8
Wirtschaftsgemeinden können also sehr groß und sehr klein sein.
Im allen Germanien bestanden viele kleine Wirtschaftsgemeinden;
das neue Deutsche Reich stellt eine große Wirtschaftsgemeinde dar.
Schon im kleinen Aquarium herrscht weise Ordnung. Jedem
Fischlein, jeder Wasserpflanze hat der Schöpfer eine bestimmte
Ausgabe, eine Arbeit zugewiesen. Die Wasserpflanze zersetzt im
Lichte die Kohlensäure in Kohlenstoff und Sauerstoff und gibt
den letzteren an das Wasser ab. Der Fisch nimmt diese „Lebens-
lust" in dem Wasser aus und gibt dafür Kohlensäure ab ic. Tier
und Pflanze fragen sich gleichsam: „So viel biete ich Dir — was
gibst Du mir?" Sie sind aufeinander angewiesen, voneinander
abhängig. Auch die Bewohner des Teiches, des Sees, des Meeres re.
sind voneinander abhängig.
Ähnlich ist es in jeder Wirtschaftsgemeinde. Auch hier hat
jeder Mensch eine bestimmte Aufgabe. Er ist entweder als Land-
mann oder als Handwerker, als Kaufmann oder als Richter re.
tätig. Der Bäcker bedarf des Müllers, dieser des Landmanns.
Der Bauer braucht wiederum den Sattler, den Schneider re.,
manchmal auch den Richter. Auch der Kaufmann, der Gelehrte,
der Fürst re. kann des Landmanns und des Handwerkers nicht ent-
behren. An Hunderten von Beispielen kann man zeigen, daß ein
Glied unserer Wirtschaftsgemeinde die übrigen Glieder braucht, wie
das Fischlein im Aquarium der Wasserpflanze benötigt. Jeder
Arbeiter gibt sein Erzeugnis gegen die Erzeugnisse anderer hin.
Wenn in ein kleines Aquarium mit einer bestimmten un-
veränderten Wassermenge wenige Wasserpflanzen und recht viele
Fischlein gesetzt würden, so würde ein Teil der Fische rasch zu-
grunde gehen. Welche Folge müßte es haben, wenn in unserem
heutigen Deutschland 4/s aller Bewohner sich vom Handel ernähren
wollten? Ein großer Teil derselben müßte verhungern, wenn er
sich nicht dazu entschließen wollte, sich dem Gewerbe und der
Landwirtschaft zuzuwenden. Die ganze Wirtschaftsgemeinde käme
in große Gefahr.
Die Glieder einer Wirtschaftsgemeinde tauschen also ihre Er-
zeugnisse gegenseitig aus und sind daher aufeinander angewiesen. —
Wir wollen einige Wirtschastsgemeinden kennen lernen, wie
sie sich im Zeitlaufe der deutschen Geschichte entwickelt haben.
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff]]
TM Hauptwörter (200): [T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T89: [Wasser Fluß Quelle Bach See Erde Boden Brunnen Land Ufer], T124: [Wasser Luft Sauerstoff Körper Stoff Kohlensäure Teil Feuer Pflanze Kalk], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
10
Hausfleiß.
Zweckmäßige
Verteilung
der
Arbeit.
Gewerbliche-)
Arbeit als
Neben-
beschäftigung.
jedoch nicht dazu hergestellt, um vielleicht nachher verkauft oder
auch nur vertauscht zu werden; sie sollten nur den Bedarf der
Wirtschaftsgemeinde decken.
Während der besseren Jahreszeit mußte das Feld bestellt
und Wiese und Wald gepflegt werden. Die Herstellung der Werk-
zeuge geschah daher hauptsächlich im Winter.
Die Werkzeuge waren natürlich höchst einfach; aber doch
müssen wir die vielseitige Geschicklichkeit dieser Naturmenschen be-
wundern. Sie bauten ihre Hütten, fertigten ihre Werkzeuge,
waren ihr eigener Gerber, Schuster, manchmal auch Schmied und
Wagner. Alle Arbeit hatte nur den einen Zweck, die Bedürfnisse
des eigenen Hauses zu befriedigen. Sämtliche Kleidungsstücke
und Werkzeuge wurden im Hause von den Bewohnern desselben
hergestellt. s Eigenwirtschaft.) Diese Art gewerblicher Tätigkeit
heißt H a u s f l e i ß oder H a u s w e r k. Noch heute findet sich das
Hauswerk in abgelegenen armen Gegenden.
C. A. Romstorfero erzählt: „Im kleinen Kreise der Familie
oder doch innerhalb der engen Dorfgrenzen besorgt der Bukowinaer
Landbewohner sich alle seine Lebensbedürfnisse selbst. Beiin Ball des
Hauses versteht der Mann in der Regel die Arbeiten des Zimmermanns,
Dachdeckers n. dergl. zu versehell . . . Bon dem Anbau der Gespinst-
pflanzen oder von der Aufzucht des Schafes all bis zur Fertigstellung der
Bett- ^und Kleidungsstücke aus Leinen, Wolle oder Pelzwerk, Leder, Filz
oder Strohgeflecht erzeugt ferner das Bnkowiilaer Landvolk alles, selbst
die Farbstoffe aus eigens gezogelien Pflanzen sowie die nötigen, aller-
dings höchst primitiven Handwerkszeugs. Und so ist es iln allgemeinen
auch mit der Nahrung. Mit Aufwand ziemlich bedeutender Mühe pflegt
der Bauer sein Maisfeld, stellt er ans der Handinühle das Kukuruzmehl
her, das er zum Backen feiner Hauptkost, die der Polenta ähnlich ist, ver-
lvendet . . . Nur die Bearbeitung des Eisens, welches Material die
eingeborene Bevölkerung in äußerst geringen Mengen verbraucht, überläßt
er im allgemeinen den im Lallde zerstreut lebenden Zigeunern." —
Es ist sehr zweckmäßig, daß im Aquarium jede Pflanze,
jedes Tier eine vom Schöpfer bestimmte Aufgabe zu er-
füllen hat. Der Nutzen entsprechender Verteilung der Arbeit
hat auch die Sippe bestimmt, jedes Glied der Wirtschafts-
gemeinde dort zu verwenden, wo es am brauchbarsten war. Neben
der landwirtschaftlichen Arbeit, die alle Personen beschäftigte,
wurden diejenigen gewerblichen Arbeiten, die bedeutende Körper-
b „Die Hausindustrie Österreichs." (Weil Literaturnachweise für
den Schüler wertlos sind, wurde darauf verzichtet, sie in Anmerkungen
genau anzugeben; die benüßte Literatur ist am Schlüsse des Büchleins
angeführt. Anm. d. Vers.)
2) ___________Gewerbe ____________
Handwerk Industrie.
Handwerk (mit der Hand wirken) ist der gewerbliche Kleinbetrieb; Hilfs-
mittel: einfache Werkzeuge.
Industrie ist der gewerbliche Großbetrieb; Hilfsmittel: Maschinen.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T79: [Wein Zucker Baumwolle Kaffee Getreide Tabak Fleisch Holz Wolle Handel]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T1: [Maschine Fabrik Herstellung Industrie Papier Leder Wolle Leinwand Fabrikation Art], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung], T114: [Fleisch Milch Brot Pferd Butter Käse Stück Wein Schwein Getreide]]
12
P. K. Rosegger*) erzählt: „Der Bauernhandwerker, als der
Schuster, der^Schneider, der Weber, der Böttcher, anderwärts auch der
Sattler,^der Schreiner sind in manchen Alpengegenden eine Art Nomaden-
bolk. Sie Haben wohl irgend eine bestimmte Wohnung, entweder im
eigenen Häuschen oder in der gemieteten Stube eines Bauernhofes, wo
ihre Familie lebt, wo sie ihre Habseligkeiten bergen und wo sie ihre Sonn-
und Feiertage zubringen; am Montagmorgen aber nehmen sie ihr Werk-
zeug ans den Rücken oder in die Seitentasche und gehen ans die Stör,
d. i). sie gehen ans Arbeit aus und heimsen sich im Bauerhause, wohin
sie bestellt sind, so lange ein, bis sie die bestimmte Arbeit, den Hans
bedarf, verfertigt haben. Dann wenden sie sich zu einem andern Hof."
^Arbella^ Durch das Wandern ging oft viel Zeit verloren. Ferner
Hauptberuf, traf es oft zu, daß der Störer bald viel bald gar keine Arbeit
hatte. Um seine Familie ernähren zu können, war er daher ge-
zwungen, neben seiner eigentlichen Arbeit auch Landwirtschaft zu
treiben.
Oer L'ronhof als Wirtschaftsgemeinde.
Neben den freien Bauern bestand der freie Adel?) Der ger-
manische Adel setzte sich ans jenen angesehenen Familien zusammen,
aus welchen die Herzöge gewählt wurden. Jede Adelsfamilie
hatte ein Gut, das sich von dem Vater auf den Sohn, von diesem
auf den Enkel ic. vererbte. Der Adel ging also von einem Ge-
schlechte auf das folgende über; darum wird dieser Adel als
Geschlechts- oder Geburtsadel bezeichnet.
Der erwählte Herzogs war im Kriege der Führer der ade-
ligen und nichtadeligen Grundbesitzer. Er erlangte immer mehr
Macht. Aus den: Herzogtum entstand nach und nach das Königtum.
Der König bedurfte verschiedener Diener, der Beamten. Diese
königlichen Beamten bildeten im fränkischen Reiche den Dienstadel.
Mit der Zeit verschmolzen Geschlechts- und Dienstadel zu
einem Stande, dem freien Adels- oder Ritterstande.
Die germanischen Könige eroberten von den besiegten Römern
große Ländereien. Sie konnten daher die Dienste ergebener
Adeliger dadurch belohnen, daß sie diesen große, bisher unbebaute
Grundstücke schenkten. So wurden die Adeligen Großgrundbesitzer,
die „weltlichen Grundherren".
Auch die Geistlichen wurden mehrmals von den Königen
mit Ländereien beschenkt. Auf diese Weise wurden manche Klöster
zu „g erstlich en Grundherrschaften". —
Die Grundherren suchten ihren Besitz zu vergrößern, ihre
Macht zu vermehren.
*) „Aus meinem Handwerkerleben".
2) Adel — Geschlecht auf dein Erbgut.
'h Herzog -- - Heerführer, der das Heer (nach sich, zieht, d. h. führt.
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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17
Mittelalterliche Städte entstanden also
a) aus Römerstädten,
b) aus Burgen zur Verteidigung gegen äußere Feinde.
Die Bewohner einer Burg wurden zahlreicher. Der Boden
innerhalb der Burg konnte nicht mehr alle Bewohner ernähren.
Deswegen wurden von den Bewohnern der Burgen oder Städte
neben landwirtschaftlichen Arbeiten auch gewerbliche verrichtet.
Die Gebrauchsgegenstände sollten jedoch, nicht bloß dem eigenen
Bedarfe sondern auch dem der benachbarten Lehensgüter dienen.
Das Handwerk kann auf gleichem Raume mehr Personen ernähren
als die Landwirtschaft. (Beispiele in unserer Zeit!) Die Städter
verlegten sich mit der Zeit immer mehr auf die Erzeugung von
Gebrauchsgegenständen und überließen die Beschaffung von Lebens-
mitteln den außerhalb der Stadt wohnenden Bauern.
Die Hufner gerieten aber in immer größere Abhängigkeit
von den Grundherren. Auch die Abgaben an den Fronhof wurden
immer drückender. Lohnwerker und Hufner wanderten deshalb
in die entstehenden Städte. „Stadtluft macht frei!" Auch jene
Handwerker, die sich in den Klöstern ihre Handgeschicklichkeit er-
worben, wollten in den Städten ihr Brot erwerben. Diese Um-
stände begünstigten die Entstehung und Entwicklung der Städte.
Der Lohnwerker oder Störer, der nur Werkzeuge, aber keine :
Werkstätte hatte, konnte auch iu der Stadt, wie „auf dem Lande",
seine Tätigkeit fortsetzen. Es entsprach jedoch der städtischen
Siedelung mehr, wenn der gewerbliche Arbeiter nicht nur über
Werkzeuge sondern auch über eine eigene Arbeitsstätte verfügte.
Derjenige gewerbliche Arbeiter, lvelcher in seiner Werkstätte aus
Bestellung arbeitet, heißt Handwerker. (Der Handwerker schafft
oder wirkt hauptsächlich mit der Hand, daher sein Name.) An die
Stelle des Lohnwerkers trat daher vielfach der Handwerker. Der
Besteller lieferte den Rohstoff; auch wenn er das Leder selbst
erst erwerben mußte, brachte er es dem Schuhmacher oder
Sattler mit.
Das Handwerk verdrängte das Lohnwerk nicht ganz. Mancher
Handwerker war sogar zugleich Lohnwerker. Dies können wir
heute noch bei manchen Bäckern auf dem Lande beobachten. Der
Bäcker stellt dort Weißbrot in seiner Backstube auf seine Rechnung
her; als solcher ist er Handwerker. Er ist aber nicht selten zu-
gleich auch Lohnbäcker; bald erhält er von dem Kunden das Mehl
nebst dem Holz zum Heizen des Backofens und liefert aus je
3 'U Mehl 4 & Brot; bald hat er in der Wohnung des Kunden
den Teig zu bereiten und zu formen; bald knetet und formt die
Hausfrau den Teig selbst, während der Bäcker nur das Backen
zu besorgen hat.
Ii. Teil. Bürgerkunde. 9
2. Stadl und
Land.
Zug nach der
Stadt.
3. Entstehung
des
Handwerks.
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T114: [Fleisch Milch Brot Pferd Butter Käse Stück Wein Schwein Getreide]]
19
Später schlossen sie sich zum Zwecke gegenseitiger Hilse sogar zu
„ländlichen S ch u tz g i l d e n" *) zusammen.
Auch die Handwerker in den Städten vereinigten sich zu
Gilden. Die Handwerkergilden umfaßten gewöhnlich nur Mit-
glieder eines einzelnen Handwerkes einer Stadt.
Die meisten Handwerkergilden entstanden aus Bruderschaften.
Die Mitglieder eines Handwerks verehrten einen Heiligen als
gemeinsamen Schutzpatron, die Schuhmacher z. B den hl. Crispin.
Mehrmals im Jahre fanden festliche Zusammenkünfte statt; das
Hauptfest war das Fest des Schutzpatrons. Es begann mit einer
kirchlichen Feier und endete mit geselliger Unterhaltung. (Vergl.
die religiösen Handwerkervereine in unserer Zeit!) Die Bruderschaften
verpflichteten ihre Mitglieder zu Werken der Nächstenliebe: Hilfe-
leistung bei Krankheit, Unterstützung der Hinterbliebenen eines
verstorbenen Mitgliedes re. In Bremen hatten die Schuster be-
reits zu Anfang des 13. Jahrhunderts dem deutschen Orden ein
Krankenhaus gebaut. Mit der Zeit änderten sich die Bestrebungen
der Zünfte insofern, als sie in erster Linie auf Förderung des
Handwerks bedacht waren. Aus den religiösen Vereinigungen
wurden gewerbliche Z ü n f t e?) Einige Zünfte waren auch aus 2. Zünfte.
Vereinigungen der Handwerker auf den Fronhöfen entstanden.
Hauptziel jeder Zunft war: Förderung des Handwerks.
Die Zünftler erkannten, daß hiezu tüchtige Handwerker und recht-
schaffene Männer notwendig seien; sie empfanden, daß die Hebung
des Handwerks nur durch gewerbliche, geistige und sittliche Hebung
der Handwerker möglich sei. Dieser gesunde Grundsatz der Selbst-
hilfe durch Selbstzucht kam in der ganzen Einrichtung der Zünfte
zum Ausdruck.
. Der Vorstand der Zunft, die gewöhnlich nur Mitglieder ^ Zunst-
eines Gewerbes umfaßte, war der Zunftmeister; die Ausschuß- um im0'
Mitglieder waren die Altmeister. Die Versammlungen wurden in
der Zunftstube, der Herberge, die sich meist in einem Wirtshause
befand, abgehalten. Ein Schrein in der Zunftstube, die Lade,
diente zur Aufbewahrung der Vereinsgesetze (Statuten, Satzungen),
des Siegels und des Zunftvermögens. Bei den Zunftversamm-
lungen wurde über Zunftangelegenheiten beraten und beschlossen.
Die Zünftler verfolgten außer gewerblichen Zwecken auch
allgemeine. Sie fühlten sich als eine große Familie. Die älteren
suchten die jüngeren, die so leicht dem Genusse und der Ver-
suchung verfallen, durch Beispiel, Gewöhnung und Überwachung
vor Müßiggang und Laster zu bewahren, sie zu Fleiß und
Tüchtigkeit zu erziehen. Kranke Mitglieder der Zunftfamilie
9 Gilde — zahlende Vereinigung.
_ ,2) Zunft von ziemen — geziemen, schicken; Zunft, eigentlich Zumft,
— Schicklichkeit, Regel, Genossenschaft mit bestimmten Regeln.
2*
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend]]
TM Hauptwörter (200): [T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
27
Nation verglichen, hat man keine Ursache, die italienische der
deutschen vorzuziehen. Denn Deutschland scheint mir eine neue
Gestalt bekommen zu haben und seine Städte scheinen mir seit
ehegestern gebaut zu sein."
Zur Hebung des Bürgerstandes und zum Wohlstand des
Landes trug aber noch ein Umstand besonders bei: der Handel.
4. Der Handel im Mittelalter.
Der Lohnwerker erhalt für seine Arbeitsleistung eine Ent-
schädigung in Naturalien, der Handwerker verlangt einen Preis.
Auch beim eigentlichen Handel wird ein Preis verlangt.
Wenn ich, um 4 Pfund Fleisch zu erhalten, 20 Pfund Brot
geben muß, so ist der Tauschwert des Fleisches fünfmal so groß
als der des Brotes. Dafür kann ich auch sagen, der Preis des
Fleisches ist fünfmal so hoch als der des Brotes.
Jeder Gegenstand hat einen Tauschwert oder Preis. Der
Tauschhandel ist aber mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil
jeder Gegenstand einen andern Tauschwert hat. Wenn ein Schuh-
macher seine Ware gegen Mehl und ein Bäcker die seine gegen
Leinwand anbieten würde, so würden wir dies sehr unpraktisch
finden.
Eine Ware hingegen, die einen festen und unabänderlichen
Maßstab für den Tauschwert aller Gegenstände bilden würde,
eine Ware, die ferner teilbar, transportfähig und leicht aufzube-
wahren wäre, müßte sich für den Handel sehr vorteilhaft erweisen.
Der Handel im Mittelalter führte dieses Tanschmittel ein; es ist
das Geld. Das Geld besitzt neben den gewünschten Eigenschaften
auch noch andere willkommene: es ist bequem mitzuführen und
nützt sich wenig ab. Das Geld wurde daher diejenige Ware, die
zur Vergleichung der Tauschwerte aller Handelsgegenstände benützt
wurde. Der Wert jeder Ware wurde nun auf den Wert des
Geldes zurückgeführt. Die Naturalwirtschaft zur Zeit des ab-
hängigen Handwerks wurde von der Geldwirtschaft zur Zeit
des zünftigen Handwerks abgelöst.
Der Tausch mit Geld bedingt Kauf und Verkauf; er kann
zufällig und absichtlich vor sich gehen. Der absichtliche Tausch
mit Geld geschah im Mittelalter auf dem Markte Die Märkte
waren anfangs mit religiösen, geistlichen oder kriegerischen Zu-
sammenkünften verbunden. Zu diesen erschienen die Kaufleute')
und boten ihre Waren zum Schmucke der Kirche, zu Kriegs-
rüstungen re. feil; der doppelte Sinn des Wortes „Messe" erinnert
noch heute an den Markt vor der Kirche. Später wurden die
Märkte ausschließlich zu dem Zwecke abgehalten, Waren zu ver-
h Kaufmann — ursprünglich der Kaufende, spater der Händler.
Preis.
Geld.
Markt.
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T114: [Fleisch Milch Brot Pferd Butter Käse Stück Wein Schwein Getreide], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T194: [Kirche Kloster Schule geistliche Gottesdienst Gemeinde Geistliche Leben Staat Priester]]
Über den Vollzug derselben erzählt Barthold: „Ein Haufen
Spanier hatte vom Kaiser den Auftrag erhalten, am 6. August 1548 die
Acht zu vollziehen. Die Bürger widersetzten sich mutig. Schon hatten
die überlegenen Feinds die Vorstadt erobert und wollten über die Rhein-
brücke in die innere Stadt eindringen, als ein Zunftgenosse sich auf der
Brücke mit den beiden ersten heranstürmenden Spaniern in ein Hand-
gemenge einließ, sie schließlich mit riesiger Kraft ^umfaßte und sich mit
ihnen, laut die Gnade Gottes anflehend, in den Strom stürzte, der ihn
und seine beiden Feinde in sein nasses Wellengrab aufnahm. Diese
Heldentat verschaffte dem Zunftheere Zeit, die Tore der L-tadt zu sperren,
den Gegnern erfolgreich Widerstand zu leisten und dieselben zum Abzüge
zu zwingen."
Der Kaiser übertrug nun die Achtsvollziehung den: Könige
Ferdinand, dem sich Konstanz am 5. Oktober 1548 ergeben mußte.
Aus der Reichsstadt wurde eine Landstadt des Hauses Habsburg.
Die nächste Folge war, daß die Zünfte das Stadtregiment ab-
treten mußten.
Manche Städte hieltet: es für notwendig, sich den Fürsten
anzuschließen und deren Schutz gegen ihre Selbständigkeit einzu-
tauschen.
Die Fürsten fingen an, durch Förderung des Ackerbaues,
Verbesserung der Straßen re. die Einnahmen ihrer Untertanen zu
erhöhen.
Zum Sinken der Hansamacht und damit zum Rückgänge des
Gewerbes trugen die Erfindung des Kompasses, die Auffindung
des Seeweges nach Indien sowie die Entdeckung Amerikas bei.
Es nahmen infolgedessen die Handelsstraßen des Mittelmeeres
und der Ostsee an Bedeutung ab, während der atlantische Ozean
der Brennpunkt des Handelsverkehrs zu lverden anfing; aber diese
Änderung vollzog sich nur langsam. Noch 1666 steckten drei
Viertel des Kapitals des Amsterdamer Geldmarktes, des ersten in
Europa, im Ostseehandel.
Zum Niedergänge der Hansa trugen besonders auch die
steigende Macht der Landesfürsten in Deutschland und die Er-
starkung nordischer und westeuropäischer Reiche bei. Es tvar ein
neues Europa entstanden. Die Hansa hatte aber gleich den Zünften
nicht verstanden, sich in die neue Zeit zu schicken. Deshalb war
für sie kein Platz mehr. Wo sie einst befohlen, mußte sie jetzt
bitten. Sie hatte keine Stütze mehr in ihren: Volke. Es fehlte
ihr der kaiserliche Schutz. Unter dem Einflüsse der mächtigen
Landesfürsten fiel eine Stadt nach der andern vom Hansabunde
ab. Nur Lübeck, Bremen und Hamburg behaupteten ihre Unab-
hängigkeit und Reichsfreiheit. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts
umgab die Hansa nur noch der Schein des alten Glanzes.
Der 30jährige Krieg vernichtete den letzten Rest der Be-
deutung der Zünfte. Zwar blieben die Zünfte bestehen, viele
retteten sich sogar ins 19. Jahrhundert hinüber; aber die un-
c) Fürsorge
der Landes-
herren.
d) Erfindun-
gen und Ent-
deckungen.
8) Schwäche
der Hansa.
k) Der
30sährige
Krieg.
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden], T86: [Kaiser Protestant Katholik Fürst Kurfürst Land Kirche Karl Reichstag Krieg], T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
TM Hauptwörter (200): [T126: [Land Handel Europa Meer Osten Zeit Westen Volk Deutschland Jahrhundert], T80: [Kaiser Stadt Fürst Recht Reich König Reichstag Macht Adel Fürsten], T122: [Stadt Hamburg Handel Berlin Bremen Lübeck London Deutschland Frankfurt Verkehr], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
Extrahierte Personennamen: August Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Rhein- Konstanz Habsburg Indien Amerikas Europa Ostseehandel Deutschland Europa Bremen Hamburg
Die Zunftehre, die so hoch gehalten worden war, war gegen
Ende des 16. Jahrhunderts ganz verschwunden. Fälschung der
Waren war etwas Gewöhnliches.
Das Meisterstück, früher der Prüfstein für den tüchtigen
Handwerker, wurde reine Äußerlichkeit. Die Meisterprüfung hatte
nur den einen Zweck, jungen Männern die Niederlassung möglichst
zu erschweren oder unmöglich zu machen. Sie gab nicht mehr
Zeugnis von der Geschicklichkeit. „Die Müller mußten als Meister-
stück ein Sechseck vorzeichnen." „Essen und Trinken war die
Hauptsache bei allen Meisterprüfungen."
Das schlimme Beispiel der Meister wurde auch von den
Gesellen nachgeahmt. In der Blütezeit der Zünfte waren die
Gesellen wichtige Glieder der Zunftfamilie. Nun strebten sie
dahin, selbst Vereine zu gründen, die nur Mitglieder ihres
Standes, also nur Gesellen, umfassen sollten. So entstanden die
Gesellenverbindungen. Diese waren zuerst geheim; später wurden
ihre Vorschriften oder Statuten von der Obrigkeit genehmigt.
Es erwachte in den unselbständigen Arbeitern das Gefühl der
Zusammengehörigkeit. Die Zunftmeister widersetzten sich zwar
zunächst der Bildung von Gesellenverbindungen, mußten ihnen
aber zuletzt doch zustimmen.
Die Gesellenverbindungen waren bestrebt kürzere Arbeitszeit
und höheren Lohn zu erlangen. Wurden ihre Wünsche nicht
erfüllt, so legten sie die Arbeit nieder; sie schritten zum Ausstand
oder, wie sie sagten, zum „Aufstande" (in England „Streik").
Arbeitswillige, die sich dem „Aufstande" nicht anschließen wollten,
galten als Verräter und wurden beschimpft und, wenn man sie
erwischen konnte, „gebeutelt". Konnten oder wollten die Zunft-
meister die Forderungen der Gesellen nicht erfüllen, so wanderten
diese aus der Stadt und schimpften auf die ganze Ortszunft.
Kein reisender Geselle durfte bei den Meistern einer „gescholtenen"
Zunft Arbeit nehmen, wenn er nicht aus der Gesellenverbindung
ausgeschlossen werden wollte.
1727 erließen die „aufständigen Schuhknechte" in Augsburg gegen
die Stadt folgenden „Treibebrief" durch ganz Deutschland: „Liebe Brüder,
wir haben einen Abschied machen müssen, mit diesemx), daß wir unsere
Alte Gerechtigkeit behalten, und berichten Euch, daß keiner nacher Augs-
burg reisen thut, was ein braver Kerl ist, oder gehe er hin und arbeitet
in Augsburg, so lvird er seinen verdienten Lohn schon empfangen, was
aber, das wird er schon erfahren."
Nur selten aber erreichten die „Aufständigen" ihr Ziel; der
Hunger machte sie meistens gefügig.
Der wochenlange Müßiggang trug natürlich nicht zur
Besserung der Sitten bei. Der Geist der „alten deutschen Ver-
brüderung in Zunft und Ehre" war ausgestorben. *)
*) mit diesem — deshalb.
Ii. Teil. Bürgerkunde. 3
o) Gesellen-
verbin-
dungen.
aa) Ent-
stehen.
ljb) Ziele.
cc) Aus-
schreitungen.
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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TM Hauptwörter (200): [T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Extrahierte Ortsnamen: England Augsburg Deutschland Augsburg
34
Iii. Folgen
des Nieder-
ganges.
1. Ungenü-
gende Arbeit
2. Annut.
Selbst Einrichtungen, die früher segensreich gewirkt hatten, wurden
nun mißbraucht, um dem Leichtsinn und der Arbeitsscheu zu dienen, so
z. B. der bei vielen Gewerbeir eingeführte Brauch des „Geschenkes" an die
wandernden Gesellen. Das Geschenk sollte früher dazil dienen, die Ge-
sellen auf der Wanderschaft vor Bettel und Landstreicherei zu bewahren.
Es war deshalb bei den Gewerben Sitte, den ankommenden Gesellen des
gleichen Handwerks einige Tage kostenlos zu verpflegen, ihm freies Nacht-
lager zu geben und, wenn er im Orte keine Arbeit gefunden, ihn mit
einem kleinen Taschengeld, dem „Zehrpfennig", für die Reise zum nächsten
Ziele zu entlassen. Diese Einrichtung benützten nun faule Gesellen, auf
Kosten ihrer Kameraden im fremden Orte einige Tage tüchtig zu zechen,
ohne Arbeit zu suchen, um dies hierauf in den nächsten Orten zu
wiederholen.
Die Aufnahme eines Gesellen in die Verbindung gab oft
Anlaß zu wüstem Zank, zu widerlicher Schwelgerei uttd zu blutigen
Schlägereien. Diese „Feste" dauerten oft mehrere Tage; kein
Geselle durfte in die Werkstätte gehen, ehe der Altgeselle die Fest-
lichkeit geschlossen hatte. Mancher Jüngling holte sich dabei den
Keim zu langem Siechtum.
Schon im 16. Jahrhundert verlangten die Gesellen, daß der
Montag wenigstens als halber Feiertag freigegeben werde. Am
Montag Mittag legten die Gesellen die Arbeit nieder. Eher ent-
heiligten sie den Sonntag, als daß sie der Montagsfeier entsagt
hätten. Ortloff erzählt über den „blauen Montag": „In den
Fasten wurden die meisten deutschen Kirchen blau ausgeschmückt.
Zu eben dieser Zeit fingen die Gewerbetreibenden an, die Fasten
über den Montag in Schwelgereien aller Art zu verbringen, und
führten das Sprichwort: „Heute ist blauer Freßmontag" ein.
Die Erlaubnis, welche die Gesellen in der Fastenzeit bekamen,
nahmen sie sich im Lause der Zeit auch an den übrigen Montagen."
Äußere und innere Gründe trugen also zum Niedergänge
des Handwerks bei.
Justus Möser sagte in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts: „Fast alle deutsche Arbeit hat zu unserer Zeit etwas
Unvollendetes, dergleichen wir an keinem alten Kunststück und
gegenwärtig an keinem echt englischen Stück mehr antreffen....
Die einzige Aufmunterung kommt jetzt von den Höfen; aber was
sollen einige wenige mit Besoldung angelockte Hofarbeiter gegen
Handwerker, die während des hanseatischen Bundes für die ganze
Welt arbeiteten!" Und der Zunftfreund Weiß, ein gelernter
Handwerker, stimmt Möser zu: „Die Leute liefern elende Arbeit,
darum nimmt ihnen niemand ettvas ab und sie verderben."
Der Handwerkerstand mußte infolgedessen immer mehr ver"
armen. Weiß erzählt in einer preisgekrönten Schrift, daß unter
21 Menschen in Deutschland sich in jener Zeit nur einer befand,
der sein vollständiges Auskommen hatte; 10 dagegen mußten
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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freistehen, einen gewerblichen Beruf zu wählen, ein Geschäft zu
gründen und zu betreiben, ohne dazu der Erlaubnis einer Zunft
zu bedürfen. Nicht Gewerbeschutz durch veraltete Zünfte, sondern
Gewerbefreiheit! Freiheit wird das heimische Gewerbe wieder heben!
Die Zünftler hörten diese zuversichtlichen Rufe nach Gewerbe-
freiheit allerdings mit Unlust. Sie ahnten, daß ihre künstlich er-
haltene Herrschaft über das Gewerbe gleich wie das Königtum in
Frankreich fallen werde. Aber sie konnten die Armut und die
Ungeschicklichkeit mancher Handwerker nicht ableugnen. Sie konnten
auch die Verwendung von Maschinen und den Aufschwung des
Verkehrs nicht hemmen. Sie mußten deshalb ihre allmähliche
Entthronung geschehen lassen.
Das 19. Jahrhundert kann das Jahrhundert der Gewerbe- ^-^ntwick-
freiheit genannt werden. In Frankreich waren die Zünfte schon freien Hand-
während der Revolution gänzlich abgeschafft worden. Das deutsche Dauern.
Gewerbe hingegen nahm die Zunftordnung ins 19. Jahrhundert,
um sie erst im 7. Jahrzent vollständig zu beseitigen. Für Bayern a) öon
war das Gewerbegesetz vom 11. September 1825 wichtig. Durch
dieses Gesetz wurden die Rechte der Zünfte eingeschränkt. Es
bestimmte, daß zur selbständigen Ausübung eines Gewerbes die
Erlaubnis der Obrigkeit notwendig sei. Die Genehmigung wurde
nur erteilt, wenn der Handwerker nachweisen konnte, daß er sein
Gewerbe erlernt hatte. Dem gelernten Handwerker durfte nicht
verweigert werden sich selbständig zu machen. Den Zünften war
damit das Recht entzogen, die Zahl der Handwerker eines Ortes
zu bestimmen. Als Aufgabe der Zünfte bezeichnete das genannte
Gesetz: 1. Verbreitung nützlicher Gewerbekenntnisse, 2. Erleichterung
der Ausbildung in den Gewerben, 3. Aufsicht über Lehrlinge
und Gesellen, 4. geordnete Verwaltung und nützliche Verwendung
des Vereinsvermögens, 5. Unterstützung dürftiger Gewerbe-
angehöriger.
Die Gewerbeordnung von 1825 konnte jedoch den Wohlstand
der Kleinmeister nicht heben. Im Gegenteil! Mancher Meister
hatte wenig Arbeit und mußte seinen Gehilfen entlassen. Der
Gehilfe hatte nachgewiesen, daß er sein Handwerk erlernt hatte;
er konnte sich also nach der neuen Bestimmung als Meister nieder-
lassen. Er hatte nichts zu verlieren; also versuchte er wenigstens
sein Glück und wurde Meister. Fanden er und gleich ihm ver-
schiedene Kameraden Beschäftigung, so jammerten die bisherigen
Meister über „Übersetzung des Handwerks"; hatte er keine Arbeit,
so klagte auch er.über „die schlechten Zeiten".
Für alles Übel machten die Handwerker die Gewerbefreiheit ^Zw^ng-
verantwortlich; sie erwarteten daher eine Besserung nur von der Handwerker
Aufhebung derselben und der Wiederherstellung der mittelalter- ls4s
iichen Zunfteinrichtungen. 116 Handwerksmeister aus 24 deutschen
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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TM Hauptwörter (200): [T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk]]