V. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms I.
1. Persönliches.
Der neue König ging der Vollendung des 64. Lebensjahres entgegen, stand also in einem Alter, in dem die meisten Menschen die Last der Arbeit abzuschütteln pflegen. Am 22. März 1797 war er geboren. Seine Knabenjahre fallen in die Zeit der tiefften Erniedrigung Preußens. Der zehnjährige Knabe sah den Kummer der Eltern, als die Königliche Familie gezwungen war, von Berlin nach Königsberg, von Königsberg nach Memel zu flüchten. Noch nicht hatte er das 14. Lebensjahr beendet, als ihm der Tod die treue Mutter entriß. Tüchtige Lehrer arbeiteten an seiner Erziehung. Der Prinz war ein fleißiger Schüler. Geschichte, Erdkunde und die Kriegswissenschaften waren feine Lieblingsfächer. Er hörte gern zu, wenn die berühmten Feldherren Blücher, Gneisen au, Jork von Wartenburg und Scharnhorst über den Krieg sprachen.
Teilnahme an den Befreiungskriegen. An der Seite seines Vaters machte er 1814 den Feldzug nach Frankreich mit. In der Schlacht bei Bar-fur-Aube verrichtete er den Dienst eines Königlichen Adjutanten und stand unerschrocken im dichten Kugelregen. Zur Belohnung erhielt der sechzehnjährige Jüngling vom Kaiser Alexander von Rußland den St.-Georgsordeu, sein Vater schmückte ihn mit dem Eisernen Kreuze. An der Spitze der Sieger von Waterloo zog er 1815 mit feinem Vater und feinem ältern Bruder Friedrich Wilhelm in Paris ein. Nach der Beendigung der Befreiungskriege fetzte er feine militärischen Studien fort. Er zeigte dafür ein so großes Verständnis, daß er im Alter von zwanzig Jahren bereits zum Obersten und Regimentskommandeur ernannt wurde.
Vermählung. Im Jahre 1829 vermählte er sich mit der Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar, die unter dem Einflüsse Goethes zu einer kenntnisreichen Jungfrau emporgeblüht war.
Über feinen Aufenthalt in En gl and, die Niederwerfung des Badischen Aufstandes war Seite 67 und 72 die Rede.
Gouverneur der Rheinlande und Westfalens. Damit er die Rheinlande und Westfalen, deren größte Gebiete erst 1815 zum Preußischen Staate gekommen waren, aus eigner Anschauung kennen lerne, übertrug ihm 1849 Friedrich Wilhelm Iy. die militärische Verwaltung dieser Provinzen; er wohnte während dieser Zeit im Königlichen Schlosse zu Koblenz. Nach fünf Jahren wurde er Gouverneur der Bundesfestnng Mainz.
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Extrahierte Personennamen: Wilhelms_I.
1._Persönliches Wilhelms_I. Königsberg Jork_von_Wartenburg Alexander_von_Rußland Alexander Waterloo Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Goethes Friedrich_Wilhelm_Iy Friedrich Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Berlin Königsberg Frankreich St.-Georgsordeu Paris Sachsen-Weimar Rheinlande Westfalens Westfalen Koblenz
96 Siebente Periode. Von 1769 bis zur Gegenwart. — Erster Abschnitt. Von 1789—1815.
mit Frankreich 1795 den Frieden zu Basel. Es ist von nun an in den Weltkriegen bis 1806 neutral geblieben: ein Beweis seiner Schwäche und Ratlosigkeit.
Desto nachdrücklicher nahm Österreich den Krieg auf. Im Jahre 1796 stellte Carnot drei Heere auf: Jourdan und Moreau sollten vom Nieder- und Oberrhein nach Süddeutschland, Bonaparte von Italien her durch Tirol gegen Wien Vordringen. Doch Erzherzog Karl, der Bruder des Kaisers Franz, siegte über Jourdan bei Amberg (nördl. von Regensburg) und Würzburg und zwang ihn zur Flucht, worauf auch Moreau sich nach dem Oberrhein zurückzog. Da führten Bonapartes Siege in Italien den Umschwung herbei.
Napoleone Buonaparte, der Sproß eines korsischen Adelsgeschlechts, war als ältester Sohn des Advokaten Carlo Buonaparte und der Lätitia geb. Ramolino am 7. Jan. 1768 zu Corte auf Corsica geboren1; er hatte vier Brüder, Josef, Lucian, Ludwig und J6röme, und drei Schwestern. Auf den Kriegsschulen zu Brienne und Paris erhielt er seine Erziehung, zeigte in der Mathematik und Artilleriewissenschaft ungewöhnliche Begabung und wurde (1785) Leutnant. Bis 1792 war sein Ideal, sein Vaterland von der Herrschaft Frankreichs zu befreien.2 Seitdem trat in ihm ein Umschlag ein: aus unbefriedigtem Ehrgeiz und Berechnung wurde er begeisterter Franzose und Jakobiner. Mit der ^ Einnahme von Toulon beginnt seine geschichtliche Laufbahn. Der 13. Yendemiaire verpflichtete ihm die Regierung. Auf Barras’ Empfehlung erhielt er das Kommando der italienischen Armee. Italien wurde die Wiege seines Ruhmes. Vor seiner Abreise heiratete er die 5 Jahre ältere Josefine, die Witwe des kurz vor Robespierres Sturz hingerichteten Generals Beauharnais, eine
1) Diese Daten sind wahrscheinlich die richtigen, so daß Josef der zweite Sohn und am 15. August 1769 geboren ist. Wahrscheinlich hat der Yater die Geburtsscheine der beiden Söhne vertauscht, um Napoleon die Aufnahme in die Schule zu Brienne zu verschaffen, in die über 10 Jahre alte Knaben' nicht eintreten konnten.
2) In der ersten Hälfte des 18. Jh. riß sich Corsica von Genua los, unter dessen Herrschaft es seit dem 14. Jh. gestanden hatte. Genua rief Frankreich zu Hilfe und trat darauf die Insel an die Franzosen ab. Nun eroberten diese Corsica (1769).
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Basel Italien Wien Amberg Regensburg Würzburg Italien Lätitia Paris Frankreichs Toulon Italien Robespierres Frankreich
I. Die Revolution in Frankreich 1789 — 1799.
91
linken Rkeinufers blieb; eine Demarkationslinie sollte das neutrale
Norddeutschland, — dessen Kultur freilich in der nun folgenden
Friedenszeit Fortschritte machte, — von Süddeutschland scheiden;
stillschweigend war vorausgesetzt, dafs die Entschädigung Preußens
für die abgetretenen linksrheinischen Gebiete in Säkularisationen
geistlicher Gebiete zu finden sein sollte. Bald darauf folgte der
Friede, dann sogar ein Bündnis Frankreichs mit Spanien.
Nun stellte Carnot gegen Österreich drei Heere auf: Jourdan
und Moreau sollten vom Nieder- und Oberrhein nach Süddeutsch-
land rücken und dem von Italien durch Tirol gegen Wien vor-
dringenden Bonaparte die Hand reichen. Doch Erzherzog
Karl, der Bruder des Kaisers Franz, zwang Jourdan durch seine
Siege bei Amberg (n. von Regensburg) und Würzburg 1796
zur Flucht, worauf sich auch Moreau nach dem Oberrhein zurück-
zog. Da brachten Bonapartes Siege in Italien den Umschwung.
Napoleone Buonaparte, der Sprofs eines corsischen Adels-
geschlechts, war als ältester Sohn des Advokaten Carlo B. und
der Lätitia geb. Ramolino am 7. Jan. 1768 zu Corte auf Corsica
geboren1, erhielt auf den Kriegsschulen zu Brienne und Paris
seine Erziehung, zeigte in der Mathematik und Artilleriewissen-
schaft ungewöhnliche Begabung und wurde (1785) Leutnant. Bis
1793 war sein Ideal an der Seite des Volkshelden Pasquale Paoli
sein Vaterland von der Herrschaft Frankreichs zu befreien1 2. Seitdem
trat in ihm ein Umschlag ein: er wurde begeisterter Franzose,
erfüllt von jakobinischen Ideen. Mit der Einnahme von Toulon
beginnt seine geschichtliche Laufbahn. Der 13. Vendömiaire ver-
pflichtete ihm die Regierung. Auf Barras’ Empfehlung erhielt er
das Kommando der italienischen Armee. Italien wurde die Wiege
seines Ruhmes. Vor seiner Abreise heiratete er die 5 Jahre ältere
1) Diese Daten sind ziemlich zweifellos die richtigen, so dafs Josef der
zweite Sohn und am 15. August 1769 geboren ist. "Wahrscheinlich hat der
Tater die Geburtsscheine der beiden Söhne vertauscht, um Napoleon die Auf-
nahme in die Schule zu Brienne zu verschaffen, in die über 10 Jahre alte
Knaben nicht eintreten konnten.
2) In der ersten Hälfte des 18. Jh. rifs sich Corsica unter Paoli von
Genua los, unter dessen Herrschaft es seit dem 14. Jh. gestanden hatte. Genua
rief Frankreich zu Hilfe und trat darauf die Insel an die Franzosen ab. Nun
eroberten diese Corsica (1769).
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Norddeutschland Frankreichs Spanien Italien Wien Amberg Regensburg Würzburg Italien Lätitia Corsica Paris Frankreichs Toulon Italien Genua Frankreich
55
Am 2. Januar 1861 starb Friedrich Wilhelm Iv, und sein Bruder Wilhelm I bestieg den preußischen Königsthron. Er war, als der zweite Sohn Friedrich Wilhelms Iii und der Königin Luise, am 22. März 1797 in Berlin geboren worden. Als neunjähriger Knabe hatte er nach der unglücklichen Schlacht bei Jena mit seinen Eltern bis in den äußersten Osten des Landes, nach Memel, flüchten müssen; als sechzehnjähriger Jüngling hatte er seinen Vater in dem Feldzuge des Jahres 1814 nach Frankreich begleitet und vor dem Einzüge in Paris das eiserne Kreuz erhalten. Schon in dieser Zeit that er sich durch seinen ernsten Sinn, seinen eindringenden Verstand und seine Liebe zur Ordnung hervor; mit großem Eifer widmete er sich von nun an dem Heerwesen und erlangte frühzeitig die höchsten militärischen Würden. Er vermählte sich mit der Prinzessin Angusta von Sachsen-Weimar und erhielt bei der Thronbesteigung seines kinderlosen Bruders als voraussichtlicher Thronfolger den Titel Prinz von Preußen. Im Jahre 1848 verließ er Preußen auf Befehl des Königs, weil er dem Volke, das ihn schmählich verkannte, wegen seiner soldatischen Neigungen verhaßt war, und begab sich auf kurze Zeit nach England. Nach seiner Rückkehr erhielt er die Führung des Heeres, welches im Jahre 1849 einen Aufstand in Baden und in der Pfalz bezwang, und lebte dann, als Milttärgouverneur von Rheinland und Westfalen, meist zu Koblenz.
Als Friedrich Wilhelm Iv von einer unheilbaren Krankheit ergriffen wurde, übernahm Wilhelm als Prinz-Regent die stellvertretende Regierung, und gleich darauf begann er, mit Hülfe des Kriegsministers Roou, sein eigenstes Werk, die Reorganisation des Heeres, durch welche die Stärke und die Schlagfertigkeit desselben so erhöht wurde, daß Preußen in Zukunft selbständig auftreten und seinen Willen durchsetzen konnte. Als Wilhelm I im Jahre 1861 den Thron bestiegen hatte, wurde diese Arbeit, die Grundlage aller späteren Erfolge, fortgesetzt. Da aber das Abgeordnetenhaus, welches nach der Verfassung zur Bewilligung der Staatsausgaben berechtigt war, die Geldmittel zu dieser Reform des Heeres aus Mißtrauen in die Absichten des Königs verweigerte, so entstand zwischen der Regierung und den Vertretern des Volkes ein heftiger Streit. Dieser Konflikt wurde die Veraulaffuug, daß der König an die Spitze
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Extrahierte Ortsnamen: Berlin Jena Frankreich Paris Sachsen-Weimar England Baden Rheinland Westfalen
168 Das Königreich Preußen.
i , .2>^1.tric9 Österreichs gegen Frankreich und Sardinien. Viktor Emanuel und fern Ministerpräsident Gras Cavour (kawur) nahmen nach dem Krimkriege die Bestrebungen zur Einigung Italiens wieder auf. Sie gewannen für dieselben im Kaiser Napoleon Iii. einen Förderer. Dieser gedachte nach der gelungenen Demütigung Rußlands auch Österreich zu besiegen und dadurch Frankreich zur ersten Stelle in
1859 Europa zu erheben. Im Frühjahre 1859 führte er ein französisches Heer über die Alpen, vereinigte sich mit den Piemontesen, besiegte die Österreicher bei Magenta und bei Solserino und nötigte sie zum Rückzüge ins Festungsviereck (Mantua, Verona und zwei kleinere Plätze). Darauf vereinbarten die beiden Kaiser in einer persönlichen Zusammenkunft die Bedingungen des Waffenstillstandes von Villafranca der am Tage der Centenarfeier des Geburtstages Schillers zum Züricher Frieden führte. In demselben trat Österreich fast die ganze Lombardei an Napoleon Iii. ab, der sie Sardinien übergab und sich für seine Hilfe durch Savoyen und Nizza entschädigen ließ. Italien sollte ein Staatenbund unter dem Ehrenvorsitze des Papstes werden.
Die Einigung. Mit Len Ergebnissen des Züricher Friedens war die National« Partei m Italien keineswegs zufrieden. Unblutige Volkserhebungen hatten nach den Niederlagen der österreichischen Waffen in Toskana, Parma und Modena die Herrscher zur Flucht gezwungen; der nördliche Teil des Kirchenstaates hatte sich der päpstlichen Herrschaft entzogen. Überall wurde der Anschluß an Sardinien angestrebt. Der Freischarenführer Garibaldi landete auf Sizilien und brachte in kurzer Zeit die Insel und ganz Unteritalien in seine Gewalt. Sardinische Truppen fielen in den Kirchenstaat ein, schlugen das kleine päpstliche Heer, das der General Samoriciere (lamorisjär) befehligte, bei Castelsidardo (unweit von Ancona) und besetzten den Kirchenstaat mit Ausnahme des Patrimoniums Petri, das die Franzosen inne hatten. Viktor Emanuel nahm 1861 den Titel „König von Italien" an und verlegte später seine Residenz nach Florenz.
1861 Wilhelm I., der Große (1861—1888).
1888 Bor dem Regierungsantritte. Kaiser Wilhelm I. wurde am 22. Marz 1797
als zweiter Sohn des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm Iii. und seiner Gemahlin Luise geboren. Das glückliche Familienleben der Eltern verschönte die sonnigen Tage seiner Kindheit, aber auch das Unglück warf seine Schatten auf dieselben. Nach der Niederlage bei Jena und Auerstädt mußte die königliche Familie vor dem französischen Eroberer nach Königsberg fliehen und schließlich in Memel einen Zufluchtsort suchen; am 19. Juli 1810 kniete Prinz Wilhelm am Sterbelager seiner unvergeßlichen Mutter. Tüchtige Lehrer bildeten seine glücklichen Geistesanlagen; militärische Übungen stärkten seinen von Natur schwächlichen Körper. Für das Kriegswesen zeigte er frühzeitig lebhafte Neigung. Den großen Kämpfen des Jahres 1813 mußte er zu seinem Schmerze fernbleiben, da der Vater in Rücksicht auf seine Jugend und Kränklichkeit sein Erscheinen im Feldlager nicht gestattete. Hingegen nahm er am Winterseldzug des nächsten Jahres teil, erwarb sich durch seine in der Schlacht bei Bar für Aube (bar ßür ohb) bewiesene Unerschrockenheit das Eiserne Kreuz und zog mit den Monarchen in Paris ein. In den auf die Befreiungskriege folgenden Friedensjahren arbeitete er mit Eifer an der Vervollkommnung des Heeres. Sein Urteil in militärischen Dingen wurde bald maßgebend. Im Jahre 1829 vermählte er sich mit der Prinzessin Augufta von Sachsen-Weimar. Der glücklichen Ehe entsproßten zwei Kinder: der nachmalige Kaiser Friedrich Iii. und die Prinzessin Luise, die spätere Großherzogin von Baden. Nach dem Regierungsantritte seines kinderlosen Bruders Friedrich Wilhelm Iv. erhielt er als der mutmaßliche Thronfolger den Titel „Prinz von Preußen".
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592
Die Zeit der staatlichen Umwälzungen.
sich in das Hoflager eines regierenden Fürsten umgewandelt. Ein großer Hofstaat umgab den Premierkonsul und Frau Gemahlin. Alles, bis auf die Namen „Konsul" und „Republik," war wie unter einem König. Freilich fanden sich an dem Hose auch Leute, die an einem anderen fürstlichen Hofe schwerlich hätten erscheinen können. Denn neben manchem Höfling vom ältesten Adel Frankreichs gab es auch linkische Offiziersfrauen von unbedeutender Herkunft und ohne alles Ansehen, Generale, die mehr dressiert als erzogen waren. Ihre bürgerliche Herkunft hatte sie in keine Schule guter Erziehung geschickt. Ney war früher Bäckerjunge, Lannes Färberlehrling, Bernadotte Advokatenschreiber, Murat Kellner, Augereau war der Sohn einer Gemüsehändlerin und Soult war ursprünglich bäuerlicher Tagelöhner. Nur Davout und Marmont waren von altadliger Familie.
Am Hofe Bonapartes war es besonders dessen Gemahlin Joseph ine, die Aristokratin von Geburt, welche den französischen Adel mit der Konsularregierung verband. Durch sie und ihre früheren Beziehungen wurde jetzt mancher alte Name mit der Gegenwart versöhnt.
Um verdienstvolle Männer, sie mochten sein, wer sie wollten, auszuzeichnen, stiftete er den Orden der Ehrenlegion, auch zog er alle bedeutenden Männer zur Teilnahme an der Regierung heran, ohne sich aber von ihnen etwas vorschreiben zu lassen. Es ist selbstverständlich, daß sich am Hofe des Konsuls auch dessen Mutter und Geschwister einfanden, um sich möglichst viele Vorteile von der Stellung des Sohnes und Bruders zu verschaffen, der sie andrerseits auch wieder gut unterzubringen wußte. Freilich verfuhr er dabei mit ihnen, wie mit anderen Menschen, ganz nach seinem Eigenwillen. Der Bruder L u c i a n hatte sich als Gesandter in Madrid ein großes Vermögen erworben, da er aber statt einer ihm vorgeschlagenen Königswitwe ein bürgerliches Mädchen heiratete und die Ehe auf des Bruders Geheiß nicht lösen wollte, wurde er schließlich aus Frankreich verbannt. Der dritte Bruder Ludwig hatte die Stieftochter Napoleons, die schöne Hortense Beauharnais heiraten müssen. Napoleons jüngster Bruder Ieröme lebte zu dieser Zeit in Nordamerika und hatte ein Mädchen aus Baltimore zur Frau genommen, die er später auf höheren Befehl verließ. Die Schwestern des Gewaltigen waren mit Offizieren verheiratet. Die Mutter Lätitia lebte in ihrem eigenen Palast in der Hauptstadt und sorgte als erfahrene Frau dafür, daß sie sich beizeiten die Gunst der Verhältnisse zu Nutze machte und für mögliche schlimmere Tage reichliche Summen Geldes zurücklegte. Auch den Oheim Fesch, ehemaliger Abbe, der aber längst das Priesterkleid abgelegt hatte und Magazinverwalter der italienischen Armee geworden war. wußte er gut unterzubringen, indem er ihn zum Erzbischof von Lyon und Kardinal ernannte.
Das war der Hof des Mannes, der die Politik von ganz Europa lenkte, von dem alle Welt glaubte, daß er noch nach Höherem strebte.
Verschwörungen gegen Napoleon. Trotz aller Mittel, die Parteien zu versöhnen und zu verschmelzen, hatte er noch grimmige Feinde, die ihm sogar nach dem Leben trachteten, zu ihnen gehörten die unversöhnlichen Jakobiner, sowie die Anhänger der Königspartei. Die letzteren führten aus, was die ersteren nur geplant hatten. Als der Erste Konsul am Weihnachtsabend 1800 zur Oper fuhr, wurde er in einer kleinen Straße von einer Höllenmaschine (einem mit Pulver, Kugeln und Feuerwerkskörper angefüllten Faß) bedroht, die ihn aber unversehrt ließ. Darauf hin wurden die des Verbrechens verdächtigen Jakobiner und Schreckensmänner, mit Zustimmung von Senat und Staatsrat, etwa 130, zur Verbannung verurteilt. Als
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Madrid Frankreich Napoleons Napoleons Nordamerika Baltimore Lyon Europa
doch davon entfernt zu fein! Wie ein Alp drückte der gewaltige Kaiser der Franzosen ans die Hoffnungen selbst mutiger Männer. Sie Zweifelten, daß der Riefe besiegt werden könnte. Goethe hatte mit Napoleon nach der Schlacht bei Jena eine Zusammenkunft. Jeder dieser großen Männer empfing einen mächtigen Eindruck von dem andern („c’est un homme,“ sagte Napoleon, und Goethe: „Rüttelt nur an euren Ketten, ihr werdet ihn nicht Herunterbringen!") Die Machtstellung Napoleons fand ihren sichtbaren Ausdruck in dem Fürstentage zu Erfurt. Hier weilte er mit Kaiser Alexander in großer Übereinstimmung. In einem Geheimbund verständigten sich die beiden Kaiser über die Beherrschung Europas und grenzten ihre Machtgebiete ab. Vier Könige und mehr als dreißig Fürsten versammelten sich, gleichsam die Vasallen der weltbeherrfchenden Kaiser. Genaue Vorschriften bestimmten das Maß der Ehre, welches dem Einzelnen zugestanden war. Ein dreifacher Wirbel des Trommelschlägers auf der Wache begrüßte den Kaiser, ein zweifacher den König (ce n’est qu’un roi! rief ihm der wachthabende Offizier zu, als er einst aus Versehen einen König drei mal angetrommelt hatte.)
Die skandinavischen Mächte. In Schweden herrschte Gustav Iv.; er verharrte in seiner Feindschaft gegen Napoleon, in dem er den rechtmäßigen Beherrscher Frankreichs trotz aller Erfolge nicht sah. Er kannte nur das angestammte Königtum von Gottes Gnaden (Legitimität). So blieb er im Kriege mit der französischen Übermacht, obgleich fein Land schweren Schaden erlitt. Die Franzosen nahmen ihm seine Besitzungen in Deutschland, die Russen Finnland. Schweden selbst wurde bedroht; bei der geringen Fürsorge, die der abenteuerliche König für die Wehrkraft des Landes getroffen hatte, lag es völlig wehrlos da. Da bildete sich eine Verschwörung gegen den König; er wurde zur Abdankung gezwungen, sein Oheim Karl Xiii. auf den Thron gefetzt. Da dieser kinderlos war, schritt man zur Wahl eines Thronfolgers. Sie fiel auf den französischen Marschall Bernadotte, welcher den Namen Karl Johann annahm. — Einen entgegengesetzten Standpunkt nahm Dänemark ein, indem es im Bunde mit Frankreich verharrte. Die Engländer, befürchtend, die Franzosen könnten sich der dänischen Flotte bemächtigen, forderten ihre Auslieferung, bombardierten Kopenhagen, als sie verweigert wurde, und brachten sie 1807 in ihren Besitz.
Der Krieg Frankreichs gegen Österreich. Das einst so mächtige Österreich konnte es nicht verschmerzen, daß es zu einer Macht zweiten Ranges herabgedrückt war; es fühlte sich durch den immer weiter greifenden Ehrgeiz Napoleons auch in dieser Stellung bedroht. Der neue Geist hatte weite Kreise der österreichischen, fest an seinem Kaiserhause Hangenden Bevölkerung ergriffen. Seit Gras Stadion leitender Minister geworden war, reifte der Beschluß, noch einmal die Waffen gegen Napoleon zu erheben. Ein kräftiger Aufruf an das Volk that mächtige Wirkung, be-
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Extrahierte Personennamen: Goethe Napoleon Napoleon Goethe Napoleons Alexander Alexander Gustav_Iv. Gustav_Iv. Napoleon Karl_Xiii Karl Marschall_Bernadotte Karl_Johann Karl Johann Dänemark Napoleons Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Jena Napoleons Erfurt Europas Schweden Frankreichs Gottes Deutschland Finnland Frankreich Frankreichs Napoleons
291
292. 293.
292 Aus der Lühener Schlacht.
1. Wer sprenget auf dem stolzen Roß bis in die vordem
Reihen und will dem Eisen, dem Geschoß das muntre Leben weihen?
Das ist ein junger Königssohn, der Erbe von dem Preußenthron!
2. Drob zürnet ihm des Königs Mut und straft mit mildem Worte:
„Zurück, du junges Zollerublut, zum angewies'nen Orte! Du rascher,
junger Königssohn mußt erben ja den hohen Thron!"
3. O reite, junges, edles Wild, du ritterlicher Degen! Vom
Himmel schaut ein sel'ges Bild mit Lust nach deinen Wegen. Die
Mutter schützt den Königssohn, — du erbest doch der Väter Thron!
4. Du wirst uns lang' im Ehrenfeld mit Blick und Schwert
regieren, in späten Jahren, werter Held, ein frommes Scepter führen.
Du rascher, lieber Heldensohn, wir retten auch für dich den Thron!
293. Scharnhorst, der Heldenbote.
1. In dem wilden Kriegestanze brach die schönste Heldenlanze,
Preußen, euer General! Lustig auf dem Feld bei Lützen sah er Frei-
heitswaffen blitzen; doch ihn traf des Todes Strahl!
2. „Kugel, raffst mich doch nicht nieder? — Dien' euch blutend,
werte Brüder! Führt in Eile mich gen Prag! Will mit Blut um
Östreich werben; ist's beschlossen, will ich sterben, wo Schwerin im
Blute lag!" —
3. Arge Stadt, wo Helden kranken, Heil'ge von den Brücken
sanken, reißest alle Blüten ab! Nennen dich mit leisen Schauern,
heil'ge Stadt; — nach deinen Mauern zieht uns manches teure Grab.
4. Aus dem irdischen Getümmel haben Engel in den Himmel
seine Seele sanft geführt, — zu dem alten deutschen Rate, den im
ritterlichen Staate ewig Kaiser Karl regiert.
5. „Grüß' euch Gott, ihr teuern Helden! Kanu euch frohe Zeitung
melden: Unser Volk ist aufgewacht! Deutschland hat sein Recht gefunden;
schaut, ich trage Sühnungswunden aus der heil'gen Opserschlacht!"
6. Solches hat er dort verkündet, und wir alle stehn verbündet,
daß dies Wort nicht Lüge sei. Heer, aus seinem Geist geboren,
Kämpfer, die sein Mut erkoren, wählet ihn zum Feldgeschrei!
7. Zu den höchsten Bergesforsten, wo die freien Adler horsten,
hat sich früh sein Blick gewandt; nur dem Höchsten galt sein Streben,
nur in Freiheit konnt' er leben: Scharn horst ist er drum genannt.
8. Keiner war wohl treuer, reiner; näher stand dem König
keiner, — doch dem Volke schlug sein Herz. Ewig auf den Lippen
schweben wird er, wird im Volke leben, besser, als in Stein und Erz!
19 *
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Ehrenfeld Schwerin Deutschland
40
Achter Zeitraum. Von 1789 bis 1858.
b) Der Krieg begann für die Verbündeten glücklich: die Österreicher eroberten Belgien wieder, die Preußen nahmen Mainz. Aber von nun an lähmte Eifersucht und Mifstrauen jeden weiteren Fortschritt, während das Wehrgesetz Carnots, eines Mitgliedes des Wohlfahrtausschusses, alle Franzosen vom 18. bis 25. Lebensjahre unter die Waffen rief. Der Sieg Jourdans über die Österreicher bei Fleurus (westl. von Namur) brachte Belgien wieder in die Gewalt der Franzosen und veranlafste auch die Preußen, das linke Rheinufer zu räumen. Ja 1795 eroberte Pichegru Holland, das in die Batavische Republik umgewandelt wurde.
Da trat Preußen, veranlaßt durch finanzielle Erschöpfung und die Rücksicht auf Polen, aus der Koalition aus und schlofs mit Frankreich den Frieden zu Basel (1795). Es ist von nun an in den Weltkriegen bis 1806 neutral geblieben: ein Beweis seiner inneren Schwäche und Ratlosigkeit.
Desto nachdrücklicher nahm Österreich den Krieg auf, gegen welches im Jahre 1796 Carnot drei Heere aufstellte: Jourdan und Moreau sollten vom Nieder- und Oberrhein nach Süddeutschland, Bonaparte von Italien her durch Tirol gegen Wien Vordringen. Doch Erzherzog Karl, der Bruder des Kaisers Franz, siegte über Jourdan bei Amberg (nördl. von Regensburg) und Würzburg und zwang ihn zur Flucht, worauf auch Moreau sich nach dem Oberrhein zurückzog. Da führten Bonapartes Siege in Italien den Umschwung herbei.
§ 45. c) Napoleon Bonaparte (eigentlich Napoleone Buonaparte) wurde als der älteste Sohn des Advokaten Carlo Buonaparte und der Lätitia geb. Ramolino am 7. Januar 1768 zu Corte auf Corsica geboren. Er hatte noch vier Brüder — Josef (geb. 15. August 1769 zu Ajaccio; der Yater hat die Geburtsscheine der beiden ältesten Söhne vertauscht, um Napoleon 1779 die Aufnahme in die Kriegsschule zu Brienne zu verschaffen, in die über 10 Jahre alte Knaben nicht eintreten durften), Lucian, Ludwig, Jeröme (Hieronymus) — und drei Schwestern. Auf den Kriegsschulen zu Brienne und Paris erhielt er seine Erziehung, zeigte in der Mathematik und Artilleriewissenschaft ungewöhnliche Begabung und wurde französischer Offizier. In der Revolution schlofs er
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Extrahierte Ortsnamen: Mainz Jourdans Namur Belgien Holland Batavische_Republik Polen Frankreich Basel Italien Wien Amberg Regensburg Würzburg Italien Lätitia Ajaccio Paris
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