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allen Ausdruck, während das Schreien unangenehm und wüst
klingt. — Den richtigen und wahrhaft guten Ton zu finden,
lehrt allein ein gutes Herz.
5. (Eine wichtige Kunst für jeden Tag.
Sparen! Dies Wörtchen bedeutet für manche Menschen eine
Kette von Entbehrungen. Ls weckt in ihren Köpfen unangenehme
Vorstellungen von Einschränken, Entsagen und Sichselbstüberwinden.
aber ist es wirklich so schlimm? Legt die so wenig geübte Kunst
des Sparens uns wirklich drückende Entbehrungen auf? Birgt sie
nicht auch manche stille beglückende Freude in sich? Freude am eigenen
Besitz, eine behagliche Zukunft, das beglückende und erhebende Gefühl
der inneren Vervollkommnung, der Herrschaft über sich selbst.
Sparen und Entbehren, das sind zwei grundverschiedene Be-
griffe. Sparen heißt noch lange nicht geizen. Nicht am Notwen-
digen und Unentbehrlichen soll abgezogen, nicht auf Kosten anderer
gespart werden, sondern am Überflüssigen, an dem, was sich ent-
behren läßt. Und wie vieles gibt es da nicht, an dem die Kunst
des Sparens erprobt werden kann. Da sind so manche ausgaben
für überflüssigen Tand, für Vergnügungen, die in Wirklichkeit gar
keine sind, weil sie ein Gefühl der Leere in uns zurücklassen. Va sind
die vielen ausgaben, die unsere Eitelkeit, unsere Putzsucht und Nasch-
haftigkeit von uns fordern, hier heißt es die ersten Sparversuche
machen. Freilich eine kleine Überwindung wird es wohl kosten,
wem so ein schöner Hut ins äuge sticht oder eine hübsche Bluse,
eine Schleife, ein Band, oder wer eine große Neigung zum Naschen
hat, dem kommt das Verzichten zuerst wohl etwas hart an, und
gerade die Jugend ist einem verzichtleisten auf derartige Dinge nicht
besonders hold. wozu sparen? Das Leben ist noch so lang. Und
wie heißt es im Liede? „Genieße, solange das Leben noch mait.
Noch sind die Tage der Kosen."
wozu soll ich sparen? Die Frage, die so manches junge Mäd-
chen an sich stellt im Mai des Lebens, wo ihnen tausend Freuden
und Genüsse winken, hat eine gewisse Berechtigung. Denn wozu
sparen, wenn man nicht weiß warum. Das aber ist es gerade, was
viele vom Zurücklegen abhält. Ein Ziel muß ins Nuge gefaßt werden.
Ein Pilger, der eine Wallfahrt unternimmt, der Missionar, der das
Evangelium unter die wilden Völkerschaften trägt, ein Schiff, das der
Heimat zusteuert, sie alle haben ein Ziel, und sie alle suchen es zu er-
reichen auf dem einen oder andern Wege. Buch denen, die durch die
*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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TM Hauptwörter (200): [T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
28
hinwegzutäuschen, der hört inmitten dieser wortreichen Trauer fort
und fort das eine anklagende „Zu spät!"
Wer kann am Sarge eines teuren Toten stehen, ohne sich zu
sagen: Ganz anders hättest du ihn betreuen können! Ganz anders
hättest du den '-schätz von Liebe und Leben, den dir der Herrgott
anvertraut hatte, ausmünzen müssen! Viel, viel zuwenig bist du dem
Heimgegangenen gewesen! Und wenn dann der Nachlaß geordnet
wird — ach! wie oft sind, Söhne, die längst im harten Leben
standen, im tiefsten Innern erschüttert worden, wenn sie sahen, mit
welcher rührenden Sorgfalt die Mutter jede Zeile von der Hand
des Sohnes im verschwiegenen Kästchen aufbewahrt hatte: Kinder-
briefe und Jünglingsbriefe, Karten und flüchtige Mitteilungen^-
Mutterhand hat das alles gesammelt, obschon es kaum des Sam-
melns wert war. Wie anders hätte man schreiben sollen, wie viel
häufiger und herzlicher! Da klingt neben dem Grundton der Trauer
und liber die Terz der Klage hin die Quinte des Schuldbewußt-
seins — daß du doch mehr geliebt hättest!
Zu spät! — Kennst du die Sage vom Totenvolk? Durch die
Novembernacht schreitet's dahin, langsam und feierlich. Reihe an
Reihe zieht es durch die schweigende Dorfstraße, ein unabsehbarer
Zug von Männern und Weibern, Kindern und Greisen, und der
Lauscher, der am Kammerfensterlein steht, sieht unter dem Totenvolke
manche bekannte Gestalt: Menschen, die ihm einst nahe standen im
Leben und nun längst unter dem grünen Hügel ruhen, liebliche
Kinder und zittrige Greise, kraftvolle Jünglinge und blühende Jung-
frauen, liebende Mütter und sorgende Väter; gespenstisch wallt's
daher, und dem Lauscher schlägt das Herz lauter an die Rippen.
Hast du uie das Totenvolk geschaut, wenn in schweigender
Nacht der Schlaf deine Lider floh und deine Gedanken auf den
Pfaden der Erinnerung wanderten? Draußen war das Geräusch der
Straße längst verhallt, und nur der Schall eines einsamer Menschen-
schrittes klang an dein Ohr, aber vor deiner Seele wurde es lebendig,
und Bild um Bild stieg auf, verschwommen und in Nebeln und
Wolken zuerst, dann näher und greifbarer. Und nun liegt es vor
dir in hellem Lichte: die Heimat mit den Teuren, die einst deine
Jugendhüter waren, die Fremde, durch die einst dein Fuß schreiten
mußte, und alles, was du einst besessen, gewinnt Gestalt und Leben
und schaut dich mit großen fragenden Augen an: die du geliebt hast
und mit denen du in den fröhlichen Tag hinausgewandert bist,
die sich um dich sorgten und bangten, die mit dir gerastet haben
und mit dir eine Weile fröhlich gewesen sind, die dir Kümmernisse
bereitet und Wunden geschlagen haben: alle, alle stehen vor deiner
Seele, als ob's gestern gewesen sei, daß sie von dir gingen. Und
mit ihnen werden längst vergessene Worte wieder lebendig, und
seltsame Fragen steigen auf, und durch die Nacht raunt dir der
Geisterchor zu:
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
60
Das entwürdigt, führt zur Heuchelei und zum Lügen und würde
Dich schließlich zu einer unglücklichen Bettlerin, vielleicht sogar zu
einer verachteten Diebin machen.
Trotz der bescheidenen Verhältnisse, in denen Du Deine Kind-
heit verlebt hast, bist Du reicher, als Du vielleichst denkst. Du
stehst in der schönen Zeit der Jugend; der liebe Gott hat Dir ge-
sunde Arme und Hände zur Arbeit und einen klaren Kopf gegeben.
Das ist ein dreifaches Kapital, von dem Du mit Fleiß und Streb-
samkeit hohe Zinsen erhalten wirst.
Das erste, die Zeit, ist von unschätzbarem Wert. Jede Stunde
ist kostbar. Du kannst sie benutzen, um zu arbeiten und zu lernen;
Du kannst sie aber auch vergeuden durch Tändeln oder Müßig-
gehen. Die vergeudete Zeit kommt nie wieder. Möchte doch jeder
Stundenschlag der Hausuhr Dich mahnen an die Flüchtigkeit der
Zeit und Dich anspornen zum Fleiß!
Deine Gesundheit, Deine kräftigen Arme und gewandten
Hände, um die so viele kranke und schwache Mädchen Dich be-
neiden, sind das zweite Kapital, das Gott Dir verliehen hat. Jetzt
schon bringt es Dir schone Zinsen, da Du imstande bist, Dir das
tägliche Brot und die Kleidung selbst gn verdienen. Bei emsigem
Fleiß und steter Sparsamkeit wirst Du schon bald manch schönes
Stück Geld ansammeln können für Deine Zukunft. Doch nicht
allein um des Geldes willen sollst Du fleißig sein; die Arbeit sel-
der mußt Du lieben. Eine rauhe Arbeitshand ist für ein Mäd-
chen ein besserer Schmuck als goldene Ketten und glänzende Arm-
bänder. Arbeit macht die Hände zwar rauh, aber die Seele froh
und heiter.
Gebrauche bei Deiner Arbeit aber auch redlich das dritte
Kapital, welches Gott Dir geschenkt hat, Deinen guten Verstand.
Arbeite nie gedankenlos und blind in den Tag hinein, sondern über-
lege stets, was Du zuerst und wie Du jedes Teil am besten ver-
richten sollst. Besonnenheit und Nachdenken verschaffen erst die
rechte Freude an der Arbeit. Würdest Du jemals träge und mit
Widerwillen arbeiten, dann würde gar bald der Frohsinn aus Dei-
nem Herzen entschwinden; Mißmut würde dich beherrschen, und
Müßiggang würde Dich in Sünde und Armut stürzen. Denn
Arbeitscheu und Müßiggang verzehren allen Wohlstand, zerstören
den Frieden des Herzens und alles häusliche Glück.
Und nun tritt mutig ein in ein arbeitsvolles, fleißiges, fröh-
liches Jugendleben! Bewahrest Du mein Testament stets treu in
Deinem Herzen, dann findest Du ganz sicher hienieden das häus-
liche Glück und einstens die ewige Gliickseligkeit.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
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lichen Verhältnissen. Ich erfuhr, daß sein Gehalt bewunderungs-
würdig klein war, und daß er dafür ebenso bewunderungswürdig
viel zu tun hatte. „Ja, früher, in der sogenannten Gründerzeit,"
sagte er, „da war's besser, da gab's auch mancherlei Nebenverdienst.
Wir gehen alle Jahre zweimal ins Opernhaus in eine recht schöne
Oper, und damals haben wir uns gar bis in den zweiten Rang ver-
stiegen, wo wir ganz stolz und preislich saßen und vornehme Gesich-
ter machten und dachten, es käme wohl nochmal eine Zeit, da
wir noch tiefer sinken würden, bis unten ins Parkett, von wo die
glänzenden Vollmonde wohlsituierter, behäbiger Rentiers zu uns
emporlenchteten. Es kamen aber die sogenannten schlechten Zeiten,
und endlich ereignete es sich, daß unser Chef einen Teil seiner Be-
amten entlassen und das Gehalt der andern sehr bedeutend redu-
zieren inußte. Ja, da sind wir wieder ins Amphitheater emporge-
stiegen. Im Grunde ist es ja auch ganz gleich, ich finde sogar, die
Illusion wird befördert durch die weitere Entferimng von der
Bühne. Und glaube nur nicht, daß dort oben keine gute Gesellschaft
vorhanden ist. Dort habe ich schon Professoren und tiichtige Künst-
ler gesehen. Dort sitzen oft Leute, die mehr von Musik verstehen
als die ganze übrige Zuhörerschaft zusammengenommen, dort sitzen
Leute mit Partituren in der Hand, die dem Kapellmeister Note für
Note auf die Finger gucken und ihm nichts schenken."
Es war elf Uhr, als ich mich verabschiedete. Zuvor wurde
ich in die Schlafkammer geführt, um die Kinder zu sehen, die in
einem Bettchen lagen in gesundem, rosigem Kinderschlafe. Hühnchen
strich leise mit der Hand über den Rand der Bettstelle: „Dies ist
meine Schatzkiste," sagte er mit leuchtenden Augen; „hier bewahre
ich meine Kostbarkeiten — alle Reichtümer Indiens können das
nicht erkaufen!"
Als ich einsam durch die warme Sommernacht nach Hanse
zurückkehrte, war mein Herz gerührt, und in meinem Gemüt bewegte
ich nmncherlei herzliche Wünsche für die Zukunft dieser guten und
glücklichen Menschen. Aber was sollte ich ihnen wünschen? Würde
Reichtum ihr Glück befördern? Würde Ruhm und Ehre ihnen ge-
deihlich sein, wonach sie gar nicht trachteten? Gütige Vorsehung,
dachte ich zuletzt, gib ihnen Brot und gib ihnen Gesundheit bis ans
Ende — für das übrige werden sie schon selber sorgen. Denn wer
das Glück in sich trägt in still zufriedener Brust, der wandelt son-
nigen Herzens dahin durch die Welt, und der goldene Schimmer
verlockt ihn nicht, dem die andern gierig nachjagen; denn das
Köstlichste nennt er bereits sein eigen.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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166
den Hof gemacht. Was sie aber am meisten an ihm entzückte, das
war seine Heiterkeit und sein Witz. Daß er den letzteren stets ans
Kosten des lieben Nächsten übte, daß der himmlische Prinz ein
Spötter war, hatten sie bald entdeckt, und sie bemühten sich aus
vollen Kräften, diesen fadendünnen Spalt an dem Panzer seiner
Vollkommenheit zu erweitern. Dies geschah aus weiblichem Instinkt.
Jedes Edelfräulein, mit dem er gelacht und gescherzt, war über-
zeugt, seiner Schwäche am geschicktesten geschmeichelt und damit sein
Herz gewonnen zu haben. Doch keine dieser Hoffnungen erfüllte
sich, und eines schönen Tages war der Prinz ebenso plötzlich wie er
gekommen, verschwunden.
Dasselbe wiederholte sich in vielen andern Städten. Der
Prinz begann seine Freudigkeit einzubüßen; sein Witz wurde immer
schonungsloser; er spottete nicht mehr, er lästerte. Sein Erden-
wallen, das fühlte er wohl, machte ihn nicht besser, und am meisten
kränkte ihn, daß er nun in seinen eigenen Augen an Wert verlor.
Die Väter, die Mütter, die Töchter trieben nach wie vor Ab-
götterei mit ihm und verehrten jedes seiner Worte.
„Ewiges Einerlei!" sagte er oft laut vor seinem ganzen Ge-
folge. „Ich werde heimkehren zu meiner königlichen Mutter als
alter Junggeselle."
Und wirklich begann er zu versauern wie ein solcher. Endlich
ergriff ihn ein ungeheurer Ekel. „Laß satteln! Unsere Wolken vor!
Die schwärzeste für mich!" befahl er seinem Oberstallmeister. „Wir
reiten!"
„Heute, Eure Hoheit?" versetzte der Würdenträger. „Ist heute
nicht Hofball, den Eure Hoheit besuchen müssen?"
Der Prinz gab das zu und ging auf den Ball. Aber er tanzte
nicht, schwatzte nicht, lachte nicht. Er stand in einer Ecke, sah den
schönen, jungen Damen, die im Takt an ihm vorüberschwebten,
traurig nach und seufzte: „Keine, keine einzige!"
Die Melancholie des Prinzen war aufs höchste gestiegen, als er
plötzlich am andern Ende des Saales ein liebliches Mädchen erblickte,
das ruhig dasaß und wie er dem Tanze zusah. Sie jedoch tat es
mit Heller Zufriedenheit und schien seelenvergnügt.
O Seele! dachte der Prinz, wie schön mußt du sein, um dich
so zu vergnügen am Vergniigen der andern! Sanft, aber unwider-
stehlich angezogen, trat er vor das liebliche Mädchen hin, verbeugte
sich und fragte: „Sie tanzen nicht, mein Fräulein?"
Sie stand auf, erwiderte seine Höflichkeit und, nachdem sie sich
wieder gesetzt hatte, auch seine Frage: „Nein, mein Herr." „Und
warum nicht?" „Weil ich keinen Tänzer bekommen habe," ant-
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227
beschieden war, ist gleichwohl ein sonderliches gewesen, denn jenes
Knäblein ist nachmals der große deutsche Dichter Johann Wolfgang
Goethe geworden, und er hat alle seine Lebtage immer sehr viel
von seiner Mutter gehalten und gemeint, von der hätte er nicht
sein schlechtestes Teil geerbt:
„Voin Vater hab' ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatnr
Und Lust zu fabulieren;" —
von welchen beiden Stücken das letzte bekanntlich einem Dichter un-
entbehrlich und das erste sehr nützlich ist. Wer darum den Dichter
Goethe gehörig kennen lernen will, der darf an seinem Mütterchen
beileibe nicht vorübergehen. Sie war eine rechte deutsche Frau, die
gar manchem und gar mancher zum Vorbilde dienen kann.
Damals, als sie ihr erstes Kind in den Armen hielt, war sie
noch nicht neunzehn Jahre alt, denn am 19. Februar 1731 war sie
geboren und am 20. August 1748 Ehefrau des Kaiserlichen Rats
Johann Kaspar Goethe geworden. Ihr Vater, der Stadtschultheiß
Textor, stand an der Spitze des Rates der Freien Reichsstadt Frank-
furt. Obwohl er aber so ein hochgestellter und kluger Mann war,
hat er seine Töchter doch nicht allzuviel mit den Wissenschaften be-
lästigt. Man war damals schon zufrieden, wenn nur die Söhne das
Nötige wußten. Nicht einmal das Französische hat sie gelernt, wo-
mit doch so viele den Anfang machten, und auch in den übrigen
Stücken stand es nur kümmerlich. Dafür aber war sie an Leib und
Seele gesund, auch gehorsam und fromm, und das ist am Ende die
Hauptsache.
Da hat sie nun wohl immer sehr ernst und schwermütig auf
die Welt herabgesehen und allen Freuden den Rücken gekehrt? Weit
gefehlt. Es gab in ganz Frankfurt kein fröhlicheres Menschenkind,
das allem Traurigen so gern aus dem Wege ging und am Scherzen
und Lachen so herzlich Gefallen fand. Zwar die bösen Stunden
traten auch ungebeten ins Hans. Ihr Eheherr, der zwanzig Jahre
vor ihr voraus hatte, war ein strenger und harter Mann und legte
den Seinen nicht selten drückende Lasten auf. Darum hat seine
Gehilfin auch oft, wenn es in der Freundschaft einen Riß gab, die
erhitzten Gemüter beruhigen und das Ungerade wieder ins Gleiche
bringen müssen. Wenn aber einmal etwas gar zu Schweres ihr zu-
stieß, dann schlug sie sich flugs einen tröstlichen Spruch auf, und
alsbald waren alle Regenwolken von der Sonne des fröhlichen Gott-
vertrauens verscheucht. Darum verschreibt sie auch einem gelehrten
Doktor, der von Schwermut geplagt ward, folgendes Rezipe: „In
15*
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Extrahierte Personennamen: Johann_Wolfgang
Goethe Johann Goethe August Johann_Kaspar_Goethe Johann Hans
231
gar aus Weimar inzwischen ein Brief oder Geschenk eingelaufen
dann war der Festtag noch einmal so groß, und das Vorlesen und
Bewundern nahm gar kein Ende. Am andern Tag aber wußte die
ganze Stadt, was im Goetheschen Hause wieder für Freude ge-
wesen sei.
3.
Von der Königin Luise und ihren Geschwistern.
Im Herbst des Jahres 1790 war in der alten Reichsstadt
Frankfurt wieder ein mächtiges Treiben. Viele hohe Herrschaften,
Regenten und Gesandte waren herzugeströmt, die Krönung Kaiser
Leopolds mitzufeiern. Für jeden von ihnen hatten die Quartier-
herren Unterkommen zu schaffen. Auch die Frau Rat im großen
Hirschgraben mußte ihr Teil haben. Wer wird's nur werden"?
Da trat eines Tages eine ganze kleine Familie bei ihr ins
Haus. Die vierzehnjährige Prinzessin Luise von Mecklenbnrg-Strelitz
war die älteste, ihre zwölfjährige Schwester Friederike die zweite und
ihr elfjähriger Bruder, Erbprinz Georg, der dritte. Eine Hofdame
und andere Diener begleiteten sie. Als die Hofdame noch mit Frau
Rat im Gespräch war, hatten die Kinder sogleich sich auf Kundschaft
begeben und den Weg durch die Hintertür gefunden. Triumphierend
kamen sie zurück. „Liebe Frau Rat, auf dem Hofe steht ein Brun-
nen. Dürfen wir wohl versuchen, ob wir Wasser daraus pumpen
können?" „Gewiß, Prinzeßchen, dürfen Sie das; pumpen Sie nur
nach Herzenslust." Die Hofmeisterin wollte Einspruch tun gegen
solche unfürstliche Hantierung. Aber Frau Rat nahm sich der Kinder
so tapfer an, daß sie die Segel streichen mußte. Und die Prin-
zessinnen hoben und drückten den Schwengel aus Leibeskraft und
freuten sich über jeden Wasserstrahl, der aus dem Rohr in die Stein-
schale hinabfloß. Solch herrliches Vergnügen hatte man ihnen noch
in keinem Schlosse erlaubt. Als die eine von ihnen längst Königin
Luise und die andere Prinzessin Ludwig von Preußen geworden
war, dachten sie noch immer mit Entzücken an jene Pumpenlust.
Leider stiegen auch diese herrlichen Tage nur allzubald in das
Grab hinab. Aber sie stiegen nicht hinab, ohne auch der Frau Rat,
die mit den Kindern wieder ein Kind geworden war, etwas Schönes
zu hinterlassen. Der Vater des jungen Kleeblatts schenkte ihr eine
prächtige Dose mit seinem Namenszug — sie nahm nämlich von
Zeit zu Zeit gern ein Prischen — und dankte ihr warm für die
Freude, die sie seinen Kindern bereitet habe. Als diese selbst aber
zu Ehren und Thronen emporgestiegen, da war es ihr immer, als
hätte auch sie ein bißchen mit dazu geholfen, und als gehörten sie
ihr noch mehr als den andern zu. Darum haben sie auch alle so
TM Hauptwörter (50): [T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
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Extrahierte Personennamen: Leopolds Luise_von_Mecklenbnrg-Strelitz Friederike Georg Ludwig_von_Preußen Ludwig
215
ins Lächerliche ziehen wollen. Vernünftiger Ernst ist immer
angenehmer als törichte und gemachte Lustigkeit.
Maßhalten soll man nicht nur mit Lachen, sondern auch
beim Lachen. Gewiß darf man ruhig von ganzem Herzen sich
der Heiterkeit hingeben, es schadet gar nichts, wenn man auch
einmal Tränen lacht; aber ausgelassen und maßlos soll das
Lachen niemals sein. Ein wildes, wieherndes Gelächter macht
schon äußerlich einen unangenehmen Eindruck und ist zugleich
ein Beweis, daß die Selbstbeherrschung fehlt. Auch in Lust
und Fröhlichkeit muß man sich in der Gewalt behalten. Wer
kann sich vorstellen, daß der Heiland jemals in lautes, schal-
lendes Gelächter ausgebrochen sei ? Ob er wirklich gelacht hat,
wissen wir nicht einmal, wohl, daß er geweint hat; sicherlich
wird aber auch ein freundliches Lächeln oft sein Antlitz verklärt
haben. Sonst hätten sich die Kinder nicht so von ihm ange-
zogen gefühlt.
Es gibt auch ein schlechtes Lachen. Wenn einer lacht
über Religion und heilige Dinge, so ist dies Lachen gottlos.
Wenn einer lacht über die Not oder über die Gebrechen seiner
Mitmenschen, so ist dies Lachen grausam. Immer ist ein sol-
ches schlechtes Lachen sündhaft, das Zeichen eines schlechten
Charakters. Man sollte nicht einmal über eine Torheit lachen,
die ein anderer aufrichtig ernst nimmt; wer Zartgefühl hat,
wird es nicht übers Herz bringen. Nicht mit Unrecht pflegt
man zu sagen: Am Lachen erkennt man den Menschen, oder:
Sage mir, worüber du lachst, und ich will dir sagen, wer du
bist. Mit einem einzigen Lachen verrät der Mensch oft mehr,
als man durch jahrelange Beobachtung seines Lebens erfahren
kann. Ein einziges Lacken kann oft tiefer verwunden als das
härteste Wort.
Nicht immer ist das Lachen ein Zeichen der Freude. Es
gibt auch ein bitteres, ein höhnisches, ein zorniges Lachen.
Dann ist es nicht schön, nicht erquickend und befreiend, son-
dern wie ein Krampf, wie eine Grimasse, die unheimlich aus-
sieht. Es hat nur den Körper des Lachens, aber darin lebt
eine fremde Seele. Ja, man sagt, daß der Mensch auch
in großer Qual und Verzweiflung, wenn ihm die Tränen ver-
siegen, und wenn jeder Laut des Jammers verstummt, weil er
zu schwach ist, in ein grelles, entsetzliches Lachen ausbrechen
kann. So mögen die Verdammten lachen in der Hölle.
Wir wollen die schöne Gabe, die Gott uns zum Troste
und zur Erheiterung verliehen hat, nie mißbrauchen! Das
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
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217
wollen, außerdem aber nur noch dumme Jungen. Es gibt unter
letzteren allerdings auch Menschen, die über fünfzig Jahre alt sind.
Wenn du Bücher kaufst, fo scheue die kleine Mehrausgabe
nicht und kaufe gebundene Bücher. Tiefe hast du zehnmal länger
als ungebundene, und du erlebst viel mehr Freude an ihnen. Ge-
bundene Bücher sehen immer anständig und ansehnlich aus, selbst
wenn sie schon sehr alt sind. Welch widerwärtigen Eindruck tnacht
dagegen ein vielbenutztes ungebundenes, aus einzelnen Stücken be-
stehendes, schmutziges und zerrissenes Buch, von dein eigentlich nur
noch Überreste vorhanden sind. Kannst du das Buch nur in un-
gebundenem Zustande beschaffen, so laß es einbinden, bevor du es
aufschneidest und zu lesen beginnst. Sauber und reiickich wird das
Buch nur, wenn es in unaufgeschnittenem Zustande zum Buchbinder
kommt. Dieser kann bei einem Buche, das in unzusammenhangen-
den Stücken zu ihm kommt, nichts Gutes mehr leisten.
Laß Bücher nicht allenthalben in deiner Wohnung herumliegen.
Abgesehen davon, daß dies ein Zeichen großer Nachlässigkeit ist, sind
die Bücher dabei zahllosen Beschädigungen und Verunreinigungen
ausgesetzt.
Wenn du ein Buch verleihst, laß dir einen Empfangszettel
dafür geben. Du hast in vier Wochen vollständig vergessen, an wen
du das Buch geliehen hast, und da es Hunderte von Menschen gibt,
die es als ihr gutes Recht betrachten, geliehene Bücher zu be
halten, so ist das Buch für dich verloren. Oder mache es dir zum
Grundsatz, überhaupt niemals Bücher zu verleihen. Jedes Aus
leihen bedeutet auch eine Wertvermindernng und Beschädigung des
Buches. Sage deinen Freunden und Verwandten, die Bücher von
dir leihen wollen, du tätest dies grundsätzlich nicht, und sie werden
sich damit beruhigen.
Bringe deinen Kindern und Hausgenossen Respekt vor Büchern
bei. Nicht nur deshalb, weil das Buch einen gewissen Geldwert
hat, sondern auch deshalb, weil jedes gute Buch auch einen Schatz
des Wissens oder der geistigen Leistung darstellt.
Ist es nicht wunderbar, daß so vielen Menschen, alle Begriffe
von Eigentum und Recht abhanden gekommen scheinen, wenn sie mit
Büchern zu tun haben, die andern gehören? Warum geben sie
geliehene Bücher nicht zurück? Sie machen sich doch eines Eigen
tumsvergehens schuldig, wenn sie in dieser Weise Bücher unterschla-
gen. Warum beschädigen und beschmutzen sie rücksichtslos fremde
Bücher? Auch dadurch machen sie sich vielleicht gesetzlich strafbar.
Aber Büchern gegenüber glauben sie sich alles erlauben zu können.
Es fehlt eben in Deutschland noch in weiten Kreisen der Respekt
vor dem Buche.
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127+ 330tl Öer Ereile* Von (Smil Frommet.
3m deutschen Land gab's einst einen Edelstein, und ganz ist er aus
ihm gottlob noch nicht entschwunden; der Edelstein hieß die
deutsche Treue. Mochten andere Völker reichere Gaben und Vor-
züge besitzen, eines konnte von unserm deutschen Volk gerühmt
werden: daß es ein „treues Volk" sei, und „deutsche Treue" war
sprichwörtlich geworden. Darum singt auch ein Lied:
„Der alten Barden Vaterland,
Dem Vaterland der Treue,
Dir niemals ausgesungenes Land,
Dir weih'n wir uns aufs neue!"
Nun geht's mit dem Wörtlein Treue wie mit allen herrlichen
Dingen, daß man nicht mit einen: Wort sagen kann, was sie alles
bedeuten und sind. Oder wer will mit einem Worte sagen, was
„Gott", was „Liebe", was „Leben" sei? Solche Worte fassen eine Welt
in sich. So ist's mit der Treue auch. Kannst du von einem Men-
schen sagen, daß er treu sei, so hast du mehr zu seinem Lobe gesagt,
als wenn du ein ganzes Buch über seine Tugenden zusammen-
geschrieben hättest. Alle Tugenden des Menschen und Bürgers sind
einzelne Lichtstrahlen, aber die Treue ist der Brennpunkt, in welchen
sie sich alle sammeln. Wir wollen's aber einmal mit etlichen Worten
versuchen, das Bild der Treue zu malen.
Zunächst hat die Treue ihre Verwandtschaft mit dem Worte
Vertrauen. Einen: treuen Menschen traut und vertraut man. Ein
treuer Mensch ist also doch zunächst einer, auf dessen Wort und Zu-
sage man bauen kann. Ein Mann — ein Wort! und an diesen:
Worte wird festgehalten und durchgehalten, mag biegen und brechen,
was da will. „Ewigkeit geschwornen Eiden!" So ist also die
Treue das solide Fundament im Menschen, und man sagt darum
auch von einem treuen Menschen: „auf den kann man Häuser
bauen". Häuser baut man aber nicht auf Sand. Aber die Treue
geht nicht bloß auf das Wort und die Zusage eines Menschen, die
er da oder dort gibt, sondern aus den ganzen Menschen mit Herz,
Mund und Hand, auf seine ganze Gesinnung, mit einem Wort: ein
treuer Mensch ist einer, aus den man sich verlassen kann. Das
macht den großen durchschlagenden Unterschied unter den Menschen
aus, daß man wohl mit Recht sagen kann: Es gibt überhaupt nur
zweierlei Menschen in der Welt, so verschieden sie auch sonst sind;
erstens Menschen, aus die man sich verlassen kann, und zweitens
Menschen, auf die man sich nicht verlassen kann. Denn alles an-
dere — wie eines Menschen Verstand, Fähigkeit und Wissen, sein
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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