Regionen (OPAC): Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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rungen. Bodenbeschaffenheit und Klima haben den edlen Acker-
bau außerordentlich begünstigt; von ihm nähern sich die meisten
Dörfer; die Gewerbe werden mehr in den Städten betrieben.
Nur den Ortschaften am und auf dem Eichsfelde kann ihr dürftiger
Boden nicht den nötigen Unterhalt gewähren; hier muß der Be-
wohner seinen Verdienst vorzugsweise im Walde beim Holzhauen
suchen. Viele Arbeiter gehen nach Beschäftigung in die Zucker-
fabriken der Magdeburger Gegend („ins Land gehen"). Die Zeit
der Bereitung des Rohzuckers führt den Namen „die Znckercampagne".
Auch werden hier Weberei und Bleicherei stark betrieben. Die
fruchtbaren Fluren der Niederungen erzeugen Getreide und Gemüse
aller Art, auch edle Obstsorten, selbst den Mandelbaum bei Franken-
hausen. Besonders ergiebig sind die Umgebungen Arnstadts und die
Thäler der Helbe und Wipper in ihrem Umlaufe. Der Zuckerrüben-
und Tabaksbau wird namentlich in den Niederungen der U. H. stark
betrieben und ist im steten Wachsen begriffen. Der Weinbau, sonst
hauptsächlich bei Rudolstadt, Blankenburg, Clingen (in der U. H.)
und Frankenhausen betrieben, hat sein Gebiet zum größten Teil
dem Feld- und Gartenbau abtreten müssen; an den steilen Wan-
düngen des rechten Saalufers im Amte Leutenberg bedeckt die Rebe
ansehnliche Strecken. — Die Rindviehzucht, noch mehr die Schaf-
zncht werden sehr gepflegt; die Pferdezucht hat besonders in der
U. H. einen bedeutenden Ausschwung genommen.
An Salzquellen ist die schwarzburgische Hügellandschaft
reich; wer sollte nicht von der „Frankenhäuser Butter"*) gehört
haben? Das Mineralreich liefert außerdem: Knpfer und treff-
liche Mühlsteine auf dem Kyffhäuser, Braunkohlen bei
Frankenhausen und Bendeleben, wenig Marmor und Alabaster
bei Badra. Tuffstein besonders bei Greußen und Klingen in
der sonderhänsifchen U. H. und in der O. H. bei Schaala, Torf
auf mehreren Stellen z. B. bei Greußen. An Sand-, Kalk- und
Gipsbrüchen ist selbstverständlich kein Mangel. Merkwürdig sind
die vereinzelten Partieen und Blöcke von Granit, Syenit, Quarz ?c.
bei Spier, Greußen und andern Orten. — Versteinerungen
kommen in Masse vor, namentlich im Muschelkalke, der den größten
Teil der Hainleite und des Jlmgebietes bedeckt und bei Rudolstadt
und Blankenburg am weitesten südlich reicht. Es finden sich darin
Fischreste, Ammoushörner (von den Gehäusen**) ausgestorbener Weich-
tiere, wie unsere Schnörckelschnecken, herrührend), viele Muscheln,
die sogenannten Bonifaziuspfeunige (versteinerte Stielgliedchen von
Seelilien, in Gestalt kleiner Pfennige***) :c. Bei Schlotheim und
*) Scherzhafte Bezeichnung für das Frankenhäuser Salz.
**) Diese haben Ähnlichkeit mit den Widderhörnern des Jupiter Ammon,
einer Gottheit, welche die Libyer in Afrika unter Gestalt eines Mannes mit
Widderhörnern verehrten.
***) Nach der Sage zahlte Bonifacius mit denselben in Ermangelung des
Geldes.
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— 46 -
Am Wirbach: (Nr. 72 — 74).
72) Dietrichshütte, Mktfl. am Ursprung des Wirbaches.
Pfarrt und schult nach Nr. 70. Ackerbauer. 1 landwirthfchaftl. Verein.
73) Oberwirbach, weithin sichtbares Krchdf. in einem Seiten-
gründe des Wirbaches. Fil. von Nr. 70; 1 Sch., 1 L. Hübsche
Aussicht nach Rudolstadt. — Ackerbauer; Besenbinderei; Korbflechterei.
74) Unter wirb ach, freundliches Krchdf. am Fuße des Haum-
od. Papierberges, zwischen Obstpflanzungen im Wirbachthale, das
sich hier schnell erweitert. Fil. von Nr. 95. In der Nähe der erz-
reiche Eisenberg. Nur die aus dem linken Ufer des Wirbachs ge-
legenen Häufer sind fchwarzb., die jenseitigen meiningisch. Ackerbauer.
Starker Handel mit Gemüse, Pflanzenbau, Sämereien und Obst.
(I) Ortschaften an den linken Zuflüssen der Schwarza.
(Nr. 75 - 115).
75) Böhlen, Pfdf. auf einem über 600 in hoch gelegenen
Bergjoche am Breitenbache. 1 Sch., 2 L. Postagentur mit Tele-
graphenstation lnach Breiteubach). 2 Mühlen,1 Dampffchneidemühle,
1 Dampfdrechslerei, bedeutende Holz- und Schlauchweberei, Preß-
waren aus Cellnlose (Pflanzenzellgewebe), etwas Holzschnitzerei. Die
Baumwollenweberei ist zurückgegangen. 18 verfallene Berggruben
zeugen noch von dem sonst schwunghaft betriebenen Bergbau auf
Kupfer und Alaun. Farberdegruben, ebenfalls nicht betrieben. Einige
Sägenverfertiger. Etwas Ackerbau. 1 Kriegerv., 1 Turuv.
Im Gebiet des Junkerbaches. (Nr. 76 — 78).
76) Wildenspring, Dorf am Ursprünge eines Thalgrundes.
Eingepsarrt nach Nr. 75. 1 Sch., 1 L. 1 Schlanchfabrik. Hier haben
sich noch etwas mehr Baumwollenweber als in Böhlen erhalten.
Ackerbau Nebeugefchäft. Ein Rittergut mit bedeutenden Waldungen;
1 Gutsforstei. 1 Turnverein.
77) Friedersdorf, Dorf im tiefen Ursprünge eines Seiten-
thales des Junkerbaches. Eingepsarrt nach dem sondershäns. Orte
Gillersdors. 1 Sch., 1 L. Wenig Ackerbau; viel Weberei. Nahe am
Dorfe führte die Nürnberger Straße vorüber. Am Junkerbach die
„Ölfchröte", 1 Gasthaus u. 2 Mühlen.
78) Herschdorf (bei Königfee), Pfdf., am Südostfnße des
Langenbergs. l Sch., 2 L. Auf der Wasferfcheide der Rinne und
Schwarza (648 in) weite Aussicht. Bedeutende Schlauchweberei;
wenig Ackerbau. Sonst stark betriebenes Fuhrmannswesen nach Nord-
dentschland.
Im Gebiet des Finkenbaches: (Nr. 79 bis 80).
79) Dröbischau, Dors auf baumloser Höhe. Nr. 78 eiuge-
pfarrt. 1 neue Schule (seit 1878) u. 1 neuer Gottesacker. Acker-
bau und Handel.
80) Allersdorf, hochgelegenes Dorf am Nordabhange des
Böhlberges; oft Wassermangel. Nr. 78 eingepsarrt. 1 Sch., 1 L.
TM Hauptwörter (50): [T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau]]
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TM Hauptwörter (200): [T96: [Stadt Thüringer Saale Schloß Wald Gotha Dorf Heidelberg Weimar Einw.], T94: [Stadt Fabrik Handel Dorf Schloß Weberei Einwohner Einw. Nähe Bergbau], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau], T25: [Stadt Schloß Straße Garten Berg Dorf Nähe Park Ufer Haus]]
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- 6 —
kanten (besonders in Neustadt am Rennsteige, wo sonst viel Feuer-
schwamm bereitet wurde und Cursdorf), geschickte Holzschnitzer (in
Böhlen), Sägemüller, Lattenschneider, Span- und Wurzelkorbflechter
(besonders in Horba), Besenbinder (Oberwirbach und Unterweiß-
bach); und beim Schachtelmacher kann man ganze Familien von A
bis Z in voller Thätigkeit sehen. In der Gegend von Breitenbach
und in den Amtsbezirken Königsee und Oberweißbach hat sich das
einträgliche Laborantenwesen stark entwickelt. Dieses eigen-
tümliche Gewerbe ist bald nach dem 30jährigen Kriege durch den
aus Oberweißbach stammenden Apotheker I. M. Mylius von Breiten-
dach ausgegangen. Nach Schwaben und der Schweiz, nach Preußen,
Polen, Ungarn, Holland zc. werden Arzeneien und Olitäten (d. h.
Ole) durch die Olitäteuhäudler oder Balsamträger ausgeführt. Be-
sonders in den Dörfern um den Langenberg wird die Baum-
wollen Weberei, seit wenig Jahren auch die Holzweberei stark
betrieben.
Hauptsächlich auf schwarzburgischem Gebiete birgt der Thüringer-
Wald einen nicht unbedeutenden Reichtum von Mineralien in
seinem Schöße. Das edle Gold findet sich bei Goldisthal und im
unteren Schwarzathale, am ersteren Orte häusiger, als am letzteren. Im
Natnralienkabinet zu Rudolstadt wird eiue Quarzgoldstufe im Werte
von 4 bis 5 Dukaten (40 bis 50 M.) gezeigt, die bei Goldisthal ge-
funden worden sein soll. Im unteren Schwarzathale zeigt sich das
meiste Gold in dem rötlich gefärbten Tone, der sich am Ufer oder in
den Spalten des zerrissenen Felsenbettes abgelagert hat; der Kies ent-
hält sehr selten einige Spureu dieses Metalls. Die Goldwäscher fassen
das thonige Erdreich in Mulden mit schwarzem Boden und spülen
dasselbe behutsam und mühsam ab; wenn das Glück will, glänzen
vom schwarzen Boden dem freudigen Auge des Wäschers Gold-
blättchen, oder wohl gar Goldkörnchen so groß wie Linsen, selbst
wie Erbsen, aber äußerst selten, entgegen. Die Schwarzagoldwäsche,
sonst häufig betrieben, ist fast ganz wegen des geringen Ertrags
eingegangen; sie beschränkt sich jetzt nur auf einzelne Personen, die
sie als Nebenerwerb und in Mußestunden üben.*)
Das dem Golde zunächst stehende Edelmetall, das Silber,
fiudet sich in geringer Menge bei Blankenburg, am Langenberge
und bei Breitenbach. —
*) Das jetzt noch gewaschene Gold sammeln die Fürstlichen Herrschaften zu
Rudolstadt und verwenden es meistens zur Anfertigung von Gedenkringen, Ver-
lobungs- und Trauringen bei Verlobungen und Trauungen des Fürstlichen
Hauses. — Es giebt eine ziemliche Anzahl in Sammlungen vorhandener Schwarza-
gold-Dukaten. ... ,
Manche Baueru des schwarzb.-rudolst. Dorfes Schwarza sollen ihre Gänse
nur ausgeschlachtet verkaufen, in der Erwartung, im Kröpfe oder Magen dieser
Wasservögel Gold zu finden. Einen solchen Fund im Kröpfe einer Schwarzer
Gans, eine winzigkleine Ouarzgoldstuse, bewahrt das Naturalienkabinet zu Rudol-
stadt auf.
TM Hauptwörter (50): [T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner], T19: [Wasser Luft Eisen Körper Silber Gold Kupfer Metall Stein Erde], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T5: [Rhein Main Wald Thüringer Teil Schwarzwald Gebirge Neckar Saale Jura], T6: [Eisen Gold Silber Kupfer Wasser Blei Metall Salz Kalk Stein], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde]]
TM Hauptwörter (200): [T96: [Stadt Thüringer Saale Schloß Wald Gotha Dorf Heidelberg Weimar Einw.], T107: [Eisen Gold Silber Kupfer Blei Metall Salz Zinn Stein Mineral], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch]]
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— 5 —
ober Moos umkleidet. Nach dem 5 -6 Monate langen Winter ent-
wickelt sich die Pflanzenwelt wie mit einem Zauberschlage. Doch
beginnt die Ernte in den niederen Strichen oft über 14 Tage
früher, als im Gebirge.
Auf den höchsten Höhen gedeihen Kartoffeln von vorzüglicher
Güte, Sommerkorn, Hafer, Flachs und etwas Kraut (Kohl); der
Kirschbaum ist der einzige Obstbaum, der seine Früchte zur Reise bringt.
Die häufig wachsenden Preißelbeeren („Mehlbeeren," „Hölperle")
und Heidelbeeren („schwarze Beeren"), die massenhaft gesammelt
und suderweise ausgeführt werden, geben einen geringen Ersatz für
das fehlende Obst. An tieser gelegenen Orten läßt das Klima nach
und nach den Bau aller einheimischen Getreidearten und Hülsenfrüchte
zu; die milden Thalfluren liefern auch Gemüse, besonders bei Schwarza.
Das bedeutendste Pflanzenprodukt liefert der Wald in den 2/? des
Bodens bedeckenden Waldungen, besonders Nadelwaldungen; zwischen
ihnen breiten sich, besonders im Bezirk Gehren, Gebirgswiesen („Wald-
röder", „Geräumde") aus. Für „den Wald" kann wegen des Klimas
der Ackerbau nur Nebengeschäft sein; nur aus den Hochflächen des
Sormitzgebietes und im Gebiete der Rinne und Sorbitz treiben die
meisten Dörfer bloß Ackerbau. In diefen Dörfern allein findet sich
die Schafzucht; die Bewohner der Gebirge beschäftigen sich mit
der Rind Viehzucht. Die vielen Kühe, welche der thüringer
Waldrasse entstammen, sind trotz ihres kleinen, zarten Baues kräftige
Zugtiere und liefern die wohlschmeckende Waldbutter, die weithin
versandt wird. Noch bedeutender ist die Zahl der Ziegen, „des
Melkviehes" der Armen. Kühe und Ziegen werden, so lange es das
Wetter gestattet, aus die Weide getrieben. Das harmonische Schellen-
geläute einer Kuhherde hat für ein musikalisches Ohr großen Reiz.
Die reichen, früher unverwüstlich scheinenden Waldstrecken und
die zwischen ihnen dahin rauschenden Waldbäche boten im 17. und
18. Jahrhundert religiösen Flüchtlingen ans Salzburg, Böhmen
und Schwaben die günstigsten Plätze zur Anlegung von Glas-
sabriken, um welche Dörfer entstanden (Schmalenbuche, Alsbach,
Altenfeld). Noch mehr Dörfer (Ölze, Geiersthal, Leibis, Quelitz,
Scheibe) verdanken ihre Entstehung dem früher schwunghaft be-
triebeneu Eisenhüttenwesen, das jetzt leider wegen der kost-
spieligen Beschaffung der Steinkohlen ganz darnieder liegt. Die
Porzellanindustrie hat einen raschen und bedeutenden Auf-
schwang genommen. Zwei Glasmeister aus Alsbach, Gotthelf und
Gottfried Greiner, und der aus Cursdorf gebürtige Candidat Mache-
leid erfanden im vorigen Jahrhundert das thüringische Porzellan.
Glaskünstler von Ruf, geschickte Barometer-, Thermometer- und
Glasaugen-Verfertiger besitzt der Wald. Die Glasperlenfabrikation
wird besonders in Neuhaus und Umgegend von jung und alt stark
betrieben. — Die Holziudustrie ist sehr bedeutend. Da giebt's
Muldenhauer (Breitenbach und Umgegend), Kisten- und Kastenmacher
(Mellenbach, Meuselbach), Spielwarenversertiger, Streichholzfabri-
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner]]
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52
Das Gebiet der Weser.
seinem goldenen Thurmdache geworden. An seiner Rückwand grünt
und blüht aber immer noch der wunderbare Rosenstock und wohl
30 Fuß [9 m] hoch zieht er sich an der Mauer empor, jeden
Sommer mit Tausenden von Blüthen beladen. Hierher verlegte
denn auch Kaiser Ludwig das Bisthum, welches in Elze seine
schwachen Ansänge gehabt hatte. Das Bisthum entwickelte sich
dann zu einem mächtigen Reichsfürstenthum. In Folge eines
heftigen Krieges, der s. g. Stiftsfehde, 1519 bis 1523, mußten die
Bischöfe den größten Theil ihres Landes, das s. g. große Stift
an die Herzöge von Calenberg und Braunschweig abtreten; nur die
Aemter Steuerwald und Marienburg, das s. g. kleine
Stift, blieben bei Hildesheim. Die Folge davon war, daso im
großen Stifte alsbald die Reformation eingeführt wurde; und ob-
wohl während des 30jährigen Krieges (1624) alles genommene
Land wieder an Hildesheim kam, so blieb doch die Reformation
bestehen, und so ist nur der geringere Theil der Bevölkerung des
Fürstenthums katholisch. Als im Jahre 1803 das Land Preußisch
wurde — erst 1815 kam es an Hannover — befand sich die Stadt
im tiefsten Verfall, feit jener Zeit aber ist sie freudig aufgeblüht,
besonders seitdem sich in der fruchtbaren, reichbebaueten Umgegend
die Landwirthschaft so außeror-
deutlich vervollkommnet hat, deren
reiche Produkte hier zu Markte
gebracht werden. Manche fromme
Stiftung aus alter Zeit hat sich
erhalten; in der neueren Zeit ist
ein Taubstummen-Institut und eine
große Irrenanstalt hinzugekommen.
Hildesheim hat sich einer schönen
Umgegend zu erfreuen; in seinem
Innern ist es reich an Mittelalter-
lichen Kunstwerken, an reichver-
zierten mittelalterlichen Privat-
Häusern (z. B. das fälschlich so
benannte Tempelherrenhaus
am Markte) und namentlich an
schönen Kirchen, die theilweise, wie
der Dom, die prachtvolle, leider
nicht vollständig mehr erhaltene
Michaeliskirche und die neuerdings
TM Hauptwörter (50): [T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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184
Die neuere Zeit.
^ Herzog Wilhelm hinterließ bei seinem Tode (17. Juni 1815)
zwei unmündige Söhne, von denen der ältere, Karl, ihm im Herzog-
thume nachfolgen sollte, der jüngere, Wilhelm, mit dem Herzog-
thume Oels abgefunden wurde, einer reichen Besitzung in Schlesien,
welche ein Vorfahr einst durch Heirat gewonnen hatte. Beide jungen
Prinzen standen während ihrer Minderjährigkeit unter der Vormund-
schast ihres nächsten Verwandten, des Königs von England, wurden
aber in Braunschweig erzogen. Leider fand Prinz Karl hier falsche
Freunde, welche in der Hoffnung, später den Fürsten nach ihrem
Willen lenken zu können, ihm Gelegenheit zu Sittenlofigkeiten aller
Art verschafften und seiner Seele den bittersten Haa gegen seinen
königlichen Vormund einflößten.
Im Jahre 1823 trat der 19jährige Prinz Karl die Herrschaft
seines Landes an, machte sich aber bald im ganzen Lande und na-
mentlich bei dem Adel desselben verhastt durch die selbstsüchtige
Willkür, mit welcher er bei allen seinen Regierungshandlungen
verfuhr, wobei sein letzter Endzweck der war, sein Privatvermögen auf
Kosten des Landes zu vergrößern. Das zu erreichen, wurden alte
verdiente Beamte, welche die Rechte des Landes geachtet wissen
wollten, rücksichtslos aus ihren Aemtern vertrieben, ja des Landes
verwiesen, bis unter einem zum höchsten Amte im Staate emporgezo-
genen gewöhnlichen Schreiber die Willkürherrschast ihren Höhepunkt
erreichte. So kam es denn am 6. Septbr. 1830 zu einer Revolution,
die vom Adel, den Beamten und dem gebildeten Bürgerstande aus-
ging; und da alsbald auch die herzoglichen Truppen dem Fürsten den
Gehorsam versagten, so blieb ihm nichts übrig, als das Land seiner
Väter zu fliehen. Ruhelos und verachtet lebte er seitdem in der
Fremde und ist 1873 in Genf gestorben.
An seine Stelle trat sein Bruder Wilhelm, 2. Dec. 1830, und
wurde vom Deutschen Bunde, der die Absetzung Karls aussprach, als
Herzog anerkannt.
Seitdem hat sich das Land unter der Regierung des Herzogs
Wilhelm, der es verstanden hat, sich mit den tüchtigsten Rüthen zu
umgeben, des segensreichsten inneren Friedens und einer freudigen
Entfaltung seiner Kräfte und seines Wohlstandes erfreut. Für
Hebung von Handel und Gewerbe, für die Steigerung des Verkehrs
durch rasche Entfaltung eines reichen Eisenbahnnetzes, für die Ent-
wickelung des Ackerbaues, für schnelle und gute Justiz, sür Kirche und
Schule ist hier verhältnissmäßig mehr geschehen, als in den meisten
Deutschen Landen.
TM Hauptwörter (50): [T47: [Friedrich Wilhelm Kaiser König Iii Kurfürst Jahr Preußen Brandenburg Johann], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Karl Karl Wilhelm Karl Karl Karl Karl Wilhelm Karls Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Wilhelm Schlesien England Braunschweig Genf Karls
Die neuere Zeit. 187
Amtsversammlung zur Seite gesetzt wurde; ebenso sollten die alten
Landstände der einzelnen Provinzen (Provinziallandschasten) zweck-
mäßig reorganisirt und ihnen ein bedeutenderer Wirkungskreis in Be-
ziehung auf die Angelegenheiten der einzelnen Provinzen beigelegt
werden. Vor allem aber ist die neue Gerichtsverfassung zu nennen,
in Folge welcher alle städtischen und adeligen (Patrimonial-) Gerichte
aufgehoben und in königliche verwandelt wurden, während zugleich
nicht bloß in Strafsachen sondern auch in Civilprozessen Oeffentlichkeit
und Mündlichkeit des Verfahrens eingeführt wurde. Hannovers
Gerichtsverfassung ist ein Muster für alle übrigen Staaten gewesen,
und die am 1. Oktober 1879 ins Leben getretene allgemeine Deutsche
Gerichtsverfassung hat sich zum größten Theile auf den bei uns ge-
legten Grundlagen aufgebauet. Zugleich waren auch die Finanzen
des Landes in dem blühendsten Zustande.
Ernst August starb am 18. November 1851, von der Mehrzahl
seines Volkes wahrhast betrauert.
Nach dem Tode Ernst August's bestieg dessen Sohn Georg V
den Thron.
Bereits zu Lebzeiten des Königs Ernst August hatten sich die
Ritterschaften des Landes an den wiedererstandenen Deutschen Bund
mit der Klage gewandt, das» durch die beabsichtigte Reorganisation der
Proviziallandschasten ihre althergebrachten Rechte verletzt würden, und
daß ihnen die Standschaft in der ersten Kammer des Königreiches
entzogen sei. König Ernst August hatte das betreffende Gesetz nicht
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T47: [Friedrich Wilhelm Kaiser König Iii Kurfürst Jahr Preußen Brandenburg Johann], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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Extrahierte Personennamen: Ernst August Ernst_August's Ernst Georg_V Ernst August Ernst August
Die neuere Zeit.
189
gemacht, daß die königliche Regierung geneigt sei, eine Wiederein-
führung der Kassenvereinigung zu gestatten, wenn die Stände den
demnächst zu machenden Vorschlägen zustimmen würden. Erst im
Jahre 1857 gelang es der Regierung durch den äußersten Druck,
den sie auf die Beamten und alle sonst irgendwie abhängigen Personen
ausübte, sowie dadurch, daß man selbst den pensionirten Staats-
dienern, von denen man eine oppositionelle Haltung erwartete, den
Eintritt in die Kammer versagte, sich eine in ihrer Majorität gefügige
Kammer zu verschaffen und mit dieser wurde eine Vereinigung der
Kassen unter der Bedingung vereinbart, daß die Bedarfsumme für
den königlichen Hofhalt hinfort nicht in baarem Gelde ausbezahlt,
sondern zu deren Beschaffung ein so großer Theil des Domanial-
gutes ausgeschieden werden solle, daß dessen Erträgnisse jene Bedarf-
summe liefern könnten. Bei der Ausscheidung ging man aber so zu
Werke, dass die ausgeschiedenen Domänen einen den Anschlag weit
übertreffenden Ueberschuss lieferten. Dieses Vorgehen erregte fast in
allen Kreisen der Bevölkerung die tiefste Verstimmung, und es schien
Manchem, als ob die königliche Regierung bei dem Versassungsstreite
nicht bloß durch politische Rücksichten, sondern zum großen Theil
durch das Verlangen bestimmt sei, auf diesem Wege eine Erhöhung
der königlichen Bedarfsumme zu erwirken. So wuchs die Opposition
im Lande von Tag zu Tag, und mancherlei Verbesserungen der in-
neren Verwaltung wurden mit Lauheit aufgenommen.
Zwei Ereignisse sind noch besonders zu erwähnen. Der durch
die Entwicklung des Deutschen Eisenbahnsystemes stets lebhafter
werdende Handelsverkehr ließ die Trennung Hannovers vom Deut-
schen Zollverein immer untunlicher erscheinen, und als man sich von
Seiten des Zollvereines entschloß, dem Lande Hannover einen Vorzug
in der Art zu gestatten, daß wegen des im Lande nachweislich statt-
findenden höheren Verbrauches von Kolonialwaaren die Einkünfte so
getheilt werden sollten, daß dabei die Bevölkerung Hannovers nicht
mit ihrem einfachen, sondern mit dem anderthalbfachen Betrage in
Rechnung gebracht werden sollte, so trat Hannover im Jahre 1854
dem Zollvereine bei. Das hatte einen großen Einfluß auf die Gewer-
beverhältnisse unseres Landes. Die Fabrikanten und Gewerbetrei-
benden der benachbarten Lande, in welchen Gewerbefreiheit herrschte,
und welche in Folge davon wegen der gesteigerten Konkurrenz ihre
Waaren billiger liefern mußten, überschwemmten nach dem Falle der
Zollschranken unser Land mit ihren Erzeugnissen, und eine noth-
wendige Folge davon war, daß man auch hier an die Einführung der
Gewerbesreiheit denken mußte. Zwar erhoben die Anhänger des
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund]]
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Das Harzgebirge.
29
werden, nur die große Eingangshalle konnte erhalten werden;
in ihr werden Reste der
. inneren Ausstattung der
.Kirche (der Kaiserstuhl,
d. s. g. Crodo-Altar u. a.)
~4-■' I-W.&j' .
' I \ aufbewahrt. Dicht neben
dem Dom erhob sich ein
prächtiger Kaiserpalast;
<*•• von ihm ist nur die
^ Kapelle und ein Flügel
.• erhalten; letzterer, in
alter Schönheit herge-
stellt, zur Erinnerung an
-jene Zeiten, wo Deutsch-
land war, was es jetzt
wieder geworden ist, der
mächtigste und ange-
sehenste Staat Europas. — In späteren Zeiten war Goslar eine
freie Stadt des Deutschen Reiches, blühend durch Handel und Ge-
werbe. Die Bürger betrieben den Bergbau selbst und gaben den
Landesfürsten nur den Zehnten der Bergprodukte ab; erst seit dem
16. Jahrhundert) ist der Betrieb an die Landesherrschaft übergegangen.
Daran knüpfte sich manche Industrie, besonders in Kupfer und
Messing. Zeugen jenes Wohlstandes sind noch die schönen Kirchen
der Stadt und der Marktplatz mit seinem metallenen Wasserbecken,
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Das Gebiet der Ems und Vechta.
bewässert von der bei Detmold entspringenden Werre, die
bei Rehme sich mit der Weser vereinigt. Weiter hin wird das
Thal enger, behält aber bis Osnabrück noch denselben Charakter.
Auch hier ist die Bevölkerung noch recht dicht, indem Ackerbau
und Industrie (Leinenweberei, Tabacksfabrikation) hier in glück-
licher Vereinigung stehen. Bewässert wird dasselbe von der
Hase und Else. Es tritt dabei eine eigenthümliche Erscheinung
ein. Die bei Borgholzhausen im Teutoburger Walde ent-
springende Hase theilt sich nämlich da, wo sie bei Gesmold
in die Ebene eintritt, in zwei Arme, von denen der eine seinen
Namen beibehaltend westwärts strömt, während der andere sich ost-
wärts wendend, einen kleinen Gebirgsbach aufnimmt, dann den
Namen der Else erhält und über Melle und Bünde der Werre
zuströmt. Es fehlt also hier an einer Wasserscheide zwischen den Ge-
bieten der Ems und der Weser. Melle (2000 Ew.) ist der Mit-
telpunkt einer bedeutenden Leinenindustrie. Viel lebhafter aber ist
die Handelstätigkeit von Osnabrück, der ältesten Gründung
Kaiser Karls im Sachsenlande. Es dauerte aber recht lange, ehe
sich um die Kirche eine Stadt entwickelte; erst im Jahre 1280
wurde sie mit Befestigungswerken versehen. Dann wuchs sie
rascher empor, befreiete sich von der Gerichtsbarkeit ihrer Bischöfe
und wurde eine der bedeutendsten Städte im Hansabunde. Be-
sonders blühte hier die Tuchweberei und der Handel mit den
Produkten der Viehzucht, Häuten, Wolle, Schinken. Nicht unbe-
deutend war auch die Leinwandweberei, und als später das Tuch-
machergewerbe mehr und mehr
verfiel, trieb Osnabrück noch
lange Zeit über Bremen einen
bedeutenden Leinwandhandel
nach England und den Spa-
nischen Kolonien in Amerika.
An jene glücklichen Zeiten
erinnern noch die schönen
Kirchen der Stadt, unter
denen wir neben dem alter-
thümlichen Dome nur die
schöne Marienkirche nen-
nen, eine der schönsten Kirchen
des nordwestlichen Deutsch-
lands. Seit dem 30jährigen Kriege verfiel der Wohlstand der
TM Hauptwörter (50): [T13: [Stadt Elbe Hamburg Berlin Provinz Bremen Land Lübeck Hannover Weser], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
TM Hauptwörter (100): [T57: [Weser Stadt Hannover Harz Osnabrück Leine Kreis Aller Land Elbe], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T38: [Weser Elbe Hannover Land Stadt Lüneburg Leine Nordsee Aller Bremen], T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau], T119: [Fluß See Kanal Strom Lauf Wasser Land Ufer Mündung Elbe], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T0: [Kirche Haus Gebäude Stadt Straße Säule Platz Fenster Seite Palast]]
Extrahierte Personennamen: Osnabrück Karls
Extrahierte Ortsnamen: Vechta Detmold Borgholzhausen Melle Melle Karls Sachsenlande England Amerika Marienkirche