die schweren Lüfte, schlängeln sich
an den Spitzen der Berge herab und schleudern ihre Feuer
bis in die tiefsten Abgründe Die Schleusen des Himmels
öffnen sich und von ihrer Last stürzen ganze Fluthen herab,
und indem die Wolken unter dem Kampfe der Wind von
einer Gegend rn die andere sich fortjagen, stürzt das wilde
Geplätscher auf den dürren Erdboden herunter.
92. Die Natur nach dem Gewitter.
Die finstern Gewölke zertheilen sich, bestrahlt von einem
glänzenden Lichte. Eine lächelnde Heiterkeit, die Alles er-
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87
Herz ver Menschen kommen; es est schlimm genug, wenn
er außen vor allen Thoren und vor allen Seehäfen donnert.
Ls erprobt sicli im Unglücke die Weisheit, die
Demuth im Glücke, in der Noth die Geduld, im Tode
der Reichthum guter Gesinnung.
95. Sokrates.
Ais Sokrates gefragt wurde, ob er nicht den
Archelaus, König von Macédonien, der von allen
Gütern und Freuden eines reichen Hofes umringt sei,
für glücklich halte, antwortete er: „Dass weiss ich
nicht; denn ich habe noch nie mit ihm gesprochen.“
— Kannst du denn das auf keine andere Weise
erkennen? — „Aus keine andere!“ — So wirst du
auch wol noch zweifeln wollen, ob der grosse König
der Perser glücklich sei? — „Auch sein Glück ist
mir unbekannt; ich weiss ja nicht, wie gut der Mann
ist.“ — Suchest du denn darin ein glückliches Le-
den? — „In nichts Anderem,“ antwortete der Weise;
„denn das ist meine Meinung: die Guten sind glück-
lich; die Bösen sind unglücklich.“ — Und König
Archelaus also, ist er unglücklich? — „Ganz sicher,“
versetzte Sokrates, „wenn er ungerecht ist.“
Nicht, welcher das Beste hat, sondern, welcher der
Beste ist, der ist glücklich.
96. Der Berg.
In einer von Gebirgen umschlossenen Gegend lebte ein
edel gesinnter Vater mit seiner Familie auf einem schönen,
friedlichen Landgute. Sein ältester Solm hieß Siegmund.
Vater, sprach dieser einmal zu ihm, ich bin nun schon
zwölf Jahre alt, und noch nie habe ich einen unserer Berge
bestiegen. — Nun denn, sagte der Vater, wenn du diese
Woche recht fleißig und gehorsam bist, so will ich dir am
nächsten Feierabend die Freude machen, und mit dir einen
Berg besteigen. — Gewiß! liebster Vater, will ich recht
folgsam sein; sprach der Knabe.
Der Feierabend war gekommen, und der Vater hatte
mit Siegmund die Reise nach dem höchsten Berge in der
Gegend angetreten. Nachdem sie über eine halbe Stunde
weit aufwärts gegangen waren, sprach der Knabe: Ach!
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54
deine Hand unschuldiger Knabe: auf deine Hand will ich
Treue geloben." Er that cs. Seine Gefährten standen
lange betroffen und schweigend. Dann aber sprachen sie zu
rhrem Hauptmanne: „Du bist unser Anführer auf der
Bahn des Verbrechens gewesen: sei er nun auch auf dem
Pfade der Tugend!" Alle schwuren Treue auf meine Hand
und eilten auf Befehl des Anführers, ihren Raub zurück
zu erstatten, besserten sich und wurden ehrliche Leute.
seltene Tugend führt Andere zur Tugend zurück.
69 Das hochzeitliche Kleid.
Auguste hatte von ihrer Großmutter ein schönes Kleid
zum Geschenk erhalten. Es war von weißer, glänzenderseide
mit schön gestickten, rothen Blümchen übersäet, und dir Saum
mit feinen Spitzen verbrämt. Das Mädchen hatte daran
eine unbeschreibliche Freude. Mit Herzenslust sah sie es oft
an, und zeigte es jeder ihrer Gespielinnen. Der Gedanke
an das schöne Kleid war der erste bei ihrem Aufwachen und
der letzte vor ihrem Einschlummern. Als sie es aber am
Hochzeittage ihres Bruders zum erstenmal anzog, hatte sie
das Unglück, beim Essen einen Flecken in das hochzeitliche
Kleid zu machen. Bitterlich weinte das Mädchen, als es
nach Hause kam, und der Mutter den Unfall erzählte.
Nach einiger Zelt begegnete es ihr wieder, daß sie das
Kleid mit zwei andern Flecken beschmutzte. Es schmerzte
sie zwar, aber lange nicht mehr m einem so hohen Grade,
als das erstemal, und sie vergoß nun schon keine Thräne
mehr. „Sieh, meine Tochter," sprach jetzt die verständige
Mutter, welche dieses bemerkt hatte, „wie es dir mit dei-
nem schönen Kleide ging, so geht es auch mit der Unschuld;
denn die Unschuld ist so recht das hochzeitliche Kleid der
unsterblichen Seele. Man achtet und schont das schöne Kleid,
so lange es rein und unbesieckt ist. Wird es aber mit dem
ersten Flecken verunstaltet, so betrübt man sich sehr. Indeß
jft's nun einmal geschehen, so schont und achtet n>an es
weniger. Viel gleichgültiger sieht man den zweiten Flecken
an, merkt kaum noch auf den dritten und vierten, und in
kurzer Zeit ist das schönste Festkleid ein verworfener Lappen.
Drum zittre vor dem ersten bösenschritte! mit ihm sind,ach
schon bald die andern Tritte zu einem nahen Fall gethan!
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94
ich bleibe gern bei Ihnen, und verspreche, immer gut und
thätig und dankbar zu fern.
Marie war bei frommen, wohlwollenden Eltern. Sie
führte sich musterhaft auf, und es ging ihr deßhalb auch gut.
Hoffe standhaft auf den Herrn !
Ist dir gleich sein Rath verborgen,
scheint dir seine Hülfe fern,
dennoch wehre bangen Sorgen!
Sei getrost, gib dich zufrieden!
Gott hat schon dein Loos entschieden.
100. Der kleine wohlthätige Myrtil.
Der alte Likas faß bei Sonnenuntergang vor femer
Hütte. Sein kleiner Sohn, der eben aus dem Walde kam,
blieb in der Ferne stehen und wischte sich die Augen, die
er oft gen Himmel richtete. Dies befremdete seinen Later;
er rief ihn zu sich. Myrtil eilte auf den gehörten Ruf
herbei, und sein liebreicher Vater nahm ihn vor sich auf
den Schooß/ „Was ist dir, Lieber?" sagte der Greis,
indem er ihm in die Augen sah, die vom Weinen roth gewor-
den waren, „fehlt dir etwas?"
„Nichts, lieber Vater, ich bin lange nicht so vergnügt
gewesen." — Likas. Aber du hast geweint?
Myrtil. Nicht aus Betrübniß, mein Vater
Likas. Vor Freuden also? Und was ist dir denn
begegnet, mein Lieber, daß dich so freudig macht?
Myrtil. Lieber Vater, verlange es nicht zu wissen.
Likas. Nicht? Und könntest du etwas haben, das dein
Vater nicht wissen dürfte?
Myrtil, Bester Vater! Hast du mir nicht oft gesagt, daß
wir des Guten, welches wrr thun. uns nicht rühmen sollen?
Likas. Auch sollst du das nicht thun; mir nur erzählen
sollst du, was dir begegnet ist, damit ich mich des Guten,
wenn es etwas Gutes ist, erfreuen könne mit dir.
Myrtil. Du willst es, lieber Vater, und ich muß
gehorsam sein. — Vor einer Stunde, da ich zu meinem
Bruder nach der Heerde ging, um ihm das Aben-brod zu
bringen, hörte ich im Gebüsch Jemanden reden, und schlich
leise hinzu, um zu sehen, wer es sei. Es war ein alter,
armer Greis: er lag auf der Erde, und neben ihm ein
großes Bündel Holz, auf daß er sich mit dem Arme ge-
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62
Schlange, die ihn also anredete: „Guter Wanderer, er-
barme dich meiner in dieser drückenden Gefangenschaft. Ich
werde des Hungertodes sterben, wenn du den schweren
Stein nicht fortwälzest. Schon viele Tage habe ich durch
diese Ritzen gelauscht, ob Nicht irgend ein barmherziges
Wesen herzukäme und mich erlösete. Sei du der Bote
meiner Freiheit und der Retter meines Lebens; ich will
dir eben so treu lohnen, wie ihr Menschen die größten
Wohlthaten zu belohnen pfleget." Der gutherzige Bauer,
welcher die schmerzliche und trostlose Lage der Schlange
so lebendig fühlte, als wenn er selbst unter dem Felsen
eingekerkert wäre wurde durch die Bitten und das ge-
heimnißvolle Versprechen der goldig glänzenden Schlange
so sehr bewegt, daß er alle Furcht vor dem gefährlichen
Thiere verlor und den Stein sogleich von der Oeffnung
entfernte. Aber kaum war die Schlange in Freiheit ge-
setzt, da bäumte sie sich schrecklich empor und öffnete den
hungrigen Rachen, um den Bauer zu verschlingen. „Holla!"
rief der Bauer, indem er dem zischenden Ungeheuer nach
der Seite auswich; „ist das der Lohn für die größte
Wohlthat, welche dir erwiesen werden konnte?" „Aller-
dings," erwiderte die Schlange, „denn Undank ist der Welt
Lohn, und ich versprach dir, daß ich dir so lohnen würde,
wie die Welt es zu thun pflege." „Das ist freilich wol
wahr," entgegnete der Bauer; „auch ich habe oft Undank
für meine redlichsten Bemühungen eingeärntet; aber ich
habe doch noch niemals gehört, daß Jemand den Retter
seines Lebens zur Entgeltung getödtet habe." Solche
feine Unterscheidungen," antwortete die Schlange, „kann
ich nicht annehmen; Wohlthat ist Wohlthat, und der Welt
Dank ist Undank; ich habe lange genug Hunger gelitten.
Was hilft mir die Freiheit, wenn ich mich der süßesten
Speise enthalten soll, und nickt emmal meinen Hunger
stillen darf?" „All mein Vieh steht dir zu Gebote," fiel
rasch der Bauer ein; „gehe mit mir, und du kannst dir
nehmen, wozu du Lust hast."
In diesem Augenblicke sprang ein Fuchs herbei, welcher
die letzten Worte des Bauers gehört hatte. „Laß dich nicht
erweichen, edle Schlange," rief er hastig; ich sehe, ihr
habt Streit, und ich weiß im voraus, daß der Mensch
Unrecht hat." „Gewiß!" sagte die Schlange; „sei du un-
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i 08
und treibe auch nicht tm geringsten Spott oder Scherz damit.
— Scheue Niemanden so viel, als dich selbst. Denn
inwendig, in uns selbst wohnt der Richter, der nicht trügt,
und au dessen Stimme mehr gelegen ist, als an dem Bei-
falle der ganzen Welt und der Weisheit aller Völker.
Nimm es dir fest vor, mein Sohn, nie gegen seine Stimme
zu handeln; was immer du sinnest und vorhast, schlage
zuvor an deine Stirn und frage recht ernstlich den innern
Richter um Rath. — Lerne gern von Zindern, und wo
von Weisheit, Menschenglück, Gottesfurcht und Edelsinn
geredet wird, da höre fleißig zu. Doch traue nicht zu
schnell und in Allem; denn die Wolken haben nicht alle
Wasser, und es gibt mancherlei Menschen, die sich weise
dünken. Sie meinen auch oft, daß sie schon eine Sacke
richtig gefaßt hätten, wenn sie nur davon reden können
und viel davon sprechen. Dem ist aber nicht so, mein Sohn!
Worte sind Worte, und wo sie so gar leicht und behende
dahin fahren, da sei sorgfältig auf deiner Hut; denn die
Pferde, welche einen Wagen mit Gütern hinter sich haben,
gehen langsamen Schrittes. — So dich Jemand Weis-
heit lehren will, so siehe in sein Angesicht. Zeigt sich Dün-
kel darin, und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt,
laß ihn und gehe seiner Kundschaft fern. Prüfe nnt Vor-
sicht die Geister, ob sie aus Gott sind. Findest du, daß
sie gut sind, und dich zum Guten führen wollen, so folge
ihnen und horche aus ihre Ermahnungen; sonst aber meide
sie, und hüte dich vor ihren Lehren, die nur den Schein
der Weisheit haben. Wenn es dir aber um wahre Weis-
heit zu thun ist, so suche nur sie und nicht das Deine;
brich deinen Willen und thue, was gut ist, auch dann,
wenn das Böse dir trügerisch noch so große Lust verheißt.
Gott fürchten und seine Gebote halten, ist der Anfang
und die Grundbedingung aller wahren Weisheit. — Sorge
für deinen Leib, jedoch nicht so, als wenn er deine Seele
wäre; halte ihn stets als ihren fügsamen Diener in
gehöriger Ordnung — Gehorche der Obrigkeit, und überlaß
es Andern, sich über sie zu streiten. — Sei aufrichtig und ■
offen gegen Jedermann, doch vertraue dich Niemanden
sogleich an. — Mische dich nicht in fremde Dinge; aber
dte deinigen thue mit Fleiß. — Schmeichle Niemanden,
und laß auch dir nicht schmeicheln. — Ehre einen Jeden,
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]