2. Die Sonn' ist längst auf ihrer Bahn,
auf seinem Posten kräht der Hahn,
die Tauben flattern ans dem Schlag
und sonnen sich im ros'gen Tag.
Guten Morgen!
3. Schon tönen Lieder und Schalmei'n,
Der Herde Glöcklein klingen drein,
und seinen Morgengruß entbeut
vom Turme weithin das Geläut.
Guten Morgen!
4. Was nur die Hände rühren kann,
das schickt sich jetzt zur Arbeit an;
die Nachbarsleut' in Stadt und Land,
sie drücken sich zum Gruß die Hand.
Guten Morgen!
5. Und alles regt sich nah und fern
und rüstet sich und preist den Herrn.
Ihr wollt doch nicht die Letzten sein?
Drum stehet aus und stimmet ein:
Guten Morgen!
5. Oer Läeleerjuri^e. von Max Eschner.
Natur und Menschenhand im Dienste des Hauses. I. Bd. 2. Ausl. Stuttgart o, I. S. 3.
Es ist noch sehr früh am Morgen. Die Dämmerung verkündet
den nahenden Tag. In tiefem Schlummer ruhen noch die
Bewohner des Hauses.
Da dringt plötzlich schrill und scharf der Ton der Klingel
durch die stillen Räume. Erschrocken fährt die Mutter von ihrem
Lager auf.
„Wer schellt denn schon so früh?“ fragt sie unwillig. Ein
rascher Blick auf die Uhr gibt ihr die Antwort: „Aha, der Bäcker-
junge mit den Brötchen!“
Sie weckt sofort Guste, das Dienstmädchen, das mit einigem
Widerstreben sein warmes Bett verläßt und nur notdürftig bekleidet
an die Türe huscht. Aber Guste muß die Tür schon völlig öffnen,
wenn sie den Bäckerlehrling entdecken will. Zwar steht da draußen
ein Korb, gefüllt mit frisch duftenden, noch warmen Brötchen und
Semmeln, aber erst bei schärferem Umherspähen in dem schwach
, 1*
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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38
Wasser sehlte es gänzlich. Wie sie sich nun bemühte und abärgerte,
stand plötzlich ein kleines buckliges Männlein vor ihr und sagte:
„Gib mir dein Tüchlein,
so lehr' ich dich zwei Sprüchlein."
„Das wär' ein schöner Tausch!" rief lachend die Gänsechristel.
„Sprüche weiß ich selbst genug." — „Aber meine Sprüchlein doch nicht,"
sagte das Männlein, „die könnten dir gute Dienste tun. Wenn du eine
Gans würdest, dann würde deine Not schnell ein Ende haben; die
Gänse würden deine Sprache verstehen und dir als ihrer Meisterin
gehorchen." — „Das siel' mir ein, eine Gans zu werden," ries die Gänse-
christel; „ich habe keine Lust, Gras und Hafer zu fressen und mich zu
Martini schlachten zu lassen."
„Hi! hi!" lachte der Kleine, „so ist's nicht gemeint. Das eine
Sprüchlein macht dich zur Gans, und das andere macht dich wieder zur
Gänsechristel." — „Da nimm!" sagte die Gänsechristel, knüpfte ihr Tüch-
lein los und gab es dem kleinen Mann, der es sich um den Kops band
und vor Freude umherhüpfte. Dann trat er vor die Gänsechristel hin
und sagte ihr seine Sprüchlein. Das eine lautete:
„Hurtedigurte, wer kanu's?
Erst ein Mägdlein und jetzt eine Gans."
Das andere hieß:
„Hurtedigurte, wer kann's?
Jetzt ein Mägdlein und erst eine Gans."
„Vergiß nur das zweite Sprüchlein nicht," ries lachend der Kleine,
„es wäre schade um dich, wenn du zu Martini geschlachtet würdest.
Hi! hi!" Mit diesen Worten lief er dem nahen Walde zu und ver-
schwand. Die Gänsechristel aber dachte: Du willst doch einmal die
Sprüche versuchen und sehen, ob dich dies bucklige Kerlchen nicht betrogen
hat. Sie sprach den ersten Spruch leise vor sich hin, und kaum war
das letzte Wort von ihren Lippen, so war sie auch schon in eine schöne
weiße Gans verwandelt worden. Die Gänse schienen sich gar nicht
darüber zu wundern, sie kamen zutraulich herbei und singen an, über
allerlei mit ihr zu schwatzen, und sie verstand die seltsame Sprache und
konnte sie selbst reden. Am Abend sprach sie das andere Sprüchlein
und stand sogleich wieder als Gänsechristel vor ihrer Herde. Von nun
an hatte sie gute Zeit; denn es fehlte ihr nicht an Unterhaltung, und
die Gänse gehorchten ihr gern.
Wenn der Abend kam und die Gänse heimgetrieben werden sollten,
sprach sie stets nur das andere Sprüchlein und trieb dann als Gänse-
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40
hinter dem Ohr und brummte: „Bei der Magd ist's wohl im Ober-
stübchen nicht ganz richtig; morgen soll sie den Abschied erhalten."
Die Gänsechristel war als Gans in den Wald geflogen, aber, o
Jammer! als sie das zweite Sprüchlein gaken wollte, hatte sie es in all
der Angst vergessen. Sie hing traurig den Kopf und sann und sann,
aber es war alles umsonst. Da hörte sie plötzlich hinter einem Busch
eiu leises Gekicher. Sie machte einen langen Hals, um zu sehen, was
dort so höhnisch lachte:
„Hi! hi! hi! Hat den Spruch vergessen,
muß nun Hafer fressen!"
In demselben Augenblick hatte aber auch die Gans den bösen Zwerg
am Bein gepackt und sich so festgebissen, daß der höhnische Wicht laut
aufschrie und der Gans die besten Worte gab, damit sie ihn doch loslasse.
Aber sie hielt ihn so lange fest, bis er ihr wieder zu dem zweiten Sprüch-
lein verholfen hatte. O, wie froh war die Gänsechristel, als sie keine
Gans mehr war! Der kleine Mann aber rieb sein Bein und hinkte
verdrießlich fort; denn wenn es nach seinem Wunsche gegangen wäre,
hätte die Gans eine Gans bleiben müssen. — Und die Gänsechristel? -
Die hat nie wieder die Sprüchlein gebraucht, sondern geduldig die Gänse
gehütet; durch Schaden war sie klug geworden und hielt es ihr Leben
lang mit dem Sprichwort:
Trau, schau, wein! —
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48
zog. Das Wiesel ist ein flinker Räuber und der Fuchs ein schlauer
Gesell; dazu kommen noch Falken und Eulen und aus dem Dorfe
die Katzen. Die Rebhuhnmutter hat den ganzen Tag über zu
spähen, ob ihren Kleinen irgendeine Gefahr drohe.
Kinder kommen ans Ährenfeld; sie wollen Kornblumen suchen
zum Kranze. Ehe das alte Rebhuhn es gemerkt hat, sind sie ihm
ganz nahe gekommen. Sie jubeln plötzlich laut auf, wie sie die
kleinen, niedlichen Vögelchen sehen, strecken die Hände aus und
wollen die Küchlein fangen. In der Angst fährt die Rebhuhnmutter
mit ausgebreiteten Flügeln den Kindern entgegen, als wolle sie
schlagen und hacken; dann läuft sie langsam und hinkend auf dem
breiten Wege weiter. Sie legt sich ganz auf die Seite und schleppt
einen Flügel nach, gerade als sei sie schwer verwundet oder krank
und könne nicht fort. Die Kinder vergessen die kleinen Rebhühner
und achten nur auf das große; denn das ist, wie sie meinen, am
leichtesten zu erhaschen. Weiter hat auch das schlaue Tier nichts
gewünscht. Wie die Kinder ihm nahen, wackelt es langsam fort,
immer weiter von den Jungen hinweg. Dann läuft’s etwas schneller
und schaut dabei aufmerksam nach seinen Kleinen um. Diese sind
wie eine Wolke nach allen Seiten auseinandergestoben. Eins hat
sich zwischen zwei Erdstücken verkrochen, das zweite hinter einem
Stein versteckt. Ein drittes kauert unter dem Grasbusch, das vierte
unter dem Distelblatt —jetzt sind sie alle geborgen! — Die Kinder
wollen eben das alte Rebhuhn erfassen — da springt’s auf und
davon, schnell wie der Wind. Die Kinder stehen verblüfft mit
offenen Händen und Augen. Der kleine Feldvogel hat die großen
Menschen überlistet. Er ist durch die Halme geschlüpft, weit hinten
im Felde ertönt sein leiser Lockruf. Die Kinder überhören ihn;
um so besser verstehen aber die jungen Rebhühner die Sprache
ihrer Mutter. Sie eilen dem Klange nach, und wenige Minuten
darauf sind wieder alle beisammen.
57. Cßarurn der F)alm nur eine Kurze Hbre bat.
Von Oskar Däbnbardt.
Naturgeschichtliche Volksmärchen. 2. verb. Auflage. Leipzig 1904. S. 18.
Ofjor§eiten, als Gott noch selbst aus Erden wandelte, da war die
Fruchtbarkeit des Bodens viel größer, als sie setzt ist. Damals trugen
die Ähren nicht sünszig- oder sechzigsältig, sondern vier- bis sünshundert-
sältig. Da wuchsen die Körner am Halm von unten bis oben hinaus:
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so lang er war, so lang war auch die Ähre. Aber wie die Menschen
sind, im Überfluß achten sie des Segens nicht mehr, der von Gott kommt,
werden gleichgültig und leichtsinnig. Eines Tages ging eine Frau an
einem Kornseld vorbei, und ihr kleines Kind, das neben ihr sprang, flel
in eine Pfütze und beschmutzte sein Kleidchen. Da riß die Mutter eine
Handvoll der schönen Ähren ab und reinigte ihm damit das Kleid. Als
der Herr, der eben vorüberkam, das sah, zürnte er und sprach: „Fortan
soll der Kornhalm keine Ähren mehr tragen: die Menschen sind der himm-
lischen Gabe nicht länger wert." Die Umstehenden, die das hörten, er-
schraken, fielen auf die Kniee und flehten, daß er noch etwas möchte
an dem Halm stehen lassen: wenn sie selbst es auch nicht verdienten,
doch der unschuldigen Hühner wegen, die sonst verhungern müßten. Der
Herr, der ihr Elend voraussah, erbarmte sich und gewährte die Bitte.
Also blieb noch oben die Ähre übrig, wie sie jetzt wächst.
58. Schulze Hoppe.
Von Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz.
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig 1848. S. 356.
Es war einmal ein Schulze, der hieß Hoppe, dem konnte es der
liebe Gott nie recht machen mit dem Wetter; bald war’s
ihm zu trocken, bald regnete es zu viel, und da sagte der liebe
Gott endlich: „Im nächsten Jahre sollst du das Wetter selbst
machen.“ So geschah es denn auch, und der Schulze Hoppe ließ
nun abwechselnd regnen und die Sonne scheinen, und das Getreide
wuchs, daß es nur so eine Freude war, mannshoch. Als es nun
aber zur Ernte kam, waren alle Ähren taub; denn Schulze Hoppe
hatte den Wind vergessen, und der muß doch wehen, wenn das
Getreide sich ordentlich besamen und Frucht tragen soll. Seit der
Zeit hat Schulze Hoppe nicht mehr übers Wetter gesprochen und
ist zufrieden damit gewesen, wie es unser Herrgott gemacht hat.
59. Kot*näbr£tl. Von Christoph von Scbmid.
Gesammelte Schriften. Xvi. Bdch. 2. Aufl. Augsburg 1861. 8. 52.
®iu Landmann ging mit seinem kleinen Sohne Tobias auf den Acker
hinaus, um zu sehen, ob das Korn bald reif sei. „Vater, wie
kommt's doch," sagte der Knabe, „daß einige Halme sich so tief zur Erde
neigen, andere aber den Kopf so aufrecht tragen? Diese müssen wohl
recht vornehm sein; die andern, die sich so tief vor ihnen bücken, sind
gewiß viel schlechter?" Der Vater pflückte ein paar Ähren ab und
Lesebuch für Mittelschulen. Ii. 4
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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sengtem Gefieder zurück. Rasch legt sie es zu dem zuerst ge-
retteten und bahnt sich zum drittenmal den Weg durch Rauch und
Feuer, um auch die übrige Brut zu retten. — Vergebens erwartet
man sie zurück. Sie hatte neben den beiden letzten ihrer Jungen
den Tod gefunden.
Ein mitleidiger Bauer nahm sich der beiden geretteten
Störchlein an und fütterte sie auf. Noch lange nachher sah man
die beiden gezähmten Sumpfvögel auf dem Hofe des Landmannes
zwischen dem Federvieh klappernd einherschreiten.
61. Sine I^ühnerwirtichaft Von Robert Retmcl*.
Deutscher Jugendkalender für 1852. Leipzig. 8. 28.
1.
uf einem Gehöfte lebte ein alter Hahn, der hieß Henning, und seine
Frau, die alte Henne, hieß Kratzefuß. Von den vielen Kindern,
welche die beiden gehabt hatten, waren fast alle von ihrer Herrschaft
aufgegessen, nur zwei Hähnchen waren noch übrig; Gokelmann hieß der
ältere und Hähnel der jüngere. Beides waren muntere Burschen, keck,
eitel und streitsüchtig, wie man es von jungen
Hähnen nur verlangen kann; aber der Gokel-
mann hatte eben nicht
das Pulver erfunden,
während sein Bruder
Hähnel schon gescheiter
war. Beißen mußten sie
sich täglich ein paarmal;
denn bei Hühnern gehört
das zur guten Lebensart. Nun wohnte auch noch auf demselbeu Hofe
ein rothaariger Hund, Phylax mit Namen; der war ein so gutmütiges
Tier, daß er den Hühnern nie etwas zuleide tat. Oft ließ er ihnen
sogar manchen guten Bissen von seinem Fressen übrig; daher hatten sie
ihn denn anch alle gern.
2.
Eines Morgens spazierte einmal der Gokelmann ganz gemütlich für
sich allein in dem großen Garten hinter dem Hause. Da wußte er ganz
hinten am Ende des hölzernen Zaunes einen prächtigen, hohen Mist-
haufen, aus den er für sein Leben gern hinaufstog. Wie stolz und
majestätisch kam er sich da oben vor, wie krähte es sich da so hübsch
über die weiten Felder hin! Auch heute war sein erster Gang zu dem
4*
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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52
Haufen dort. Wie er nun so im besten Scharren und Kratzen und
Krähen war, sah er am Wasser hinter dem Zaune Meister Reineke, den
Fuchs, liegen, der rührte und regte sich nicht und schaute fortwährend
eifrig nach dem Ufersande hin. Gokelmann hatte wohl schon oft in
seinem Leben von dem bösen Hühnerdiebe gehört, aber nie einen gesehen,
und weil nun der Fuchs rothaarig war und auch sonst viel Ähnlichkeit
mit einem Hunde hatte, redete er ihn an und rief: „Du da, bist du
nicht ein Bruder von unserm Phplax?"
Der Fuchs, der schon lange den appetitlichen jungen Hahn da
oben gewittert hatte, dachte: „Warte, dich will ich schon fassen, wenn
ich dich nur erst hier habe!" Er blieb ruhig in seiner Stellung liegen
und tat, als ob er nichts gehört hätte. „Du da, bist du nicht der
Bruder von unserm Phplax?" ries das Hähnchen noch ein paarmal
mit immer lauterer Stimme. „Ach, sieh da, liebster Gokelmann!"
sprach endlich der Schlaue und richtete den
Kopf in die Höhe, „wie bin ich froh,
daß ich dich einmal zu sehen bekomme, du
lieber, kleiner Kerl! Allerdings bin ich der
Bruder vom Phplax, und der hat mir
soviel Schönes von dir und deinem Bruder
Hühnel erzählt. Ihr sollt ja beide prächtig
krähen können, du glaubst nicht, wie gern
ich das anhöre. Leider bin ich jetzt erkältet,
und die Erkältung hat sich mir auf die Ohren geworfen, so daß ich
schwer in der Ferne höre. Du würdest mir eine große Freude machen,
wenn du über den Zaun zu mir herunterfliegen möchtest und mir
so recht in der Nähe etwas vorkrähtest!"
„Ich kann ja nicht zu dir kommen," sprach Gokelmann ganz
traurig. Er fühlte sich so sehr geschmeichelt von dem Lobe des Fuchses.
„Ach, wie schade!" sprach Meister Reineke, „ich wollte dich auch noch
um eine andere Gefälligkeit bitten. Der Doktor hat mir geraten, ich
soll wegen meiner Taubheit frische, lebendige Regenwürmer auf die
Ohren legen; da bin ich nun hergekommen, um mir welche zu holen,
und kann sie nicht gut mit meiner Schnauze fassen. Ja, wer deinen
Schnabel hätte!" „Regenwürmer, fette Regenwürmer? Sind denn
wirklich welche da?" fragte Gokelmann eifrig. „Ach, und was für
welche!" sprach der Fuchs; „Kerle, wie die Aale so fett, das kribbelt
und wibbelt davon hier unten beim Wasser. Nie in meinem Leben sah
ich solche Menge beisammen."
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3.
Wie das der Gokelmann hörte, konnte er sich nicht halten; er hob
die Flügel, um über den Zaun zum Fuchse hiuunterzufliegen. Sein
liebstes Essen von der Welt waren ja sette Regenwürmer! — Aber
vergebens! Gerade gestern hatte die Köchin ihn: die Flügel beschnitten,
daniit er eben nicht überall hinfliegen könne. So ward es ihm un-
möglich, hinunterzuflattern. Er klagte dem Fuchse sein Leid. Dieser
wollte ihm auch eben einen guten Rat geben, wie er trotzdem aus
dem Garten heraus zu ihm kommen könnte, da ließen sich aber in
der Nähe Menschenstimmen hören. Der Fuchs hatte gerade noch Zeit,
dem leichtgläubigen Gokelmann zuzurufen: „Komm morgen wieder, du
Herzens-Gokelmann, und bring doch auch ja deinen lieb.en Bruder
Hähnel mit! Dann wollen
du?" Darauf streckte er den
Schwanz hoch in die Luft
und lief, was er nur konnte,
ins Feld hinein.
Traurig ging Gokelmann
nach seinem Hofe. Fort-
während dachte er an das
leckere Frühstück, wovon der
Fuchs ihm gesagt hatte. Da-
heim angelangt, erzählte er
nun seinen Eltern, was ihm
begegnet war. Nach seinen
Worten konnten die alten Hühner auch nicht anders denken, als daß
der taube Freund am Ufer ein Hund gewesen wäre. „Alterchen!" sprach
Frau Kratzefuß zum Hahn, „wie wär's, wenn wir morgen um diese
Zeit alle zusammen nach der Stelle hingingen, wo die Regenwürmer sind?
Wir haben lange keine gegessen, und es ist doch das Köstlichste, was
ein Geschöpf essen kann." „Schon recht, Mutter!" sprach der alte
Henning, „wir können schon hin, ich möcht' aber auch gern unsere lieben
Kinder mitnehmen, und denen sind ja leider gestern die Flügel be-
schnitten." „Wird schon gehen," sprach die Henne, „laß mich nur
machen! Ich weiß, da ist unter dem Gartenzaun ein kleines Loch in
der Erde, das kratzen und scharren wir beide so weit aus, daß wir die
Kinder bequem durchbringen. Nicht wahr, du bist dabei?" „Nun,
meinetwegen!" rief Henning, und die ganze Hahnfamilie freute sich schon
im voraus auf das morgende Frühstück.
wir mehr miteinander sprechen, hörst
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
60
Die Wespen aber hetzten weiter: „Ihr bedürft des Schutzes der
Menschen nicht! Wenn ihr nur wollt, dann könnt ihr frei sein
wie wir und dürft euern Honig für euch selbst behalten. Aber
ihr seid zu feige, euch wider den Menschen aufzulehnen und in
die Freiheit zu ziehen!“
Als die Wespen plötzlich den Imker daherkommen sahen,
riefen sie: „Nun wollen wir euch einmal zeigen, wie man Honig-
räuber strafen muß!“' Und sie fielen über den Mann her, um ihn
zu stechen. Der aber schützte sich schnell vor ihren Stichen, indem
er seine Bienenkappe über den Kopf und starke Handschuhe über
die Hände zog. Dann raffte er, erzürnt über den frechen Angriff,
dürres Gras und Holz zusammen und steckte es auf dem Erdnest
der bösen Wespen in Brand, so daß diese allesamt nebst ihrer
Brut vernichtet wurden. Dabei sagte der Imker: „So soll es allem
unnützen Gesindel ergehen!“
Die Bienen aber hüteten sich wohl, dem Rate der Verführer
zu folgen. Sie blieben, was sie waren: fleißige Bienen!
66. Von der Fledermaus. Von Hermann Wagner.
Herzblättchens Naturgeschichte. I. Bändchen. Glogan o. I. S. 107.
Wenn's am Abend finster wird, müssen die kleinen Kinder ins
Haus; — die Fledermaus aber kommt dann heraus.
Den ganzen Tag über hat sie im Schornstein gesteckt oder
sich unter dem Dache aufgehangen, und noch dazu an den Hinter-
beinen, den Kopf nach unten. Das Licht der Sonne war ihr zu
hell, die Luft zu heiß, — sie kann nur die Dämmerung und die
Kühle des Abends vertragen.
Wenn's dunkel wird, kommen auch allerlei kleinere Tiere zum
Vorschein, vielerlei kleines Diebsgesindel, das sich bei Tage nicht
gern sehen läßt. Aus ihren Verstecken kriechen die Motten hervor,
welche die Tuchkleider und Pelzsachen zernagen. Es kommen die
Käfer zum Vorschein, die das Holzwerk im Hause und die Knospen
der Obstbäume fressen. Sie wollen ihren Abendspaziergang machen
und meinen, es sähe sie keiner. Die Fledermaus kann aber in der
Dämmerung sehr gut sehen, und ihre Ohren sind so lang wie fast
der ganze übrige Körper. Mit diesen Werkzeugen hört sie das
feinste Geräusch. Sie hat verhältnismäßig die längsten Finger auf
der Welt; doch braucht sie dieselben nicht zum Stehlen, sondern
zum Fliegen. Schon als sie noch ganz jung war, hat ihre Mutter
62
seht auch nicht alle so aus, daß jeder von euch über seine
Photographie besonders glücklich sein könnte. Überdies ist der
Geschmack verschieden.
Was soll ferner das alberne Gerede von meiner Giftigkeit?
Die ihr so sehr mit eurer Vernunft und Einsicht prahlt, ihr solltet
doch endlich dahintergekommen sein, daß ich weder Gift führe
noch überhaupt imstande bin zu verwunden. Aber was helfen mir
und meinen wenigen Freunden unter euch alle Beteuerungen!
Kaum lasse ich mich sehen, so heißt es: „Hu, hu! ’ne Kröte!
Nimm dich in acht! Sie beißt, sie sticht durch die Stiefel! Sie
ist fürchterlich giftig!“ —Dann sagt unsereins: „Ich geh ja schon,
ich geh ja schon! Laß mich doch nur am Leben!“ Aber das
schnelle Weglaufen ist nicht unsere starke Seite; ehe man sich’s
versieht, hat man mit Stöcken und Steinen sein Teil bekommen,
oder man wird mit der Feuerzange gepackt und über den Zaun
geworfen, daß einem Hören und Sehen vergeht und man für sein
ganzes Leben einen Schaden davonträgt.
Solches erdulden wir armen Kröten, obgleich wir euch als die
sorgsamsten Gärtnerinnen dienen, indem wir von euren Gemüsen
und Salaten das Gewürm herunterschmausen. Was, glaubt ihr
wohl, würden die kleinen Schnecken täglich von eurem Kohl ver-
zehren, wenn ich nicht die Schnecken vertilgte? Etwa so viel, daß
euer drei oder vier davon eine Mahlzeit hätten, und es würde noch
ein Schüsselchen voll für einen gerade vorbeikommenden Hand-
werksburschen übrig bleiben. — Was kann ich manchmal in
Schnecken leisten! Die ersten paar Dutzend ess’ ich nur für den
Hunger. Erst wenn ich beim dritten oder vierten Dutzend bin,
sag’ ich: „Jetzt komm’ ich in den Geschmack! Die Schneckchen
sind feist und munden nicht übel. Will doch sehen, ob ich’s nicht
bis auf hundert bringe!“
Ich habe nun wohl genug gesprochen. Es macht mir wahrlich
kein Vergnügen, mich selber zu rühmen; aber ich werde auch gar
zu schlecht behandelt! Eure Vorfahren hielten mich für ein ver-
zaubertes Prinzeßchen. Wie es sich auch in der Tat damit ver-
halte, dieser Glaube bewirkte wenigstens, daß man freundlich und
liebevoll mit mir umging. Nun, ich glaube, daß die Erde sich
dreht, und daß auch wieder bessere Zeiten für uns Kröten kommen
werden. Nehmt euch meine Worte zu Herzen! Der Himmel er-
halte uns die Geduld, und euch gebe er Einsicht!
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend]]
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