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empor. Kein zweites Land in Europa, wird behauptet, hat so schöne
Baien und Häfen wie die „Smaragdinsel". Man zählt 14 Häfen für
die größten Schiffe, 17 für Fregatten und gegen 40 für Kauffahrtei-
schiffe. Cork mit Queenstown sind noch heute die Station für die
transatlantischen Postdampfer. — Wo England demnach durch seine
natürliche Beschaffenheit schon ohnedies so ausgezeichnet und ge-
eignet für den Seeverkehr war, versäumte man andrerseits auch nicht,
durch allerlei künstliche Mittel die maritime Zugänglichkeit des Landes
zu erhöhen. Während man die Gesamtlänge aller schiffbaren Flüsse
in England und Wales auf ca. 3175 km. angeben will, beträgt die
Länge der Kanäle über 3500 km.*- Dies Kanalfyftem strahlt in
drei Vereinigungspunkte aus, Birmingham, Manchester und London;
aus je 3 lh!M. Fläche kommt 1 Meile Fluß- oder Kanalstraße.
In Schottland unterstützen die charakteristischen Einschnürungen die
Anlage von Kanälen. Berühmt sind der Clydekanal, der nur 91 km
geführt zu werden brauchte, um die Nordfee mit dem Oceau zu ver-
binden, und der kaledonische Kanal zwischen Firth of Lorn und
Moraybusen. Dort fahren vorüber am Ben Newis, dem höchsten
Berge in Schottland, Fregatten quer durch das Land. — Ein zweites
Mittel, die Schiffahrt zu unterstützen, bietet sich in der Anlage von
Leuchttürmen, und England besitzt deren 330, darunter der berühmte
von Bell Rock vor der Mündung des Tay, ^ und der von Eddystone.
Letzterer liegt vor der Reede von Plymouth, auf der die größte Flotte
der Welt sicher ankern könnte, und dünkt den westwärts in den Ocean
eilenden großen Dampfern wie ein letztes Wahrzeichen Europas, das
den in die Wasserwüste hinaussteuernden Schiffen gleichsam den
Scheidegruß der Heimat nachsendet. Wenn die Leuchtfeuer aus-
gelöscht werden und der kundige Lotse fehlt, fo kann England auf
feine Unzugänglichkeit pochen, und die Wachsamkeit seiner kreuzenden
Flotte sichert dem Lande die Unmöglichkeit einer feindlichen Invasion.
Das hat sich von den Zeiten der Armada, die Großbritannien nord-
wärts umsegeln wollte und an der Felseninsel Fair zerschellte, bis
zu den Kriegen Napoleons I. bewahrheitet. Ein beispielloses Glück
hatte dagegen Wilhelm Iii. Er täuschte die englische Flotte, die
annahm, er würde in Jorkshire landen, fuhr in den Kanal und
konnte in der Bai von Tor Anker werfen, von wo ihn weiter das
Glück nach London und auf den Königsthron geleitete.
So erwuchs in dem Briten das stolze Selbstgefühls die Einsicht
in den Zustand der eigenen Sicherheit und zugleich die Überzeugung,
daß Britannien die anerkannte Meerbeherrscherin sei, wie sich das
in dem Nationalliede ausspricht rule Britannia the waves (Herrsche,
1 Der Bau derselben erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen.
2 Der wasserreichste Strom Großbritanniens.
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Extrahierte Personennamen: Ben_Newis Napoleons_I. Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Europa Cork England England Wales Birmingham London Schottland Schottland England Plymouth Europas England Napoleons Jorkshire London Britannien
Die Mittelmeerländrr.
3jla§ Bcittelmeer war für die Alten die Thalatta, der Inbegriff
des Meeres und aller maritimen Interessen. Der Okeanos
verschwamm für sie im Dämmerlichte, und so blieb es wesentlich bis
1492, wo das dritte Zeitalter der Menschheit, nämlich nach dem
potamischen und thalassischen das oceanische begann. So erscheint
diese große Wasserellipse (2 Millionen □km) mit ihren beiden
Brennpunkten Athen und Rom seit der Zeit des Altertums hoch-
bedeutsam. Heutzutage hat sich dieser Ruhm etwas verflüchtigt; wir
können das Mittelmeer eigentlich nur als Durchgangsmeer betrachten,
seitdem der Kanal von Suez den Zugang zu dem Indischen und
Stillen Ocean mit ihren weitaus wichtigeren Handels- und Lebens-
interessen eröffnet hat. Das Mittelmeer zerfällt in eine Menge
einzelner Becken und Buchten mit sehr verschiedener Tiefe. Das
Adriameer ist wie unsere Ostsee stach, das Asowsche Meer (palus
Maeotis der Alten) sogar so seicht, daß tiefer gehende Seeschiffe es
gar nicht befahren können, und daß es in jedem Winter zufriert,
und auch sonst finden sich an den Meerengen unterseeische Land-
rücken, so daß z. B. über der von den Engländern Adventures ge-
nannten Bank zwischen Sicilien und Afrika <ca. 120 km breit) das
Meer nur etwa 60 m Tiefe hat und sich deshalb auch durch allerlei
Tücken auszeichnet. „Die Araber tauften das Kap Bon das ver-
räterische Kap, und die Griechen wagten es lange Zeit nicht, aus dem
östlichen in das westliche Becken des Mittelmeeres überzugehen." Sonst
hat das Mittelmeer aber auch sehr bedeutende Tiefen, so die fast
oceanischen Abgründe im Süden von Kreta <4000 m) und die ^eile
des Meeres südwestlich von Genua. Weil die Alten daran gewöhnt
waren, das Mittelmeer als ein abgeschlossen für sich bestehendes Ganze
zu betrachten, so entstand auch die Sage, daß der Timavus (jetzt
Timavo) in dem kalkigen Plateau in der Nähe von Trieft die n7]yr]
fraxätt)]g sei, der Quell des Meerwassers.
Das Mittelländische Meer ist allerdings darin eigentümlich, daß
bei seiner Lage in warmein, fast heißem Klima die Verdampfung
größer ist als der Zufluß von süßein Wasser. Daraus erklärt sich
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Extrahierte Ortsnamen: Athen Rom Suez Sicilien Afrika_
— 41 —
der hohe Salzgehalt des Meeres (38 Promille, während der Atlantische
Ocean nur 35 hat). Das Mittelmeer hätte also schon längst zur
Salzsole umgewandelt sein müssen, wenn nicht Zuflüsse aus minder
salzhaltigen Meeren stattfänden und wiederum das Wasser des Mittel-
meeres abflösse. Thatsächlich ist eine submarine Ausströmung des
schweren und salzigen Mittelmeerwassers durch die gaditanische Meer-
enge in den Atlantischen Ocean nachgewiesen, während dieser seiner-
seits minder salziges Wasser an der Oberfläche in das Mittelmeer
abgiebt. Und ebenso erfolgt aus dem Pontus, der wegen des reich-
haltigen Zuströmens von süßem Wasser durch die russischen Flüsse
einen geringeren Salzgehalt besitzt, eine Oberflächenströmung in den
Dardanellen, die früher den Segelschiffen die Einfahrt erschwerte,
heute aber den Kriegsdampfern gegenüber kaum mehr von Bedeutung
ist. Wegen der verhältnismäßig niedrigen Bodenschwelle in der Meer-
enge von Gibraltar kann die Cirkulation vom Atlantischen Ocean
nach dem Mittelländischen Meere nur beschränkt sein und also auch
der Wärmeaustausch nicht frei und ungehindert stattfinden. In den
Tiefen des Mittelmeeres ist also die Temperatur um 10° höher als
im Atlantic, und da bei der geringen vertikalen Bewegung und Er-
Neuerung des Wassers der Sauerstoff sich nicht ausreichend ergänzt,
so hört in einer Tiefe von 322 in alles Tierleben im Wasser des
Mittelmeeres auf; in jenen Räumen herrscht die Stille des Kirchhofs.
Ebbe und Flut sind im Mittelmeer auch kaum wahrnehmbar, in
Korfu rechnet man 6 ein, bei Ägypten 35 ein und in der großen
Syrte P/2 ra.1 Alexander und Cäsar waren daher die Fluterschei-
nungen der Oceane unbekannt; ersterer lernte sie erst im Indischen
Ocean kennen, und der große Bezwinger Galliens mußte in seinem
Kampf mit den Venetern flache Boote bauen, die bei eintretender
Ebbe gut auf dem Sande aufsitzen konnten.
Die Uferlandfchaften des Mittelmeeres, alfo etwa zwischen 45 und
35° n. Br., haben gemeinsame klimatische Merkmale, so daß, wie es
schon Lukan gethan hat, man den Nordrand Afrikas in dieses ge-
meinsame Vegetationsgebiet hineinbeziehen kann. Der Hauptunterschied
gegen unsere nordischeren Klimaformen ist der, daß bei uns die Winter-
kälte den Vegetationsprozeß der Pflanzen unterbricht, dort die sommer-
liche Dürre den gleichen Einfluß ausübt. Die hauptsächlichste Wachs-
tumszeit fällt im Mittelmeergebiet in den Frühling, im Sommer wird
alle Saftbewegung eingestellt und erst beim Eintreten der Herbstregen
die Fruchtreife vollendet. Durch das ganze Gebiet ist der Ölbaum
das eigentliche „Leitgewächs" desselben; allerdings giebt es keine
Olivenwälder, ebensowenig wie bei uns Birnen- oder Apfelwälder.
1 In Venedig stehen zur Zeit der Flut die Treppen einige Stufen tiefer
im Wäffer.
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Extrahierte Personennamen: Alexander Alexander Cäsar
— 103 —
So hatte sich die deutsche Hansa ihr „Kontor" gesichert, und Now-
gorod — da wo die Wolchow den Jlmensee verläßt — war die
Hauptstätte des Tauschhandels. Man bezahlte im e>. Petershof die
eingehandelten Waren nicht bar, sondern tauschte sie gegen die West-
europäischen Erzeugnisse ein, worunter die flandrischen Tuche die vor-
nehmsten waren. Nowgorod wuchs mächtig an Einwohnerzahl, es
hatte zuletzt 400000 Bewohner, wurde überaus reich, und das russische
Sprichwort besagte: Wer kann gegen Gott und gegen Nowgorod.
Auch die umliegenden Städte blühten auf. Riga, dessen Name
„Getreidespeicher" bedeutet, erhielt damals sein „hanseatisch-reichs-
städtisches" Gepräge. Es wurde der gotische Dom mit herrlichem
Gewölbe gebaut, und die Petrikirche erhielt ihren fast 140 m hohen
Turm, den höchsten Turm in Rußland. Diese Machtstellung der
Republik und der Reichtum Nowgorods reizte den Großfürsten Iwan
den Großen (als Zar Iwan I. Wasiljewitsch), der sich eben von der
mongolischen Oberhoheit befreit hatte und danach strebte, nach dem
Fall des griechischen Kaisertums Rußland emporzubringen — er
nahm ja deshalb auch den zweiköpfigen Adler in das russische Wappen
auf —, und so eroberte er Nowgorod und machte der Selbständigkeit
der Republik ein Ende.
Wenn die frühere Bedeutung von Nowgorod Weliki (— Groß-
neustadt) unwiederbringlich dahin ist, so hat sich der Handelsverkehr
des modernen Rußlands jetzt in Nishnij Nowgorod (= Niederneustadt)
konzentriert, und dieser Ort ist zur berühmtesten Messestadt in dem
Zarenreiche geworden. * Die Stadt liegt äußerst günstig, gerade in
der Mitte des ungeheuren Reiches, und zwar an der Wolga, da wo
der mächtige Nebenfluß, die Oka, in die Wolga mündet. Auf dem
rechten bergigen Ufer der Wolga liegt die Oberstadt, wohl 200 m
über dem Wasserspiegel. Am Wasser des Flusses sind die Anlege-
plätze der Dampfer, und dann geht es auf mächtiger Holzbrücke über
die Oka, die fast 1 km breit ist, zum Messeplatze zwischen Oka und
Wolga. Hier entwickelt sich 40 Tage lang vom 27. Juli ab der
gewaltige europäisch-asiatische Großhandel, zu dem die Waren auf
7 großen Handelsstraßen herbeigeschafft werden; von Petersburg über
Moskau, von Astrachan auf der Wolga, von dem chinesischen Kiachta
über Tjumen, von Bochara über Orenburg, vom Schwarzen Meere
über Taganrog, von den Kaukasusländern wiederum aus der Wolga
und von Archangelsk her auf der Dwina und Kama. „Der Kauf-
mann aus Paris und London macht hier mit dem Perser und Chinesen,
der Schwede aus Finnland mit dem Jakuten aus Sibirien Handels-
geschäste. Das Getreibe auf der Messe kann etwa nur mit dem
Völkergewühl in Mekka verglichen werden." Man rechnet, daß in
1 Frühere Geographen sagen i es ist die äußerste Stadt Europa gegen Aufgang.
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— 106 —
anfangs sogar die Schubkarren und die Spaten zur Arbeit gefehlt
haben; dafür legte der Zar selbst Hand an, und die Stadt, an der
man 1703 zu bauen angefangen hatte, konnte schon im zweiten Jahre
des Baues bezogen werden. Allerdings waren von den Arbeitern
100000 umgekommen infolge der Strapazen, der schlechten Ernährung
und der bösen Sumpfluft. Heutzutage ist Petersburg eine Stadt der
Paläste, der einst so reißende Newastrom ist eingedämmt und fließt
8 km entlang zwischen Granitquais; aber die Stadt liegt flach und
niedrig, und ein Steigen des Meeres nur um 5 m würde hinreichen,
um alle Straßen unter Wasser zu setzen. Die Bauart der Stadt ist
weitläufig und ausgedehnt; man entbehrt in Petersburg das dicht-
gedrängte Volksgewühl, wie man es in anderen volkreichen Residenzen
findet. Die charakteristische Gruppierung der Stadtteile und Straßen
fehlt, und das Auge hat keinen Anhaltepunkt in dem Meer von
Palästen.
Auf der nahen Insel Retusari ließ Peter der Große die Festung
Kronstadt anlegen, ebenso wie er am Ladogasee oberhalb Petersburgs
Schlüsselburg erbaute. Nach der Festung Kronstadt sührt durch den
innersten Teil des finnischen Meerbusens der Morskoifanal, der den
Schiffen den Zugang bis nach Petersburg ermöglicht. Denn dieser
innerste Winkel des Meerbusens ist nur seicht; auch sollen die Schiffe
in dem Wasser, das nicht salzig genug ist, leichter faulen und kaum
20 Jahre in ihren Holzteilen unversehrt bleiben. Ein großer Übel-
stand ist es immer, daß die Newa 6 Monate zufriert und daß
dann der Verkehr binnenwärts nur durch Schlitten unterhalten
werden kann. Im Frühling strömen dann ungeheure Massen Binnen-
länder nach der Riesenstadt, so daß man ihre Zahl aus über 150000
schätzt. Dadurch wird das Bild des Völkerlebens in der Stadt außer-
ordentlich mannigfaltig, und in dem großen Newsky Prospekt, der sich
wohl 4 km durch die Stadt zieht, kann man alle Nationalitäten Eu-
ropas vertreten sehen. Das charakteristischte Element ist aber doch
das Militär und die Uniform. Jeder neunte Mensch in Petersburg,
rechnet man, ist Soldat, und zwar erscheinen hier alle Regimenter,
von den Tscherkessen bis zu den Finnen in ihrem nationalen Auf-
putz. Da nun aber in Rußland außer den Soldaten alle Beamten-
klassen und selbst die Gymnasiasten und Studenten uniformiert^sind,
so kann man sich denken, wie das überall von mehrfarbigem ^uche
schimmert und von Goldborten, Litzen und Stickereien blitzt. Nach
Abrechnung der Frauen und Kinder soll wohl die halbe männliche
Bevölkerung uniformiert erscheinen, und die Zahl der in Civil Ge-
kleideten tritt ganz zurück. Um Petersburg herum liegen die kaiser-
lichen Lustschlösser Oranienbaum, Peterhos, „das russische Versailles",
und Zarskoje Selo (d. h. kaiserliches Dorf). Auch die Sternwarte
Pulkowa darf nicht vergessen werden.
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M njzlland.
|Lljjenn man — etwa von einem preußischen Landstädtchen aus —
"*** die russische Grenze überschreitet und an der Tamoschna (Zoll-
Haus) abgefertigt wird, so steht man dann in einem Lande, das, wie
Humboldt sagt, allein in seinem europäischen Umsang bedeutend
^größer ist als die Fläche der uns zugekehrten Mondscheibe. Es
erstreckt sich durch 25 Breitengrade vom 25. bis 70.0 nördl. Breite,
von der Südseite der Krim, wo ein ewiger Frühling herrscht und
die Weinstöcke im Winter unbedeckt bleiben, bis hinaus nach Kola,
wo im Winter die Sonne fast 2 Monate nicht ausgeht, oder von
den Filzzelten der Kalmücken und den Stanizen der Kosaken bis zu
den Tundren der Samojeden und Syrjänen. Desgleichen ist die
Ausdehnung des Landes in die Breite so ansehnlich, daß der Zeit-
unterschied zwischen der östlichsten und westlichsten Stelle bereits
3 Stunden beträgt, daß also für den Uralbewohner die Sonne
3 Stunden früher kulminiert als für den Wallfahrer in Tschenstochau.
Dies ungeheure Gebiet von 5l/2 Mill. □km ist nun durchweg Tief-
land und besitzt nur eine mittlere Bodenerhebung von 167 m. Es
finden sich ja einige Bodenanschwellungen, die aber selten eine Meeres-
höhe von 300 m überschreiten, und man wird sich durch die Bezeich-
nungen der Geographen nicht täuschen lassen, wenn sie von einer
Livländischen, Kasanschen und Krimischen Schweiz sprechen. Aus der
großen Tieflandstafel haben wir zehn Stromsysteme, die nicht nur
selbst bemerkenswerte Wasseradern sind, sondern auch durch ein so
reiches Kanalnetz miteinander in Verbindung stehen, daß Rußland
in dieser Beziehung nur etwa mit China zu vergleichen ist.1 „Selbst
die Nebengewässer der Nebenflüsse tragen im Sommer noch große
Dampser." Eine echt russische Eigentümlichkeit sind die Woloks,
schmale Isthmen zwischen zwei Flüssen, über die die Kähne geschleift
werden, und die an die nordamerikanischen portales erinnern. Am
interessantesten ist der kurze Wolok zwischen Tschussowaja, dem Neben-
sluß der Kama, also zum Wolgasystem gehörig, und den Wasser-
1 Uber die Wassewechältnisie in Nußland s. Teil I., S. 56—57.
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Extrahierte Personennamen: Humboldt
Extrahierte Ortsnamen: Tamoschna Tschenstochau China Tschussowaja Nußland
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laufen des Obi in Asien bei Jekaterinburg. Nicht genug, daß im
Süden des Uralgebirges bis zum Kaspischen Meere hin sich das große
Völkerthor sindet, durch das zum Schaden Europas die asiatischen
Horden über Europa hineingebraust sind, sehen wir hier mitten im
Ural auch die Möglichkeit gegeben, mit einem und demselben Kahn
asiatische und europäisch-russische Wasseradern zu besahren. Die Paß-
höhe in Jekaterinburg liegt übrigens noch bedeutend unter dem Pslaster
von München. Die hauptsachlichste Wasserstraße in Rußland ist „das
Mütterchen" Wolga mit ihrer Stromlänge von 3400 km und fast
hinaus bis zur Quelle (bis Twer) schissbar. An ihr liegen 39 Städte
und über 1000 Dörser. An der nordischen Quelle haben wir ein
Sumpfgebiet, und au der Mündung Mandelbäume und Weinberge.
500 Dampfer verkehren auf ihr, und die Zahl der Barken ist beispiel-
los. Mit Hilfe der Dampfer ist es jetzt möglich, die Frachten von
Astrachan in einem Sommer bis Petersburg gelangen zu lassen,
während sie früher in Rybinsk überwintern mußten. Was die*
Barken betrifft, so wird ebenda eine Umladung vorgenommen. Es
scheidet sich die obere und untere Wolgaschiffahrt, und die Waren
werden aus den großen schweren Barken in leichtere Fahrzeuge ver-
packt. Aus allen Flüssen, sobald das Eis aufgetaut ist, bewegen sich
große Karawanen von Fahrzeugen, und die Hälste aller Frachten
wird so durch diese Frühjahrsverschiffung an Crt und Stelle ge-
schafft. Besondere Schwierigkeit macht die Überleitung der Barken
aus der Twerza, einem Nebenfluß der Wolga, durch das Schleusen-
system von Wischnei Wolotfchok in die Msta, einen Nebenfluß der
Wolchow, so daß dann weiter durch Ladogasee und Newa die Waren
bis nach Petersburg gelangen. Während Twerza und Msta von
Natur nur kleinere Bäche sind, werden bei Ankunft der Barken-
karawanen die Schleusen geöffnet, und „in unglaublich kurzer Zeit
sind die Bäche zu majestätischen Strömen geworden", die wohl über
3 m Tiefgang haben. Die Barken haben aber, auch wenn sie in die
Msta gelangt sind, noch eine Fährlichkeit zu bestehen, das sind die
Borovitzkischen Wasserfälle, wo der Boden des Flußbettes aus lauter
Felsen besteht und die Gefahr des Scheiterns bei ungenügender
Wassertiefe befürchtet werden muß. Das Schiffsvolk hält vor dem
Passieren dieser Stelle ein gemeinsames Gebet, der Eigentümer der
Barke entblößt sein Haupt, wirst Brot und Salz in den^ tosenden
Strom und ruft wie die alten homerischen Helden den ^tromgeist
an: „Mütterchen Msta, wir bringen dir Brot und Salz, sei gnädig
gegen uns". Der Anblick der schäumenden Wassermasse, der furchtbar
krachenden, schwachen Fahrzeuge, das ungeheure Gewühl der Schiffe
und Menschen, deren Aufmerksamkeit auf das äußerste gespannt ist,
damit nicht ein Versehen den Verlust der Barke herbeiführt, soll ganz
überwältigend sein. Das Holz der Fahrzeuge wird nach vollendeter
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— 89 —
Fahrt als Brennholz verkauft, und dieser ganze Vorgang ist den Be-
wohnern von Ost- und Westpreußen wohl bekannt. Auch dorthin
kommen die Weichsel herab oder aus der Memel und durch die Kanal-
Verbindungen in den Pregel bis Königsberg barackenähnliche Flöße
aus Polen und bringen Flachs oder Getreide. Die fahrzeugähnlichen
hölzernen Kasten sind die Wittinnen, und die Wittinniker heißen aus
der Weichsel Fliffaken, in Königsberg Dzimken. Auch hier werden die
Fahrzeuge, wenn die Ladung gelöscht ist, an die Holzhandlungen verkauft.
Das Üble bei der Wolgastraße ist nur, daß der Fluß in ein
Binnenmeer mündet. Der Kaspische See ist eine Singularität in
der Geographie, „der größte Steppensee", noch umfangreicher wie
die Ostsee und ganz abgeschnitten von aller Meeresverbindung. Sein
Spiegel liegt 26 m tiefer als das Meeresniveau, er ist in seinem
südlichen Teile bis 1000 vi tief, allerdings im Norden auch recht
seicht, so daß das Lot meist schon bei 5 oder 6 in den Grund er-
reicht. Man hat für die Erklärung dieser geographischen Merkwürdig-
keit eines 8000 Qm. großen Binnensees verschiedene Hypothesen
ausgestellt und will den Kaspisee als einen Rest der großen Meeres-
masse, die mit dem Eismeere zusammenhing, betrachten. Uns inter-
essiert mehr die Bedeutung, die dieser „See" für Rußland hat, und
die Rolle, die er in den Zeiten des Mittelalters spielte. Der Kaspische
See ist für Rußland insofern von großer Wichtigkeit, als er meist
rings von russischem Gebiet eingeschlossen ist. Er vermittelt den Ver-
kehr mit Persien und dem Orient, doch aber nicht in dem Maße, wie
das srüher geschehen ist. Astrachan, das diesen ganzen Verkehr in
sich zu konzentrieren berufen ist, leidet unter ungünstigen Hasenver-
hältnisfen. Schon von Zarizyn ab ist das ganze unterste Gebiet des
Wolgastromes angeschwemmtes Land; daher nennt es Humboldt
„Schlund des Kaspischen Meeres". Der Fluß strömt langsam durch
Schils und Wiesengründe, spaltet sich bei Astrachan in 60 Arme, von
denen der bedeutendste 7 km breit ist. Durch diese Verästelungen
verslacht sich das Fahrwasser, und nur bei einer günstigen Wind-
richtung können die Fahrzeuge vom See nach Astrachan gelangen.
Mehr noch als durch den Handel hat Astrachan Wert durch seine
Fischerei. Hier ist das „Comptoir" der unermeßlichen Fischereien in
Wolga und Kaspischem Meer, welche viele Tausende von Menschen
beschäftigen und jährlich Millionen von Rubeln abwerfen. Auch soll zur
Zeit des Fischfangs sich die Einwohnerzahl verdoppeln. Den Hauptfang
bilden Sterlet und Stör, aus dessen Rogen der Kaviar bereitet wird.1
Die Wolga soll übrigens gegenwärtig mehr und mehr an Wasser ver-
lieren, da in Rußland die Waldungen zu unvernünftig abgeholzt werden.
1 Die Tataren nennen daher auch die Wolga Jti, d. i. die Freigebige. Die
Strecke von Zarizyn bis zum Meere wimmelt von Heringen, und ein einziger Fang
soll mitunter schon 80000 Heringe ergeben haben.
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Das Kaspische Meer hat als Vermittler des Verkehrs mit dem
Orient das ganze Mittelalter hindurch eine große Rolle gespielt.
Darauf deuten die zahlreichen Münzfunde an der ganzen Handels-
straße bis nach Pommern hinein, und Rubel, die nationale Münze
der Russen, heißt ursprünglich nichts anderes als Hacksilber, mit dem
bekanntlich die orientalischen Händler die eingehandelten Waren be-
zahlten. Dieses Verkehrs mit dem Orient bemächtigten sich schon
frühe die großen italienischen Handelsrepubliken, Venedig und zuletzt
namentlich Genua. Als infolge der Kreuzzüge Rom den Handels-
verkehr mit den Türken verboten hatte und deshalb „der indische
Warenzug, der über Ägypten gegangen war, sein Ende sand", grün-
deten die Venetianer am Schwarzen Meere Niederlassungen, um die
indischen Waren, die vom Kaspischen Meere herabgebracht waren, in
Empfang zu nehmen. Die Waren nämlich gingen von Astrachan die
Wolga hinauf bis dahin, wo zwischen Wolga und Don ein Wolok
ist, überschritten diesen und wurden dann den Don hinab bis wieder
ans Schwarze Meer geführt. Umgekehrt hat diesen Weg auch der
Venetianer Marko Polo 1260 bei seiner berühmten Entdeckerfahrt
ins mittlere Asien eingeschlagen. Bald aber verdrängten die Genuesen
ihre Konkurrenten, und jetzt wurde Kaffa an dem Stretto di Caffa
das Handelsemporium. Mächtig blühte die Stadt empor und soll
an Einwohnerzahl Konstantinopel übertroffen haben; daher „das
zweite Stambul". Später, als die Türken die Stadt einnahmen,
ging es mit der Handelsbedeutung zurück. Die Russen nennen die
Stadt Feodofia. Die russische Regierung hat auch neuerdings noch
daran gedacht, eine direkte Wasserverbindung des Schwarzen Meeres
mit dem Kaspisee herbeizuführen und hierzu die Manytschniederung
zu benützen. Von dem Manytschsee zieht sich eine Flußverbindung
nach dem Don und andererseits nach dem Kaspischen Meere, die aller-
dings nur bei Hochwasser als dauernd angesehen werden könnte.
Auch zwischen Don und Wolga soll früher ein Kanal existiert haben,
den die Tatarenchane mit 17 Schutztürmen versahen.
Der zweitgrößte Strom in Rußland ist der Dniepr, dessen
Quelle nur durch slache Hügel von der Wolga und Düna getrennt
ist. Smolensk an ihm beherrscht die Straße, die aus dem Westen
Europas nach dem Herzen Rußlands führt, also nach Moskau, und
aus ihr ist Napoleon 1812 gezogen. Der Nebenfluß Berefina sah
am 26. November den Zusammenbruch Oes einst so stolzen Heeres
und ist in der Geschichte deshalb berüchtigt. Von Kiew an durch-
strömt der Fluß den uralisch-karpatischen Landrücken; die Ufer werden
immer höher und steiler, so daß sie bei Krementschuk bis zu 80 m an-
steigen, das Flußthal wird immer enger mit tiefem Felsenbett, und es
finden sich hier die Stromschnellen, Porogi, die die Besahrung des
Dniepr sehr beschwerlich machen. Daher siedelten sich auf den Inseln
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Extrahierte Personennamen: Marko_Polo Caffa Napoleon Nebenfluß_Berefina
Extrahierte Ortsnamen: Pommern Venedig Genua Rom Astrachan Wolga Konstantinopel Wolga Rußland Europas Moskau Kiew
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des Flusses in dieser Gegend russisch-normannische Ansiedler an, um
von der Beraubung der Flußschiffer zu leben. Später folgten
Kosaken. — Nach der rumänischen Grenze zu ist noch der Fluß
Dniestr zu erwähnen, der Tyras der Alten, der eine reifende Strö-
mung hat, so daß das Urteil des Ovid millo tardior amne Tyras
sich wohl nur aus das Mündungsgebiet beziehen kann. Der kurze
Laus der Newa endlich ist nicht allein durch seine merkantile Be-
deutung von Wichtigkeit, wie wir das weiter unten sehen werden,
sondern ganz Petersburg ist in einer noch nie dagewesenen Weise
von dem Wasser des Flusses abhängig. Da die Stadt auf Sumpf-
boden erbaut ist, liefert die Newa alles Wasser zum Kochen und —
Trinken, und es sind zwei sür die ganze Stadt wichtige Festtage,
wenn am 6. Januar unter feierlichen und religiösen Ceremonien die
Wasserweihe vollzogen wird, und wenn bei Frühlingsansang das Eis
des Flusses zu tauen ansängt und unter dem Donner der Kanonen
der Kaiser den ihm überbrachten Becher des Newawassers aus das
Wohl seiner Residenz leert.
Den Reichtum Rußlands und seine ganze Machtstellung bedingt
der Ural. Dies hat schon Ritter behauptet. Das etwa 2000 km
lange Gebirge ist das einzige größere in Europa, das genau in der
meridionalen Richtung verläuft, also eigentlich an die Streichungs-
linien der amerikanischen Gebirge erinnert. Seine geringe Erhebung
sichert ihm aber nicht einen so durchgreifenden Einfluß wie eben den
Höhenzügen der westlichen Hemisphäre; dennoch empfiehlt es sich recht
gut als Scheide zweier Erdteile. Die reichen Laubwälder Rußlands,
also Europas, finden sich nur aus seiner westlichen Seite, weder die
Eiche noch die Linde überschreiten seinen Kamm, und auf der asiatischen
Seite beginnen die unermeßlichen Tannenwälder und weiter südlich
die Steppenlandschasten Sibiriens. Die staunenswerte Bedeutung
des Gebirges liegt vor allem in seinen Mineralschätzen. Fast un-
erschöpslich sind die Eisensteinlager, so daß es 2/3 alles russischen
Eisens liefert und die Bergbeamten äußerten: wir könnten ägyptische
Pyramiden aus reinem Eisen bauen, wenn nur die Brennmaterialien
da wären. Peter der Große siedelte am Ural Schmiede aus Tula
an, beschenkte sie mit großen Waldflächen, und dieselben haben hier
kolossale Reichtümer erworben, wie die aus der Geschichte der Na-
poleoniden bekannten Demidoffs. Ebenso ansehnlich ist die Ausbeute
des Gebirges an Edelmetallen, worunter die Goldseisen am Ostfuß
des Urals besonders erwähnenswert sind. Das sonst selten gefundene
Platina wird hier in reichem Maße gewonnen. Rußland machte
sogar den gewagten Versuch, daraus Münzen prägen zu lassen; im
ganzen waren davon schließlich 10 Millionen Mark im Umlauf, sie
sind aber seit 1863 wieder eingezogen. Da Platin als Edelmetall
nicht rostet, sindet es bei subtilen Wägungen als Gewicht seine Ver-
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Extrahierte Ortsnamen: Petersburg Europa Europas Sibiriens Tula Goldseisen