1857 -
Glogau [u.a.]
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- Autor: Schneider, Karl Friedrich Robert
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Europa. Die Kulturverhältnisic der Bewohner.
Vierter Abschnitt.
Die Kulturverhältnisse von Europa.
§. 37. Auf dem verschieden gestalteten Boden, unter den verschiedenen Verhält-
nissen, in denen Wasser und Land zu einander stehen, unter den verschiedenen Ein-
wirkungen, welche die klimatischen Verhältnisse, welche die natürlichen Erzeugnisse der
Länder ausüben, entwickeln sich aus dem durch die Rassen - und Sprachenverschiedenheit
bedingten Wesen der Völker unter dem gestaltenden Einflüsse der religiösen Ueber-
zeugungen und Anschauungen die verschiedenen Kulturverhältnisse der Völker,
ihr Wesen, ihre gesellschaftlichen und ihre staatlichen Verhältnisse. Europas Völker
sind durch die eigenthümlichen Terrainverhältnisse ihres Erdtheiles, durch die für geistige
und leibliche Thätigkeit und Regsamkeit günstigen klimatischen Verhältnisse, unter denen
auch die für das menschliche Dasein nothwendigsten Bedürfnisse erzeugt und angebaut
werden können, durch die reiche geistige Ausstattung ihrer vorherrschend kaukasischen
Völker, durch die hohen Segnungen des Christenthums vor allen Völkern der Erde
ausgezeichnet und reich gesegnet, durch seine ozeanische Lage berufen, auch den andern
Erdtheilen diese Segnungen mitzutheilen. Die in den wahrhaft menschlichen Einrich-
tungen und Gebräuchen seiner Völker sich aussprechende Civilisation oder Sit-
tigung, die durch Künste und Wissenschaften veredelten gesellschaftlichen Verhältnisse
oder die Kultur, und die in harmonischer Entwickelung aller geistigen und sittlichen
Kräfte gegründete wahrhaft menschliche Bildung haben in keinem andern Erdtheile
die Ausbildung wie in Europa gewonnen; es überragt hierin alle übrigen Erdtheile,
sowohl intensiv auf höhere Entwickelung in seiner Literatur gehend, als extensiv
auf Verbreitung und Anwendung der gewonnenen Kenntnisse in Schulen, Gewerben,
im Handel. Wer will mit europäischer Literatur, mit europäischen Erfindungen und
Maschinen, mit der vielseitigen Verarbeitung der Rohstoffe in die Schranken treten?
Europa ist, wenn auch nicht Wiege, doch Säugamme und Ausbildnerin aller hohem
Geisteskultur, des religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, gewerblichen und politischen
Lebens, der Bildungsheerd für alle Völker der Erde geworden.
§. 38. Verschieden ist der Antheil, den die verschiedenen Völker von Europa zu
verschiedenen Zeiten an der Kulturentwickelung genommen haben; in den vorchristlichen
Zeiten waren die griechischen Völker die Träger und Erreger des wissenschaftlichen
und künstlerischen, des gesellschaftlichen und des politischen Lebens, die romanischen
Völker, namentlich Italien und Spanien, haben später diesen Beruf gehabt, Por-
tugal und Spanien sind die Länderentdecker geworden, haben die meisten außer-
europäischen Länder dem Einwirkungskreise der Europäer näher gebracht, Italien hat
in den Zeiten vor der Reformation Künste und Wissenschaften gepflegt, die kirchlichen
und politischen Verhältnisse und Formen ausgebildet; Frankreichs Einwirkungen
sind mehr auf äußere Formen im staatlichen, im bürgerlichen, im gewerblichen Leben
gerichtet gewesen, sie haben durch Sprache und Waffen nach der Herrschaft über Europa
gestrebt, offen oder versteckt in die Staatsverhältnisse von Europa eingegriffen, oft im
Trüben gefischt. — Die germanischen Völker haben mehr auf das tiefe, innere
Volksleben eingewirkt, in den frühern Zeiten waren es die Skandinavier, dann die
Engländer und die Deutschen, diese besonders seit den Zeiten der Reformation.—
Die wichtigsten Erfindungen, Buchdruckerkunst, Schießpulver, Dampfmaschinen, die
eine weltgeschichtliche Bedeutung gewonnen haben, sind von den Völkern des germa-
nischen Stammes gemacht, der übrigen wichtigen Erfindungen zu geschweigen, die von
geringerer, aber doch immer noch von großer Bedeutung sind, wie das Spinnrad, die
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Europa. Die Rangordnung der europäischen Staaten.
Großbritannien, Oesterreich und Preußen haben sich jetzt die größte politische Bedeutung
in Europa errungen; sie werden die europäischen Großmächte genannt, und üben
den größten Einfluß auf die Gestaltung und Erhaltung der politischen Verhältnisse in
Europa aus, Rußland als der Repräsentant des slavischen, Frankreich als der des
romanischen, Gr. Britannien, Oesterreich und Preußen als die Repräsentanten des ger-
manischen Hauptvölkerstammes; die Bedeutsamkeit der letztem wird durch ihre gliedliche
Verbindung mit den übrigen deutschen Staaten im deutschen Staatenbunde bedeutend
erhöht, so daß sie .ein mächtiges Gewicht in die politische Wagschale von Europa
legen; Preußen und Großbritannien sind weniger durch die Größe ihres Gebiets, mehr
durch die geistige und gewerbliche Kraft ihrer Völker und ihrer Staatseinrichtungen in
die Reihe der 5 Großmächte getreten. Das türkische Kaiserreich, früher von ganz
Europa wegen der rohen Stärke seines fanatischen Schwertes gefürchtet, ist jetzt ohne
große Bedeutsamkeit. Zu den Staaten des zweiten Ranges rechnet man
Spanien, Schweden mit Norwegen, die Niederlande, Belgien, Neapel mit Sizilien,
Sardinien, Portugal und Baiern. — Als Staaten des dritten Ranges werden
Dänemark, der Kirchenstaat, Toscana, Griechenland, die deutschen Königreiche Wür-
temberg, Sachsen und Hannover, die Großherzogthümer Hessen, Weimar, Oldenburg,
Meklenburg, die ganze Eidsgenossenschaft genannt. Die übrigen Staaten gehören zu
den Staaten des vierten Ranges.
tz. 83. 7 europäische Staaten besitzen Kolonien oder Niederlassungen,
zum Theil von bedeutender Größe, die sich in allen Erdtheilen befinden. Am bedeu-
tendsten sind die Kolonien von Großbritannien. Die Kolonien von
Großbritannien sind 112,144 Q. M. groß mit 1184 Mill. E.
Frankreich mit Algerien „ 13,224 „ „ „ „ 35 „ „
Rußland „ 303,172 „ a a a 5 „ „
Niederlande „ 5,214 „ a a a 10 „
Portugal „ 43,544 „ a a a li „
Spanien „ 5,036 „ a a a 4s " „
Dänemark „ 375z „ a n ii 109,000 f]
tz. 84. Europa zeigt eine Dreiheit in dem Lagenverhältniß seiner Länder;
es hat eine ozeanische Seite im Nw, eine mediterrane im 8>V, und eine
kontinentale im O. Mit dieser Dreiheit steht eine Dreiheit in der Vertheilung der
europäischen Völkerfamilien in inniger Verbindung; die ozeanische Nordwestseite
hat die Völker der germanischen Völkerfamilie aufgenommen, die mediterrane
Südwestseite die romanischen, die kontinentale Ostseite die slavischen Völker.
In diesen verschiedenen Länder- und Lagenverhältnissen haben sich diese Völker bei ihren
verschiedenen geistigen Eigenthümlichkeiten nicht blos kirchlich, sondern auch staatlich
verschieden entwickelt; unter den germanischen Völkern haben sich vorzugsweis die
evangelischen Kirchen, unter den romanischen die katholische, unter den
slavischen die griechische Kirche ausgebildet, sind 3 verschiedene Staaten-
sy stem e mit ihren Eigenthümlichkeiten entstanden:
1) die germanischen Staaten im ozeanischen Nordwesteuropa mit vor-
waltendem Protestantismus;
2) die romanischen Staaten im mediterranen Südwefteuropa mit vor-
waltendem und ausschließlichem Katholizismus;
3) die slavischen Staaten im kontinentalen Osteuropa mit der vor-
herrschenden griechischen Kirche.
Hierzu gesellt sich als fremder Eindringling aus dem Orient, der europäischen
Bildung fremd,
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Europa. Das Königreich Preußen. Lage, Form und Größe 695
Holstein-Lauenburg, die beiden Lippe, Waldeck, Churhessen, Luxemburg, Nassau,
Sachsen-Weimar, S. Coburg-Gotha, S. Meiningen-Hildburghausen, S. Alten-
burg, die beiden Reuß, die beiden Schwarzburg, die beiden Anhalt, das Königreich
Sachsen, also im Ganzen 27, Norddeutschland an; Oesterreich, Baiern, Würtemberg,
Hohenzollern Hechingen und Sigmaringen, Liechtenstein, Baden, Großh. Hessen,
H. Homburg, Frankfurt a.m, also 10, sind die süddeutschen Staaten. Norddeutsch-
land ist demnach weit mehr als Süddeutschland in einzelne Staaten zertheilt, am
größten ist die politische Zertheilung zwischen Harz und Thüringerwald bis zum Wester-
wald hin. Wir gehen zur Betrachtung der einzelnen Staaten über.
A. Die norddeutschen Staaten.
i. Aas Königreich Preußen.
§. 1. Lage. Preußen ist der Hauptstaat von Norddeutschland; hier liegt sein
Staatsgebiet zwischen 23'/2 und 40 '/2 0 östl. Lange, zwischen 49 und 560 nördl.
Breite; ein kleiner abgetrennter Staatstheil, Neuenburg, liegt in der Schweiz zwischen
24 — 25 0 östl. Lange, unter dem 49.0 nördl. Breite. Preußen hat kein zusammen-
hängendes Staatsgebiet, es besteht in seiner Hauptmasse, den kleinen Landestheil
Neuenburg ausgenommen, aus 2 Haupttheilen und mehrern kleinern Landestheilen,
die als Enklaven oder Einschlüsse in fremden Landesgebieten liegen, während
auch fremde Staatsgebiete als Enklaven vom preußischen eingeschlossen sind. Der
größere Haupttheil ist der No von Deutschland, der kleinere sein Nw, zwischen beiden
liegen andere deutsche Staatsgebiete. Diese eigenthümliche, auf den ersten Anblick
unvortheilhaft erscheinende Bildung des Staatsgebiets ist für Preußens Entwickelung
wichtig geworden; sie hat Preußen mit den meisten übrigen deutschen Staaten in Be-
rührung und Verbindung gesetzt, eine Wechselwirkung hervorgerufen, der Preußen zum
Theil seinen größern Einfluß auf Deutschland und dessen Einigung verdankt. Preußen
steht mit allen deutschen Staaten in Verbindung, außer mit Würtemberg, Baden,
beiden Hohenzollern, Liechtenstein, Holstein, den 4 freien Städten; außerdem grenzt
es im 0 an Rußland, im W an die Niederlande, Belgien und Frankreich,
durch Neuenburg steht es mit der Schweiz in Verbindung, die Ostsee trennt und
verbindet es mit Schweden und Dänemark, (sein Handel weist es auf England,
gering ist die Verbindung mit Italien, Spanien, Portugal, Türkei, Griechenland).
Die einzelnen Grenzstaaten und ihre Lage sind leicht aus der Betrachtung guter Land-
karten zu ersehen. Die Grenzlinie ist ohne die der Enklaven 900 Meilen lang, mit
den Enklaven weit größer. Eine fürwahr für das Staatsgebiet sehr große Grenzlinie,
die nur wenige natürliche Bollwerke gegen das Eindringen von Feinden besitzt; möge
Preußen das beste Bollwerk des Volkes Liebe und Treue zu König und Vaterland fort
und fort verbleiben!
§.2. Form und Größe. Der Osttheil des Staatsgebiets gleicht in seiner
horizontalen Umrandung einem unregelmäßigen, fliegenden Adler: die Krone ist die
Insel Rügen, der Kopf Pommem, die Brust Brandenburg, der ausgebreitete Ostflügel
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Europa. Die norddeutschen steten Städte. Lübeck.
zu 4700 Lasten, worunter 3 Dampfschiffe; über 6'/2 Meilen Chausseen, 6>/3 Meilen
Eisenbahn nach Büchen in Holstein, die Vertiefung der Trave bei der Einfahrt von
Travemünde auf 18, von da bis Lübeck auf 14' erleichtern den Handelsverkehr; zwei
Dampfbagger und mehrere Handbaggermaschinen erhalten das Fahrwasser in gehöriger
Tiefe; alljährlich laufen gegen 1000 Schiffe ein, der Werth der eingeführten Waaren
betrug 1850 über 2401/3 Mill. Mark, wovon 553/t M. auf den Land-, 184'/2 auf
den Seeverkehr kommen; sehr groß ist die Zahl der kleineren Flußschiffe; 11 — 12
Dampfschiffe erhalten einen lebhaften und regelmäßigen Verkehr mit Dänemark, dem
südlichen Schweden, Norwegen und Rußland, auch mit England und Schottland soll
eine regelmäßige Packetbootverbindung angeknüpft werden; jedoch ist Lübeck mehr große
Speditions- als Welthandelsstadt, doch kann es bei seiner Lage zwischen Ost- und
Nordsee, bei seiner schiffbaren Verbindung mit der Elbe, bei den sich immer weiter ver-
breitenden Eisenbahnnetzen wieder große Handelsbedeutung erlangen.
Das jetzige Lübeck wurde, nachdem das an der Schwantoumündung in die
Trave gelegene Alt-Lübeck, Olden-Lubeke, 1138 durch die Wenden zerstört worden,
1143 durch den Grafen Adolph ll. von Holstein-Schauenburg erbauet, 1158 an Heinrich
den Löwen abgetreten, der es ausbaute, städtisch einrichtete und viele Privilegien ertheilte,
durch welche es rasch aufblühte; das von ihm ertheilte Lübische Recht ist Stadtrecht
vieler Städte geworden und geblieben; nach manchen Wechselfällen wurde es 1226
durch Kaiser Friedrich tl. zur freien Reichsstadt erhoben, von welcher Zeit sich Lübecks
Ansehen und Macht hob; Lübeck wurde der erste norddeutsche Stapelplatz, beherrschte
den ganzen Ostfeehandel, seine Flotten befuhren das Mittelmeer. 1241 begründete
Lübeck mit Hamburg, Bremen und andern nordischen Handelsstädten den Hansabund,
und wurde natürliches Haupt der mächtigen Hansa deutscher Kaufleute, seine Flotten
beherrschten die Ostsee, seine Stimme entschied über die Angelegenheiten der nordischen
Reiche, kräftig, muthig, einsichtsvoll, im Besitz großer Reichthümer war seine Bevöl-
kerung, die sich zur Zeit der höchsten Blüthe auf 100,000 belaufen haben soll; mehr
wie einmal führte es mit Dänemark und dem ganzen skandinavischen Norden siegreiche
Kriege, 1329 erwarb es Travemünde, 1420 eroberte es mit Hamburg gemeinsam die
Vierlande. Mit der steigenden Macht der Fürsten und der zunehmenden Lässigkeit
ihrer Glieder sank zu Ende des 16. Jahrhunderts die Macht der Hansa und mit ihr
die von Lübeck, die sie jedoch noch länger als viele der übrigen Hansestädte behauptete;
mit den veränderten Handelsrichtungen sank auch Lübecks merkantilische Bedeutsamkeit;
viel litt Lübeck in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Kriege zwischen Dänemark
und Schweden, zwischen dem Reich und Frankreich und Schweden; 1802 erhielt sich
Lübeck seine Reichsunmittelbarkeit, 1806 wurde es von den Franzosen erstürmt und
3 Tage lang geplündert, über 11 Mill. Frks. Verluste, 1810 dem stanz. Kaiserreiche
einverleibt; 1815 wurde ihm die frühere Unabhängigkeit völlig zurückgegeben.
Wohl in keiner deutschen freien Reichsstadt haben sich alte Einrichtungen so rein
als in Lübeck erhalten; das Jahr 1848 hat auch hier in Vieles gewaltsam hineinge-
griffen; fast Alles außer dem Ackerbau wurde zünftig betrieben, die Großhändler bildeten
6 Kaufmannskompagnien oder bürgerliche Collegien (die Junker- oder Cirkelcompagnie,
Schonen-, Nowgorod-, Bergen-, Riga- und Stockholmfahrer), jede mit eigenem Ver-
sammlungshause; ihnen entsprechend die Arbeitercorporationen; den Kleinhandel betrieben
die Gewandschneider- und Krämercompagnien; bedeutsam ist die Brauerzunft; die ver-
schiedenen Zünfte haben ihre Amtshäuser; die Seefahrer bilden die Compagnie der
Schiffergesellschaft, in ihrem Versammlungshause werden viele alte Schiffsmodelle rc.
aufbewahrt. Nach der ältern Verfassung vom Jahre 1669 bestand der Senat aus
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1351
Europa. Das Königreich der Niederlande oder Holland.
einer wohlbemannten Flotte von etwa 100 Kriegsschiffen, deren heldenmüthige Admirale Tromp,
Ruhter, van Galen durch ihre Siege und Schlachten aus allen Meeren fast ihre Namen, bei Spaniern,
Engländern, Franzosen und Schweden geachtet und gefürchtet gemacht haben; große Reichthümer
stoffen inö Land und gestalteten mächtig alle, auch die politischen Verhältniffe; Brügge war im
Uten, Antwerpen im löten Jahrhundert Haupthandelöplatz, später zog sich der Handel nach
Amsterdam, wo er vom Ende deö löten bis gegen Ende des 19ten Jahrhunderts eine nie
gekannte Blüthe erreichte, aber in den 9oer Jahren des letzten Jahrhunderts und in den ersten
10 Jahren dieses Jahrhunderts unter französischer Verwaltung durch den Verlust seiner Kolonien
den empfindlichsten Todesstoß erlitt, von dem er nach Zurückgabe nur eines Theils der frühem
Kolonien im Jahre 1815 eine größere, aber nie die frühere Lebenskraft wieder erlangt hat. —
Seit der Trennung Belgiens von Holland hat der niederländische Handel einen größern Auf-
schwung erhalten. 1849 belmg die Einfuhr gegen 276. die Ausfuhr 217'/s Mill. Fl., 1850
jene 284'/2, diese 230 Mill. Fl., wovon gegen 66 Mill. Fl. Einfuhr aus den asiattscheu und
afrikanischen Kolonien. Amsterdam, Rotterdam und Middelburg sind die Haupthandels-
Plätze, Brielle, Dortrecht, Enkhuizen, Delft, Medemblik, Zierlkzee die Haupthafenstädte.
Sehr gefördert wird der Verkehr durch die niederländische Bank und die niederländische Handels-
Gesellschaft. Die jetzt gangbare Münze ist der Gulden nach dem 24fl.-Fuß, 17 Sgr. preuß.,
er hat 100 Cents oder 20 Stüber; die gangbaren Silbermünzen 3-, I-, '/r - Guldenstücke,
25 Cents oder Kwartje, 10 Cents oder Dubbeltje, 5 Cents oder Stuiver. In Gold giebt es
Io- und 5-Guldenstücke oder früher bestanden noch andere Münzsorten. Alle
Maaße und Gewichte sind nach dem Dezimalsystem eingetheilt. Die Handelsflotte besteht
aus 7ooo Fahrzeugen, wovon 2000 für weite Fahrten, Ostindienfahrer, Wallflschfänger u. s. w.
§. 10. Geschichtliches. Die ersten bekannten Bewohner der niederländischen
Ebene und der Rheinmündung waren germanische Völker, Bataver auf den Rhein-
und Maasinseln, Friesen im No derselben; die Römer unterwarfen sie ihrer Herrschaft,
aus der sie zu Ende des 4. Jahrh, von den salischen Franken verdrängt wurden; die
Niederlande wurden später ein Theil des Reiches Karls des Großen, gehörten zu Lotha-
ringen, bildeten später dessen 2. Provinz Niederlotharingen, in welcher mehrere Lehns-
herrn sich größere Macht errangen, worunter auch die Grafen von Holland, von denen
Graf Wilhelm Ii. im Jahre 1274 zum römischen König gewählt wurde. Nach und
nach kamen die einzelnen niederländischen Landschaften an das Haus Burgund und durch
dieses an Oesterreich, 1512 wurden sie dem 10. Kreise des deutschen Reiches, dem Bur-
gundischen zugetheilt.
Die Städte und Gemeinden genoffen, besonders in den Meerbezirken, große Freiheiten,
unter denen sich auch die Macht und Bedeutung des dritten Standes entwickelte; der Adel, seine
Bedeutung bewahrend, erhielt nur Einfluß, wenn er sich an die Spitze des Volkes stellte.
Mancherlei Parteiungen innerhalb der einzelnen Landschaften zerrütteten dieselben und bildeten
die Herrschaft des Hauseö Burgund mehr aus. Kaiser Karl V., in den Niederlanden geboren,
begünstigte Handel und Schifffahrt, das Land erlangte unter ihm einen hohen Wohlstand;
schwer lastete seines Sohnes und Nachfolgers Philipp 11. Herrschaft und Tyrannei auf dem
Lande, besonders durch Herzogs Alba Regierungsweise; die reformirten Bewohner der nördlichen
Landschaften vereinigten sich, ein Jahr nach Herzog Alba's Ankunft in Brüffel, im Jahr 1569,
um ihre Freiheit, ihre Religion zu wahren, zu vertheidigen, zu erhalten. 80jährige Kämpfe
entbrannten, reich an Zügen der hochherzigsten, hingebendsten Vaterlandsliebe und Tapferkeit;
die Trennung der 7 nördlichen Landschaften von Spaniens Herrschaft, die Bildung der Republik
der 7 vereinigten Staaten erfolgte; unsterbliche Verdienste um dieselben hat sich ein deutschn
Prinz, Wilhelm von Naffau - Oranienburg, erworben, der 1584 durch Mörderhand zu Delft
fiel; sein Sohn Moritz wurde an seinem Todestage zum Statthalter der Niederlande erwählt,
an der Spitze der Republik mit einem Theile der ausübenden Macht bekleidet. Holland, Geldern
Zeeland, Utrecht, Friesland, Over-Mel und Gröningen waren die 7 vereinten Staaten, unter
ihrem Schutze stand die mit Gröningen vereinte Landschaft Drenthe, mit ihnen verbunden waren
die sogenannten Generalitätslande holländisch Flandern, Nordbrabant, Mastricht und einige
Stucke von Limburg und dem spanischen Geldern, die, durch Waffengewalt unter ihre Bot-
mäßigkeit gebracht, keine politischen Rechte besaßen.
Wilhelm von Oranten gründete die vereinigten Staaten, sein Sohn Moritz brachte sie zu
hoher Blüthe, zu Macht, Ansetzn, Reichthum; während seiner Regierung wurde die ostiudtschc
Compagnie gegründet, die von so entscheidendem Einfluß auf Macht und Reichthum der
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Europa. Wohnungen und Wohnorte der Bewohner.
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Taschenuhren, die Spinn - und Webemaschinen, die Lithographie u. s. w.; an der Aus-
bildung der Wissenschaften in allen ihren Zweigen haben die germanischen Völker den
größten Antheil genommen, dieselben am meisten, am tiefsten gefördert; sie sind die
Träger der Wissenschaft, eines tief religiösen Lebens; unter ihnen ist am meisten und
allgemeinsten gründliche Bildung verbreitet, besonders da, wo das Wort Gottes Eigen-
thum des Volkes und in seinen Händen ist; unter den Völkern des germanischen
Stammes ist am meisten fürs Schulwesen gesorgt, ist Schulunterricht am meisten
verbreitet; die slavischen Völker sind zuletzt auf dem Schauplatz der europäischen
Geschichte aufgetreten; Fürsten germanischen Stammes haben zum Theil sie zuerst
auf denselben geführt; obgleich bildsam und begabt, stehen sie noch auf geringer Stufe
ihrer Entwickelung, die westlichen und südlichen Slaven haben zum Theil nie eine große
Bedeutung gehabt, zum Theil dieselbe verloren, sind jetzt ohne politische Bedeutung,
alle seit dem Falle Polens sind untergeordnete Glieder anderer Staaten geworden; die
Russen gehen einer größern Zukunft entgegen. — Die Türken haben nie eine andere
Bedeutung für Europa gehabt, als die der rohen, zerstörenden Gewalt des Schwertes,
wo des Türken Fuß hin tritt, wächst kein Gras mehr; die reichen und schönen Länder,
die sie in Besitz genommen haben, sind verödet und verwüstet, liegen unter einem
historischen Fluche; möchte aus der Fäulniß und Auflösung, der je mehr und mehr der
türkische Leib entgegen geht, eine neue Lebenskraft in die so reich von der Natur aus-
gestatteten Glieder dringen!
§.39. E u r o p a ist der K u l t u r h e e r d für die andern E r d t h e i l e; in frühern
Jahrhunderten haben Spanier und Portugiesen auf die fremden Erdtheile gewirkt,
wenn auch nicht immer auf eine erfreuliche und zu rechtfertigende Weise; europäische
Kultur verbreitet sich besonders seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr
über die Erde; Deutsche, Franzosen und Engländer sind die Hauptdarsteller
und Beförderer europäischer Kultur; die Deutschen tragen durch Auswanderungen
und ihre Literatur deutsche Sitte, deutsches Wissen und Können besonders hinüber nach
Amerika, doch auch in andere Erdtheile; Franzosen haben ihre Haupteinwirkung in
Nordafrika gefunden, suchen sie auch in andern Gegenden, am großartigsten ist der
Einfluß der Engländer, Nordamerika und Südasien, Südafrika und Australien
und die Inselwelt sind die Hauptschauplätze ihrer Thätigkeit; sie haben in der ganzen
Welt ihre Stationsplätze, ihre Waaren dringen zum Theil ihnen selbst voran in ihren
Füßen bis jetzt noch verschlossene Länder^ wie z. B. ins Innere von Afrika, und sind
die Vorläufer und Anbahner der europäischen Kultur. — Rußland wirkt auf Nord-
und Westasien ein.
1. Wohnungen und Wohnorte.
§. 40. Die europäischen Völker haben meist schon stehende Wohnsitze gewonnen;
verhältnißmäßig sehr gering ist die Zahl der nomadisch umherziehenden Völkerschaften,
fast nur auf den südöstlichen Steppenosten beschränkt, wo die tatarischen und mon-
golischen Völker ihre Zelte bald da, bald dort aufschlagen, dahin und dorthin mit
ihren Heerden ziehen. Aehnliches gilt zum Theil von den Lappen in Nordskandina-
vien; herumschweifend und zum großen Theil ohne feste Sitze ist die Lebensweise der
vereinzelt oder in kleinern Haufen lebenden Zigeuner. Groß ist die Zahl der Städte,
der Flecken, der Dörfer und Weiler in Europa, mit Bestimmtheit kaum anzugeben;
ist ja auch der Begriff von Stadt, Flecken und Land in den verschiedenen Ländern ein
sehr schwankender; nicht anzugeben ist die Zahl der Häuser. Verschieden ist in den
verschiedenen Ländern das äußere und innere Ansehen der Städte und Dörfer, ver-
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Europa. Die Rangordnung der europäischen Staaten.
England, Oesterreich und Frankreich haben unter den jetzt bestehenden
Staaten in Europa das größte Alter; sie haben als selbstständige Staaten ihren Anfang
im 9. Jahrhundert genommen, England i. I. 827 durch Egbert den Großen, seit
1707 und 1800 mit Schottland und Jreland vereint, Oesterreich als heiliges
römisches Reich 843 durch den Vertrag von Verdun, zur selben Zeit auch bei derselben
Gelegenheit Frankreich; als österreichisches Kaiserreich besteht jenes aber erst seit
1804, seit der völligen Auflösung, des deutschen Reichs. Dänemark hat seine
Selbstständigkeit 863 genommen, Schweden und Norwegen zu Anfang des
11. Jahrhunderts, seit 1814 sind beide mit einander zu einem Staate verbunden.
Die Königreiche Portugal und Neapel mit Sizilien nahmen ihren Anfang im
ersten Drittel des 12. Jahrhunderts, der Kirchenstaat zu Anfang des 13., das
Kaiserthum Rußland als Czaarthum im letzten Drittel des 15., Spanien als ein
Königreich zu Anfang, die Niederlande als selbstständige Republik zu Ende des 16. Jahr-
hunderts, Preußen hat sich in seiner Entwickelung aus dem Herzogthum Preußen
1665 erhoben, weil in diesem Jahre dies Herzogthum von Polen seine Selbstständigkeit
gewann, als Königreich besteht es seit 1701, als Churfürstenthum Brandenburg weit
früher; das Königreich Sardinien nahm seinen Anfang 1720. Die übrigen Mo-
narchien haben in ihrem jetzigen Bestände ein weit geringeres Alter, die Königreiche
Baiern, Würtem berg und Sachsen verdanken ihr Königthum dem Kaiser Na-
poleon, ihr staatliches Bestehen, wennauch in anderer Weise und Ausdehnung, ist
jedoch weit ältern Ursprungs; dasselbe gilt auch vom Großherzogthum Baden; mehrere
Fürsten aus der französischer^-Kaiserzeit sind verschwunden. Die übrigen deutschen und
europäischen Staaten sind erst seit den Jahren 1803, 1806 und 1814 und 15 in
ihrer jetzigen Gestalt entstanden oder begründet worden. Die Königreiche Griechen-
land und Belgien sind die jüngsten in der Reihe der selbstständigen europäischen
Staaten; jenes, seit 1827 nach langem Freiheitskampfe von den türkischen Fesseln
unabhängig, seit 1832 Königreich mit einem Könige aus dem baierschen Königshause;
dieses, früher Bestandtheil des Königreichs der Niederlande, seit 1831 Erbkönigreich in
einer Nebenlinie des Hauses Sachsen-Koburg-Gotha.— Von den Freistaaten
hat S. Marino das höchste Alter, sein Ursprung soll in das Zeitalter der großen
Völkerwanderung fallen, 1817 wurde er aufs neue vom Pabste anerkannt, von dessen
Staatsgebiet sein Gebiet umschlossen ist; unter den 22 Schweizer Can tonen be-
stehen die 3 Urcantone Schwyz, Uri, Unterwalden seit 1308, Luzern, Zürich, Zug,
Glarus, Bern seit der Mitte des 14., Freiburg und Solothurn seit 1481, Basel,
Schaffhausen, Appenzell seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts, die übrigen Cantone
sind erst später, zum Theil erst in diesem Jahrhundert als selbstständige Cantone hinzu-
gekommen; die 4 freien Städte des deutschen Bundes waren früher freie deutsche
Reichsstädte, seit 1815 sind sie freie Glieder des deutschen Bundes; in demselben Jahre
wurde die Republik der ionischen Inseln unter Englands Schutz selbstständig. Die
Gestaltung der jetzigen Verhältnisse in Europa stammt zumeist aus den Staats-
anordnungen und Verträgen seit dem großen Befreiungskriege her. —
§. 82. Die verschiedene politische Bedeutung, welche die einzelnen Staaten
im europäischen Staatensysteme einnehmen, ist nicht blos von der Größe ihres Staaten-
gebiets abhängig, sondern wird weit mehr durch die Volkszahl, durch die geistige und
gewerbliche Entwickelung ihrer Bewohner, durch die Staatseinrichtungen bedingt, welche
alle mehr oder weniger mit den Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Völkerstämme,
mit den Relief- und Gewässerverhältnissen, mit der mehr ozeanischen oder mehr konti-
nentalen Lage im innigsten Zusammenhange stehen. 5 Stauten: Rußland, Frankreich,
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Europa. Die europäisch-germanischen Staaten.
4) der europaisch-muhamedanische Staat der Türken auf der öst-
lichen, Asien am meisten genäherten Balkanhalbinsel.
Die verschiedenen Völker der mediterranen Seite, die Griechen und Römer,
haben ihre größte Bedeutsamkeit im Alterthum gehabt, im Mittelalter ist Rom und
Italien europäischer Mittelpunkt durch Kirchenregiment, durch Kunst, Wissenschaft
und Handel gewesen, mit der Entdeckung von Amerika ist dieser europäische Mittelpunkt
verrückt worden, haben Spanien und Portugal Weltbedeutsamkeit erlangt, später
hat sich die ozeanische Seite mehr entwickelt, mit der Reformation hat sich die größere
politische und wissenschaftliche, künstlerische und gewerbliche und Handels-Bedeutsamkeit
den germanischen Völkern zugewendet; die slavischen Völker gehen ihrer Zukunft
entgegen; der fremde muhamedanische Eindringling hat lange Europas Völker in
Furcht und Schrecken versetzt, die blühendsten Länder Europas verwüstet, sich selbst
dem bildenden europäischen Einfluß entzogen, scheint immermehr seinem europäischen
Lebensende entgegen zu gehen, welches fast nur durch die Eifersucht der europäischen
Potentaten aufgehalten wird. Wir gehen nun nach dieser Gruppirung zur speciellen
Betrachtung der einzelnen europäischen Staaten und Staatensysteme über, und be-
ginnen dieselbe mit den germanischen Staaten; sie stehen uns am nächsten, denn wir
sind ihres Geschlechts.
Fünfter Haupt-Abschnitt.
Die europäisch-germanischen Staaten
oder
die Staaten der ozeanischen Nordwestseite von Europa.
§. 1. Die germanischen Staaten stehen alle, mehr oder weniger, mittelbar oder
unmittelbar unter dem entwickelnden Einfluß des atlantischen Ozeans, er bespült ihre
Küsten, er umfluthet ihre Inseln und Halbinseln, er dringt mit seinen Busen und
Buchten mehr oder minder tief in und zwischen ihre Ländergebiete, die ihm den größten
Theil ihrer Gewässer entsenden; er setzt sie mit der übrigen Welt in Verbindung; eins
der germanischen Staatenglieder, das britische Inselreich, ist Mittelpunkt des großen
Weltverkehrs, Herrscherin auf allen Meeren, Beherrscherin vieler Länder in allen Erd-
theilen geworden. Zwei Busen des atlantischen Meeres, die Nordsee und die Ost-
see, sind die Meere der germanischen Völker, beide von einander durch die jütische und
die skandinavische Halbinsel getrennt, mit einander durch die schmalen Meeres-Straßen
verbunden, welche die zwischen beiden Halbinseln liegenden dänischen Inseln gelassen,
der Nordsee-Westrand wird von den britischen Inseln gebildet, alle umliegende Länder
haben germanische Bevölkerung, die Ost- und Nordseeländer sind die Heimath der
germanischen Völker, nur im O des Ostseeküstensaums sind Finnen, Lappen und
Slaven, im W des Nordseeküstensaums romanische Völker eingedrungen, die aber bis
jetzt das germanische Wesen nicht ganz zu verdrängen vermocht haben. Dagegen haben
sich die Germanen weithin über die Flüsse und Stromgebiete der Ost- und Nordsee in
Deutschland verbreitet, welches als die rechte Mitte von Europa das Ueberg angs -
glied einerseits zum kontinentalen, andrerseit zum mediterranen Europa bildet und
auch Stromgebiets des schwarzen und des Adriameers enthält, und aus dem konti-
nentalen Osten, als ihr Mündungsland, mehrere Gewässer aufnimmt.
1857 -
Glogau [u.a.]
: Flemming
- Autor: Schneider, Karl Friedrich Robert
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
646
Europa. Deutschland und die deutschen Staaten.
zeichnet in Wissenschaft, thätig in Gewerben, reich an Erfindungen, die großartigsten
weltbestimmenden Erfindungen sind ihr Eigenthum; sie hat frühzeitig die Weltmeere be-
fahren — gedenke der Normanen, — den Welthandel an sich gezogen, die Erdtheile mit
ihrem Volksüberfluß bevölkert, ist dadurch bildendes Element der ganzen Erde geworden.
Gegen 45,000 Q. M. groß, mit 112 Millionen Einwohnern enthält das Gebiet der
germanischen Staaten über >/* der ganzen Oberfläche von Europa, % der ganzen
europäischen Bevölkerung, gegen 2500 Einwohner auf der Q. M., während die ro-
m a nischen Staaten sich über 40,000 Q.m. erstrecken, eine Bevölkerung von 71 Mill.,
eine Volksdichtigkeit von gegen 1800 Einwohner auf Q. M. haben, der slavische
Staat, das europ.rußland, ein Gebiet von fast 100,000 Q.m., einevolkszahl von fast
63 Mill., eine Volksdichtigkeit von c. 630 Einwohner auf Q. M. hat, der muhame-
da n isch e Staat der europäischen Türkei auf c. 10,000q.m. Gebiet nur 12mill. Ein-
wohner, also c. 1200 auf Q.m. zählt. Doch gehört die Bevölkerung der germanischen
Staaten nicht blos der germanischen Völkerfamilie an, sondern sie hat ^ ihrer Gesammt-
bevölkerung andern Völkerstämmen entnommen, besonders celtischen Völkern c. 10 Mill.
in Britannien, slavischen, romanischen, magyarischen zusammen c. 34 — 35 Mill. in
Deutschland, diese dadurch in ihren Einfluß hineingezogen; unter allen germanischen
Staaten hatoesterreich die bunteste Völkermengung aufzuweisen. Verhältnißmäßig gering
sind die fremdartigen Völkerelemente in den romanischen und slavischen Staatensystemen.
Wir beginnen mit der genauern Einzelbetrachtung der deutschen Staaten, mit der
Betrachtung von Deutschland im weitern Sinne des Wortes.
Erster Abschnitt.
Pas germanische Ktaatensystem.
1
Deutschland und die deutschen Staaten.
ß. 4. Deutschland ist Deutschland im engern, ist Deutschland im weitern Sinne
des Wortes; dieses umfaßt alle Staaten und Länder, so weit die deutsche Zunge klingt,
das Land der Deutschen, jenes umfaßt die Länder und Staaten des deutschen
Staatenbundes, welche der Kern und das Ausgangsland der deutschen Staaten
sind; die östlichen deutschen Ostseeländer, Liefland, Esthland, Kurland sind Theile von
Rußland geworden, die deutschen Ostseeländer zwischen Weichsel und Memel sind als
Theile des Königreichs Preußen den übrigen deutschen Ländern näher gerückt; die
Niederlande und Belgien, der ebene Nw, bilden 2 selbstständige Königreiche, die
Schweiz, das Alpenland, im Sw den europäischen Freistaatenbund.
ß. 5, Deutschland ist die rechte Mitte, ist die Brust, das Herz von ganz
Europa, zwischen dem mediterranen Sw und dem ozeanischen Nw gelegen, fast ganz
dem letztem durch seinen Flußreichthum zugewendet, zwischen dem europäischen halb-
insularen W und dem kontinentalen 0 von Europa gelegen, dem Orient durch die
Donau mit seinem Süden zugewendet, vereinigt sich auf seinem Gebiete Ebene und
Hochland, Gebirgs-, Berg- und Hügelland im mannigfaltigsten Wechsel, der konti-
nentale mit dem ozeanischen Charakter; auf seinem mannigfaltig gestalteten Gebiet
1857 -
Glogau [u.a.]
: Flemming
- Autor: Schneider, Karl Friedrich Robert
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Europa. Deutschland und die deutschen Staaten.
haben alle Völkerfamilien, alle christlichen Kirchen Eingang und Berührung mit dem
deutschen Volkselemente gefunden, in dem sich die leichte, geistige Beweglichkeit der
südlichen Völker mit dem Ernst und der Tiefe der nördlichen Völker verbunden hat; in
seinen östlichen und westlichen Grenzlandern finden wir vermittelnde Gebiete und Völker-
schaften, zweisprachige Mischvölker.
§. 6. Deutschland befindet sich seiner geographischen Lage nach zwischen
dem 45. und 56. o nördl. Br., zwischen dem 20. und 40. o östl. L. Seine Grenzen
sind nur zum geringen Theil natürlich; es ist weniger glücklich begrenzt als Italien,
Frankreich, Spanien, Großbritannien, Schweden und Norwegen, darum aber auch
weniger abgeschlossen, den Völkern zugänglich. Im N begrenzen Nord - und Ostsee,
Eider und Eiderkanal, im 8 bilden die Alpen die Grenzmauer gegen Italien und die
südlichen slavischen Völker, nach 80 öffnet sich zwischen Alpen und Karpaten das
Donauthal als Durch- und Eingangspaß, die Westkarpaten bilden die südöstliche Grenz-
wand gegen die ungarischen und slavischen Völker, der Oberlauf der Oder, die Warthe
und der Bromberger Kanal, und der Unterlauf der Weichsel lassen sich als östliche,
leicht zu überschreitende Wassergrenze bezeichnen, über welche hinaus und hinein das
slavische und das deutsche Volkselement sich bewegt haben; im W können Jura, Vo-
gesen, Ardennen als Grenzwälle angesehen werden, Mosel und Maas als dem Vordrin-
gen entgegentretende Hindernisse, Tyrol als die süddeutsche Alpenfestung, Böhmen
als die ostdeutsche Bergfestung, welche, wohl bewahrt und bewehrt, einem von
Osten gegen Deutschland vordringenden Feind sehr gefährlich werden kann; auch Holland
bietet in seinem Wasserreichthum, mit seinen zahlreichen Kanälen und Flüssen und
Sümpfen gute Haltpunkte der Vertheidigung im Nw, es ist, wie E. M. Arndt sie
nennt, die deutsche Wasserburg.
Seine politischen Begrenzungen bringen es, Spanien und Portugal aus-
genommen, mit allen europäischen Völkern in Verbindung und Berührung, Däne-
mark, Frankreich, Italien, die Türkei durch Oesterreich, Rußland stehen
in unmittelbarer Begrenzung mit Deutschland, Schweden und Großbritannien
sind nur durch kurze, leicht zu durchschiffende Meeresstrecken von Deutschland getrennt,
die mehr verbindende als trennende Glieder sind. Rußland und Frankreich sind
Deutschlands gefährlichste Nachbarn; doch hat Deutschland sie nicht zu fürchten, wenn
es in Einigkeit stark ist. Auch selbst wenn der Feind eingedrungen ist, bieten ihm viele
Gebirgsländer im Innern treffliche Halt- und Sammelpunkte dar, von denen aus er
erfolgreich den Feind angreifen und bekämpfen kann, wenn Deutschland in seiner äußern
Vielgliedrigkeit seine innere Einheit gewinnt und erhält.
tz. 7. Größenverhältnisse. Deutschland im engern Sinne des Worts,
der deutsche Staatenbund, ist gegen 12,000 Q. M. groß, Deutschland im
weitern Sinne, das deutsche Land, so weit die deutsche Sprache dringt, breitet sich
über einen Raum von 15,000 Q. M. aus, ja fast noch weiter, fast über 20,000
Q.m., da mit Ausnahme des lombardisch-venetianischen Königreichs deutsche Sprache
und Art über das ganze österreichische Kaiserthum verbreitet ist. Deutschlands Grenz-
linien, im engern Sinne, sind 765 Meilen lang, im 0 190, im N 290, im 8 170,
im W 115. Von O nach W muß man 170 Meilen weit reisen, um Deutschland
in seiner ganzen Länge, von N nach 8 135 Meilen, um es seiner ganzen Breite nach
zu durchreisen. Es bildet seinem Flächenraume nach im weitern Sinne des Worts >/3
des ganzen Raumgebiets der germanischen Völker. Deutschland im weitern Sinne des
Wortes gleicht seiner Umrandung nach einem unregelmäßigen Sechseck; sein nördlichster
Punkt ist Dars oder der nordwestlichste Punkt von Vorpommern, fein südlichster fast
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