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4. Abschnitt, Bewohner.
§ 154.
bn§ Kirchweihfest, in Görlitz lediglich zu einem geschäftlichen Unter-
nehmen der Gastwirte herabgesunken, während ihr auf dem Dorfe doch
etwas höhere Bedeutung zukommt ls. S. 88». Erfreulich ist es, daß die
bäuerliche Bevölkerung noch gern an den alten Gebräuchen festhält;
bilden sie doch oft im Leben der mühsam arbeitenden Landleute die
einzige Poesie. — Im Kreislaufe des Jahres kommen hauptsächlich
folgende Feste und Volkssitten in Betracht.
1. Zur Weihnachtszeit, die im weitesten Sinne die Tage vom
Andreasabend oder doch vom 6. Dezember bis zum 6. Januar um-
faßt, spielt in Stadt und Land der Knecht Ruprecht noch eine
Rolle; ein neckischer, polternder, aber auch wieder gabenspendender
Gesell, der die unartigen Kinder „in den Sack" steckt, den artigen aber
Äpfel, Nüsse und Pfefferkuchen bringt. Oft tritt er in der Advents-
zeit in Begleitung von „Engeln" und „Christkind" oder mit den
„heiligen drei Königen" aus dem Morgenlande auf: sie gehen ver-
eint vor die Türen der wohlhabenden Leute und singen um eine kleine
Gabe. Vor Weihnachten arbeiten die fleißigen Hausfrauen oft bis
spät in die Nacht: sie „thomßen", wie der Volksmund dem Thomas-
tag zu Ehren (21. Dezember) sagt. Die Kinder stellen da in ihrer
Ungeduld beim Schlafengehen abends ihre Schuhe ins Doppelfenster,
um sie den nächsten Morgen mit süßen, guten Gaben gefüllt gxt finden.
Der Andreasabend (30. November) ist für heiratslustige Mädchen
von besonderer Bedeutung, denn jetzt erfahren sie durch allerhand
Orakel Näheres über „ihren Zukünftigen". An demselben Abend
bricht man auch gern Kirschzweiglein, um sie, als glückverheißend,
Weihnachten blühen zu sehen. In der Weihnachts- und Neujahrszeit
gilt es für gut, „Quellendes" zu essen, z. B. Mohn, Hirse, Erbsen, Reis
oder auch den Rogen des Herings; Schuppen des Weihnachtskarpfens
legt man in die Geldtasche: sie bringen Glück. Am Weihnachtsabend
oder in der Neujahrsnacht umwindet der Landmann seine Obstbäume
mit Strohseilen; das verscheucht böse Geister und verbürgt reiche Frucht.
2. Zu Ostern spielen die Ostereier in der alten Form der
„gebuuteten" Hühnereier zwar noch überall ihre Rolle, doch sind sie
in der Stadt fast ganz verdrängt durch die Mode des Suchens nach
dem „Osterhasen", der Zucker- oder Schokoladeneier gelegt hat. An
manchen Orten besteht noch die Sitte des Schmagosterns oder Schmeck-
osterns: am Ostermontag werden die Langschläfer mit einer aus
Weidenruten geflochtenen Peitsche geschlagen; in anderen Dörfern
werden sie mit Osterwasser begossen, und es klingt darin die alte
Vorstellung wieder, daß Wasser, zu heiliger Zeit geschöpft, segenbringend
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90 4. Abschnitt. Bewohner. § 156.
müssen in die neue Wohnung zunächst hineinkommen. Als der glücklichste
Hochzeitstag scheiut der Dienstag zu gelten, als der unglücklichste der Freitag
(an dem man überhaupt nichts Wichtiges, Nenes beginnen darf). Jedenfalls
tritt hierbei vor der christlichen Vorstellung, daß der Freitag der Todestag des
Herrn war, die altheidnische in den Hintergrund, daß der Tag der Freia, der
Göttin der Liebe (dies Veneris), gerade für die Schließung des Ehebundes
wichtig sei. In bezug auf den Tod trifft man wohl noch da und dort die Vor-
stellung von einer Überfahrt in ein anderes Land: darum legt man der Leiche
auch ein Stück Geld, Brot oder einen Lieblingsgegenstand, zumal bei Kindern,
in den Sarg; das Hinscheiden des Hausherrn wird ans dem Dorfe noch öfters
dem Vieh, den Bienen, sogar den Bäumen gemeldet.
Am ausgebildetsten erscheint überhaupt der Aberglaube beim Landmanne,
der dem Naturleben ja viel näher steht als der Städter. So spielen bei ihm
eine ganz besondere Rolle die Wetterregeln. Grüne Weihnachten — weiße
Ostern; Januar warm — daß Gott erbarm'! Märzenstanb ist Saatengold.
Donnern über dem kahlen Busch (also Gewitter im Februar oder März) bedeutet
einen langen Nachwinter. „Ist der Mai noch kühl und naß, füllt's dem Banern
Scheuer und Faß." Wie das Wetter in den zwölf Nächten zwischen Weihnachten
(„zen wihen nahten") und „Heiligen drei Königen" ist, so soll es in den zwölf
Monaten des Jahres werden. „Wie's Wetter wird am Sonntag sein, so stellt's
sich Freitag nachmittag ein." Daß Mariä Lichtmeß (2. Februar), Medardus
(8. Juni) oder Siebenschläfer (27. Juni) Wetterpropheten sind, wird sich kein
Landmann ausreden lassen. Natürlich ist auch hier einzelnes nicht Sondergut
der Oberlausitz, sondern weit über Deutschland verbreitet.
§ 156. Von der Volksdichtung der Görlitzer Gegend ist leider wenig
gesammelt, und doch wird sie wohl nicht ärmer darau sein als das übrige deutsche
Vaterland; dafür könnte schon der Charakter der Bevölkerung bürgen (siehe
K 151). Die Kultur verdrängt natürlich auch hier vieles, aber auf dem Lande
und in den kleinen Städten ist noch manches zu finden. An einzelnen Stellen,
so bei Wendisch-Ossig, Rudelsdors und Bohra, können wir aus der Weide die
Kinder noch eine Art Kuhreigen singen hören. Auch vierzeilige, den „Schnada
hüpfeln" ähnliche Gedichte, vielleicht zunächst als Tanzlieder, sind früher
vielfach im Schwange gewesen, z. B.:
Kommst du von Bautzen ungefangen,
Und dann von Görlitz nngehangen,
Auch von der Sitte (Zittau) ungefreit,
So magst du wohl sagen von guter Zeit.
Der Oberlausitzer scheint solche „Tschäntscherliedel", wie er sie nennt,
überhaupt zu lieben; denn die Dichtungen, die man zerstreut findet, tragen alle
mehr oder weniger den Charakter der Ironie. Kulturhistorisch von Wert ist
ein Lied auf die Gefangennahme des Ränbers Fritsche Gröbis (1430). An
Rätseln, Scherzen, Ubernamen u. ä. ist einiges erhalten. So heißt es wohl:
Die Lausitzer fahren ein biffel uach Garn, essen Landeskinder und verzehren
manchmal einen Blinden (d. i. sie spinnen, essen Kartoffeln und Hering). Gut
mütigen Spott müssen besonders die Nachbarstädtchen Bernstadt und Weißenberg
ertragen; jenes, im „eigen-sinnigen" Kreise gelegen, wird als Mittelpunkt der
Welt, dies als lausitzisches Schilda geneckt. — Der reiche Sagenschatz der Ober-
lansitz liegt in trefflichen Sammlungen vor.
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