Vorfrühling, von 1100 bis 1180.
29
heit und das deutsche Volk unter ihm als die weltgebietende Nation, so
mußte diese Anschauung um so ausgedehntere Geltung erlangen, als in
den Hohenstaufen lebensfrische, heldenhafte, von den höchsten Ideen er-
füllte Herrscher den Kaiserthron inne hatten und durch glorreiche Taten
in Deutschland, Italien und dem Oriente den Glanz ihres Namens weit-
hin verbreiteten. Kein Wunder daher, daß damals alle Stände, alle
Geschlechter Deutschlands ein allgemeines, stolzes Nationalgefühl beseelte,
daß alle der Größe und der Bedeutung ihres Volkes sich lebhaft bewußt
wurden. So bot dieser glanzvolle Zeitraum fruchtbare poetische Elemente
dar, die das ganze Volk bewegten und begeisterten.
4. Die Blüte des deutschen Ritter st and es. Dieser erhielt
durch die Kreuzzüge eine idealere Richtung, nahm im Umgang mit edlen
Frauen (Ironie — Herrin) feinere gesellige Bildung an und entwickelte
äußeren Glanz. Wie die Kaiser und Fürsten, namentlich die Herzoge von
Österreich und die Landgrafen von Thüringen, die Dichtkunst förderten und
ihre Vertreter begünstigten, so bemühten sich die Ritter auf ihren Burgen
ein Gleiches zu tun, ja sie wurden sogar selbst Dichter, übten und pflegten
die edle Kunst, wo immer nur Gelegenheit sich bot.
5. Die Anregung zur Poesie seitens der Troubadours
(z. B. Bertrand de Born ßuhland)) in der Provence und seitens der
Trouveres^ im nördlichen Frankreich. Jene brachten schon früh die
lyrische Poesie in Darstellung von Liebe und Galanterie zu kunstreicher
Ausbildung, diese behandelten vorzugsweise epische Stoffe und boten in
diesen den deutschen Epikern reiches Material.
Der eigentlichen Blütezeit ging ein Vorfrühling voraus, der von
1100—1180 reicht.
8 7.
Dichtungen des Vorfruhlings.
Der Zeit der Vorbereitung fehlt noch die Vollendung des Versbaues,
die sorgsame und richtige Behandlung des Reimes und namentlich die
Reinheit der Sprache.
Auf dem Gebiete der geist lichen Poesie finden wir vorzugsweise
Heiligenlegenden, Psalmen und geistliche Volkslieder. Besondere Hervor-
hebung verdient als ein Lied, in welchem die ganze Jnnigkeit und Lieb-
lichkeit der mittelalterlichen Marienverehrung zum Ausdrucke kommt, das
„Marienleben" des Geistlichen Wernher, um 1173 verfaht. 1
1 Beide Wörter von trouver (trouber und trobar) — erfinden.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
TM Hauptwörter (200): [T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T80: [Kaiser Stadt Fürst Recht Reich König Reichstag Macht Adel Fürsten]]
Extrahierte Personennamen: Bertrand_de_Born
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Italien Deutschlands Frankreich
136 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode.
nischen Sage vom heiligen Gran. Außerdem behandelten diese
Dichter des Kunstepos noch Legenden und Erzählungen geistlichen
und weltlichen Inhalts.
Somit ist der Gegenstand des Kunstepos nicht das Erlebte und
die Erfahrung eines ganzen Volkes, sondern nur das Erlebnis einzelner
Personen, ja oft nur das von dem phantasiereichen Dichter romanartig
Erfundene. Auch das, was den Sinn des ritterlichen Sängers erfüllte
und das Wesen des Rittertums ausmachte, spiegelt sich in den Dichtungen
wider, wie die höfische Sitte, das üppige Leben, der Drang nach Abenteuern
und Phantastischem, der Minnedienst mit allen seinen hohen Ideen, aber
auch mit seinen oft traurigen Verirrungen. So tritt das rein Menschliche 1
lehnt aus dem sranz. aventure, mittellat. die aventura (ursprünglich adventura])
aus, welche eine stets Neues erfindende Phantasie auf das phantastischste, wunder-
barste und bunteste gestaltet und endlos aneinanderreiht. Nach Vollendung großer
Taten kehren die Ritter zu neuer Freude zur Tafelrunde zurück. Die vorzüglichsten
derselben sind Jwein, Tristan, Erek, Parzival.
1 Die Sage vom heiligen Gral, ursprünglich aus dem Oriente stammend,
findet ihre Ausbildung zunächst in Spanien und Südfrankreich, dann in Deutsch-
land. Dieselbe enthält ein doppeltes Moment: das allgemein menschliche von der
Annahme eines paradiesischen Zustandes aus Erden und das christliche von dem
Glauben an die vom Abendmahle Christi ausgehende beseligende Kraft. Der Gral
(aus dem lat. gradals (Schüssel mit stufenmäßig aufgerichteten Seitens, altfranz.
graal oder greal — Schüssel) ist eine aus einem kostbaren Edelsteine gearbeitete
Schüssel, aus welcher Christus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl genoß,
und in welche Josephus von Arimathäa das aus der Seitenwunde Christi rinnende
Blut auffing. Daher knüpft sich an den Gral äußerlich die Darbringung des
christlichen Opfers und die Welterlösung; er ist deshalb auch mit Kräften ewigen
Lebens ausgestattet. Eine weiße Taube stiegt alljährlich am Karfreitage vom Himmel
hernieder, legt in die Schüssel eine Oblate (Hostie) und erneuert durch dieselbe die
überirdische Kraft; denn der Anblick des Grals rettet vom Tode und befriedigt
alle Wünsche. Niemand aber kann ohne den Ruf des Herrn zum Gral gelangen,
niemand der Wunder desselben teilhaftig werden, der stumpfsinnig und gleichgültig
nicht nach demselben fragt. So ist der Gral gleichsam die Geschichte der Erlösung
durch den menschgewordenen Gottessohn, das Symbol der christlichen Religion,
die mehr als alle Herrlichkeit der Welt beseligt, die dem Menschen aber nur durch
die Gnade Gottes zu teil wird. — Von Titurel, einem sagenhaften Königssohne
von Anjou, dem ersten Gralkönige, wird dem Gral, der nach dem Tode Josephs
von Arimathäa von Engeln schwebend in der Lust gehalten war, eine herrliche
Burg erbaut auf dem Berge Monsalväsch (ruons salvationis — Berg der Erlösung)
oder Munsalvaesche (mont sauvage) in Nordspanien. Zugleich gründet er zum
Dienste desselben den Ritterorden der Templeisen (nach dem Vorbilde der Templer
gedacht), in welchen nur demütige und herzensreine, dabei aber mit allen helden-
haften Tugenden ausgestattete Ritter aufgenommen werden. — Eine Vereinigung
der Gralssage mit der Artussage, des geistlichen Rittertums mit dem welt-
lichen, finden wir im Parzival, Titurel und Lohengrin.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T26: [Gott Christus Christ Volk Herr Jahr Kirche Land Zeit Jude], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche]]
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§ 15. Blüte des Kunstepos, von 1180 bis 1230. 137
zurück vor den Forderungen der ritterlichen Sitte, der ganzen höfischen
Weise; „die Gestalten der Geschichte und Sage sind innerlich und äußerlich
umgewandelt zu Gebilden des Rittertums".
Die Darstellung des Stoffes, entsprechend der Auffassung des
dem glänzenden Ritterstande angehörenden Dichters und entsprechend dem
Hörerkreise von stattlichen Rittern, holden Frauen und anmutigen Jung-
frauen in prächtigen Sälen, ist glänzend und schillernd in immer neuen
Reizen. Daher das bunte Malen und breite Schildern, daher die vielen
Bilder und Gleichnisse, daher die Einmischung von Betrachtungen über
das Erzählte. Der Dichter tritt mit seiner Subjektivität, mit seiner ganzen
Individualität, auch mit seinem Namen in den Vordergrund; er sucht
nicht durch kunstlos einfachen Stoff, sondern durch den Schmuck und die
Zierden, mit welchen er denselben ausstattet, anzuziehen und zu fesseln.
Dieses Streben bringt ihn auch dahin, einen Wortschatz zu bilden, der
durch starke Einmischung fremdländischer Ausdrücke nicht selten undeutschen
Anflug erhält.
Einfach ist dagegen die metrische Form, in welcher diese Epen ge-
schrieben sind: die sog. Reimpaare, welche, durch Teilung der althoch-
deutschen Langzeile entstanden, aus Versen mit drei oder vier Hebungen be-
stehen, je nachdem die Reime klingend (weiblich) oder stumpf (männlich) sind.
8 15.
Blüte des Kunstepos, von 1180 bis 1230.
Die Blüte der höfischen Dichtung bekundet sich durch Vollkommen-
heit des Versbaues und durch die Reinheit des Reimes, sowie
durch edles, klangvolles Mittelhochdeutsch; dazu sind die Dich-
tungen, entgegen vielfacher Regellosigkeit der Werke der Vorbereitungszeit, von
einer leitenden Idee durchzogen und zeigen eine in sich abgeschlossene
Einheit. Den Stoff entnehmen die Dichter meistens französischen
Werken, jedoch nur den Stoff als solchen, während die Behandlungs-
weise deutsch ist. So rühmt Gottfried von Straßburg über Hartmann
von Aue: ahi (ei), wie der diu maere (den einfachen Sagenstoff) beid’
uzen unde innen mit Worten und mit sinnen (mit poetischem Aus-
drucke und mit geistreicher Auffassung und Behandlung) durchvärwet
und durchzieret. Richtig sagt daher Benecke: „Man denke sich diese
Dichter nur nicht als Übersetzer nach heutiger Weise. Weder Kenntnis
fremder Sprachen noch Fertigkeit im Lesen und Schreiben dürfen wir, der
Regel nach. bei einem Ritter des 13. Jahrhunderts voraussetzen. Wer eine
Aventiure dichten wollte, ließ sich dieselbe erzählen, faßte sie treu in das
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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17. Hartmann von Aue.
139
mächtig und verstand außer der lateinischen Sprache auch die französische.
Er bezeugt diese seine höhere Bildung in naiver Offenheit in dem Ein-
gänge seiner Dichtung „Der arme Heinrich" (s. S. 143) und ähnlich in
seinem „Jwein". Im übrigen ist seine Lebensgeschichte uns kaum bekannt;
wir wissen nur, daß er an einem Kreuzzuge teilgenommen hat und nach
1210 gestorben ist.
Er gilt seinen Zeitgenossen als Meister höfischer Bildung, der
sich namentlich auf äiu mäze versteht, das weise Maßhalten in allen
Dingen, und auf den feinen Takt. Seine musterhafte mittelhochdeutsche
Sprache zeigt eine anmutige Glätte in wohl gefügtem Satz-
bau und tadellosem Reim; seine Darstellung ist klar und ruhig,
frei von jeder Übertreibung, aber anziehend durch innere Lebendig-
keit und edle Natürlichkeit, namentlich auch durch die ihm eigene
Seelenmalerei. Daher rühmt ihn auch Gottfried von Straßburg in
seinem Tristan mit folgenden Worten:
„Herr Hartmann der Auwäre,
Ahi, wie der die Märe
So außen als auch innen
Mit Worten und mit Sinnen
Durchfärbet und durchschmücket!
Wie seine Rede zücket
Auf der Aventüre Sinu!
Wie hell und klar von Anbeginn
Sind seine Wörtlein von Kristall
Und bleiben es auch immer all!
Mit Sitten treten sie heran
Und schmiegen nahe sich uns an
Und werden lieb dem reinen Mut.
Er setzte sich in seinen zwei Epen „Erek" und „Jwein", welche
beide der Artus-Sage angehören, zum Ziele die Verherrlichung zweier
Ideale des Rittertums, der Tapferkeit und der Liebe. Außerdem be-
sitzen wir von ihm die Legende „Gregorius vom Steine" und die
poetische Erzählung „Der arme Heinrich".
Erek, die Bearbeitung einer französischen Dichtung von Chretien
de Trotzes, zeigt noch Unvollkommenheiten in der ermüdenden Breite der
Schilderung von Nebenumständen und in der mangelhaften Behandlung
der Sprache. Der Held „verliegt" sich nach seiner Hochzeit mit der schönen
(Suite und wird deshalb von ihr zu ritterlichen Taten getrieben. Nach
vielen, mit großen Gefahren verbundenen Heldenabenteuern, denen sie zur
Strafe dafür, daß sie an seinem Mute gezweifelt, als Zeugin beiwohnen
muß, söhnt er sich mit ihr aus und übernimmt die Herrschaft seines Vaters.
Jwein.
Jwein oder „der Ritter mit dem Löwen" ist das vollendetste
Gedicht Hartmanns und der Form nach die regelmäßigste unter allen
mittelhochdeutschen Dichtungen. Den Stoff entnahm der Dichter dem
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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164 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode.
fangs in kindischer Einfalt (tumpheit) von unbefangenem Glauben ge-
leitet wird, dann aber im Bewußtsein einer Schuld, die er durch Unter-
lassung menschlichen Mitgefühls aus sich geladen, der Welt sich hingibt
und, in hochmütigem Trotze von Gott sich abwendend, dem Zweifel
(zwivel), ja der Verzweiflung anheimfällt, zuletzt jedoch, nach langer
Zeit unglücklichen inneren Zwiespaltes zur Bekehrung gemahnt, sich buß-
fertig zeigt und, durch bittere Prüfungen in seinem Innern geläutert, in
demütigem Vertrauen auf die göttliche Gnade zur Versöhnung mit Gott
und zum höchsten Glücke (saelde) gelangt.
Mit Recht hat man dieses Epos ein psychologisches genannt,
wie Goethe in der zweiten Blüteperiode der Literatur im „Faust" ein
psychologisches Drama schuf. Hat das letztere, nach Vilmars Worten,
den Vorzug rascherer Handluug, schlagender Tatsachen, ergreifender Mo-
mente für sich, so gewährt Wolframs Epos größere Fülle, reichere Stoffe,
anschaulichere Entwicklung; dazu schreitet dasselbe im ruhigen Bewußtsein
seiner inneren Wahrheit, im vollen Bewußtsein der siegenden, ewigen, christ-
lichen Wahrheit seiner Vollendung und der tiefsten Befriedigung des denken-
den Lesers entgegen als das wahre Abbild einer Zeit, welche gesucht
und gefunden hatte und im Vollgenusse des Besitzes leiblich und geistig
befriedigt war.
Schon Wolframs Zeitgenossen, außer Gottfried von Straßburg,
welcher in der ihm eigenen Richtung für den strengen, sittlichen Ernst des
Gegners kein Verständnis hatte, so daß er ihn den „Jäger wilder Märe"
(siehe S. 168) nannte, singen mit Begeisterung das Lob des großen
Parzivaldichters in Bewunderung seiner planmäßigen Anordnung,
seines sittlichen Ernstes, seines kindlichen Glaubens, der Tiefe und
des Reichtums seiner Gedanken, der Klarheit und Feinheit
seiner Seelenmalerei1, trotz seiner häufig verwirrenden Stofffülle und
trotz seiner vielfach dunklen, in oft seltsamen Bildern sich bewegenden und
schwerfälligen Sprache. Seine weisheitsvolle Kunst war im 13. Jahr-
hundert sprichwörtlich, und Parzival wurde unter den ersten deutschen
Werken bereits 1477 dem Druck übergeben.
8 19.
Gottfried von Straßburg.
Gottfried von Straßburg, wahrscheinlich einem Straßburger Patrizier-
geschlechte entstammend (daher „von Straßburg Meister Gotfrit"), war
i ^— Her Wolfram, ein wise man von Esclienbach, sin herze ist ganzes
sinnes dach, leien munt nie baz gesprach.“ (Wirnt von Hravenberg.)
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T105: [Stadt Dom Jahrhundert Zeit Bau Kirche Rhein Baukunst Deutschland Mainz]]
21. Stoff und Form der Lyrik.
171
der Erzählung ist ein Bauernsohn, den Überdruß an Arbeit und Hochmut zu den
Raubrittern treiben. Nach vielfachen Übeltaten wird er als Wegelagerer ergriffen
und gehenkt. Die sittliche Tendenz des Dichters ergibt sich vornehmlich aus den
Worten:
„Wo eigensinn'ge Knaben trachten
Der Eltern Worte zu verachten,
Die sei'n durch diese Mär' gewarnt.
Und wenn wie Helmbrecht sie umgarnt
Der Hochmut, so ist's gut und recht,
Wenn sie auch enden wie Helmbrecht."
Der Stricker (striekaoro — Zusammenfüger), ein vielseitiger, nach seinen
Lebensverhältniffen unbekannter Dichter aus Österreich, welcher die komische Seite
des Hoffschen Epos in seinem „Pfaffen Amis", einem mittelalterlichen „Eulen-
spiegel", vertritt.
8 21.
ß. ¿i yx i ü.
Stoff und Form der Lyrik.
Neben der Epik blühte gleichzeitig die Lyrik. Dieselbe äußert
sich vorzugsweise in dem sog. Mi nnegesänge, dessen Hauptthema die
Minne ist (vgl. meminisse — gedenken), d. h. die seelenvolle keusche
Liebe, das stille, sehnende Denken an die Geliebte. Die den Dentschen
schon von ihren Vorfahren her innewohnende Hochachtung 1 des weiblichen
Geschlechtes hatte durch den Einfluß des Christentums, namentlich durch
die Verehrung der Gottesmutter Maria, noch eine bedeutende Stärkung
erhalten. Dazu erachtete das Rittertum es als eine seiner ersten Pflichten,
die Frauen zu ehren und ihrem Dienste sich zu widmen. So konnte in
der idealen Richtung des damaligen Rittertums der Frauenkult einen
solchen Grad erreichen, wie wir ihn in den Minneliedern kennen lernen.
Zwar haben dieselben vielfach etwas Einförmiges, da der Kreis der Ge-
danken und Empfindungen in denselben auf stilles Hoffen und süße Sehn-
sucht, auf jubelnde Wonne bei freundlicher Zuneigung der nicht einmal
mit Namen genannten Geliebten, auf schmerzliche Klage bei etwaiger Härte
oder Untreue derselben sich beschränkt; sie bekunden aber dafür auch die
tiefe und keusche Zartheit des deutschen Gemütslebens in lieblicher und
fesselnder Anmut.
In dieser Hinsicht ist der Minnegesang auch für die Sittengeschichte
von großer Bedeutung gewesen. „Dieses eine Gefühl der Liebe", be-
1 Tacitus sagt in seiner G-ermania c. 8: Inesse (feminis) quin etiam
sanctum aliquid et providum putant.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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222
Vierte Periode, von 1300 bis 1500.
Die kamen an in großer Zahl:
Lütke der Kranich und Markwart der
Hähr
Und viele, viele andre mehr.
Dieweil der König trug Begehren
Zu halten Hof in großen Ehren,
Mit Freuden und mit Lob und Preis.
Darum entbot er auch mit Fleiß
Die Tiere alle groß und klein.
Bis auf Reineke den Fuchs allein.
Nach dem, was schon durch ihn ge-
schehn,
Getraut' er sich nicht, nach Hos zu gehn.
Wer Böses tut, der scheut das Licht,
Und so auch er, der Bösewicht.
Man wußte wenig Guts ihm nach-
zusagen;
Drum durft' er auch nach Hofe nicht
sich wagen.
Als nun allda der Hos begann.
Hatte zu klagen jedermann.
Daß Reineke ein Bösewicht.
Und nur der Dachs, der klagte nicht.
(Simrock.)
seine satirischen Nebenbeziehungen
auf kirchliche und politische Verhältnisse bedeutsam ist und als ein treuer
Spiegel der Verhältnisse des sinkenden Reiches bezeichnet werden kann,
dichtete Goethe 1794 seinen „Reineke Fuchs" in Hexametern 1.
Bei der nüchternen Lebensauffassung der Bürger, bei dem praktisch
materiellen Streben derselben, bei dem geringen Maße ihrer gelehrten Bil-
dung und bei der handwerksmäßigen Auffassung, daß die Dichtkunst
erlernbar sei, fehlte es ferner an dem richtigen Stoff und an dem
nötigen Schwünge für die Lyrik. Daher konnte sich wohl der sog.
Meistergesang, aber keine wahre lyrische Dichtung entwickeln. Die Kunst
der Meistersänger beschäftigte sich vorzugsweise mit biblischen Stoffen, mit
heiligen Gegenständen, wie es klar in einer Einladung zum Freiburger
Meistersingen (1630) heißt:
„Kumbt her, ihr Singer algemein!
Us unser Schuel sollt ihr geladen sein;
de inen nielli alle konde teilen:
Irntke cke krön uncke Markwart de
hegger
ja, desse weren dar alle degger — j
weilte de konnink mit sinen heren
mènde to holden liof mit eren,
mit vrouden und mit grotem love,
unde hadde vorbodet dar to hove
alle de dere gròt unde kleine —
sunder Reinken den vos alleine,
lie hadde in dem hof so vele misdän
dat he dar nicht en dorste körnen
noch gän.
de quät deit, de schuwet gern dat
licht ;
also dede ok Reinke, de bosewicht;
he schuwede sère des konninges hof,
darin he hadde sèr kranken los.
do de hof alsus angink,
en was dar nèn än aliene de grevink,
he hadde to klagen over Reinken
de vos,
den men hèlt sèr valseli unde los.
Nach diesem Werke, welches durch
* Derselbe wurde 1856 von Wilhelm Kaulbach meisterlich illustriert.
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Reineke Simrock Goethe Reinke Wilhelm_Kaulbach Wilhelm
§ 27. Die Zeit des Verfalles der Poesie.
227
Während die Poesie mehr und mehr hinwelkt, treibt die Prosa mehr-
fache Blüten. Der nüchterne Verstand der Bürger mußte naturgemäß
ebensosehr die Prosa fördern, als er der Poesie nachteilig wurde. So
entstanden Stadt- und Landchroniken, wie die Straßburger Chronik von
Fritsche Closener, die Limburger Chronik des Elhen von Wolfhagen, die
Elsässische von Jakob Twinger von Königshöfen, sowie Auflösungen der
Heldensagen in Prosa, welche durch die Buchdruckerkunst (nach 1460) bald
Gemeingut wurden. Namentlich waren aber für die Entwicklung der
Prosa außer den predigenden Franziskanern, wie Berthold von
Regensburg (st 1272), die Mystiker tätig, die, fern von der spe-
kulativen, nur das Wissen und die Gelehrsamkeit berücksichtigenden Rich-
tung der lateinisch schreibenden Scholastiker (die Dominikaner Albertus
Magnus fff 1280 zu Köln) und Thomas von Aquin [f 1274 auf der
Reise von Neapel zum Lyoner Konzil)), die Ausbildung des inneren Men-
schen ins Auge faßten, die durch Erwärmung und Läuterung des Herzens
zu einer vollkommenen geistigen Liebeseinigung mit Gott gelangen wollten.
Hervorragend unter ihnen sind die Dominikaner Meister Eckhardt,
den man den Vater der deutschen Mystik genannt hat, und seine
Schüler Johannes Ta uler, gestorben 1361 zu Straßburg als Dom-
prediger, berühmt durch sein Hauptwerk: „Die Nachfolge des armen Lebens
Christi", und Heinrich Suso (Seuse), der als Vertreter der dich-
terischen deutschen Mystik zu Ulm, wo er Prediger war, im Jahre
1365 starb. Gegen Ende des Zeitraumes zeichnet sich aus durch seine
Predigten der berühmte Johann Geiler von Kaisersberg, Dom-
prediger zu Straßburg (st 1510), welcher sich in der Form volkstüm-
licher Satire gegen die Verkommenheit des Klerus und der Laienwelt
richtete. Auch hielt er über das „Narrenschiff" seines Freundes Braut
eine Reihe vorzüglicher Predigten, die von seinem Zuhörer I. Pauli
gleich vielen andern seiner Vortrüge aufgeschrieben und der Nachwelt über-
liefert sind.
/
15 *
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz]]
TM Hauptwörter (200): [T58: [Kirche Lehre Luther Schrift Bibel Gott Christus Bischof Papst Wort], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T105: [Stadt Dom Jahrhundert Zeit Bau Kirche Rhein Baukunst Deutschland Mainz], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Extrahierte Personennamen: Fritsche_Closener Jakob_Twinger_von_Königshöfen Berthold_von
Regensburg Albertus
Magnus Magnus Thomas_von_Aquin Eckhardt Heinrich_Suso_(Seuse Heinrich Johann_Geiler_von_Kaisersberg Johann Pauli
§ 23. Walther von der Vogelweide.
211
Und biten umb’ unser Sünde dich,
daz dû uns sîst genædiclich,
Sô daz din bete erklinge
vor der barmunge urspringe :
sô hän wir des gedinge,
diu schulde werde ringe,
Da mite wir sère sin beladen,
hilf uns, daz wir sie abe gebaden
Mit stæte wernder riuwe
umb’ unser missetät,
die âne got und âne dich nieman
ze gebenne hät.
Wir bitten dich für unsre Schuld
Um deine Gnade, deine Huld:
Kommt Fürbitb uns geronnen
Aus der Erbarmung Bronnen,
So haben wir mit Wonnen
Erleichterung gewonnen
Der Schuld, womit wir schwer beladen:
Die hilf uns, Herrin, wegzubaden
Im Quell der ew'gen Reue
Um unsrer Sünden Last,
Die außer Gott nur du allein uns zu
vergeben hast.
(Simrock.)
Überschauen wir in einem kurzen Rückblick die vielseitige dichte-
rische Tätigkeit Walthers, so erscheint er uns als ein hochbegabter,
seine Kunst mit volkstümlicher Frische und Kraft glücklich verbindender
Dichter, der als die erste aller „Nachtigallen" das Lied zum Preise der
Minne ertönen läßt, der sodann, die engen Grenzen des Minnegesanges
überschreitend, mit gewichtigem Wort für deutsches Wesen und
Gottes Ehre eintritt und als politischer und patriotischer Dichter
in den Streit zwischen den Hohenstaufen und den Welfen, der zugleich
ein Kampf zwischen Kaisertum und päpstlicher Gewalt war, mächtig ein-
greift und, begeistert von der Hoheit der römischen Kaiserwürde, in ent-
flammter Vaterlandsliebe den Ansprüchen des großen Papstes Innozenz Iii.
mit kühnem, scharfem, ja selbst bitterem Wort entgegentritt, der aber bei
aller Parteinahme doch ein treuer Sohn der Kirche bleibt in um
geheuchelter Frömmigkeit und echt christlicher Gesinnung. „Das Gesamt-
bild, das wir gewinnen, ist zugleich ein Kulturgemälde mittelalterlichen
Lebens (Frauendienst, Herrendienst, Gottesdienst), aber auch ein Abbild
eines Menschenlebens, das seinen Wert für jede Zeit behält, weil
es durch Reinheit und Edelsinn, durch Wärme und Begeisterung, durch
schlichten Glauben und wahre Frömmigkeit vorbildliche und erzieherische
Bedeutung gewinnt." (A. Matthias.) Ähnlich sagt Pfeiffer: „Frei von
Selbstsucht und niedrigem Ehrgeiz, begeistert für das Gute und Schöne,
durchdrungen von der großartigen Idee des deutschen Kaisertums und mit
all seinem Dichten und Denken den großen Angelegenheiten seines Vater-
landes zugewandt, schritt er voll sittlicher Würde und Hoheit durch jene
von gemeinem Eigennutz und unersättlicher Habgier beherrschte Zeit, aus
deren dunklem Hintergründe sich sein Bild um so heller und leuchtender
14*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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212 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode.
abhebt." Daher rühmt sein Zeitgenosse Gottfried ihn in der Schwertleite
(s. S. 169) mit glänzendem Lobeswort, daher erkennt selbst sein Gegner
Thomasin von Zirkläre (s. S. 213) im „welschen Gast" seine Bedentung
an: „Er hat erzeiget zuht und sin An maniger siner rede guot“,
daher sagt in gleicher Bewunderung Hugo von Trimberg (um 1300) in
seinem „Renner":
„Her Walther von der Vogel weide,
Swer des vergaeze, der taet mir leide.“ 1
§ 24.
Verfall des Minnegesanges.
Die Klagen Walthers über den Verfall der Minne und des Minne-
gesanges sollten nur zu bald zur vollsten Wahrheit werden. Ver-
gebens versuchte der in Österreich aufgewachsene Rheinländer Reinmar
von Zweier, bedeutsam durch seine Spruchdichtung, gegen Ende der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts durch ernste Rügelieder dem sichtlichen
Verfalle der Minnepoesie zu steuern; Inhaltslosigkeit und über-
künstliche Form gewannen immer mehr die Oberhand. Zu erwähnen sind:
Neidhart von Reuenthal, ein bayrischer Ritter (zwischen 1210
bis 1240), der Begründer der höfischen Dorfpoesie, welcher seinen
Stoff dem Leben und dem dörfischen Benehmen (dörperheit von dorp,
Dorf) der Bauern entnahm und durch Verspottung der Plumpheit und
Putzsucht sowie der Liebeshändel derselben die Lachlust der Ritter zu er-
regen suchte.
Ulrich von Lichtenstein (ch um 1275), aus steiermärkischem Ge-
schlechte, der als „vrou Venus“ und später als „künee Artus“ gekleidet
durch die Lande zog und in seinem „Frauendienst", einer Selbstbiographie,
mit seinem Minnedienste derartig auf Abwege gerät, daß derselbe nur noch
als alberne Narretei erscheint.
Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, weil er dem
Namen „Frau" (Herrin oder die Erfreuende) den Vorzug gab vor der
Benennung „Weib" (Gegensatz zu Mann), der in Mainz, wo er im
Jahre 1318 starb, die erste Meisterschule gegründet haben soll. So bildet
er den Übergang von den Minnesängern zu den Meistersängern der fol-
genden Periode.
' Es ist das Verdienst Uhlands, durch die Schrift: „Walther von der Vogel-
weide, ein altdeutscher Dichter" (1822), den großen Dichter uns wieder bekannt
gemacht und nach Gebühr gewürdigt zu haben.
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Extrahierte Personennamen: Gottfried Hugo_von_Trimberg Reinmar
von_Zweier Ulrich_von_Lichtenstein Heinrich_von_Meißen Heinrich