Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Vii.
Her königliche Nuköer.
on diesen heiteren, herzerfreuenden Bildern wenden wir
.unsern Blick hin in die letztverflossenen Wochen und
Monate zu dem Schmerzenslager des königlichen Dulders.
Alldeutschland rüstete sich zu einem hohen, seltenen, in der
deutschen Kaisergeschichte noch nicht dagewesenen Feste. Es galt
dem Geburtstag des neunzigjährigen Heldengreises auf Deutsch-
lands Kaiserthrone. Jubel und Freude erfüllte jede Brust, dank-
erfüllt erhoben sich die Herzen zum lieben Vater im Himmel im
innigen Gebet, ihn lobend und preisend für die bisherige Gnade
und Gesundheit und Frieden für den edlen Helden erflehend.
Da plötzlich mischte sich in diese allgemeine freudige Erregung
ein schriller Mißton. Erst schüchtern, dann lauter und lauter
erscholl das Gerücht von einer bei dem Kronprinzen eingetretenen
Halskrankheit. Zwar hielt man das Leiden anfänglich für eine
hartnäckige Heiserkeit, die sich durch einen mehrwöchentlichen Ge-
brauch der Heilquellen des Bades Ems beseitigen lassen würde;
jedoch diese Annahme stellte sich bald als irrtümlich heraus, in-
dem der Kronprinz von Ems leidender zurückkehrte, als er hin-
gegangen war. Andere Nachrichten wieder wollten die bestimmte
Versicherung haben, daß das Übel nur eine Folge des Rauchens,
das der Kronprinz sehr liebte, sei, und eine Mäßigung darin
oder noch besser, ein vollständiges Unterlassen desselben, würde
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TM Hauptwörter (100): [T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff], T66: [Geschichte Iii Vgl Nr. Aufl Gesch Lesebuch Bild fig deutsch]]
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auffallend ehrfurchtsvoll gegrüßt wurde und deshalb einsamere
Wege aufsuchte. Da fühlte er sich plötzlich am Rockschöße erfaßt.
Er blickte um sich und sah ein blasses Mädchengesicht, das flehend
zu ihm emporschaute.
„Wer schickt dich betteln, mein Kind?" fragte der Fremde.
„Meine kranke Mutter!" antwortete die Kleine.
„Wo ist dein Vater?"
„Der ist tot — ach, uns hungert so sehr!" setzte sie schluch-
zend hinzu.
Der Herr, der schon seine Börse gezogen hatte, steckte sie
wieder ein.
„Führe mich zu deiner Mutter- Kleine," sagte er und folgte
dem Mädchen, das ihn durch mehrere Straßen und Gäßchen bis
zu einem kleinen, baufälligen Hause führte. Sie schritten zwei
schmale, alte, knarrende Treppen hinauf. Dann öffnete die Kleine
eine Bodenthür, und der Herr hatte nun einen Einblick in eine
halbfinstere, unheimliche Dachkammer. Der Verschlag war feucht
und kalt, und in der Ecke lag auf ärmlichem Lager eine junge
Frau, der das Unglück in den Augen zu lesen war. Sie richtete
sich stöhnend auf, als der Fremde eintrat.
„O, Herr Doktor," sagte sie, „es ist nicht recht, daß meine
Tochter Sie heimlich gerufen hat. Ich habe keinen Heller und
kann nichts bezahlen."
Der fremde Herr winkte einen Diener herbei, der ihm ge-
folgt war, und sagte ihm einige Worte, worauf sich dieser so-
gleich entfernte.
„Haben Sie niemanden, der für Sie sorgt?" fragte er dann.
„Ich habe keinen Verwandten, der sich um mich bekümmern
könnte, und meine Wirtsleute sind selber arm. Mein Mann
war Arbeiter. Solange er lebte, ging es uns gut; seit er tot
ist, habe ich Tag und Nacht gearbeitet, um uns zu ernähren.
Dann wurde ich krank, und so kamen wir in Not und Elend."
Der Herr gab dem Mädchen Geld und sagte: „Geh und
hole Brot und Wein."
Schnell eilte das Mädchen davon und kehrte bald mit freude-
strahlendem Gesicht zurück, ein Brot im Arm und eine Flasche
Wein in der Hand.
„Das lohne Ihnen Gott!" sagte die Frau mit Thränen in
den Augen.
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Der Kronprinz hielt nämlich zu Pasewalk die Inspizierung eines
pommerschen Kürassierregiments ab. Als die Besichtigung vor-
über war, atmete man erleichtert auf, denn es hatte, wie man
sagt, alles geklappt. Da ritt der Kronprinz noch an einen
Kürassier heran und fragte: „Wie gefällt dir dein Quartier,
mein Sohn?" Der Gefragte war ein Kaufmann aus Stettin,
der freilich allerhand auf dem Kerbholz hatte und dem man
deshalb ein sogenanntes Strafquartier gegeben hatte. Sein
Pferd stand so ziemlich drei Viertelstunden vom Exerzierplatz am
anderen Ende der Stadt. Der Kürassier antwortete: „Gar
nicht. Kaiserliche Hoheit! Fensterscheiben hat die Stube nicht, ich
habe Ölpapier davor kleben müssen. Sie ist infolgedessen so
dunkel, daß ich die Thür offen lassen muß, um etwas zu sehen.
Wenn ich den Helm aufsetze, stoße ich an die Decke. Neues
Stroh für das Bett habe ich seit sechs Monaten nicht erhalten."
„Haben Sie das gehört, Herr Rittmeister?" wandte sich der
Kronprinz an den Führer der Schwadron. „Das ist ja eine
recht nette Bude; die muß ich mir doch einmal ansehen."
Mittlerweile jagte schon ein im Geheimen Abgesandter nach dem
Musterquartier, ordnete seine bestmögliche Instandsetzung an und
griff sogar selbst zum Besen, um die Spinngeweben von Decken
und Wänden herunterzufegen. Doch schon ritt der Kronprinz
in den Hof ein, hinter ihm der Oberst, der Rittmeister, der Wacht-
meister, der Berittunteroffizier und der Bewohner der Stube.
Von diesem geführt, erschien der Kronprinz in der Stube und
befahl: „Lege dich mal in dein Bette, wie du da gehst und
stehst!" Die alte Bettstelle krachte in allen Fugen. „Jetzt setze
dir den Helm auf!" Der Mann konnte in der That nicht auf-
recht stehen. Nun brach das Unwetter los. Beim Gehen wandte
sich der Kronprinz noch einmal an den Kürassier: „Sollte dir
etwas geschehen, mein Sohn, so weißt du, wo ich wohne; in
Berlin, Unter den Linden."
Ein Weihnachtsgeschenk.
Im Jahre 1863 besuchte der damalige Kronprinz das
Lazarett der Kadettenanstalt und fand unter anderen auch einen
Zögling „fieberkrank infolge von Nikotin-Vergiftung", wie die
über dem Bette hängende Tafel nachwies. D. h. der Kadett
hatte zu viel geraucht, und rauchen sollen Kadetten überhaupt
5*
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Diese That steht in unserem Fürstenhause nicht vereinzelt
da. Als Prinz Friedrich Karl in Bonn studierte, sah er, wie ein
Knabe in den Rhein stürzte. Der Prinz sprang mit voller Klei-
dung dem unglücklichen Knaben nach und entriß ihn den gierigen
Wellen.
Rührt euch!
Gelegentlich der im September 1874 bei Hannover abgehal-
tenen Kaisermanöver wurde dem Vorstande des in Hannover be-
stehenden „Lokalvereins für im Felde verwundete und erkrankte
Krieger" die Ehre zu teil, einen auf Kosten des Vereins er-
bauten, zweckmäßig eingerichteten Verwundeten- und Kranken-
Transportwagen dem hochseligen Kaiser Wilhelm und dem der-
zeitigen Kronprinzen vorführen zu dürfen. Diese Besichtigung ge-
schah in einem der inneren Höfe des Schlosses an der Leine-
straße. Mitglieder des damals bestehenden freiwilligen Sanitäts-
korps hatten die Bedienung des Wagens übernommen und stellten
auch gleichzeitig die Verwundeten vor. Der Wagen stand in der
Mitte und überall lagen Verwundete umher, die verbunden und
aufgeladen wurden. Mit sichtlichem Vergnügen verfolgten die
hohen Herren die mit großer Sicherheit und Schnelligkeit ausge-
führten Manöver. Als Schlußübung erfolgte das Beladen des
Wagens mit sechs Schwerverwundeten auf je drei hängend über-
einander befestigten Tragbahren und Verschluß des Wagens gegen
Witterungseinflüsse. Respektvolle Stille herrschte unter der Be-
dienungsmannschaft, sowie im Innern des Wagens. Da trat
aus der in eifrigem Gespräche befindlichen Gruppe der Zuschauer
der Kronprinz hervor, näherte sich mit schelmischem Ausdrucke auf
dem Gesichte dem Wagen, lüftete eine Seite des Vorhangs und
rief den auf ihren Bahren Liegenden mit kräftiger Stimme ein
„Rührt euch!" zu, damit in lustiger Weise die eingetretene
scheinbar ernste Stimmung lösend. Ein herzliches, fröhliches
Lachen aus dem Innern des Wagens, wie auch von seiten der
sämtlichen Anwesenden erschallte als Antwort dem leutseligen
Kaisersohne nach, der freundlich grüßend zum Kaiser zurückkehrte.
Kaiser Friedrich auf dem Schlachtfelde.
Kaiser Friedrich war schon als Kronprinz Oberstinhaber des
österreichischen Infanterie-Regiments Nr. 20, d. h. der Kaiser
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Karl Friedrich Karl Wilhelm Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich
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hatte, während er zum Sterbebett seiner Mutter eilte. — Eine
jetzt erwachsene Schülerin des kaiserlichen Lehrers hat diese
Geschichte erzählt, und ist noch stolz darauf, einst Geographie-
stunde beim nachmaligen Kaiser Friedrich gehabt zu haben.
Kaiser Friedrich in der Kirche zu Alt-Geltow.
Neun Tage vor seinem Tode, am 6. Juni d. Jhrs., besuchte
Kaiser Friedrich noch das Dorf Alt-Geltow, um die daselbst er-
baute neue Kirche zu besichtigen. Die Anregung zu diesem Bau
ist allein dem Kaiser zu verdanken. Auf einer Ausfahrt vom
„Neuen Palais" aus im Jahre 1884 kam der Kaiser nach Alt-
Geltow und sah dort die alte Kirche, die äußerlich mehr einer
Scheune als einem Gotteshause glich. Es schmerzte ihn, in
seiner nächsten Nähe eine solche Kirche zu wissen, und er ver-
anlaßte die Gemeinde durch Bewilligung einer bedeutenden
Summe, sich zu dem Neubau der Kirche zu entschließen. 1885
schon konnte der Kaiser, damals Kronprinz, den Grundstein zu
dem Gotteshause legen. Gar oft kani der Kaiser nach Geltow,
um die Fortschritte, die der Bau machte, zu besichtigen. Zum
letztenmale war er im Jahre 1687 dort, von seiner Schwester,
der Frau Großherzogin von Baden, -begleitet. Wie die Kirche
auf der Stelle errichtet wurde, wo das alte Gotteshaus stand,
so ist auch der alte Tausstein mit in die neue Kirche übernommen
worden, die, an den Ufern der Havel gelegen, in mittelalterlicher
Gotik ausgeführt ist. Die Kosten des Baues der Kirche, die
bereits am 22. Dezember vergangenen Jahres eingeweiht wurde,
beliefen sich auf 80 000 Mk., von denen die Gemeinde 4000 Mk.
aufbrachte, während der Rest vom Patronat und den kaiserlichen
Herrschaften gedeckt wurde. Als der Kaiser mit seiner Gemahlin
und den Prinzessinnen Viktoria, Sophie und Margarethe in
Alt-Geltow an der Kirche eintraf, war der Kirchenälteste Stahns-
dorf zugegen, der die Führung der Herrschaften übernahm. In
aufrechter Haltung betrat der Kaiser, zu seiner Seite die Kaiserin,
die Kirche, über deren Eingang auf Wunsch des Kaisers die
Sprüche Lucas 11, 28, Jakobi 1, 22 und Psalm 119,115 stehen.
Den Altar schmücken ein goldenes Kruzifix, zwei silberne Leuchter
und eine prächtige Bibel, alles Geschenke des Kaisers. Die
Orgel des neuen Gotteshauses hat Gesell in Potsdam gebaut.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Geltow Großherzogin Margarethe Gesell
6
bis zur Tür des Grabes und kehren wieder in ihre Häuser zurück
Der dritte, den er im Leben oft am meisten vergaß, sind seine wohl-
tätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis zum Throne des
Richters; sie gehen voran, sprechen für ihn und finden Barmherzig-
keit und Gnade. I. ®. $erber.
b) Vaterlandsliebe, Mut und Tapferkeit.
6. Aufruf.
Frisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen,
hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.
Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen;
frisch auf, mein Volk! — die Flammenzeichen rauchen,
die Saat ist reif; ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerte!
Drück' dir den Speer ins treue Herz hinein,
der Freiheit eine Gasse! — Wasch' die Erde,
dein deutsches Land, mit deinem Blute rein!
Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen:
es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heilger Krieg!
Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen;
errette sie mit deiner Freiheit Sieg!
Das Winseln deiner Greise ruft: „Erwache!"
Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut,
die Schande deiner Töchter schreit um Rache,
der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blur
Zerbrich die Pstugschar, laß den Meißel fallen,
die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn!
Verlasse deine Höfe, deine Hallen! —
Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen,
er will sein Volk in Waffenrüstung sehn.
Denn einen großen Altar sollst du bauen
in seiner Freiheit ew'gem Morgenrot;
mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen,
der Tempel gründe sich auf Heldentod. —
Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber
für die der Herr die Schwerter nicht gestählt,
wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber
hinwerfen in die Scharen eurer Räuber,
daß euch des Kampfes kühne Wollust fehlt?
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22
Margarete schilderte ihm darauf fein Betragen, die Art, wie
er einnehme und ausgebe, den Mangel an Aufmerksamkeit; selbst
seine gutmütige Freigebigkeit kam mit in Anschlag, und freilich ließen
ihn die Folgen der Handlungsweise, die ihn so sehr drückten, keine
Entschuldigung ausbringen.
Margarete konnte ihren Gatten nicht lange in dieser Verlegen-
heit lassen, um so weniger, als cs ihr so sehr zur Ehre gereichte, ihn
wieder glücklich zu machen. Sie setzte ihn in Verwunderung, als
sie zu seinem Geburtstage, der eben eintrat, und an dem sie ihn sonst
mit etwas Brauchbarem anzubinden Pflegte, mit einem Körbchen
voll Geldrollen ankam. Die verschiedenen Münzsorten waren be-
sonders gepackt, und der Inhalt jedes Röllchens war mit schlechter
Schrift, jedoch sorgfältig, darauf gezeichnet. Wie erstaunte der
Mann, als er beinahe die Summe, die ihm fehlte, vor sich sah, und
die Frau ihm versicherte, das Geld gehöre ihm zu! Sie erzählte
darauf, was sie ihm entzogen, und was durch ihren Fleiß erspart
worden sei. Sein Verdruß ging in Entzücken über, und die Folge
war, daß er Ausgabe und Einnahme der Frau vollstäudig über-
trug, seine Geschäfte nach wie vor, nur mit noch größerem Eifer, be-
sorgte, von dem Tag an aber keinen Pfennig Geld mehr in die
Hände nahm. Margarete verwaltete das Amt eines Kassierers mit
großen Ehren, kein falscher Laubtaler, ja kein verrufener Seck)ser
ward angenommen, und durch ihre Tätigkeit und Sorgfalt fetzten
sie sich nach Verlauf von zehn Jahren in den Stand, den Gasthof mit
allem, was dazu gehörte, zu kaufen und zu behaupten.
- » I. W. t>. Goethe.
17. Das Haus Gruit vau Zteen.
Das Handelshaus Gruit van Steen war im Beginne des sieb-
zehnten Jahrhunderts eines der angesehensten, reichsten und fest-
begründetsten in Hamburg. Das Oberhaupt des Hauses war da-
uwls Hermann Gruit, der nach dem Tode des ehrwürdigen Vaters
mit der Handlung und dem Hause auch den alten Jansen als Erb-
stück mit überkommen hatte, einen goldtreuen Diener des Hauses, mit
Leib und Seele wie sonst dem alten, nun dein jungen Herrn zu-
getan, den er schon als Kind auf den Knien geschaukelt hatte. Wenige
verstanden das Handelswescn damaliger Zeit bis in seine äußersten
Verzweigungen so von gründ aus, wie der alte Jansen, daher galt
auch sein Wort in der Schreibstube wie das des Herrn selbst.
Der dreißigjährige Krieg verheerte schon seit zwanzig Jahren
unser armes Vaterland durch Raub, Mord und Brand von einem
Ende zum anderen; Städte und Dörfer waren zu hunderten verheert
und verlassen von den Bewohnern, die mit dem Vieh in die Wälder
geflohen waren, um sich vor den räuberischen, blutigen Händen der
gottlosen Kriegsleute zu retten. Unter diesen Umständen und
namentlich auch bei der Unsicherheit der Straßen in allen Ländern
war cs kein Wunder, daß der Handel stockte und vorzüglich der Be-
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29
3. Daß sie dir mit keinem Schlage
von verlornen Stunden sage!
Unersetzlich ist Verlust
des Geschäfts und auch der Lust.
4. Sohn! der Tag hat Stunden viele,
so zur Arbeit wie zum Spiele;
gib das Seine jedem nur,
und du freuest dich der Uhr.
5. Selber hab' ich mit den Stunden
mich soweit nun abgefunden,
daß ich ohne Glockenschlag
sie nach Notdurft ordnen mag.
6. Zähle dn für mich die Stunden!
Und auch jene, die geschwunden,
kehren schöner mir zurück,
wenn du sic dir zählst zum Glück.
F. Rückert,
20. Warum?
Zu Hamburg auf einem Platze standen einmal zwei Arbeiter,
und wer sie sah, dachte an des Herrn Wort: „Um die elfte Stunde
aber ging er aus und fand andere müßig stehen am Markt und sprach
zu ihnen: „Was stehet ihr hier den ganzen Tag müßig?" Sie
sprachen zu ihm: „Es hat uns niemand gedinget." Denn obgleich
der Mesner schon auf dem Wege war, die Mittagsglocke zu ziehen,
so warteten sie doch immer aus den, der da kommen sollte und sagen:
„Gehet mit mir, ich will euch geben, was recht ist."
Und als um zwölf Uhr im Michaelisturme die große Glocke er-
schallte, zog Karsten, der eine von den zweien, den Hut ab und betete
ein Vaterunser, oder was er sonst in seinem Herzen redete. Denn
seine Lippen regten sich, aber seine Stimme hörte man nicht. Vol-
land aber, der andere' ließ den Hut auf dem Kopfe und sprach:
„Weiß nicht, warum ich mich bemühen soll, wenn die Alte da oben
brummt und summt. Wie leicht fällt ein Ziegel vom Dach und
schlägt dir ein Loch in den Kopf!" Karsten aber antwortete nur:
„Will sehen, Vetter Ehrhard, will sehen....." Er hätte auch zu
einer längeren Rede nicht Zeit gehabt. Denn da er das gesagt, trat
ein kleiner, alter Herr zu ihm und sprach: „Gefällt dir's, so komm!
ich will dir Arbeit geben und bezahlen, was recht ist." Karsten ging
freudig mit, und als das alte Herrlein unterwegs zu ihm sagte:
„Aber ich kaun es nicht leiden, daß, die mein Brot essen, fragen:
„warum?" antwortete er: „Euer Wille geschehe. Viel Fragen und
Reden ist das ganze Jahr meine Sache nicht."
Also kamen sie, ohne ein Wort weiter zu verlieren, in die große
Zuckersiederei vor dem Tor. Und als Karsten hinter ihr die
großen Holzstöße sah, wurde er ganz fröhlich in seinem Herzen und
sprach bei sich selbst: Gott sei's gedankt, nun wird es mir nimmer
an Arbeit fehlen!
Da er aber ein Jahr laug und etwas darüber Holz gesägt und
gespalten hatte, sprach der Zuckersieder zu ihm: „Claus, du hast alle
Tage einen weiten Weg abends heim und morgens wieder heraus.
Gefällt's dir, so magst du dort in mein Gartenhaus ziehen und mit
Weib und Kindern drin wohnen umsonst."
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tus. Der brave Alte war nicht nur ein eifriger Waidmann und sorg-
samer Hausvater, sondern auch ein edler Menschenfreund. Mancher
Kranke hatte schon aus dem schlichten Forsthause ein wirksames Heil-
mittel oder einen weisen Rat bekommen, und bei vielen Unglücks-
sallen hatte die geschickte Hand des alten Försters Linderung und
Rettung gebracht. Der stets gefällige und freundliche Hubertus war
jedoch kein Wunderdoktor oder Quacksalber. Er dachte sehr gering
von seiner werktätigen Nächstenliebe und wies jede Belohnung für
seine Bemühungen zurück. Bei schweren Krankheiten und in zweifel-
haften Fällen verordnete er immer dasselbe: „Holt schnell einen
geschickten Arzt und erfüllt gewissenhaft alle seine Befehle und
Wünsche."
Eines Tages trat auch ein junger Mann aus der benachbarten
Stadt in die freundliche Wohnung des Försters. Als Hubertus den
hochaufgeschossenen, hageren und blassen Jüngling sah, strich er be-
denklich den langen, weißen Bart und dachte bei sich: „Der arme
Mensch, — er welkt dahin wie eine Blume des Waldes im engen
Zimmer." Dann fragte er nach der Beschäftigung und Lebensweise
seines Gastes. „Dir kann geholfen werden," sprach der Förster,
nachdem er die Klagen des Jünglings gehört und erwogen hatte.
Dann holte er aus dem Eßschranke von schwerem Eichenholze ein
kleines Pistol hervor. Es war an der Mündung festverschlossen und
nicht größer als ein Glied des Fingers. „Nimm diese unscheinbare
Waffe," sprach der ehrwürdige Greis mit ernsten Worten, „und
trage sie ein Jahrlang als Zierstück an deiner Uhrkette. Sie wird
die Feinde deiner Gesundheit vertreiben und dich mehr kräftigen als
kostbare Speisen und Getränke. Aber nur in der reinen, belebenden
Luft kann sie ihre Heilkraft ausüben; darum sollst du sie täglich zwei
Stunden lang in Wald und Feld umhertragen und vor jedem schäd-
lichen Luftzuge sorgfältig in acht nehmen."
Nach dieser Mahnung begab sich der Jüngling aus den Heim-
weg und oftmals schaute er verwundert und enttäuscht auf das selt-
same Geschenk an der Uhrkette. Gleichzeitig aber faßte er den festen
Vorsatz, die Ratschläge des erfahrenen Försters genau zu befolgen.
Die niedrige Dachstube, die als Schlafgemach diente, wurde
tagsüber fleißig gelüftet und erhielt auch während der Nacht frische
Luft durch das anstoßende Wohnzimmer. Die Fenster der kleinen
Geschäftsstube gewährten jetzt auch wieder dem erquickenden Morgen-
hauche wie der milden Abendlust den lange versagten Eintritts Die
wunderbare Waffe hätte ja auch in einer verdorbenen Luft die ge-
rühmte Heilkraft verloren! Aus diesem Grunde vermied der Ge-
nesende auch soviel als möglich die staubigen Straßen und dumpfen
Gassen, und in den engen Wirtsstuben, deren Luft durch Rauchen
und Atem verdorben wird, war der Jüngling gar nicht mehr zu
finden. Und wo noch sonst die Luft durch die Abfälle des Haus-
gebrauchs oder durch vermodernde Pflanzen und Tiere, durch
Sümpfe und Senkgruben oder durch gewerbliche Anlagen verun-
reinigt war, da durste auch das Kleinod des Försters nicht weilen.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
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Lebensweise und gewissenhafte Benutzung der Zeit und Kraft
machten dies möglich. Bei Hohen und Niederen war er kurz an-
gebunden in der Rede. Des Tages pslegte er nur einmal zu essen.
Ein kleiner Vorrat von Brot fand sich in den Taschen seines Wagens
stets vor. Solche beinahe übermenschliche Tätigkeit entfaltete der
Mann, der sich fast nie ganz gesund fühlte. Oft war er vom Pferde
gestürzt und hatte sich innere und äußere Verletzungen zugezogen.
Auch im Alter gönnte er sich keine Ruhe. Selbst Unglück und Un-
dank'konnten seine aufopfernde Tätigkeit und seinen Lebensmut
nicht schwächen oder lähmen. Mit Mut und Ausdauer harrte er
auf seinem Posten aus.
Heim lebte sehr einfach und richtete seine Wirtschaft möglichst
sparsam ein. Seine Frau stand ihm darin wacker zur feite. Durch
weise Sparsamkeit war es möglich, jährlich etwas zu erübrigen und
allmählich ein gewisses Vermögen anzusammeln, das Heim den Sei-
nigen zu hinterlassen hoffte. Er gab das Geld in ein Handlungs-
haus, das einen guten Ruf hatte ltnb volle Sicherheit zu gewähren
schien. Aber die Sache änderte sich. Es kam die Zeit, da die Fran-
zosen ihre Macht über Norddeutschland ausbreiteten und durch
Plünderungen, Steuern, Einquartierungen und Lieferungen die
Länder aussagen.
Das waren schlimme Tage. Handel und Wandel stockten, die
Gewerbe lagen darnieder, der Wohlstand schwand, und mancher,
der früher ohne Sorgen gelebt hatte, mußte zum Bettelstäbe greifen.
In dieser trüben Zeit, in der so manches blühende Unternehmen zu
gründe ging, ging auch jenes Handelshaus unter, dem Heim sein
Geld anvertraut hatte, und Heim verlor sein ganzes sauer erwor-
benes Vermögen. Das war ein harter Schlag für einen angehenden
Sechziger. Nach einigen Tagen besuchte ihn ein lieber Freund und
redete ihn also an^
„Es hat mir herzlich leid getan, daß du einen so harten Ver-
lust erlitten hast."
„Ja," antwortete Heim, „zwei Tage war ich sehr geschlagen,
aber jetzt habe ich's, Gott sei Dank, überwunden."
„Wie hast du das angefangen?" fragte ihn verwundert der
Freund.
t „So, wie ich immer tue, wenn ich mir selber nicht zu raten
weiß," erwiderte Heim. „Ich konnte anfangs den Verlust gar nicht
vergessen. Tag und Nacht mußte ich daran denken. Wenn ich bei
meinen Kranken war, mußte ich mir Mühe geben, meine Gedanken
zusammenzunehmen; wenn ich zu Hause war, ließ ich den Kopf
hängen; wenn ich bei Tische saß, schmeckte mir kein Essen; meine
Kinder waren verschüchtert. So konnte es nicht bleiben. Ich ging
in die Kammer und bat Gott auf meinen Knien, daß er mir wieder
Ruhe und Mut gebe. Da war es mir, als ob der Herr zu mir
spräche: Heim, du bist eines armen Pastors Sohn, und ich habe dich
gesegnet in deinem Hause. Jahrelang habe ich dir dein Geld ge-
lassen, jetzt habe ich dir's genommen. Nun höre auf zu jammern,
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