44 Die Langobarden bis zum Verlust ihrer Selbständigkeit.
Weiler aber darf man nicht gehen; von einer wirklichen Verknechtung aller Römer im Reich ist nie, auch in den Stürmen der ersten Jahre nicht, die Rede gewesen. Auch geschahen die späteren Ausbreitungen nicht mehr gewaltsam. Es kam vielmehr jetzt zu einer geordneten Landteilung, wie sie auch bei Ost- und Westgoten und andern germanischen Völkern vorgenommen worden war, nach den Grundsätzen der sogenannten „Gastfreundschaft" (hospitalitas); d. H. jeder römische Grundbesitzer war als Wirt gezwungen, einem langobardischen selbständigen Freien als seinem Gast ein Dritt-teil seines Landbesitzes abzutreten. Doch auch diese Abtretung fand oft nicht wirklich statt; vielmehr begnügten sich die Langobarden, abgesehen von den ersten Eroberungen, bei ihrer späteren Ausbreitung damit, statt des Eigentums an Grund und Boden nur ein Drittel des Ertrags, der Früchte, zu erlangen; und da thatsächlich die römischen Großgrundbesitzer schon seit Jahrhunderten ihre Landgüter nicht selbst bewirtschafteten, sondern sie an Kolonen (persönlich freie, aber an die Scholle gebundene Zinspflichtige, die nur einen Teil des Ertrags für sich behielten, das Meiste dem Herrn ablieferten) zur Bewirtschaftung verliehen, so gestaltete sich das Verhältnis zwischen Wirt und Gast, Römer und Langobarde, meist so, daß der Römer dem Langobarden den dritten Teil seiner Kolonen, also auch den dritten Teil seiner Ansprüche gegen die Kolonen abtrat. Daher erklärt es sich auch, daß wir häufig Langobarden in den Städten lebend finden. Es war nicht notwendig für sie, auf dem Lande zu wohnen und selbst den Acker 31t bestellen; ihre Kolonen hatten ihnen den vertragsmäßigen Teil des Ertrags, in Früchten oder in Geld, abzuliefern. Freilich eignete sich der Langobarde solche Anteile an Früchten oder Kolonatsrechten oft noch außer dem Grundbesitz an, den er bei der ersten Ansiedelung als seinen ursprünglichen Anteil vom eroberten Lande erhalten hatte. Ging es auch sicher nicht ohne vielfache Bedrückung und Vergewaltigung der römischen Bevölkerung ab, so wurden doch nur die im Kriege gefangenen und nicht ausgelösten Römer verknechtet, alle übrigen blieben frei und lebten unter sich nach römischen und zwar justinianischen Gesetzen, während bei den Langobarden natürlich langobardisches Recht galt. In gemischten Fällen, d. h. überall, wo Verhältnisse zwischen Römern und Langobarden obwalteten, wurde, mit einigen notwendigen Änderungen und Zusätzen (die aber erst feit 584 festgestellt wurden), auch nach langobardischem Rechte verfahren. Daß inan den Römern ein Wergelt) zubilligte, das Recht der Fehde aber untersagte, ist selbstverständlich. Von einer Verschmelzung von Römern und Langobarden zu dem Mischvolke der Lombarden konnte natürlich erst die Rede fein, als die Einwanderer allmählich das katholische Bekenntnis annahmen, was erst im zweiten Viertel des siebenten Jahrhunderts geschah. Von den Schichten 6er langobardischen Bevölkerung stand der alte Volksadel oben an; ihm
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Rückblick und Vorschau, zugleich Einleitung in die fränkische Geschichte. 179
manen zur römischen Bevölkerung, die ihre neuen Herren verhältnismäßig früh zu romanisieren wußte. Obgleich sich ihre Lage in den einzelnen Staaten verschieden gestaltete, so behielt sie doch allenthalben ihre persönliche Freiheit, ihr Recht und ihr bewegliches Vermögen. Und wenn sie sich auch eine Landteilung gefallen lassen mußte, so erfolgte diese doch im Anschluß an Grundsätze des römischen Verwaltungsrechtes, nämlich nach dem Vorbilde des römischen Einquartierungssystems, welches kennen zu lernen die Germanen im römischen Dienste reichliche Gelegenheit gefunden hatten. Und auch die innern Einrichtungen der neuen Reiche knüpfen in wesentlichen Punkten an die vorgefundenen römischen Institutionen an. Die Bur-gunden, Westgoten und Wandalen haben sie freilich bald in selbständiger Weise umzubilden begonnen. Dagegen fungierte in Italien die alte römische Verwaltungsmaschine bis zur langobardischen Eroberung ohne erhebliche Störungen fort. Odowakar ließ den Senat und den ganzen römischen Beamtenapparat bestehen, und Theoderich liebte es, die althergebrachten Formen fast mit Ängstlichkeit zu wahren.
Sieht man aber nicht auf die Formen, sondern auf das Wesen der Dinge, so wird man sich freilich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß sich nichtsdestoweniger mit dem Entstehen der ostgermanischen Staaten eine Veränderung von weltgeschichtlicher Tragweite vollzogen hat. Der springende Punkt ist, daß in ihnen zuerst der römische Westen neue Herren empfangen hat. Das haben die Römer lebhaft empfunden, und die Germanen haben es ihnen deutlich zum Bewußtsein gebracht. Und wenn der germanische König von jenen „der Herr des Staats" genannt wird, so haben sie damit eben den Widerspruch ausgedrückt, der zwischen dem wahren Sachverhalt und dem abgelebten Gedanken des römischen Imperiums obwaltete. Übrigens bildeten die Staaten der Ostgermanen nur den Übergang zu einer gründlichen Umformung der abendländischen Welt, welche durchzuführen den Franken befchieden war. In Italien wurde den Franken durch einen andern westgermanischen Stamm, die Langobarden, tüchtig vorgearbeitet, ein schneidiges Volk aus härterem Stoff als die bildsamen und duldsamen Ostgoten.
(I) Die Langobarden.
Die Langobarden, deren Geschichte, wie wir annehmen dürfen, noch frisch vor dem Gedächtnis unsrer Leser steht, sind das einzige westgermanische Volk, das sich, wie die gotisch-wandalischen, bei seiner Wanderung zuerst nach Südosten wandte,*) ja das einzige, das überhaupt völlig aus-
*) Von den Markomannen abgesehen, die hier nicht in Betracht kommen, weil sie in viel frühem Zeit wanderten und ihre Wanderung aus ein viel kleineres Gebiet beschränkten.
12*
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174
Die Franken bis zum Untergange der Merowinger.
diese zweite Macht, der das römische Reich erlag. Die Religion Christi wich darin von allen heidnischen Religionen ab, daß sie sich keinen weltlichen Zwecken unterordnen wollte. Zwar waren die Christen die gehorsamsten Unterthanen, aber sie opferten nicht vor den Bildern der Kaiser
und ließen sich zu nichts zwingen, was wider ihr Gewissen war. Die blutigsten Verfolgungen, die gräßlichsten Martern, mit denen man den treuen Bekennern Christi zusetzte, hatten keineswegs die Verbreitung des Evangeliums gehindert, sondern sie im Gegenteil nur gefördert. Es blieb dem römischen Staat nichts übrig, als den neuen Glauben anzuerkennen; und von dem Augenblick an, wo dies geschah, gab sich der antike Staat
unwissentlich selbst verloren. Der Kamps der beiden sich grundsätzlich gegen-
über stehenden Mächte dauerte zwar noch eine Zeitlang fort, aber der endliche Sieg mußte der lebensfrischen über die altersschwache, überlebte zufallen. Der antike Staat ruhte ganz und gar aus dem Grundsätze, daß der einzelne Mensch nur um des Staats willen da sei und daß sein Wert nach seiner Bedeutung für den Staat ausschließlich bemessen werden dürfe; daher das Egoistische, Tyrannische, Absolutistische des römischen Staats. Das Christentum mit seinen erhabenen Lehren von Nächstenliebe und Selbstentäußerung erkannte diese Tyrannei nicht an; es erkannte nicht mehr den Bürger allein, sondern den Menschen an sich und damit auch den Sklaven und den Barbaren als ein Kind Gottes an, das ebensoviel Recht auf Liebe und Schutz wie der Kaiser selbst beanspruchen darf, wenn es nur glaubt. Wohl blieb diese Lehre nicht rein von menschlichen Einflüssen, nämlich dann, wenn der Staat irgendwie der Religion obsiegte; die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion war zwar ein äußerer Sieg, aber im Grunde eine innere Niederlage des Christentums; und wenn in Byzanz Staat und Kirche sich enger verbanden, so mußten beide Einbuße erleiden; es konnte sich der alte Staat in widerlich entstellter Gestalt allerdings noch lange halten; aber dabei unterlag eben auch die wahre Religion, und unter der Despotie der griechischen Kaiser bildete sich ein neuer Kultus, der weit mehr Römisch-Heidnisches in sich barg, als seine Anhänger glaubten. Viel reiner erhielt sich die weströmische Kirche, aber sie konnte dies nur,
weil sie aufstieg, während der weströmische Staat zusammensank.
Seitdem das Christentum als Staatsreligion anerkannt war, brachen
nun bekanntlich in seinem Innern heftige Streitigkeiten aus, die auch das
römische Reich nicht wenig erschütterten. Vor allem war es der Streit über das Verhältnis der beiden Naturen in Christo, eine Frage, die eigentlich kein Menschenverstand lösen kann, die aber doch entschieden werden mußte, weil der Zweifel, den Arius an der Gottgleichheit Christi ausgesprochen hatte, eine Grundlage des christlichen Glaubens zu erschüttern drohte. Nachdem endlich die arianische Lehre als Ketzerei (325) verworfen
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180
Die Franken bis zum Untergange der Merowinger.
gewandert ist und die deutsche Erde ganz verlassen hat; denn die Alamannen blieben auf ursprünglich germanischem Boden, die Besetzung Britanniens geschah nicht auf einmal, durch ein Volk in seiner Gesamtheit, sondern allmählich, durch einzelne Scharen drei verschiedener Stämme, die größtenteils in ihren alten Sitzen verharrten, und die Franken haben wohl Gallien erobert, dabei aber ihre Stammländer am Rhein nicht aufgegeben und den Zusammenhang mit der deutschen Muttererde nie verloren. Zeigten die Langobarden sich darin den Ostgermanen ähnlich und hat ihr Reich in Italien mit den Reichen der Wandalen, Burgunden, Westgoten und Ostgoten auch das gemeinsame Merkmal, daß in ihm von Anfang an außer dem nationalen Gegensatz zwischen der germanischen und der ihr an Kopfzahl überlegenen römischen Bevölkerung auch ein folgenschwerer konfessioneller Zwiespalt obwaltete, so sind doch die Verschiedenheiten bedeutender als das Gemeinsame.
Schon bei der Gründung des Reiches treten die widerstandskräftigen Langobarden ganz anders auf als z. B. die milden Oftgoten; das zeigt sich namentlich in ihrem Verhältnis zu den Römern und zu den römischen Institutionen. Wo die Langobarden festen Fuß fassen, da fegen sie das römische Verwaltungssystem und die römische Ämterverfassung hinweg; sie schaffen nicht einen Zwitterstaat, sondern ein rein nationales Staatswesen. Die Römer wurden nicht als gleichberechtigtes, sondern als unterjochtes Volk behandelt. Noch um die Mitte des siebenten Jahrhunderts ^ ist das Volksrecht frei von römischen Einflüssen. Erst als der Staat eine feste volkstümliche Grundlage gewonnen hatte, begann eine maßvolle Anlehnung an römische Einrichtungen und die staatsrechtliche Gleichstellung der römischen Bevölkerung sich anzubahnen.
Die Reiche der Burgunden, der Wandalen und der Ostgoten sind als arianische Reiche im Kampfe mit katholischen Mächten untergegangen. Die Westgoten traten allerdings länger als ein Jahrhundert vor ihrem Untergang zum Katholizismus über; aber der Klerus gewann bei ihnen so weitgehenden Einfluß auf die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, daß er die Staatsgewalt untergrub und dem Reiche die Kraft raubte, sich gegen die Angriffe des Islam zu wehren. Dagegen war bei den Langobarden seit ihrem Übertritt zur römischen Kirche an die Stelle des überwundenen konfessionellen Zwiespaltes ein politischer Gegensatz^ getreten, nämlich der Gegensatz gegen die weltliche Machtsphäre des Papsttums; eine dritte Macht — das fränkische Königtum — mußte eingreifen, um diesen Konflikt zum Austrag zu bringen. Dabei kamen die Langobarden um ihre Selbständigkeit und wurden zu einem Gliede des großen Frankenreichs, womit sie das Schicksal aller westgermanischen Völker und der Burgunden teilten.
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König Kleffo, etwas über langobardische Verfassung, Abzug der Sachsen rc. 43
Seitenzweig der im Mannesstamm ausgestorbenen Lethinge, welcher mit Audoin zur Herrschaft gelangt war, schon nach einem Vierteljahrhundert wieder ab. Bei der hohen Machtstellung der Herzoge lag die Gefahr nahe, daß das eben gegründete, aber noch nicht ausgebaute Reichsgebäude, dem auf einmal der Hausherr fehlte, in eine Anzahl Herzogtümer zerbröckle. Aber die Volksedlen und Freien erkannten selbst einmütig, daß der junge Staat einer einheitlichen Leitung, eines mächtigen Königtums bedurfte; deshalb traten sie in Pavia zusammen zur Wahl eines neuen Oberhauptes und erkoren einen aus ihrer Mitte. Kleffo. den Herzog von Bergamo, aus dem altedlen Geschlechte des Beleos, einen tapfern und thatkräftigen Mann. Die spärlichen Nachrichten, die uns über seine kurze^ Regierung überkommen sind, lassen erkennen, daß Kleffo irrt ganzen auf dem von Alboin betretenen Weg in äußerer Ausdehnung und innerer Ausgestaltung des Reiches fortschritt; doch war er rauher und willkürlicher als jener. Zweierlei wird aus seiner Regierungszeit besonders hervorgehoben: die harte Behandlung der römischen Bevölkerung und — damit zusammenhängend — die Ergreifung festen Grundeigentums durch die Langobarden.
Die Langobarden in Italien waren, außer den Wandalen in Afrika, die einzigen Germanen, die ihr Reich auf altrömischem Boden ohne irgend welchen Vertrag mit einem Kaiser, einem Statthalter oder der Einwohnerschaft lediglich als Eroberer begründeten. So geschah denn das erste Eindringen und auch die erste Niederlassung sehr gewaltsam; gar viele vornehme, reiche Römer, welche sich durch die Flucht in den Süden nicht retten konnten oder wollten, wurden erschlagen, kriegsgefangen, also verfechtet, ihre ländlichen Besitzungen, wie selbstverständlich die des römischen Fiskus, als erobertes Land vom König und dem Volksheer angeeignet. Das gleiche Geschick traf aber auch die Stadtgemeinden; wohin die Eroberer drangen, da hoben sie die städtische Verfassung auf. Das war aber ein ganz besonders harter Schlag; denn die ganze antike, zumal römischitalische Kultur und das Kulturleben beruhte auf der Stadt, war ein städtisches. Auch die Ländereien der Stadtgemeinden verfielen der Verteilung, und schlimm erging es im Anfang auch den Kirchen und Klöstern, sowie den einzelnen Priestern bis gegen Mitte des stebenten Jahrhunderts. Die Einwandrer waren zum Teil noch Heiden, zum größern Teil Arianer, und als solche unzweifelhaft nicht ohne Erbitterung gegen die Katholiken, obgleich diese bei den Langobarden lange nicht so leidenschaftlich war wie etwa bei den Wandalen. Der Hauptgrund, daß vorzugsweise Klöster und Kirchen angegriffen und beraubt wurden, lag gewiß darin, daß hier die meisten Reichtümer geborgen waren. So wurden denn die Priester, wenn sie sich der Beutegier der Eroberer widersetzten, natürlich nicht geschont, die Kirchen geplündert, die Ländereien derselben von der Krone eingezogen oder verteilt.
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Extrahierte Personennamen: Kleffo Kleffo
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Pavia Bergamo Italien Afrika
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
21. Die Schlacht bei Adrianopel und weitere Kämpfe. 155
im Westen des Reiches, an Feldherrntüchtigkeit nicht nach-
stehe, und womöglich die Goten bezwingen, ehe Gratian ihm zu
Hülfe käme. Ebenso eifrig wünschte Frid igern eine Schlacht
zu liefern, bevor Verstärkung für die Feinde einträfe.
Am 9. August brach das kaiserliche Heer mit Sonnen-
aufgang auf, die Goten aufzusuchen. Das Gepäck ließ man
dicht bei Adriauopel zurück. Anderthalb Meilen mußten
die schwergewappneten Krieger auf schlechtem Wege im Schnell-
sckiritt marschieren, und dabei stieg die Sonne immer höher
und schien heiß herab. Es war um Mittag, als sie die
kreisförmige Wagenburg des gotischen Heeres erblickten. Unter
dröhnendem Kriegsgesang ordneten sich die Goten. Die rö-
mischen Feldherrn stellten ihre Reihen so auf, daß die Reiter
das Vordertreffen bildeten und dahinter erst das Fußvolk
stand. Da, als die Römer das Signal zum Beginn des
Kampfes jeden Augenblick erwarteten, schritt aus dem gotischen
Heerhausen eine Gesandtschaft hervor, die um Frieden bat. Dem
Kaiser erschienen aber die Gesandten nicht vornehm genug, er
verlangte, daß die edelsten Fürsten selbst kämen als Bürg-
schaft, daß das Anerbieten ernsthaft gemeint sei. Die Ge-
sandten kehrten um. Es verging wieder eine Zeit. Mittler-
weile standen die ermüdeten Legionen im Sonnenbrände hung-
rig und mit trocknen Kehlen da. Der schlaue Fridigern ver-
zögerte nämlich nur darum den Ansang des Kampfes, weil
er erst die Ankunft einer ostgotischen Reiterschar, die ihm
Hülfe zugesagt hatte, abwarten wollte. Daher entsandte er
noch einmal einen Boten, mit der Bitte, der Kaiser möchte
etliche vornehme Männer ins Gotenlager schicken, die er seinem
Volke gegenüber für Geiseln ausgebeu könnte; die Bürgschaft
dafür, daß sie unversehrt blieben, nehme er auf sich; anders
könne er den Wunsch des Kaisers nicht erfüllen. Jetzt siegte
bei dem wankelmütigen Valens die Bedenklichkeit über die Ent-
schlossenheit. Er zeigte sich bereit, wenigstens einen seiner
Großen hinübergehen zu lassen, und der kühne Richomer,
ein Franke von Geburt, erbot sich dazu freiwillig. Während
er aber auf das gotische Lager zuschritt, änderte sich plötzlich
die Sachlage durchaus. Die beiden Führer der römischen
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
36. Totila, der große Gotenheld.
287
Dieser kam den Flüchtigen ganz nahe und holte auf Totila
aus, um ihm den Speer in den Rücken zu stoßen. Ein
junger Gote aber sah dies und schrie voll Entsetzen und Angst
für den geliebten Fürsten: „Hund, was beginnst du? Wagst
du, die Hand wider deinen Herrn zu erheben?" Kaum hörte
Asbad, daß er den König vor sich habe, so holte er mit aller
Kraft aus und bohrte ihm den Speer zwischen die Schulter-
blätter tief in den Rücken hinein. Der Stoß war tödlich.
Aber zwei der treuen Goten ritten rechts und links dicht an
den wunden König heran und nahmen ihn so in die Mitte.
Auf diese Weise setzten sie mit ihm die Flucht fort, obwohl
er kaum noch ein Lebenszeichen gab. Asbad erhielt von dem
Goten Skipuar einen Hieb ins Bein. Da gaben seine Ge-
fährten die Verfolgung auf und kehrten mit ihm um. Des
Königs Getreue aber glaubten im Dunkel der Nacht, die Ver-
folger seien ihnen noch auf den Fersen, und flohen weiter.
Endlich gelangten sie in ein Dörslein mit Namen Caprä.
Hier rasteten sie, hoben den König vom Roß, trugen ihn in
die Hütte einer armen Frau und verbanden ihm die schreckliche
Wunde. Er aber starb ihnen unter den Händen. Ein edles
Herz stand still. Da beweinten die treuen Männer ihren
geliebten Herrn, gruben ihm schnell ein Grab, zimmerten einen
einfachen Sarg und bargen den teuern Leichnam in die Erde.
Dann wichen sie von dannen.
Die Kaiserlichen wußten nicht, daß Totila gestorben sei,
bis ihnen die Frau, in deren Hütte er seine Heldenseele aus-
gehaucht hatte, es milteilte und sein Grab zeigte. Trotzdem
wollten sie nicht daran glauben und gruben an der Stelle
nach. Da fanden und öffneten sie den Sarg mit der Leiche
des Königs. Selbst den Feinden flößte der ernste Anblick
Ehrfurcht und Trauer ein. Sie wagten es nicht, den toten
Helden zu beschimpfen. Nur den blutigen Mantel und den
edelsteingezierten Königshut nahmen sie ihm, um diese Gegen-
stände dem Narses zu überbringen. Dann gaben sie ihn dem
Schoß der Erbe wieder.
So verlor Totila Thron und Leben, nachdem er elf Jahre
lang König der Goten gewesen war. Selbst der feindliche
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
156 21. Die Schlacht bei Adrianopel und weitere Kämpfe.
Vorhut Hutten sich thöricht genug in ein Handgemenge mit
den gegenüberstehenden Feinden eingelassen und mußten sich
» mit blutigen Köpfen zurückziehen, ein übles Vorzeichen für den
Erfolg der Schlacht. Das Getümmel hinderte Richomer weiter
vorzuschreiten; und in demselben Augenblicke sausten auch die
ostgotischen Reiter aus den Bergschluchten schnell wie der Blitz
herbei. Fridigern hatte seinen Zweck erreicht, die Römer
hatten durch nutzlose Verhandlungen die beste Zeit verloren.
Von allen Seiten begann nun die Schlacht. Vor dem
furchtbaren Anstürmen der Goten wichen gleich anfangs die
Römer zurück. Aber die ermutigenden Zurufe der Feldherren
brachten sie wieder zum Stehen, und das Schlachtgewühl
schwoll wie eine Feuersbrunst an. Wütend stießen die feind-
lichen Reihen aufeinander. Der linke Flügel der römischen
Reiter drang fast bis zur Wagenburg vor, aber er blieb ohne
Unterstützung und wurde deshalb von den allenthalben ein-
stürmenden Goten erdrückt. Das Fußvolk stand nun ohne
Deckung da, und so eng waren die Scharen zusanimengedrängt,
daß die Soldaten kaum das Schwert ziehen und die Hände
rühren konnten. Der Himmel war von Staubwolken ver-
hüllt, betäubendes Geschrei erfüllte die Luft. Überall brachten
die Geschosse Verderben, weil keiner sie kommen sah und sich
decken konnte. Flucht war in der fürchterlichen Enge un-
möglich. Die Felder füllten sich mit Leichenhaufen. Die
Seufzer der Sterbenden klangen schrecklich an die Ohren der
Gesunden. Schwarzes, geronnenes Blut bedeckte den Boden
weithin, und der Fuß der Streiter glitt auf dem schlüpfrigen
Schlamm aus.
Die Sonne neigte sich zum Untergang. Mit neuer Wut
stürmten die Goten heran, da war es mit der Widerstands-
kraft der unglücklichen Römer zu Ende. Wem seine Glieder
noch gehorchten, der wandte sich zur Flucht. Es waren nur
elende Trümmer des Heeres, die flohen. Die ganze Armee
war nicht nur geschlagen, sie war vernichtet. „Seit dem Un-
glückstage von Cannä," ruft der Geschichtschreiber Ammian
aus, „hat unser Staat keine größere Niederlage erlitten."
Kaiser Valens, der tapfer mitgesochten hatte, wurde in der
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