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1. Geschichtliches Lesebuch - S. 3

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
I. v. Treitschke, Belle Alliance. 3 Napoleon rechnete mit Sicherheit auf einen raschen Sieg, da er die Preußen fern im Südosten bei Namur wähnte. Seine Armee zählte über 72,000 Mann, war dem Heere Wellingtons namentlich durch ihre starke Kavallerie und die Überzahl der Geschütze — 240 gegen 150 Kanonen — überlegen. Unter solchen Umständen schien es unbedenklich, den Angriff auf die Mittagszeit zu verschieben, bis die Sonne den durchweichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu schrecken und die Zuversicht des eigenen Heeres zu steigern, veranstaltete der Imperator im Angesichte der Engländer eine große Heerschau; krank wie er war, von tausend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch selber das Bedürfnis, sich das Herz zu erheben an dem Anblick seiner Getreuen. So oft er späterhin auf seiner einsamen Insel dieser Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die Erde war stolz so viel Tapfere zu tragen!" Und so standen sie denn zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von den Pyramiden, von Austerlitz und Borodino, die so lange der Schrecken der Welt gewesen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenstolz, ihre Rachgier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler schlugen an; die Feldmusik spielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßschweifhelme der Kürassiere, die betrobbelten Tschakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Landers, eines der prächtigsten und tapfersten Heere, welche die Geschichte sah. Die ganze prahlerische Glorie des Kaiserreichs erhob sich noch einmal, ein überwältigendes Schauspiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erschien der große Kriegsfürst in seiner finsteren Majestät, so wie der Dichter sein Bild kommenden Geschlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brausenden Hochrufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgestern erst aufs neue seine Unbesiegbarkeit erwiesen. Und boch kam biefer krampfhafte Jubel, der so seltsam abstach von der gehaltenen Stille drüben im englischen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtsein der Schnlb, die Ahnung eines finsteren Schicksals lag über den tapferen Gemütern. Zehn Stnnben noch, und die verwegene Hoffnung des beutscheu Schlachteubeukers war erfüllt, und bies herrliche Heer mit seinem Trotze, seinem Stolze, seiner wilben Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte Schwadron. l*

2. Geschichtliches Lesebuch - S. 12

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
12 I. v. Treitschke, Belle Alliance. mußte zu Pferde davonjagen, obgleich er sich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen scharten sich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht verloren gegangen, die übrigen wurden allesamt gerettet. Niemals in aller Geschichte war ein tapferes Heer so plötzlich ans allen Fugen gewichen. Nach der übermenschlichen Anstrengung des Tages brach alle Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zusammen; das Dunkel der Nacht, die Übermacht der Sieger, der umfassende Angriff und die rastlose Verfolgung steigerten die Verwirrung. Entscheidend blieb doch, daß diesem Heere bei all seinem stürmischen Mute die sittliche Größe fehlte. Was hielt diese Meuterer zusammen? Allein der Glaube an ihren Helden. Nun dessen Glücksstern verbleichte, waren sie nichts mehr als eine zuchtlose Bande. Die Sonne war schon hinter dicken Wolken versunken, als die beiden Feldherren eine Strecke südlich von dem Hofe von Belle Alliance mit einander zusammentrafen; sie umarmten sich herzlich, der bedachtsame Vierziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneisenau. Endlich doch ein ganzer und voller Sieg, wie er ihn so oft vergeblich von Schwarzenberg gefordert; endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener entsetzlichen sieben Jahre! Es sang und klang in seiner Seele; er dachte an das herrlichste der fridericiani-schen Schlachtfelder, das er einst von seiner schlesischen Garnison ans so oft durchritten hatte. „Ist es nicht gerade wie bei Leuthen?" — sagte er zu Bardeleben und sah ihn mit strahlenden Augen an. Und wirklich, wie einst bei Leuthen bliesen jetzt die Trompeter das Nun danket Alle Gott! und die Soldaten stimmten mit ein. Aber Gneisenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todesangst eines geschlagenen Heeres, die dämonische Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angesehen. Noch gründlicher als einst an der Katzbach, sollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben", rief er aus, „gezeigt wie man siegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt." Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Geratewohl in das Dunkel der Nacht hineinznschießen, damit der Feind nirgends Ruhe fände. Er selber nahm was von Truppen zur Hand war mit sich, brandenburgische Ulanen und Dragoner, Infanterie vorn 15. und 25. und vorn 1. pommerscheu Regimeute; Prinz Wilhelm der Altere, der die Reservereiterei des Bülowschen Corps geführt, schloß sich ihm an.

3. Geschichtliches Lesebuch - S. 57

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iv. v. Sybel. Einwirkung der Julirevolution auf Deutschland. 57 leise, Verkennen der Bedürfnisse des realen Lebens neben Übertreibung des juristischen Formalismus, Nachlassen des geistigen Verkehrs zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Beamten und Volk, in Preußen ebenso wie in den kleineren Staaten. Ein nicht immer nötiger Befehlshaberton galt für unerläßlich zur Aufrechthaltung der Autorität, und vollends die Sicherheitspolizei, angestachelt durch die politischen Sorgen der höchsten Stellen, bewegte sich in einem hofmeisternden, argwöhnischen und kleinlichen Treiben, welches die herrschende Mißstimmung nie zur Ruhe kommen ließ. Denn trotz alles Guten, welches wir eben berichtet haben, blieb der Zorn über die Ausnahmegesetze von 1832 im Wachsen und verbreitete sich durch alle Klassen der Bevölkerung. Zwar die äußere Ordnung wurde an keiner Stelle mehr gestört; die Zeitungen lagen in den Fesseln der Censur, und das neue badische Preßgesetz mußte nach Bundesbefehl durch den Großherzog zurückgenommen werden. In den Kammern verlor die liberale Partei wieder die Majorität und hielt sich in behutsamer Defensive, um nicht neue Gewaltschritte des Bundes hervorzurufen. Aber nur um so tiefer fraß sich der Groll in die Herzen ein. Viele Tausende, die 1830 bei den Aufläufen in Kassel und Dresden den Pöbelexceffen gewehrt oder 1832 ans dem Hambacher Feste harmlos gejubelt hatten, gelobten sich jetzt, wenn es wieder losginge, selbst mit kräftigem Handeln dabei zu fein. Neun Zehntel der deutschen Bürger erfüllten sich im Angesichte der Reaktion mit demokratischen Gedanken, die Gemäßigten mit Begeisterung für den parlamentarischen Staat, wo ein Beschluß der Volksvertretung die Minister aus dem Amte entfernt oder in dasselbe einsetzt, die Heißblütigen mit dem Ideale der Republik, wo der Wille des gesamten Volkes über Gesetzgebung und Exekutive in unbeschränkter Freiheit entscheidet. Noch hatte keine Erfahrung darüber belehrt, wie notwendig jedem großen Gemeinwesen ein mächtiges Organ der Stetigkeit in seiner Politik ist, ein Organ, für welches keine andere Staatsform gleiche Aussicht wie die Erbmouarchie darbietet. Auch darüber war man begreiflicher Weise damals noch nicht klar, daß die parlamentarische Regierung in England nur deshalb einen sichern und gedeihlichen Gang hatte behaupten können, weil sowohl die Volksvertretung als die Verwaltung von zwei fest organisierten und politisch geschulten Adelsgruppen geleitet wurde, die sich im Besitz der Ministerien ohne Störung der Geschäfte ablösten. Außer aller Beachtung blieb die für die Beurteilung eines demokratischen Staatswesens entscheidende That-

4. Geschichtliches Lesebuch - S. 104

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
104 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. laut, aufgeklärt, immer feste auf die Weste, immer in der stolzen Zuversicht, daß der richtige Berliner alles macht, was gemacht werben kann. Der Witz ist jeberzeit bemokratifch, weil er alles gleich stellt. Das erstarkenbe Selbstgefühl der Massen sprach aus bieseu Berliner Sittenbilberu ebenso vornehmlich wie einst aus dem Eulenspiegel imb den Grobiansschriften des Zeitalters der Reformation. Viii. Das Schattenreich in der Paulskirche. (Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm. Berlin, Grote. 1890. Band I. 2. Buch, 3. Kapitel. ^Gekürzt.]) Es war am 18. Mai 1848, als in der Paulskirche zu Frankfurt das erste freigewählte Parlament zusammentrat, das von der Nation beauftragt war, die Glocke der beutjchen Einheit zu gießen nnb Leben urtb Gestalt zu verleihen dem Traume ihrer ebelften Männer von Kaiser und Reich, von Einheit und Freiheit des bentschen Volkes. Kanonenbonner und Glockengeläute, weheube Fahnen und jubelnber Willkomm sreubig bewegter Volksmassen begrüßten wie einst so manchen Kaiser des alten Reichs, so jetzt die Gesetzgeber eines neuen beutscheu Staates. Lachenb stanb die Maisonne am Himmel, ein Völkersrühling der Sühne und Erlösung schien angebrochen, Millionen Herzen zitterten in nie erlebtem Hoffen. Wie einst dem Dichter des Befreiungskrieges, der beim Anblick des befreiten Rheinstromes tiefergriffen rief: „Vater-lanb, ich muß versinken hier in beiner Herrlichkeit!" — so war den Patrioten zu Mut, die an biesem Tage aus dem Kaisersaal des Römers in feierlichem Zuge zur Paulskirche schritten. Ein Augenblick war eingetreten, dem eine ganze Nation zurief: Verweile boch, du bist so schön! Eine stolze herrliche Versammlung wars, so reich an Wissen itrtb Talent, an Geist und Witz, an Berebsamkeit und Begeisterung, wie

5. Geschichtliches Lesebuch - S. 143

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Ix. Oncken, Die Trennung von Österreich und der preußische Erbkaiser. 143 Sandkorn, nach dem Worte des Dichters, zum Bau der Ewigkeiten zu tragen. Wir werden, wenn der Stein, den wir dem Gipfel nahe glaubten, sich abermals herabwälzt und „mit Donnergepolter" zu unseren Füßen niederfällt, ihn immer von neuem heften und emporzuwälzen suchen und in duldender Arbeit beharren, bis der erwachende Genius des Vaterlands die Fessel bricht und uns von der Qual vergeblicher Arbeit erlöst." Der Antrag Welcker ward mit 283 gegen 252 Stimmen abgelehnt: „Die Österreicher haben den Untergang des Vaterfandes votiert": so klagten die Patrioten der erbkaiserlichen Partei, aber wenig Tage später trugen sie dennoch den Sieg davon. In der Sitzung am Mittwoch den 28. März 1849 wurde von 290 Stimmen gegen 248, die sich der Abstimmung enthielten, der König Friedrich Wilhelm Iv. von Preußen zum erblichen Kaiser der Deutschen gewählt. Der Präsident Eduard Simsou aus Königsberg setzte, als er diese Thatsache verkündigte^ hinzu: „Möge der deutsche Fürst, der wiederholt und öffentlich in unvergessenen Worten den warmen Herzschlag für die deutsche Sache sein kostbares mütterliches Erbe genannt hat, sich nun als Schutz und Schirm der Einheit, der Freiheit, der Größe unseres Vaterlandes beweisen, nachdem eine Versammlung, aus dem Gesamtwillen der Nation hervorgegangen, wie feine, die je auf deutschem Boden tagte, ihn anderen Spitze gerufen hat. An unserem edlen Volke aber möge, wenn es aus die Erhebung des Jahres 1848 und aus ihr nun erreichtes Ziel zurückblickt, der Ausfpruch des Dichters zur Wahrheit werden, dessen Wiege vor jetzt fast einem Jahrhundert in dieser alten Kaiser-stadt gestanden hat: „Nicht den Deutschen geziemt es, die fürchterliche Bewegung Ziellos fortzuleiten, zu schwanken hierhin und dorthin. Dies ist unser: so laßt uns sprechen und fest es behalten." Gott sei mit Deutschland und seinem neu gewählten Kaiser!" Bei biesen Worten erscholl ein breifaches stürmisches Hoch in der Versammlung und auf der Galerie. Von außen vernahm man Geläute aller Glocken und Kanonenbonner.

6. Geschichtliches Lesebuch - S. 261

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Xvi. v. Sybel, Die Schlacht bei Königgrätz. 261 preußische Armeekorps acht feindliche in beinahe vernichtender Weise geschlagen. Die Straße nach Wien lag schutzlos dem Sieger offen. Ich habe, soll Beuedek ausgerufen haben, alles verloren, nur leider das Leben nicht. In der That waren die Einbußen seines Heeres ganz außerordentlich: 5600 Tote, 7600 Verwundete, 9300 verwundet Gefangene, 12800 unverwundet Gefangene, 6100 Vermißte, im ganzen 41400 Mann. Dazu der sächsische Verlust von 1500 Mann gerechnet, ergiebt die schreckenvolle Summe von beinahe 43 000 Mann. An Material waren über 6000 Pferde, 187 Geschütze und 641 sonstige Fahrzeuge verloren gegangen. Die frühern Gefechte hatten, wie wir uns erinnern, den Austro-Sachsen 32000 Mann gekostet; in einer einzigen Kriegswoche war mithin mehr als ein Viertel der mit so hohem Stolze ausgezogenen Nordarmee zu Grunde gegangen. Preußen hatte den Sieg von Königgrätz ebenfalls mit kostbarem Preise bezahlt. Die erste Armee hatte 1065 Tote und etwas über 4000 Verwundete (davon mehr als die Hälfte die Division Fransecky), die Elbarmee 328 Tote und 1200 Verwundete, die zweite Armee 500 Tote und 1550 Verwundete (davon über 1000 die erste Garde-Division), Gesamtverlust also etwas über 9000 Mann. Als der König am späten Abend in Sadowa am Lazarett der Johanniter vorüber kam, sagte er in tiefer Bewegung: da ist die Kehrseite des Glücks, doch sie bluten nicht umsonst, sondern zur Verherrlichung des Vaterlandes. Am folgenden Morgen flog die große Kunde durch Europa. Der Eindruck war überall ungeheuer, dieser beispiellose Triumph einer Armee, deren größter Teil seit fünfzig Jahren nicht im Feuer gewesen, einer Armee, wie die verschiedenen Parteien hundert Male erklärt hatten, von Paradesoldaten, von Milizen, von unbärtigen Knaben! In Preußen erfüllte eine erquickende Genugthuung die Herzen der überwältigenden Mehrheit im Volke; der langjährige Hader, der gerade infolge der Schöpfung dieser Armee aufgeflammt war, wurde durch die bewundernswerte Leistung derselben ausgelöscht: mochte sie entstanden sein, wie sie wollte, sie hatte sich jetzt als festen Schirm und stolzen Schmuck des Vaterlandes erwiesen. Die eifrigen Fortschrittsmänner im Osten waren betreten über die Zukunft ihres Verfassungsstreits; die großdeutschen Ultramontanen am Rhein waren erfüllt von schmerzlichem Groll über die Niederlage des katholischen Kaisers: aber weder die einen noch die andern vermochten den Strom der allgemeinen freudigen Begeisterung zu trüben oder abzulenken.

7. Geschichtliches Lesebuch - S. 77

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Vi. Freytag, Das Hambacher Fest. 77 Versuch zu verbieten, aber die Stadtgemeinden der Rheinpfalz sendeten ihr heftige Proteste, in Lindau fand sich kein Bürger, um die nötigen Lieferungen für eine Militärmacht zu übernehmen, welche in das Schloß gelegt werden sollte. Das Verbot der Versammlung wurde zurückgezogen und die liberale Presse erklärte feierlich, daß sie den Namen des Regierungsbeamten, der eine große Hoffnung des deutschen Vaterlandes zu vernichten gesucht, der Nachwelt übergebe, doch nur darum, damit diese ihn richten möge. Schon am 26. Mai trafen große Züge von Patrioten in Neustadt ein, die meisten auf offenen Wagen, die mit Eichenlaub bekränzt, mit der deutschen Fahne geschmückt waren. Glocken läuteten, Böller krachten und Freudenfeuer brannten auf den Höhen der Hardt, Deputationen kamen fast aus allen Staaten des Westens. Am Festtage bewegten sich die Teilnehmer nach Stämmen geordnet, darunter der ganze Landrat von Rheinbayern, im Zuge vom Marktplatz nach der Schloßruine Hambach, Frauen und Jungfrauen umgaben die polnische Fahne, die Festordner die deutsche Fahne, welche die stolze Devise trug: „Deutschlands Wiedergeburt". Begeisterte Feststimmung, in vielen Augen Thränen der Rührung. Das erste Lied, gedichtet von Siebenpfeiffer, sangen dreihundert Handwerksburschen nach der Melodie des Reiterliedes: „Hinaus, Patrioten, zum Schloß, zum Schloß". Auf den höchsten Zinnen der Ruine wurde die deutsche Fahne aufgepflanzt, auf einem Vorsprung die polnische, an dreißigtausend Personen schätzte man die Menschenmenge, denn auch die Frauen waren geladen, und die liebe Jugend war nicht ausgeblieben. Unter den Städten, welche Besucher gesandt hatten, werden Leipzig und Kiel als die östlichsten ausgezählt, Altpreußen und Österreicher nicht genannt. Und nun begannen die Reden. Zuerst sprach Siebenpfeiffer starke Worte, in denen er die Regierungen hart schalt und den künftigen Tag begrüßte, „an welchem die Fürsten die bunten Hermeline feudalistischer Gottstatthalterschaft mit der männlichen Toga deutscher Nationalwürde vertauschen müßten, wo die deutsche Jungfrau den Jüngling als den würdigsten erkennen würde, der am reinsten für das Vaterland erglüht, wo der Beamte und der Krieger sich nicht mit der Binde des Herrn und Meisters, sondern mit der Volksjacke schmücken würden — den Tag, wo ein gemeinsames deutsches Vaterland sich erheben sollte, das alle Söhne als Bürger begrüßt". Nicht weniger feindselig gegen die Fürsten, aber in vielem verständiger sprach Wirth, welcher vor der Eigensucht Frankreichs warnte

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 41

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iii. v. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest. 41 bei, so daß sich die Studentenzahl in kurzer Zeit verdoppelte. Auch an'anderen Hochschulen thaten sich Burschenschaften auf, so in Gießen und in Tübingen, wo die Stiftler schon 1813 einen Tugendbund zur Bekämpfung der akademischen Roheit gebildet hatten; und ganz von selbst erwachte der Wunsch, die neue Gemeinschaft auf eiuer feierlichen Zusammenkunft aller deutschen Burschen zu befestigen. In solchen freien, über die Grenzen des Einzelstaats hinausreichenden socialen Verbindungen sindet der Einheitsdrang zerteilter Böller seinen natürlichen Ausdruck; in Deutschland wie in Italien sind die Kongresse der Gelehrten, der Künstler, der Gewerbtreibenden wie Sturmvögel den blutigen Einheitskämpfen vorausgezogen. Unter den Deutschen schritten die Studenten allen voran, und nichts bezeichnet so deutlich das harmlose politische Stillleben jener Tage. Lange bevor die Männer auf den Gedanken kamen, sich über ihre ernsten gemeinsamen Interessen zu verständigen, regte sich in der Jugend der Drang, die gemeinsamen Träume und Hoffnungen auszutauschen, in phantastischem Spiele der idealen Einheit des Vaterlandes froh zu werden. — Das Jubelfest der Reformation erweckte überall unter den Protestanten ein srohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe sang in diesen Tagen: „ich will in Kunst und Wissenschaft wie immer protestieren". Die Studentenschaft ward von dieser Stimmung der Zeit um so stärker ergriffen, da ihr der christlich-protestantische Enthusiasmus des Befreiungskrieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen Verbrüderungsfestes der deutschen Burschen zuerst in Jahns Kreise aufgetaucht war, beschloß die Jenenser Burschenschaft den Versammluugstag auf den 18. „des Siegesmonds" 1817 zu verlegen, um damit zugleich das Jubelfest der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorst, alle die hohen Gestalten der Führer des Deutschtums gegen das wälsche Wesen flössen in den Vorstellungen der jungen Brauseköpfe zu einem einzigen Bilde zusammen. Den Radikaleren galt Luther als ein republikanischer Held, als ein Vorkämpfer der freien „Überzeugung"; in einer Festschrift von Karl Sand, die unter den Burschen verteilt ward, erschien die evangelische Lehre von der Freiheit des Christenmenschen mit modern-demokratischen Ideen phantastisch verbunden. „Hauptidee unseres Festes", hieß es da, „ist, daß wir allzumal durch die Taufe zu Priesteru geweiht, alle frei

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 44

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
44 Iii. v. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest Lmher die Bannbulle des Papstes verbrannt hatte, so jetzt die Schriften der Feinde der guten Sache ins Feuer zu werfen. Da die Mehrheit des Festausschusses, klüger als der Alte, deu Vorschlag ablehnte, gab Jahn gleichwohl seinen Berlinern ein Verzeichnis der zu verbrennenden Bücher mit auf den Weg, und diese Getreuen, Maßmann voran, beschlossen nunmehr den Plan des Meisters ans eigene Faust auszuführen, tvas der Ausschuß um des Friedens millen nicht geradezu verbieten wollte. Kaum war auf dem Wartenberge das letzte ernste Lied der die Flammen umringenden Burschen verklungen und die eigentliche Feier beeudet, so trat Maßmann plötzlich hervor und forderte in einer schwülstigen Rede die Brüder auf, zu schauen, wie nach Lnthers Vorbilde in zehrendem Fegefeuer Gericht gehalten werde über die Schandschriften des Vaterlandes. Jetzt sei die heilige Stunde gekommen, „daß alle deutsche Welt schaue was wir wollen; daß sie wisse, weß sie dereinst sich von uns zu Verseheu habe". Darauf trugen seine Gesellen einige Ballen alten Druckpapieres herbei, die mit den titeln der verfehinten Bücher beschrieben waren. Auf eine Mistgabel aufgespießt flogen dann die Werke der Vaterlandsverräter unter tobendem Gejohle in das höllische Feuer: eine wunderlich gemischte Gesellschaft von etwa zwei Dntzeno guten und schlechten Büchern, alles was gerade in jüngster Zeit den Zorn der Isis und ähnlicher Blätter hervorgerufen hatte. Da brannten Wadzeck, Scherer und, der Vollständigkeit halber, gleich „alle anderen schreibenden, schreienden und schweigenden Feinde der löblichen Turnkunst", desgleichen die Alemannia „und alle andern das Vaterland schändenden und entehrenden Zeitungen"; dann natürlich drei Schriften von dem verhaßten Schmalz („Gänse-, Schweine- und Hundeschmalz" brüllte der Chor) und der Codex der Gendarmerie von seinem Genossen Kamptz. Neben dem Code Napoleon, Kotzebnes Deutscher Geschichte und (Laul Aschers Germanomanie, der ein „Wehe über die Juden" nachgerufen ward, wanderte auch Hallers Restauration in die Flammen: — „der Gesell will keine Verfaffnng des deutschen Vaterlandes", hieß es zur Erläuterung, da doch keiner von den Burschen das ernste Buch gelesen hatte. Aber auch die Liberalen Benzenberg und Waugenheim mußten den Grimm der Jugend erfahren, weil die Jenenser Publizisten ihre Schriften nicht verstanden. Zuletzt wurden noch ein Ulanenschnürleib, ein Zopf und ein Korporalstock verbrannt, als „Flügelmänner des Gamaschendienstes, die Schmach des ernsten heiligen Wehrstandes", und mit einem dreimaligen

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 68

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
68 V. Pfizer, Stellung von Österreich und Preußen. Erniedrigung und seinen Anteil an der Weltgeschichte fordern und erhalten. — 17. Brief. Stellung von (Österreich und Preußen gegen das übrige Deutschland. Gewiß kann kein Deutscher, für den dieser Name noch eine Bedeutung hat, ohne ein Gefühl schmerzlicher Wehmut daran denken, daß das deutsche Volk in der Reihe der Nationen einst nicht nur zählte, sondern ohne Widerspruch die erste Stelle einnahm, als es noch einen deutschen Kaiser und ein Deutschland gab. Aus fernen Jahrhunderten, aus den Zeiten der sächsischen, fränkischen und schwäbischen Kaiser, klingen Töne, leuchtet noch ein Widerschein zu uns herüber, sagenhaft, dämmernd und berauschend für das vaterländische Herz, das ungerne dem Traume einer ruhmvollen Vergangenheit sich entreißt, ja die Zeit ist nicht so gar entfernt, wo mancher noch eine Wiederauferstehuug jenes wundersamen heiligen römischen deutschen Reichs für möglich hielt, vielleicht sogar erwartete und auf den Erben seines Kaisernamens einen Blick der Sehnsucht richtete. Doch die Wirklichkeit, die mit leeren Träumen sich nicht zwingen, mit einer thatlosen Trauer sich nicht abfinden läßt, besteht auf ihrem Rechte und wird nicht müde, uns zu predigen, daß wir nicht berufen sind, vom Nachlaß der Vergangenheit zu zehren, daß wir, um zu genießen, selber kämpfen und erwerben, und statt auf den Schultern unserer Voreltern zu ruhen, auf eigenen Füßen stehen müffen. Nicht in weichlicher, kraftloser Sehnsucht sollen wir uns verzehren, vom Winter keine Blüten erwarten, vom verdorrten Baum keine Frucht verlangen. Was einmal vorüber ist, kommt nicht wieder, denn die Geschichte weiß nichts von jenen Restaurationen, mit welchen sich die kurzsichtige Weisheit der Menschen brüstet. Alle Versuche dieser Art, verlebte Zustände durch die Kraft menschlicher Berechnung zurückzuführen, die Vergangenheit zu verjüngen und ein entflohenes Leben wieder zu baunen, von Philopömen und Julian dem Apostaten bis auf die neueste Restauration der Bourbons und des Papstes, haben im glücklichsten Falle nichts als ein kraftloses, kränkelndes Scheinleben, einen bleichen Schatten besserer Zeit heraufbeschworen. Sie sind mißlungen und mußten mißlingen, weil sie dem Gesetz des Lebens widerstreiten, das die Natur und die Geschichte beherrscht. So wenig als aus einer verwesten Pflanze dasselbe Gewächs wieder hervorkeimt, sondern ein
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