55
Vii. Deutschland.
Oesireicher erobern Schlesien und streifen bis Berlin, dennoch aber
siegt Friedrich, 6. Nov., bei Roßbach über die Franzosen, eilt nach
Schlesien, vernichtet eine östreichische Armee bei Leuchen, 5 Dez.,
und hat am Ende des Jahres ganz Schlesien mit Ausnahme einiger
Festungen wieder erobert. Minder glänzend sind die folgenden
Jahre; die Russen werden zwar bei Zorndorf 1758 geschlagen, sie-
gen aber im folgenden Jahre bei Cunersdorf. Mehrere andre Un-
fälle hatten Friedrich geschwächt; die Schlackt bei Liegnitz und der
große Sieg bei Torgau 1760 gaben ihm in Schlesien und Sachsen
das Uebergewicht wieder, doch wäre er bei gänzlicher Erschöpfung
seiner Kräfte, und bei ausbleibenden Hülfsgeldern Englands, wohl
endlich unterlegen, wenn nicht 1762 der Tod seiner erbitterten
Feindin Elisabeth von Rußland ihn gerettet hätte. Matter ward
nun der Krieg von allen geführt, und der Hubertsburger Friede
endigte 1763 den großen Kampf, .ohne daß Friedrich auch nur das
geringste von seinen Staaten eingebüßt hätte. Seinem Vater folgte
Joseph Ii. auf dem Kaiserthron 1765, voll Bewunderung der
Größe Friedrichs, und mit dem Wunsche, gleich ihm der Schöpfer
einer neuen Zeit für seine Staaten zu werden, doch behielt Maria
Theresia bis zu ihrem Tode 1780 die Regierung ihrer Länder. Die
erste Theilung Polens, 1772, in welcher Preußen Westpreußen,
doch ohne Danzig und Thorn, und später den Netzdistrict, Oestreich
einen Theil von Galizien, und Rußland bedeutende Provinzen er-
warb, so wie der baiersche Krieg, 1778 — 79, in welchem Friedrich
noch einmal zur Vertheidigung Baierns gegen Oestreich die Waffen
ergriff, störten im Ganzen nicht die Ruhe Deutschlands. Nach
dem Tode Maria Theresia's griff Joseph das Werk der Verbesserung
in seinen Staaten mit redlichem aber allzuraschem Elfer an. Er
erbitterte die Geistlichkeit durch Aufhebung vieler Klöster und andre
Neuerungen, die Ungarn durch gewaltsame Einführung der deut-
schen Sprache, vorzüglich aber die Niederländer, welche sowohl
auf ihre religiösen Einrichtungen als auf ihre bürgerlichen Freihei-
ten höchst eifersüchtig waren. Ein unglücklich geführter Türken-
krieg vollendete das Mißvergnügen, und als Joseph 1790 uner-
wartet starb, hinterließ er seinen Bruder Leopold Is., bis dahin
Herzog von Toskana, in der schwierigsten Lage. Alle Provinzen
waren in Gährung, und die eben in Frankreich ausgebrochenen
Unruhen, woran die Niederländer lebhaft Theil nahmen, waren
wohl geeignet, allen Fürsten Europa's die ernstesten Besorgnisse
einzuflößen. Ehe wir aber diesen letzten Theil der deutschen Ge-
schichte betrachten, werfen wir einen Blick auf die geistige Entwicke-
lung Deutschlands, für welche der lange im Ganzen ruhige Zeitraum
vom 30jährigen Kriege bis zur französischen Revolution eben so
günstig gewesen, als er auf die politischen Verhältnisse des Vater-
landes nachtheilig gewirkt hat.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Elisabeth_von_Rußland Friedrich Friedrich Joseph_Ii Friedrichs Maria
Theresia Maria Theresia Oestreich Friedrich Friedrich Oestreich Maria_Theresia's Maria Joseph Joseph Leopold_Is Leopold
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Berlin Roßbach Schlesien Liegnitz Torgau Schlesien Sachsen Englands Friedrichs Polens Danzig Thorn Galizien Deutschlands Toskana Frankreich Deutschlands
108
A. Europa.
4. Das Königreich Hannover.
Dieser seit 1814 zum Königreiche erhobene Staat besteht aus
den alten Besitzungen des Kurhauses Braunschweig-Lüneburg und
einigen seit 1814 und 15 neu hinzugekommenen Ländern, als: Ost-
friesland, Theile von Münster und Lingen, Hildesheim u. a. In
seiner jetzigen Gestalt wird es umgeben von Holstein, Mecklenburg,
Preußen, Braunschweig, Hessen, den Niederlanden und der Nord-
see, und zählt auf 695 □ M. 1,580,000 Einw., wovon die über-
wiegende Mehrzahl Lutheraner und nur etwa 200,000 Katholiken
und 100,000 Reformirte sind. Sie gehören beinahe sämmtlich zu
dem alten Stamme der Sachsen, mit Ausnahme der Friesen in
Ostfriesland und einiger Wenden in der Nähe der Elbufer. Der
größte Theil des Landes spricht plattdeutsch. Die jetzige regierende
Familie stammt von Heinrich dem Löwen, einem der mächtigsten
deutschen Fürsten im 12ten Jahrhundert, welcher selbst von väter-
licher Seite dem alten italiänischen Hause Este und somit dem bai-
rischen Welfen - oder Guelfenftamm, von mütterlicher Seite aber
dem altsächsischen Billungischen Hause angehörte. Von seinen
weitläuftigen, Sachsen (im damaligen Umfange einen großen Theil
von Norddeutschland begreifend) und Baiern umfassenden Staa-
ten kam nur ein geringer Theil, das bisherige Braunschweig-
Lüneburg und Wolfenbüttel, auf seinen Enkel Otto das Kind, und
nachfolgende Theilungen zersplitterten die Macht dieses Hauses
immer mehr, bis endlich am Ende des 16ten Jahrhunderts die
beiden noch jetzt bestehenden Häuser Braunschweig-Lüneburg und
Braunschweig-Wolfenbüttel entstanden, wovon ersteres 1714 den
großbritannischen Thron bestieg. Der König von Hannover ist also
zugleich König von England; aber beide Länder sind übrigens in
jeder Hinsicht durchaus getrennt, so daß, wenn die Krone Eng-
lands an eine Prinzessin käme, der ihr in der Erbfolge nächste
Prinz Hannover als ein besondres Reich bekommen und der Zu-
sammenhang mit England aufhören müßte. Die Lüneburgischen
Fürsten erhielten 1692 die Kurwürde, und die königliche 1814.
Bei dieser Gelegenheit ward das Jahr darauf der Guelfenorden ge-
stiftet, welcher aus 8 Klassen besteht und ohne Unterschied der Ge-
burt und des Standes ausgetheilt wird.
Der Staat Hannover besteht aus einer größer» nördlichen und
einer kleinern südlichen, von der ersten durch das Braunschweig-
sche getrennten Hälfte. Die Beschaffenheit des Landes ist sehr ver-
schieden; der ganze südliche Theil, welcher ^/s des Harzes begreift,
ist gebirgig. Von der nördlichen Hälfte ist nur der südliche Rand
gebirgig, alles übrige ist durchaus eben. Die Gebirge gehören zu
den metallreichsten in Deutschland, und der hannöversche Bergbau
im Harz, welcher zum Theil mir Braunschweig gemeinschaftlich be-
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_dem_Löwen Heinrich Otto
Extrahierte Ortsnamen: Europa Hannover Braunschweig-Lüneburg Lingen Hildesheim Holstein Mecklenburg Braunschweig Hessen Niederlanden Sachsen Ostfriesland Sachsen Norddeutschland Baiern Lüneburg Braunschweig-Lüneburg Hannover England Hannover England Deutschland
203
Vii. Deutschland. Oestreich.
behindert, ist nicht von großer Bedeutung. — Ungarn ist eine
in männlicher und weiblicher Linie erbliche Monarchie; nach Ab-
sterben des regierenden Hauses hätten die Reichsstände das Recht,
sich selbst einen König zu wählen. Die königliche Macht, obwohl
sie in der neuern Zeit sehr zugenommen, ist dennoch immer von
den Reichsständen beschränkt, an deren Spitze der gewählte Pala-
tinus von Ungarn steht.
Geschichte.
Das heutige Ungarn war lange Zeit unter dem Namen Pan-
nonien eine römische Provinz. Als das römische Reich dem An-
drang barbarischer Völker erlag, ward Pannonien abwechselnd
von vielen Völkerschaften durchzogen und besetzt, unter welchen
die Gepiden und später die Aoaren die bedeutendsten waren. Mit
letzteren hatte noch Carl der Große zu kämpfen, welcher sein Reich
bis an die Raab ausdehnte und den Avaren das Christenthum auf-
drang. Ein neuer Schwarm nomadischer Barbaren, die Magya-
ren oder Madscharen, es bleibt ungewiß, ob von kalmykischer
oder finnischer Abkunft, aus dem Innern Asiens, drang unter
der Anführung Arpads ums Jahr 894 in Ungarn ein, eroberte
binnen 10 Jahren das Land und theilte sich in den Besitzungen;
wobei die bisherigen Bewohner zu Sklaven gemacht wurden; eine
Erklärung, wenn auch nicht Rechtfertigung des heutigen Zustan-
des. Arpads Nachkommen beherrschten Ungarn bis 1301. Die
Magyaren waren an ein kriegerisches Nomadenleben gewöhnt und
setzten ihre alles verheerenden Streifzüge durch Deutschland, Frank-
reich und Italien und bis vor die Thore von Conftantinopel bis
zu Ende des 10ten Jahrh, fort, wo unter ihrem Anführer Geysa
das Christenchum und mit ihm Liebe zum Frieden und zum Acker-
bau eindrang. Geysa'ssohn, Stephan der Heilige, ward vom
Kaiser als erblicher König erkannt und erhielt vom Papst Syl-
vester Ii. die noch jetzt aufbewahrte apostolische Krone. Diesem
großen Fürsten verdankte Ungarn seine Eintheilung in 72 Comi-
tate, die erste Gesetzgebung und den Anfang einiger Bildung,
welche besonders durch die Aufnahme deutscher Ansiedler beför-
dert ward. Die Krone Ungarns war erblich, aber die Erbfolge
unbestimmt; daher entstanden nach Stephans Tode, >1038, bei-
nahe 50jährige Kriege, welche erst mit Ladislav's Thronbestei-
gung 1085 beendigt wurden. Die dadurch wie durch die verwü-
stenden Durchzüge der Kreuzheere entstandenen Verheerungen wur-
den durch Aufnahme einer großen Zahl besonders sächsischer und
niederländischer Kolonisten unter Geysall., bis 1161, einiger-
maßen wieder gut gemacht. Aber jede Spur der wieder aufblü-
henden Cultur verschwand und das Land ward beinahe zu einer
menschenleeren Wüste, als von 1241 — 43 unzählige Horden von
Mongolen den König Bela Iv. schlugen, ihn aus dem Lande
zu fliehen zwangen und alles mit Feuer und Schwcrdt verwüste-
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460
A. Europa.
zelt, an einer davor aufgerichteten langen, rothen Stange, mit
einer Kugel von gleicher Farbe kenntlich, wo sich der Diwan zum
Kriegsrath versammelte und wo Gericht gehalten wurde; daneben
stand das Basch Tschadir oder Zelt des Groß-Veziers, welches
durch eine vergoldete Kuoiel und einen darüber befindlichen halben
Mond, und durch die grüne Farbe seines Gipfels und der Stangen
ausgezeichnet war. Die Versorgung der Armee mit Lebensmitteln
geschah höchst unregelmäßig, daher auch der Marsch eines solchen
Heeres alles weit und breit verwüstete. Auf dem Marsche selbst
herrschte völlige Unordnung; es war genug, wenn nur ein jeder
sich Abends im Lager einfand. So furchtbar die leichten Truppen
der Türken, so hartnäckig ihre Vertheidigung fester Plätze ist, so
unvollkommen war ihre Schlachtordnung und ihre Bewegungen,
daher sie nicht leicht im offenen Felde gegen regelmäßige Truppen
etwas ausrichteten. Das Schicksal der Gefangenen bei den Tür-
ken ist traurig; die meisten werden in der ersten Wuth niederge-
metzelt; die der Staat erhält, werden ohne Unterschied gefesselt
und zu den härtesten Arbeiten in den Arsenalen von Constan-
tinopel gebraucht; um ihre eigenen Gefangenen bekümmern sie sich
gar nicht.
Bekanntlich sind alle Türken eifrige Anhänger der Lehre Mu-
hammeds oder des Islam, d. h. Heilslehre, welche über einen
großen Theil von Asien und Afrika verbreitet in 2 Hauptparteien,
die der Sunniten, wozu die Türken, und die der Schiiten,
wozu die Perser gehören, zerfällt; beide sind durch den wüthend-
sten Religionshaß entzweit. Diese Lehre ist höchst einfach; der be-
kannte Satz: „es ist nur Ein Gott und Muhammed ist sein Pro-
phet", enthält die Grundlage derselben. Außerdem aber schreibt
sie viele äußere Gebräuche vor: die Beschneidung, häufige Gebete
und Abwaschungen, Fasten, verbietet den Genuß des Weins und
aller geistigen Getränke und des Schweinfleischcs, erlaubt dagegen
die Vielweiberei und verheißt den Gläubigen ewige sinnliche Ge-
nüsse im Paradiese. Sie ist daher ihrem Wesen nach aller tiefern
Speculation und geistigen Ausbildung abhold, ganz für die Be-
dürfnisse und Wünsche eines sinnlichen Volkes berechnet, und legt
mehr Werth auf die Beobachtung der Vorschriften und Gebräuche,
als auf Sinnesänderung. Das tägliche Gebet, Namaz, wird
Lmal täglich wiederholt, Morgens, Mittags, Nachmittags, Abends
und nach Untergang der Sonne; das Waschen der Hände, des
Kopfes und Halses ist die Vorbereitung zum Namaz; in gewissen
Fällen ist selbst das Waschen des ganzen Körpers vorgeschrieben,
und für jedes Gebet sind Worte, Stellung und Gebräuche aufs ge-
naueste bestimmt. Freitags, als am heiligen Tage der Muselmän-
yer, wird Nachmittags noch ein besonderes Gebet verrichtet. Das
große 30tägige Fasten im Monat Ramanzan wird durch gänz-
liche Enthaltung aller Speise und Trankes und aller sinnlichen Ge-
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