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1. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 3

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
3 geschwind salbten, wie ich wünschte. Endlich wanderten wir fort, der Vater mit einem Tuch zum Abliefern auf der Achsel, einem Korbe mit einer Balle Butter am Arm und ich mit einem Stecken in der Hand, der wenigstens ebensogroß war als ich. Wie bei einem tüchtigen Landregen aus allen Winkeln Bächlein fließen, zusammenströmen, zu Bächen werden und endlich in den Fluß münden und diesen anschwellen zum gewaltigen Strom: so sendet in weiter Umgegend fast jedes Haus seine Stellvertreter aus an einen schönen Burgdorser Markt zu Lust und Kauf. Aus allen Fußwegen sieht man Eilende. Sie sammeln sich schon zu Truppen in den Sträß- chen und werden zu einer unabsehbaren Menge, wenn die Hauptstraße sie aufnimmt. Da wogt es dann wild durcheinander von Menschen und Vieh, und rasselnd schnurren die Wagen mitten durch, daß die plau- dernden Fußgänger auseinander fahren, als ob eine Bombe unter sie gefallen wäre. Was war da für einen Buben, der noch nie auf der großen Straße und auf einem Markt gewesen war, nicht alles zu sehen? Das Vieh zog mich mehr an als die Menschen, und bei den kleinen, lieben Lämm- chen mußte ich alle Augenblicke stille stehen. Je näher wir der Stadt kamen, desto schwerer hing ich an des Vaters Rocktasche; denn immer mehr hatte ich zu sehen. Als erst das Städtchen und das schöne Schloß so stolz sich nlic darstellten, da wäre ich fast am Boden festgewurzelt, so große und so viele und so schöne Häuser hatte ich nie gesehen. Sobald ich mich von dem ersten Eindruck erholt hatte, machte ich, um bald dort zu sein, so geschwinde Beine, daß der Vater kaum nachkonnte. Als wir in die Stadt kamen, gab es wieder Halt, und zwar bei jedem Kram- laden: ,,Nein, sieh doch, Vater, komm hierher!" schrie ich bei jedem Schritt, und zerrte an der Rocktasche, daß sie krachte. Aber der Vater hatte nicht Zeit; er mußte das Tuch abliefern. Nachdem das geschehen war, stellte er sich mit seiner Butterballe auf zum Verkaufen und legte das Tuch, mit welchem die Balle zugedeckt gewesen, schön zurück. Mir brannte der Boden unter den Füßen; ich zappelte um den Vater herum und bat ihn, daß er doch mitkomme zu den Krämern. Endlich gab er mir einen Batzen mit dem Bedeuten, ich solle mir dafür etwas kaufen, mich ein wenig umsehen, aber nicht weit gehen und ja bald wiederkommen. Glücklicher als ein König stürmte ich fort mit meinem Schatz unter die Herrlichkeiten alle. Wo der Vater stand und welchen Weg ich nahm, 1*

2. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 4

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
4 achtete ich nicht, und daß ich ihn nicht wiederfinden könnte, dachte ich nicht. Ich ging von Bude zu Bude und versank in immer tiefere Be- wunderung. Hier sah ich so schöne Reiter aus den Rossen, oben rot und unten blau, und Säbel und Gewehre daneben und schöne Wagen aller Art, dort Pelzkappen und Gold darum, an einem dritten Orte ganze Haufen von Büchern und Bilder dabei und daneben Lebkuchen, ganze Stöße und groß wie Ofenbretter. Vor allem stand ich still, wie lange, weiß ich nicht. Ich hatte Vater und Zeit und alles vergessen. Den Batzen hielt ich in der Hand, dachte vor dem Sehen lange nicht an das Kaufen, und als endlich Wünsche nach dem Besitzen von etwas in mir aufstiegen, wußte ich lange nicht, was ich nehmen sollte. Mich hungerte, und die Lebkuchen lockten mich gar sehr. Aber die Pelzkappen wären so schön, die Männer auf den Rossen so stattlich, und die Bilder, ach! die gefielen mir gar zu wohl. Endlich siegte die Lust nach diesen; ich drängte mich durch, streckte den Batzen dar und begehrte das Bild, welches mir am besten gefiel. Aber da lachte der Krämer und sagte, dieses koste manchen Batzen. Kleinere wollte er mir zeigen; aber mein Sinn war einmal auf dieses gestellt. Da gedachte ich des Vaters, daß der viele Batzen habe, kehrte um, ihn zu suchen und Batzen zu holen. Ich lief und lief, aber fand den Vater nicht, fand den Ort nicht, wo ich ihn gelassen. Da wurde mir auf einmal entsetzlich bange ums Herz; eine Angst, von welcher man sich keinen Begriff macht, befiel mich; der Schweiß bedeckte mich, das Weinen übernahm mich, und ich fing an zu schreien: „Ätti, o Ätti, wo bist?" Aber kein Ätti gab Bescheid. Alleine war ich in der großen Stadt, die mir endlos schien, allein unter den Tausenden; unter ihnen kein bekanntes Gesicht, keine teilnehmende Seele. Nirgends einen Ätti, nicht einmal das Tor fand ich, zu welchem wir hereingekommen. In unendlichem Jammer drückte ich mich endlich an eine Mauer, hielt die Hände vor das Gesicht und weinte bitterlich. Die Reiter, Pelzkappen, Bilder, Lebkuchen — alles war noch da und auch mein Batzen noch. Aber für alles dieses hatte ich keine Augen mehr; für mich gab es keinen Trost, da der eine mir fehlte, der mir alles war, der Ätti. Ich weinte bitterlich, wie lange, weiß ich nicht. Da nahm mir jemand die Hände von den Augen, und eine bekannte Stimme fragte: „Eh, Peterli! bist du's? Was hast, daß du so weinst?" Mit ver- dunkelten Augen sah ich durch Tränen auf und erkannte unsern Lehrer. O, was so ein bekanntes Gesicht einem wohltun kann, wenn man sich

3. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 7

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
7 Gegen Weihnachten schlachteten wir gewöhnlich ein Schwein und machten ein würziges Rauchfleisch davon. Und das wußte unsere Mutter so einzuteilen, daß sie wohl jeden Sonntag im Jahre ein Stück in den Topf stecken konnte. Dabei war sie immer guten Mutes, und oft hörte ich sie sagen: „Mit vielem hält man Haus, mit wenigem kommt man auch aus." Wurde uns das Brot zu knapp, so hielten wir uns, ohne saure Mienen zu ziehen, an die Kartoffeln; waren die aber mal nicht gut geraten, was immer das Schlimmste war, so mußten wir uns mit Bohnen, Linsen, Erbsen, Wurzeln und Steckrüben begnügen. Da sich die Steckrüben im feuchten Geller nicht lange zu halten pflegten, wurden sie in den Vorwinterabenden in dünne Scheiben ge- schnitten, in der Pfanne geröstet, dann in Beutel getan und unter den Stubenbalken gehängt. Besonders geschah das wegen der mit uns hausenden und mit uns schmausenden Mäusesippschaft. Die Racker hätten's ja anderswo weit besser haben können; allein es schien ihnen nirgends so gut zu gefallen wie bei uns in der Lindenhütte. Wenn sie nur nicht jeden kargen Bissen hätten mit uns teilen wollen! Was mich anbetrifft, so wünschte ich freilich aufs lebhafteste, daß die graue Gesellschaft die Steckrübenschnitzel alle miteinander über die Seite schaffen möchte; denn das Steckrübenmahl war mir ganz und gar zuwider. Aber unerbittlich hielten die Eltern darauf, daß ich meinen Widerwillen bezwang; manchmal half mir der Vater sogar mit seinem Leibriemen nach. „Wenn du mal zu fremden Leuten kommst," hieß es, „wird man dich nicht erst fragen, ob du ein Essen gern oder ungern hast. Da muß man daran gewöhnt sein, rauh und schlicht zu genießen." Rauh und schlicht war unsere Lebensweise in der Lindenhütte, und darin bin ich gestählt worden für die harte Rot des Lebens. 6. Der erste Flecken. Wilhelm Müller. Wenn du durch den Kot der Straße mußt mit neuen Schuhen geh'n, Wirst du trippelnd auf den Spitzen nach den blanken Steinen seh'n; Hat sie erst beschmutzt ein Fleckchen, lernst du waten sicherlich; Hüte, Kind, in deiner Seele vor dem ersten Flecken dich!

4. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 9

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
9 8. Deutscher Rat. Robert Reinick. 1. Vor allem eins, mein Kind: Sei treu und wahr! Latz nie die Lüge deinen Mund entweih'n! Von alters her im deutschen Volke war Der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein. 2. Du bist ein deutsches Kind, so denke dran! Noch bist du jung, noch ist es nicht so schwer. Aus einem Knaben aber wird ein Mann; Das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr. 3. Sprich ja und nein, und dreh' und deutle nicht; Was du berichtest, sage kurz und schlicht, Was du gelobtest, sei dir höchste Pflicht, Dein Wort sei heilig, drum verschwend' es nicht! 4. Leicht schleicht die Lüge sich ans Herz heran, Zuerst ein Zwerg, ein Riese hintennach; Doch dein Gewissen zeigt den Feind dir an, Und eine Stimme ruft in dir: ,,Sei wach!" 5. Dann wach' und kämpf', es ist ein Feind bereit; Die Lüg' in dir, sie drohet dir Gefahr. Kind! Deutsche kämpften tapfer allezeit; Du deutsches Kind, sei tapfer, treu und wahr! 9. Oer Knabe im Feldlager. Fleinrich Dittmar. Ein preußischer Soldat schrieb im Frühling des Jahres 1793 aus dem Lager am Rheine an seine Frau im Magdeburgischen und äußerte in diesem Briefe unter anderm sein Verlangen nach einem Gericht Kartoffeln. Der Brief kam gegen Abend an. Der zwölfjährige Sohn des Soldaten vernahm diesen Wunsch seines Vaters, steckte den Brief zu sich, stand des Morgens früh auf, ging in den Keller, füllte einen Quersack mit drei Metzen Kartoffeln, nahm seinen Wanderstab und marschierte ohne Zehrpfennig und ohne irgend jemand ein Wort zu sagen gerade nach dem preußischen Fleere.

5. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 22

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
Körper des Herrn, er faßt ihn mit der Schnauze fest im Rücken, beißt sich in das Tuch des Ramses und schwimmt dem Ufer zu. Er zieht, zerrt, schleift, bis er den kleinen Körper oben hat auf dem Uferbord. Da leckte er das Gesicht und die Hände, winselt und wedelt, riecht und schnuppert. Hans will nicht erwachen. Da stößt Leo ein mächtiges Geheul aus, daß es weit schallt wie ein Feuerhorn über die Ebene. Alles still! Da legt er sich hin über den Knaben, seine warmen Tatzen decken die nasse Brust — und hält Wacht. Ist’s Totenwacht? Von Zeit zu Zeit wiederholt er sein machtvolles Geheul, daß die Wellen erschrecken im Flusse. Endlich nahen Schritte. Ein paar Männer kommen von W. her über die Brücke. Sie hören das Heulen, finden den treuen Wächter neben dem kalten, nassen Knaben. Sogleich laden sie ihn auf und tragen ihn heim in ihr Haus, das seitab liegt von der Landstraße. Friedrich fährt weiter, ohne zu wissen, was vorgefallen ist. Als die Braunen vor der Mühle halten, wird er munter. Er will absteigen und dem Hans herunterhelfen. ,,Ach Gott, wo ist er?" Der Platz ist leer. Der Müller kommt heraus, die Mutter auch. Sie hat sich geängstet um Hans und will ihn heimholen. Da ist er nicht auf dem 'Wagen. Welch ein Jammer! Friedrich weiß keine Auskunft zu geben, und obwohl er hoch und teuer versichert, nicht geschlafen zu haben, sieht jedoch jeder, daß im Schlafe der Knabe an seiner Seite verschwunden ist. Die Mutter will selbst hinaus in die Nacht, das Kind zu suchen. Der Vater weist sie hinein in die Stube. Er selbst zündet eine Laterne an und sagt: „Ich find’ ihn allein; der Leo ist auch nicht heimgekommen, so ist er beim Hans; es kann nicht schlimm sein." Er wandert hinaus, W. zu. Aber schon auf halbem Wege kommt ihm ein Bote entgegen, einer der Männer, der ihm erzählt, wie und wo Hans gefunden worden, und daß er, nächst Gott, es dem treuen Leo verdanke, daß er ge- rettet und lebend sei. Im warmen Bette bei der Nachbarsfrau habe er die Augen aufgeschlagen und die Rede wiedergefunden. Da eilt der Vater mit dem Manne, sein Kind zu umarmen und sich zu versichern, daß es ihm neu geschenkt sei. Seine Angst verwandelt sich in Dank. Was sitzt der Leo so vergnüglich auf der sonnenbeschienenen Steinplatte vor dem Hause? Was blinzelt er mit den kleinen Augen in die Sonne und leckt sich die Schnauze? Neben ihm steht eine

6. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 25

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
25 9. „Willkommen!" ruft vom hohen Stein Der blinde Greis hinab, „Nun wird mein Alter wonnig fein Und ehrenvoll mein Grab. Du legst mir, Sohn, zur Seite Das Schwert von gutem Klang; Eunilde, du Befreite, Singst mir den Grabgesang!" 22. Seltsamer Spazierritt. Johann Peter Hebel. Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und läßt seinen Buben zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: „Das ist nicht recht, Vater, daß Ihr reitet und laßt Euern Sohn laufen; Ihr habt stärkere Glieder." Da stieg der Vater vorn Esel herab und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: „Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine." Da saßen beide auf und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: „Was ist das für ein Unverstand! Zwei Kerle auf einem schwachen Tiere! Sollte man nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?" Da stiegen beide ab und gingen selbdritt zu Fuß, rechts und links der Vater und der Sohn und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wanders- mann und sagt: „Ihr seid drei kuriose Gesellen; ist's nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht's nicht leichter, wenn einer von euch reitet?" Da band der Vater dem Esel die vorderen Beine zusammen, und der Sohn band ihm die Hinteren Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand und trugen den Esel auf der Achsel heim. So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen. 23. Der kleine Friedensbote. Karl Stöber. Ein Gerber und ein Bäcker waren Nachbarn, und die gelbe und die weiße Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Gerber ein Kind geboren wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe, und wenn der

7. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 26

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
Bäcker in seinem großen Obstgarten an der Stelle eines ausgedienten Invaliden eines Rekruten bedurfte, ging der Gerber in seine schöne Baumschule und hob den schönsten Mann aus, den er darin hatte, eine Pflaume oder einen Apfel oder eine Birne oder eine Kirsche, je nachdem er auf diesen oder jenen Posten, auf einen fetten oder magern Platz gestellt werden sollte. — An Ostern, an Martini und am heiligen Abend kam die Bäckerin, welche keine Minder hatte, immer, einen großen Korb unter dem Arme, zu den Nachbarsleuten hinüber und teilte unter die Paten aus, was ihr der Hase oder der gute Märtel oder gar das Christkindlein selbst unter die schneeweiße Serviette ge- legt hatten. — Je mehr sich die Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher rückten sich die Herzen der beiden Frauen, und man brauchte keine Zigeunerin zu sein, um aus dem Satz in ihren Kaffeeschalen zu prophezeien, daß sie einander immer gut bleiben würden. Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber als Iagdliebhaber einen großen, braunen Feldmann und der Bäcker einen kleinen, schneeweißen Mordar. Beide meinten, die besten und schönsten Tiere in ihrem Geschlechte zu haben. And da geschah es denn eines Tages, daß Morda.r ein Kalbsknöchlein gegen den Feld- mann behauptete. Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es nicht gut sei, einem großen Herrn etwas abzuschlagen. Vom Knurren kam es zum Beißen, und ehe sich der Bäcker von seiner grünen Bank vor dem Hause erheben konnte, lag sein Hündlein mit zermalmtem Genicke vor ihm, und der Feldmann lief mit dem eroberten Knochen und mit eingezogenem Schweife davon. Sehr ergrimmt und entrüstet warf der Herr des Ermordeten dem Raubmörder einen gewaltigen Stein nach. Aber was half's? Die Hand- granate flog nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch das Fenster mitten auf den Tisch, an dem er gerade die Zeitung las und machte ein Loch hinein. Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fensterflügel auf und fing an zu schimpfen. Der Nachbar in der weißen Schürze und mit den aufgestülpten Hemdärmeln blieb nichts schuldig, Kinder und Leute liefen zusammen, und — hätt' ich ihn nur sehen können — Satan stand gewiß in einer Ecke der Gasse und blies mit vollen Backen in das Feuer. Der Bäcker verließ den Kampfplatz zuerst, aber nur um seinen Nachbar bei Gericht zu belangen. Die Sonne ging über dem Zorne

8. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 32

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
— „Wofür wollen Sie mir danken?“ fragte Herr Müller. — „Das ist allerdings eine alte Geschichte,“ versetzte jener; „aber wenn Sie mir einige Augenblicke zuhören wollen, so werden Sie sich meiner vielleicht doch noch erinnern. 2. Es sind jetzt siebzehn Jahre her — ich war damals ein Knabe von neun Jahren —, als ich eines Tages auf meinem Schul- wege darüber nachdachte, wie schön es sein würde, wenn ich zu dem Brote, das mir die Mutter mitgegeben, auch einen. Apfel hätte. Meine Kameraden hatten oft so schöne, große Äpfel, und ich bekam nur selten Obst. Mit solchen Gedanken beschäftigt, kam ich auf den Marktplatz, über den mein Weg führte. Da waren viele Körbe voll der schönsten Äpfel, die mich so recht anlachten. Ich blieb unwillkürlich stehen, um sie zu betrachten. Die Eigentümerin hatte ihrer Ware den Rücken zugekehrt und sprach mit einer Nachbarin. Da kam mir,der Gedanke: sie wird es kaum merken, wenn du einen Apfel nimmst, sie behält ja noch eine große Menge. Leise streckte ich meine Hand aus und wollte eben ganz vorsichtig einen Apfel in die Tasche stecken. Da erhielt ich plötzlich eine so derbe Ohrfeige, daß ich vor Schrecken den Apfel fallen ließ. Junge! sagte zugleich eine Stimme, wie heißt das siebente Gebot? Ich hoffe, es ist das erstemal, daß du deine Hand nach fremdem Gute ausstreckst; laß es zugleich das letztenmal sein! — Ich fühlte, daß ich vor Scham ganz rot geworden war und wagte kaum die Augen aufzuschlagen; doch aber sind mir die Züge dieses Mannes ebenso unvergeßlich geblieben wie die Begebenheit selbst. Anfangs war ich in der Schule zerstreut; immer tönten in meinen Ohren die Worte wider: Laß es zugleich das letztenmal sein! Und ich nahm mir fest vor: Ja, es soll gewiß das erste- und letztenmal sein! Noch lange nachher, wenn wir unsern Katechismus aussagten und der Lehrer fragte: Wie heißt das siebente Gebot? erinnerte mich das heftige Klopfen meines Herzens an jenen Morgen. Als ich nach einigen Jahren die Schule verließ, ward ich Lehrling bei einem Kaufmann in Bremen; von dort ging ich später nach Süd- amerika. Hier kam ich wohl manchmal in Versuchung, in Kaufmanns- geschäften zu Betrügen und so die Hand nach fremdem Gute aus- zustrecken. Aber dann war es mir immer, als fühlte ich von neuem die Ohrfeige, und ich erinnerte mich der Worte: Laß es zugleich

9. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 30

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
6. Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind Winkt aus der Tiefe ihm wieder! Herauf! Herauf! So meint's das Kind, Der Schatten: Hernieder! Hernieder! 7. Schon beugt es sich über den Vrunnenrand. Frau Amme, du schläfst noch immer! Da fallen die Blumen ihm aus der Hand Und trüben den lockenden Schimmer. 8. Verschwunden ist sie, die süße Gestalt, Verschluckt von der hüpfenden Welle. Das Kind durchschauert's fremd und kalt, Und schnell enteilt es der Stelle. 26. Nachbar Helm und seine Linde. Franz Honcamp. 1. Im Häuslein gegenüber, da wohnt ein Zimmermann, Heut' vor dem Haus die Linde hub er zu fällen an. Ich sprach : ,,Gott grüß' Euch, Nachbar! Doch sagt, was Ihr beginnt? Der Baum beschützt das Häuslein vor Wetter doch und Wind!“ 2. Da hielt er an und schaute von seiner Arbeit auf Und sah mich an und blickte zur Linde hoch hinauf; Dann legt' er beide Hände still auf sein Arbeitszeug, Lehnt' an den Baum und sagte: „Nachbar, ich danke Euch! 3. Die Linde pflanzt' mein Vater, als ich geboren war. Sie grünt und blüht alljährlich schon über siebzig Jahr'. Mein Weib am Hochzeitstage — sie war ein junges Blut — Steckt' mir von diesem Baume ein Zweiglein an den Hut. 4. Viel Gäste tät ich laden, zu enge ward das Haus, Hier unter dieser Linde, da hielten wir den Schmaus. Ein Sohn ward uns geboren, da gab sich's viel zu freun, Und seinen Namen grub ich in diese Linde ein. 5. Die Linde wuchs und prangte, der Knabe ward ein Mann; Bei Leipzig in der Ebne stand er im Heeresbann. Zum Kampfe ziehend trug er zwei Lindenzweig' am Hut; Bei Leipzig an den Wällen verrann sein junges Blut.

10. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 39

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
39 „Da setzt's was!" dachte ich, aber er zögerte keinen Augenblick, trabte ernst und ruhig über die Brücke. In großer Eintracht ging die Strecke vor sich, bis wir gegen Abend wohlbehalten nach Sitzeldorf kamen. Heute ist der Graue schon lange tot. Ich werde ihm meine Hoch- achtung bewahren wie jedem, von dem man etwas Rechtes gelernt hat. Ich habe von ihm gelernt, daß der Esel ein gutes und nützliches Tier ist, wenn man ihn — als Esel behandelt. 31. Mut über Gut. Ludwig Aurbacher. Es war einmal ein armer Handwerksmann, ein Leinweber, der saß täglich schon in der Frühe in seiner Werkstatt und arbeitete. Und wie er denn allezeit fröhlichen Mutes war, so sang er zum Zeitvertreib nebenbei manch schönes weltliches oder geistliches Liedlein, je nachdem es ihm just ums Herz war; und er hatte eine so klare und volle Stimme, daß die Nachbarn keines Haushahnes bedurften, der sie aufweckte. Dies war aber eben dem reichen Kaufherrn nicht recht, der neben ihm wohnte; denn wenn der vor Mitternacht nicht schlafen konnte wegen Geldsorgen, so mußte er nach Mitternacht noch wach bleiben wegen des vermaledeiten Singsangs des Nachbars. Er dachte daher ernstlich darauf, dem Un- fug ein Ende zu machen. Verbieten konnte er's ihm nicht; denn das Singen gehört wie das Beten und Arbeiten zum Hausrecht, darin niemand gestört werden kann. Also mußte er andere Mittel gebrauchen. Er ließ den Handwerker kommen und fragte ihn, wie hoch er sein Singen anschlage? Der meinte, einen Tagelohn sei es sicherlich wert, da es ihm das Tagewerk selbst so leicht mache. Jener fragte weiter, wieviel das betrage? Der antwortete, so viel und so viel, und es war doch nicht viel. Darauf sagte der Kaufherr, er wolle ihn einen Monat lang zum voraus bezahlen, nicht für das Singen, sondern daß er still sei und das Maul halte. Und er legte ihm das Geld wirklich hin. Der Leinweber dachte bei sich, leichter könne man sich's nicht verdienen, und er nahm das Geld und versprach, daß er still sein wolle wie ein Mäuslein in seiner Werkstatt. Als er mit dem Gelde nach Hause gekommen, überzählte er es voller Freuden, und es war lauter gute Münze und so viel, als er noch niemals zugleich beisammen gehabt hatte. Abends, ehe er schlafen ging, liebäugelte er noch ein gutes Stündlein mit seinem Schatze, und
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