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1. Geschichtliches Lesebuch - S. 2

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
2 I. v. Treitschke, Belle Alliance. Samte; vor dem äußersten linken Flügel die weißen Häusergruppen von Papelotte und La Haye. Die Straße fällt südlich von Mont St. Jean sanft ab, führt dann völlig eben durch offene Felder und steigt eine starke halbe Stunde weiter südlich, nahe bei dem Pachthofe La Belle Alliance wieder zu einem anderen niederen Höhenzuge empor, fo daß das Schlachtfeld eine weite, müßig eingetiefte Mulde bildet, die allen Waffen den freiesten Spielraum gewährt. Auf diesen Höhen bei Belle Alliance stellte Napoleon sein Heer auf, Reille zur Linken, Erlon zur Rechten der Straße, dahinter bei Rossomme die Reserve; sein Plan war einfach durch einen oder mehrere Frontalangriffe die Linien der Engländer zu durchbrechen, womöglich an der schwächsten Stelle, auf ihrem linken Flügel. Da die unsicheren Feuerwaffen jener Zeit dem Angreifer erlaubten mit ungebrochener Kraft nahe an den Verteidiger heranzugelangen, so hoffte der Imperator durch ungeheure Masfenschläge den zähen Gegner niederzuringen. Seine Kriegsweise war während der letzten Jahre immer gewaltsamer geworden; heute vollends, in der fiebert-schen Leidenschaft des verzweifelten Spielers zeigte er die ganze Wildheit des Jakobiners, ballte viele Tausende seiner Reiter, ganze Divisionen des Fußvolks zu einer einzigen Masse zusammen, damit sie wie die Phalangen Alexanders mit ihrem Elephantentritt alles zermalmten. So begann die Schlacht — ein beständiges Vordringen und Zurückstuten der Angreifer gleich der Brandung am steilen Strande — bis dann das Erscheinen der Preußen in Napoleons Rücken und rechter Flanke den Schlachtplan des Imperators völlig umstieß. Der Kampf verlief wie eine planvoll gebaute Tragödie: zu Anfang eine einfache Verwicklung, dann gewaltige Spannung und Steigerung, zuletzt das Hereinbrechen des alles zermalmenden Schicksals; unter allen Schlachten der modernen Geschichte zeigt wohl nur die von Köuiggrätz in gleichem Maße den Charakter eines vollendeten Kunstwerks. Der letzte Ausgang hinterließ in der Welt darum den Eindruck einer überzeugenden, unabwendbaren Notwendigkeit, weil ein wunderbares Geschick jeder der drei Nationen und jedem der Feldherren genau die Rolle zugewiesen hatte, welche der eigensten Kraft ihres Charakters entsprach: die Briten bewährten in der Verteidigung ihre kaltblütige, eiserne Ausdauer, die Franzosen als Angreifer ihren ritterlichen, unbändigen Mut, die Preußen endlich die gleiche stürmische Verwegenheit im Angriff und dazu, was am schwersten wiegt, die Selbstverleugnung des begeisterten Willens.

2. Geschichtliches Lesebuch - S. 3

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
I. v. Treitschke, Belle Alliance. 3 Napoleon rechnete mit Sicherheit auf einen raschen Sieg, da er die Preußen fern im Südosten bei Namur wähnte. Seine Armee zählte über 72,000 Mann, war dem Heere Wellingtons namentlich durch ihre starke Kavallerie und die Überzahl der Geschütze — 240 gegen 150 Kanonen — überlegen. Unter solchen Umständen schien es unbedenklich, den Angriff auf die Mittagszeit zu verschieben, bis die Sonne den durchweichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu schrecken und die Zuversicht des eigenen Heeres zu steigern, veranstaltete der Imperator im Angesichte der Engländer eine große Heerschau; krank wie er war, von tausend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch selber das Bedürfnis, sich das Herz zu erheben an dem Anblick seiner Getreuen. So oft er späterhin auf seiner einsamen Insel dieser Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die Erde war stolz so viel Tapfere zu tragen!" Und so standen sie denn zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von den Pyramiden, von Austerlitz und Borodino, die so lange der Schrecken der Welt gewesen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenstolz, ihre Rachgier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler schlugen an; die Feldmusik spielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßschweifhelme der Kürassiere, die betrobbelten Tschakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Landers, eines der prächtigsten und tapfersten Heere, welche die Geschichte sah. Die ganze prahlerische Glorie des Kaiserreichs erhob sich noch einmal, ein überwältigendes Schauspiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erschien der große Kriegsfürst in seiner finsteren Majestät, so wie der Dichter sein Bild kommenden Geschlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brausenden Hochrufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgestern erst aufs neue seine Unbesiegbarkeit erwiesen. Und boch kam biefer krampfhafte Jubel, der so seltsam abstach von der gehaltenen Stille drüben im englischen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtsein der Schnlb, die Ahnung eines finsteren Schicksals lag über den tapferen Gemütern. Zehn Stnnben noch, und die verwegene Hoffnung des beutscheu Schlachteubeukers war erfüllt, und bies herrliche Heer mit seinem Trotze, seinem Stolze, seiner wilben Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte Schwadron. l*

3. Geschichtliches Lesebuch - S. 7

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
I. v. Treitschke, Belle Alliance. 7 vollends in Verwirrung; aber auch die Sieger fühlten sich tief erschöpft. Auf den anderen Teilen des Schlachtfeldes gestaltete sich unterdessen der Gang der Ereignisse weit günstiger für Napoleon. Die Division Quiot, die schon an dem großen Angriffe Erlons teilgenommen, ging von neuem auf der Landstraße vor und bestürmte die Meierei von La Haye Samte. Dort stand Major Baring mit einem Bataillon von der leichten Infanterie der deutschen Legion und einigen Nassauern. Die grünen Jäger hatten schon um Mittag die Schlachthaufen Erlons abgeschlagen; die treuen Männer hingen mit ganzem Herzen an ihren Offizieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten sich entschlossen von diesem Ehrenposten nimmermehr zu weichen. Und welche Aufgabe jetzt! Schon brannten die Dächer des Gehöftes, die einen mußten löschen, die anderen führten aus den Fenstern, hinter den Hecken und Mauern des Gartens das Feuergefecht gegen die furchtbare Übermacht draußen. Pulver und Blei gingen aus; vergeblich sandte Baring wiederholt seine Boten rückwärts nach Mont St. Jean mit der dringenden Bitte um Munition. Erst als säst die letzte Patrone verschossen war, räumte die tapfere kleine Schar den Platz. Wie Rasende drangen die Franzosen hinter den Abziehenden in das Gehöft ein, durchsuchten brüllend alle Stuben und Scheunen: „kein Pardon diesen grünen Brigands!" — denn wie viele ihrer Kameraden waren heute mittag und jetzt wieder den sicheren Kugeln der deutschen Jäger erlegen! Das Vorwerk des englischen Centrums war genommen, und bald ergoß sich der Strom der Angreifer weiter bis nach Mont St. Jean. Die Mitte der Schlachtlinie Wellingtons war durchbrochen. Da führte der Herzog selber die hannoversche Brigade Kielmannsegge herbei, und ihr gelang die Lücke im Centrum vorläufig zur Not wieder auszufüllen. Aber auch nur vorläufig; denn die Reserven waren schon herangezogen bis auf den letzten Mann, und La Haye Sainte, die beherrschende Position dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die Division Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Wellingtons Besorgnis stieg. Schon seit mehreren Stunden hatte er wiederholt Adjutanten an Blücher gesendet mit der dringenden Bitte um Hilfe. Kalt und streng stand er unter seinen Offizieren, die Uhr in der Hand, und sagte: „Blücher oder die Nacht!" Wenn Napoleon

4. Geschichtliches Lesebuch - S. 8

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
o I. v. Treitschke, Belle Alliance. jetzt im stände war, seine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erschütterten linken Flügel der Engländer zu verwenden, so konnte ihm der Sieg nicht fehlen. njn diesem verhängnisvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen. Bereits klang sern vom Osten her, beiden Teilen vernehm-lich, Kanoneudonner nach dem Schlachtselde hinüber — die erste Kunde von dem Gefechte, das sich bei Wavre, im Rücken der Blücher-schen Armee, zwischen ^hielmann und Gronchy entspann. Um die nämliche Zeit fiel vor dem Walde von Frichemont der erste Schuß. Es war J/2 5 Uhr nachmittags; gerade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den Kampf allein aushalten müffen. Bülows Batterien fuhren staffelförmig auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig schönes Schauspiel, wie daun die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden Fahrten nach einander aus dem Gehölz heraustraten und zwischen den Batterien hindurch sich in die Ebene gegen Planeenoit hinabsenkten. Gneisenan fühlte sich in seinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der wilden Poesie des Krieges und unterließ selbst in seinem amtlichen Schlachtberichte nicht zu schildern, wie herrlich dieser Anblick gewesen sei. Der Held^von Dennewitz that sein Bestes um die Fehler vom 15. und 16. Juui zu sühnen, leitete den Angriff mit besonnener Kühnheit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des Gefechts siel der allbeliebte Oberst Schwerin, derselbe, der vor einem Jahre der Hauptstadt die Siegesbotschaft gebracht hatte. Das Corps Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltsam drangen die Preußen vorwärts ans Planeenoit. Etwas später, um 6 Uhr, hatte General Zieteu mit der Spitze des ersten Corps Ohain erreicht und ging dann, sobald er von der Bedrängnis des englischen linken Flügels unterrichtet war, rasch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Division Dnrntte sich soeben eingenistet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete die Trümmer seiner Truppen, als die preußische Hilfe herankam, rückwärts in den schützenden Wald von ©eignes; seine tapferen Nassauer waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden. Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzosen aus den beiden Vorwerken wieder hinaus, die brandenburgischen Dragoner hieben auf die Zurückweichenden ein, die Batterien des ersten Corps bestrichen weithin den rechten Flügel des Feindes, und bis in das französische Centrum hinein verbreitete sich schon die Schreckenskunde, dort ans der Rechten sei alles verspielt.

5. Geschichtliches Lesebuch - S. 25

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Ii. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 25 und Lasten auf sich nehmen; die Regierungen sträubten sich, die Bundesgewall an den höchsten Schmuck der Kronen, die Militärhoheit, rühren zu lassen; bei vielen Liberalen aber galt die Linientruppe als das gefährlichste Werkzeug des Despotismus. Auch herrschte die Überzeugung, daß nach Napoleons Sturz auf lange Zeit der Friede gesichert sei, und im Notfall hätte man ja die großen Armeen Österreichs und Preußens, die schon aus eignem Interesse für die Verteidigung der übrigen Staaten sorgen müßten. Bei dieser Gesinnung der Mittelund Kleinstaaten zogen sich die Verhandlungen durch fünf Jahre hin, bis endlich eine provisorische Kriegsverfassung zustande kam, als ein leuchtendes Denkmal des Satzes, daß die stärkste Stellung die des Verneinenden ist. Es sollte hienach das Bundesheer aus den Kontingenten der Einzelstaaten bestehen, gruppiert in zehn Armeecorps von je rund 30 000 Mann, je drei von Österreich und Preußen, das siebente von Bayern zu stellen, während in die drei letzten die Kontingente der übrigen Mittel- und Kleinstaaten zusammengeschoben würden. Die Quantität dieser Rüstung (ein Prozent der Bevölkerung) war nicht stark, um so mehr wäre es auf Steigerung der Qualität, also auf Gleichmäßigkeit der Ausbildung, Bewaffnung und Disciplin, auf feste Organisation der Verpflegung und vor allem auf bleibende und durchgreifende Einheit des Oberbefehls angekommen. Aber von dem allem wurde das gerade Gegenteil verfügt. Die Einrichtung der Kontingente blieb auch im Kriege den Einzelstaaten überlassen; es war verboten, ein kleines Kontingent in den Verband eines großen aufzunehmen; denn auch der Schein der Suprematie eines Bundesstaats über den andern sei zu vermeiden. Im Frieden gab es keinen gemeinsamen Oberbefehl. Für den Krieg sollte der Bundestag einen Bundesfeldherrn wählen, der nur von dem Bundestag und dessen Militär-Ausschuß Befehle empfangen dürfe, und in dessen Hauptquartier die Kontingentsherren ihre souveränen Sonderrechte durch unabhängige höhere Osficiere verfassungsmäßig ausüben würden. So war endlich 1821 beschlossen. Aber als es an die Ausführung ging, erhoben sich zahllose Verwahrungen und Widersprüche der dreißig Kleinstaaten über die unerhörte, erdrückende Belastung. Erst nach zehn Jahren gelang es, einen Ausgleich zustande zu bringen, und dann dauerte es noch weitere vier Jahre, bis die Organisation des neunten und zehnten Armeecorps (Sachsen, Hannover und die norddeutschen Kleinstaaten) wenigstens auf dem Papier festgestellt war. Wie es dann in der Wirklichkeit aussah, werden wir später wahrzu-

6. Geschichtliches Lesebuch - S. 10

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
10 I. v. Treitschke, Belle Alliance. Schlachtfelde umher und sucht vergeblich die Kugel, die ihn von seiner Gewissensangst und seinen finsteren Ahnungen erlösen soll. Indem hatte Blücher schon den Schlag geführt, der die Vernichtung des napoleonischen Heeres entschied. Die Truppen Bülows gingen in drei Kolonnen im Sturmschritt aus Planeenoit vor. In und neben dem Dorfe hielten jene zwölf frischen Bataillone der Kaisergarde; und sie fochten mit dem höchsten Mute, denn alle fühlten, daß hier die Entscheidung des ganzen Krieges lag. Die anstürmenden Preußen sahen sich im freien Felde den Kugeln der Verteidiger, die in den Häusern und hinter den hohen Mauern des Kirchhofs verdeckt standen, schutzlos preisgegeben. Dieser letzte Kampf ward fast der blutigste dieses wilden Zeitalters; das Corps Bülows verlor in viertehalb Stunden 6353 Mann, mehr als ein Fünftel seines Bestandes, nach Verhältnis ebenso viel wie die englische Armee während des ganzen Schlachttages. Der erste und der zweite Sturm ward abgeschlagen; da führte Gneisenan selbst die schlesischen und pommerschen Regimenter zum dritten Male vorwärts, und jetzt gegen 8 Uhr drangen sie ein. Noch ein letzter wütender Widerstand in der Dorfgaffe, dann entwich die Garde in wilder Flucht; ihr nach Major Keller mit den Füsilieren des 15. Regiments, dann die anderen Bataillone. Ans der ganzen Linie erklang in langgezogenen Tönen das schöne Signal der preußischen Flügelhörner: Avancieren! Zu gleicher Zeit ward weiter nördlich das Corps Lobaus von Bülows Truppen in der Front, von Zietens Reiterei in der Flanke gepackt und völlig zersprengt. Die beiden Heerteile der Preußen vereinigten sich hier; der furchtbare Ring, der den rechten Flügel der Franzosen auf drei Seiten umklammern sollte, war geschlossen. Von Norden drängten die Engländer, von Osten und Süden die Preußen heran. Den Truppen Zietens wies Grolmann die Richtung nach der Höhe hinter dem Centrum der Franzosen, nach dem Pachthof La Belle Alliance, der mit seinen weißen Mauern weithin erkennbar wie ein Leuchtturm über dem tiefem Gelände emporragte. Dorthin nahmen auch die Sieger von Plancenoit ihren Weg. Über 40,000 Preußen hatten noch am Gefechte teilgenommen, und jetzt da die Arbeit fast gethan war, kam auch das Armeecorps Pirchs von den Höhen hinter Plancenoit herab. Napoleon war währenb dieser letzten Stunde nach La Haye Sainte vorgeeilt um die Division Ouiot noch einmal zum Angriff auf Mont St. Jean vorzutreiben. Sobald er zu feiner Linken die Niederlage Neys und gleichzeitig den

7. Geschichtliches Lesebuch - S. 12

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
12 I. v. Treitschke, Belle Alliance. mußte zu Pferde davonjagen, obgleich er sich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen scharten sich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht verloren gegangen, die übrigen wurden allesamt gerettet. Niemals in aller Geschichte war ein tapferes Heer so plötzlich ans allen Fugen gewichen. Nach der übermenschlichen Anstrengung des Tages brach alle Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zusammen; das Dunkel der Nacht, die Übermacht der Sieger, der umfassende Angriff und die rastlose Verfolgung steigerten die Verwirrung. Entscheidend blieb doch, daß diesem Heere bei all seinem stürmischen Mute die sittliche Größe fehlte. Was hielt diese Meuterer zusammen? Allein der Glaube an ihren Helden. Nun dessen Glücksstern verbleichte, waren sie nichts mehr als eine zuchtlose Bande. Die Sonne war schon hinter dicken Wolken versunken, als die beiden Feldherren eine Strecke südlich von dem Hofe von Belle Alliance mit einander zusammentrafen; sie umarmten sich herzlich, der bedachtsame Vierziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneisenau. Endlich doch ein ganzer und voller Sieg, wie er ihn so oft vergeblich von Schwarzenberg gefordert; endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener entsetzlichen sieben Jahre! Es sang und klang in seiner Seele; er dachte an das herrlichste der fridericiani-schen Schlachtfelder, das er einst von seiner schlesischen Garnison ans so oft durchritten hatte. „Ist es nicht gerade wie bei Leuthen?" — sagte er zu Bardeleben und sah ihn mit strahlenden Augen an. Und wirklich, wie einst bei Leuthen bliesen jetzt die Trompeter das Nun danket Alle Gott! und die Soldaten stimmten mit ein. Aber Gneisenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todesangst eines geschlagenen Heeres, die dämonische Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angesehen. Noch gründlicher als einst an der Katzbach, sollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben", rief er aus, „gezeigt wie man siegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt." Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Geratewohl in das Dunkel der Nacht hineinznschießen, damit der Feind nirgends Ruhe fände. Er selber nahm was von Truppen zur Hand war mit sich, brandenburgische Ulanen und Dragoner, Infanterie vorn 15. und 25. und vorn 1. pommerscheu Regimeute; Prinz Wilhelm der Altere, der die Reservereiterei des Bülowschen Corps geführt, schloß sich ihm an.

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 82

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
82 Vi. Freytag, Das Hambacher Fest. getagt hätten, nur daß sie die heimische Polizei scheuten. Ja, die preußische Regierung war ihnen besonders anstößig. Der König hatte seinem Volke eine Verfassung verheißen und sein Versprechen nicht erfüllt, die preußische Diplomatie suchte mit Eifer die liberalen Anläufe der süddeutschen Kammern zu verdächtigen, Preußen galt für einen Militärstaat, der doch nicht den Mut habe eine kriegerische Politik zu verfolgen, die preußischen Landschaften endlich ließen sich mit unerträglicher Fügsamkeit das harte Staatswesen gefallen. Man hatte im Süden keine Ahnung, wie groß dort im Osten die Armut, der Mangel an Kapital und an überschüssiger Meuscheukraft nach zehn Jahren des Krieges, einer feindlichen Occupatiou, einer systematischen Aussaugung des Landes und nach einer unerhörten Anspannung für die Befreiung geworden war, man wußte nicht, wie sehr das Gedeihen der alten Provinzen durch die russische Grenzsperre niedergehalten wurde, wie Handel und Handwerk in mehreren hundert Städten noch nach dem Frieden zurückkamen, wie langsam dort die Ersparnisse zu Kapitalien zusammenflössen und wie diese Ersparnisse des Volkes durch Jahrzehnte fast sämtlich verwendet wurden, um in dem Kreditsystem der Landschaften die ruinierten Grundbesitzer zu erhalten und einen allgemeinen Bankerott abzuwehren. Wahrlich, die Zustände der alten Provinzen Preußens in jener Zeit, noch niemals wahrheitsgetreu geschildert, wären wohl der brüderlichen Teilnahme des deutschen Westens wert gewesen. Denn dort im Osten war kaum eine Familie, die nicht an Gut und Leben ihrer Angehörigen schwer beschädigt war und sich in der lebenden Generation mühsam heraufrang. Die Deutschen von der Elbe bis zum Memel hatten hohen Preis dafür gezahlt, daß Schwaben, Alemannen und Pfälzer die Möglichkeit erhielten, in ihren Kammern mit einer deutschen Regierung um verfassungsmäßige Freiheit zu streiten. Daß bei solcher Lage des Staates auch die äußere Politik Preußens lange unfrei war und ängstlich beflissen, im Bann der heiligen Allianz die mühsam geschaffene Ordnung zu bewahren, war nicht unnatürlich, und darum wird das Urteil der Geschichte über das System Friedrich Wilhelms Iii. dereinst vielleicht milder sein als das seiner Zeitgenossen war. Schon im Jahr 1832 hing das politische Geschick Deutschlands weit weniger an den Kammerverhandlungen im deutschen Westen als an der Höhe des Tagelohns in Schlesien und der Mark. Daß die Liberalen Süddeutschlands davon keinerlei Kunde hatten, war der Grundfehler ihrer Rechnung. Unterdes übten in Preußen dreitausend Turnlehrer, zu

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 83

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Vii. v. Treitschke, Ansänge der Eisenbahnen in Deutschland. 83 denen der Staat großenteils Söhne des armen Adels verwandte, die Söhne lithauischer Walddörfer und die Söhne der Großbürger von Köln zu streitbaren Männern, welche dadurch immer noch viel mehr von Zucht und Hingabe an den Staat erhielten, als die patriotischen Veranstalter des Hambacher Festes der großen Masse ihrer Landesgenossen zu geben vermochten. Uns wird es leicht dies zu übersehen, und es ist geringes Verdienst, den Irrtum eines früheren Geschlechtes darzulegen. Worin jene Männer irrten, das haben sie schwer gebüßt, viele mit Glück und Leben, aber sie waren damals, wenn auch ebenso einseitig und beschränkt wie ihre Gegner in den Regierungen, doch in vielen Gedanken, die sie verkündeten, Vertreter der idealen Habe unserer Nation und der großen politischen Wahrheiten, auf denen jetzt das Staatsleben der Deutschen ruht. Sie haben verkündet und sind vergangen, damit wir leben. Das darf auch den Gefallenen die Nation nicht vergessen. Vieles in jenen Anfängen erscheint uns schwächlich, es waren in Wahrheit harte, aufreibende und menschenvertilgende Kämpfe, von beiden Seiten sanken die Opfer, es waren nicht deutsche Journalisten allein, welche darum in Irrsinn endeten, und es waren nicht Journalisten und Handwerksgesellen allein, welche darum aus dem Lande ihrer Väter in die Verbannung getrieben wurden. Vii. Die Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland. (v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Band Iv. Leipria 1889. Iv. Buch. 8. Abschnitt. S. 578—600. [©efürjt.]) Trotz der großen Fortschritte dieser Jahre blieb Deutschland, den Westmächten gegenüber, noch immer ein armes Land. Der Zinsfuß stand hoch, aus 4^ bis 5 Prozent; größere Unternehmungen mußten ihre Kapitalien oft aus England entleihen, wo sie für 21/* bis 3 Prozent

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 93

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Vii. v. Treitschke, Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland. 93 (1833). Ein echt deutsches Bild: diese gewaltige Erfindung zuerst in einer stillen Gelehrtenstadt, deren behäbige Bürgerschaft sich vom Welthandel gar nichts träumen ließ! Die beiden Gelehrten behaupteten, ihr Telegraph müsse auch auf weite Entfernungen, Länder und Völker verbindend, mit der gleichen Sicherheit wirken, und Wilhelm Weber erbot sich (1836), neben der Leipzig-Dresdener Bahn, zunächst bis Wurzen, eine Drahtleitung anzulegen; die Kosten des Versuchs schützte er auf 2000 Thaler. Das sparsame Komitee wollte aber eine solche Summe nicht an einen zweifelhaften Erfolg wagen. So blieb die deutsche Erfindung liegen, bis die Amerikaner nach Jahren sich ihrer bemächtigten und sie dem Weltverkehre dienstbar machten. Am 7. April 1839 wurde die ganze Bahn eröffnet, und noch lange erzählte sich das Volk von den Abenteuern dieser ersten Fahrten. Auf einer Station war ein Leipziger Student mitsamt einem unbezahlten Glase Bier dem Kellner hohnlachend davongefahren; in dem gefürchteten Tunnel pflegten die Damen reiferen Alters eine Stecknadel zwischen die Lippen zu nehmen, um sich gegen die Liebkosungen ausschweifender Jünglinge zu sichern. Vorsichtige Ärzte wollten von der Tunnelfahrt, die fast eine Minute währte, überhaupt nichts hören; sie befürchteten, bei dem plötzlichen Luftwechsel müsse ältliche Leute der Schlag rühren, und allerdings waren die Wagen der dritten Klasse noch unbedeckt, die der zweiten ohne Fenster. Daß die Schienen und die Räder durch die ungeheure Reibung notwendig in Brand geraten müßten, war die allgemeine Ansicht; erst die vollendete Thatsache schlug alle Befürchtungen zu Boden. Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Erstaunlich wie diese erste große Eisenbahn auch auf den benachbarten Landstraßen Mitteldeutschlands sofort die Reifelust belebte; im Jahre 1828 beherbergten die Dresdener Gasthöfe 7000 Fremde, in den ersten drei Vierteljahren 1839 bereits 36000. Schon in ihrem ersten Jahre beförderte die Bahn 412 000 Personen und 3,85 Mill. Meilen-Eentner. Im zweiten Jahre sank der Personenverkehr um ein geringes, weil sich die erste Neugierde etwas gelegt hatte; der Güterverkehr aber stieg mit einer ganz ungeahnten Schnelligkeit. Anfangs waren viele Frachtfuhrleute noch gemächlich auf der Landstraße neben dem Dampfwagen hingefahren, weil die Spediteure die Kosten des Umladens scheuten. Erst seit die Bahn Anschlüsse erhielt und die Anfuhr zu den Bahnhöfen erleichterte, riß sie auch den Güterverkehr au sich, und nach einer Reihe von Jahren ergab sich, daß sie von den Gütern mehr einnahm als von den Personen.
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