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1. Geschichtliches Lesebuch - S. 3

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
I. v. Treitschke, Belle Alliance. 3 Napoleon rechnete mit Sicherheit auf einen raschen Sieg, da er die Preußen fern im Südosten bei Namur wähnte. Seine Armee zählte über 72,000 Mann, war dem Heere Wellingtons namentlich durch ihre starke Kavallerie und die Überzahl der Geschütze — 240 gegen 150 Kanonen — überlegen. Unter solchen Umständen schien es unbedenklich, den Angriff auf die Mittagszeit zu verschieben, bis die Sonne den durchweichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu schrecken und die Zuversicht des eigenen Heeres zu steigern, veranstaltete der Imperator im Angesichte der Engländer eine große Heerschau; krank wie er war, von tausend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch selber das Bedürfnis, sich das Herz zu erheben an dem Anblick seiner Getreuen. So oft er späterhin auf seiner einsamen Insel dieser Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die Erde war stolz so viel Tapfere zu tragen!" Und so standen sie denn zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von den Pyramiden, von Austerlitz und Borodino, die so lange der Schrecken der Welt gewesen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenstolz, ihre Rachgier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler schlugen an; die Feldmusik spielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßschweifhelme der Kürassiere, die betrobbelten Tschakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Landers, eines der prächtigsten und tapfersten Heere, welche die Geschichte sah. Die ganze prahlerische Glorie des Kaiserreichs erhob sich noch einmal, ein überwältigendes Schauspiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erschien der große Kriegsfürst in seiner finsteren Majestät, so wie der Dichter sein Bild kommenden Geschlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brausenden Hochrufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgestern erst aufs neue seine Unbesiegbarkeit erwiesen. Und boch kam biefer krampfhafte Jubel, der so seltsam abstach von der gehaltenen Stille drüben im englischen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtsein der Schnlb, die Ahnung eines finsteren Schicksals lag über den tapferen Gemütern. Zehn Stnnben noch, und die verwegene Hoffnung des beutscheu Schlachteubeukers war erfüllt, und bies herrliche Heer mit seinem Trotze, seinem Stolze, seiner wilben Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte Schwadron. l*

2. Geschichtliches Lesebuch - S. 12

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
12 I. v. Treitschke, Belle Alliance. mußte zu Pferde davonjagen, obgleich er sich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen scharten sich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht verloren gegangen, die übrigen wurden allesamt gerettet. Niemals in aller Geschichte war ein tapferes Heer so plötzlich ans allen Fugen gewichen. Nach der übermenschlichen Anstrengung des Tages brach alle Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zusammen; das Dunkel der Nacht, die Übermacht der Sieger, der umfassende Angriff und die rastlose Verfolgung steigerten die Verwirrung. Entscheidend blieb doch, daß diesem Heere bei all seinem stürmischen Mute die sittliche Größe fehlte. Was hielt diese Meuterer zusammen? Allein der Glaube an ihren Helden. Nun dessen Glücksstern verbleichte, waren sie nichts mehr als eine zuchtlose Bande. Die Sonne war schon hinter dicken Wolken versunken, als die beiden Feldherren eine Strecke südlich von dem Hofe von Belle Alliance mit einander zusammentrafen; sie umarmten sich herzlich, der bedachtsame Vierziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneisenau. Endlich doch ein ganzer und voller Sieg, wie er ihn so oft vergeblich von Schwarzenberg gefordert; endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener entsetzlichen sieben Jahre! Es sang und klang in seiner Seele; er dachte an das herrlichste der fridericiani-schen Schlachtfelder, das er einst von seiner schlesischen Garnison ans so oft durchritten hatte. „Ist es nicht gerade wie bei Leuthen?" — sagte er zu Bardeleben und sah ihn mit strahlenden Augen an. Und wirklich, wie einst bei Leuthen bliesen jetzt die Trompeter das Nun danket Alle Gott! und die Soldaten stimmten mit ein. Aber Gneisenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todesangst eines geschlagenen Heeres, die dämonische Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angesehen. Noch gründlicher als einst an der Katzbach, sollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben", rief er aus, „gezeigt wie man siegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt." Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Geratewohl in das Dunkel der Nacht hineinznschießen, damit der Feind nirgends Ruhe fände. Er selber nahm was von Truppen zur Hand war mit sich, brandenburgische Ulanen und Dragoner, Infanterie vorn 15. und 25. und vorn 1. pommerscheu Regimeute; Prinz Wilhelm der Altere, der die Reservereiterei des Bülowschen Corps geführt, schloß sich ihm an.

3. Geschichtliches Lesebuch - S. 104

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
104 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. laut, aufgeklärt, immer feste auf die Weste, immer in der stolzen Zuversicht, daß der richtige Berliner alles macht, was gemacht werben kann. Der Witz ist jeberzeit bemokratifch, weil er alles gleich stellt. Das erstarkenbe Selbstgefühl der Massen sprach aus bieseu Berliner Sittenbilberu ebenso vornehmlich wie einst aus dem Eulenspiegel imb den Grobiansschriften des Zeitalters der Reformation. Viii. Das Schattenreich in der Paulskirche. (Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm. Berlin, Grote. 1890. Band I. 2. Buch, 3. Kapitel. ^Gekürzt.]) Es war am 18. Mai 1848, als in der Paulskirche zu Frankfurt das erste freigewählte Parlament zusammentrat, das von der Nation beauftragt war, die Glocke der beutjchen Einheit zu gießen nnb Leben urtb Gestalt zu verleihen dem Traume ihrer ebelften Männer von Kaiser und Reich, von Einheit und Freiheit des bentschen Volkes. Kanonenbonner und Glockengeläute, weheube Fahnen und jubelnber Willkomm sreubig bewegter Volksmassen begrüßten wie einst so manchen Kaiser des alten Reichs, so jetzt die Gesetzgeber eines neuen beutscheu Staates. Lachenb stanb die Maisonne am Himmel, ein Völkersrühling der Sühne und Erlösung schien angebrochen, Millionen Herzen zitterten in nie erlebtem Hoffen. Wie einst dem Dichter des Befreiungskrieges, der beim Anblick des befreiten Rheinstromes tiefergriffen rief: „Vater-lanb, ich muß versinken hier in beiner Herrlichkeit!" — so war den Patrioten zu Mut, die an biesem Tage aus dem Kaisersaal des Römers in feierlichem Zuge zur Paulskirche schritten. Ein Augenblick war eingetreten, dem eine ganze Nation zurief: Verweile boch, du bist so schön! Eine stolze herrliche Versammlung wars, so reich an Wissen itrtb Talent, an Geist und Witz, an Berebsamkeit und Begeisterung, wie

4. Geschichtliches Lesebuch - S. 106

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
106 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. würdigen mußte? Daß unsere Gelehrtenrepublik überhaupt auf der Erde, nicht mehr in den Wolken wandelte und die prosaische Arbeit am heimischen Staat nicht mehr unter ihrer Würde fand? Wie lange war es her, daß Fichte „die Genesung für Nation und Vaterland" einem Geschlechte predigen mußte, dessen edelste Geister, angeekelt von dem Jammer des heiligen römischen Reiches, dachten wie Lessing: „Liebe des Vaterlandes ist eine heroische Schwachheit, die ich recht gern entbehre", oder wie der junge Goethe: „Römerpatriotismus! Davor bewahre uns Gott wie vor einer Riesengestalt! Wir würden keinen Stuhl finden, um darauf zu sitzen, kein Bett, um darinnen zu liegen." In der That, durch ihre Entstehung, ihre Zusammensetzung wie den Geist, der ans all ihrem Reben und Thun hervorbrach wie eine Naturgewalt, befunbete diese Versammlung einen ungeheuren Umschwung, der im Lause eines einzigen Menschenalters sich vollzogen hatte. Der klaffende Zwiespalt, der früher den gelehrten von dem nicht gelehrten Teil der Nation getrennt, war enblich überwunben und das beut)che Bürgertum nunmehr zur Einheit einer staatsbürgerlichen Klasse zusammengewachsen. Der nationale und politische Jbealismus bieses Bürgertums, sein Freiheits- und Einheitstraum hat in dieser Versammlung das Fest seiner siegreichen Auferstehung gefeiert und in ihren Verhanblungen feinen ebelsten Ausbruck niebergelegt. Die Nation glaubte an die erlösenbe Schöpferkraft ihrer Wissenschaft, und die Wissenschaft glaubte an die Allmacht des Einheitsbranges ihrer Nation. Auf biesem Doppelglauben beruhte die Größe dieser Versammlung; so wie er ins Wanken kam, ver-ttmnbelte sich der Reichsbau der Paulskirche aus einem Palast in ein Kartenhaus, das der nächste Winbstoß auseinanberwarf, und die Versammlung selbst kam sich vor, wie ein Prometheus, der an den Felsen des Zweifels geschmiedet ist. Am 19. Mai wühlte sie sich mit 305 von 397 Stimmen einen Präsidenten in der Person eines Staatsmannes, der sogleich in der Ansprache, mit der er sein Amt antrat, einen erschöpfenden Ausdruck beffen gab, was ihn zum Lenker dieser Versammlung so geeignet erscheinen ließ, als wäre er einzig dazu geboren und erzogen worben. Es war Heinrich von Ga gern, seit bent 6. März der Minister des Großherzogtums Hessen, nachbem er vorher Jahre lang die Opposition der zweiten Kammer gegen das Ministerium Du Thil geführt hatte. Er sagte nämlich: „Überwältigt wie ich bin von dem Einbruck, den Ihre Abstimmung auf mich hervorbringen mußte, bin ich nur

5. Geschichtliches Lesebuch - S. 107

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. 107 imstande, wenig Worte zu Ihnen zu reden. — Ich gelobe hier feierlich vor dem ganzen deutschen Volke, daß seine Interessen mir über alles gehen, daß sie die Richtschnur meines Betragens sein werden, solange ein Blutstropfen in meinen Adern rinnt; ich gelobe hier feierlich, als das von Ihnen gewählte Organ Ihrer Versammlung, die höchste Unparteilichkeit. Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen schassen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. (Stürmisches-Bravo.) Den Berus und die Vollmacht, dieses Versassuugs-werk zu schassen, hat die Schwierigkeit in unsere Hände gelegt, um nicht zu sagen die Unmöglichkeit, daß ey auf anderem Wege zustande kommen könnte. Die Schwierigkeit, eine Verständigung unter den Regierungen zustande zu bringen, hat das Vorparlament richtig vorgefühlt und uns den Charakter einer konstituierenden Versammlung vindiciert. Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen; diese Mitwirkung auch der Staaten-Regierungen zu erwirken, liegt mit im Berufe dieser Versammlung. Wenn über manches Zweifel besteht und Ansichten auseinandergehen, über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel, es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben, sie befestigen, sie allein wird schützen vor allen Schwierigkeiten, die von außen kommen mögen, die im Innern drohen." Die Versammlung, der diese Worte galten, ging an ihr Werk, fest überzeugt von ihrem Recht und ihrer Macht: in dem uner-schüttlichen Glauben, daß sie dürfe und daß sie könne, was sie sich vorgesetzt, daß ihre Vollmacht unbestreitbar und unanfechtbar sei wie das Licht der Sonne und daß dem nationalen Willen, dem sie Körper und Gestalt zu verleihen habe, nichts unerreichbar sei, daß ihm nichts, schlechterdings gar nichts widerstehen werde. Von diesem Glauben war Heinrich von Gagern erfüllt mit Leib und Seele; ihn bekannte er in dieser seiner ersten Rede mit dem Brustton tiefster Durchdrungenheit und in Worten, die zündend einschlugen, weil sie ganz kunstlos und unmittelbar das trafen, worüber alle einig waren oder einig zu sein glaubten, und nichts von dem berührten, was die Geister trennte. Und in der Seelenkraft, mit der er hier zum erstenmal gewirkt, lag nun das, was ihm an der Spitze dieses Parlaments eine ganz eigenartige Stellung gab. Obgleich weder ein geistreicher Kops, noch ein

6. Geschichtliches Lesebuch - S. 143

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Ix. Oncken, Die Trennung von Österreich und der preußische Erbkaiser. 143 Sandkorn, nach dem Worte des Dichters, zum Bau der Ewigkeiten zu tragen. Wir werden, wenn der Stein, den wir dem Gipfel nahe glaubten, sich abermals herabwälzt und „mit Donnergepolter" zu unseren Füßen niederfällt, ihn immer von neuem heften und emporzuwälzen suchen und in duldender Arbeit beharren, bis der erwachende Genius des Vaterlands die Fessel bricht und uns von der Qual vergeblicher Arbeit erlöst." Der Antrag Welcker ward mit 283 gegen 252 Stimmen abgelehnt: „Die Österreicher haben den Untergang des Vaterfandes votiert": so klagten die Patrioten der erbkaiserlichen Partei, aber wenig Tage später trugen sie dennoch den Sieg davon. In der Sitzung am Mittwoch den 28. März 1849 wurde von 290 Stimmen gegen 248, die sich der Abstimmung enthielten, der König Friedrich Wilhelm Iv. von Preußen zum erblichen Kaiser der Deutschen gewählt. Der Präsident Eduard Simsou aus Königsberg setzte, als er diese Thatsache verkündigte^ hinzu: „Möge der deutsche Fürst, der wiederholt und öffentlich in unvergessenen Worten den warmen Herzschlag für die deutsche Sache sein kostbares mütterliches Erbe genannt hat, sich nun als Schutz und Schirm der Einheit, der Freiheit, der Größe unseres Vaterlandes beweisen, nachdem eine Versammlung, aus dem Gesamtwillen der Nation hervorgegangen, wie feine, die je auf deutschem Boden tagte, ihn anderen Spitze gerufen hat. An unserem edlen Volke aber möge, wenn es aus die Erhebung des Jahres 1848 und aus ihr nun erreichtes Ziel zurückblickt, der Ausfpruch des Dichters zur Wahrheit werden, dessen Wiege vor jetzt fast einem Jahrhundert in dieser alten Kaiser-stadt gestanden hat: „Nicht den Deutschen geziemt es, die fürchterliche Bewegung Ziellos fortzuleiten, zu schwanken hierhin und dorthin. Dies ist unser: so laßt uns sprechen und fest es behalten." Gott sei mit Deutschland und seinem neu gewählten Kaiser!" Bei biesen Worten erscholl ein breifaches stürmisches Hoch in der Versammlung und auf der Galerie. Von außen vernahm man Geläute aller Glocken und Kanonenbonner.

7. Geschichtliches Lesebuch - S. 150

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
150 X. Aus der Frankfurter Nationalversammlung. richtig damit, es lasse sich dem nicht widersprechen, es sei gar nicht auszukommen in Haus und Hof ohne das Einmaleins; gerade ebenso ist es im Staatswesen mit dem Erbrechte beschaffen, welches ich hier zu verteidigen übernommen habe. Da läßt sich freilich auseinandersetzen, vor welchen Übeln das Erbrecht uns bewahrt, wie es bewahrt vor den mannigfachen und schwer empfundenen Übeln der Wahlberechtigung, wie es bewahrt vor den Übeln des Zwischenreichs zc. Aber am Ende kehrt es doch immer auf das allereinfachste zurück, und wir müssen zugestehen, daß gerade da das Erbrecht sich am unliebenswürdigsten beweist, wo es am meisten staatsmännisch auftritt, indem es nämlich in seiner vollkommenen Ausbildung auf höchst ungalante Weise alle Frauen ausschließt von dem Throne, solange noch einer vom Mannesstamme vorhanden ist, indem es alle Jüngeren ausschließt, alle jüngeren Prinzen, solange noch ein älterer da ist, indem es endlich keinem Prinzen einen Teil am Genusse der Herrschaft vergönnt, bis die Reihe an ihn gekommen ist, überhaupt aber jedem Erbberechtigten nur das Ganze des Staates übrig läßt, indem es ihn jedes Anrechts an einen Staatsteil beraubt. Und dennoch hat dieses System der Erbherrschaft neben so vielen Herbigkeiten auch seine zarte und in das innere Wefen der Menschheit dringende Seite. Nachdem es vor allen Dingen den Staat sichergestellt hat, denn der Staat muß in alle Wege die Hauptsache bleiben, führt es in das Staatswesen die Wärme der Familie ein, indem es die Herrschaft an ein regierendes Haupt knüpft. Ich weiß gar wohl, meine Herren, daß ich hiermit, wenn ich das Lob der Erbherrschaft rede, eine Saite anschlage, die in den Augen vieler von Ihnen längst zersprungen ist. Das aber hindert mich auf keine Weise. Erlauben Sie, daß ich eine schlichte Thatsache schlicht erzähle, die sich zu Ende des Jahres 1812 in Mitteldeutschland begab. Damals war der erste Strahl der Hoffnung nach Deutschland gedrungen, daß wir wohl des fremden Regiments erledigt werden möchten. Da fanden sich in Mitteldeutschland Volksversammlungen vornehmlich von Landleuten und Bauern zusammen. Man beredete sich, wie es zunächst werden solle. Darin waren alle einig, die Fremden müßten vertrieben werden, aber sollte man den alten Fürsten wieder aufnehmen, das war die Frage. Es begab sich, daß auch in einem Lande, ich will es lieber nicht nennen, wo der alte Fürst keineswegs gelobt und sonderlich geliebt war, — man wußte ihm manches, was nicht zum Frieden diente, nachzureden, — in der Schänke eines Dorses diese Sache verhandelt ward. Viel war hin-

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 301

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Xxl Rede des deutschen Reichskanzlers Fürsten Bismarck. 301 Verabredungen, die sie miteinander getroffen hatten, bemächtigte sich unserer öffentlichen Meinung dieselbe nervöse und, wie ich glaube, übertriebene Aufregung, mit der wir heute und die letzten Jahre zu kämpfen haben — namentlich halte ich sie heute für besonders unmotiviert. Ich bin nun weit entfernt, aus der Thatsache, daß ich sie heute für unmotiviert halte, den Schluß zu ziehen, daß wir einer Verstärkung der Wehrkraft nicht bedürften, sondern umgekehrt. Daher dieses vierzigjährige Tableau, das ich eben, vielleicht nicht zu Ihrer Erheiterung, aufgerollt habe, — und ich bitte um Verzeihung; aber wenn ich ein Jahr hätte fehlen lassen von denen, welche Sie doch alle schaudernd selbst miterfahren haben, so würde man nicht den Eindruck haben, daß der Zustand der Besorgnis vor großen Kriegen, vor weiteren Verwickelungen, deren Koalitionsergebnisse niemand vorher beurteilen kann, daß dieser Zustand ein permanenter ist bei uns, und daß wir uns darauf ein für allemal einrichten müssen; wir müssen, unabhängig von der augenblicklichen Lage, so stark sein, daß wir mit dem Selbstgefühl einer großen Nation, die unter Umständen stark genug ist, ihre Geschicke in ihre eigene Hand zu nehmen, auch gegen jede Koalition — (Bravo!) mit dem Selbstvertrauen und mit dem Gottvertrauen, welches die eigene Macht verleiht und die Gerechtigkeit der Sache, die immer auf deutscher Seite bleiben wird nach der Sorge der Regierung —, daß wir damit jeder Eventualität entgegensehen können und mit Ruhe entgegensehen können. (Bravo!) Wir müssen, kurz und gut, in diesen Zeiten so stark sein, wie wir irgend können, und wir haben die Möglichkeit stärker zu sein als irgend eine Nation von gleicher Kopfstärke in der Welt; (Bravo!) — ich komme darauf noch zurück —, es wäre ein Vergehen, wenn wir sie nicht benutzten. Sollten wir unsere Wehrkraft nicht brauchen, so brauchen wir sie ja nicht zu rufen. Es handelt sich nur um die eine nicht sehr starke Geldfrage, — nicht sehr starke, wenn ich beiläufig erwähne — ich habe keine Neigung, auf die finanziellen und militärischen Ziffern einzugehen —, daß Frankreich in den letzten Jahren 3 Milliarden auf die Verbesserung seiner Streitkräfte verwandt hat, wir kaum V/2 mit Einschluß dessen, was wir Ihnen jetzt zumuten. (Hört, hört! rechts.) Indessen ich überlasse es dem Herrn Kriegsminister und den Vertretern der Finanzabteilung, das auszuführen. Wenn ich sage, wir müssen dauernd bestrebt sein, allen Eventuali-

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 39

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iii. v. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest. 39 Burschen jetzt als Bundesgesang das mächtige Lied von Arndt anstimmten : Wem soll der erste Dank erschallen? Dem Gott, der groß und wunderbar Aus langer Schande Nacht uns allen In Flammen aufgegangen war. Der unsrer Feinde Trotz zerblitzet. Der unsre Kraft uns schön erneut Und auf bett Sternen waltend sitzet Von Ewigkeit zu Ewigkeit! Zum Feldzeichen ihres Bundes und der deutschen Einheit, die er symbolisch darstellen sollte, nahmen die Burschen auf Jahns Vorschlag ein schwarz-rot-goldenes Banner an. Es waren wahrscheinlich die Uniformfarben der Lützower Freischar, die auch eine goldgestickte schwarzrote Fahne geführt hatte. Einzelne Burschenschafter stellten freilich die führte Behauptung auf: daß sich in diesem Banner die schwarzgelben Farben des alten Reichs, verschönt durch das Rot der Freiheit oder auch des Krieges, erneuerten, denn Rot war einst die Kriegsfarbe der Kaiserlichen gewesen; die Eifrigsten aber wollten von solchen historischen Erinnerungen nichts hören und meinten knrzab: aus der Knechtschaft Nacht durch blutigen Kampf zum goldenen Tage der Freiheit. So ist aus den Träumen der Studenten jene Trikolore entstanden, die durch ein halbes Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die so viel Hoffnungen und so viel Thränen, so viel edle Gedanken und so viel Sünden über Deutschland bringen sollte, bis sie endlich, gleich dem schwarz-blau-roten Banner der italienischen Earbonari, im Toben der Parteikämpfe entwürdigt und gleich jenem durch die Farben des nationalen Staates verdrängt wurde. Die Absicht der Burschenschaft, alle Studenten in einer Verbindung zu vereinigen, entsprang einem überspannten Idealismus, da der schönste Reiz solcher Jugendvereine doch in der Innigkeit der persönlichen Freundschaft liegt. Der unzähmbare persönliche Stolz der Deutschen wollte sich so leicht nicht über einen Kamm scheren lassen. Aristokratischen Naturen war schon das allgemeine Duzen, das die Burschenschaft anbefahl, widerwärtig; nicht blos die rohen Wüstlinge der alten Schule, sondern auch viele harmlos lebenslustige junge Männer langweilten sich bei dem altklugen, ernsthaften Tone des Burschenhauses, wo man nur durch pathetische Beredsamkeit, und allenfalls noch durch eine gute Klinge, sich Ansehen erwerben konnte; freie, eigenartige Köpfe, wie der junge Karl Jmmermann in Halle,

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 41

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iii. v. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest. 41 bei, so daß sich die Studentenzahl in kurzer Zeit verdoppelte. Auch an'anderen Hochschulen thaten sich Burschenschaften auf, so in Gießen und in Tübingen, wo die Stiftler schon 1813 einen Tugendbund zur Bekämpfung der akademischen Roheit gebildet hatten; und ganz von selbst erwachte der Wunsch, die neue Gemeinschaft auf eiuer feierlichen Zusammenkunft aller deutschen Burschen zu befestigen. In solchen freien, über die Grenzen des Einzelstaats hinausreichenden socialen Verbindungen sindet der Einheitsdrang zerteilter Böller seinen natürlichen Ausdruck; in Deutschland wie in Italien sind die Kongresse der Gelehrten, der Künstler, der Gewerbtreibenden wie Sturmvögel den blutigen Einheitskämpfen vorausgezogen. Unter den Deutschen schritten die Studenten allen voran, und nichts bezeichnet so deutlich das harmlose politische Stillleben jener Tage. Lange bevor die Männer auf den Gedanken kamen, sich über ihre ernsten gemeinsamen Interessen zu verständigen, regte sich in der Jugend der Drang, die gemeinsamen Träume und Hoffnungen auszutauschen, in phantastischem Spiele der idealen Einheit des Vaterlandes froh zu werden. — Das Jubelfest der Reformation erweckte überall unter den Protestanten ein srohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe sang in diesen Tagen: „ich will in Kunst und Wissenschaft wie immer protestieren". Die Studentenschaft ward von dieser Stimmung der Zeit um so stärker ergriffen, da ihr der christlich-protestantische Enthusiasmus des Befreiungskrieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen Verbrüderungsfestes der deutschen Burschen zuerst in Jahns Kreise aufgetaucht war, beschloß die Jenenser Burschenschaft den Versammluugstag auf den 18. „des Siegesmonds" 1817 zu verlegen, um damit zugleich das Jubelfest der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorst, alle die hohen Gestalten der Führer des Deutschtums gegen das wälsche Wesen flössen in den Vorstellungen der jungen Brauseköpfe zu einem einzigen Bilde zusammen. Den Radikaleren galt Luther als ein republikanischer Held, als ein Vorkämpfer der freien „Überzeugung"; in einer Festschrift von Karl Sand, die unter den Burschen verteilt ward, erschien die evangelische Lehre von der Freiheit des Christenmenschen mit modern-demokratischen Ideen phantastisch verbunden. „Hauptidee unseres Festes", hieß es da, „ist, daß wir allzumal durch die Taufe zu Priesteru geweiht, alle frei
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