§ 14. Stoff, Darstellung und Form des Kunstepos. 135
Wolfdietrich, der von seinem Großvater unter Wölfen (daher
sein Name) aufgefunden wurde. Die Dichtung enthält eine Häufung
wundersamster Abenteuer, die ihn auch in Verbindung mit König Ortnit
in Lamparten bringen. Wirkungsvoll ist in der Dichtung die Treue des
Herzogs Berchtung, des Erziehers des jungen Königs, geschildert. Wolf-
dietrich findet sein Ende in einem Kloster, aus dem die Engel seine Seele
nach langer Buße heimführten.
8 14.
Ii. Das kunftopos.
Stoff, Darstellung und Form des Kunstepos.
Das Kunstepos ist „die Arbeit" ritterlicher Sänger, welche, aus-
gezeichnet durch höfische Bildung, namentlich an den gastlichen Höfen
der Fürsten, so des Herzogs Heinrich des Löwen, der Landgrafen von
Thüringen und der babenbergischen Herrscher Österreichs ihre heimische Stätte
fanden. Dieselben nahmen ihre Stoffe, entsprechend ihrer Bildung, die
ganz von fremden, besonders französischen, beziehentlich provenzalischen Ein-
flüssen beherrscht war, aus der Fremde und zwar meist nach franzö-
sischen Vorbildern: fremdiu maere und fremde namen hat diu
äventiure, wie einer jener Dichter selbst sagt. So sind die Stoffe ge-
wählt aus den antiken Sagen vom Trojanischen Kriege und
von Äneas, aus der Sage von Alexander dem Großen, aus der
französischen Sage von Karl dem Großen, aus der britischen
Sage von König Artus und der Tafel runde1 und aus der spa-
1 Um den Namen des Königs Artus (getötet 542), der als Vertreter der bri-
tischen (keltischen) Nationalität in siegreichem Kampfe gegen die Angelsachsen, gegen
Schottland, Irland, Norwegen und Dänemark gedacht wird, bildete sich mit der
Zeit, indem „das erlöschende Nationalbewußtsein des von Römern und Germanen
aus der Reihe der herrschenden Völker Europas verdrängten Keltenvolkes sich um
ihn sammelte", ein Sagenkreis, welcher sich von Wales über Britannien und von
dort über Frankreich ausbreitete. Als Muster und Vorbild aller ritterlichen Tu-
genden und der feinen Sitte hält Artus mit seiner schönen und tugendhaften Gattin
Ginevra glänzenden Hof in Wales. Auf den Rat des ihm befreundeten Zauberers
Merlin gründet er den Orden der Ritter der Tafelrunde. Nur zwölf Helden, die
durch ritterliche Tüchtigkeit jeglicher Art hervorragen, können in diesen Orden auf-
genommen werden und sitzen zum Zeichen ihrer gleichen Würdigkeit vereint mit
dem Könige und der Königin um eine runde Tafel. Ihr Streben geht dahin, alle
Ausgaben des weltlichen Rittertums zu lösen: die Frauen zu schützen, die Über-
mütigen zu demütigen, Riesen zu bändigen, Ungeheuer zu erlegen, Bezauberte zu
befreien. Zu diesem Zwecke ziehen sie vom Hofe des Königs auf Abenteuer (ent-
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_des_Löwen Heinrich Alexander_dem_Großen Alexander Karl_dem_Großen Karl König_Artus Ginevra
Extrahierte Ortsnamen: Lamparten Schottland Irland Norwegen Europas Wales Britannien Frankreich Wales
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Siebte Periode oder zweite Blüteperiode, von 1748 ab.
Iphigenie erscheint als das Ideal nicht einer heidnischen, sondern einer
mit wahrhaft christlichen Tugenden geschmückten Jungfrau.
Der reine Adel ihrer hoheitsvollen Seele, die mit den sonst
nur auf christlichem Boden gedeihenden Tugenden der Selbstverleugnung,
der Opferwilligkeit, der Dankbarkeit, der Wahrheitsliebe und der jung-
fräulichen Reinheit geziert ist, verscheucht nicht allein die um des Bruders
Seele lagernden finstern Geister und sühnt den alten Fluch des Tanta-
lidenhauses, er macht sogar den Feind zum Freunde. Zeigt so das
Stück in seiner Titelheldin einen von christlicher Kultur und Gesittung
durchhauchten Charakter, so ist der Aufbau desselben von antiker Ein-
fachheit, indem Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung auf das
strengste gewahrt sind, und eine völlig klassische Ruhe bei ebenso anmutigem
als erhabenem Stile über das Ganze ausgebreitet ist. Daher ist die
„Iphigenie", in welcher hellenische Schönheit und germanische
Gemüts tiefe harmonisch verschmolzen sind, mehr und mehr als ein
wunderhelles Seelengemälde, als eine der edelsten und schönsten
Schöpfungen des Goetheschen Genius anerkannt worden und gilt mit Recht
als ein unsterbliches Meisterwerk der deutschen Literatur.
Gleich der „Iphigenie" bedurfte auch „Torquato Tasto" \ Schauspiel
in fünf Aufzügen, ursprünglich in Prosa geschrieben, langer Zeit, ehe es
1789 zu glänzender Vollendung gelangte. Noch im Jahre 1787,
nach der Vollendung der „Iphigenie", schrieb Goethe aus Rom: „Täte
ich nicht besser, eine ,Iphigenie in Delphi' zu schreiben, als mich mit den
Grillen des Tasso herumzuschlagen? Und doch habe ich auch dahinein
schon zu viel von meinem Eigenen gelegt, als daß ich es fruchtlos auf-
geben sollte." Und in der Tat sind in keinem Drama so viele Bezüge
zu Goethes Person und Stellung zu finden als in „Tasso". Hatte
doch auch Goethe in Weimar das Mißverhältnis zwischen Talent und
Leben, den inneren Zwiespalt des Dichters und des Welt- und Hofmannes
hinreichend an sich selbst in Erfahrung gebracht. Daher liegt der Angel-
punkt des Stückes in dem Verhältnis Tastos zu Antonio, des Dichters
zum Staatsmann, des Mannes der Phantasie, der Illusion, des
Idealismus zu dem Vertreter der Nüchternheit, der Wirklichkeit, des
Realismus; denn in diese beiden Personen, in Dichter und Minister,
hat Goethe seine Person zerteilt, damit so zwei Männer entständen, „die
darum Feinde sind, weil die Natur nicht einen Mann aus ihnen formte".
Auch die Zeichnung des Hofes zu Ferrara bietet eine offenbare Parallele
zu dem von Weimar, und läßt sich unschwer in dem Herzog Alfons von
' Vgl. Teil Iii, S. 176: „Goethes Torquato Tasso" von Rosenkranz
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Extrahierte Personennamen: Goethe Goethe Antonio Goethe Alfons
§ 38. Schillers Werke. — Die lyrischen und epischen Dichtungen. 213
zugleich aber auch seine sittliche Tapferkeit, indem er die Liebe zu einer
Dame, die ihm gegenüber nur ein leichtfertiges Spiel ihrer Eitelkeit
getrieben hat, aus seinem Herzen reißt. „Ritter Toggenburg"
offenbart uns die Allgewalt der Liebe, die selbst im schwersten Leid ver-
nichteter Hoffnung doch noch in der Nähe der geliebten Person das
einzige Lebensglück findet. „Der Gang nach dem Eisenhammer"
besingt die Diensttreue und Frömmigkeit, die unbewußt alle Arglist und
Tücke zu Schanden macht („Gott selbst im Himmel hat gerichtet"), und
verkündet zugleich die Lehre, daß das Böse selbst sich vernichtet, und daß
im Leben nichts zufällig ist.
In den ideal gehaltenen Stoff versenkt der Dichter in seiner hohen
und edeln Empfindungsweise sich ganz hinein, so daß Frau von Staöl
nicht mit Unrecht über ihn rühmt: „La conscience est sa muse.“ „Das
oft dünne, durchsichtige Gewebe der objektiven Darstellung wird dicht durch
die goldenen Fäden, die der Sänger aus seiner eigenen Seele spinnend
in dasselbe einträgt." Es ist, als wenn der Dichter unter fremder Maske
sein eigenes ideales Denken und Empfinden, sein sittlich gestimmtes
und geweihtes Gemüt ausspräche.
Diese etwas lyrische Behandlung des an sich epischen Stoffes bringt
eine wohltuende, leben sw arme und ergreifende Darstellung hervor,
die noch anziehender erscheint durch die dramatische Handlung, wie
sie vorzugsweise „Der Taucher", „Der Handschuh", „Der Graf von
Habsburg" und „Die Kraniche des Jbykus" bekunden. Die Handlung
wird noch mehr belebt durch den Dialog, den mehr oder weniger jede
Romanze zeigt. Ebensosehr benutzt der Dichter zur Hebung des Ganzen
glanzvolle Schilderungen, wie die unübertreffliche Zeichnung des Meeres-
strudels im „Taucher", des Theaters in den „Kranichen des Jbykus",
der Bestien im „Handschuh" und im „Kampf mit dem Drachen".
Nicht minder werden Szenerie und Staffage farbenreich ausgeführt und
mit aller Klarheit geschildert. Alle diese einzelnen Zeichnungen verletzen
jedoch die szenische Einheit nicht, sie bilden vielmehr einen Bestandteil der
Handlung selbst.
Mit dieser dramatischen Gestaltung des Stoffes, der glanz-
vollen Schilderung verbindet sich der erhabene Schwung der
Sprache. Dieselbe ist, wenn auch dem Tone nach im einzelnen ver-
schieden, allgemein, ideal und klangvoll, in starken wie in milden
Tönen gleich reich. Sie ist belebt durch veranschaulichende Bilder-
pracht, sowie durch einen Reichtum schlagender Antithesen, durch
besondere Steigerungsformen und durch Alliterationen, die
meistens Tonmalerei bezwecken.
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