§ 38. Schillers Werke. — Die lyrischen und epischen Dichtungen. 225
Der Natur furchtbare Stimme siege.
Und der Freude Wange werde bleich,
Und der heil'gen Sympathie erliege
Das Unsterbliche in euch!
Aber in den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden,
Keine Träne fließt hier mehr dem Leiden,
Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
Lieblich, wie der Iris Farbenfeuer
Auf der Donnerwolke duft'gem Tau,
Schimmert durch der Wehmut düstern Schleier
Hier der Ruhe heitres Blau.
Ties erniedrigt zu des Feigen Knechte,
Ging in ewigem Gefechte
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn,
Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen,
Stürzte sich, die Freunde zu befreien.
Lebend in des Totenschiflers Kahn.
Alle Plagen, alle Erdenlasten
Wälzt der unversöhnten Göttin List
Auf die will'gen Schultern des Verhaßten,
Bis sein Lauf geendigt ist —
Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
Flammend sich vom Menschen scheidet
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
Froh des neuen, ungewohnten Schwedens,
Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
Des Olympus Harmonien empfangen
Den Verklärten in Kronions Saal,
Und die Göttin mit den Rosenwangen
Reicht ihm lächelnd den Pokal.
6. Las Glück.
(1798.)
Selig, welchen die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon
Liebten, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt,
Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,
Und das Siegel der Macht Zeus aus die Stirne gedrückt!
Ein erhabenes Los, ein göttliches ist ihm gefallen,
Schon vor des Kampfes Beginn sind ihm die Schläfen bekränzt.
Hense, Lesebuch. Ii. 4. Aufl. 15
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236
Siebte Periode ober zweite Blüteperiode, von 1748 ab.
2.
(1799.)
Dreifach ist des Raumes Maß:
Rastlos fort ohiu Unterlaß
Strebt die Länge; fort ins Weite
Endlos gießet sich die Breite;
Grundlos senkt die Tiefe sich.
Dir ein Bild find sie gegeben:
Rastlos vorwärts mußt du streben,
Nie ermüdet stille stehn.
Willst du die Vollendung sehn;
Mußt ins Breite dich entfalten,
Soll sich dir die Welt gestalten;
In die Tiefe mußt du steigen,
Soll sich dir das Wesen zeigen.
Nur Beharrung führt zum Ziel,
Nur die Fülle führt zur Klarheit,
Und im Abgrund wohnt die Wahr-
heit.
20. örrite und Liefe.
(1795.)
Es glänzen viele in der Welt,
Sie wissen von allem zu sagen,
Und wo was reizet und wo was gefällt,
Man kann es bei ihnen erfragen;
Man dächte, hört man sie reden laut.
Sie hätten wirklich erobert die Braut.
Doch gehn sie aus der Welt ganz still,
Ihr Leben war verloren.
Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätu gern was Großes geboren,
Der sammle still und unerschlafft
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Der Stamm erhebt sich in die Lust
Mit üppig prangenden Zweigen;
Die Blätter glänzen und hauchen Duft,
Doch können sie Früchte nicht zeugen;
Der Kern allein im schmalen Raum
Verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum.
21. 8cr Kaufmann.
(1795.)
Wohin segelt das Schiff? Es trägt sidonische Männer,
Die von dem frierenden Nord bringen den Bernstein, das Zinn.
Trag es gnädig, Neptun, und wiegt es schonend, ihr Winde,
In bewirtender Bucht rauscht ihm ein trinkbarer Quell!
Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen
Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an.
22. Oie Johanniter.
(1795.)
Herrlich kleidet sie euch, des Kreuzes furchtbare Rüstung,
Wenn ihr, Löwen der Schlacht, Akkon und Rhodus beschützt.
Durch die syrische Wüste den bangen Pilgrim geleitet
Und nlit der Cherubim Schwert steht vor dem heiligen Grab.
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§ 54. Die moderne Literatur. Theodor Fontane.
469
Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,
Den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen
Und staunen der Schönheit und jauchzen froh.
So gebietet einer: „Lärmt nicht so! —
Hier unten liegt Bismarck irgendwo."
7. Uer 16. November 1632.
(Schwedische Sage.)
Schwedische Heide, Novembertag,
Der Nebel grau am Boden lag.
Hin über das Steinseld von Dalarn
Holpert, stolpert ein Räderkarrn.
Ein Räderkarrn, beladen mit Korn;
Lorns Atterdag zieht an der Deichsel vorn,
Niels Rudbeck schiebt. Sie zwingen's nicht,
Das Gestrüpp wird dichter, Niels aber spricht:
„Busch-Ginster wächst hier über den Steg,
Wir gehn in die Irr', wir missen den Weg,
Wir haben links und rechts vertauscht, —
Hörst du, wie der Dal-Els rauscht?"
„Das ist nicht der Dal-Els, der Dal-Els ist weit.
Es rauscht nicht vor uns und nicht zur Seit',
Es lärmt in Lüften, es klingt wie Trab,
Wie Reiter wogt es auf und ab.
„Es ist wie Schlacht, die herwärts dringt.
Wie Kirchenlied es dazwischen klingt.
Ich hör' in der Rosse wieherndem Trott:
Eine feste Burg ist unser Gott!"
Und kaum gesprochen, da Lärmen und Schrein,
In tiefen Geschwadern bricht es herein.
Es brausen und dröhnen Luft und Erd',
Vorauf ein Reiter auf weißem Pferd.
Signale, Schüsse, Rossegestampf,
Der Nebel wird schwarz wie Pulverdampf,
Wie wilde Jagd so fliegt es vorbei; —
Zitternd ducken sich die zwei.
Nun ist es vorüber ... da wieder mit Macht
Rückwärts wogt die Reiterschlacht,
Und wieder dröhnt und donnert die Erd',
Und wieder vorauf das weiße Pferd.
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97
Rudolf von Hlibsburg.
Ausgebrannt vom Strahl der Sonne,
Seufzet rings das dürre Land;
Alle Quellen sind vertrocknet
In dem glühend heißen Sand;
Lechzend liegt die matte Herde
Auf der schattenlosen Erde.
issen
- Wolkenlos der ganze Himmel,
'Dtill die Luft und heiß und schwer,
Und der Wald mit welkem Laube
Steht bedeckt mit weißem Staube.
Sieh! da reitet durch die Steppe
Kampfgerüstet eine Schar,
Rudolf zieht, der deutsche Kaiser,
Wider König Ottokar;
Von dem Durste matt und heiser,
Rust nach Wasser setzt der Kaiser.
Und zwei Reiter eilen jauchzend
Zu dem Kaiser hin im Flug,
Halten freudig hoch erhoben
Kühlen Wassers einen Krug,
Und den Becher rasch ihm füllend,
Sprechen sie, ihr Herz enthüllend:
„Lange suchten wir nach Wasser
Weit umher in diesem Land,
Doch kein Tropfen war zu finden
In dem glühend heißen Sand;
Die vergebne Müh' zu enden,
Wollten wir uns rückwärts wenden.
„Sieh! da fanden wir im Schatten
Ruhend eine Schnitterschar,
Die sich, müde, laben wollte
An dem Kruge kühl und klar;
Weil sie selbst vom Durste litten,
War vergebens alles Bitten.
„Doch als unsre Schwerter drohten:
,Gebt uns Wasser oder Blut st
Gaben sie uns bleich und zitternd
Gern ihr seltnes, teures Gut;
Was wir so erbeutet haben,
Möge dich, o Kaiser, laben!"
Als der Kaiser dies vernommen,
Zog mit unmutvollem Blick
Von den glühend heißen Lippen
Plötzlich er den Krug zurück:
„Nimmer soll den Durst mir stillen,
Was sie gaben wider Willen.
Lesebuch.
7
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Extrahierte Personennamen: Rudolf_von_Hlibsburg Rudolf Rudolf Rudolf Ottokar Ottokar
419
setzten ihre Batterieen weit dahinter, und zwar meist auf die Kammspitze
der Hügel. Soweit reichte das Feuer der Belagerten nicht, oder wenn
sie ihre paar gezogenen Geschütze dorthin richteten, so gingen die Kugeln
vor dem Hügelkamm nieder oder darüber weg. Die Piemontesen lernten
dagegen allmählich ganz sicher zielen: blitzte in der Festung ein Mörser
aus, schlug sofort eine feindliche Granate darauf oder daneben. Die
Artilleristen in der Festung und ihre Stücke litten daher zum Erbarmen.
Nun wäre es dennoch den Belagerern schwer geworden, aus gewöhn-
lichem Wege sich Zugang zur Festung zu eröffnen. Man richtet gerad-
liniges Feuer gegen die Werke, nicht gegen die Stadt, und sucht Bresche
zu schießen. Krummliniges Feuer wird gebraucht, wenn die Werke der
Belagerten nicht anders zu zerstören sind. Das wäre die regelmäßige
und humane Art gewesen, eine Festung anzugreifen. Cialdini bedachte
sich keinen Augenblick, anders zu verfahren. Von seinem sichern Stand-
punkte aus bewarf er ruhig Tag für Tag die Stadt mit Bomben und
Geschossen aller Art, unbekümmert, ob sie die Bürger in ihren Häusern
zerschmetterten. Seine Infanterie dagegen ließ er thatlos zuschauen. Am
1. Dezember fingen seine Batterieen zu spielen an, am 13. Februar zog
die Besatzung aus: dazwischen lagen 75 Tage, 50 davon wurde Gaeta
unaufhörlich bombardiert. Namentlich im Februar wütete das feindliche
Feuer so sehr, daß selbst den tapfersten Offizieren das fürchterliche rast-
lose Krachen und Platzen der Bomben an die Nerven griff. In der
ganzen Stadt war zuletzt kein Haus, das uicht mehr oder minder zer-
stört, an mehreren Stellen war alles in Grund und Boden geschossen,
Hunderte von Bürgern lagen tot oder verwundet. Priester waren am
Altare, Frauen und Kinder in ihren Häusern von den Kugeln zerrissen.
Seit die Nüssen im siebenjährigen Kriege Küstrin beschossen, hatte die
Kriegsgeschichte ein ähnliches Beispiel nicht wieder aufgestellt.
Bresche schossen die Belagerer nur einmal, und auch diese ließ sich
leicht wieder absperren. Was aber Geschosse nicht vermochten, das thaten
die Explosionen am 4., 5. und 13. Februar. Schon die erste riß in
die Werke, welche die Stadt von der Landenge abschlössen, eine breite
Lücke. Cialdini hätte nun stürmen lassen können; er aber ließ lustig
seine Batterieen fortarbeiten, die Stadt bedeckend mit zahllosen Bomben,
ohne andern Zweck, als Zerstörung und Entsetzen zu verbreiten. Seine
Rechnung war richtig, und er sparte seine Leute. Schon tags darauf
folgte die zweite Explosion; neunhundert Centner Pulver und fünftausend
geladene Granaten gingen in die Luft. Es geschah an der innern Golf-
seite nahe der Landenge; dort war statt der Häuser auf einmal ein un-
geheures leeres Dreieck entstanden, als hätte es der Geometer abgemessen.
Ein paarhundert Soldaten waren verschüttet, alles eilte, zu retten, aber
27*
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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493
Als die deutschen Kaiser nach Italien kamen, stellten sie die welt-
berühmte Abtei unter ihren unmittelbaren Schutz, und so oft auch die
Könige in Unteritalien wechselten, so blieb es doch sür die meisten Her-
kommen, Monte Cassino in Ehren zu halten. Fort und fort mehrte sich
sein Schatz an Gütern und Vorrechten. In den letzten Jahrhunderten
erhielt die Abtei auch wieder ähnliche Besucher wie damals, als der
Berg unter Apollos Schutze stand. Die Mönche sollten Balsame aus
dem heiligen Lande haben; zahllose Kranke pilgerten herbei, mit ihnen
auch gebildete und wohlhabende Männer, welchen das angenehme Wohnen
aus dieser Höhe gefiel, in kerngesunder Luft, bei herrlicher Aussicht und
unter gastlichen Männern höherer Bildung, wie die Benediktiner es waren.
An Wissenschaft, insbesondere an hohem Verdienst in Geschichtsforschung,
ist Monte Cassino auch in der neuesten Zeit nicht arm geworden. Als
die langobardischen Könige zuerst herankamen, mußten die Mönche vor
der Wut und Zerstörung fliehen. Fast anderthalbhnndert Jahre blieb
der Berg einsam: dann bezogen die Benediktiner doch ihr Cassino wieder.
Monte Cassino bildet noch immer eine kleine Stadt sür sich allein.
Man steht auf den ersten Blick, ihrer Bürger Thätigkeit umfaßte vieler-
lei, was zur Wohlfahrt und Veredlung der Menschen diente. Soviel
neugeweißte Gebäude und Säle man sieht, überall blickt doch noch ur-
altes historisches Gemäuer durch, überall wittert eine Luft, die erfüllt ist
von Erinnerungen aus einer langen Kelle von Jahrhunderten. Der
Geschichtsforscher findet nirgends ein schöneres kleines Paradies. Denn
über den Köstlichkeiten alter Pergamente glänzt das lichte Himmelblau,
und kommt er heraus aus den hohen lustigen Büchersäleu, so strömt ihm
erquickend die reine und würzige Luft entgegen. Immer neu aber und
anregend und großartig ist die Aussicht. Wohin man blickt, in die Tiefe
und auf die umringenden Berge, überall haften historische Andenken. Da
unten zu den Füßen des Benediktinerberges, in San Germano, schloß
Kaiser Friedrich Ii. seinen Frieden mit dem Papste: aber hinter jenen Bergen
ziehen die Thäler, wo der letzte Hohenstaufe, der letzte Anjou, der letzte
Aragonier, ein Habsburg, ein Murat und ein Bourbon das Königreich
verlor. Mit wieviel Blut sind die alten Heeresstraßen zum Südreiche
schon getränkt! Wie oft, wie unersättlich wälzte sich Raub und Kriegs-
wut über diese Länder und riß die Blüten nieder vor der Ernte!
Franz v. Löher.
Sis übers Jahr.
Rasch ist die Spanne Zeit vergangen,
Ein neuer Abschnitt bricht heran,
Da schauen wir mit Lust und Bangen,
Auf die zurückgelegte Bahn.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Franz_v Franz
510
die Kanonenschläge auf dem Pincio, und es schießt rauschend und sausend,
wie eine vulkanische Eruption, unvermutet und gewaltsam der Feuerstrom
der Girándola hinter der Fassade des Spaziergangs hervor. Eine
Riesengarbe oder eine ungeheure Palmenkrone sprühenden Feuers fliegt,
von der Erde gleichsam ausgestoßen, zischend und knallend auf, breitet
sich fächerartig über den Himmel aus und scheint ihn halb bedecken zu
wollen. Das geblendete Auge hat nicht Zeit, in diesem Strahlenphänomen
das Spiel der Einzelheiten zu verfolgen; die ganze erhabene Erscheinung
rauscht nun schon zu Häupten des Betrachtenden, der am Obelisk der
Piazza del Popolo steht, und indem sie sich auflöst, scheint der Himmel
in Myriaden Sterne zerfahrend herniederzuregnen. Es ist kaum ein Be-
trachten zu nennen, es ist eine urplötzliche Flammenvision, welche dahin-
fährt und in kürzester Zeit verschwindet; die Erinnerung hält sie nur
wie die Magie einer Traumerscheinung fest.
Die Girándola ist verschwunden — der Nachthimmel glänzt wieder
von Sternen tief und klar, und die Dampfwolke wallt langsam über die
Porta del Popolo. Nun beginnen einzelne Stoß- und Knallraketen hinter
den Bäumen des Pincio aufzuplatzen, lichtlos und gleichsam nur als
geisterhafte Ankündigungen neuer Erscheinungen. Eine knallt hinter einer
der marmornen Sphinxe, welche am Eingänge des Monte Pincio liegen,
und indem bei diesen heftigen Schlägen einzelne Blitze aus dem Dampf-
gewölk aufzucken, erscheint die dunkel und geheimnisvoll hingelagerte
Sphinr wie ein dämonisches Wesen, das aus der Tiefe heraufbeschworen
ist. Bengalisches Feuer zündet jetzt die Fassade einer gotischen Kirche
oder eines Tempels an, welcher nun mit erleuchteten Konturen, als ein
Zauberpalast feenhaft über den schwarzen Pinien des Pincio schwebt.
Der Tempel verlischt nach und nach; dann fliegen Raketen, Leuchtkugeln,
zauberische Sterne in blauem, rotem und weißem Lichte sonder Aufhören
empor und zerplatzen zum Sternregen. Ohne Ende zischen die Feuer-
schlangen in den Lüften und erhellen den Platz, und in dem Wiederschein
all dieser sausenden Lichter steht der Obelisk des Sesostris, einst in dem
fernen Heliopolis der Sonne geweiht, fremd und seltsam und zeigt die
Hieroglyphen seiner wunderlichen Bilderschrift. Es ist ein ganz trefflicher
chaldäischer und nekromantischer 1 Apparat für die Magie dieser Feuer-
erscheinungen, welche die Sphinxe und der Obelisk hergeben, und aus
den durchglühten Dampfwolken ragen, zauberisch beleuchtet und märchen-
haft phantastisch, die Pinien und die Cypresfen und die bunten und
bizarren Figuren des Pincio, die Säulen mit den Schiffsschnäbeln, die
melancholischen dacischen Kriegssklaven mit den phrygischen Mützen, die
1 Nekromant — Schwarzkünstler.
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470
1832 besuchte er Platen in Neapel und genoß mit ihm das furchtbar
schöne Schauspiel einer Eruption des Vesuv. Auch Bajä, Sorrento,
Palermo, Messina, Segestä wurden besucht; längeren Aufenthalt nahm
der König aus Gesundheitsrücksichten wiederholt auf der Insel Jschia.
Wenn er von Rom Abschied nahm, pflegte er zu Wagner, Schöpf
und anderen, die ihm das Geleite gaben, zu sagen: „Ihr habt's gut, ihr
könnt immer in Rom bleiben!" Das Jahr 1867 sah ihn zum letzten-
mal in dieser Stadt. Er lebte diesmal stiller und zurückgezogener als
sonst in seiner Villa. Am letzten Nachmittag vor der Abreise besuchte
er noch einmal das Vatikanische Museum. „Wahrhaft rührend war es
mir da," schrieb ein in Rom weilender Künstler, O. Donner, an den
Verfasser, „zu sehen, wie er an diesem Tage von allen Kunstwerken,
alten Freunden und guten Genien seiner Jugend förmlich Abschied nahm."
Das römische Volk knüpft an die Fontana Trevi die Sage, wer
von ihrem Wasser trinke, werde immer wieder von unwiderstehlicher
Sehnsucht nach Nom zurückgezogen werden. Ludwig verließ nie die
Stadt, ohne daraus zu trinken und seinen Künstlern dabei ein fröhliches
„Auf Wiedersehen!" zuzurufen. Als er im Mai 1867 vor der Abreise
aus der Quelle trank, weinte er heftig und schied schweigend von seinen
Begleitern. Karl Heigel.
Voll Paris nach Norwegen.
Es ist bekannt welche großartige Verwendung die Luftschiffahrt
während des deutsch-französischen Krieges in Paris fand. Fast jede Nacht
stieg während der Belagerung ein Ballon auf, der in der Dunkelheit
über die deutschen Linien hinausflog und auf einem nicht vom Feinde be-
setzten Teil des Landes sich mit Tausenden von Depeschen und Briefen
niederließ.
Es war am 24. November 15 Minuten vor Mitternacht, als der
Ballon „La ville d’Oi-léans“ unter der Leitung des Aeronauten Paul
Notier aufstieg, den ein Offizier der Franktireurs, Namens Deschamps,
begleitete, welcher als Kurier der Pariser Negierung Depeschen nach
Tours zu überbringen hatte.
Der Ballon erhob sich schnell zu eiuer Höhe von 800 Metern und
trieb, von einem frischen Südost gefaßt, nordwestlich über die Departe-
ments Seine und Oise der Somme zu. Als er um Mitternacht zu sinken
begann, wurden zwei Säcke Ballast ausgeworfen, so daß man sofort von
neuem und mit großer Geschwindigkeit stieg. Es wurde eine Höhe von
1400, später sogar von 2700 Metern erreicht. Tief unten donnerten ein-
zelne Kanonenschüsse von den Truppen der Nordarmee her; aber die
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Karl_Heigel Karl Paul
Notier Namens_Deschamps
Extrahierte Ortsnamen: Neapel Palermo Messina Jschia Rom Rom Vatikanische_Museum Rom Paris Norwegen Paris
471
Reisenden, in ihrem Geisterschiffe der Erde entrückt, fühlten nur die er-
habenen Schauer des Unermeßlichen. Dann und wann blinkte ein Stern
durch die Lücken der Wolken herab, schimmerten einzelne Helle Punkte zu
ihnen herauf, die Lichter der Städte und Fabriken.
Um 21/2 früh jedoch, als man sich in der Gegend von Valery-sur-
Somme befinden mochte, verschwanden diese tröstlichen Zeichen. Ein un-
durchdringlicher Nebel umhüllte die Luftschiffer, und blind und willenlos
dem Ungefähr dahingegeben, trieben sie weiter durch die Nacht, bis nach
einiger Zeit ein seltsames Dröhnen an ihr Ohr schlug. Es war ein
eintöniges, bald schwächer, bald stärker anschwellendes Geräusch, ähnlich
dem Rollen eines in vollem Laufe befindlichen Dampfzuges. Erklärlich
genug, wenn die Reisenden bei dem gänzlichen Unvermögen, sich über
Weg und Richtung des Ballons zu vergewissern, auf den Gedanken kamen,
sie befänden sich über einer der großen Eisenstraßen Frankreichs. Allein
das Geräusch dauerte fort, obwohl Stunde um Stunde verging, und fing
an, beunruhigend zu wirken.
Um 61/* Uhr morgens gestattete endlich das Tagesgrauen eine erste
Fernsicht. Der Horizont hellte sich auf; aber statt der Hügellinien des
heimatlichen Bodens dehnt sich fremd und grau, so weit der Blick zu
dringen vermag, eine nebelbedeckte Fläche — furchtbare Entdeckung: es
ist das Meer, welches unten grollend seine Wogen wälzt, vorwärts und
rückwärts der Ocean. Das also war die Ursache jenes dumpfen Getöses
in der Nacht gewesen.
Die ganze Gefahr ihrer Lage trat den hilflosen Männern vor die
Seele. Jedes Instrumentes zu genauerer Ortsbestimmung beraubt, von
Lebensmitteln entblößt, in unzureichender Kleidung, bestürzt und ent-
mutigt, vermochten sie nicht das Mindeste zu thun, um den verhängnis-
vollen Flug des Ballons nach Norden zu hemmen. Sie hielten sich ver-
loren. In dieser Überzeugung schrieben sie folgende Worte auf einen
Zettel: „6^ Uhr morgens, auf offener See, keine Küste weit und breit,
Gott sei uns gnädig!" und entschlossen sich, diesen letzten Scheidegruß an
die Heimat einer der treuen Brieftauben anzuvertrauen; allein die Dichtig-
keit des Nebels, welcher sich zusehends von neuem vermehrte, nötigte sie,
auf die Ausführung ihrer Absicht zu verzichten.
Es ist 11 Uhr Vormittags. Der Himmel ist klarer geworden, der
Ballon bis aus 1000 Meter gesunken, und tiefer unter ihnen passieren
nacheinander nicht weniger als 17 Segel. Aber vergeblich sind alle
Signale, alle Notrufe der Luftschiffer; sei es, daß man den Ballon nicht
wahrgenommen, oder daß die entsetzliche Schnelligkeit, mit welcher er durch
die unendlich scheinenden Wogen der Atmosphäre fortgerissen wird, jeden
Versuch einer Hilfe unmöglich macht. Die Unglücklichen senken sich noch
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T81: [Sonne Erde Tag Mond Himmel Nacht Stern Zeit Licht Stunde], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
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472
tiefer hinab, um das Fangseil in seiner ganzen Länge von 120 Meter
aus dem Nachen heraushängen zu lassen, damit es von einem der vorüber-
sahrenden Schisse ergriffen und festgehalten werde: ein Gedanke, der
ebenso schnell, wie er gefaßt worden, als unausführbar wieder aufge-
geben wird.
Endlich um ll3/4 Uhr kommt von Osten her eine französische Cor-
vette in Sicht. Gott sei Dank, sie löst einen Notschuß; der Ballon ist
bemerkt worden. Signale erscheinen an den Nahens Nolier öffnet das
Ventil des Ballons, und letzterer sinkt fast bis zum Meeresspiegel herunter;
aber umsonst! Während der kurzen Frist von drei Minuten, welche das
Herabsteigen in Anspruch genommen, ist der Ballon so weit fortgetrieben,
daß ihn eine Entfernung von acht Kilometer von dem Schiffe trennt.
Dumpfe Verzweiflung bemächtigt sich der Reisenden. Sie müssen
wieder hinauf in die eisigen Lüfte, und da ihnen nur noch zwei Ballast-
säcke geblieben, so opfern sie einen Sack Privatdepeschen von 60 Kilo-
gramm Gewicht. Der Ballon steigt 3700 Meter hoch. Ein grauer
Nebel legt sich gleich einer festen Masse um die Gondel; die Reisenden
starren vor Kälte; Haar, Bart und Augenbrauen gleichen Eisklumpen.
Die armen Tauben stattern ängstlich im Käsig umher. Einer der Leidens-
gefährten giebt ihnen seine Decke. Inzwischen bemüht sich Rotier, das
Ventil am untern Ballonende, dem bekannten „Anhängsel", vollständig
zu schließen, weil das ausströmende Gas sich zu Krystallen verdichtet und
als feiner stechender Schnee in den Nachen herabfällt; auch gelingt es
ihm, aber sofort bläht das eingeschlossene Gas den Ballon übermächtig
auf, und die schwache Hülle droht unter der ungeheuren Spannung zu
bersten. Der „Anhang" muß mit taufend Mühen wieder geöffnet werden,
die Eiskrystalle des Gases dringen stechender und in immer dichteren
Massen auf die Schutzlosen ein. Allmählich versiegt diesen der letzte Rest
der Kraft und Hoffnung. Der Tod scheint unvermeidlich, und um seine
Qualen zu kürzen, beschließen sie, den Ballon zu zersprengen und, mit
dem letzten Seufzer nach der Heimat, nach Weib und Kind auf den Lippen,
zu sterben. Aber es gelingt ihnen nicht, Feuer anzuzünden; sie sind ge-
zwungen, sich wieder mit dem Ballon zu beschäftigen, der nun mit großer
Schnelligkeit hinabsinkt.
Da plötzlich, kaum 30 Meter über der Meeresfläche, bemerken sie
den Wipfel einer Tanne, welcher durch den Nebel aus einer dichten
Schneehülle hervortaucht. „Land! Land!" Unmittelbar darauf stößt der
Nachen in die Schneemaffen; Rotier ist mit einem Sprunge hinaus, der
andere aber verwickelt sich in die Ankertaue, und der Ballon, um einen 1
1 Rah — Segelstange.
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