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1. Geschichtliches Lesebuch - S. 12

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
12 I. v. Treitschke, Belle Alliance. mußte zu Pferde davonjagen, obgleich er sich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen scharten sich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht verloren gegangen, die übrigen wurden allesamt gerettet. Niemals in aller Geschichte war ein tapferes Heer so plötzlich aus allen Fugen gewichen. Nach der übermenschlichen Anstrengung des Tages brach alle Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zusammen; das Dunkel der Nacht, die Übermacht der Sieger, der umfassende Angriff und die rastlose Verfolgung steigerten die Verwirrung. Entscheidend blieb doch, daß diesem Heere bei all seinem stürmischen Mute die sittliche Größe fehlte. Was hielt diese Meuterer zusammen? Allein der Glaube an ihren Helden. Nun dessen Glücksstern verbleichte, waren sie nichts mehr als eine zuchtlose Baude. Die Sonne war schon hinter dicken Wolken versunken, als die beiden Feldherren eine Strecke südlich von dem Hofe von Belle Alliance mit einander zusammentrafen; sie umarmten sich herzlich, der bedachtsame Vierziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneifenau. Endlich doch ein ganzer und voller Sieg, wie er ihn so oft vergeblich von Schwarzenberg gefordert; endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener entsetzlichen sieben Jahre! Es sang und klang in seiner Seele; er dachte an das herrlichste der friderieiani-schen Schlachtfelder, das er einst von seiner schlesischen Garnison aus so oft durchritten hatte. „Ist es nicht gerade wie bei Leuthen?" — sagte er zu Bardeleben und sah ihn mit strahlenden Augen an. Und wirklich, wie einst bei Seuchen bliesen jetzt die Trompeter das Nun danket Alle Gott! und die Soldaten stimmten mit ein. Aber Gneisenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todesangst eines geschlagenen Heeres, die dämonische Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angesehen. Noch gründlicher als einst an der Katzbach, sollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben", rief er aus, „gezeigt wie man siegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt." Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Geratewohl in das Dunkel der Nacht hineinzuschießen, damit der Feind nirgends Ruhe fände. Er selber nahm was von Truppen zur Hand war mit sich, brandenbnrgische Ulanen und Dragoner, Infanterie vom 15. und 25. und vom 1. pommerfchen Regimente; Prinz Wilhelm der Ältere, der die Reservereiterei des Bülowschcn Corps geführt, schloß sich ihm an.

2. Geschichtliches Lesebuch - S. 14

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
14 I. v. Treitschke, Belle Alliance. ruht mit Sicherheit das Glück Eures Königs und seines Hauses. Nie wird Preußen untergehen, wenn Eure Söhne und Enkel Euch gleichen!" An Stein schrieb er einfach: „Ich hoffe, mein verehrter Freund, Sie sind von mich zufrieden" und sprach die Hoffnung aus, seine alten Tage als Steins Nachbar „in Ruhe aufs Land zu verleben". Er befahl, die Schlacht zu nennen nach dem sinnvollen Namen des Hofes La Belle Alliance, wo die beiden Sieger „durch eine anmuthige Gunst des Zufalls" zusammengetroffen waren — „zum Andenken des zwischen der britischen und preußischen Nation jetzt bestehenden, von der Natur schon gebotenen Bündnisses, der Bereinigung der beiden Armeen und der wechselseitigen Zutraulichkeit der beiden Feldherren". Wellington ging auf den schönen Gedanken, der beiden Völkern die verdiente Ehre gab, nicht ein. Die Schlacht sollte als sein Sieg erscheinen, darum taufte er sie auf den Namen des Dorfes Waterloo, wo gar nicht gefochten wurde; denn dort hatte er am 17. Juni übernachtet, und von Spanien her war er gewohnt die Stätten seiner Siege mit dem Namen seines letzten Hauptquartiers zu bezeichnen. Während Gueiseuaus Schlachtbericht durchaus ehrlich und bescheiden den wirklichen Hergang, soweit er schon bekannt war, erzählte, stellte der Herzog in seinem Berichte die Ereignisse so dar, als ob sein letzter Scheinangriff die Schlacht entschieden und die Preußen nur eine immerhin dankenswerte Hilfe geleistet hätten. Zum Glück wurde von solchen Zügen englischer Bundesfreundschaft vorderhand noch wenig ruchbar. Das Verhältnis zwischen den Soldaten der beiden Heere blieb durchaus freundlich; die tapferen Hochschotten, die auf dem Schlachtfelde den preußischen Vierundzwanzigern um den Hals fielen und mit ihnen gemeinsam das Heil Dir im Siegerkranz! sangen, fragten wenig, wem das höhere Verdienst gebühre.

3. Geschichtliches Lesebuch - S. 19

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
Ii. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 19 fehler des damaligen europäischen Liberalismus, daß sie in ihrem Eifer um das individuelle Recht die Notwendigkeit einer starken Staatsmacht, gerade zum Schutze jenes Rechts gegen das Versinken in freiheitsmörderische Anarchie, verkannten, und deshalb auch, wo einmal die Probe gemacht wurde, sich ungeschickt zu gedeihlicher Lenkung der Regierung zeigten. Durch dies alles können aber ihre großen Verdienste in schwerer Zeit nicht verdunkelt werden. In ihren Staaten haben sie, um nur ein Moment anzuführen, mit saurer, unermüdlicher Arbeit den durch lange Willkür und Vergeudung zerrütteten Staatshaushalt wieder zu fester Ordnung und Regelmäßigkeit zurückgeführt. Und, was die Hauptsache ist, wie die Burschenschaften den einen Grundgedanken der Befreiungszeit, die deutsche Einheit, so haben die süddeutschen Kammern den andern, Teilnahme des Volkes an dem öffentlichen Wesen, trotz alles Druckes und aller Niederlagen im Bewußtsein der Nation ein volles Menschenalter hindurch lebendig erhalten, und wir müssen ihnen ein ehrendes Andenken bewahren, wenn wir heute uns dieser hohen Güter in vollem Umfange erfreuen. Damals aber sollten diese Bestrebungen eine schwere Katastrophe erleiden. Fürst Metternich war über sie in jeder Beziehung entrüstet. Um die deutschen Lande nach Habsbnrgs altem Rechte zu beherrschen, ohne zugleich die Pflichten der Herrschaft zu übernehmen, bedurfte er ihrer Zersplitterung. Es giebt, sagte er, keinen verruchteren Gedanken als den, die deutschen Völker in Ein Deutschland zu vereinigen. Schon deshalb war er der Beschützer der fürstlichen Souveränität und Feind jeder Beschränkung derselben durch volkstümliche Regung. Aber alles liberale Wesen war ihm überhaupt im Grunde der Seele verhaßt, weil es, einmal in Deutschland zugelassen, von dort aus das Stillleben Österreichs hätte stören können. Nach den Eindrücken seiner Jugend, wo er den Jubel von 1789 in Frankreich geradeswegs zu der blutigen Diktatur von 1793 hatte führen sehen, flössen ihm die Vorstellungen von Liberalismus, Radikalismus, Kommunismus vollständig ineinander: wenn die Burschenschafter und die liberalen Kammerredner nicht schleunig beseitigt würden, hielt er Deutschland und Österreich der soaaleu Revolution unrettbar preisgegeben. Andere Mittel gegen solche Gefahren als umfassende polizeiliche Repression waren ihm unbekannt. Hier, meinte er, gelte es rasches Durchgreifen für alle deutschen Staaten. Freilich bemerkte er jetzt selbst, daß mit dem schönen Werke seiner Hände, mit dem Bundes-

4. Geschichtliches Lesebuch - S. 29

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
Ii. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 29 Metternich hätte seinen feudalen Verehrern von Herzen noch größere Erfolge gegönnt, vor allem aber erfreute er sich der entscheidenden Thatsache, daß Preußen keine konstitutionelle Monarchie geworden war. Denn wären auch die Befugnisse der 1815 verheißenen Reichsstände beschränkt gewesen, der bloße Name hätte zu einer unberechenbaren Erregung des preußischen Volkes und zu einer gewaltigen Steigerung des preußischeus Ansehens in Süddeutschland ausgereicht. Dort machte aber dem Fürsten bereits der König Wilhelm von Württemberg durch liberale Anwandlungen reichlich Sorge und Verdruß, indem er sich zu dem Plane beinahe öffentlich bekannte, durch echt konstitutionelles Verhalten alle Mittel- und Kleinstaaten gegen die drückende Vormundschaft der beiden Großmächte zu vereinigen und so zu einer deutschen Trias, zur Gründung eines dritten, reinen Deutschland neben den Reichen gemischtes Blutes, Österreich und Preußen, zu gelangen. Wie, wenn nun auch Preußen konstitutionell wurde und dann die durch Württemberg angeregten Stimmungen für sich oder doch gegen Österreich ausbeutete? So war dem Fürsten die Entscheidung Friedrich Wilhelms gegen die Reichsstände eine wahre Herzeuserquickuug, Sofort lud er wieder den Grafen Bernstorff und einige andere vertraute Minister nach Wien, zu gemeinsamen Beschlüssen gegen Württembergs Treiben, welches nicht bloß Kammern und Zeitungen in Bewegung setzte, sondern selbst die heilige Stätte, den Bundestag, zu vergiften begann. Zwar den alten Lieblingsgedanken Metternichs, die deutschen Volksvertretungen unter die Aufsicht der Buudespolizei zu stellen, lehnte Bernstorff auch dieses Mal entschieden ab; Württemberg aber wurde durch diplomatischen Hochdruck unter dem Beistand der fremden Großmächte genötigt, feinen Bnndesgesandten abzuberufen, einige Stuttgarter Zeitungen zu unterdrücken und in demütiger Reue dem schönen Triasgedanken zur Zeit zu entsagen. Metternich erlangte in dieser Frage, was er wollte. Preußen stand nicht an der Spitze des konstitutionellen Deutschland Österreich gegenüber, sondern neben dem absolutistischen Österreich im Gegensatze zu den konstitutionellen Staaten. Auf lange hin war im deutschen Süden jede Spur einer Sympathie mit Preußen, jede Erinnerung an Preußens Verdienste im Befreiungskriege ausgetilgt-Enger als jemals schien Preußen der Politik der heiligen Allianz angeschlossen und dem Einfluß des Fürsten Metternich in hingebender Verehrung unterworfen. Ju Preußen selbst war eine Menge der zuverlässigsten Royalisten empört über diese Abhängigkeit, in die sich

5. Geschichtliches Lesebuch - S. 32

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
32 Ii. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. Zug, daß aller liberale Eifer, alle Verehrung für Cauning, aller Groll gegen die Revolution in den weitesten Kreisen zwar eine gründlich pessimistische Stimmung, keineswegs aber den Drang zu politischer Thätigkeit hervorrief. Man las die Zeitungen, ärgerte sich über die englischen Tories, freute sich 1829 über die Niederlage der türkischen Heere und der österreichischen Diplomatie, ballte die Faust gegen Polignae, besprach das alles mit den guten Freunden und ging dann wieder an das Geschäft oder zu Bette. Es war auch nicht bloß der Druck der Polizei und der Censur, welcher die Menschen so zahm und friedfertig machte. Die große Masse des Volkes begann soeben erst sich aus der Not und Verarmung der Kriegszeit wieder zu einigem Wohlstand empor zu arbeiten; bei den meisten lastete die Sorge um das tägliche Brot schwerer auf den Herzen als der Kummer über den politischen und nationalen Zustand, und auch in den süddeutschen Kammern fand damals eine Verhandlung über Gewerbepolizei aufmerksamere Hörer als eine Klage über Ceusur oder-politische Prozesse. Mit einigem Geschick konnte jede Regierung bei solchen Stimmungen ohne Schwierigkeit die Leitung ihrer Kammern gewinnen. Wohl hielt die liberale Opposition ihr Banner aufrecht, bedeutende Erfolge aber, wie in der ersten Freude der Gründungsjahre, hatte sie nicht aufzuweisen und um so mehr über die Gleichgültigkeit ihrer Mitbürger zu klagen, womit denn zusammenhing, daß ihre hitzigern Köpfe im Urteil immer radikaler und in dem Abscheu gegen den bestehenden Zustand immer grimmiger wurden. Aber einen bemerkbaren Einfluß gewannen sie nicht; soweit der Blick reichte, lag eine tiefe politische Stille über ganz Deutschland.

6. Geschichtliches Lesebuch - S. 38

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
38 Iii. v. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest. beständige Krieg gegen die akademischen Gesetze, worin die Landsmannschaften ihren Ruhm gesucht hatten, jetzt Plötzlich aufhörte; und wie viel edler ward der ganze Ton des akademischen Lebens, seit die Gesänge Arndts und Schenkendorfs auf den Kommersen erklangen und eine ganze Schar junger Poeten, der Holsteiner Binzer voran, immer neue kräftige Burschenlieder aufbrachte. Fast alle die ernsten Lieder, welche der deutsche Student heute zu singen pflegt, sind erst damals aufgekommen; auch das Weihelied der Studenten, der Landesvater, erhielt erst jetzt durch eine glückliche Umarbeitung seinen schönen vaterländischen Sinn. Die christliche Frömmigkeit, die sich allerdings oft prahlerisch zur Schau stellte, war bei beit meisten echt und innig; mancher der jungen Träumer erschien wie verklärt durch die fromme Freude über alle die Wunder, welche Gott an diesem Volke gethan........... Bereits im Sommer 1814 hatte sich in Jena eine Wehrschaft gebildet, die ihre Leute durch ritterliche Übungen für den vaterländischen Waffendienst vorbereitete. Im folgenden Frühjahr traten dann die Mitglieder von zwei Landsmannschaften, die des schalen alten Treibens müde waren, mit einigen Wildert zusammen, und am 12. Juni 1815 ward die neue Burschenschaft, nach altem Jenenser Branch, durch einen feierlichen Aufzug über den Marktplatz eröffnet. An der -Spitze standen zwei Theologen aus Mecklenburg, Horn und Riemauu, und ein begeisterter Schüler von Fries, Scheidler ans Gotha, durchweg stattliche, brave junge Männer, die sich im Kriege tapfer geschlagen hatten. Der erste Sprecher, Karl Horn, der späterhin als Lehrer Fritz Reuters weitereu Kreisen bekannt wurde, blieb bis ins hohe Alter dem Enthusiasmus seiner Jugend treu und starb in dem frommen Glaubeu, daß er mit der Stiftung der Burschenschaft „ein Werk des Herrn" gethan habe. Die neue Verbindung brach sofort mit allen Unsitten des Pennalismus und wurde nach rein demokratischen Grundsätzen durch einen freigewählten Ausschuß und Vorstand regiert; ihr Ehrengericht brachte die Duelle auf eine bescheidene Zahl herab und wachte streng über ehrenhafte Sitte. Schon ein Jahr nach der Stiftung hatten sich alle anderen Verbindungen in Jena aufgelöst, und die Burschenschaft erschien nunmehr wirklich, wie sie es wollte, als ein Bund der gesamten christlichdeutschen Studentenschaft. In diesen ersten Tagen herrschte noch durchaus der gute Ton einer warmen vaterländischen Begeisterung. Welch ein Abstand gegen die Roheit früherer Tage, wenn die

7. Geschichtliches Lesebuch - S. 46

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
46 Iv. v. Sybel, Einwirkung der Julirevolution auf Deutschland. Thränen sich trennte, blieb den meisten eine Erinnerung für das ganze Leben, strahlend wie ein Maientag der Jugend — so gesteht Heinrich Leo; sie hatten sich brüderlich zusammengefunden mit den Genoffen aus Süd und Nord, sie meinten die Einheit des zerriffenen Vaterlandes schon mit Händen zu greifen, und wenn die öffentliche Meinung verständig genug war, die jungen Feuerköpfe sich selber und ihren Traumen zu überlassen, so konnten die guten Vorsätze, welche mancher wackere Jüngling in jenen erregten Stunden gefaßt hatte, noch heilsame Früchte bringen. Iv. Einwirkung der Iulirevolution ans Deutschland. (D. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. München und Leipzig, R. Oldenburg. Neue Ausgabe 1897. Band I. Buch 1. Kapitel 5.) Die Pariser Julirevolution brachte 1830 große Erregung in die äußerlich so ruhigen, innerlich mit tiefem Unbehagen erfüllten Zustände Deutschlands. Im ersten Augenblick befürchtete man von der siegenden französischen Demokratie eine Überflutung aller Grenzen, und auch nach der Thronbesteigung des friedfertigen Louis Philippe dauerte noch längere Zeit die Besorgnis fort, daß die von Lafayette geleitete radikale Partei die Regierung zu einer revolutionären Kriegspolitik fortreißen würde. Weit und breit schien solchen Plänen die Stimmung der Völker entgegen zu kommen. Im September brach in Belgien die holländische Herrschaft zusammen, im November begann der Freiheitskampf Polens gegen Kaiser Nikolaus, im folgenden Februar erhob sich der Aufstand in den Landschaften Mittelitaliens. So an allen Grenzen von dem revolutionären Brande umlodert, begann auch in Deutschland die politische Atmosphäre an zahlreichen Punkten sich zu erhitzen. Kleine Pöbelaufläufe in einigen Städten Rheinpreußens, die von Polizei und Bürgerschaft sofort unterdrückt wurden, eröffneten den

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 104

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
104 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. laut, aufgeklärt, immer feste auf die Weste, immer in der stolzen Zuversicht, daß der richtige Berliner alles macht, was gemacht werden kann. Der Witz ist jederzeit demokratisch, weil er alles gleich stellt. Das erstarkende Selbstgefühl der Massen sprach aus diesen Berliner Sittenbildern ebenso vornehmlich wie einst aus dem Eulenspiegel und den Grobiansschriften des Zeitalters der Reformation. Viii. Das Schattenreich in der Paulskirche. (Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm. Berlin, Grote. 1890. Band I, 2. Buch, 3. Kapitel, [©efürjt.]) Es war am 18. Mai 1848, als in der Paulskirche zu Frankfurt das erste freigewählte Parlament zusammentrat, das von der Nation beauftragt war, die Glocke der deutschen Einheit zu gießen und Leben und Gestalt zu verleihen dem Traume ihrer edelsten Männer von Kaiser und Reich, von Einheit und Freiheit des deutschen Volkes. Kanonendonner und Glockengeläute, wehende Fahnen und jubelnder Willkomm freudig bewegter Volksmafseu begrüßten wie einst so manchen Kaiser des alten Reichs, so jetzt die Gesetzgeber eines neuen deutschen Staates. Lachend stand die Maisonne am Himmel, ein Völkerfrühling der Sühne und Erlösung schien angebrochen, Millionen Herzen zitterten in nie erlebtem Hoffen. Wie einst dem Dichter des Befreiungskrieges, der beim Anblick des befreiten Rheinstromes tiefergriffen rief: „Vaterland, ich muß versinken hier in deiner Herrlichkeit!" — so war den Patrioten zu Mut, die an diesem Tage aus dem Kaisersaal des Römers in feierlichem Zuge zur Paulskirche schritten. Ein Augenblick war eingetreten, dem eine ganze Nation zurief: Verweile doch, du bist so schön! Eine stolze herrliche Versammlung wars, so reich an Wissen und Talent, an Geist und Witz, an Beredsamkeit und Begeisterung, wie

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 107

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. 107 imstande, wenig Worte zu Ihnen zu reden. — Ich gelobe hier feierlich vor dem ganzen deutschen Volke, daß seine Interessen mir über alles gehen, daß sie die Richtschnur meines Betragens sein werden, solange ein Blutstropfen in meinen Adern rinnt; ich gelobe hier feierlich, als das von Ihnen gewählte Organ Ihrer Versammlung, die höchste Unparteilichkeit. Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Berns und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. (Stürmisches Bravo.) Den Beruf und die Vollmacht, dieses Verfassungswerk zu schassen, hat die Schwierigkeit in unsere Hände gelegt, um nicht zu sagen die Unmöglichkeit, daß es auf anderem Wege zustande kommen könnte. Die Schwierigkeit, eine Verständigung unter den Regierungen zustande zu bringen, hat das Vorparlament richtig vorgefühlt und uns den Charakter einer konstituierenden Versammlung vinbiciert. Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen; diese Mitwirkung auch der Staateu-Regierungen zu erwirken, liegt mit im Berufe dieser Versammlung. Wenn über manches Zweifel besteht und Ansichten auseinandergehen, über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel, es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben, sie befestigen, sie allein wird fchützen vor allen Schwierigkeiten, die von außen kommen mögen, die im Innern drohen." Die Versammlung, der diese Worte galten, ging an ihr Werk, fest überzeugt von ihrem Recht und ihrer Macht: in dem uner-schüttlichen Glauben, daß sie dürfe und daß sie könne, was sie sich vorgesetzt, daß ihre Vollmacht unbestreitbar und unanfechtbar sei wie das Licht der Sonne und daß dem nationalen Willen, dem sie Körper und Gestalt zu verleihen habe, nichts unerreichbar sei, daß ihm nichts, schlechterdings gar nichts widerstehen werde. Von diesem Glauben war Heinrich von Gagern erfüllt mit Leib und Seele; ihn bekannte er in dieser seiner ersten Rede mit dem Brustton tiefster Durchdrungenheit und in Worten, die zündend einschlugen, weil sie ganz kunstlos und unmittelbar das trafen, worüber alle einig waren oder einig zu sein glaubten, und nichts von dem berührten, was die Geister trennte. Und in der Seelenkraft, mit der er hier zum erstenmal gewirkt, lag nun das, was ihm an der Spitze dieses Parlaments eine ganz eigenartige Stellung gab. Obgleich weder ein geistreicher Kopf, noch ein

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 116

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
116 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. retiker in Frankfurt, daß die preußische Armee den Ruhm ihrer Väter, der an den Namen der preußischen Regimenter wie an deren Fahnen geknüpft ist, aufgeben wird gegen eine deutsche Reichsnummer? — Das erste preußische Infanterieregiment, welches jetzt 230 Jahre besteht, giebt lieber die deutsche Einheit auf, als daß es die deutsche Reichsnummer 32 oder 40 annähme. Die pommerschen Regimenter, mit dem Namen Colberg in den Fahnen, danken sicher für die Ehre, welche ihnen schon die deutsche Kokarde wider ihren Willen aufgezwungen hat; die schlesischen Regimenter, eingedenk des Ruhmes von Gr.-Görfchen, Cnlm, Leipzig, Laon, Paris, Ligny und Belle-Alliance, werden es verschmähen, sich nach deutschen Reichsnummern bezeichnen zu lassen, an welche sich kein Gedanke knüpfen läßt als der der Gleichmacherei, die preußischen Ruhm und preußische Kriegsthaten auf gleiche Stufe stellen will mit denen von Meiningen-Hildburghausen oder Lippe-Detmold. Frage Herr Dahlmann nur das Leibregiment, die Grenadierregimenter, frage er die brandenburgischeu Husaren, die Blücherschen Husaren, das Regiment Königin-Kürassiere, welches bei Hohenfriedberg 20 Bataillone niederritt und 67 Fahnen und 4 Kanonen eroberte, die es noch heute in feinem Regimentssiegel führt, frage er die schwarzen Husaren, die vor 100 Jahren ihre ersten Lorbeeren tierbienten, die Ulanenregimenter, welche die ersten Lanzenreiter in einer europäischen Armee waren, und keine Stimme wirb sich erheben, die in einer deutschen Reichsnummer einen Ersatz für den alten geschichtlichen Namen sinbet. Und jebes Regiment der preußischen Armee, bis auf die erst nach dem Kriege von 1815 errichteten, und das sinb wenige, hat eine Geschichte, die sich an seine preußische Nummer, seinen preußischen Namen knüpft, es ist stolz auf seinen Ruhm aus älterer Zeit, den die neue Zeit nur anzutasten braucht, um die letzte Sympathie im Heere zu verlieren." Der leiseste Versuch, irgendwo und irgendwie in Preußen eine solche Huldigung vorzunehmen, würde einen Sturm von Volksunwillen hervorgerufen haben, dem kein Ministerium hätte Trotz bieten können. Es geschah benn auch nichts der Art, trotz des „guten Beispiels", welches der Herzog Ernst Ii. von Koburg-Gotha dem König von Preußen gab, als er am 6. August feine ganze Nation auf dem Hatdeland bei Gotha antreten und ein Hoch auf den Reichsverweser anstimmen ließ, ein „nationales" Ereignis, besten „glänzenber Verlaus" alle übrigen Fürsten Deutfchlanbs beschämte und dem Reichs-
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