391
denselben jedes Mittels sich beraubt sah, andere Staaten zu billigen Handelsverträgen zu zwingen. Der Reichskanzler ging daher an die Riesenausgabe heran, das Zoll- und Steuerwesen umzugestalten, und gab als Ziel derselben an, „durch Erhöhung der Verbrauchssteuern nicht nur die eigenen Bedürfnisse des Reiches zu decken, sondern auch die Einzelstaaten durch Überweisung eines Teils der Steuererträge in den Stand zu setzen, drückende Steuern zu beseitigen oder zu ermäßigen." Am 23. Mai 1879 nahm der Reichstag die Regierungsvorlage über die Getreidezölle an, worauf er auch die übrigen landwirtschaftlichen und indnstrieellen Schutzzölle bewilligte. — Au die Schutzzölle schlossen sich die Finanzzölle, welche zur Vermehrung der Finanzen einzelne vom Auslande eingehende Gegenstände allgemeinen Verbrauchs (Thee, Kaffee, Tabak u. a.) kräftig besteuerten.
6. Die Kolonialpolitik. Ein bisher ihm fremdes Gebiet betrat Deutschland im Jahre 1884 mit der Kolonialpolitik. Der Gedanke an deutsche Kolonieen war bei dem größten Teile des deutschen Volkes nicht unbeliebt; denn man bedauerte, daß so viele Auswanderer ihrer Nationalität verlustig gingen, daß Deutschland die Kolonialprodukte erst aus zweiter Hand kaufen mußte und daß dem deutschen Handel weite Absatzgebiete fehlten. Fürst Bismarck begann die kolonialen Bestrebungen damit, daß er berühmten Handelsfirmen, die in Afrika Faktoreien gegründet hatten, den Schutz des Deutschen Reiches in Aussicht stellte und gewährte. Deutsche Kanonenboote erschienen an der Küste der deutschen Niederlassungen, und zum Zeichen, daß das Deutsche Reich dieselben unter seinen Schutz nahm, wurde die deutsche Flagge aufgehißt. Auf diese Weise wurden Angra Pequena, Kamerun, Togoland, Kaiser-Wilhelmsland auf Neu-Guiuea, der Bismarck-Archipel und die Marschallinseln deutsche Schutzgebiete. Einen Beweis von der Energie, mit welcher der deutsche Reichskanzler auch die Kolouieenfrage behandelte und mit der er das Zurückweichen Englands bewirkte, das herrenlosen Gebieten gegenüber „legitime" Rechte geltend machen wollte, giebt die Kongokonferenz, die in der Hauptstadt des Deutschen Reiches 1884—1885 auf die Einladung Deutschlands und Frankreichs sich versammelt hatte und die Verhältnisse des neutralen Kongostaates regelte.
7. Die Sozialreform. Eine Ausgabe, für welche besonders der Kaiser persönlich eintrat und durch deren Übernahme Deutschland
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Extrahierte Personennamen: Bismarck Angra_Pequena
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Afrika Kamerun Englands Deutschlands Frankreichs
84 Das Zeitalter des Absolutismus
standen gleichsam zwei Finanzministerien nebeneinander; zu ihrer ber-wachung richtete der König schon 1714 die Generalrechenkammer ein, jene wichtige Behrde, die die Blte des preuischen Finanzwesens mit herbeifhren sollte. Doch auch diese Einrichtungen bestanden nur bis zum Jahre 1728, als Friedrich Wilhelm I. die grte Reform in der Staatsverwaltung herbeifhrte. Die Zweiteilung brachte Unzutrglichkeiten und Prozesse mancher Art mit sich, und der Streit zwischen den beiden Behrden hrte nicht auf. So fate er sie denn in eine oberste Behrde, das General-Ober-Kriegs-, Finanz- und Domnendirektorium, zusammen. Weiterhin wird eine regelmige Aufstellung des Haushalts von ihm gefordert. Die Entwrfe dazu haben die Provinzialbehrden im Mrz dem Generaldirektorium ein-zureichen, das sie unter Mitwirkung der Generalrechenkammer durchsieht und den einzelnen der fnf Minister vorlegt, die fr den Haushalt ihres Amtsbereiches verantwortlich sind. Prfung und Besttigung liegen in der Hand des Knigs.
c) Um die Steuerkraft ihres Landes zu erhhen, haben die Mon-archen des brandenbnrgisch-preuischen Staates die Kolonisation, sowohl die innere wie die uere, gefrdert.
Es gengt hier ein Hinweis auf die innere Besiedlung, die ein dringendes Bedrfnis fr die entvlkerten Gaue der Mark Brandenburg und der Provinz Preußen waren (Einwanderung aus den Niederlanden, aus Schlesien nach dem Dreiigjhrigen Kriege; Einwanderung der Huge-notten nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685; Einwanderung der Salzburger unter Friedrich Wilhelm I.; gnstige Bedingungen der Einwanderung; als segensreiche Folgen Hebung der Landwirtschaft und des Gewerbes).
Viel bemerkenswerter und fr die Gegenwart interessanter, weil sie nahe berhrend, sind die Plne berseeischer Kolonialgrndungen. Wenn wir in unseren Tagen die Mierfolge und die ungeheuren Verluste, die wir durch den Krieg in Deutsch-Sdwestafrika in der Entwicklung unserer Kolonie erleiden, tief beklagen, wenn wir berblicken, mit welchen Schwierig-feiten und Opfern unsere brigen Kolonien gegrndet worden sind und noch erhalten werden, so bewundern wir die Khnheit und den Unternehmungsgeist des Groen Kurfrsten mit Recht, der unter den damaligen schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhltnissen seines Staates seinen Blick in ferne Erdteile schweifen lie und Mhe und Kosten nicht scheute, mit den geringen Mitteln, der die er verfgte, berseeische Kolonien zu grnden.
Wie kam der Groe Kurfürst zu diesem Unternehmen, warum hatte es keinen Bestand und welche Bedeutung hat es fr die Entwickelung des Staates gehabt?
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm_I. Friedrich Wilhelm_I. Friedrich_Wilhelm_I. Friedrich Wilhelm_I.
24 Das Zeitalter des Absolutismus
bilanz, die dann gnstig fei, wenn der Wert der Ausfuhr den der Einfuhr bersteige, wird den viel verwickeltcren Beziehungen zwischen den einzelnen Vlkern nicht gerecht. Darber belehrt uns folgende Berechnung:^)
Grobritannien hat in den 36 Jahren von 18611896 in Pfund Sterling:
440 die ^ bur(Wnitm$ steigert von jhrlich 250 auf
eine Ausfuhr, die sich durchschnittlich steigert von jhrlich 190 aus 296 Mill.; ; ; 1
mithin eine Mehreinfuhr oder U nterbilanz durchschnittlich von jhrlich 60 bis 144 Mill.' oder in diesen 36 Jahren von zusammen 3233 Mill. Pfund Sterling = 65000 Mill. Mark.
Demnach mte, wre die merkantilistische Lehre richtig, England in einer Zeit vollkommen verarmt sein, in der es sich tatschlich zum reichsten Land der Erde entwickelt hat. In jenem Nachweis sind vllig auer acht gelassen die Einnahmen Englands aus Seefrachtgeschft (jhrlich 60 Mill.) und aus den im Ausland angelegten Kapitalien (jhrlich 75 Mill. Psd-), so da sich in den 36 Jahren ein berschu von 1600 Mill. Pfd. Sterling (32 000 Mill. Mk.) und eine durchschnittliche jhrliche Vermehrung des Nationalvermgens von 45 Mill. Pfd. Sterling (900 Mill. Mk.) ergibt.
d) Die Allmacht des Staates zeigt sich, wie im wirtschaftlichen Leben, so auch in der Verwaltung des Landes. Ranke stellt darber folgende Betrachtung an: Welcher politischen Meinung man auch huldigen mag, niemand kann leugnen, da diese Monarchie, wie sie war und immer mehr wurde, eine der grten welthistorischen Erscheinungen ist. In ihr leben noch alle Elemente des romanisch-germanischen Staates, die von jeher miteinander in so mannigfaltigen Gegenstzen gestanden' und lange Zeitrume mit ihrem Kampfe erfllt haben: der Adel mit seinen Rangesvorrechten, die sich nicht von dem Könige herschrieben, der Klerus, der sich in gewissem Bezug ihm gleichstellte, der dritte Stand, zunchst reprsentiert von den Korporationen, welche ihre Rechte erkauft hatten und als wohlerworbenes Eigentum betrachteten; ihrer Selbstndigkeit eingedenke Provinzen, die bewegliche grungsvolle Hauptstadt, eine das ihr ausgelegte Joch ungern tragende, zur Emprung gegen Adel und Beamte geneigte Bauernschaft. Nun aber war ihr Widerstreit, ihr selbstndiges Tun und Treiben am Ende. Freiwillig oder gezwungen folgen sie alle einem einzigen Willen. Der König hlt sich fr verpflichtet, die Stnde gleich hoch zu schtzen; denn keiner sei entbehrlich, und glaubt, es sei seines
*) G. Maier, Soziale Bewegungen und Theorien bis zur modernen Arbeiten bewegung (Leipzig, Teubner, 1902).
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457
Unsere Gesamtausfuhr auf dem Seewege hatte 1902 einen Wert von etwa 3800 Millionen Mark. Da auch in den fremden Erdteilen riesige Summen deutschen Kapitals angelegt sind und unsere Kolonien eine groe Ausdehuuug gewonnen haben, so wachsen die Aufgaben unserer Kriegsmarine von Jahr zu Jahr. Unter Wilhelm Ii. wurde darum die Kriegsflotte bedeutend vergrert. Das Flottengesetz von 1900 bestimmt, da unsere Schlachtflotte aus 2 Flaggschiffen, 4 Ge-fchwaderu zu je 8 Linienschiffen, 4 Reservelinienschiffen, 38 Kreuzern und 8 Torpedoflotillen bestehen soll.
4. Kolonialpolitik. Bald nach dem Regierungsantritt Wilhelms Ii.
brach im Kstengebiet von Dentsch-Ostasrika ein gefhrlicher Ausstand aus. Die arabischen Sklavenhndler, die ihr schndliches Geschft nicht durch die deutsche Herrschaft beeintrchtigen lasfeil wollten, griffen unter ihrem Fhrer Buschiri die deutschen Stationen an. Der Kaiser er-nannte den bewhrten Afrikaforscher Wimann zum Reichskommissar und sandte mehrere Kriegsschiffe nach Ostasrika. Nach langen Kmpfen wurde Buschiri 1889 gefangen genommen und 1890 der Aufstand vollstndig unterdrckt. Nachdem im Jahre 1893 Emprungen der Eingeborenen in Kamerun und Dentfch-Sdwestafrika niedergeschlagen worden waren, entwickelten sich in unseren afrikanischen Kolonien friedliche Verhltnisse. In Dentsch-Ostasrika und Sdwestafrika wurden Eisen-bahnen gebaut; durch deutsche Postmter und regelmige Dampserver-bindnngen wird der Verkehr mit der Heimat unterhalten; deutsche Gesellschaften haben groe Summen in Plantagen angelegt.
Im Jahre 1890 tauschte Kaiser Wilhelm Ii. die seit 1807 den 1890 Englndern gehrende Insel Helgoland gegen einige ostafrikanische Besitzungen ein. So kam ein uraltes deutsches Gebiet wieder an das Mutterland, und es wurde dadurch verhtet, da die Jusel im Falle eines Krieges feindlichen Schiffen ein Sttzpunkt werden knne. Helgoland wurde wegen seiner die Mndungen der Elbe und Weser beherrschenden Lage in eine uneinnehmbare Felsenfestung umgewandelt.
Von groer Bedeutung fr unseren Handel in Ostasien und unsere Machtstellung zur See war es, da Deutschland 1897 in China 1897 festen Fu fate. Als in diesem Jahre zwei deutsche Missionare in Schantung ermordet worden waren, lie der Kaiser eine Anzahl Kriegs-schiffe in die Kiantschonbncht (kjaudscho-n) einlaufen, um die Shnung der Mordtat zu erzwiugeu. Nach verschiedenen Unterhandlungen ver-pachtete China jene Bucht mit dem Ufergelnde, zusammen 920 qkm, ans 99 Jahre an das Deutsche Reich. Ein die Bucht umgebendes Gebiet von der 7000 qkm wurde als neutrale Zone abgegrenzt, innerhalb deren die Chinesen keine behrdlichen Maregeln ohne deutsche Zustimmung treffen drfen. Zur Strkung des deutschen Ansehens sandte der Kaiser 1897 seine Bruder Heinrich mit einem Geschwader
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelms Wilhelms Afrikaforscher_Wimann Wilhelm Heinrich Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Dentsch-Ostasrika Ostasrika Kamerun Dentfch-Sdwestafrika Dentsch-Ostasrika Sdwestafrika Helgoland Helgoland Ostasien Deutschland China Schantung China Deutsche_Reich
21
8. Ergebnis der Regierung Friedrich Wilhelms Ii. Wenige Wochen nach dem Frieden von Campo Forinio starb Friedrich Wilhelm Ii.
Unter seiner Regierung ist der Weg, der zur Gre Prenens fhrte,
wenn auch nicht mit Absicht, so doch unbewut verlassen worden. An uerem Umfange hatte der preuische Staat unter Friedrich Wilhelm Ii. allerdings bedeutend zugenommen; denn er war von 200 000 qkm mit 6 Millionen Einwohnern auf 302 500 qkm (5 500 Quadratmeileu) mit 8,6 Millionen Einwohnern gestiegen.
In der auswrtigen Politik war die fhlte und sichere Haltung verloren gegangen; durch den Frieden zu Basel hatte sich Preueu vollends vom Reiche getrennt und sich dem republikauischeu Frankreich genhert. Es wurde von allen Staaten beargwhnt, beiseite geschoben und verchtlich behandelt. In der gesamten Staatsverwaltung war an die Stelle strenger Disziplin eine gewisse Schlaffheit getreten. Die Finanzen befanden sich in groer Unordnung; der von Friedrich dem Groen gesammelte Staatsschatz war verbraucht und der Staat mit Schulden belastet. Im Brgertum und im Adel herrschten Frivolitt und Genusucht. Preueu ging schweren Zeiten entgegen.
Friedrich Wilhelm Iii., 17971840. 1797-1340
1. Begierungsantritt und Werjontichkeit.
Friedrich Wilhelm Iii. war 27 Jahre alt, als er den Thron bestieg. Er hatte sich als Kronprinz mit der ebenso schnen als tugendhaften Prinzessin Luise von Mecklenbnrg-Strehlitz vermhlt und fhrte ein glckliches, echt deutsches Familienleben.
Seine ersten Regierungsmanahmen zeugten von einem redlichen und wohlwollenden Eifer. Er drang auf Entfernung trger, unfhiger Beamten, auf bessere Aussicht in der Verwaltung, ans eifrige Ttig-feit in allen Zweigen des Staatswesens und auf genaue Rechuuugs-fhruug. Dem Volke gab er mit seiner Familie ein erbauliches Beispiel der Sparsamkeit, Sittenstrenge und wahren Religiositt. Doch entbehrte er hufig des Selbstvertrauens und der raschen Entschlossenheit. Von der Friedensliebe, die das Volk und die Armee beherrschte, lie er sich auch in einer Zeit leiten, die nach auen eine mutige und zielbewute Politik erforderte.
2. Greuens Neutralitt, 17971806.
A. Die Vorgnge in Frankreich.
a. Napoleons Zug nach gypten, 17981799. Als Napoleon aus Italien zurckgekehrt war, machte er dem Direktorium den Vorschlag,
gypten zu erobern, um die Herrschaft Englands zur See zu brechen und ^inen Ersatz fr die verlorenen Kolonien zu gewinnen. Die Direktoren gingen
Atzler, Geschichte fr Lehrerseminare. 21
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelms Friedrich Wilhelms Campo_Forinio Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Friedrich Friedrich Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Luise_von_Mecklenbnrg-Strehlitz Greuens_Neutralitt Napoleons Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Brgertum Frankreich Napoleons Italien Englands
Deutschland im allgemeinen.
127
dazu werden eingeführt für ziemlich 50 Mill. Mark Heringe, für über
30 Mill. Mark andere Seefische. Der Wald bedeckt über ein Viertel des
Bodens; davon kommen ein Drittel auf Laub-, zwei Drittel auf Nadel-
wald. Trotzdem er bedeutende Mengen Nutzholz liefert, müssen jährlich
über 4 Mill. t Nutz- und Bauholz, Quebrachoholz zur Gerberei, ge-
schliffener Holzstoff für über 200 Mill. Mark eingeführt werden. Deshalb
hat man damit begonnen, Ödland (wo also nichts angebaut wird, das
außer von Häusern, Höfen, Wegen, Gewässern auch von Mooren und
sandigen Strecken eingenommen wird und ungefähr ein Elftel des
Bodens beträgt) mehr aufzuforsten. An jagdbaren Tieren finden sich
in den Alpen die Gemsen; sonst sind verbreitet Hirsche, Rehe, Hasen,
Wildschweine, Fuchs, Dachs und Marder. Eleu und Auerochs werden
nur durch sorgfältige Schonung erhalten, ersteres in der Memel-
Niederung, letzterer in Oberschlesien. Der Wolf kommt nur im Winter
vereinzelt aus den Nachbarländern nach Deutschland. Gefährlich ist
noch die Kreuzotter, die sich in verschiedenen Gegenden Deutschlands
findet. Mit der Landwirtschaft einschließlich der Forstwirtschaft beschäftigen
sich ungefähr 36 % der Bevölkerung. Andere 39 % nähren sich vom
Bergbau, Salinen- und Hüttenbetrieb sowie Industrie. Die Industrie
leistet vorzügliches in allen Zweigen, versorgt nicht bloß das Inland mit
seinen Erzeugnissen, sondern führt sie in großen Mengen aus. Durch
die Masfenhaftigkeit der Ausfuhr zeichnen sich aus Eisenwaren jeglicher
Art mit über 390 Mill. Mark, Maschinen mit über 418 Mill. Mark
Porzellanwaren mit gegen 70 Mill. Mark, Papier mit über 80 Mill.
Mark, Farbendruckbilder, Kupferstiche und Photographien mit über
100 Mill. Mark, Lederwaren über 128 Mill. Mark, Chemikalien mit
über 200 Mill. Mark, Baumwollwaren mit über 287 Mill. Mark, Woll-
waren mit über 285 Mill. Mark, Kleider, Leibwäsche, Putzwaren aus Baum>
wolle, Leinen und Wolle über 140 Mill. Mark, Seidenwaren fast
140 Mill. Mark jährlich. An Bier werden jährlich ungefähr 70 Mill. Iii
gebraut, an Branntwein über 4 Mill hl hergestellt. Sodann ist Deutsch-
land das erste Zuckerland der Erde. Es stellt jährlich über 2,3 Mill. t
Zucker her, wovon über eine Mill. im Werte von fast 160 Mill. Mark
ausgeführt wird. Mit der Industrie in enger Verbindung steht der
Handel, von dem über 11 % der Bevölkerung leben. Er tauscht die
Güter der einzelnen Landschaften als Binnenhandel aus, führt die In-
dustrieprodukte aus, die Rohstoffe für das Gewerbe und die fehlenden
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Extrahierte Personennamen: Wolf
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Memel- Oberschlesien Deutschland Deutschlands
128
Deutschland.
Nahrungsmittel ein. Dem Handel und Verkehr dient zunächst das
„Maschenuetz" der Eisenbahnen mit vielen Knotenpunkten. Die Länge
der Eisenbahnen beträgt ungefähr 55 000 km, die jährliche Einnahme
daraus über 1700 Mill. Mark. Während auf den Eisenbahngüterverkehr
etwa vier Fünftel aller Frachtgüter entfallen, befördern die Binnenwasfer-
straßen zusammen etwas über ein Fünftel; davon kommen zwei Drittel
des Schiffsverkehrs auf Rhein und Elbe. Auf dem Rhein verkehren
Schiffe, die 1500—2000 t Tragkraft besitzen, auf der Elbe solche von
1100 t, auf den übrigen Gewäffern folche von 450—600 t Tragkraft.
Als wichtigstes Mittel für den Welthandel dient die Seeschiffahrt.
Deutschlands Seehandelsflotte bestand 1904 aus 4156 Schiffen mit
2 322 045 Registertonnen netto. Darunter befanden sich 1622 Dampf-
schiffe mit 1 739 690 Registertonnen. Die einzelnen Ozeandampfer befördern
6000 Registertonnen zu je 2,83 cbm Hohlraum oder 1*/2 Tonne Gewicht,
das sind 9000 t oder 900 Eiseubahugüterwageu, einige sogar 18 000 t.
Hinsichtlich der Reederei steht Deutschland unter allen Nationen an
zweiter Stelle, nur von England übertroffen. Die wichtigsten Schiffahrts-
gefellfchaften oder Reedereien sind:
1. Die Hambnrg-Amerika-Linie mit 125 Dampfern von einem Ge-
halt von über 660 000 Registertonnen,
2. der Norddeutsche Lloyd (leud) in Bremen mit 114 Dampfern
und fast 590 000 Registertonnen,
3. die Hamburg-Südamerikanische Dampffchiffahrtsgesellschaft,
4. der Hamburger Kosmos.
Dem Handel dienen ferner die über 38 600 Postanstalten, mit denen
über 28 000 Telegraphenanstalten verbunden sind, ferner Fernfprech-
einrichtnngen in über 20 800 Orten.
Der Spezialhandel (ohne den Durchgangshandel) wies 1903 für
die Ausfuhr einen Wert von 5130 Mill., für die Einfuhr von 6321 Mill.
Mark auf, zusammen 11 451 Mill. Mark; das sind von dem 99 900 Mill.
Mark betragenden Gesamtwerte des ganzen Welthandels über 11 %,
womit Deutschland wieder an zweiter Stelle steht. Wenn Deutschland
bedeutend mehr ein- als ausführt, so hat es scheinbar eine ungünstige
oder passive Handelsbilanz; es müßte durch die größere Geldabfuhr also
allmählich verarmen. Daß dies aber nicht der Fall ist, ergibt sich schon
daraus, daß der Wohlstand in Deutschland, die Lebensbedürfnisse im
Wachsen begriffen, Verdienst und Lebenshaltung gestiegen sind. Die
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Rhein Rhein Deutschlands Deutschland England Norddeutsche_Lloyd Bremen Deutschland Deutschland Deutschland
130
Deutschland.
aller Deutschen leben noch in kleinen ländlichen Wohnplätzen unter
2000 Einwohnern (Dörfern und einzelnen Gehöften), andere wohnen in
Landstädten, Klein-, Mittel- oder Großstädten. Darauf daß Deutschland
ein wichtiger Landwirtschasts-, Industrie- und Handelsstaat ist, beruht
auch der Wohlstand der Bevölkerung. Dieser äußert sich zunächst
im Verbrauch (Konsum). Es kommen jährlich auf einen Einwohner durch-
schnittlich 100 kg Weizen, 158 kg Roggen, 74,5 kg Gerste, 636 kg
Kartoffeln, 18,4 kg Salz, 12,5 kg Zucker, 3 kg Kaffee, 1,6 kg Tabak,
116 Liter Bier, 17,4 kg Petroleum, Als Gradmesser für den Wohl-
stand ist auch die amtliche Statistik über das Sparkasseuwesen anzusehen.
Danach haben sich in den letzten zehn Jahren (bis 1904) die Sparein-
lagen von rund vier auf nicht ganz acht Milliarden Mark vermehrt
im Königreich Preußen. Es kamen mithin auf den Kopf 210 Mark
Einlagen. Da die Sparkassen gerade von den mittleren und unteren
(ärmeren) Volksschichten benutzt werden, geben diese Feststellungen ein
recht erfreuliches Bild von der wirtschaftlichen Lage dieser Klassen.
Sodann ist in den Jahren 1892 —1902 die Zahl der Steuer-
Pflichtigen von 21,8 % auf 29,3 %, also um ein Drittel gestiegen.
Ferner haben im Jahre 1905 sechs englische Arbeiter auf Kosten ihrer
Arbeitgeber das Westdeutsche Industriegebiet bereist, um die Lebenshaltung
der deutschen Arbeiter zu studieren. Sie stellten fest, daß die Beköstigung
besser als in England ist, der deutsche Arbeiter sorgfältiger gekleidet geht,
die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter nicht schlecht sind. Erstaunt waren
sie über die Wohlfahrtspflege, die Staat und Arbeiter in gemeinsamem
Schaffen betätigen und wovon man in England keine Ahnung hat
(Krankenkassen, Unfallversicherung, Alters- und Invalidenversicherung,
sanitäre Vorrichtungen, die in den Fabriken zugunsten der Arbeiter vor-
handen sind). — In bezug auf die Abstammung unterscheidet man Deutsche,
Polen, Tschechen, Wenden, Litauer, Dänen, Wallonen, Franzosen und
Juden (von letzteren 1 %) im Reiche, deren Muttersprache deutsch, polnisch,
masurisch, wendisch, litauisch, dänisch, wallonisch und französisch ist. (Siehe
die Verteilung im Atlas von Diercke!) Die deutsche Sprache gliedert sich
in verschiedene Mundarten. Der Religion nach sind die Untertanen
Evangelische 63 % (linierte, Lutheraner, Reformierte), Katholiken 36 %,
Sekten 0,3 %, Israeliten 1 %. Der Staatsverfassung nach besteht
Deutschland aus 26 Bundesstaaten, die selbständig verwaltet werden,
teils konstitutionelle Monarchien, teils Republiken (Stadtstaaten) sind neben
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Personennamen: Diercke
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland England England Polen Evangelische Deutschland
Deutschland im allgemeinen.
129
scheinbare Unterbilanz erklärt sich daraus, daß die Ausfuhr nicht so genau
berechnet wird wie die Einfuhr, 'weil fast nur von dieser die Zölle er-
hoben werden. Danach kann die Ausfuhr größer sein, als sie berechnet
worden ist. Sodann werden die Waren bei der Einfuhr höher berechnet,
nämlich Wert und Transportkosten. Bei der Ausfuhr dagegen wird
der Wert ohne die Transportkosten angegeben. Letztere aber kommen,
da der Versand größtenteils auf deutschen Schiffen geschieht, auch noch
dem Vaterlande zugute. Die jährlichen Frachteinnahmen aus der See-
schiffahrt übersteigen nach Partsch aber 200 Mill. Mark. Sodann bildet
der Warenhandel nur einen Teil der internationalen Wertumsätze. Deutsch-
lund hat vielen Ländern mit aktiver Bilanz (Rußland, Österreich-Ungarn,
Argentinien usw.) Geld geliehen zu Eisenbahnbauten u. dergl.; diese
Länder stehen also zu Deutschland im Verhältnis von Schuldnern zu
Gläubigern und zahlen einen Teil der Zinsen in Form von Waren, und
zwar meist in Rohstoffen, wodurch der Gewinn (da die Rohstoffe billig
berechnet werden) noch vergrößert wird. Die Gesamtsumme der außer-
halb der deutschen Grenzen in mannigfachen Unternehmungen arbeitenden
Kapitalien wird auf sieben Milliarden Mark geschätzt; diese geben, nur zu
5 % berechnet, 350 Mill. Mark Zinsen. Der Besitz aber der Bewohner
des Deutschen Reiches an fremden Wertpapieren wird auf 12,/2 Milliarde
Mark angenommen, die bei 5 % über 600 Mill. Mark Zinsen geben.
Unberechnet ist noch der bedeutende Fremdenverkehr. Nach Gruber er-
reicht der Durchgangsverkehr an Fremden in München jährlich rund
450 000 Köpfe; diese lassen annähernd 24 Mill. Mark in München
zurück, wobei die größeren Einkäufe nicht mitgerechnet sind. Unter diesen
Fremden sind neben vielen Einheimischen auch sehr viel Ausländer. Ebenso
bedeutend, zum Teil noch größer ist der Fremdenverkehr in Berlin (un-
gefähr 1 Mill.), Dresden, Hamburg, Cöln, den deutschen Bädern usw.
So steht also Deutschland trotz der scheinbaren Unterbilanz sehr günstig
da. Von den übrigen 14 % der Bevölkerung kommen über 5 % auf
Beamte, während der Rest auf freie Berufe, Leute ohne Beruf, häusliche
Dienstboten usw. entfällt. Als Folge der verschiedenen Gaben des Bodens
und der dadurch bedingten Erwerbszweige ist die Verteilung der Be-
völkernng verschieden. Neben dichtbevölkerten Gegenden mit über 200 aufs
qkm gibt es solche von 100—150, 80—100, 60—80, ja sogar von
unter 20 aufs qkm. Im großen und ganzen ziehen sich die Striche
dichtester Bevölkerung am Nordrande der Mittelgebirge hin. Über 55 %
Hupfer, Hilfsbuch der Erdkunde. I. g
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe]]
TM Hauptwörter (100): [T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T78: [Mill Staat Million Deutschland Reich Europa Einwohner Land Jahr deutsch], T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
Extrahierte Personennamen: Gruber Hupfer
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Argentinien Deutschland München München Berlin Dresden Hamburg Deutschland
114
Deutschland.
schiffahrt, die auf der Elbe und den Nebenflüssen nicht bloß bis Berlin
und Magdeburg, sondern bis nach Österreich hineinreicht, zusammentrifft,
ist Hamburg die bedeutendste Hafen- und Seehandelsstadt nicht nur
Deutschlands, sondern auch des ganzen europäischen Festlandes, ja die dritte
der Welt (nach London und New-Iork) geworden. Die Wasserfläche des
Hasens umsaßt 3 qkm; von hieraus dringen Kanäle (Fleete) zwischen
die Häuserreihen und Speicher der Stadt ein. Ungefähr 13000 Seeschiffe
mit gegen 9 Mill. Registertonnen fahren jährlich aus und ein, führen
vornehmlich Kaffee, Getreide, Wolle und Baumwolle, Häute und Felle,
Salpeter, Eisen und Erze, Petroleum, Tabak, Reis u. a. im Werte von
über 3800 Mill. Mark (1902) ein, Zucker, Spiritus, Maschinen, Ge-
webe usw. für über 3300 Mill. Mark aus. Die Hamburg - Amerikanische
Paketfahrt-Aktiengefellschaft mit 125 Seeschiffen von 660000 Register-
tons ist die größte Schiffahrtsgesellschaft der Erde. Der Binnenhandel
beschäftigt über 20000 Schiffe mit einem Jahresumsatz von 5 Mill. t;
stromabwärts werden Zucker, Salz und Düngesalze, Holz, Steine und
Kohlen, stromaufwärts Getreide, Mehl, Kolonialwaren und besonders
Petroleum befördert. Dem Binnenhandel dienen daneben auch die Eisen-
bahnen. Hamburg ist ferner Auswandererhafen. Die Schiffahrt hat so-
dann eine aufblühende Industrie hervorgerufen, Kaffeeröstereien, Schokoladen-
fabriken, Reisschälanstalten, Schmalzraffinerien, Dampfmühlen, die über-
seeisches Getreide verarbeiten. Dazu kommen bedeutende Schiffsbau- und
Maschinenbauanstalten. Endlich ist Hamburg Sitz der Seewarte des
Deutschen Reiches. Cuxhaven, eine Klst. vor der Elbmündung, ist
Hamburgs Vorhafen, der namentlich beim Eisgange von den Schiffen
aufgesucht wird. — Die Freie Reichsstadt Bremen besitzt ein Gebiet
von 250 qkm; der Hauptteil liegt an der unteren Weser, ein kleiner
Teil rechts von der Wesermündung. Die Grst. Bremen mit über
200000 Einw. ist der zweitwichtigste Seehafen Deutschlands; die Unter-
weser hat bis zur Stadt eine Fahrtiefe von über 5m; die größten
Schiffe bleiben im Vorhafen Bremerhaven, einer kl. Mst. Die be-
dentendste Schiffahrtsgesellschaft Bremens ist der Norddeutsche Lloyd (leud),
die zweitgrößte Schiffahrtsgesellschaft der Welt, bekannt durch ihre großen
Schnelldampfer. Zur Einfuhr gelangen besonders Tabak, Reis und Baum-
wolle, worin die Stadt die erste Stelle einnimmt, auch Petroleum, im
Werte von über 1000 Mill. Mark, der ungefähr die Ausfuhr gleichkommt.
Auch ist Bremen der erste Auswandererhafen. Im Zusammenhange mit
TM Hauptwörter (50): [T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T13: [Stadt Elbe Hamburg Berlin Provinz Bremen Land Lübeck Hannover Weser], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer]]
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TM Hauptwörter (200): [T122: [Stadt Hamburg Handel Berlin Bremen Lübeck London Deutschland Frankfurt Verkehr], T101: [Baumwolle Kaffee Tabak Getreide Reis Zucker Holz Ausfuhr Wein Zuckerrohr], T78: [Mill Staat Million Deutschland Reich Europa Einwohner Land Jahr deutsch], T129: [Schiff Hafen Flotte Meer Küste Fahrzeug See Kriegsschiff Land Dampfer], T1: [Maschine Fabrik Herstellung Industrie Papier Leder Wolle Leinwand Fabrikation Art]]
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Berlin Magdeburg Hamburg Deutschlands London Petroleum Hamburg Hamburg Hamburg Cuxhaven Hamburgs Bremen Deutschlands Bremerhaven Bremens Norddeutsche_Lloyd