1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
29
25. Fliegende Fische.
Im Meere giebt es Fische, welche auch aus dem Wasser gehen und in der
Luft fliegen können. Man sollte meinen, es sei erdichtet, weil bei uns so
etwas nicht geschieht. Aber wenn ein Mensch auf einer Insel wohnte, wo er
keine andere Vogel, als Meisen, Distelfinken, Nachtigallen und andere dergleichen
lustige Musikanten des Waldes könnte kennen lernen, so würde er es eben so
unglaublich finden, wenn er hörte, daß es irgendwo ein Land gäbe, wo Vögel
auf dem Wasser schwimme-n und darin untertauchen; und doch können wir dieses
auf unsern Gewässern alle Tage sehen, und wir müssen daher auch nicht glauben,
daß alle Wunder der Natur nur in andern Ländern und Welttheilen seien.
Sie sind überall. Aber diejenigen, die uns umgeben, achten wir nicht, weil
wir sie von Kindheit an und täglich sehen.
Was nun die Fische und Vögel betrifft, so schwimmt eine Ente freilich
nicht eben so, wie ein Fisch, und ein Fisch fliegt nicht, wie ein Storch; sondern
damit hat es folgende Bewandtniß. Die Floßfedern an der Brust dieser Thiere
sind sehr lang und mit einer weichen Haut überzogen. Durch deren Hülfe kann
sich der Fisch eine Zeitlang in der Luft erhalten. Aber erstlich, das thut nicht
länger gut, als diese Haut naß ist. Sobald sie trocknet, fällt der Fisch ins
Wasser zurück. Zweitens, er geht nicht ans dem Wasser ohne Noth, fliegt
nicht spazieren für Kurzweil, oder um feine Kunst zu zeigen, sondern wenn ihn
ein Raubfisch verfolgt, dem er nicht mehr anders entrinnen kann; und darin ist
er klüger, als mancher Mensch, der schon Hals und Beine gebrochen hat. Denn
der Fisch sagt: Man muß seiner Natur und seinem Stande getreu bleiben, so
lange man kann; kein Wagstück treiben, wenn's nicht sein muß; nicht oben zum
Fenster hinaus springen, wenn die Thür offen steht.
Solche fliegende Fische geben den Schisffahrendcn, die viele Wochen lang
nichts als Himmel und Wasser um sich haben, ans ihrer langweiligen Reise
manche Kurzweil; besonders wenn der Raubfisch, welcher sic verfolgt, ebenfalls
fliegen kann und ihnen nacheilt. Da sieht man eine seltsame Fischjagd in der
Luft. Oft erhascht der Raubfisch seine Beute, und zieht sie wieder in das
Wasser hinab. Oft entgeht sie durch Geschwindigkeit oder Glück. Manchmal
ist noch ein ganz anderer Spaß zu scheu. Denn gewisse Vögel fliegen über
dem Wasser hin und her und stellen den Fischen nach, können ihnen aber nichts
anhaben, so lange diese daheim im Wasser bleiben, wohin sie gehören. Wenn
aber ein folcher Luftkrieg zwischen ihnen angeht, so wird bald der Fliehende,
bald der Feind, bald beide von dem Vogel, der das Ftiegen besser versteht, er-
hascht und kommen ihr Lebelang nicht mehr ins Wasser. Und dazu lachen
die Schiffer.
Merke: Solcher Spaß, bei dem man aber oft lieber weinen, als lachen
möchte, ist manchmal auch mitten auf dem trocknen Lande zu sehen, wenn zwei
Brüder, oder Verwandte, oder Bundesgenossen Prozeß und Streit mit einander
führen, und kommt ein Dritter dazu und beraubt beide des Vortheils, den jeder
von ihnen allein haben wollte und keiner dem andern gönnte.—Merke: Wepn .
die Fische im Meer Händel haben, ist's lauter Freude für die losen Vögel in
der Luft.
25. Noch einige merkwürdige Seefische.
1. Nicht viel geringer, als der Nutzen des Härings, ist der des Kabeljau's. Auch
dieser Fisch dient Millionen von Menschen zur Nahrung. (Lr wird 2 — 3 Fuß lang
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
31
stricken, die dort ausgespannt sind, und dann erschlagen werden. Am großartigsten
wird der Thunfischfang an der Nordkiiste Siciliens, in der Gegend von Palermo be-
trieben. Die Netze, welche inan hier benutzt, sind oft eine Meile lang. Durch Kork-
stiicke, welche auf dem Wasser schwimmen, sowie durch Bleikugeln, welche an den
untern Enden der Stricke befestigt sind, wird die Borderwand eine« solchen Netze« in
eine senkrechte Richtung gebracht. Durch thiirartige Oeffnungen in dieser Wand werden
die Fische zuerst in weite Behälter getrieben; an« diesen dringen sie in engere Kam-
mern vor, bi« sie endlich in der Todtcnkammer angelangt sind, in der sie erschlagen
werden. Ein emsiger Zug liefert oft 2—3000 Ccntner Fische. Frisch gekocht schmeckt
das Fleisch wie Rindfleisch; tritt die geringste Fäulnis; ein, so ist sein Genuß der Ge-
sundheit sehr nachtheilig. Eingesalzen und gut erhalten ist e« eine gesunde Speise.
4. Die Arten de« Aales sind langgestreckte, schlangcnartige,' bissige Raubfische
mit schlüpfriger Haut, in der die Schuppen fast gänzlich versteckt liegen. Die Rücken-
und -die Bauchflosse ziehen sich in langen, schmalen Streifen über den Körper hin
und vereinigen sich am Schwänze; außerdem sind noch zwei kleine Kehlflossen vor-
handen. Ihre Kiemenspalte ist ein ani Halse befindliche«, röhrenartigcs Loch, welches
ihnen gestattet, einige Zeit außer dem Wasser zuzubringen. Manche leben im Meere,
andere jedoch auch in Landsee'n und Flüssen. Am bekanntesten ist der gemeine Aal,
den man besonder« an den Ostseeküsteu in großer Menge fängt. Im Winter verkriecht
er sich im Schlamm, um einen Winterschlaf zu halten; in warmen Frühlingsnächten,
besonders nach einem Regen, begiebt er sichgern auf« Land, um auf feuchten Wiesen
seiner Lieblingsnahrung, den Schnecken und Rcgcnwürmern, nachzugehen; doch wird
er alsdann auch den Erbsenfeldern schädlich. Bei seinem sehr zähen Leben soll er oft
6 Tage lang ans dem festen Lande zubringen. Bestreut man aber den Weg, welchen
er in der Nacht einschlägt, um auf«.Land zu kommen, mit Asche oder Sand, so fin-
det sein Körper in seinen Schlangenwindnngen keinen Widerstand; er muß liegen
bleiben und kann leicht gefangen werden. Sein fette« Fleisch wird frisch eingesalzen
und geräuchert gegessen; au« seiner Haut wird ein zähe« Leder bereitet, da« zu
Peitschenriemen und Wagcngeschirren benutzt wird; außerdem wird sie von den Tar«
taren wegen ihrer Durchsichtigkeit statt der Fensterscheiben angewandt.
27 bis niedern Thiere des Moeres.
Auch unter den niedern Thieren, die das Meer beherbergt, sind viele
sehr merkwürdig. Millionen und abermals Millionen mögen an prangen in
wunderbarer Schönheit, die nie eines Menschen Auge erschaut. Da giebt
es Schnecken mit bunten, harten, herrlich glänzenden Schulen, welche die
Seeleute als Seltenheiten, zum Zierrath für ihre Stuben und zum Spielzeug
für ihre Kinder mit nach Hause bringen. Am bekanntesten sind die Por-
zellan sclinecken, zu denen auch die Otternköpfchen gehören, welche
von den Sattlern zur Verzierung der Pferdezäume benutzt werden und die
bei manchen Völkern statt der Münzen dienen. Aus andern Schneckenhäu-
sern werden Dosen und sonstige nützliche Gerüthe verfertigt. — Der Din-
tenfisch ist kein Fisch, sondern auch ein Weichthier, wie die Schnecken.
Doch ist er nicht in ein kalkiges Gehäuse eingeschlossen, sondern trägt
nur unter seiner Kückenhaut eine Kalkplatte, die unter dem Namen Sepien-
knochen bekannt ist und bei den Malern in grossem Ansehen steht. Beim
Schwimmen hält das Thier den Kops nach unten; die acht Arme oder Beine
aber, welche den Kops umgeben, streckt es aufwärts. Auf diesen Armen
sitzen Saugwarzen, mit denen es seine Beute, die in Fischen, Krebsen, Schne-
cken u. s. w. bestellt, festhalten und zum Munde fuhren kann. Seinen Namen
hat es daher, dass es einen schwärzlichen Saft ausspritzen kann, welcher
das Wasser trübe macht, so dass es leichter entiliehen kann, wenn es sich
verfolgt sieht. Mehrere Arten von Dintenlischen sind essbar. Sie sind übrigens
dem Fange der eigentlichen Fische schädlich; denn sie fressen Alles, was an
ihren Saugwarzen hängen bleibt; ja, man will schon die Beobachtung gemacht
haben, dass grosse Dintensische sogar badende Menschen unter Wasser ge-
zogen haben, so dass sie ertrinken mussten.
Die Muscheln haben zwei mehr oder weniger gewölbte Schalen um
«ich; innerhalb derselben sitzt das Thier, welches die Schalen nach Belieben
öffnen oder Schliessen kann.. Es hat keinen Kopf, aber einen grossen Mund,
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
283
amerikanische Handelsgesellschaft ihren Hauptsitz hat; Och otsk im fernen
Osten wird den schwersten Verbrechern zum Verbannungsortc angewiesen.
An der Südostküste von Kamtschatka ist der befestigte Peter-Paulshafen
angelegt worden. Die eingeborne Bevölkerung gleicht in Körperbau und
Lebensweise schon sehr den Bewohnern der Polarländcr Amerika's. Bilden
ja doch die felsigen, nur von Pelzjägern besuchten Ale-uten und Fuchs-
in seln gleichsam eine Brücke zwischen Kamtschatka und der von Amerika
aus weit nach Westen vorspringenden Halbinsel Ala schka.
143. Dsr Zobelfang.
Her Zobel ist kleiner als unser Marder, zu dessen Geschlecht
er gehört. Er ist braun, hat statt der weissen oder gelben Kehle
graue Flecken am Kopfe und ganz behaarte Zehen. Sein Schwanz
ist kürzer als die Hintersasse. Er findet sich nur in Sibirien, wo
er in gebirgigen Wäldern lebt; je höher die Gebirge, und. je kältery
desto häufiger und schöner ist er. Ehe, dieses Land den Hussen
angehörte, waren Zobel in ausserordentlicher Menge vorhanden. Seit
hundert Jahren aber hat die Habsucht der Europäer solche Nieder-
lagen unter ihnen, angerichtet, dass man sie jetzt nur noch in den
entlegensten Wäldern, besonders im östlichen Winkel des Festlandes
und auf Kamtschatka in grösserer Zahl antrifft.
Es giebt keine so wohl ausgedockte und eingerichtete Jagd, wie
die Zobeljagf a'tn Lenafiusse. Hie Jäger versammeln sich auf ihre
oder fremde, Rechnung, legen ihre Nahrungsmittel und Waffen auf
einen Schlitten, nehmen Hunde mit und gehen auf Schneeschuhen
längs der Flüsse in die entferntesten Wälder, wo sie aus Zweigen
Fallen machen oder Netze vor die Baumlöcher stellen, aus denen
sie die Thiere heraustreiben. Hie entlaufenen werden von Hunden
gefangen oder mit Flinten und Pfeilen erschossen.
Am besten sind die Pelze mitten im Winter. Jeder Sibirier
muss jährlich, zwei einliefern; jetzt• aber werden meistens nur die
schlechteren abgegeben, oder man bezahlt Geld und verkauft die Pelze
an die Chinesen. Sie sind eigentlich der Reichthum von Sibirien. .Ihr
Preis ist sehr verschieden; das Paar kann an Ort und. Stelle 80,
in Russland 170 Rubel kosten, besonders wenn die Haare lang, dicht
und schwarz sind und wenn sie eine braune Unterwolle haben. Hie
schlechteren kommen nach Europa und China, wo man sie zu färben
versteht. Sie werden vorzüglich dadurch verfälscht, dass man sie
in Rauch hängt. Sie färben aber dann ab, wenn fnan su mit
Leinwand reibt. Uebrigens verbleichen sie endlich alle, wenn man
sie nicht in blaue Baumwolle oder in Juchtenleder legt, welches
letztere die Insekten abhält. Auch nach den Gegenden sind sie'
sehr verschieden, und es gehört ein geübter Kaufmann dazu, um sie
sogleich zu erkennen. Hie besten kommen aus den Nadelwäldern.
144. Die Nordküste Afrika's.
1.
Wir beginnen unsere Wanderung durch das nördliche Afrika im Lande
Äeglpten, das uns wegen seiner Erinnerungen an die ältesten Zeiten schon
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
296
bekommt es die Stallluft zu koste». Kein Gebiß kommt iu sei» Maul, kein
Sporn in seine Seite. Dabei ist es das gehorsamste und willigste Geschöpf.
Ein leiser Schlag mit der Hand reicht hin, um es zu lenken. Rur der Araber
hat verstanden, alle die edlen Eigenschaften, die in einem Pferde liegen, zu
entwickeln, und wenn in der Behandlung des Pferdes sich dev Charakter und
der Bildungszustand eines Menschen ausspricht, so steht der Beduine bei
Weitem höher, als der nordamerikanische Jäger, der aus seinem Pferde ein
furchtsam gehorchendes und tückisch lauerndes Geschöpf gemacht hat.
3. Wie das Atlasgebirge, so sind auch alle Felsen der Wüste von Ga-
Men bewohnt. Dieselben gehören, wie die Gemse der Schweizeralpen, zu dem
Geschlechte der Antilopen. Die gemeine Gazelle, die sich in der Berberei
und in der Sahara in unzählbaren Heerden hernmtnmmelt, hat die Größe
und zierliche Gestalt unseres Rehes. Den Menschen, die sich ihnen nähern,
halten sie, dicht zusammengedrängt, die Hörner entgegen; den Bären und
Panthern aber fallen sie bei aller ihrer Schnellfüßigkeit zur Bellte. Wegen
ihres ziemlich schmackhaften Fleisches wird mit Hunden oder auch mit abge-
richteten kleinen Leoparden und Falken Jagd auf sie gemacht. Im Morgen-
lande findet sich die Gazelle als Hausthier. Wegen ihrer Zutraulichkeit und
Reinlichkeit ist sie sehr beliebt. Dabei wird ihre Schönheit von allen Dich-
tern gepriesen. In ihrem glatten, glänzendeil, graubraunen Kleide ist
sie das Sinnbild des Zarten und Zierlichen; ihr herrliches Auge gilt als ein
Spiegel der Sanftmuth und Unschuld.
4. Auch der Strauß gehört vorzugsweise der Wüste an. Man hat ihn
nicht mit Unrecht das befiederte Kame el genannt. Sciil langer, kahler
Hals, [eine hohen Füße, sein schneller Lauf und seine häßliche Gestalt haben
zll dieser Bezcichilung Anlaß gegeben. Er übertrifft alle Thiere in der
Schnelligkeit des Laufens, so daß er mit den Füßen gewissermaßen fliegt.
Sein Gesicht entwickelt eine ungemeine Schärfe, wie dies bei allen Thieren
der Fall ist, die eine unabsehbare Ebene zur Heimath haben. Ein Ei dieses
Vogels wiegt nahe an drei Pfund und wird im Durchschnitt 24 Hühnereiern
gleich geschätzt. Mehrere Personen können sich daran satt essen. Da der
Strauß eine große Menge Eier legt, so ist er für die kärgliche Wüste von
weit größerer Bedeutung, als das Huhn für unsere reich gesegneten Länder.
Sonst kann die gefiederte Welt in der Wüste nicht stark vertreten sein;
namentlich muß es an Kletter- und Singvögeln fehlen, da deren Leben an
das Vorhandensein der Wälder gebunden ist. Die Geier lassen sich am häu-
figsten auf den Sandebenen sehen. Sobald sie Leichengeruch wittern, sind sie
in Schaaren da. — Unter den Säugethieren zählt man noch den Löwen
zu den Wüstenthieren, jedoch läßt sich dieser nutz selten außerhalb der Oasen
sehen.
149. Das Krokodil.
Die Krokodile oder Panzereidechsen sind nächst den Riesenschlangen
die grössten und gefährlichsten aller Amphibien. Die vielknotigen Schilder,
mit denen der Körper bedeckt ist, verdichten sich schnell zu einem theil-
weise undurchdringlichen Harnisch. Der woitgespaltcne Rachen, der gleich-
wohl nur im Oberkiefer beweglich ist, starrt von spitzen Zähnen, und der
lange, von den Seiten zusammengedrückte Schwanz ist nicht bloss Ruder,
sondern auch Walle des Thieres. Ein Schlag mit demselben reicht hin,
um selbst einem Hirsche alle vier Füsse zugleich zu zerschmettern. Sind
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
264
ist, so daß in der Mitte ein Korb hängen kann, während die beiden andern
Enden dieses Seiles in den Händen der zwei Jäger auf den Felsen ruhen.
Ist dies geschehen, so lassen die Jäger den Korb wieder zur See, und nun
steigt ein dritter Mann in denselben und wird emporgezogen, bis er durch ein
Zeichen zu erkennen giebt, daß er ein Nest gefunden habe. Behutsam nimmt er
die Eiderente aus und läßt sie auffliegen. Dann sieht er zu, ob die in dem Neste
befindlichen Eier schon bebrütet sind, in welchem Falle er nur die Federn nimmt.
Sind jedoch die Eier noch genießbar, so fügt er sie seiner Beute hinzu und läßt
sich zu einem andern Neste emporziehen. Die auf diese Weise beraubten Eider-
vögel paaren sich wieder und füllen das Nest abermals mit Federn; aber der
böse Mensch holt ihnen auch diesen Schatz und läßt sie erst gegen die Mitte des
Sommers, wenn sie zum dritten Male gelegt und nur noch eben Zeit zum Brü-
ten haben, in Ruhe, um die Brut nicht zu zerstören. — Dieses gefährliche Spiel
wirb nun fortgesetzt, bis der Jäger seinen Korb gefüllt hat oder keine Beute mehr
findet. Im erstem Falle wird, nachdem das Seil herabgelassen ist, ein anderer
leerer Korb angehängt, und der Jäger beginnt das Wagstück von Neuem und
fährt in demselben fort, bis er alle Schlupfwinkel durchsucht und jedes Nest be-
raubt hat. An cinzelstchenden Felsen ist das Geschäft noch viel gefahrvoller.
Aber wie oft auch die Stricke reißen, Menschen ins Meer stürzen oder von den
Felsen zerschmettert werden, — die Jagv wird doch immer noch fortgesetzt, und
es hat den Bewohnern der Färöer noch nicht an Eiern, den reichen Leuten des
Festlandes noch nicht an Eiderdunen gefehlt.
137. Das Königreich Ungarn
1.
In der römischen Provinz Pannonien, den weiten, fruchtbaren Ebenen
an der untern Donau, hatten sich einige Jahrhunderte nach Chr. G. die
Gothen niedergelassen. Die Völkerwanderung zwang sie, sich anderwärts
Wohnsitze zu suchen; verschiedene, bis dahin unbekannte Volksstämme
slavischen Ursprungs nahmen ihre Gebiete ein. Nach dem Fall ihres Königs
Attila mögen sich auch die Uebcrreste der Hunnen hinzugosellt haben;
wenigstens sind Manche der Ansicht, dass der Name des Landes von dem
Namen dieses Volkes hergeleitet werden müsse. Im 8. Jahrhundert traten
die wilden Avaren als Gegner Karls des Grossen auf; gegen Ende des 9.
Jahrhunderts fielen unter Arpad und andern Herzogen die Magyaren
(Madjaren), ein asiatischer Nomadenstamm, in Ungarn ein und erlangten die
Herrschaft über das ganze Völkergemisch. Auch in Deutschland unternah-
men sie auf ihren schnellen Rossen alljährlich Raub- und Beutezüge, bis
Heinich I. und Otto der Grosse sie in blutigen Schlachten für immer
zurückwarfen. Mildere Sitten kehrten erst mit der um das Jahr 1000 be-
wirkten Ausbreitung des Christenthums unter dem Volke ein. Stephan,
nachmals der Heilige genannt, war dessen erster christlicher König. 2ho
Jahre später liessen sich, angelockt von der Fruchtbarkeit des Lodens, sogar
Deutsche in verschiedenen Gegenden des Landes nieder und begründeten
Colonien, die zum Theil noch heute bestehen. Als um das Jahr 1300 Ar-
pads Geschlecht ausstarb, wurde Ungarn ein Wahlreich. Ludwig der
Grosse, der zweite Wahlkönig, wurde zugleich der Beherrscher Polens;
doch hörte die Verbindung schon mit seinem Tode auf. Maria, seine äl-
teste Tochter, wurde Königin von Ungarn und vermählte sich mit dem nach-
maligen deutschen Kaiser Sigismund; Hedwig, die jüngere, erwarb Polen,
das sie ihrem Gemahl, dem Grossfürsten Jagello von Litthauen, zubrachte.
Eine Zeitlang blieb Ungarn jetzt mit Böhmen verbunden. Dann wurden
beide 'Reiche wieder getrennt; seit dem Ende des 15. Jahrhunderts aber
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
— 333 —
auch das stärkste Thier zu Boden stürzen muß. Darauf saugt er das Blut
aus und schleppt den Leib ins Gebüsch, um sich daran satt zu fressen. Nicht
aber bloß den Thieren stellt er nach, sondern er schleicht sich auch in dem
hohen Grase ganz nahe an die Dörfer und lauert auf die Menschen, welche
vorbeigehen. '—Das Tigerweibchen wirft vier Junge; die Tiger würden
darum gar sehr überhand nehmen, wenn sie nicht auch untereinander in
Feindschaft lebten und sich gegenseitig aufrieben. Der alte Tiger frißt oft
sogar seine eigenen Jungen. Dennoch ist die Zahl dieser reißenden Thiere
in manchen Gegenden so groß, daß es Jäger gegeben hat, die sich rühmen
konnten, mehr als hundert derselben erlegt zu haben.
Zuweilen kann man den Tiger zurückschrecken, wenn man ihn fest und
steif ins Auge faßt. Ein'englischer Ofsicier entfernte sich von dem Lager
und traf in einem Busche ganz unerwartet einen Tiger an. Er hatte keine
Flinte und wagte es nicht, den Tiger mit dem bloßen Degen anzugreifen.
Darum blieb er ruhig stehen und sah ihn unverwandt an. Das Thier
wurde unruhig, schlich auf die Seite und suchte den Officicr von hinten an-
zugreifen. Dieser aber machte rechtsum und sah den Tiger abermals unver-
wandt an. Der Tiger sprang ins Gebüsch und schlich wieder von einer
andern Seite herbei. Sogleich kehrte sich der Ofsicier gegen ihn. Nach Ver-
lauf einer Stunde schlich sich das Naubthier davon, und der Officicr entkam.
Weil die Tiger den Menschen so sehr gefährlich sind, so stellen die indi-
schen Fürsten bisweilen große Treibjagden auf sie an. Tausende von Män-
nern zu Fuß und zu Pferde werden gegen die grimmigen Thiere aufgeboten.
Vornehme Leute reiten dabei auf Elephanten, vor denen sich dieselben eini-
germaßen fürchten. Ehe die Jagd beginnt, stellt man hohe Garne auf und
errichtet auf Bäumen oder Pfählen Schießhäuschen, in welche sich die besten
Schützen setzen, um auf die Seiger zu feuern. Sobald Alles iu Bereitschaft
ist, zündet man das dürre Gras und Gebüsch an und treibt die wilden Thiere
unter Lärmen, Schreien, Trommeln und Schießen gegen die aufgestellten
Garne. Da werden sie entweder lebendig gefangen, oder erschossen.
168. Kampf der Riesenschlange mit dem Tiger.
An einem Morgen sahn wir nach den Palmen wieder;
Da war'8, als hing’ ein Ast vorn höchsten Gipfel nieder,
Ein Ast, der wunderbar sich auf- und nieder zog,
In Schlangenwindungen sich hin und wieder bog.
Als den Verschlingungen wir zugesehen lange,
Erkannten wir, es sei die Königs riese ns c hl an ge.
An Dicke wie ein Mahn und sechzig Fuss an Länge,
So schätzten wir, dass sie von oben niederhänge.
In Lüften war der Schweif, verhüllt von Palmenlaub,
Der Rachen erdennah, weit auf gethan zum Raub;
Weit auf gethan zum Raub ohnmächtiger kleiner Thiere,
Die ihr Verhöngniss trieb zu diesem Jagdreviere.
Sie schien, am Zorngebrüll des Tigers war’s zu hören,
Zu schmälern seine Jagd und sein Geheg zu stören.
Da trat er, wie zum Kampf gerüstet, selbst hervor,
Und jene ringelte sich in sich selbst empor.
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
406
Masse von durchdringendem Geruch und bitterm Geschmack. Er ist
krampfstillend, aber auch erhitzend, und wurde früher mehr angewendet,,
als jetzt. Das Männchen besitzt mehr Geil, als das Weibchen, und drei
geben ungefähr ein Pfund. Das beste ist das russische, dann erst folgt
das canadische, Welches dafür aber auch billiger ist.
105. Die Wandertaube.
Diese merkwürdigste aller Tauben bewohnt sehr ausgedehnte Theile
von Nordamerika. Besonders findet sie sich im Norden der vereinigten
Staaten, in Canada und an den Küsten der Hudsonsbai, wo sie gewöhnlich
bis zum Ende des December bleibt, indem sie sich auf dem mit Schnee
bedeckten Boden von den Knospen der Wachholderbeeren nährt. In ge-
ringerer Menge kommt sie auch in südlicher gelegenen Landschaften, selbst
an den Ufern des mexicanischen Meerbusens vor.
Vor allen gefiederten Bewohnern der Erde zeichnen sich die Wand er-
tauben durch die Züge aus, die sie in ungeheurer, alle Vorstellung über-
steigender Zalil unternehmen, und zwar mehr um sich Futter zu suchen,
als um die Kälte zu vermeiden. Darum ist ihr Erscheinen in den meisten
Gegenden sehr unbestimmt, so dass sie manchmal in mehreren Jahren nicht
zahlreich kommen, dann aber wieder in unzählbarer Menge. Schon ihre
Streifzüge in Virginien und Pennsylvanien setzen den Fremden in Erstaunen,
die doch gar nicht zu vergleichen sind mit den aus fielen Millionen be-
stehenden Schaaren im Westen und Norden, wo die Buche unermessliche
Wälder bildet und die Buchecker am trefflichsten gedeiht. Haben sie
sämmtliche Früchte dieser Art in einem weiten Umkreise aufgezehrt, so
trifft sich’s wohl, dass sie regelmässig jeden Morgen zu einer zehn oder
fünfzehn deutsche Meilen entfernten Steile hinfliegen, wo sie neue Nahrung
entdeckt haben. Sie fressen sich satt und finden sich gegen Abend wieder
auf dem Sammelplätze ein. Haben sie einen solchen Platz, der sich stets
in einem grossen Walde befindet, eine Zeitlang bewohnt, so bietet er einen
überraschenden Anblick dar. Der Boden ist mehrere Zoll hoch mit ihrem
Unrathe bedeckt; alles Gras und Unterholz ist gänzlich zerstört. Grosse
Haufen von Aesten und Zweigen bedecken die Erde, die durch das Gewicht
der in dichten Knäueln übereinander sitzenden Vögel abgebrochen sind,
und die Bäume selbst sind so vollständig kahl, als wären sie mit der Axt
behauen. Die Spuren einer solchen Verwüstung bleiben noch lange sicht-
bar, und oft vergehen Jahre, bis neue Gewächse den Erdboden überzogen
haben.
Wird ein Sammelplatz der Wandertauben entdeckt, so eilen die Be-
wohner der Umgegend mit Flinten, langen Stangen, Knütteln, Schwefel-
töpfen und andern Zerstörungsmitteln herbei, ln wenigen Stunden hat
Jeder ein paar Säcke mit Tauben gefüllt, die er auf den mitgebrachten
Pferden fortschafft. Namentlich sind die Indianer darauf bedacht, das reiche ,
Geschenk der Natur möglichst zu benutzen. Noch ausgedehnter als die
blossen Ruhestätten sind die Brüteplätze, die sieh manchmal in der Breite
einer Meile zehn Meilen weit durch den Wald hinziehen. Auf allen taug-
lichen Aesten sind Nester angelegt. Sind die!Jungen ausgewachsen, jedoch
noch im Neste, so finden sich die Leute aus der Umgegend schaarenweise
ein, zum Theil mit Wagen, Beilen, Betten und Küchengeräthschaften ver-
sehen und zu einem mehrtägigen Aufenthalte eingerichtet. Augenzeugen
erzählen, das Getöse in dem Walde sei so gross gewesen, dass die Pferde
scheu geworden wären und dass sich keiner dem andern hätte verständlich
machen können, ohne ihm ins Ohr zu schreien. Der Erdboden war mit
zerbrochenen Eiern und jungen, aus dem Neste gestürzten Tauben bedeckt,
von denen sich ganze Heerden von Schweinen mästeten. Raubvögel aller
Art flogen schaarenweise in der Luft umher und holten, so oft es sie ge-
lüstete, die jungen Tauben aus den Nestern, während das durch den Wald
schweifende Auge zwanzig Fuss von dem Boden bis zu den Wipfeln der
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
370
1815 ein böser Geist in die Indianer fuhr, also daß sie die Missionare vertrieben oder
tödteten, die Dörfer der Neubekehrten verwüsteten und jede Spur des Christenthums
auslöschten. Die Stätten der Mission wurden zu traurigen Einöden. — Ein noch
elenderes Jndianergeschlccht ist das der Ottonyaken, die in einer andern Gegend des
Landes wohnen. Sic nähren sich nicht nur von Fischen, Eidechsen und allerlei Gewürm,
sondern mischen diesen ihren Speisen sogar Erde bei. Aus einem fetten Thon von
graugelber Farbe formen sie sich Kugeln, die sie am Feuer ein wenig rösten und dann
verzehren.
5.
Setzen wir unsere Küstenreise weiter fort, so kommen wir zu dem nach der Ent-
deckung Amerika's als das Goldland (El Dorado) gepriesenen Guyana. Dasselbe
hat eine Größe, die ungefähr der des preußischen Staates gleichkommt; doch wohnen
auf dieser Fläche nur etwa 300,000 Einwohner, unter welchen kaum der ackte Theil
zu den europäischen Einwanderern gehört. Engländer, Niederländer und Franzosen
haben sich in den Besitz des Landes getheilt. Die Küsten sind auch hier sumpfig und
zur Regenzeit, die sogar zweimal im Jahre eintritt, fast unzugänglich; besonders ist /
dieses au den breiten Mündungen der Flüsse der Fall, unter welchen der Esseguibo
und Surinam die.wichtigsten sind. Der Mangle- oder Wurzelbaum (S. 289)
bedeckt die weite Sumpflandschaft. Auf den Gewässern breitet sich die königliche
Victoria (Victoria regia), die seit wenigen Jahren auch in die europäischen Ziergärten
verpflanzte Niesen-Seerose der neuen Welt auö. Ihre mit einem hervorstehenden Rande
umgebenen, fast kreisrunden Blätter halten 0 Fuß, ihre prachtvollen, weiß und röthlich
gefärbten Blüthen 1 Fuß im Durchmesser. — Die höherliegenden Flächen sind fruchtbar
und wohl bebaut, besonders im mittlern Theile des Landes. Auf den Pflanzungen
wird hauptsächlich Zucker gewonnen; Kaffee und Baumwollplautagen sind fast gar
nicht mehr vorhanden. Die Sklaverei ist seit längerer Zeit aufgehoben; freigelassene
Sklaven, Maron neger genannt, haben besondere Niederlassungen begründet, denen sich
freilich auch solche Sieger anschließen, die aller guten Behandlung ungeachtet ihren Herren
entlaufen. Die Mehrzahl der Bevölkerung wird durch die in den südlichen gebirgigen
Theilen des Landes, in den Thälern dcö 8—10,000 Fuß hohen Gebirges von Par km e
zerstreut wohnenden Indianer gebildet, unter denen die Engländer einige Missionssta-
tionen begründet haben, — die einzigen der evangelischen Kirche, die iu Südamerika noch
bestehen. Die meisten Indianer leben jedoch noch in ihrer heidnischen Wildheit dahin,
reiben sich iu fortwährenden Kämpfen auf und suchen ihre Feinde mit ihren vergifteten
Pfeilen zu tödten. Hauptort von Englisch Guyana ist Georgetown *); unbedeu-
tender au Bolkszahl, jedoch noch bekannter ist das» zu ■,% von Schwarzen bewohnte
Paramaribo, die Hauptstadt von Niederländisch Guyana oder Surinam,
eine Stadls die gleichsam in einem einzigen großen Garten erbaut ist. Gar nicht so
freundlich sieht eö in Cayenne aus, der Hauptstadt von Französisch-Gu yana.
Diese liegt auf einer bewaldeten Sumpsinsel gleiches Namens und ist von Mauern
und Festungswerken umgeben, die sie noch ungesunder machen. Die französtiche Re-
gierung hat den traurigen Ort zur Vcrbannungscolonie für Verbrecher ausgewählt,
die hier meistens ihr Grab siuden. — Unter den zahlreichen, in Guyana einheimischen
glänzenden Jnsecteu ist der Surinam'sche Laternenträger am bekanntesten. Das
Thier gleicht, obschou es zum Geschlechte der Cicadeü und zur Ordnung der Halb-
flügler gehört, sehr auffallend einem Schmetterlinge, hat eine weit vorgestreckte, auf-
geblasene, oben sattelförmig vertiefte Stirn und Flügel mit großen Augenflecken. Früher
wurde mit Bestimmtheit behauptet, die Blase vor den Augen leuchte bei Nacht; in
dessen wollen neuere Beobachter dieses nicht bestätigt gefunden haben.
Verfolgen wir weiter die Küste, so berühren wir auf einer Strecke von fast 1000
Meilen das Kaisertb um Brasilien **), den einzigen monarchischen Staat Süda-
merika'ü. Von dem Portugiesen Cabral i. I. 1500 entdeckt, blieb Brasilien Jahr-
hunderte laug eine portugiesische Colonie; i. I. 1822 erklärte sich das Land für unab-
hängig, rief jedoch einen Prinzen des portugiesischen Königshauses auf den Thron
(S. 220). Es gehört zu den größten Reichen der Eide, da es ungefähr 150,000
Ouadratmeilen umfaßt und also nicht viel kleiner ist, als ganz Europa. Doch wohnen
auf dieser ungeheuren Fläche nur etwa 8 Millionen Menschen. Angebaut sind nicht
») Dsch-irdschtaun. — **) Seinen Namen hat dieses Land nach dem in ihm vorgefundenen rothen
Farbeholze bekommen. Bra?a bedeutet im Portugiesischen: die glühende Kohle.
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
372
wird und bis zu seinem Tode nicht von denselben herabkommt. Die Haut ist mit groben,
spröden, heuartigen Haaren bedeckt. Das Leben ist äußerst zähe; Verdauung und
Blutumlauf gehen nur sehr langsam von Statten. Eine Fabel ist es jedoch, daß cs so
lange auf einem Baume bleibe, bis es ihn völlig entlaubt hat; auch scheint seine
Langsamkeit sehr übertrieben zu werden. Hat man doch einmal beobachtet, daß e« in
20 Minuten einen Mast von 120 Fuß Höhe erklettert hat. — Erst die völlige Dun-
kelheit macht dem Getöse ein Ende. Manchmal jedoch werden die Bewohner' des Ur-
waldes mitten in der Nacht wieder aufgeschreckt. Nichts soll dem Entsetzen gleichen,
das sie erfaßt, wenn der Orkan braus't, wenn der Donner den Urwald durchhallt,
oder wenn gar der Blitz einen sich rasch ausbreitenden Brand verursacht hat. In To-
desangst stürzt alles Gethier aus dem Walde hervor, während gierige Raubvögel die
Flamme begleiten und den Rauch nicht scheuen, um reichliche Beute zu finden. In
stillen Nächten soll der Urwald dagegen einen unbeschreiblichen Reiz gewähren. Der
Sternenhimmel funfeit über ihm in lieblicher Klarheit, und in unvergleichlicher Pracht
glänzen seine Blüthenkronen. wenn die Silberscheibe des Mondes ans ihm hervortritt.
Auch ans dem Dunkel des Waldes funkelt es hier und dort; die Stämme, denen die
Schmarotzer alle Lebenskraft geraubt haben, sind nicht bloß der Wohnplatz der Bienen,
Wespen und Ameisenschwärmc, sondern auch der Aufenthalt zahlloser Glühwürm er,
in deren Licht alle Formen der Bäume sichtbar werden. Voller Entzücken sah einst
ein Reisender, wie ein so herrlich illuminirter Baum den Strom hinunterschwamm. —
Drn Morgen verkünden die Töne der Laubfrösche und Kröten, das Schwirren
der Cicaden und Heuschrecken. Die Wespen verlassen ihre fußlangen Hänge-
nester, die Termiten ihre Gänge in der Erde. Die buntfarbigsten, an Glanz mit
dem Regenbogen wetteifernden Schmetterlinge schweben von Blume zw Blume.
Millionen der glänzendsten Käfer durchschweben die Luft und blinken gleich Edel-
steinen aus dem frischen Grün der Blätter hervor. Bald schleichen auch Eidechsen
von auffallender Form, Größe und Farbenpracht aus dem Laube, den Höhlen der
Bäume und de« Bodens und sonnen sich, ans Insekten oder Vögel lauernd. Eich-
hörnchen und Heerden von geselligen Affen schwingen sich pfeifend und schnalzend
von Ast zu Ast.- Die hühnerartigen Jacus und die Tauben verlassen die Zweige
und irren auf dem feuchten Waldboden umher. Auch die Papageien und Pfeffer-
fresser werden wieder lebendig; zarte Kolibri'« umschwirren die prachtvollsten
Blumen, an Glanz mit Diamanten, Smaragden und Sapphireu wetteifernd. Ge«
schäftige Pirole und Fliegenschnäpper suchen ibre Beute; Drosseln geben ihre
Freude in schönen Melodien kund; Spechte lassen ihr weltschallendes Klopfen ertönen.
So geht es weiter von einer Morgenstunde zur andern, bis sich wieder die Schwüle
des Mittags über den Urwald lagert.
«.
Jenseit des Küstenfluffes Paranahyba, der iibrigens dem Rhein an Wasser-
sülle gleichkommt, beginnen die brasilianischen Küstcngebirge, die fick im Cap Sau
Roque, der äußersten Spitze von ganz Südamerika, am weitesten nach Osten drängen.
Zu der ansehnlichen Höhe von 7000 Fuß steigen dieselben südlich von der Mündung
de« San Francisco hinan. Mehrere parallele Ketten begleiten die Küsten in ihrem
weitern Verlauf. Fruchtbare Landschaften breiten sich an ihrem Fuße ans. Alle Er-
zeugnisse Westindien« gedeihen auch hier, in gleicher Entfernung vom Aeqnator nach
Süden; Fernambuco (mit der Hafenstadt Oliuda) und das au« einer Ober- und
Unterstadt bestehende, von 120,000 Menschen bewohnte San Salvador de Bahia,
die an der Allerheiligenbai gelegene frühere Haupistadt des Lande«, führen treff-
liches Holz, Tabak. Zucker. Baumwolle, Kaffee, aber auch Wach«, Honig, Häute,
Schildpatt, sowie bei dem von hier an« stark betriebenen Wallfischsang Thran und
Fischbein aus. Noch wichtiger sind die Mineralschätze in den südlichen Gebirg«-
strichen. Die jährliche Ausbeute von Gold allein beträgt gegen 10 Millionen Thaler.
Außerdem ist die Umgegend von San Paolo eine Hauptfundstätte für Diamanten
(S. 04) und andere Edelsteine, Rubine, Topase, Sapphire, Smaragde. Der Handel
mit diesen köstlichen Erzeugnissen ist eine Hauptbeschäftigung der Bewohner von Rio
Janeiro, der Hauptstadt des Landes. Fast unter dem Wendekreise de« Steinbccks
liegend, hat Rio dennoch ein gemäßigtes, gesundes Klima. Der Hafen gehört zu
den herrlichsten der Welt; an Größe soll ihm keiner gleichkommen, und seine Umge-
bungen sollen die des Golfes von Neapel an Schönheit noch übertreffen. Auf den
1865 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
— 375 —
viele sind, sehr gering; denn einer sucht den andern immer zu bestehlen,
wobei es nicht ohne Geschrei, Rauferei, Zähnefletschen, Ohrfeigen und Fratzen
abgebt. Alle Gegenstände, die der Affe nicht genau kennt, muss er erst mit
den Händen befühlen und mit den Augen begucken, wozu auch noch eine
Untersuchung vermittelst des Geruches kommt. Dem letztem folgt er übri-
gens weit weniger, als andere Säugethiere, was man z. B. daraus ersieht,
dass er sehr eifrig nach schön gemalten Insekten und Früchten greift, um
sie zu verzehren, während z. B. ein Hund, welcher fast nur dem^Sinne des
Geruches folgt, sich nicht um das Gemälde kümmert, welches seinen Herrn,
oder Hirsche, Hasen u. dergl. vorstellt. In der Gefangenschaft füttert man die
Affen mit allerlei Obst, Nüssen, Möhren, Rüben, gekochten Kartoffeln, Brod;
den kleinsten Arten giebt man auch wohl Milch und Semmel und neben-
her etwas Mais, Hanf, gekochten Reis u. dergl. Die Speise, und zuweilen
selbst den'trank, bringen sie mit der Hand zum Munde. An Bier, Kaffee,
Thee, Wein, Rum und überhaupt an alle Speisen und Getränke, die der
Mensch geniesst, lassen sie sich auch gewöhnen.
Das Weibchen bekommt in der Regel nur ein Junges, das sich mit
seinen Händen zu Anfang an die Brust und später an den Rücken der Mut-
ter klammert. Nichts sieht possirlicher aus, als eine Anzahl von Affenmüttern
mit ihren Jungen, sei es im Freien oder bei Leuten, die mit solcher Waare
handeln. An Ruhe ist da nicht zu denken. In allen Ecken schreit’s. Bald
wird das Junge auf den Arm genommen, ans Herz gedrückt, mit liebevol-
lem Blicke betrachtet, mit Leckerbissen gefüttert, gestreichelt und von Läusen
gereinigt, welojie letztere die Mutter selbst als grosse Delikatesse verzehrt;
bald bekommt es, ehe es sich versieht, wenn es etwa selbst nach Speisen zu-
gelangt, oder sich zu weit entfernt, oder mit einem Nachbar Possen getrieben
hat, tüchtige Ohrfeigen, schreit, wird mit neuen Ohrfeigen zur Ruhe vor-
wiesen und schreit nur desto ärger.
Kaum möchte wohl der Alle an natürlicher Klugheit irgend einem Thiere
nachstehen; und doch wird man seine Mühe oft schlecht belohnt Anden,
wenn man es versucht, einen aufzuziehen und frei herumlaufen zu lassen.
Die meisten sind sehr unreinliche Gäste, weil sic sich nicht gewöhnen lassen,
die Stube oder das Haus rein zu halten, und diebisch sind sie auch im
höchsten Grade, weil sie ihre Begierden nicht zu zügeln wissen, wenn sie
auch schon zehnmal Hiebe bekommen haben. Die grösseren Arten worden
gewöhnlich im Alter tückisch und boshaft; solche Thiere sind, alt gefangen,
gar nicht zu bändigen. Auch manche kleine Arten toben oder trauern sich
zu Tode, wenn man sie alt fängt. Die gewöhnliche Art, Affen in der Ge-
fangenschaft zu fesseln, besteht darin, dass man ihnen einen Lederring über
den Hüften anlegt, oder man steckt sie in einen Käflg.
Melodische Töne hört man nur von wenigen Affen; ein hässliches Ge-
schrei, das bei gewissen Arten zum Gebrüll wird, ist die gewöhnliche
Stimme. An einem Orte, wo nur zehn bis zwanzig Affen sind, kann mau es
kaum aushalten. Vorzüglich stark sind sie in der Kunst, Fratzen zu schnei-
den, indem sie bei jedem Wechsel der Leidenschaft das Gesicht verzerren.
Durch diese Kunst belustigen sie hauptsächlich die Zuschauer. Es hält
nicht schwer, manche Arten, wenn man sie jung bekommt, zu allerlei Kün-
sten abzurichten. Das sieht sich dann oft recht nett an. Vorzüglich unter-