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Allerlei von der Börse.
Aufsicht eines besonderen Verwalters, und strenge hielt er überall auf genaue
Buchführung. Für seine Arbeiter aber sorgte er väterlich nicht nur durch Rat und
Unterstützung, sondern vornehmlich durch Gründung von Spar- und Kranken-
kassen und anderer gemeinnützigen Einrichtungen. Jungen, strebsamen Leuten
aufzuhelfen blieb ihm bis in sein hohes Alter ein wahres Labsal.
Nach Aug. Sach.
*52. Allerlei von der Börse.
Pankow bei Berlin, den 24. Mai 1902.
Lieber Neffe!
Seitdem ich mich hier niedergelassen habe, unternehme ich hin und wieder
zu meiner Belehrung einen Streifzug durch die Reichshauptstadt. Über meinen Rund-
gang im Berliner Kunstgewerbe-Museum (s. Nr. 89) habe ich Dir kürzlich berichtet.
Vor einigen Tagen wandelte mich nun die Lust an, der Berliner Börse einen
Besuch abzustatten. In meinen jungen Jahren habe ich auf der Wanderschaft
„von oben herab" in manchen Börsensaal gesehen, so in Paris, in Brüssel und
in Antwerpen; denn das Gewimmel und Geschrei des Börsensaals zog mich immer
wieder an; aber ich begriff nicht, worum es sich dabei eigentlich handelte. Was
wußte ich damals von Jndustriepapieren, preußischen Konsols u. dgl. Von so etwas
hörst Du heutzutage freilich in der Fortbildungsschule; ich bin erst durch lange
Erfahrung und vieles Fragen dahinter gekommen.
Am vorigen Mittwoch stand ich also mittags um 12 Uhr am Berliner
Börsengebäude. Der Eintritt in den Börsensaal ist mir, als einem ehrsamen
Handwerksmeister, der in das Berliner Firmenverzeichnis nicht eingetragen ist,
nicht gestattet. So schaute ich denn von der Galerie aus in den größten Saal
Berlins hinab, der 10 000 Personen fassen kann. Zwei querlaufende Säulen-
reihen teilen ihn in drei Räume. Im ersten Abteil drängten und wirbelten
Hunderte von Männern durcheinander, schrieen und lärmten, streckten die Hände
empor, winkten und gaben Zeichen. Das Ohr muß sich erst an den Lärm der
Stimmen gewöhnen; das Auge muß einige Ruhepnnkte suchen, ehe man zu ent-
wirren vermag, was dort unten denn eigentlich vorgeht. In jeder Ecke der Saal-
abteilnng gewahrte ich eine Tischreihe, die von Holzschranken umgeben war. An
den Tischen saßen Herren, die teils schrieben, teils an den Schranken lehnten
und mit den Börsenleuten unterhandelten. Das waren vereidigte Makler.
Sie werden auf Vorschlag der Ältesten der Kaufmannschaft ernannt und müssen
den Eid leisten, daß sie niemals für sich, sondern nur für andre Geldgeschäfte
vermitteln.
Am lebhaftesten ging es in der sogenannten Montanecke zu. Auf dem
Maklertische standen große Plakattafeln, auf denen zu lesen war: Bochnmer Guß-
stahlfabrik 195, Harpener Bergbauverein 174, Ilse-Bergbau 156 usw. Auch
die Makler riefe» die Kurse anderer Jndustrieaktien aus. Bei ihnen geben
nämlich die Kaufleute und Bankiers an, welche Wertpapiere und wieviel sie kaufen
oder verkaufen wollen; sie haben also den Überblick über Angebot und Nachfrage
und ermitteln hiernach den Kurs der Papiere. Die um die Schranken stehenden
Kaufleute dagegen riefen die Kurse aus, zu denen sie selber kaufen oder ver-
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
TM Hauptwörter (100): [T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
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Extrahierte Personennamen: Harpener_Bergbauverein
Extrahierte Ortsnamen: Pankow Berlin Berliner_Kunstgewerbe-Museum Paris Brüssel Antwerpen Berliner
Börsengebäude Börsensaal Berlins Ilse-Bergbau
102
Allerlei von der Börse.
Philipp auf, um ihn mit einer Neuigkeit zu überraschen. „Weißt du was,
Philipp," sagt' ich zu ihm, „heiraten werd' ich." — „Davon erfährt man jetzt
erst?" sagte er, „hast auch Geld genug dazu?" — „2000 Gulden." —
„Wo denn?" — „In der Sparkasse." — „Junge, davon wußt' ich ja kein
Wort, daß du Geld hast; am Hochzeitstage könntest du aber deine Braut über-
raschen und ihr das Dreifache hinlegen, ohne daß du einen Finger zu rühren
brauchst." — „Wie meinst du das? Heraus damit!" — Der Philipp schob die
Hände in die Hosentaschen und berichtete: „Gestern hab' ich mein Landgut ver-
kauft; denn es trägt nicht 3%, und dann hab' ich das Bargeld bei der Bank
angelegt. Schau diese Wertpapiere! Nach ein paar Monaten können sie das
Dreifache, ja das Vierfache gelten. Hol' doch deine 2000 Gulden aus der Spar-
kasse und kaufe Wertpapiere dafür — alles, was ich dir raten kann!"
„Wie kommt mir doch der Philipp heute so ganz anders vor! Er ist
doch sonst so nüchtern und verständig! Sollte ihn auch das Gewinnfieber erfaßt
haben?" dachte ich. Zur Sparkasse ging ich aber nicht, sondern nach Hause.
Im nächsten Frühjahr standen die Wertpapiere schwindelnd hoch, und das
Vermögen manches Spekulanten hatte sich verfünffacht. „Wenn du doch dem
Philipp gefolgt hättest!" dachte ich manchmal, „aber wenn man keinen Mut hat,
bleibt man eben ein armer Teufel!"
Vier Tage vor meiner Hochzeit gehe ich durch die Gassen; da sehe ich
meinen Freund Philipp verstört hinhasten, und er bemerkt mich nicht. An den
Straßenecken stehen Gruppen von Menschen. „Es kann nur vorübergehend sein!"
höre ich sagen, „es erholt sich wieder." — „Nein, es erholt sich nicht! Es ist
ein Börsenkrach!" — —
Am andern Tag gehe ich in den Abendstunden heiin. Auf der Brücke,
die über den Fluß führt, sehe ich im Dunkeln einen Mann stehen, der in die
Tiefe blickt. Der Philipp war 's. Eben setzte er einen Fuß aufs Brücken-
geländer. Ich packte ihn am Arm. „Lassen Sie mich! Wen geht 's denn was
an?" stöhnte er. Als ich ihm jetzt in sein verstörtes Gesicht schaute, rief er:
„Freund, du kommst mir jetzt ungelegen! Laß mich fahren! Bettler gibt 's
genug!" — „Hast du dein Vermögen verloren?" fragte ich ihn teilnehmend.
„Alles! — Und du? — Hab' ich dich auch unglücklich gemacht? Hab' dir ja
geraten: Kauf Papiere!" — Mit Gewalt wollte er sich losreißen; ich aber hielt
ihn zurück und sagte: „Du hättest mich unglücklich machen können, Philipp.
Wisse, daß ich deinem Rate nicht gefolgt bin; mein bißchen Geld liegt noch in
der Sparkasse und ist wieder fast um 100 Gulden mehr geworden."
Ich führte ihn sanft fort und brachte ihn in seine Wohnung, wo wir bei
einem frischen Trunk beisammenblieben. „Aber sage mir," rief Philipp, „was
soll ich denn jetzt machen; denn hin ist alles, Geld und Landgut, und beim Käse-
händler sind sie kaum noch zu verwerten, diese Wertpapiere." — „Vor allen
Dingen mußt du den Kopf oben behalten und an dir selbst nicht verzagen,"
tröstete ich. — „Ich will mein Brot redlich erwerben, mit Arbeit!" sagte er
endlich.
Bei meiner Hochzeit war er leidlich vergnügt — und heute, nach 27 Jahren?
Seine Rede ist so: „Hätt 's nicht dazumal gekracht, so wäre ich heute ein
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Extrahierte Personennamen: Philipp Philipp," Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp
34
Des Schieferdeckers Reich.
Fuß eben einnahm, während er den linken Arm ausgestreckt gegen die Tonne
stemmte und mit dem rechten den Bandhaken fest und sicher niederbog, stellte
seine jugendschöne Gestalt in das vorteilhafteste Licht.
Wenn es nicht ein Verstoß gegen die strenge Handwerksordnung gewesen
wäre, so hätte Meister Henneberg wohl mehr als zwei Gesellen und einen
Lehrjungen halten können, so viel hatte er zu tun, um alle die Tonnen,
Fässer und Bottiche fertig zu schaffen, die von ihm verlangt wurden. Wer
bei ihm arbeitete, der lernte das Handwerk gründlich; aber viel freie Zeit
gab es nicht, und die täglichen Arbeitsstunden, die genau vorgeschrieben waren,
wurden streng eingehalten.
Als die Vesperglocke läutete, band der Meister sein Schurzfell ab und
machte Feierabend; seine Gehilfen folgten dem Beispiel. Jakob und Lutke,
der Lehrling, brachten das Handwerkszeug an den gehörigen Ort und schufen
zwischen den angefangenen und fertigen Tonnen, den Schneidebänken, den
Vorräten an Stab- und Bodenholz, den Reifen und Spänen einen Durch-
gang zu den drei Stufen, die in die Wohnstube führten. Meister Gotthard
begab sich langsam bedächtigen Schrittes in die Wohnstube, setzte sich dort
m seinen hölzernen Lehnstuhl mit dem strohgeflochtenen Sitz und pfiff leise
vor sich hin. Seine Tochter begann den Tisch zu decken. Teller aus Birken-
holz ohne Rand, neben jedem ein Messer und vor jedem ein schlichter zinnerner
Becher, das war das Tischgerät. Vor des Vaters Platz stellte sie einen hohen
Zinnkrug, den Meister Gotthard einmal mit der Armbrust als Preis gewonnen
hatte. Dann trug sie die einfache Kost auf und brachte zuletzt eine Kanne
voll Eimbecker Bier. Sie rief Jakob und Lutke herein, die, auf den ersten
Ruf so schnell erschienen, als hätten sie schon hinter der Stubentür darauf
gelauert. Der Meister rückte mit seinem Lehnstuhl an den Tisch heran und
saß in seiner Kraft und Würde gleichsam thronend als König seiner Familie.
Ein ruhiges, verständiges Gespräch, auch heitere Scherze, freundlich
gemeint und gut aufgenommen, hatte der Meister gern bei Tisch, hörte aber
lieber zu, als daß er selber an der Unterhaltung Anteil nahm. Den Seinigen
allgemeine Lebensregeln und weise Ermahnungen mit aufs Butterbrot zu
geben, war ebensowenig seine Sache, wie er Klatschereien und Heucheleien
über den lieben Nächsten duldete, mochte dieser auch noch so weit von seinem
Herzen wohnen. Nur schweigsam sollte es bei Tische nicht hergehen, als
wenn Friede und Eintracht gestört wären. Ein fröhlich Gespräch nannte
der Meister die beste Würze beim Mahle; das liebe Gut in grübelnden Ge-
danken oder in verhaltenem Groll zu sich zu nehmen, das, meinte er, bekäme
nicht und schlüge nicht an, und so floß auch am heutigen Abendtisch die Unter-
haltung in ruhigem Geleise munter dahin. Nach Jul. Wm.
22. Oes 5ck!eker6eckers keick.
Zwischen Himmel und Erde ist des Schieferdeckers Reich. Tief unter
ihm eilen die Wanderer der Erde hin; hoch über ihm ziehen die Wanderer des
Himmels, die Wolken. Eines Tages öffnet sich die enge Ausfahrttür eines
Turmdachs; unsichtbare Hände schieben zwei Rüststangen heraus. Im Innern
des Dachstuhls beginnt ein Hämmern. Die schlafenden Eulen schrecken auf und
taumeln aus ihren Luken in das Licht des Tages hinein. Die Dohlen ffüchten
sich auf Turmknopf und Wetterfahne. Lange währt das Pochen; dann verstummt
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Extrahierte Personennamen: Henneberg Jakob Gotthard Gotthard Jakob
Der Entwicklungsgang der Lokomotive.
111
Durch diesen Erfolg ermutigt, entschloß man sich zum Bau
einer Eisenbahn zwischen Stockton und Darlington. Die erste Fahrt
(im Jahre 1825) gestaltete sich zu einem Feste. Der aus 38 Wagen
bestehende Zug führte Kohlen, Mehl und 250 Personen und legte
10 englische Meilen in der Stunde zurück. Nun dachte man an die
Einstellung eines besonderen Wagens für Reisende, indem man vor-
läufig eine alte Postkutsche auf ein hölzernes Gestell setzte.
Doch die entscheidende Schlacht, welche der Lokomotive zum
Siege verhalf, sollte noch geschlagen werden. Zwischen Liverpool
und Manchester vollzog sich der Transport auf Kanälen und Land-
straßen so langsam, daß die Nachfrage nach Baumwolle nicht be-
Fig. 22. Stephensons „Rocket*.
friedigt werden konnte. In Manchester mußten Hunderte von Arbeitern
zeitweilig ihre Arbeit aussetzen, weil die neuen Baumwollen-Ballen
auf sich warten ließen. Stephenson wurde als Begutachter gerufen.
Trotzdem viele Unebenheiten und ein Moorgrund zu überwinden
waren, erklärte er sich für die Anlage eines Schienenweges. Als-
bald machten sich Ingenieure und Feldmesser ans Werk. Aber nun
erhoben Straßenaufseher, Kanaleigentümer und Grundbesitzer ein
Zetergeschrei, und selbst Weiber und Kinder fielen mit Stein würfen
und Scheltworten über die Feldmesser her. So sah sich Stephenson
genötigt, das Werk einstweilen ruhen zu lassen.
Das Gelingen der Stockton-Darlington-Bahn führte glücklicher-
weise die Wiederaufnahme des Baues der Liverpool-Manchester-
Bahn herbei. Durchstiche, Brücken, Dämme und Tunnel wurden
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Extrahierte Personennamen: Stephenson Stephenson
Extrahierte Ortsnamen: Liverpool Liverpool-Manchester-
298 Das mittelalterliche Kloster, eine Pflanzstätte der Kultur.
verständig ihre Arbeit, mischte die Farbe und kochte die Beize für buntes Leder
und Gewand. Ein anderer maß die Räume für neue Bauten, verfertigte den
Riß und wies die Maurer an, wie sie den Gewölbbogen schwingen und dauer-
haften Mörtel mischen sollten.
Von weiter Ferne her zogen die Leute zum Kloster, nicht nur um zu
beten; auch wer klugen Rat begehrte, suchte dort Beistand. Der Kaufmann fand
Waren, die er gegen andere vertauschte; der große Grundherr holte sich den
Bauplan für ein Steinhaus, das er auf luftiger Höhe errichten wollte, oder
bat um einen meßkundigen Bruder, der ihm fernes Wasser in seinen Hof zu
leiten und einen Fluß mit steinerner Brücke zu überspannen wußte. Wer krank
war, der neigte sich flehend vor dem Arzte des Klosters und erhielt aus der
Apotheke die Holzbüchse mit kräftiger Salbe oder einen heilsamen Trank. Jeder
Dürftige und Bettler im Lande kannte das Haus; denn er war sicher, d-ort
Hülfe gegen den Hunger zu finden und gutherzige Gabe an den nötigsten Kleidern.
H.
Als der irische Einsiedler Gallus (560—627) in einem waldigen Ge-
birgstal über dem Bodensce zuerst seine schmucklose Zelle baute, hatte er einen
für ein Kloster löblichen Platz gewählt. Auch aus ihr war ein umfangreiches
Kloster emporgewachsen. Stattlich ragte der achteckige Turm der Kirche aus den
schindelgedeckten Dächern der Wohngebäude empor; Schulhäuser und Kornspeicher
waren daran gebaut, und anch ein klappernd Mühlrad ließ sich hören. Aller
Bedarf wurde in nächster Nähe bereitet. Eine feste Ringmauer umschloß das
Ganze, dieweil mancher Gewaltige im Lande das Gebot: „Laß dich nicht ge-
lüsten deines Nächsten Gut!" nicht allzu strenge hielt.
Die Mittagszeit war vorüber. Auf dem Torturm stand treulich der
Wächter in seinem Stüblein; da hörte er durch den nahen Tann Roßgetrabe.
„Acht oder zehn Berittene!" sagte er nach prüfendem Lauschen. Dann zog er
rasch das Brücklein, das über den Wassergraben führte, auf und ließ den stier-
mäßigen Ton seines Hornes erdröhnen.
Da füllten sich die Fenster im Saal der Klosterschule mit neugierigen
jungen Gesichtern. Der Abt Cralo sprang aus seinem Lehnstuhle auf, eilte zum
offenen Erker hin und schaute hinab. „Meine Base, die Herzogin in Schwaben I"
ries er überrascht aus. Alsbald hing er das güldene Kettlein mit dem Kloster-
siegel um, nahm seinen Abtsstab mit reichverziertem Elfenbeingriff und stieg in
den Hos hernieder.
Jetzt ward draußen ins Horn gestoßen, und Frau Hedwigs Kämmerer
rief mit tiefer Stimme: „Die Herzogin in Schwaben, der Schirmvogt des
Klosters, entbeut ihren Gruß. Schaffet Einlaß!"
Alsbald rief das Glöcklein die Brüder zum Kapitelsaal, und der Kreuz-
gang belebte sich mit weiße Kutten tragenden Gestalten. Lautlos traten sie in
die einfache Versammlungshalle und grüßten sich mit flüchtigem Nicken des
Hauptes. Dort lächelte ein gutmütiges Gesicht aus eisgrauem Bart hervor.
Der starke Tutilo war's, der am liebsten wunderfeine Bildwerke aus Elfenbein
schnitzte. Wenn ihn endlich der Rücken schmelzte, so suchte er auf der Wolfs-
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Das mittelalterliche Kloster, eine Pflanzstätte der Kultur. 299
jagd Erholung. Auch Ratbert kam hinzu, der erprobte Lehrer der Schule, der
sich nur schwer von seinen Geschichtsbüchern trennte. Aus dem Dunkel im
Saalesgrund ragte Sintram hervor, der unermüdliche Schönschreiber, dessen
Schristzüge alle Welt bewunderte. Da stand auch Notker, der Arzt, und Engel-
bert, der den Tiergarten zur Kurzweil der Brüder eingerichtet hatte; auch Ger-
hard, der Prediger, und Folkard, der Maler, waren da.
Die Brüder schickten sich an, den hohen Gast zu empfangen. Das schwere
Tor knarrte auf; heraus schritt der Abt und paarweise folgten die Brüder lang-
samen Ganges und Hymnen singend. Zwei der Brüder trugen eine kunstvoll
geschnitzte Truhe herbei; aus der zog der Abt eine neue Kutte hervor, warf sie
der Herzogin um und sprach: „So ernenne ich unseres Klosters erlauchten
Schirmvogt zum Mitglied und schmücke ihn zum Zeichen dessen mit des Ordens
Gewandung." Auch das Gefolge mußte sich einkleiden lassen.
Gerold, der Schaffner, eilte inzwischen zum Wächter und sprach: „Ihr
sollt auf den nächsten Meierhöfen ansagen, daß sie noch heute abend die schul-
digen Hühner zur Ausschmückung der Mahlzeit schicken und sollt einen guten
Bissen Wildbret beschaffen!"
Frau Hedwig, die Herzogin in Schwaben, begehrte nun einen Rundgang
durch das Kloster zu machen. Der Abt geleitete seine Gäste zuerst in die Kirche.
Nachdem Frau Hedwig am Grabe des hl. Gallus ihre Andacht verrichtet, wünschte
sie den Klosterschatz zu sehen. Herr Cralo ließ die gebräunten Schreine in der
Sakristei öffnen. Da war viel zu bewundern an purpurnen Meßgewändern mit
Stickereien und gewirkten Darstellungen aus der heiligen Geschichte. Hiernach
wurden die Truhen aufgeschlossen. Da leuchtete es vom Schein edler Metalle;
silberne Ampeln glänzten hervor und Streifen getriebenen Goldes zur Einfassung
der Evangelienbücher, köstliche Gefäße in seltsamen Formen, Leuchter, Schalen
und Weihrauchbehälter; auch ein Kelch von Bernstein war dabei.
Abt Cralo schlug nun einen Gang in den Klostergarten vor. Der trug
Kraut und Gemüse nach Bedarf der Küche, zudem nützliches Arzneigewächs und
heilbringende Wurzeln. Nahe beim Baumgarten war ein großer Raum abgeteilt
für allerlei wild Getier, wie solches in den nahen Alpen hauste oder als Geschenk
von fremden Gästen verehrt war. Auf einem Apfelbaume saß ein dienender
Bruder und pflückte die edeln Früchte. — Jetzt ertönte der Gesang zarter Knaben-
stimmen; die Zöglinge der inneren Klosterschule kamen herbei, der Herzogin
ihre Huldigung zu bringen. Wie die rotwangigen Mönche und Äbte der Zukunft
daherzogen, den ernsten Blick niedergeschlagen, stieß Frau Hedwig einen Korb
um, so daß die Äpfel lustig unter den Zug der Schüler rollten. Aber unbeirrt
zogen sie ihres Weges; nur der Kleinsten einer wollte sich bücken nach der
lockenden Frucht; doch streng hielt ihn sein Nebenmann am Gürtel. „Sind
alle Eure Schüler so wohl gezogen?" fragte die Herzogin gerührt. „Gute
Zucht unterscheidet den Menschen vom Tier," erwiderte der Abt. „Wenn Ihr
Euch überzeugen wollt, die Großen in der äußeren Schule wissen nicht minder,
was Gehorsam ist." Frau Hedwig nickte. Da führte sie Cralo in die äußere
Schule, wo vornehmer Laien Söhne erzogen wurden, die sich dem weltgeistlichen
Stande widmen wollten. In der Klasse der Ältesten stand Ratbert, der Viel-
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TM Hauptwörter (200): [T106: [Kloster Jahr Schule Mönch Kirche Kind kranke Frau arme Knabe], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T168: [Holz Tisch Messer Stück Honig Stuhl Griffel Hand Narbe Papier], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr]]
800
Wie der Handwerkerstand selbständig wurde.
gelehrte, und unterwies seine Jugend im Griechischen. Gebückt saßen die Schüler
über ihren Pergamenten; kaum wandten sie die Häupter nach den Eintretenden hin.
„Es erübrigt noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigen, das Zeughaus
für die Waffen des Wissens," sagte der Abt im Hinaustreten. Aber Frau
Hedwig war ermüdet, und Herr Cralo führte den Gast seinen Gemächern zu.
Die Herzogin warf sich in einen Lehnstuhl, um auszuruhen von dem Wechsel
des Erschauten. Es war noch eine halbe Stunde bis zum Abendimbiß.
Wer jetzt einen Ruudgang durch die Zellen des Klosters gemacht, hätte
sich überzeugen können, wie kein Bewohner unberührt vom Eindruck des vor-
nehmen Besuches geblieben war. Alle rüsteten sich zur Mahlzeit. Dem grauen
Tutilo war's schwer aufs Herz gefallen, daß den linken Ärmel seiner Kutte ein
Loch zierte. Er besserte mit Nadel und Zwirn den Schaden; auch legte er auf
seine Sandalen neue Sohlen und befestigte sie mit Nägeln.
Jetzt läutete das Glöcklein zum Mahle, und Herr Cralo geleitete die
Herzogin in den Speisesaal. Der Vorleser verlas einen Psalm, und die Mahl-
zeit begann. Dem nach der Regel aufgetragenen Hirsebrei folgten heute dem
hohen Gaste zu Ehren Hirschziemer und Bärenschinken, Fische, Geflügel und
Früchte. Zuletzt holten einige Brüder Instrumente herbei, der eine ein Geiglein,
auf dem nur eine Saite gespannt war, der andere eine Laute, wieder^ein
anderer eine zehusaitige Harfe, Psalter geheißen. Nun ertönte Musik, und die
Brüder ließen ihre Stimmen dazu erschallen. Die Herzogin war von allem,
was sie im Kloster erlebt und wahrgenommen hatte, wohl befriedigt, und die
Augen des Abtes leuchteten freudig. „Es ist Zeit, schlafen zu gehen!" sagte
Frau Hedwig endlich, und Abt Cralo ließ sie mit ihrem Gefolge hinüber ins
Schulhaus geleiten, wo ihr Nachtlager bereitet war.
Nach Gust. Freytag und Jos. Viktor v. Scheffc.
13b. Wie der ßcmdwerkerifcmd selbständig wurde.
Solange ein Volk einzig und allein vom Ackerbau lebt, kann
von Arbeitsteilung, also auch von gesonderten Berufsständen kaum geredet
werden. Bei den alten Deutschen bebauten die Unfreien oder Ls öri gen,
welchen der Herr des Hofes gewöhnlich ein Stück Land zur Sonderwirt-
schaft übergab, das Feld, und sorgten auch für die Befriedigung der wich.
tigsten täglichen Bedürfnisse, für Wohnung und Kleidung der Herrschaft,
für Waffen und Werkzeuge. Lin armer Freier aber, der keine Hörigen
besaß, mußte Bauer und Zimmermann, Schmied und Weber in einer
Person sein. Eigentliche Handwerker gab es nicht.
Dadurch, daß die Verrichtung der handwerksmäßigen Arbeiten den
Hörigen zugewiesen wurde, erlangten diese hierin eine größere Fertigkeit.
Daher wurden in späteren Zeiten auf den großen Höfen der Ldelinge und
begüterten Freien die Hörigen in zwei Klassen geteilt, in die Dienst-
hörigen, die zu den handwerksmäßigen Arbeiten verpflichtet waren,
und die Hofhörigen, die das Feld bestellen mußten. Auf den großen Gütern
der Könige, Fürsten und Bischöfe schieden sich die Diensthörigen allmählich
je nach ihrer Beschäftigung sogar in verschiedene Handwerksklassen, die in
Ämtern oder Innungen vereinigt waren und je einen vom Herrn ernannten
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern]]
TM Hauptwörter (200): [T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T106: [Kloster Jahr Schule Mönch Kirche Kind kranke Frau arme Knabe], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt]]
330
Der 6. Oktober 1789 und 1870.
ist dort z. B. dargestellt, wie Ludwig Xiv. im Jahre 1685 die Pfalz ner»
wüsten läßt. Bet den meisten schlachten war er freilich gar nicht zugegen;
auf einigen Zchlachtenbildern aber ist er allerhöchstselbst zu sehen, wie er,
von großem Gefolge umgeben, in einer sechsspännigen Staatskarosse sitzt
und eine brennende Stadt betrachtet. Dann folgen Bilder aus der Zeit
Napoleons I. und so fort, hätten die Franzosen eine deutsche Nuhmesgalerie
erobert, deren Bilder ihre Niederlagen verherrlichen, sie würden sie ohne
Zweifel sofort zerstört haben. Die siegreichen deutschen Soldaten haben
jene Wandgemälde gewiß auch nicht mit vergnügen betrachtet- aber sie
hatten Bchtung vor der Kunst und dem Eigentum. Die wände der Säle
waren vom Fußboden an über 2 m hoch mit Brettern verschalt, damit
die Bilder nicht beschädigt würden. So handelt der deutsche „Barbar".
His nun König Wilhelm am 6. (Oktober 1870 in diese Säle eintrat,
voll Majestät und doch mit freundlicher Leutseligkeit die verwundeten
grüßend, da konnten die deutschen Soldaten zwischen dem deutschen und
dem französischen König ihre vergleiche ziehen. Der greise Held war stets
an der Spitze seiner Soldaten mit ins Feld gerückt,- er hatte mit ihnen
Leid und Freud, Not und Sieg geteilt. Gleich ihnen hatte er Hunger und
Granatfeuer kennen gelernt, und wie oft hatte er seinen Treuen in das
brechende Buge gesehen!
Der König tritt aus die Terrasse hinter dem Schlosse. Lange schon
haben die berühmten Wasserkünste nicht mehr gespielt, heute wirst der
größte Springbrunnen dem König von Preußen zu Ehren seine gewaltigen
Wassermassen über 30 m hoch in die Lust. Buch Herren und geputzte
Damen haben sich eingefunden, Franzosen und Französinnen. Wohl um
das seltene Schauspiel der „großen Wasser" zu bewundern? Nein, um
unseren König zu sehen, dessen hohe, stramme Gestalt einen gewaltigen
Eindruck auf sie macht. Buch sie ziehen ihre vergleiche, und sie sind nicht
gerade schmeichelhaft für einen gewissen hohen Herrn, der eben in einem
hessischen Lustschloß (s. Nr. 150) Bufenthalt genommen hat.
Die sinkende herbstsonne bricht sich in den tausend Strahlen und
perlen der Wasserkünste,- die Musik läßt die ersten Töne der deutschen
Nationalhymne erschallen. Der König aber winkt: „Nicht doch, es sind
verwundete in der Nähe!"
Der greise Kriegsherr steigt die große Treppe hinab und besichtigt
alle Schönheiten des endlosen Parkes, die Springbrunnen, Vasen, Büsten
und Laubengänge. In seinem Gefolge befindet sich der Kronprinz, dessen
kräftige, schlanke Gestalt und männlich wohlwollenden Züge besonders he-
wundert werden, und unter einer Neihe von deutschen Fürsten und Prinzen
entdeckt man auch — den Grafen Bismarck. „Bh," lispelt es da unter
den französischen Zuschauern, „kein Wunder, daß wir den kürzeren zogen.
Das ist ja ein Niese! Seht doch diese breiten Schultern, diese hochgewölbte
Brust, und der soll todkrank sein? verrat, überall verrat! Jetzt blickt er
gerade herüber. Dieser gewaltige Kopf! Dieser wilde, herabhängende Schnurr-
bart! wie unter den buschigen Brauen seine stahlblauen Bugen hervor-
blitzen! wie konnte man zu diesem Niesen unsern kleinen Benedetti schicken,
der von Geburt nicht einmal der „großen Nation" angehört! (D diese
Korsen! Sie haben unser schönes Land in all das Unglück gestürzt!"
So säuselt und schnattert es durcheinander bei Franzosen und Französinnen.
Jetzt wendet sich ihre Busmerksamkeit wieder dem großen Monarchen zu.
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xiv Ludwig Napoleons_I. Wilhelm
Die Berufswahl.
333
eines Abends über mich in der Stube des Waldbauern abgehalten wurde.
Meine Mutter ging zu dem Geistlichen, Hülfe heischend, daß ich in die Studie
(zum Studieren) kommen könnte. Der Herr Dechant sagte ihr aber: „Laß
die Waldbäuerin das bleiben I Wenn der Bub' sonst keine Anzeichen für den
Priester hat, als daß er schwach ist, so soll er was anderes werden." Nun, so
ging denn meine Mutter vom Herrn Dechanten zum Schneidermeister: sie
hätte einen Buben, der möcht' Schneider werden. — Was ihn auf diesen
Gedanken brächte? — Weil er halt so schwächlich wäre. Stand der Meister
auf und sprach: „Ich will der Waldbäuerin nur sagen, daß der richtige
Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß. Einmal das viele Sitzen,
nachher zur Feierabendzeit das weite Gehen über Berg und Tal und das
ganze Zeug mitschleppen wie der Soldat seine Rüstung. Dann die ver-
schiedene Kost: bei einem Bauer mager, beim andern feist, in einem Hause
lauter Mehlspeisen, im andern wieder alles von Fleisch, heut' nichts als
Erdäpfel und Grünzeug, morgen wieder alles Suppen und Brei. Und
red' ich erst von den unterschiedlichen Leuten, mit denen man sich abgeben
mußl Da eine brummige Bäuerin, der kein ordentlicher Zwirn feil ist, dort
ein Bauer, der mit seinen närrischen Späßen den Handwerker erheitern und
satt machen will. All' die Leut' soll der Schneider mit einem Maß messen.
Und was die Hauptsache ist: Kopf muß einer haben! Was an einem krummen,
buckeligen, einseitigen Menschenkinde verdorben ist, das soll der Schneider
wieder gut machen. Der Schneider muß aber nicht allein den Körper seines
Kunden, er muß auch, so zu sagen, sein ganzes Wesen erfassen, um ihm ein
Kleid zu geben, welches paßt. Und ebenso muß er den Stoff kennen, von
dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches
kriecht zusammen; dieses hält Farbe, das andere schießt ab. Wer das vorher
nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß
Menschen- und Weltkenner sein (s. Nr. 171). Na, werd' ihn 'mal anschauen;
soll nächster Tage zum Alpelhofer kommen, dort wird er mich finden!"
2. So bin ich denn an einem Hellen Morgen hingegangen. Lange stand
ich auf dem Antrittstein der Haustür und dachte: „Wie wird es sein, wenn
ich wieder heraustrete?" Da ich in die Stube trat, saß der Meister am
Tische und nähte. Ich blieb an der Tür stehen. Er zog die Nadel auf und
nieder; nur die Wanduhr und mein Herz pochten. „Was willst du denn?"
fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht' ich halt
gern," antwortete ich zagend. — „So setz dichter, nimm Nadel und Zwirn
und nähe mir diesen Ärmling zusammen!" So tat ich; aber es ist leichter
gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen,
da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile
des Ärmlings, wie werden sie zusammeugetan? Ich warf fragende Blicke
auf den Meister; aber der tat nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich
denn an, legte den Lodenstoff aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden
schlüpfte durch; der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich
der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden
war, an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer
Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hinder-
nissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn; es staute sich die Nadel
am Finger; es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in
die Lüfte ziehen; es riß sogar der Faden.
Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister
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Fortbildungstrieb.
367
' Hand ergriff und mild zu ihm sagte: „Bist wedder da, Friedrich? Hast Pech
'hat, armer Junge! Hebben dick alle beduert in 'n Dorpe; na lat't man gut
sin, dat vergätt sik, bist nich schlecht west, bloß en bettken wild; dat kann
jedem passieren, mien Sühn. Gah man na diene Mutter, dee luert all' up."
O, wie wohl taten dem guten Jungen diese schlichten Worte! „Bist
nich schlecht west!" — War er wirklich nicht schlecht, sondern nur wild ge-
wesen? — „Nein, nein, er hatte sein ehrlich Handwerk aufgegeben; das war
schlecht genug gewesen; schon darum hatte er seine Strafe verdient." Und
doch — es tat' ihm so unendlich wohl, daß gerade der alte, greise Dorfdiener
sein Vergehen so milde beurteilte.
An dem Häuschen seines Mütterchens stand Friedrich einen Augenblick
still und blickte durch die Fensterscheiben hindurch in das einzige Wohn-
stübchen. O Gott, da saß die alte Frau gebeugt in ihrem Lehnstuhl und hatte
vor sich ihr altes Gesangbuch mit den großen Buchstaben aufgeschlagen.
Leise öffnete Friedrich Haus- und Stubentür; da blickte die alte Frau auf.
„Mütterchen, Mütterchen, vergib mir, daß ich dir so wehe getan habe!"
schrie Friedrich, stürzte zu den Füßen seiner Mutter nieder und begrub sein
tränenüberströmtes Antlitz in ihrem Schoß.
„Mein armes, liebes, gutes Kind!" Das waren die ersten Worte, die
er von den Lippen der alten Frau vernahm; dann fühlte er ihre Hände auf
seinem Scheitel ruhen. —
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von Friedrichs Rückkehr im
Dorfe verbreitet. Bekannte kamen, um ihn zu begrüßen; Bauern sprachen in
dem kleinem Häuschen vor, und alle zeigten ihm Teilnahme in seinem
„Unglück", wie sie es nannten, und wünschten ihm Glück und Segen für die
Zukunft.---------
Glück und Segen blieben auch nicht aus. Meister Wernthal sandte
alsbald einen Lehrbuben und ließ Friedrich zu sich rufen. Der brave Meister
war brustkrank geworden und forderte Friedrich auf, bei ihm wieder einzu-
treten. O, wie freute sich der junge Mann, daß gerade sein alter Meister ihm
wieder Arbeit geben wollte! Mit heller Freude schlug er in die dargebotene
Rechte des Meisters ein und arbeitete wieder wacker darauf los wie ehedem.
Jahre sind darüber hingegangen. Meister Wernthal ruht schon unter
dem grünen Epheugerank, das Liebe und Dankbarkeit ihm gepflanzt haben,
und Friedrichs Mütterchen ist inzwischen zur ewigen Ruhe eingegangen. Beide
haben aber vor ihrem Heimgänge aus dem Erdenleben noch segnend ihre
Hände ausbreiten können über Friedrich Breitkopf, den jungen Tischlermeister,
und Lieschen Wernthal, dem schmucken Töchterchen des braven Meisters Wern-
thal, und beiden ist ihr Hinscheiden leicht geworden in der Gewißheit, daß
ihre braven, glücklichen Kinder ihnen die Augen zudrücken und ihrer allezeit in
Liebe gedenken würden.
Genieße, was dir Gott beschieden!
Entbehre gern, was du nicht hast!
Ein jeder Stand hat seinen Frieden;
ein jeder Stand hat seine Last. Nach «arl Rode.
*166. Foribildungsfrieb.
In einer gewerblichen Stadt kamen einst einige junge Leute, die dem
Handwerkerstande angehörten, überein, an den langen Winterabenden zu-
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich_Haus- Friedrich Friedrich Friedrich Friedrichs Friedrichs Wernthal Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrichs_Mütterchen Friedrichs Friedrich_Breitkopf Friedrich Lieschen_Wernthal