Hilfe und Dokumentation zu WdK-Explorer

Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Geschichtliches Lesebuch - S. 106

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
106 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. würdigen mußte? Daß unsere Gelehrtenrepublik überhaupt auf der Erde, nicht mehr in den Wolken wandelte und die prosaische Arbeit am heimischen Staat nicht mehr unter ihrer Würde fand? Wie lange war es her, daß Fichte „die Genesung für Nation und Vaterland" einem Geschlechte predigen mußte, dessen edelste Geister, angeekelt von dem Jammer des heiligen römischen Reiches, dachten wie Lessing: „Liebe des Vaterlandes ist eine heroische Schwachheit, die ich recht gern entbehre", oder wie der junge Goethe: „Römerpatriotismus! Davor bewahre uns Gott wie vor einer Riesengestalt! Wir würden keinen Stuhl finden, um darauf zu sitzen, kein Bett, um darinnen zu liegen." In der That, durch ihre Entstehung, ihre Zusammensetzung wie den Geist, der ans all ihrem Reben und Thun hervorbrach wie eine Naturgewalt, befunbete diese Versammlung einen ungeheuren Umschwung, der im Lause eines einzigen Menschenalters sich vollzogen hatte. Der klaffende Zwiespalt, der früher den gelehrten von dem nicht gelehrten Teil der Nation getrennt, war enblich überwunben und das beut)che Bürgertum nunmehr zur Einheit einer staatsbürgerlichen Klasse zusammengewachsen. Der nationale und politische Jbealismus bieses Bürgertums, sein Freiheits- und Einheitstraum hat in dieser Versammlung das Fest seiner siegreichen Auferstehung gefeiert und in ihren Verhanblungen feinen ebelsten Ausbruck niebergelegt. Die Nation glaubte an die erlösenbe Schöpferkraft ihrer Wissenschaft, und die Wissenschaft glaubte an die Allmacht des Einheitsbranges ihrer Nation. Auf biesem Doppelglauben beruhte die Größe dieser Versammlung; so wie er ins Wanken kam, ver-ttmnbelte sich der Reichsbau der Paulskirche aus einem Palast in ein Kartenhaus, das der nächste Winbstoß auseinanberwarf, und die Versammlung selbst kam sich vor, wie ein Prometheus, der an den Felsen des Zweifels geschmiedet ist. Am 19. Mai wühlte sie sich mit 305 von 397 Stimmen einen Präsidenten in der Person eines Staatsmannes, der sogleich in der Ansprache, mit der er sein Amt antrat, einen erschöpfenden Ausdruck beffen gab, was ihn zum Lenker dieser Versammlung so geeignet erscheinen ließ, als wäre er einzig dazu geboren und erzogen worben. Es war Heinrich von Ga gern, seit bent 6. März der Minister des Großherzogtums Hessen, nachbem er vorher Jahre lang die Opposition der zweiten Kammer gegen das Ministerium Du Thil geführt hatte. Er sagte nämlich: „Überwältigt wie ich bin von dem Einbruck, den Ihre Abstimmung auf mich hervorbringen mußte, bin ich nur

2. Geschichtliches Lesebuch - S. 107

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. 107 imstande, wenig Worte zu Ihnen zu reden. — Ich gelobe hier feierlich vor dem ganzen deutschen Volke, daß seine Interessen mir über alles gehen, daß sie die Richtschnur meines Betragens sein werden, solange ein Blutstropfen in meinen Adern rinnt; ich gelobe hier feierlich, als das von Ihnen gewählte Organ Ihrer Versammlung, die höchste Unparteilichkeit. Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen schassen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. (Stürmisches-Bravo.) Den Berus und die Vollmacht, dieses Versassuugs-werk zu schassen, hat die Schwierigkeit in unsere Hände gelegt, um nicht zu sagen die Unmöglichkeit, daß ey auf anderem Wege zustande kommen könnte. Die Schwierigkeit, eine Verständigung unter den Regierungen zustande zu bringen, hat das Vorparlament richtig vorgefühlt und uns den Charakter einer konstituierenden Versammlung vindiciert. Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen; diese Mitwirkung auch der Staaten-Regierungen zu erwirken, liegt mit im Berufe dieser Versammlung. Wenn über manches Zweifel besteht und Ansichten auseinandergehen, über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel, es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben, sie befestigen, sie allein wird schützen vor allen Schwierigkeiten, die von außen kommen mögen, die im Innern drohen." Die Versammlung, der diese Worte galten, ging an ihr Werk, fest überzeugt von ihrem Recht und ihrer Macht: in dem uner-schüttlichen Glauben, daß sie dürfe und daß sie könne, was sie sich vorgesetzt, daß ihre Vollmacht unbestreitbar und unanfechtbar sei wie das Licht der Sonne und daß dem nationalen Willen, dem sie Körper und Gestalt zu verleihen habe, nichts unerreichbar sei, daß ihm nichts, schlechterdings gar nichts widerstehen werde. Von diesem Glauben war Heinrich von Gagern erfüllt mit Leib und Seele; ihn bekannte er in dieser seiner ersten Rede mit dem Brustton tiefster Durchdrungenheit und in Worten, die zündend einschlugen, weil sie ganz kunstlos und unmittelbar das trafen, worüber alle einig waren oder einig zu sein glaubten, und nichts von dem berührten, was die Geister trennte. Und in der Seelenkraft, mit der er hier zum erstenmal gewirkt, lag nun das, was ihm an der Spitze dieses Parlaments eine ganz eigenartige Stellung gab. Obgleich weder ein geistreicher Kops, noch ein

3. Geschichtliches Lesebuch - S. 108

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
108 Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. tiefer Denker, und mit keiner jener überlegenen Gaben ausgerüstet, durch die ein Mensch anderen fein Gepräge aufdrückt, war er zur Leitung gerade dieses Parlaments ganz unvergleichlich angelegt. Eine stattliche Erscheinung mit männlich schönen Zügen, in Wesen und Haltung vornehm und volkstümlich zugleich, eine Natur voll Wärme und Kraft, als Vorsitzender immer bei der Sache, stets Herr der Form, rasch und glücklich in der Fragestellung wie in treffender Stegreifrede, im heftigsten Redekampf nie erschrocken und nie verlegen: so bändigte er Monate lang die Leidenschaften des Parteihaffes durch die Kraft, mit der er die Saiten der Empfindungen zu rühren wußte, die in dieser Versammlung allen Empfindenden gemeinsam waren. In feiner Person, in der Art und in dem Ton feiner Rede, verkörperte er diesem Parlament den lauteren Adel seines Berufs, die sittliche Hoheit feines Strebens, die Majestät feines Glaubens cm die Allmacht der Nation. In diesem Glauben lag seine Größe und auch sein Verhängnis. Der Genosse seines Glaubens und seines Schicksals war Dahlmann, der die Wahl dieses Präsidenten zuerst und mit solcher Ausdauer betrieben hatte, daß er sie als fein persönliches Verdienst betrachten durfte. Beider Werk war der verhängnisvolle Schritt, den die Versammlung that, als sie eigenmächtig die Rechte einer regierenden Reichsgewalt in Anspruch nahm. Niemals hat das Dahlmann beabsichtigt; keinem Patrioten lagen solche Übergriffe ferner als gerade ihm, dem maßvollen Monarchisten, und doch hat es niemand mehr gefördert als er mit einem Antrage, den nicht zu stellen er für Verrat am Vaterland gehalten hätte und dessen Annahme ihm wie ein rettendes Ereignis für die Nation, wie ein herrlicher Siegespreis für sein eignes vaterländisches Streben erschien. Das Bundesdirektorium, das Dahlmann im Namen des Verfafsungsansfchuffes am 19. Juni beantragte, war anders gedacht, als es sich durch Gagerns überraschendes Eingreifen nachher gestaltete: aber wie immer in der Form es zustande kam, in der Sache war es doch eine willkürliche Schöpfung des Parlaments, von dem es sein Recht und seine Macht bezog, wenn es eine solche überhaupt gewann, und die Notwendigkeit einer solchen Schöpfung war erst hervor- getreten, als auf Dahlmanns Antrag die Paulskirche an einer Frage der großen Politik ihre erste Kraftprobe unternahm. Es war von Herzen gut gemeint, als er bei der erschreckenden Nachricht von dem plötzlichen Rückzug, den der bisher siegreiche General Wrangel aus Jütland und Nordfchleswig genommen hatte, den völkerrechtlichen Aus-

4. Geschichtliches Lesebuch - S. 70

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
70 V. Pfizer, Stellung von Österreich und Preußen. bewegten Zeit nicht fortgerissen und verschlungen zu werden, nach langem Schlummer das Bedürfnis fühlen sollte, sich neue Bahnen des Ruhmes und der Größe zu eröffnen, so muß es diese in der neuen Stellung und Bedeutung, die es als europäische Macht gewonnen, und worauf jetzt auch die Art seiner Zusammensetzung aus meist nicht deutschen Ländern hinweist, suchen; aber in Deutschland ist für Österreich, und für Deutschland ist von Österreich forthin nichts mehr zu erwarten. Österreich ist von den großen Kolonien, die sich seit der Völkerwanderung vom deutschen Mntterlande losgerissen haben und den größten Teil von Europa bedecken, die letzte (wie überhaupt Deutschland mit Kolonien nie glücklich gewesen ist, so notwendig ihm dieselben jetzt auch wären, um durch den Verkehr mit fremden Weltteilen unser stockendes Blut zu erfrischen, den Überfluß unserer Bevölkerung abzuleiten und unter einem schönen Himmel ein zweites deutsches Vaterland zu gründen, das beim Absterben unsers Weltteils das europäische überlebt); und eine organische Wiedervereinigung von Österreichs deutschen Provinzen mit Deutschland ist erst dann zu erwarten, wenn von diesen einst die Oberherrschaft auf Ungarn oder Italien übergegangen sein wird. Soll es nun aber gleichwohl noch dahin kommen, daß Deutschland in die Reihe der Nationen wieder eintritt — und daß dieses geschehen müsse, ist ein Gedanke, den kein Deutscher aufgeben kann und aufgeben darf, ohne die Schmach des feigsten Selbstmordes auf sich zu laden — so muß eine neue Zukunft sich uns öffnen, es muß ein neuer Anknüpfungspunkt zu festerer Einigung gefunden werden, ein neuer Kern und Mittelpunkt sich bilden, woran das neue Deutschland sich sammeln, sich erkennen und gestalten kann. Auch bebarf es in der That nur eines Blicks auf unsre gärenbe bewegte Zeit, besonbers auf unser reges geistiges Leben, auf bieses Wimmeln und Wühlen zahlloser Kräfte in jebem Falle menschlicher Thätigkeit, um überzeugt zu sein, daß das zählebige germanische Geschlecht noch nicht ausgelebt hat, vielmehr die Gegenwart die fruchtbarsten Keime fernerer Entwickelung in sich trägt. Deutschland, jetzt auf einer Übergangsstufe begriffen, muß sich verjüngen und den Stanbpnnkt einnehmen, wo es fähig wirb, seine mit der Reformation begonnene Bestimmung als die geistige Macht Europas zu vollenben. Ja, der Kern seiner neuen Gestaltung ist, wenn anders die Gesetze der Natur und der Geschichte noch die alten sinb, bereits vorhanben. Wo anders wäre er nämlich zu suchen, als in bemjenigen

5. Geschichtliches Lesebuch - S. 129

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Ix. Oncken, Die Trennung von Österreich und der preußische Erbkaiser. 129 entsprechen scheine. Hiernach müsse man als die entschiedene Absicht Österreichs ansehen: daß alle österreichischen Lande in staatlicher Einheit verbunden bleiben sollen und daß die Beziehungen Österreichs zu Deutschland dann erst staatlich geordnet werden könnten, wenn beide Staatenverbände zu neuen festen Formen gelangt sein, d. h. ihre innere Neugestaltung vollendet haben würden. Daraus folgerte das Reichsministerium Gageru: Österreich lehnt jede Bedingung ab, welche die staatliche Verbindung der deutschen mit den nichtdeutschen österreichischen Landesteilen lockern würde. Folglich wird es nach den über die Natur des Bundesstaats gefaßten Beschlüssen der Versammlung „als in den zu errichtenden deutschen Bundesstaat nicht eintretend zu betrachten sein". Sein „Unionsverhältnis zu Deutschland" aber wird mittelst einer besonderen Unionsakte geordnet, und die Verhandlung über diese auf gesaudt-schastlichem Wege eingeleitet werden. „Die Verfassung des deutschen Bundesstaates jedoch, deren schleunige Beendigung im beiderseitigen Interesse liegt, kann nicht Gegenstand der Unterhandlung mit Österreich sein." Dieses Programm besagte: Bundesstaat ohne Österreich, aber völkerrechtliche Union mit Österreich, d. H. ein Verhältnis, wie es heute seit dem Bündnis vom 7. Oktober 1879 zum Segen beider Reiche in Kraft ist. Die Aufnahme aber, die dieses Programm sofort bei seinem Bekanntwerden fand, ließ erkennen, daß von der Klarheit, welche der 30. November gebracht zu haben schien, auf der Linken schon keine Spur mehr vorhanden war, denn mit einer Wärme, als ob man sich noch mitten im Taumel der Märzbegeisterung befände und seitdem nichts, gar nichts Neues erlebt hätte, jubelte sie der Rede des Abg. I. Veuedey (Köln) zu, als der sagte: „Ich trage darauf an, daß dieser Antrag direkt von uns, augenblicklich und ohne Verhandlung verworfen werde. (Bravo auf der Liukeu.) Wir sind hierher gekommen, um Deutschlands Einheit zu konstituieren, und man schlägt uns hier vor, einen Teil Deutschlands aus Deutschland hinauszuwerfen. (Stürmisches Bravo und Händeklatschen auf der Linken.) An dem Tage, wo wir diesen Antrag auch nur verhandeln, verhandeln wir eine Teilung Deutschlands. Die deutsche Nation hat schon genug gelitten, jetzt endlich ist sie aufgestanden und hat uns hierher gesandt, Deutschland zu konstituieren, und man will uns einen Teil Deutschlands feil machen. Ich bin hierher gekommen in die Paulskirche, fest entschlossen, mit der Paulskirche zu stehen oder zu fallen. Aber nicht Müller, Geschichtliches Le'ebuch. q

6. Geschichtliches Lesebuch - S. 150

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
150 X. Aus der Frankfurter Nationalversammlung. richtig damit, es lasse sich dem nicht widersprechen, es sei gar nicht auszukommen in Haus und Hof ohne das Einmaleins; gerade ebenso ist es im Staatswesen mit dem Erbrechte beschaffen, welches ich hier zu verteidigen übernommen habe. Da läßt sich freilich auseinandersetzen, vor welchen Übeln das Erbrecht uns bewahrt, wie es bewahrt vor den mannigfachen und schwer empfundenen Übeln der Wahlberechtigung, wie es bewahrt vor den Übeln des Zwischenreichs zc. Aber am Ende kehrt es doch immer auf das allereinfachste zurück, und wir müssen zugestehen, daß gerade da das Erbrecht sich am unliebenswürdigsten beweist, wo es am meisten staatsmännisch auftritt, indem es nämlich in seiner vollkommenen Ausbildung auf höchst ungalante Weise alle Frauen ausschließt von dem Throne, solange noch einer vom Mannesstamme vorhanden ist, indem es alle Jüngeren ausschließt, alle jüngeren Prinzen, solange noch ein älterer da ist, indem es endlich keinem Prinzen einen Teil am Genusse der Herrschaft vergönnt, bis die Reihe an ihn gekommen ist, überhaupt aber jedem Erbberechtigten nur das Ganze des Staates übrig läßt, indem es ihn jedes Anrechts an einen Staatsteil beraubt. Und dennoch hat dieses System der Erbherrschaft neben so vielen Herbigkeiten auch seine zarte und in das innere Wefen der Menschheit dringende Seite. Nachdem es vor allen Dingen den Staat sichergestellt hat, denn der Staat muß in alle Wege die Hauptsache bleiben, führt es in das Staatswesen die Wärme der Familie ein, indem es die Herrschaft an ein regierendes Haupt knüpft. Ich weiß gar wohl, meine Herren, daß ich hiermit, wenn ich das Lob der Erbherrschaft rede, eine Saite anschlage, die in den Augen vieler von Ihnen längst zersprungen ist. Das aber hindert mich auf keine Weise. Erlauben Sie, daß ich eine schlichte Thatsache schlicht erzähle, die sich zu Ende des Jahres 1812 in Mitteldeutschland begab. Damals war der erste Strahl der Hoffnung nach Deutschland gedrungen, daß wir wohl des fremden Regiments erledigt werden möchten. Da fanden sich in Mitteldeutschland Volksversammlungen vornehmlich von Landleuten und Bauern zusammen. Man beredete sich, wie es zunächst werden solle. Darin waren alle einig, die Fremden müßten vertrieben werden, aber sollte man den alten Fürsten wieder aufnehmen, das war die Frage. Es begab sich, daß auch in einem Lande, ich will es lieber nicht nennen, wo der alte Fürst keineswegs gelobt und sonderlich geliebt war, — man wußte ihm manches, was nicht zum Frieden diente, nachzureden, — in der Schänke eines Dorses diese Sache verhandelt ward. Viel war hin-

7. Geschichtliches Lesebuch - S. 207

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Xiv. Marcks, Persönlichkeit Wilhelms I. 207 höchstens reproduktiv. Keiner einzigen hat er sein ganzes Selbst hingegeben und eben darum von jeder das jedesmal Notwendige aufnehmen und annehmen können. Und trotz dieser steten Nachgiebigkeit war er ein Ganzes und Besonderes für sich. Von innen heraus kommt ihm nur eine, aber allerdings eine überaus bedeutende Strömung : jene altpreußische, die er ja auch nicht hervorgebracht, die er geerbt hatte. Das preußische Weseu, die preußische Macht, das preußische Heer, darin eben findet man stets von neuem die historische Kraft, die ihn innerlich erfüllte, die den Kern seiner Persönlichkeit durchdrang, ja, man darf sagen, der Kern seiner Persönlichkeit war. Dieses Preußentum hatte er sich in den Jahrzehnten seiner Jugend ganz persönlich erlebt; in dessen Kreisen arbeitete sein Geist selbständig, hier bildete er selber die staatlichen und militärischen Gedanken lebendig fort, hier war er produktiv. Ju diesem Boden wurzelte die Einheit seines ganzen Daseins: so viel er in der Mitte seines Lebens an Neuem aufnahm, — je älter er wurde, um so siegreicher drangen die starken Kräfte feiner frühen Bildungszeit wieder in ihm hervor, und das Ende feines Lebens knüpfte sichtbar an feine Jugend an. Was er inzwischen aufgenommen, hatte er jedesmal, nachdem es ihn erst deutlich beeinflußt hatte, mit diesen seinen eingebornen Kräften verschmolzen, es verarbeitet, es in das Ganze seines Wesens eingefügt; er hatte sich durch all diese Einflüsse bereichert und weitergebildet, er hatte aber auch diese Gedanken der fortgehenden Zeit jedesmal mit seinem Grundgedanken des Prenßentnmes durchdrungen: so umgebildet sind die ihm zugebrachten Ideen aus ihm wieder in die Welt zurückgeströmt und haben sich dort bethätigt. Das ist das Verhältnis dieses Einzelnen zu seiner Zeit gewesen: durch Geburt und Schicksal auf eine hohe Stelle versetzt, die ihm gestattete zu wirken; die neuen Aufgaben und Gedanken wesentlich nur wie etwas Fremdes empfangend — ward er fähig, sie sich zu eigen zu machen, weil er in feinem Innern ein Eigenstes besaß, dem er sie einfügen konnte; alle Kraft feines Wirkens stieg jedesmal erst aus diesem Kerne seines Wesens empor. Dadurch, daß er inmitten alles Neuern immer sich selber wiederfand, immer sich selber zuletzt wieder zur Geltung brachte, hat er nach außen hin tief zu wirken vermocht; er, der Bescheidene und ewig Lernende, hat den Stempel seiner Eigenart in all die Schöpfungen seiner Epoche hineingeprägt: in diesem Persönlichsten, Eingeborenen, früh und innerlich Erlebten liegt doch auch bei diesem einfachen Menschen das letzte Geheimnis und die letzte Erklärung all seiner Willenskraft.

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 41

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iii. v. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest. 41 bei, so daß sich die Studentenzahl in kurzer Zeit verdoppelte. Auch an'anderen Hochschulen thaten sich Burschenschaften auf, so in Gießen und in Tübingen, wo die Stiftler schon 1813 einen Tugendbund zur Bekämpfung der akademischen Roheit gebildet hatten; und ganz von selbst erwachte der Wunsch, die neue Gemeinschaft auf eiuer feierlichen Zusammenkunft aller deutschen Burschen zu befestigen. In solchen freien, über die Grenzen des Einzelstaats hinausreichenden socialen Verbindungen sindet der Einheitsdrang zerteilter Böller seinen natürlichen Ausdruck; in Deutschland wie in Italien sind die Kongresse der Gelehrten, der Künstler, der Gewerbtreibenden wie Sturmvögel den blutigen Einheitskämpfen vorausgezogen. Unter den Deutschen schritten die Studenten allen voran, und nichts bezeichnet so deutlich das harmlose politische Stillleben jener Tage. Lange bevor die Männer auf den Gedanken kamen, sich über ihre ernsten gemeinsamen Interessen zu verständigen, regte sich in der Jugend der Drang, die gemeinsamen Träume und Hoffnungen auszutauschen, in phantastischem Spiele der idealen Einheit des Vaterlandes froh zu werden. — Das Jubelfest der Reformation erweckte überall unter den Protestanten ein srohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe sang in diesen Tagen: „ich will in Kunst und Wissenschaft wie immer protestieren". Die Studentenschaft ward von dieser Stimmung der Zeit um so stärker ergriffen, da ihr der christlich-protestantische Enthusiasmus des Befreiungskrieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen Verbrüderungsfestes der deutschen Burschen zuerst in Jahns Kreise aufgetaucht war, beschloß die Jenenser Burschenschaft den Versammluugstag auf den 18. „des Siegesmonds" 1817 zu verlegen, um damit zugleich das Jubelfest der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorst, alle die hohen Gestalten der Führer des Deutschtums gegen das wälsche Wesen flössen in den Vorstellungen der jungen Brauseköpfe zu einem einzigen Bilde zusammen. Den Radikaleren galt Luther als ein republikanischer Held, als ein Vorkämpfer der freien „Überzeugung"; in einer Festschrift von Karl Sand, die unter den Burschen verteilt ward, erschien die evangelische Lehre von der Freiheit des Christenmenschen mit modern-demokratischen Ideen phantastisch verbunden. „Hauptidee unseres Festes", hieß es da, „ist, daß wir allzumal durch die Taufe zu Priesteru geweiht, alle frei

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 68

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
68 V. Pfizer, Stellung von Österreich und Preußen. Erniedrigung und seinen Anteil an der Weltgeschichte fordern und erhalten. — 17. Brief. Stellung von (Österreich und Preußen gegen das übrige Deutschland. Gewiß kann kein Deutscher, für den dieser Name noch eine Bedeutung hat, ohne ein Gefühl schmerzlicher Wehmut daran denken, daß das deutsche Volk in der Reihe der Nationen einst nicht nur zählte, sondern ohne Widerspruch die erste Stelle einnahm, als es noch einen deutschen Kaiser und ein Deutschland gab. Aus fernen Jahrhunderten, aus den Zeiten der sächsischen, fränkischen und schwäbischen Kaiser, klingen Töne, leuchtet noch ein Widerschein zu uns herüber, sagenhaft, dämmernd und berauschend für das vaterländische Herz, das ungerne dem Traume einer ruhmvollen Vergangenheit sich entreißt, ja die Zeit ist nicht so gar entfernt, wo mancher noch eine Wiederauferstehuug jenes wundersamen heiligen römischen deutschen Reichs für möglich hielt, vielleicht sogar erwartete und auf den Erben seines Kaisernamens einen Blick der Sehnsucht richtete. Doch die Wirklichkeit, die mit leeren Träumen sich nicht zwingen, mit einer thatlosen Trauer sich nicht abfinden läßt, besteht auf ihrem Rechte und wird nicht müde, uns zu predigen, daß wir nicht berufen sind, vom Nachlaß der Vergangenheit zu zehren, daß wir, um zu genießen, selber kämpfen und erwerben, und statt auf den Schultern unserer Voreltern zu ruhen, auf eigenen Füßen stehen müffen. Nicht in weichlicher, kraftloser Sehnsucht sollen wir uns verzehren, vom Winter keine Blüten erwarten, vom verdorrten Baum keine Frucht verlangen. Was einmal vorüber ist, kommt nicht wieder, denn die Geschichte weiß nichts von jenen Restaurationen, mit welchen sich die kurzsichtige Weisheit der Menschen brüstet. Alle Versuche dieser Art, verlebte Zustände durch die Kraft menschlicher Berechnung zurückzuführen, die Vergangenheit zu verjüngen und ein entflohenes Leben wieder zu baunen, von Philopömen und Julian dem Apostaten bis auf die neueste Restauration der Bourbons und des Papstes, haben im glücklichsten Falle nichts als ein kraftloses, kränkelndes Scheinleben, einen bleichen Schatten besserer Zeit heraufbeschworen. Sie sind mißlungen und mußten mißlingen, weil sie dem Gesetz des Lebens widerstreiten, das die Natur und die Geschichte beherrscht. So wenig als aus einer verwesten Pflanze dasselbe Gewächs wieder hervorkeimt, sondern ein

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 69

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
V. Pfizer, Stellung von Österreich und Preußen. 69 anderes, wenn auch ihr ähnliches, ebensowenig wiederholt sich die Geschichte jemals ganz auf dieselbe Art wieder. Der Strom der Zeit läßt sich nicht gegen seine Quelle zurückdrängen, es giebt keinen Zauberspruch, das Tote wieder zu erwecken, immer neue Gestalten drängen sich, aber das Erstorbene wird nie in derselben Gestalt wieder lebendig, wenn es auch Gesetz der Welt und Ordnung der Natur ist, daß aus Tod und Verwesung neues Leben hervorgeht. So wenig als diesseits des Grabs die Toten auferstehen, so wenig wird daher Österreich, einst der Erbe deutschen Ruhms und deutscher Herrlichkeit, für Deutschland je wieder das werden, was es einst gewesen. Eine Kluft von drei Jahrhunderten hat sich zwischen seiner Gegenwart und seiner Vergangenheit aufgethau, die nicht mehr rückwärts übersprungen werden kann. Hätte freilich Österreich beint Beginn der Reformation es verstanden, dem Impuls der neuen Zeit zu folgen, ihre Bedeutung aufzufassen und zu nützen, ihren Forderungen zu genügen und sie dadurch zu beherrschen, so wäre Österreich heute noch das erste Reich der Welt, und im Mittelpunkt Europas festgewurzelt an der Spitze jener großen europäischen Bewegung weiterschreitend, würde es auch zum Lichtpunkt Europas und zum Brennpunkt der Civilisation geworden sein. Statt dessen hat Österreich vorgezogen, sich mit aller Kraft dem Strome der Ereignisse entgegenzustemmen und dadurch allerdings dessen Macht zu brechen, eben damit aber auch in entschiedene Opposition gegen das übrige Deutschland zu treten, dem es durch seine Verblendung gegen das herein-dtingende neue Geisteslicht den Segen in einen Fluch verwandelt und tiefe, fast unheilbare Wunden geschlagen hat; und wollte Österreich jetzt wieder in die verlassene Bahn einlenken, so wäre es jetzt zur Umkehr zu spät und der Rückweg unmöglich geworden. Auch scheint Österreich keineswegs seinen Ehrgeiz auf ein solches Ziel zu richten; es ist Deutschland fremd geworden, hat zuerst gezwungen und dann freiwillig seinen Ansprüchen auf die Hegemonie entsagt, und die gewaltigen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit haben nur einen Bruch vollendet, der vor dreihundert Jahren schon begann. Österreich hat seinen deutschen Rainen gegen einen europäischen vertauscht und sieht nun allem, was wir von deutschem Eigentums noch gerettet haben, allem, worauf Deutschland noch einen Stolz setzen darf, seinem geistigen Leben, seiner Litteratur, seinen Hochschulen, schroff, man könnte sagen feindselig, gegenüber. Wenn daher Österreich, um nicht in sich selbst zu zerfallen und von den Fluten einer
   bis 10 von 21 weiter»  »»
21 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 21 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer
Auswahl:
Filter:

TM Hauptwörter (50)50

# Name Treffer  
0 0
1 7
2 0
3 2
4 14
5 1
6 0
7 1
8 0
9 0
10 15
11 0
12 2
13 0
14 0
15 0
16 0
17 0
18 1
19 0
20 0
21 0
22 0
23 0
24 0
25 26
26 0
27 0
28 58
29 1
30 0
31 0
32 0
33 0
34 2
35 1
36 0
37 25
38 2
39 2
40 0
41 0
42 0
43 1
44 0
45 21
46 0
47 0
48 0
49 0

TM Hauptwörter (100)100

# Name Treffer  
0 0
1 4
2 0
3 3
4 0
5 0
6 0
7 0
8 5
9 4
10 0
11 0
12 0
13 0
14 0
15 0
16 1
17 6
18 0
19 2
20 0
21 0
22 0
23 0
24 0
25 0
26 0
27 0
28 0
29 1
30 0
31 0
32 0
33 0
34 1
35 1
36 0
37 0
38 0
39 0
40 0
41 4
42 0
43 5
44 0
45 8
46 2
47 0
48 0
49 1
50 0
51 4
52 5
53 0
54 0
55 0
56 0
57 0
58 0
59 1
60 7
61 2
62 0
63 1
64 0
65 0
66 0
67 0
68 1
69 0
70 0
71 1
72 0
73 0
74 0
75 0
76 0
77 3
78 0
79 0
80 0
81 1
82 1
83 0
84 0
85 0
86 0
87 1
88 0
89 0
90 1
91 0
92 14
93 0
94 1
95 0
96 0
97 0
98 2
99 0

TM Hauptwörter (200)200

# Name Treffer  
0 0
1 1
2 0
3 1
4 0
5 3
6 0
7 29
8 0
9 2
10 0
11 0
12 3
13 0
14 0
15 0
16 0
17 4
18 0
19 2
20 0
21 1
22 0
23 0
24 0
25 0
26 1
27 0
28 2
29 6
30 0
31 1
32 0
33 18
34 2
35 8
36 0
37 0
38 0
39 4
40 0
41 0
42 0
43 0
44 0
45 0
46 0
47 3
48 0
49 0
50 1
51 1
52 14
53 0
54 26
55 0
56 0
57 0
58 1
59 26
60 5
61 0
62 3
63 1
64 0
65 1
66 0
67 70
68 0
69 0
70 0
71 28
72 0
73 3
74 4
75 1
76 0
77 0
78 3
79 0
80 0
81 15
82 3
83 0
84 0
85 0
86 0
87 2
88 3
89 0
90 0
91 11
92 0
93 0
94 0
95 0
96 0
97 0
98 4
99 0
100 14
101 0
102 5
103 0
104 0
105 0
106 0
107 0
108 0
109 1
110 1
111 2
112 0
113 0
114 0
115 0
116 1
117 2
118 0
119 0
120 0
121 3
122 1
123 0
124 0
125 0
126 0
127 5
128 0
129 0
130 1
131 6
132 0
133 0
134 0
135 0
136 84
137 0
138 0
139 0
140 0
141 2
142 0
143 0
144 0
145 0
146 0
147 0
148 4
149 0
150 0
151 2
152 4
153 0
154 1
155 1
156 1
157 3
158 0
159 2
160 0
161 3
162 0
163 0
164 1
165 2
166 15
167 1
168 0
169 0
170 0
171 0
172 0
173 5
174 4
175 10
176 9
177 8
178 0
179 3
180 0
181 0
182 39
183 51
184 0
185 0
186 0
187 0
188 0
189 0
190 0
191 0
192 0
193 0
194 0
195 0
196 1
197 0
198 3
199 5