Klemens Brentano: Lieder
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45 Die Augen saust und wilde,
die Wangen rot und weiß,
die Worte still und milde,
das ist mein Zauberkreis.
Ich selbst muß drin verderben,
50 das Herz tut mir so weh;
vor Schmerzen möcht' ich sterben,
wenn ich mein Bildnis seh'.
Drum laßt mein Recht mich finden,
mich sterben wie ein Christ,
55 denn alles muß verschwinden,
weil er nicht bei mir ist!"
Drei Ritter läßt er holen:
„Bringt sie ins Kloster hin!
Geh, Lore! Gott befohlen
60 sei dein berückter Sinn!
Du sollst ein Nönnchen werden,
ein Nönnchen schwarz und weiß;
bereite dich auf Erden
zu deines Todes Reis'."
65 Zum Kloster sie nun ritten,
die Ritter alle drei,
und traurig in der Mitten
die schöne Lore Lay.
„O Ritter, laßt mich gehen
70 auf diesen Felsei: groß;
ich will noch einmal sehen
nach meines Lieben Schloß.
Ich will noch einmal sehen
wohl in den tiefen Rhein
75 und dann ins Kloster gehen
und Gottes Jungfrau sein."
Der Felsen ist so jähe,
so steil ist seine Wand;
doch klimmt sie in die Höhe,
80 bis daß sie oben stand.
Es binden die drei Reiter
die Rosse unten an
und klettern immer weiter
zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach: „Da gehet 85
ein Schifflein auf dem Rhein;
der in dem Schifflein stehet,
der soll mein Liebster sein.
Mein Herz wird mir so munter,
er muß mein Liebster sein." so
Da lehnt sie sich hinunter
und stürzet in den Rhein.
Die Ritter mußten sterben,
sie konnten nicht hinab;
sie mußten all verderben, S5
ohn' Priester und ohn' Grab.
Wer hat dies Lied gesungen?
Ein Schiffer auf dem Rhein,
und immer hat's geklungen
von dem Dreiritterstein: mo
Lore Lay!
Lore Lay!
Lore Lay!
als wären es meiner drei!
5. Nun soll ich in die Fremde ziehen!
Nun soll ich in die Fremde ziehen!
Mir hatte eine Himmelsbraut
ein Zweiglein aus dem Kranz geliehen,
ich hatte draus ein Haus erbaut;
es grünte schon, es wollte blühen, 5
von meiner Tränen Flut betaut:
da konnt' ich betend ruhig knieen;
da hatte ich so fest vertraut
und soll nun in die Fremde ziehen!
Nun soll ich in die Fremde ziehen! io
Wohin, wohin? Daß Gott erbarm'!
Nicht, wo die Friedensrosen blühen,
nicht, wo im Geist so sonnenwarm
die Worte wie Gebete glühen;
nein, in die Brust, den Wespenschwarm 15
vergeblicher, erstarrter Mühen,
ins eigne Herz, zum eignen Harm
soll ich nun in die Fremde ziehen!
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Reise, wie von Londonbridge bis Gravesend; nicht mehr Milesend ist
die längste Straße Londons, sondern der prächtige Themsestrom selbst:
statt der Kabs und der Omnibus befahren ihn Hunderte von Böten und
Dampfern, Greenwich und Woolwich sind Anhaltepunkte, und Gravesend
ist die letzte Station.
Der Zauber Londons ist — seine Massenhaftigkeit. Wenn
Neapel durch seinen Golf und Himmel, Moskau durch seine funkelnden
Kuppeln, Rom durch seine Erinnerungen, Venedig durch den Zauber seiner
meerentsteigenden Schönheit wirkt: so ist es beim Anblick Londons das Ge-
fühl des Unendlichen, was uns überwältigt — dasselbe Gefühl, was uns
beim ersten Anschauen des Meeres durchschauert. Die überschwengliche
Fülle, die unerschöpfliche Masse: das ist die eigentliche Wesenheit, der
Charakter Londons. Ob man von der Paulskirche oder der Greenwicher
Sternwarte herab seinen Blick auf dies Häusermeer richtet, ob man die
Citystraßen durchwandert und, von der Menschenmenge halb mit fortgerissen,
den Gedanken nicht unterdrücken kann, jedes Haus sei wohl ein Theater,
das eben jetzt seine Zuhörerschwürme wieder in's Freie strömt — überall
ist es die Zahl, die Menge, die uns Staunen abzwingt, aber auch die Kraft
und Energie, die all' dem groß sich entfaltenden Leben zu Grunde liegt.
Gravesend liegt hinter uns; noch sehen wir das Schimmern seiner
Hellen Häuser und schon taucht Woolwich, die Arsenalstadt, vor unfern
Blicken auf. Rechts und links liegen die Wachtschiffe; drohend weisen sie
die Zähne, hell im Sonnenschein blitzen die Geschütze aus ihren Luken
hervor. Vorbei! Wir haben nichts zu fürchten: Altenglands Flagge weht
vor unserem Mast; friedlich nur dröhnt ein Kanonenschuß über die Themse
hin und verhallt jetzt in den stillen Lüften der Grafschaft Kent. Weiter
schaufelt sich der Dampfer an Ostindienfahrern vorbei, die jetzt eben mit
vollen Segeln und voller Hoffnung in Meer und Welt hinausziehen; seht,
die Matrosen grüßen und schwenken ihre Hüte! Wenn wieder Land unter
ihren Füßen ist, so sind es des Indus oder Ganges Ufer. Glückliche
Fahrt! Und jetzt, ein Jnvalidenschiff sperrt uns fast den Weg. Alles
daran ist zerschossen — es selbst und seine Bewohner. Ein Dreidecker
ist's; seine Kanonenluken sind friedliche Fenster geworden, hinter denen
die Sieger von Abukir und Trafalgar, die alte Garde Nelsons, ihre
traulichen Kojen haben.
Aber lassen wir die Alten! das junge frische Leben jubelt eben jetzt
an uns vorüber. Eine wahre Flottille von Dampfböten, nur heimisch im
Themsefahrwasser, kommt unter Sang und Klang den Fluß hinunter.
In Gravesend ist Jahrmarkt oder ein Schifferfest. Da darf der Londoner
Junggesell, der Commis und Handwerker nicht fehlen; die halbe City,
scheint es, ist flügge geworden und will in Gravesend tanzen und springen
und sich einmal gütlich thun nach der Melodie des Dudelsacks. Kein.
Ende nimmt der Festzug; bis hundert Hab' ich die vorbeifliegenden
Dampfer gezählt, ohne zu Ende gekommen zu sein.
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H89
weite Sumpfstrecken überblicken. Auf der Landspitze zwischen dem Ohio
und Mississippi oberhalb der Mündung legten wir an vor Cairo.*) Der
ganze Ueberrest dieser Stadt bestand in ein paar jämmerlichen Hütten und
einem langen, grauen Gasthause, dessen obere Ladenreihe verschlossen war,
ringsum pesthauchender Sumpf, aus dem die Bäume mit niederhangenden
Flechten voll gelblichen Kothes wüst hervor sahen. Verschiedentlich hatte
man auf diesem Platze, der zum Handel gar nicht prächtiger liegen konnte,
Fuß zu fassen versucht; man wollte auch die Landspitze, um die Schifffahrt
abzukürzen, durch einen Kanal abschneiden, aber Millionen auf Millionen
wurden hineingesteckt, die Menschen starben jedesmal gleich zu Hunderten
weg. Bei Hochwasser war Cairo mehrere Meilen weit vom Wasser um-
zingelt, und wenn dies von dem niedrigen Lande zurücktrat, dann stieg
gleich der Fieberqualm auf. Ich freuete mich, als wir den schaurigen Ort
verließen und in den Mississippi hinaussteuerten.
Die Einfahrt in den „Vater der Ströme" bietet durchaus nichts
Majestätisches; man blickt aus eine breite Wasserfläche, umsäumt von niedrig
scheinendem Walde, aber bald hört man das Strudeln und Rauschen der
Wellen und merkt an dem heftigen Zittern des Schiffes und dem Keuchen
und Stoßen der Maschine, daß es wider mächtige Fluthen kämpft. Das
klare Wasser des Ohio geht wie ein Keil mit scharfgeschnittenen Rändern
in den Mississippi hinein: man sieht deutlich, wie es sich gegen die Koth-
wellen wehrt. Ich hatte von den letzteren schon gehört, aber begriff noch
jetzt kaum, wie der „Vater der Gewässer" so gar schmutzig sein könne.
Kaum waren wir in diese ekelhafte Fluth hinein, als sie auch schon in
zwanzig Gläsern umhergegeben und mit Leidenschaft getrunken wurde; ich
glaube, mancher Amerikaner würde es für eine persönliche Beleidigung
ansehen, wenn man das „heilsame" Mississippi-Wasser zu ängstlich filtriren
wollte. Bald machten wir auch mit Snags und Sawyers Bekanntschaft,
den scharfen Baumstämmen, welche so beißlustig dem Schiffe entgegen aus
dem Wasser sehen oder sich heimtückisch unter dessen Oberfläche verbergen,
um sich auf einmal den; Schiffe in den Bauch zu bohren.
Die erste Nacht auf dem Mississippi war voll wilder Erhaben-
heit. Der Mondglanz lag über den hellgrauen, weiten Gewässern, die
Maschine stöhnte und wühlte fort und fort, der Wind zischte im Tauwerk
und knarrte um die Rauchschlote, aus denen die Funken flogen wie Feuer-
fliegen, und rollte dann dumpf durch die endlosen Urwälder. Aber das
Alles machte die tiefe Stille, die Oede nur furchtbarer. Hier und da
zeigte sich am Ufer ein grauer Punkt, ob Felsen oder Hütten, war nicht zu
unterscheiden. Es blitzte auch wohl in der Ferne ein Dampfschiff auf, brauste
uns wie ein feurig Ungethüm, da der Gluthofen im Unterdeck ganz frei
*) In Amerika verschwinden manche Städte eben so rasch wieder, als sic entstan-
den sind, wenn sich in der Nähe günstiger gelegene Plätze eröffnen und die Einwohner
das Auswanderungsfiebcr befällt.
Grube, Geogr. Charakterbilder. I. 14. Aufl. 44
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
TM Hauptwörter (100): [T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T62: [Insel Stadt Hafen England Hauptstadt Einw. See London Handel Schottland], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
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Extrahierte Ortsnamen: Ohio Mississippi Mississippi Amerika
4. Gedächtnisrede auf weiland Se. Majestät Kaiser Friedrich I. 19
Wilhelm. Deutschland kannte er von Ost nach West, von Nord bis
Süd. Das britische Jnselreich betrat er zuerst als 20jähriger Jüngling
mit den erlauchten Eltern und der einzigen Schwester. Und wie oft hat
ihn später in Sehnsucht und Hoffnung und Erfüllung der schwanke Kiel
hinübergetragen: an das Eiland, dessen berühmteste Hochschule den Fürsten-
sohn zum Ehrendoktor der Rechtswissenschaft ernannte; in die Weltstadt,
welche ihm das Ehrenbürgerrecht verlieh; zum Schlosse Balmoral auf
der schottischen Hochlandsheide, wo er einst einen blühenden Zweig der
weißen Erika, dort zu Lande unter den Blumen das Sinnbild des Glückes,
brach für eine zarte Hand; zu der Saint-James-Kapelle, wo das Liebste
im Leben sich ihm schenkte auf Treue bis zum Tode und übers Grab.
Mehrmals sah er als Stellvertreter seines Vaters, wie vorher schon
als willkommener Gast, die russischen Lande; öfters in dieser und jener
Eigenschaft die italischen Auen. Da besuchte er den befreundeten Herrscher
des Reiches und das ehrwürdige Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst
Leo, wie dessen Vorgänger Papst Pius, betrachtete die Gedächtnisstätten
der alten Welthauptstadt und die Denkmäler des christlichen Zeitalters
und betrat die Triumphstraßen der heidnischen Imperatoren und die
Heerwege der römischen Kaiser deutscher Nation. Auch das romantische
Land des Cid Campeador empfing den sicgfriedgleichen, sonnigen Helden
in der stolzen Hofburg der düsteren Philippe. Geraume Zeit vorher hatte
ihn die Heimfahrt von seiner vierten Reise über den Kanal nach Frank-
reich geführt zum Palaste des Schicksalsmannes, welcher vierzehn Jahre
später, geschlagen und entsetzt, gegenüberstehen sollte dem ehemaligen Hohen-
zollern-Prinzen. Im Jahre 1869 reichte er in der Kaiserstadt an der
Donau — wie es später ebenso auf seiner Nordlandsfahrt, nachdem er
zu Christiania und Stockholm den norwegisch-schwedischen Herrscher be-
grüßt hatte, mit dem Dänenkönige zu Malmö und Fredensborg geschah
— er reichte die versöhnende Hand dem versöhnlichen Habsburger. Von
Wien reiste er damals über Venedig, Ravenna, Brindisi, Korfu und
Korinth nach Athen. Er stieg.zur Akropolis und schaute, vertieft in Ge-
danken an die großen Zeiten der Menschengeschichte:
Die herrlichen Gestlde,
Berühmt durch Sitte, Geisteskraft und Mut,
Das Heim erhabner Phantastegebilde
Gleichwie begeistrungsvoller Redeglut,
Der Griechen Land, umstrahlt von ew'ger Jugend,
Durch Kunst und Wissenschaft und Heldentugend.
Darauf setzte der hohe Reisende nach Kleinasien über. Der deutsche
Held weilte an den Gräbern der trojanischen Helden, an jenen durch Sage
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T42: [Papst Kaiser König Rom Heinrich Italien Karl Kirche Bischof Jahr]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T56: [Papst Kaiser Rom Heinrich König Kirche Gregor Bischof Italien Papste], T62: [Insel Stadt Hafen England Hauptstadt Einw. See London Handel Schottland], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T199: [Universität Berlin Bibliothek Leipzig Schloß München Jahr Museum Schule Gymnasium], T19: [Reich deutsch Kaiser Reiche Zeit Karl Jahr Ende Konstantin groß], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_I. Wilhelm Erika Leo Leo Philippe
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Nord Schlosse_Balmoral Hochlandsheide Frank- Hohen- Donau Christiania Stockholm Wien Ravenna Brindisi Korfu Korinth Athen Kleinasien