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1. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 40

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
40 H. Oldenberg: Die Götter des Veda. 9. Die Götter des Neda. Aus H. Oldenberg, Die Religion des Veda. Für den vedischen Glauben ist die ganze den Menschen um- gebende Welt beseelt. Himmel und Erde, Berg, Wald, Baum und Getier, das irdische Wasser und das himmlische Wasser der Wolke: alles ist erfüllt von lebendigem, dem Menschen bald freundlichem, bald feindlichem Geisterdasein. Unsichtbar oder in sichtbarer Ver- körperung umgeben und umschweben Scharen von Geistern die menschlichen Wohnungen, tierförmige oder mißgestaltete Kobolde, Seelen verstorbener Angehöriger und Seelen von Feinden, bald als geistige Beschützer, häufiger als Krankheit und Unheil bringende, Blut und Kraft aussaugende Schadenstifter. Beseeltheit kommt selbst dem von Menschenhand verfertigten Gegenstand zu, dessen Funktionen als freundlich oder feindlich empfunden werden. Der Kämpfer bringt dem Gott Streitwagen, dem Gott Pfeil, der Trommel, der Pflüger der Pflugschar, der Spieler den Würfeln seine Verehrung dar; der Opferer verehrt den Preßstein, der den Soma preßt, und die Streu, ans der die Götter sich niederlassen, den Pfahl, an den das Opfer- tier gebunden wird, und die göttlichen Thore, durch welche die Götter hervorkommen, um das Opfer zu genießen. Bald sind es eigentliche Seelenwesen, welche der Mensch sich gegenüberstehend fühlt, bald werden vielmehr, dem Fortschritt der Weltauffassnng entsprechend, Substanzen oder Fluida vorgestellt, die. mit charakteristischer Wirkungs- weise ausgestattet, Heil oder Unheil bringen: zwischen der einen und der anderen Auffassung spielt der Glaube hin und her. Die Kunst, das Wirken dieser Seelenwesen, das Spiel dieser Substanzen und Kräfte sich zum Heil zu wenden, ist mehr Zauberei als eigentlicher Kultus. Die Grundlagen des hier geschilderten Glaubens und Zauberwesens sind ein Erbteil aus fernster Vergangenheit, aus einer auch von den Vorfahren der Jndogermanen durchlebten Zeit, wie wir uns kurz ausdrücken dürfen, schamanistischen Geister- und Seelen- glan bens, schamanistischen Zanberwesens. Ans diesem Hintergründe nun tritt die Welt der höheren Götter, des reineren Kultus hervor. Jene Götter tragen, nicht überall und nicht in jedem Falle gleich stark ausgeprägt, im ganzen aber unbe- dingt vorherrschend, den Charakter des Anthropomorphismus. Sie sind zu mächtiger Größe und Herrlichkeit gesteigerte Menschen, mit menschlichen Leidenschaften, zwar nicht wie die Menschen dem Tode unterworfen, aber geboren wie Menschen. So waren schon die Götter des indogermanischen Volks gestaltet, wenigstens in den Perioden, welche der Völkertrennung näher vorangingen: man denke an den Vater Himmel, an den heldenhaften Gewittergott, an die jugendlich

2. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 100

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
100 u. v. Wilamowitz-Möllendorf: Das Wesen der Sage. sophischen Sinn; man kann auch sagen, er sucht den Gott in der Geschichte. So tritt in die verworrene Masse der ordnende Gedanke von Schuld und Strafe, vom endlichen Sieg der besseren Sache oder auch der größeren Tüchtigkeit. Das mag oft die Apologie des Er- folges oder doch der Begehrlichkeit sein, und befriedigend ist diese wie jede Teleologie nur für die von vornherein Zustimmenden. Es muß der ordnende Prozeß deshalb immer von neuem begonnen werden, sobald die Sittlichkeitsbegriffe, die Erkenntnis des Thatsächlichen und das tsxog selbst sich verschoben haben. Aber das geht in alle Zeiten weiter. Jede Geschichtschreibung, die lebendig wirken will, muß den Gott in der Geschichte aufzeigen, mag sie nun Ahriman oder Ormuz, nqovoia oder ri’xy in ihr finden. Die Sage wird aber mit nichten durch die geschichtlichen Er- innerungen ausgefüllt. Wie der Rechtssatz: „die Rache ist mein, spricht der Staat, ich werde richten" in einem paradigmatischen Falle ausgesprochen wird, so geschieht es mit den sittlichen Erfahrungen und Grundsätzen des Volks. Die Sprichwörter sind nach Aristoteles Reste alter Weisheit: sie sind in der That häufig nur der Rest einer exemplifikatorischen Geschichte, eines Epiloges, den sie ja auch noch oftmals an sich tragen. Es verkehrt das thatsächliche Verhältnis, wenn man meint, die Fabel wäre später als das fabula docet. Die Moral ist der Gehalt der Fabel, aber dieser wird ursprünglich nur in der Form einer Geschichte ausgesprochen, und die kahle Sentenz ist erst aus dieser abstrahiert. Und gewonnen werden die moralischen Sätze zunächst auch aus der Welt, den Kapiteln des Buches, zu denen sie uns die Überschriften sind. Ob die Bäume oder die Tiere, die Götter oder die Menschen Träger der Handlung sind, macht keinen Wesensunterschied. Fabel und Novelle und Märchen, wie wir die verkümmerten Überreste nennen, sind Reiser an demselben Stamme. Und es ist nur ein quantitativer Unterschied, wenn sich eine solche Conception der Volksmoral bis in die hohen Himmel hebt, der Satz: „seid dankbar" von Jxion auf seinem feurigen Rade verkündet wird, wenn Vorbedacht und Nachbedacht zwei Titanen werden und der hehre Glaube, daß Menschenwürde nicht der Götterhöhe weicht, sich in der Gestalt des Herakles verkörpert. Insoweit die schöpferische Thätigkeit der Volksphantasie sich also mit der Produktion des ein- zelnen Dichters deckt, darf sie wohl bei denen auf ein Verständnis rechnen, welche dieser nachzudenken vermögen. Schwierig dagegen ist es, das Verhältnis der Sage zu den Göttern und der Religion zu erfassen. Wenn die paradigmatische Sage Götter oder Dämonen einführt, so thut sie das nicht anders, als wenn sie nach Menschen oder Tieren greift. Sie verwendet alles, was sie hat, aber es muß eben schon vorhanden sein. Dabei kann

3. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 71

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
K. Lehrs: Die Nymphen. 71 und eründsamer Tanzmeister, mit seinen Gemsenfüßen leicht und sicher über die Bergkuppen schreitend, wobei er sich gelegentlich ein Wild abfängt, nicht minder über die Wellen des Meeres, ein Virtuos auf der Syrinx, daß, wenn er ausspielt, die Nymphen gern dazu tanzen, wie der Landmann bei ländlicher Stille ihn zu hören glaubt, ein Freund und Segner der Bergherden; — aber sehr schlimm, wenn er z. B. in der Mittagsschwüle in seinem Mittagsschlafe durch Lärmen gestört wird, ja, wenn er zürnt, Wahnsinn und wahnsinnigen, ohne Veranlassung plötzlichen, panischen Schrecken einjagend. Dieser Glaube ist ja wohl verständlich aus den Wahnbildern, mit denen die Einsamkeit und die unsteten Schatten der Wälder, die wunder- lichen Geräusche und phantastischen Baumgestalten erschrecken, un- heimliche Figuren zu sehen und unheimliche Stimmen zu hören geben; und dazu die ganze wildartige Natur des Gottes. Da er nun den Kriegsheeren oft solchen Schrecken einjagte und bei einigen großen Gelegenheiten, welche die Überlieferung wach erhielt, die feindlichen Heere Griechenlands also gescheucht, so erschien er auch als ein kriegs- mächtiger, im Kriegsgetümmel gern gegenwärtiger Gott: spät, als die Naivetät in den Religionsvorstellungen nicht mehr verstanden ward, als ein mystischer großer Naturgott, der große Pan — eine Vorstellung unterstützt vielleicht durch eine Scheinbedeutung seines Namens, aus welchem man das griechische Wort des „Alls" zu hören glaubte, jenes Wort, das auch der Laie wohl aus dem Eleatenspruchk „eins ist das All" in griechischer Gestalt vernommen hat. In Wahr- heit hat sein Name damit nichts zu thun. Wenn auch einfach bisweilen, wie in Platos Phaedrus, Be- geisterung von ihm abgeleitet wird, so geschah das nach demselben Gefühl, wonach diese von den Nymphen hergeleitet wurde. Der Nymphenbegeisterung schreibt Sokrates es zu, als er unter der herrlichen Platane neben der lieblichen, kalten Quelle an einem Platze, den er auch durch Bilderchen und Weihgeschenke als einen heiligen Platz der Nymphen und des Achelous zu erkennen glaubt, seine Rede über die Liebe hält und plötzlich sich wie von einem Redeströme fortgerissen ertappt. „Doch, mein lieber Phädrus, kommt es dir vor wie mir, daß eine göttliche Wirkung über mich gekommen?" . . . „In Wahrheit, göttlich scheint dieser Ort. Darum, wenn ich wieder- holt im Laufe der Rede „nymphenerfaßt" werde, wundre dich nicht! Ich spreche ja schon nahe wie Dithyramben." Und als sie dann im Vergleich seines Vortrags mit der Rede des Lysias, welchem er eben diese andre entgegenstellt, die seinige viel kunstgerechter stnden, ruft er aus: „wie viel kunstreicher sind zur Beredsamkeit die Nymphen, des Achelous Töchter, und Pan, des Hermes Sohn, als Lysias, der Sohn des Kephalos".

4. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 79

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
E. Rohde: Herkunft und Bedeutung des griechischen Dionysoskultes. 79 Kult der thrakischen Dionysosdiener stammt die Begeisterungsmantik, jene Art der Weissagung, die nicht auf zufällig eintreteude und von außen herantretende, mannigfach deutbare Zeichen des Götterwillens warten muß, sondern sich unmittelbar, im Enthusiasmus, mit der Götter- und Geisterwelt in Verbindung setzt und so in erhöhetem Geisteszustand die Zukunft schaut und verkündet. Nur allmählich hat sich in Griechenland der Dienst des Dio- nysos Geltung errungen. Von Kämpfen und Widerstand gegen den fremden und fremdartigen Kult berichten mancherlei Sagen. Was uns von dem Widerstand der Töchter des Minyas in Orchomenos, des Proitos in Tiryns, der Könige Pentheus von Theben, Perseus von Argos gegen die eindringende dionysische Kultweise erzählt wird und was den Ausgang und die Spitze der meisten jener Erzählungen bildet: wie die Widerstrebenden selbst, von um so wilderer Manie überfallen, in bakchischem Wahnsinn statt des Opfertiers die eignen Kinder erwürgen und zerreißen oder (wie Pentheus) selbst den rasenden Weibern als Opfertier gelten und von ihnen zerrissen werden — das sind freilich nur Sagen von der Art der vorbildlichen Mythen, durch welche einzelne Vorgänge des Gottesdienstes, sei es in der Erinnerung lebende oder gar noch in der Wirklichkeit übliche Opfer eines Menschen an dionysischen Festen, ein Vorbild und rechtfertigende Erklärung an einem für geschichtlich wahr genommenen Vorgang der Sagenzeit gewinnen sollen. Dennoch liegt ein Kern geschichtlicher Wahr- heit iu diesen Erzählungen. In ihnen allen ist die Voraussetzung, daß der dionysische Kult aus der Fremde und als ein Fremdes in Griechenland eingedrungen sei. Wie diese Voraussetzung offenkundig dem thatsächlichen Verlauf der Ereignisse entspricht, so kann es auch nicht leere Erdichtung sein, was die Sage, hieran unmittel- bar anschließend, von dem heftigen Widerstand, den dieser und eben nur dieser Kult an mehreren Stellen Griechenlands gefunden habe, berichtet. Wir müssen anerkennen, daß in solchen Sagen sich geschicht- liche Erinnerungen erhalten haben, in die Form gekleidet, welche alle älteste griechische Überlieferung annimmt, die mythische, die alle Ereignisse der Wirklichkeit und ihre Zufälligkeiten zu Typen von vorbildlicher Allgemeingültigkeit verdichtet. Nicht ohne Widerstand also scheint sich, von Norden her nach Böotien, von Böotien nach dem Peloponnes vordringend, der dio- nysische Kult ausgebreitet zu haben. In Wahrheit müßte man, auch wenn keinerlei Berichte uns hiervon redeten, voraussetzen, daß unter Griechen ein tief gewurzelter Widerwille sich gegen den ver- wirrenden Taumel des thrakischen Kultes gewehrt, die Abneigung ursprünglichen Instinktes sich gesträubt haben werde, in diesen über- schwenglichen Erregungen sich ins Grenzenlose der Empfindung zu

5. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 81

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
E. Rohde: Herkunft und Bedeutung des griechischen Dionysoskultes. 81 den „Bakchen" des Euripides der Zauberdunst enthusiastischer Erregung entgegen, wie er sinnverwirrend, Bewußtsein und Willen bindend jeden umfing, der sich in den Machtbereich dionysischer Wirkung ver- irrte. Wie ein wütender Wirbel im Strome den Schwimmenden, wie die rätselhafte Eigenmacht des Traums den Schlafenden, so packt ihn der Geisterzwang, der von der Gegenwart des Gottes ausgeht, und treibt ihn, wie er will. Alles verwandelt sich ihm, er selbst scheint sich verwandelt. Jede einzelne Gestalt des Dramas verfällt, wie sie in diesen Bannkreis tritt, dem heiligen Wahnsinn; noch heute lebt iu den Blättern des Gedichtes etwas von der Macht der Seelen- überwältignng dionysischer Orgien und läßt eine Ahnung von diesen fremdartigen Zuständen in den Leser übergehen. Es ist eine auf griechischem Boden und aus griechischer Sinnes- weise heraus vollzogene Fortbildung des altthrakischen Aufregungs- kultes, daß die schwärmerischen Nachtfeiern des thrakischen Gottes wie die mit Tanz und Musik begangenen Weihefeste der phrygischen Gottheiten auch der „Reinigung" der ekstatisch aufgeregten Seele dienen. Die Reinigung geschieht auch hier durch Aufstachelung der Seele zum Übermaß religiöser Erregung; als „Bakcheus" weckt Dionysos den heiligen Wahnsinn, den er selbst durch dessen höchste Steigerung zuletzt als Lysios, Meilichios der Lösung und Besänfti- gung zuführt. Die Sage setzt in vorbildlich bedeutender Erzählung diese vollendende Ausbildung des dionysischen Dienstes in fernste Vorzeit. Schon hesiodische Gedichte erzählten, wie die Töchter des Königs Proitos von Tiryns in dionysischem Wahnsinn durch die Gebirge des Peloponnes schweiften, zuletzt aber samt den zahlreichen Weibern, die sich ihnen angeschlossen hatten, geheilt und „gereinigt" wurden durch Melampus, den sagenberühmten pythischen Seher. Melampus hebt den dionysischen Dienst und seinen Enthusiasmus nicht auf, er regelt und vollendet ihn vielmehr; darum kanu er dem Herodot als Begründer des dionysischen Kultes in Griechenland gelten. Dabei kennt die Sage diesen „Begründer" der dionysischen Feste durchaus als einen Anhänger apollinischer Religionsweise; „dem Apoll besonders lieb", hat er von Apoll die Sehergabe em- pfangen, die sich in seinem Geschlechte vererbte. In ihm stellt die Sage, typisch gestaltet, eine Versöhnung des Apollinischen und Dionysischen dar, die als Thatsache völlig der Geschichte, wenn auch nicht der Geschichte uralter Zeit, angehört. Denn Apollo trat, wohl nach längerem Widerstreben, in engen Bund mit dem so verschieden gearteten göttlichen Bruder, dem griechisch gewordenen Dionysos. In Delphi muß der Bund geschlossen sein. Dort ja, aus den Höhen des Parnaß, an der korykischen Höhle, fand zur Zeit der Wintersonnenwende jedes zweiten Jahres Hhz. und Spieß. Lesebuch für Ober-Sekunda. ß

6. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 72

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
72 K. Lehrs: Die Nymphen. Dem ironischen Sokrates trauen wir zwar niemals, indessen seiner deutlich hier durchschimmernden Auffassung von der begeisternden Macht der Nymphen treten wir ohne Bedenken bei. Die Einsamkeit vom Menschengewühl und der Hauch der Natur ward in erhebender und begeisternder Wirkung empfunden. Daß prophetische Aufregung und Eingebung höherer Gottes- kunde von den Nymphen ausgehe, damit war der griechische Volks- glaube vertraut. So z. B. auch machte man den Epimenides des- halb, wie Plutarch sagt und wir glauben, zu dem Sohn einer Nymphe, so Sibyllen; und die bekannten Weissagungen des Bakis schrieb man der Eingebung der Nymphen zu. Jenes Wort „nymphenerfaßt" für Begeisterte und Verzückte haftete als ein gangbares in der Sprache. Die Eingebungen der Dichter auf die Nymphen zurückzuführen, ist bei den Dichtern der blühenden Zeit eben nicht gebräuchlich gewesen. Daß man aber musische Eingebungen der Hirten leicht auf diese nächsten Freundinnen und Nachbarinnen der im Freien lebenden Hirten zurückführte, ist nach dem Besprochenen natürlich. Daher, wiewohl Theokrits Hirtendichter die Musen sehr wohl kennen und anrufen: „Hebet, ihr lieben Musen, o hebt den Hirtengesang an" und so fort, so läßt er doch auch einen von ihnen sagen: „auch mich haben die Nymphen auf den Bergen viel herrliche Lieder gelehrt". Virgil als Hirtendichter ruft einmal die syrakusische Quellnymphe Arethusa ganz wie seine Muse an. Allein auch abgesehen von der Hirtenmuse tritt nun bei den römischen Dichtern der Gedanke der poetischen Begeisterung durch die Natur auf eine merkwürdige Weise in den Vordergrund, und es bildet sich um sie eine Dekoration ans allen Naturelementen und Naturstätten, welche in Griechenland in Verbindung mit den Göttern der Poesie und Prophetie zu sinden waren. Und da treffen wir denn gleich in der ersten Ode des Hvraz unter den Göttern, denen man die Begeisterung des höheren lyrischen Gedichts, im kühlen Walde, abzuhorchen habe, die Nymphen — nach Vossens Übersetzung, welche den Ton trifft: Mich hat Epheu, der Kranz edler Begeisterung, Himmelsmächten gesellt; mich hat der kühle Hain Und die Nymphen, im Chor schwebend mit Satyren, Abgesondert vom Volk: falls mir den Flötenhall Nicht Euterpe versagt noch Polyhymnia Lesbos tönendes Spiel mir zu besaiten flieht. Wobei wir sogleich uns erinnern, daß nach Horaz an einer schönern Stelle ja „die Wasser es sind, welche das fruchtbare Tibur durchströmen, und der Wälder dichtes Laub, welche den bilden, der durch äolisches Lied (d. h. also durch höhern lyrischen Gesang) be- rühmt wird". Nun finden wir die römischen Dichter immer in

7. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 78

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
78 E. Rohde: Herkunft und Bedeutung des griechischen Dionysoskultes. artigen Gestalten aus dem Geisterreiche vorbereitet. Zugleich aber ist es mehr als ein Schauspiel: denn man kann nicht daran zweifeln, daß die Schauspieler selbst von der Illusion des Lebens in einer fremden Person ergriffen waren. Die Schauer der Nacht, die Musik, namentlich jene phrygischen Flöten, deren Klängen die Griechen die Kraft zuschrieben, die Hörer „des Gottes voll" zu machen, der wirbelnde Tanz — dies alles konnte in geeigneten Naturen wirklich einen Zustand visionärer Überreizung hervorbringen, in dem die Be- geisterten alles außer sich sahen, was sie in sich dachten und vor- stellten. Berauschende Getränke, deren Genusse die Thraker sehr er- geben waren, mochten die Erregung erhöhen, vielleicht auch der Rauch gewisser Samenkörner, durch den sie wie die Skythen und Massageten sich zu berauschen wußten. Man weiß ja, wie noch jetzt im Orient der Haschischrausch Visionäre macht und religiöse Verzückungen erregt. Die ganze Natur ist dem Verzückten verwandelt. „Nur in der Be- sessenheit schöpfen die Bakchen aus den Flüssen Milch und Honig nicht aber wenn sie wieder bei sich sind", sagt Plato. Honig und Wein strömt ihnen die Erde; Syriens Wohlgerüche umduften sie. Zu der Hallucination gesellt sich ein Zustand des Gefühls, dem selbst der Schmerz nur ein Reiz der Empfindung ist, oder eine Empfin- dungslosigkeit gegen den Schmerz, wie sie bisweilen solche überspannte Zustände begleitet. Alles stellt uns eine gewaltsame Erregung des ganzen Wesens vor Augen, bei der die Bedingungen des normalen Lebens aufgehoben schienen. Man erläuterte sich diese aus allen Bahnen des Gewohnten schweifenden Erscheinungen durch die Annahme, daß die Seele dieser „Besessenen" nicht „bei sich" sei, sondern „ausgetreten" aus ihrem Leibe. Wörtlich so verstand es der Grieche ursprünglich, wenn er von der „Ekstasis" der Seele in solchen orgiastischen Reizzuständen sprach. Diese Ekstasis ist „ein vorübergehender Wahnsinn", wie der Wahnsinn eine dauernde Ekstasis ist. Aber die Ekstasis, die zeit- weilige alienatio ruentis im dionysischen Kult, gilt nicht als ein ffatterndes Umirren der Seele in Gebieten eines irren Wahnes, sondern als eine Hieromanie, ein heiliger Wahnsinn, in welchem die Seele, dem Leibe entflogen, sich mit der Gottheit vereinigt. Sie ist nun bei und in dem Gotte, im Zustand des „Enthusiasmos"; die von diesem Ergriffenen sind sv&eoi, sie leben und sind in dem Gotte. In der Ekstasis, der Befreiung der Seele aus der beengenden Haft des Leibes, ihrer Gemeinschaft mit dem Gotte, wachsen ihr Kräfte zu, von denen sie im Tagesleben und durch den Leib gehemmt nichts weiß. Wie sie jetzt frei als Geist mit Geistern verkehrt, so vermag sie auch, von der Zeitlichkeit befreit, zu sehen, was nur Geisteraugen erkennen, das zeitlich und örtlich Entfernte. Aus dem enthusiastischen

8. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 82

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
82 E. Rohde: Herkunft und Bedeutung des griechischen Dionysoskultes. die trieterische Nachtfeier des Dionysos statt, in der Nähe des über Delphi herrschenden Apollo; ja, in dessen eignem Tempel zeigte man das „Grab" des Dionys, an dem, während die Thyiaden auf den Bergen schwärmten, apollinische Priester eine geheime Feier begingen. Das delphische Festjahr war, zu ungleichen Teilen zwar, zwischen Apoll und Dionys geteilt. Dionysos hatte festen Fuß in Delphi ge- faßt; so eng war die Gemeinschaft der Götter, daß die Giebelfelder des Tempels wie vorn den Apoll so hinten den Dionys, und zwar den Dionys der ekstatischen nächtlichen Bergfeiern zeigten. Es war im Altertum unvergessen, daß in Delphi, dem strahlen- den Mittelpunkt seines Kultes, Apollo ein Eindringling war; unter den älteren Göttergewalten, die er dort zurückdrängte, wird auch Dionysos genannt. Aber die delphische Priesterschaft lernte die Nachbarschaft des ihrem Gotte ursprünglich so fremdartigen ekstatischen Kultes des thrakischen Gottes ertragen; er mag zu lebenskräftig ge- wesen sein, um gleich der Verehrung der im Traume Weissagung spendenden Erdgottheit sich beseitigen zu lassen. Apoll wird der „Herr in Delphi", aber die Priesterschaft des delphischen Apollo nimmt ganz gemäß dem Streben nach religiöser Universalität, das unverkennbar in ihr lebendig ist, den dionysischen Kult in ihren Schutz. Das delphische Orakel ist es gewesen, das den Kult des Dionysos in Landschaften eingeführt hat, denen er bis dahin fremd gewesen war, nirgends erfolgreicher und folgenreicher als in Attika. Diese Förderung der dionysischen Religionsweise durch die in reli- giösen Dingen unter Griechen mächtigste Körperschaft hat jedenfalls mehr als alles andere beigetragen, dem Gotte und seiner Verehrung jene weite Verbreitung und tiefe Einwurzelung in griechischem Reli- gionswesen zu geben, von der die homerischen Gedichte, die ja auch von dem Einfluß des delphischen Orakels noch sehr wenig wissen, nichts spüren ließen. Aber es war, wie schon bemerkt, ein gemilderter, gesittigter, ans der Überschwenglichkeit ekstatischer Entzückung zu der gemüßigten Empfindung bürgerlichen Tageslebens und der heiteren Helle ländlicher und städtischer Festseier hinübergeleiteter Kult des Dionysos, den das delphische Orakel verbreiten und wohl selbst aus- gestalten half. Bei aller Zähmung und Mäßigung seines äußeren Gebarens blieb dem dionysischen Kulte als unterster Grund seines Wesens ein oft drohend oder lockend hervorscheinender Zug ins ekstatisch Überschwengliche. Und so mächtig war noch bei der Verschmelzung apollinischer und dionysischer Religion, wie sie in Delphi sich voll- zog, der ekstatische Trieb in dem dionysischen Wesen, daß von ihm etwas in den ursprünglich aller Ekstase urfremden apollinischen Kult hinüberfloß.

9. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 84

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
84 E. Rohde: Herkunft und Bedeutung des griechischen Dionysoskultes. sager" (kr. 341). Nun ist es Apollo, der vor andern Göttern die „Raserei" in menschlichen Seelen hervorruft, der sie hellsichtig macht und das Verborgene erkennen läßt. An nicht wenigen Orten gründen sich Orakelstätten, an denen Priester oder Priesterinnen in rasender Verzückung verkünden, was ihnen Apollo eingiebt. Vorbild blieb doch das pythische Orakel. Dort wahrsagte die Pythia, eine jung- fräuliche Priesterin, durch den berauschenden Aushauch der Erdspalte, über der sie auf dem Dreifuß saß, erregt und von dem Gotte selbst und seinem Geiste erfüllt. Der Gott, so war der Glaube, fährt in den irdischen Leib, oder die Seele der Priesterin, von ihrem Leibe „gelöst", vernimmt mit Geistersinn die göttlichen Offenbarungen. Was sie dann mit „rasendem Munde" verkündigt, das spricht aus ihr der Gott; wo sie „ich" sagt, da redet Apollo von sich und dem, was ihn betrifft. Was in ihr lebt, denkt und redet, so lange sie rast, das ist der Gott selbst. Aus unerforschten Tiefen muß die Bewegung religiösen Ver- langens mit Macht hervorgebrochen sein, die mitten im Herzen griechischer Religion in der ekstatischen Weissagung der delphischen Seherin einen mystischen Keim einpflanzen konnte. Die Einführung der Ekstase in den geordneten Bestand des delphischen Religions- wesens ist selbst nur ein Symptom einer solchen Bewegung, nicht ihre Ursache. Nun aber bestätigt durch den Gott selbst und die Er- fahrungen, welche die delphische Mantik vor Augen zu rücken schien, mußte wie längst in dionysischem Glauben und Kult auch in echt und ursprünglich griechischer Religion der dieser von Anfang an fremde Glaube sich vollends befestigen, daß ein Zustand der aufs höchste angespannten Empsindung den Menschen über den einge- schränkten Horizont seines gewöhnlichen Bewußtseins zu der Höhe unbegrenzten Schönens und Wissens emporreißen könne, daß mensch- lichen Seelen die Kraft, auf Momente wirklich und ohne Wahn mit dem Leben der Gottheit zu leben, nicht versagt sei. Dieser Glaube ist der Quellpunkt aller Mystik. 16. Die Hellenen und das Volk Israel. Aus E. Curtius, Altertum und Gegenwart Ii. Das Leben ist ein Kampfplatz von Gegensätzen, und wie der einzelne Mensch in diesem Kampfe reift, indem er die Widersprüche, in deren Mitte er gestellt ist, auszugleichen und durch Überwindung derselben zu einer harmonischen Einheit der Persönlichkeit vorzu- dringen sucht, so beruht auch der Fortschritt des Menschengeschlechts

10. Prosalesebuch für Prima - S. 257

1909 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
T G. Rümelin: Über den Zufall. 257 der Gottheit ahnen und erraten zu wollen ist zu allen Zeiten Merk- mal nicht des Glaubens, sondern des Aberglaubens gewesen, das charakteristische Unterscheidungszeichen der monotheistischen und viel- götterischen Religionen. Wenn die glanzvolle Phantasie der Hellenen die Natur mit Göttergestalten belebte, Blitz, Donner und Regen dem Vater Zeus, die Stürme des Meeres, das Erdbeben des Festlandes dem erderschütternden Dreizack des Poseidon zuwies, Flüsse und Bäche, Wald und Flur, Berge, Pflanzen und Tiere als Sitz und Herrschafts- gebiete von Nymphen und Najaden, Faunen und Satyrn, Dryaden und Oreaden oder verwandelten Menschen und Heroen ansah, so waren alle Naturerscheinungen Tätigkeiten von belebten Wesen und für den Zufall kein Platz übrig. Keine Religion aber schließt so entschieden jede Macht des blinden Zufalls aus als der Fatalismus des Islam, der ausnahmslos in allem, was ge- fchieht, den unabänderlichen und jeder menschlichen Einwirkung verschlossenen Willen Allahs erblickt. Erst der Christenglaube, so viel Aberglauben er neben sich stehen und wuchern lassen mußte und so verschiedene Auffassungen sich auch in diesem Punkte nebenein- ander behaupten und bestreiten, hat den Geschöpfen, Natur und Menschheit, neben dem Schöpfer einen gewissen Spielraum freier Betätigung ihrer Kräfte und Triebe zugestanden. Dies zeigt aufs deutlichste der allen Naturreligionen fremde jüdisch-christliche Wunder- begriff, in dem er ein selbständiges Walten alles Geschaffenen als feste Regel voraussetzt, in welche die Hand Gottes nur ausnahms- weise und für außerordentliche Zwecke eingreift. Das Bestreben, von der Gottheit die Verantwortung auch für Sünde und Elend fern- zuhalten, ging so weit, daß man ihr nicht das volle und ausschließ- liche Weltregiment zuwies, sondern ihr, wenn auch in untergeordneter Stellung, ein Reich des Satans und der Finsternis an die Seite setzte. Wenn dieser Teil überlieferter Meinungen vielleicht mehr als irgend ein anderer der modernen Weltanschauung entschwunden sein mag, so folgt daraus nicht, daß nicht doch dem Menschen und aller Kreatur ein Bereich nicht vorausbestimmter, unberechenbarer Be- weglichkeit gelassen sei. Wenn die Christenheit der Meinung wäre, daß schon ohnedies nichts in der Welt ohne den göttlichen Willen geschehen könne, würde sie nicht in alltäglichem Gebet die Bitte stellen, daß doch der Wille Gottes geschehen möge wie im Himmel also auch aus Erden. Man darf sagen, das Christentum, indem es die Natur- vergottung, den Pantheismus und Fatalismus ausschließt, habe dem Begriff des Zufalls das zuvor verschlossene Tor erst ausgemacht. Ich habe mich bemüht, sowohl die philosophischen als die reli- giösen Gründe für den Ruf: es gibt keinen Zufall, zurückzuweisen. Hhz., Lesebuch für Prima. 1?
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