W. H. Riehl, Das landschaftliche Auge.
251
reichsten Partien des Schwarzwaldes, des Harzes, des Thüringer Waldes
als „gar betrübte", öde, einförmige oder mindestens „nicht sonderlich
angenehme" Landschaften geschildert sind. Das ist keineswegs bloß die
Privatmeinung der einzelnen Topographen: es war die Ansicht des
Zeitalters. Denn jedes Jahrhundert hat nicht nur seine eigene Welt-
anschauung, sondern auch seine eigene Landschaftsanschauung. Zahllose Lust-
schlösser baute man vor mehr als hundert Jahren in kahle, langweilige
Ebenen und glaubte ihnen dadurch die möglich schönste Lage gegeben zu
haben, während die alten Herrensitze in den reizendsten Gebirgsgegenden
als zu wenig „plaisierlich" verwitterten und verfielen. Nicht nur pracht-
volle Sommerresidenzen und Prunkgärten legten damals die bayrischen
Kurfürsten in die öden Wald- und Moorflächen von Nymphenbnrg und
Schleißheim: Max Emanuel ließ sogar mitten in einem dieser Gärten,
der die natürliche Wüste rings um seine Mauern hat, noch einmal eigens
eine künstliche Wüste Herstellen. Karl Theodor von der Pfalz baute
zwei Stunden seitwärts von den herrlichen Heidelberger Gründen seinen
Schwetzinger Garten mitten in das einförmigste Flachland hinein. Wenn
nur eine Gegend recht eben und baumlos war, dann getraute man
sich schon die ergötzlichste Landschaft aus ihr hervorzuzaubern.
Noch vor hundert Jahren hielt man den zwar keineswegs reizlosen,
doch in seiner Fläche immerhin eintönigen Rheingau für den wahren
Paradiesgarten landschaftlicher Schönheit und schätzte die weitere Strecke
des Rheinlaufes von Rüdesheim bis Cobleuz mit ihrer reichen Pracht
von Schluchten, Felsen, Burgen und Wäldern mehr um des Gegenspiels
willen. Im obern Rheingan reihte man damals Villen an Villen, die
jetzt großenteils verlassen stehen, während man an der früher ver-
nachlässigten, von den Bergen eingeengten Strecke später wiederum auf
jede Felsspitze ein neues Lustschloß zu kleben oder wenigstens die dort
hängenden Ruinen wieder wohnlich zu machen begann. Unsere Vorfahren,
die in dem obern Rheingau den schönsten Winkel Deutschlands erblickten,
schmückten ihre Zimmer mit den damals so beliebten Kupferstichen nach
Claude Lorrains verwandten, weithin offnen, breiten, in Friede und
Anmut gesättigten Landschaften. Wir sind von diesem klassischen
Landschaftsideal wieder zum romantischen zurückgekommen, und die Dome
des Hochgebirges verdrängen die Laubtempel von Claude Lorrains
Götterhainen mit dem endlosen sonneglänzenden Meereshintergrund.
Im siebzehnten Jahrhundert galten noch die in engen, steilen Berg-
gründen gelegenen Badeorte, deren viele jetzt ganz eingegangen sind, mehren-
teils für die besuchtesten und schönsten; im achtzehnten Jahrhundert gab
man den gegen die Ebene hin gelegenen den Vorzug; jetzt werden gerade
die Badeorte im steilsten Gebirge, wie im Schwarzwald, in den böhmischen
Bergen, in den Alpen, wegen ihrer Lage aufgesucht. Der Hessen-
Kasselsche Leibmedikus Welcker sagt in seiner 1721 erschienenen Be-
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T5: [Rhein Main Wald Thüringer Teil Schwarzwald Gebirge Neckar Saale Jura], T46: [Universität Berlin Jahr Schule Wissenschaft Leipzig Professor Akademie Hochschule Gymnasium]]
TM Hauptwörter (200): [T25: [Stadt Schloß Straße Garten Berg Dorf Nähe Park Ufer Haus], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß]]
Extrahierte Personennamen: W._H._Riehl Max_Emanuel Max Karl_Theodor Karl Claude_Lorrains Claude_Lorrains
Götterhainen Kasselsche_Leibmedikus_Welcker
408
Prosaheft Vii.
keine Despoblados. Das Viertel des deutschen Bodens, das noch mit
Wald bedeckt ist, der eingeengte, zusammengedrängte, durch Lichtungen
jeder Form und Größe durchbrochene und zerschnittene Rest jenes alten
germanischen Urwaldes, der einst undurchdringlich genannt wurde, kann
heute ebensogut als Kulturland gelten wie Äcker und Wiesen. Die
Waldknltur nutzt den Boden aus, der sonst unergiebig wäre, und ist an
andern Stellen unentbehrlich für die Erhaltung eines gesunden klima-
tischen und hydrographischen Zustandes. Ja, man wird füglich sagen
dürfen, der Ackerbau sei in vielen Teilen Deutschlands schon weiter
gegen den Wald vorgedrungen, als Boden und Klima gestatten. Die
armen, steinigen Hafer- und Kartoffelfelder auf dem Rücken des Erz-
gebirges, im Harz, in den südlichen Vorbergen des Thüringer Waldes
oder auf manchen steinigen Muschelkalkhochebenen über dem Main und
der Tauber bieten ihren Bebauern geringen Nutzen. In die Landschaft
bringen diese kärglich bewachsenen Wölbungen mit ihren grüngrauen
flechtenbewachsenen Felsgraten oder ihren seit Generationen heraus-
gepflügten und zu breiten Steinwällen aufgeschichteten Kalkstein-
fladen, die die geringe Tiefe der Ackererde bezeugen, einen Zug von
Armut, den in unserer Zone selbst die Heide nicht kennt. Sie ver-
künden das Vorhandensein einer dichteren Bevölkerung, als dieser Boden
verträgt.
Die ältesten Spuren und Reste der Bewohner des deutschen Bodens
in Höhlen, Pfahlbauten, Küchenresten, Gräbern jeder Art zeigen immer
nur kleine Völkchen in weiter Zerstreuung. Sie haben auch keine so
zahlreichen Steinpfeiler, Steinkreise und Dolmen aufgerichtet wie in
manchen Teilen Westeuropas. Wir haben auf deutschem Boden kein
einziges prähistorisches Denkmal von wahrhaft monumentalem Charakter.
Nur im Tiefland ist noch da und dort eine Steinsetzung an einsamer
Stelle erhalten, die das Grab eines großen Mannes bedeckt, und wenige
Höhen des Mittelgebirges sind von Ringwällen umzirkelt, deren schönste
Beispiele der Allkönig im Taunus bietet. Auch das Fichtelgebirge hat
schöne Reste davon. Manche die in einst slawischen Gebieten gefunden
werden, ragen deutlich in die geschichtliche Zeit herein.
Wohl werden auch in grauer Vergangenheit Völkerwellen von Osten,
Süden und Norden her das in der Mitte Europas gelegene Land über-
schwemmt haben; aber sie konnten dieses Land nicht bedecken. Sie
breiteten sich ans den natürlichen Lichtungen in den Heiden und längs
den Flnßlüufen ans. Die ältesten Wege auf deutschem Boden können
nur Waldpfade gewesen sein, die die Lichtungen miteinander verbanden.
Sie waren ebenso vereinzelt und abgebrochen wie der Verkehr, der sich
auf die Verbindung der einander nüchstgelegenen, durch alte, geheiligte
Formen die Gemeinsamkeit des Ursprungs bewahrenden Stämme be-
schränkte. Selbst diese ließen weite Wildnisse, die höchstens Jagdgebiete
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
TM Hauptwörter (100): [T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T95: [Gestein Schicht Wasser Boden Erde Granit Gebirge Masse Sand Teil], T133: [Boden Land Ackerbau Klima Wald Viehzucht Teil Wiese Anbau Fruchtbarkeit], T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne]]
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Main Tauber Westeuropas Taunus Europas
416
Prosaheft Vil
46. Miederelöische Landschaft.
Richard Linde, Die Niederelbe. (Berlin, Bielefeld und Leipzig, Verl, von
Velhagen & Klasing.)
Man kann es verstehen, wenn die niederelbische Landschaft nur in
geringer Wertung steht. Sie verzichtet in der Tat auf alles oder doch
auf fast alles, was gemeinhin sinnenfällig ist: grüne Waldwogen, schroffe
Felsen, geschwungene Pfade mit verträumten Ausblicken, zwischen Moos-
gestein zu Tal schäumenden Wildbach. Alle diese wundervollen Bilder
des Felsenbodens suchen wir hier vergebens. Am Septembermorgen
rohrt kein Hirsch, die Nachtigall selbst meidet dieses kahle Nebelland,
kein Mädchen beugt sich über steingefaßten Quell, schreitet den Henkel-
krug auf dem Haupt, die Hand erhoben, den Bergpfad hinab oder
kommt, wenn der Tag sich gesenkt, zum Marktbrunnen zu fröhlicher
Kurzweil. Hier steigt die wasserholende Magd in den Keller hinab, wo
die Zisterne steht voll trüben Regenwassers, das der Filter erst trinkbar
macht, ein häßliches, ganz unmalerisches Bild. Und doch ist auch diese
scheinbar so reizlose Landschaft ein Kind ewig reicher Natur, und das
Menschenleben ist hier wie dort organisch erwachsen. Man wird es
versuchen müssen, diese Landschaft aus sich heraus zu verstehen, so wie
man einen eigenartigen Menschencharakter aus gegebener Anlage und
Lebensschicksalen abzuleiten versucht.
Es ist überflüssig zu sagen, daß man nicht den Reiz der unbe-
rührten Natur hier suchen soll. Die Marschen sind die ausgeprägteste
Kulturlandschaft, die wir in Deutschland haben. Nicht nur die Ober-
fläche hat der Pflug gewendet und die Saat begrünt, sondern der
Boden selber ist unter der helfenden Hand des Menschen ausgeschüttet
und geformt. Was hier liegt, ist das Ergebnis einer vielhnndertjührigen
Arbeit. In diese große ebene Tafel ist alles Schaffen, alles Hoffen,
alles Leiden, alles Gewinnen und Verlieren eingezeichnet. Ans Schlamm-
und Schilswildnis ist durch Arbeit geadeltes Kulturland geworden. Nur
der Außendeich und noch mehr der herrliche, breite Strom bewahren
Bilder unberührten Naturlebens.
Dieses Kulturland ist altes Wasserland. Wasser und Land durch-
dringt sich hier so wie nirgends. Wasser wird zu Land, Land zu
Wasser; zwischen den Häusern liegen die Schiffe und die Häuser auf
Pfählen im Wasser. Das Wasser rinnt in der Tiefe, es quillt zutage,
es überschwemmt die tiefer liegenden Striche, es webt im feuchten Nebel-
schleier über dem Boden. Das ist die Mitgabe der Natur, das eigent-
lich Besondere, aus der alle Eigentümlichkeiten in letzter Linie sich
erklären. Von dem Wasser stammt die ebene Linie, das Elementare,
der meergleiche Horizont mit dem unendlichen Himmelsgewölbe darüber.
Das ist es, was das Menschenkind in der Fremde nie vergißt, wonach
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T89: [Wasser Fluß Quelle Bach See Erde Boden Brunnen Land Ufer], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne]]
Extrahierte Personennamen: Richard_Linde
Extrahierte Ortsnamen: Niederelbe Berlin Bielefeld Leipzig Deutschland
R. Linde, Niederelbische Landschaft.
417
es sich sehnt, wie der Schweizer nach seinen Bergen. Es ist wahr, daß
die Linien auf die Dauer monoton wirken können. Das ist eben die
Monotonie aller großen und erhabenen Natur. Aber die eigentliche
bleierne Monotonie der endlosen Ebene fehlt. Überall winkt am Hori-
zont der blaue Reif der Geest, und gleitende Rauchsäulen erinnern
daran, daß inmitten der Ebene ein ewig belebter Strom seine breite
Bahn zieht.
Die Schlichtheit der Horizontlinie ist die reiche Quelle malerischer
Vorzüge. Aus ihr erklärt sich der Bilderreichtum. Denn wo nur irgend
eine Vertikale den Horizont schneidet, entsteht für das gleitende Auge
ein Ruhepunkt, um den sich ein Bild gruppiert. So reiht sich hier
Bild an Bild. Aber diese Bilder sind besonderer Art. Schaut man
den Hintergrund an, so schrumpft die Erdscheibe zu einem schmalen
Streifen zusammen gegenüber dem unendlichen Himmel. Faßt man den
Vordergrund ins Auge, so erscheinen Gegenstände und Gestalten der
Nähe riesengroß. Sie heben sich in machtvollster Silhouette empor,
alles Beiwerk verschwindet, das Minutiöse, Kleinliche fehlt. Hinter dem
Vordergrund gibt es nur die einfache Horizontlinie. Wo aber trgeuö
ein Gegenstand auch im Mittelgrund aufragt, da legt sich in diesem
Wasserlande feiner silbriger Duft um ihn, die Linien schwächend und
löschend, daß der Vordergrund nur noch mehr hervortritt. So sind
zweierlei Bilder für die elbische Wasserlandschaft charakteristisch, Vorder-
grundsbilder mit mächtigster Silhouette und Hintergrundsbilder, wo
alles in die großen Linien der Landschaft sich dienend einfügt.
Diese Linieneinfachheit teilt sie mit jeder ebenflächigen Landschaft,
dem Meere, dem Watt, dem Fjeld, der Heide, dem Moor. Eigentüm-
lich dagegen sind diesem Wasserlande bestimmte Motive, die es nur hier
gibt: das weißgraue Prielwasser, das umsäumende Schilf, die hangenden
Weidenreihen, die Rinder und Rosse. Auch das besondere Menschen-
leben. Es ist das uralte Gewerbe des Schiffers und Landmanns, das
in seinen typischen Bildern von nie erschöpfter Schönheit sich hier ab-
spielt: der Säemann, wie er in die aufgerissene Furche den Samen
streut, die Schnitter, die Binderinnen, der Erntewagen, der Pflüger mit
den braunen Rossen, über graue Schollen den Pflug führend. Oft kann
man die Pflüger zu fünf oder sechs oder noch mehr zu gleicher Zeit
erblicken, wie sie sich auf der fernen, sonnigen Erdscheibe in Mückengröße
verlieren, über ihnen eine einzige Herbststurmwolke, vorn die hohe Weide
mit silbrigen Blättern. Weiter elbabwärts gewinnt dieses uralte Bild
von fast heiligen Linien einen ganz besonderen Zug. Da umflattern
Hunderte weißer Möven den Pflüger mit den strebenden Rossen und
leuchten lichtweiß über den dunkeln Boden. Und wie hier das alte
Motiv des Pflügers besondere Form gewinnt, so wandelt sich elbauf-
wärts in den Vierlanden die Schnitterin in das Bild der alten Bäurin,
Lorentzen-Rode-Weise, Prosaheft Vii. 27
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T27: [Erde Linie Punkt Breite Länge Kreis Ort Meile Winkel Meridian]]
TM Hauptwörter (200): [T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute]]
418
Prosaheft Vii.
die, selber in ihrer Tracht einer bunten Blume gleichend, aus dem Gold-
lackselde aufragt oder, über den Vergißmeinnichtacker gebeugt, mit zittern-
der Hand die Blüten sammelt, ein Bild zugleich von unsagbar farbigem
Reiz. Den Bildern des Landlebens stehen die des Wassers gegenüber,
dem Pfluge der Kiel, der die Salzwüste durchpflügt, der Riesendampfer
mit den qualmenden Schloten, das Vollschiff mit Raaen und Masten,
der gleitende Ewer, bald im schmalen Priel, bald auf weitem Strom,
bald allein, bald vereinzelt, in schönster Perspektive hintereinander,
dunkel im Licht schwimmend oder lichtdurchglüht auf dunklem Wasser.
Oder es ist der Fischer selber, das Netz werfend, den Anker hievend,
das Segel reffend, oder wieder das Idyll des ruhenden Kutters mit
seinen Filigrannetzen, die sich wie Guirlanden von Mast zu Mast
schwingen, von der zitternden Welle widergespiegelt. Das scheinen
alles Bilder rein epischer oder idyllischer Art zu sein, und doch ist es
bekannt, wie sie sich in der Sturmnacht des Winters zu höchster dra-
matischer Kraft erheben.
Das Charakteristische dieser Bilder ist schlichte Größe und monu-
mentale Kraft zugleich. Dazu paßt die dem Wasserlande eigentümliche
Vegetation. Die Bäume wachsen nicht zusammengedrängt, wie im Walde,
von Lichthunger aufwärts getrieben, sondern weit in Abständen, gleich-
mäßig von Luft und Licht genährt. So gewinnen sie in sich vollendete
Form, wie die Natur sie wollte. Sie wachsen zu Jdealtypen ihrer
Gattung. Daher sieht man nirgends so mächtige Baumsilhouetten auf-
ragen wie hier. Es kommt hinzu, daß die Bäume des Wasserlandes schon
an und für sich etwas Vollsaftiges, Vollaubiges, Starres, Plastisches
haben, so der eigentliche Charakterbaum der Marsch, die graugrüne
Weide, die dunkellaubige Erle, die Linde, die wundervolle Esche, die
Schwarzpappel, der Nußbaum oder die Kastanie, die den Deich begleitet.
Welcher Unterschied etwa gegenüber der Heidebirke im dürren Sand-
boden mit den zierlichen Zweigfäden, die der leiseste Windhauch in
Schwingungen versetzt, während hier den starren Wasserbüumen kamn
der stürmende West die plastische Form nehmen kann. Auch die niedere
Strauchvegetation zeigt in anderer Weise wieder dieselbe Formenge-
bundenheit, das Schilf mit den steifen Süulenschäften, der Sumpfkolben
mit den schranbig gedrehten Blättern, die hohe Iris, das weißblühende
Kälberkraut, das alle Gräben umsäumt, die Klettenvegetation, noch mehr
der überall wuchernde Lattich, der wie Rhabarberkulturen den Tonboden
bedeckt. Dahin gehören auch die gelbe und weiße Seerose mit den wie
aus Wachs gearbeiteten Blättern, die auf den Hausgräben schwimmt.
Die Salzpflanzen der äußersten Unterelbe von der hohen Meerstrand-
aster bis zur Besengestalt des Quellers fügen sich ein, überall in Form
gebundene Vegetation.
Zu ihr paßt das Tierleben. Auch hier zeigen sich, wohin immer
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
TM Hauptwörter (200): [T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T129: [Schiff Hafen Flotte Meer Küste Fahrzeug See Kriegsschiff Land Dampfer], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke]]
R. Linde, Niederelbische Landschaft.
419
das Auge blickt, Bilder plastischer Art von altem Reiz: die Gänse, die
Schafe mit den Lämmern, die Rinder, weidend oder im Grase ruhend, die
Rosse am Gatter, den schlanken Hals aneinander geschmiegt. Bei weitem
das schönste Tierbild ist der junge Stier, wie er mit dumpfem Stöhnen
und heißem Atem den Priel durchwatet, oder auch, wie er ruhig am
Gatter steht, den Kopf erhoben, Nacken und Rücken eine gerade Linie,
die Schenkel gestemmt, ein Bild starrer, gebundener Urkraft.
Der schweigende Mittag zeigt den besonderen Charakter jeder Land-
schaft gesteigert. Niemals wirkt das Waldweben geheimer, die blühende
Heide traumverlorener, die südliche Felsenlandschast sonnendurchglühter
als am Mittag. So tritt auch in der Marschlandschaft das Plastisch-
Gebundene am Mittag am stärksten hervor. Gänzlich fehlt das geheimnis-
volle Raunen der Blätter. Wie leblos stehen Eschen und Weiden, kein
Hauch in dem starren Schilf, Roß und Rind wie aus Bronze geformt,
die Schafe lagern bewegungslos am Prielufer, die Enten schlafen am
Deich, nur unmerklich rinnt das Prielwasser aufwärts.
Der Mittagsstille ist der Mondzauber verwandt. Auch dann be-
gegnet uns ein ähnliches Bild bewegungsloser Plastik. Jede Einzelheit
des Laubwerkes ist verschwunden, die blauen Baumgestalten wirken als
körperhafte Massen, nur auf dem spiegelnden Schilfwasser glitzert ein
wirres Spiel, Ring an Ring auftauchend und gibt Kunde von dem
geheimnisvollen Leben der Tiefe.
Bisweilen erscheint der plastisch monumentale Charakter der Land-
schaft geradezu ins Stilisierte gesteigert. Bei der ausgeprägten Eben-
flächigkeit und Bodengleichheit lag für den bauenden Menschen nirgends
ein Grund vor, von der mathematisch kürzesten geraden Linie abzugehen,
und so ist jeder Graben, jeder Weg, jede Furche, jede Hecke, jede Straße
geradlinig. Dazu tritt die Regelmäßigkeit der Linie in dieser Kultur-
landschaft. Das Zufällige fehlt. Gleichweit laufen die Ackerstücke, in
gleicher Entfernung sind Bäume, Büsche und Stauden gepflanzt. Auch
Haus und Hof zeigen die gleiche gebundene Linienführung. Geradlinig
der Hausgraben, die Weiden-, Pappeln- und Eschenpslanzungen, Garten
und Beete geometrisch abgeteilt, steife Wacholder- und Lebensbäume
drinnen oder bunte Glaskugeln auf hohen Stäben. Eine geradlinige
Allee beschnittener Bäume führt auf die Hadler Höfe, beschnittene
Schutzbüume umgeben die Front und spiegeln sich, die Wirkung ver-
stärkend, mit den Bäumen und Büschen des Gartens im Hausgraben
wieder. Auch das Haus selber ist in Form gebunden, schematisch das
Balkonwerk, das Sckffteinmofaif; bald Zickzackmuster, die über die
Hausfront hinlaufen, bald vielgestaltige Einzelmuster wie Teppichgewebe
zwischen dem Balkengefüge. So namentlich im Alten Lande. Hwrher
gehört auch das besonders stilisiert wirkende Bild der vielen Mühlen,
namentlich der Wilstermarsch, die sich in langer Reihe und regelmäßigem
27*
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T9: [Tempel Stadt Kirche Säule Zeit Gebäude Bau Mauer Haus Dom]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
TM Hauptwörter (200): [T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T47: [Karte Lage Länge Breite Größe Meile Linie Ort Grenze Höhe]]
420
Prosaheft Vii.
Abstand, die Flügel seitwärts gestreckt, den Kanal entlang ziehen. Auch
die Pfahlbündel der Dükdalben in regelmäßigen Abständen und von
gleicher geometrischer Gestalt sind hier zu nennen. Verwittert und zer-
splissen, wieder ein Stück Natur geworden, ragen sie steif und starr aus
dem Strom empor.
Zu dieser großzügigen, in Formen gebundenen Landschaft gesellt
sich die Farbe. Auch sie ist durch das Wasser bedingt. Einmal die
Farbe an sich. Gegenüber dem Gelbgrau und Braun der Geest ist das
Mattgrün der Wiesen und das Lichtblau des Stromes die eigentliche
Farbe des Wasserlandes. Selbst im Hochsommer, wenn längst auf der
Geest das Laub sich gefärbt und die Ährenselder weiß geworden, leuchtet
hier noch im frischen Zauber Wiese, Feld und Gezweig. In den Mooren
ist der Boden dunkelbraun, im Frühjahr gesprenkelt durch nickendes Woll-
gras, im Spätsommer mattschimmernd von blühender Heide. Der Gegen-
satz zwischen dem Grün der Marsch und dem Braun der Geest ist überall
typisch. Am überraschendsten wirkt dieser Terrassengegensatz zwischen
Altenwalde und der Wursterheide; nur ein paar Meter höher nichts als
braune geschwungene Wildnis. Er wiederholt sich dann wieder — viel-
leicht noch schöner — jenseits Neuenwalde. In wenigen Minuten wandelt
sich die braune Erdscheibe in eine grüne. Ein anderes Farbenbild zeigt
die herrliche Strandnelkenvegetation in Neuwerk, ein einziges rosiges
Blütenmeer, bei Sonnenuntergang von unsagbarem Zauber. Neuwerk
vor allem ist reich 'an Farbengegensätzen. Nicht leicht läßt sich etwas
Reizvolleres denken als das Weiß der Tausende von Marienblümchen
am mattgrünen Deich, diesseits die blütengelbe Wiese, jenseits das
leuchtende Rosa der Millionen und Abermillionen von Strandnelken, in
der Ferne das lichtblaue, segelbelebte Meer mit der graugelben Wüsten-
landschaft der Sande und Watten. Am Sommerabend kann man hier
Farbenbilder erleben, wie sie keine südliche Landschaft leuchtender zeigt.
Noch besonderer vielleicht ist das endlose Rapsfeld, überall funkelndes
Gelb, während jenseits des Deiches die schaumköpfigen Wogen dunkel-
farbig heranrollen. Verwandt ist der gelbe Teppich der Sumpfdotter-
blume, der den lichtblauen Strom im ersten Frühling verbrämt, bis
das wuchernde Schilf ihn verdeckt. Auch der Elbstrom ist weit farben-
reicher, als man gewöhnlich annimmt. Gerade der Hamburger sieht
seinen Strom von der „verkehrten" Seite, dem Bergufer, gegen das
Licht. Dann erscheint er grau, silbrig, mattviolett oder glitzernd im
Spiel der untergehenden Sonne. Die eigentliche farbige Leuchtkraft
offenbart er erst vom linken Wiesenufer, wo man ihn mit dem Licht
sieht, also etwa von Neuenfelde, Kranz, vom Asseler Sand und von
Krautsand. Bei frischem Ostwind bietet sich hier das Bild einer blauen
Ostseebucht. Welle auf Welle rollt weißschäumend heran — „de Elv
geiht in Hemdsärmeln", heißt es im Volksmunde. Schöner noch er-
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T81: [Sonne Erde Tag Mond Himmel Nacht Stern Zeit Licht Stunde]]
TM Hauptwörter (200): [T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
422
Prosahest Vii.
hm in dunkles Violett bis Ultramarin wandelt und das Fleetwasser
das weiche Farbenspiel umgekehrt wiederholt. Das hat noch kein Maler
gemalt. Und wieder durch die Staubfülle erklärt es sich, daß gerade
die Sonnenuntergänge in dem Wasserdunst des Hafens von unvergleich-
licher Schönheit sind. Sie können bisweilen in ihrer Leuchtkraft an die
Farbenschönheit der Sonnenuntergänge nach dem Krakatoaausbruch er-
innern. Und da ein gnädiges Schicksal den Elbbusen nach Sonnenunter-
gang richtete, im Gegensatz zur Trave, der Kieler Föhrde oder der Themse,
so spiegeln Welle und Strom den Lichtzauber wider. Daher kommt
es, daß Abend für Abend sich ein glühendes Lichtmeer in den Strom
ergießt und zur Winterszeit zwischen den blauen Eismassen Ströme
rieselnden Goldes erglänzen, auf denen die lichtumsponnenen Silhouetten
ankommender Dampfer langsam Heraugleiten, umschwärmt von Hunderten
von Möven. So kommt auch das Gegenlicht zu seinem Rechte. Und
wieder aus jenem Wasserreichtum der Atmosphäre erklärt sich die Größe
der Wolkenbilder. In ungebrochener Kraft schieben sie sich vom nahen
Meere her. Gerade zur Herbstzeit kaun man sie in riesiger Größe über
dem Elbbusen aufsteigen sehen, oft nur eine einzige Wolke, einem grauen
Riesengeier gleich, der, zum Zenith sich hebend, mit gestreckten Fängen
die Himmelswölbung umklammert. Oder es gleißt und flackert stunden-
lang hinter den dichten Wolkenschichten von geheimem Leben.
Zu diesen mehr allgemeinen Merkmalen in Linien und Farben
treten Einzelbilder, die es nur hier geben kann. Dahin gehören vor
allem die Deichbilder des Wasserlandes. Schon an und für sich ist der
Deich von hohem Reiz mit seinem Idyll der weidenden Schafe und
Ziegen, der Rinder und Rosse, der spielenden Kinder, der hangenden
Fischernetze, der Gatter und Treppen, der weißgestrichenen Bänke, wo
abends die Mädchen sitzen und der Wind erfrischend über den Strom
weht. Man muß einmal im Herbst und Hochsommer die Nebendeiche
sehen, nicht wenn sie „schaubar" gemacht worden sind, sondern kurz
vorher. Dann sind sie erst in Wahrheit „schauenswert", meterhoch mit
malerischem Unkraut bedeckt, Rainfarn, Schafgarbe und Glockenblumen.
Nur im Salzwassergebiet ist der Deich kahl, im Süßwassergebiet da-
gegen von Eschen und Weiden begleitet, an den Nebendeichen mit
Kastanien-, Wallnuß- und anderen Fruchtbäumen bepflanzt, deren Herbst-
segen in schwerer Fülle über dem Wanderer hängt. Der Höhepunkt
dieser niederelbischen Fruchtbaumlandschast ist der Lühe-, Este- und
Krückaudeich zur Zeit der Obstblüte. Eine Mondnacht oder ein sonniger
Morgen, wenn die Milliarden weißer Blüten, von Bienen umsummt, sich
im Wasser spiegeln, hat seinesgleichen nicht in Deutschland.
Da mm der Deich wie ein gleichmäßig erhöhter Weg das ganze
Wasserland durchzieht, so öffnet sich der Blick nach beiden Seiten in
die Wildnis des Außendeichs und die Gartenlandschaft des Binnen-
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