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er dem alten Faust, der seine Leute ähnlich wie die Holländer in
den Seeprovinzen mit Deicharbeiten und Polderschöpsungen emsig
und segensreich schaffen läßt, die Worte in den Mund legt, er fühle
sich zufrieden und beseligt:
Im Vorgefühl von solchem Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick!
Die Holländer sind zu rechten Wasserbaukünstlern geworden.
Schon die mächtigen Seekanäle, die z. B. Amsterdam westwärts und
nordwärts mit dem offenen Meere verbinden, und die bewunderten
Schleusenbauten bei Katwyk, durch die der Rhein „aus seiner Ver-
sandung in die See hinausbugsiert wird", beweisen dies; staunens-
werter ist die Austrocknung des Haarlemer Meeres zu einem mächtigen
Polder und kulturfähigen Lande, und neuerdings will man sogar den
Zuydersee abdämmen, so daß etwa V3 der Wasserfläche für Ackerbau
und Wiesenwuchs gewonnen wird. Denn Wiesen und Weiden sind
dem Holländer immer erwünscht; beruht doch aus ihnen seine be-
rühmte Viehzucht, deren Haupterträgnis die prächtigen Käse sind.
Aber in erster Linie sind die Holländer doch eine seefahrende Nation,
und in den Tooneels hört er am liebsten die Späße des Matrosen
Jom und bewundert die Thaten des Seehelden Ruyter. Daher sind
auch am mächtigsten die beiden See- und Handelsstädte Amsterdam
und Rotterdam 1 emporgeblüht. Der Stadtbau von Amsterdam ist
eigentlich schon an und für sich eine Kulturthat ersten Ranges. Man
hat in den Sumps- und Moorboden mächtige Bäume hineingetrieben,
um dann aus diesem Pfahlwerk erst die Steinbauten zu errichten.
So steht das Rathaus aus einem Roste von 14000 mastbaumgroßen
Pfählen, und Erasmus scherzte, er kenne Leute, die wie Krähen aus
den Gipfeln der Bäume wohnen. Das Ungünstigste in diesen dam-
städten ist die Beschaffung des Trinkwassers, und nach Rotterdam
müssen eigene Schiffe das genießbare Wasser herbeischaffen.
Niederländisches Wesen und holländische Eigenart haben von je
auf uns Ostdeutsche einen bedeutungsvollen Einsluß gehabt. Schon
Albrecht der Bär berief Ansiedler aus Flandern und Holland und
nützte ihre fleißige Arbeit und ihre landwirtfchaftlichen Kenntnisse
zum Besten seiner Mark; die Namen kleiner Städte, wie Niemegk
und Brück, sollen an Nymwegen und Brügge erinnern. Dann kamen
die Zeiten des Rittertums, und wieder will man in Deutschland die
flandrische Einwirkung spüren. Denn über Flandern sollen zu uns
die neuen bitten der französischen Ritter gekommen sein, was man
aus den niederdeutschen Formen Wappen (und nicht Waffen), Tölpel
(und nicht Dörfer) beweisen will. In den Zeiten der Blüte der
1 Über Rotterdams Handelsbedeutung s, Teil I, S. 59.
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Extrahierte Personennamen: Albrecht Niemegk Rotterdams_Handelsbedeutung
Extrahierte Ortsnamen: Amsterdam Rhein Amsterdam Rotterdam Amsterdam Rotterdam Flandern Holland Deutschland
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brach in den Stoßseufzer aus, Europa erscheine ihm wie ein Mg^il-
wurfshügel, erst Asien sei für ihn eine imposante Ländermasse, dort
gebe es große Reiche!
Wir gehen nun dazu über, die geschichtlich-ethnographischen
Verhältnisse Asiens uns wieder etwas in Erinnerung zu bringen.
Asien zerfällt seiner Bevölkerung nach in zwei deutlich von
einander geschiedene Gruppierungen, eine kleinere südwestliche und
die unverhältnismäßig große und ausgedehnte des Nordostens. Die
erstere weist Völker und Stämme der mittelländisch-kaukasischen Rasse
ans, die zweite die eigentlichen Repräsentanten Asiens, die Mongolen.
Dort am Pamirplateau, am Dache der Welt, treffen sich im letzten
Vorstoß und Anprall Kaukasiertum und Mongolismus.
Bei den Mongolen spricht man von zwei Hauptstämmen. Ein
dritter, der Tschuktische an der Behringsstraße, kann wohl süglicher-
weise seiner Unbedeutendheit wegen übergangen werden. Übrigens
fand Nordenskiöld dort in den Jurten, die der eisige Buran um-
heult, ein fast idyllisches Familienglück und -— die artigsten Kinder
von der Welt. Die beiden Hauptstämme der Mongolen sind
also der uralisch-tatarische und der südliche indochinesische. Von
dem ersteren ragen Ausläufer bis nach Europa hinein, und
zwar die Finnen, Ungarn und Türken. Die Finnen haben nie
geschichtlich eine Rolle gespielt, aber es sind tapfere Soldaten,
und die karelischen Volkslieder zeugen von hoher Begabung dieses
nördlichsten europäischen Kulturvolkes. Desto empfindlicher waren
die Berührungen Europas mit den Magyaren und Türken: das
wilde Treiben des Czikos auf den Pußten der Theiß und alle
die verwegenen Bravourstückchen der Husarenwaffe erinnern an die
einstigen verheerenden Ungarneinfälle des frühen Mittelalters, und
der Nngbärtige, stolz und ruhig in sein Kismet ergebene Muselmann
in Konstantinopel ist der Abkömmling jener furchtbaren Türken, vor
denen im 16. und 17. Jahrhundert die europäische Christenheit unter
stehendem Glockengeläut die Hilfe des höchsten Gottes inbrünstig an-
flehte. Auch die nordmongolischen Kernvölker aus der Gobi haben
vor Zeiten Europa einen Besuch abgestattet. Wer erinnert sich nicht
der Mongolenschlacht auf der Walstatt von Liegnitz 1241 und der
langen Herrschaft der goldenen Horde! Es ist besonders interessant,
bei diesen hochasiatischen Mongolen das Einst und Jetzt vergleichend
nebeneinander zu stellen; wir wollen zunächst mit der Schilderung
der heutigen Mongolen beginnen, wie sie uns in den Reiseberichten
des vorzüglichsten Kenners Jnnerasiens, Prschewalskis, entgegentritt.
Es giebt kein harmloseres und friedlicheres Treiben als das der
Kalchamongolen innerhalb und außerhalb ihrer Filzjurten. Der
Mongole scheut derart die aufregende Bewegung und jede Thätig-
keit, die entfernt nach Arbeit schmeckt, daß er es sogar vorzieht, sich
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Extrahierte Personennamen: Nordenskiöld
Extrahierte Ortsnamen: Europa Asiens Asiens Kaukasiertum Europa Ungarn Europas Konstantinopel Gottes Europa Liegnitz
4
fast ganz Asien unter der neuen Despotenherrschaft. Zu Samarkand
auf dem berühmten grünen Steine, der noch heute zu sehen ist,
stand der Thron des übergewaltigen Mongolenfürsten, und stets
diente ihm ein vornehmer Gefangener als Schemel seiner Füße.
Es war, als ob die Genialität des seltsamen Mannes sich auch als
besonders erfinderisch erwies in der Bestrafung der eroberten Städte.
Ein Massengemetzel unter den unglücklichen Einwohnern hatte auch
Dschingischan veranstalten lassen, aber Timur wußte in die Eintönig-
keit der Blutscenen noch einige entsetzliche Abwechselungen zu bringen.
In Persien wurden auf seinen Befehl die Gefangenen lebendig über-
einander geschichtet, mit Lehm und Kalk verputzt und zu Mauern
und Türmen kunstmäßig als Baumaterial verwertet. Ein andermal
ließ er in einer großen Grube die kugelförmig gefesselten Feinde
nebeneinander legen, dann Bretterlagen darüber befestigen und so
wie bei den Schichten einer Pastete oder Fruchttorte Menschenleiber
und Balkengezimmer in grausigem Gemische abwechseln. Jeder seiner
Krieger mußte eine bestimmte Anzahl Köpfe erschlagener Feinde ab-
liefern, und aus den übereinander gehäuften Schädeln — in Indien
waren es neunzigtausend — wurden Siegespyramiden errichtet, bei
deren Anblick wohl das Blut der Bezwungenen erstarren mochte.
Wenn gegenüber diesen Mongolenstürmen und Eroberungszügen
Europa als der leidende Teil erschien, so hat es auch nicht an An-
griffskriegen gefehlt, die Europa gegen Asien geführt hat. Schon
in den ältesten griechischen Mythen fordert Europa kampfgerüstet
Asien zum Kampfe heraus, und in der troischen Ebene maßen sich
zuerst Europäer und Asiaten in erbittertem Streite. Westasien wurde
dann durch die Feldzüge Alexanders des Großen und die Kreuzzüge
des Mittelalters heimgesucht. Der Einfluß des milderen Klimas,
die Einwirkung einer ästhetisch so bezaubernden und als Augenlust
dienenden Vegetation sänftigte und veredelte, wie Alexander von
Humboldt sagt, die rauheren europäischen Nordländer und hat nach
dieser Hinsicht trotz Kampf und Krieg unsäglichen Segen gestiftet. -
Dann haben die Engländer sich in Asien ein großes Reich gegründet,
und unter den stolzen Titeln der britischen Majestät prangt die wert-
volle Bezeichnung einer Kaiserin von Indien. Neuerdings ist nun
der gefährlichste Bedränger Asiens erstanden, der langsam und sicher
in Asien vordringt —' das ist Rußland. Kaiser Nikolaus pflegte
zu sagen, Rußland habe in Asien keine Grenzen, und in der That
beherrscht ja heute der Zar aller Reußen drei Fünftel des asiatischen
Länderleibes. So lvie die Trancheen gegen die belagerte Festung
mehr und mehr vorrücken uní) dem Angegriffenen Raum und Be-
wegung abgewinnen, so weiß Rußland von seinem kolossalen nord-
asiatischen Länderbesitz her gegen Mittel- und Lmdasien vorsichtig
vorzudringen.
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Extrahierte Personennamen: Alexanders Alexander_von
Humboldt Alexander Nikolaus Nikolaus
Extrahierte Ortsnamen: Samarkand Persien Indien Europa Europa Europa Westasien Asien Indien Asiens Asien Asien
6
sagenhafte Rheingold der Nibelungenzeit wieder ans Tageslicht fördern,
oder gar das Gold des Schwarzaflusses, das gerade genügt, um den
Schwarzburgifchen Fürsten die Trauringe zu liefern! Deshalb ziehen
auch die sibirischen Goldsucher, von ihrem Glücke berauscht, im Herbste
nach Tomsk, übrigens der heutigen sibirischen Universität, und zechen
dort wacker in Champagner, der natürlich entsprechend teuer ist und
bis über 7 Rubel die Flasche gelten soll. — Der sibirische Besitz
Rußlands hängt durch die Kirgisensteppe mit dem centralasiatischen
zusammen. Hier in der Steppe kann man noch völlig echtasiatisches
Tierleben beobachten. Wo in Nordasien die Renntierherden am Milz-
brand auszusterben anfangen, ähnlich wie ja auch in Nordamerika
die Büffel jetzt verschwunden find, gewährt es hier ein recht typisches
Bild, wenn der russische Kurier in seinem Gefährte dahinfliegt und
der kirgisische Kutscher die vierelang gespannten Kamele zur größten
Eile anspornt. Man nennt die Kirgisen die Franzosen Westasiens,
und unermüdlich ertönt ihre plappernde Unterhaltung in den zerstreut
stehenden Jurten oder Kibitken. —- Und nun sind die Russen erobernd
in das alte Baktrien vorgedrungen. Da, wo einst die Nordgrenze
auf dem Feldzuge Alexanders des Großen war, wo er am Jaxartes
sein Alexandria eschate gründete, haben die Russen schon längst die
Grenze passiert und treten von diesem nördlichen Eingangsthore her-
ein in die terra eo^nita der Alten. Jaxartes und Oxus, die heutigen
Syr und Amu, sind zu russischen Flüssen geworden, in Taschkent
residiert der Gouverneur des russischen Turkestan, und Chiwa, Mcrw
und Samarkand sind russische Militärstationen geworden. Wo hätten
sich das die persischen Dichter träumen lassen, die Samarkand, die
Stadt des gewaltigen Timur, mit ihren Kuppeln und Moscheen, mit
ihren lachenden Gärten und ihrer herrlichen Umgebung „das Schatz-
kästlein der ganzen Erde" nannten, daß einst dieser Wunderort des
Orients ein gehorsames Landstädtchen des weißen Zaren sein sollte.
Und das entschieden zum Vorteil der ganzen Landschaft, denn die
Reisenden sind froh, mitten unter dem Schmutz und Verfall der frü-
heren Herrlichkeit auf die Spuren europäischer Civilisation zu stoßen.
Von Samarkand und dem Thale des Amudarja aus steigt Asiens
Boden zu seinen berühmten centralen Erhebungen. Dort, wo die
gewaltigen Hochländer von Hinterasien und Vorderasien etwa um den
73. Längengrad zusammenstoßen, finden sich riesenhafte Ausrichtungen
der Erdoberfläche, Bergzüge, Plateaus1 und unweit davon der zweit-
größte Gipfel der Erde, der Dapsang in der Karakorumkette mit
8619 Meter Höhe, also fast doppelt so hoch als Europas höchster
Berg, der Montblanc. Die dominierende Stellung innerhalb dieser
auseinander stoßenden Erhebungen hat das Pamirplateau inne, das
S. Anhang 1.
TM Hauptwörter (50): [T17: [Meer Fluß Gebirge Land Hochland See Halbinsel Osten Norden Süden], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit]]
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7
deshalb auch den Ehrentitel trägt: Dach der Erde. Und hier an
dieser interessantesten physikalisch-geographischen Stelle unseres Erd-
planeten bereiten sich auch politische Ereignisse von entschieden welt-
historischer Wichtigkeit vor. So wie etwa im lo. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung Unteritalien den Tummelplatz und das Konfliktgebiet für
die drei damaligen Weltmächte abgab, die Deutschen, die Griechen und
die Araber, so haben sich hier auf dem Pamirplateau, zunächst aller-
dings mit Protesten und völkerrechtlichen Streitpunkten, gegenüber-
gestanden die drei Weltmächte Asiens: die Russen, Chinesen und
Engländer. Wenn der alte lateinische Spruch des Seipio noch gilt,
«plus animi est inferenti quam propulsanti periculum», so hat Ruß-
land den Vorteil der größeren Kampfesfreudigkeit und wohl auch des
Erfolges für sich. Denn planmäßig und ununterbrochen ist die russische
Eroberung vorgedrungen, den Russen fällt die Rolle des siegreichen
Angreifers zu, China und England müssen sich verteidigen, natürlich
mit verschiedener Widerstandsfähigkeit. — In der letzten Zeit hat
Rußland viel für die strategischen Sicherungen eines späteren An-
griffskrieges gethan. Das Wichtigste ist natürlich der Bau einer
Eisenbahn. Wenn wir die ganze Richtungslinie derselben verstehen
wollen, so müssen wir schon einige westlichere Anschlußlinien auf-
zählen. Demnach haben die Russen zunächst von Tiflis im Siiden
des Kaukasus, der Stadt des Mirza Schaffy, eine Bahn gebaut nach
Baku am Kaspischen Meere. Es ist das die heilige Stätte der alten
Parsen oder Feueranbeter, wo die Naphthaquellen ihre flammenden
Gase aus der Erde auflohen lassen und wo ringsherum Tempel zur
Verehrung dieses Naturwunders einladen. Von Baku fahren Dampf-
schiffe quer über den Kaspischen See nach Michailowsk im Turkmenen-
lande, und dann beginnt jene merkwürdige Bahn im Wüstensande,
deren beschwerlicher Bau wohl seines Gleichen gesucht haben mag.
Dicht am persischen Gebiete entlang — und Grenzstreitigkeiten und
Reibungen sind auch da schon vorgekommen — führt die Bahn nach
der Oase Merw, dann wendet sie sich etwas nordwärts, überschreitet
den Amu oder alten Oxus und mündet in Buchara und Samarkand.
Von Merw ist es leicht, einen Vorstoß gegen Afghanistan zu machen,
und von hier wird dann zum letzten Schlage gegen Indien ausgeholt.
Den Amudarja befahren jetzt regelmäßig russische Dampfschiffe, und
bis an die afghanische Grenze sind kreuzende russische Kriegsschiffe vor-
geschoben. Da liegt in unmittelbarster Nähe Batch, das alte Bactra,
und von Balch nach Kabul zum berühmten Eingangspasse Indiens, durch
den schon Alexander der Große zog, rechnet man nur zehn Tagemärsche.
Rußland hat sich den Grundsatz des alten Macedonierkönigs
Philipp angeeignet, in seinem großen Eroberungswerke sich mehrere
stellen zum Angriffe zugleich offen zu halten und die Gegner, wenn
man an der einen Seite Einbuße erleidet, schnell wieder auf der
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Extrahierte Personennamen: Merw Alexander Philipp Philipp
Extrahierte Ortsnamen: Unteritalien Asiens China England Tiflis Kaukasus Mirza_Schaffy Baku Kaspischen_Meere Baku Kaspischen_See Michailowsk Buchara Samarkand Afghanistan Indien Balch Kabul Indiens
9
dazu dienen soll, Sibirien in seiner ganzen Richtung von Ost nach
West zu erschließen und eine rasche Truppenvorschiebung bis an die
Küste des stillen Oceans zu ermöglichen, — das ist der Bau der
sogenannten sibirischen Eisenbahn, die in Wladiwostok am Japanischen
Meere und auch in Port Arthur am Golf von Petschili münden
wird. Hier sind ja schon langst die Vorarbeiten in Angriff genommen,
und Sträflinge schaffen im Schweiße ihres Angesichts an dieser eminent
civilisatorischen und zugleich strategisch wichtigen Bauarbeit. Hoffentlich
wird das Riesenwerk, das in seiner Kühnheit und in der kolossalen
Schwierigkeit der Herstellung wohl den Durchstichen der Suez- und
Panama-Landengen, den Tunnelbauten der Alpen und den gewaltigen
Eisenbrücken, die in Amerika und England über breite Meeresarme
führen, an die Seite gesetzt werden kann, langsam aber sicher seiner
Vollendung entgegengehen. Bereits werden Schnellzüge von Peters-
burg bis Tomsk, der sibirischen Universität, abgelassen. Sie fahren
ununterbrochen sechs Tage und sechs Nächte und sollen an Luxus
und Komfort noch die amerikanischen Expreßzüge überflügeln. Jen-
seits des Tom beginnt Urwald von Cedern oder Espen, und die
Ingenieure haben die Arbeit des Vermessens in dieser fürchterlichen
Gegend als eine Höllenqual geschildert. Man sinkt Schritt für Schritt
in dem Espendickicht in den Sumpf ein, und Myriaden von Insekten
verfolgen die kühnen Pioniere.
Wird die große sibirische Eisenbahn fertig, so umklammert das
eiserne Band der Schienen zuletzt unmittelbar das große chinesische
Weltreich, und wir müssen uns also weiterhin mit der Bedeutung
und Würdigung des Chinesenreiches beschäftigen.
Der größte jetzt lebende Sinologe, von Richthosen, gesteht ein,
daß China ein sehr wenig bekanntes Land sei und abschließende
Urteile sich kaum werden abgeben lassen. Dies gilt allerdings nur
für die eigentlichen Bewohner des Reiches der Mitte. Denn die
Chinesen besitzen einen regen Auswanderungstrieb — man hat sie
darum mit den Normannen des Mittelalters verglichen —, und die
Eigenart der chinesischen Kulis kann man in San Francisco, Australien
und in der ganzen Südsee genugsam studieren. Sie sind ja dort so
verbreitet, daß man bereits den stillen Ocean als chinesisches Meer
bezeichnen will. — Die Russen haben als Nachbargebiet zunächst die
Mandschurei mit Mulden, der ehemaligen Hauptstadt der Mandschu-
dynastie und jetzt der Totenstadt der Kaiser, in welcher jeder neue
Beherrscher die Annalen seines Vorgängers niederlegt. Dann beginnt
vom Busen von Petschili ab das eigentliche China mit seinem ganz
beispiellosen Volksgewimmel. Das Mündungsland der Flüsse Hoangho
und Jantsee —- letzterer der Gürtel Chinas und der eigentlich heilige
Strom der Chinesen —, also die Provinz Kiangsu, hat einen Flächen-
raum nur viermal so groß wie Pommern, und doch wohnen dort
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Extrahierte Personennamen: Arthur Petschili
Extrahierte Ortsnamen: Sibirien Wladiwostok Japanischen
Meere Amerika England Tomsk China San_Francisco Australien China Gürtel_Chinas Pommern
3 —
gar nicht einmal zu waschen und seinen Leib und seine Kleider von
dem zahlreichen Ungeziefer zu säubern. An dem mistgenährten Feuer
des Herdes wird der Ziegelthee bereitet, und bei den Hauptmahl-
zeiten werden außer diesem Nationalgetränk fast fabelhafte Mengen
Hammelfleisches vertilgt — Prschewalski spricht von fünf Kilogramm
auf eine Mahlzeit. Dabei sind die Mongolen die gläubigsten Bud-
dhisten, und neben dem eifrigen Abhaspeln ihrer Rosenkränze und
Gebetstrommeln kennen sie kein anderes Interesse als die Pflege
ihrer stattlichen Viehherden. Unter der chinesischen Herrschaft ver-
sinken sie mehr und mehr in Feigheit und erleiden überhaupt mo-
ralische Einbuße jeglicher Art. Und doch singen ihre fahrenden
Sänger noch immer von der einstigen Zeit der Mongolenherrlichkeit,
da „vor dem Blicke ihrer Chane die zehntausend Völker der Erde
erstarrten und die Erde erzitterte, wenn sie sich rührten". Der erste
Mongolenchan, von dem die Geschichte erzählt, war Temudschin,
später Dschingischan genannt, der Chan aller Chane. Östlich von
Urga, dem heutigen Sitze des zweiten großen Mongolenpapstes, des
Bogdalama, an den Quellen des Onon wurde Temudschin geboren,
und zu Beginn des 13. Jahrhunderts begann er seine welthistorische
Laufbahn. Auf dem Kuriltai, dem Reichstage, neben der Fahne,
von der vier schwarze Hengstschweife herabhingen, schworen die Mon-
golenhäuptlinge ihm blinden Gehorsam, und nun brauste das Völker-
unwetter hinab in die westlichen Tiefebenen, Dschingischan gab seinen
Kriegern eine furchtbare Lehre. Als bei der Einnahme von Herat
nicht alle Einwohner umgebracht waren, wurde er zornig und äußerte,
Mitleid wohne nur in schwächlichen Gemütern; von Milde und
Barmherzigkeit dürfe und solle niemals die Rede sein. Und so er-
klärt es sich auch, daß später bei der Eroberung von Bagdad
20000 Menschen ihr Leben verloren haben. Zudem bereitete es dem
Nomadenchan eine rechte Herzensfreude, seiner tiefen Verachtung
aller Büchergelehrsamkeit den unzweideutigsten Ausdruck zu geben.
Unter den Hufen der Rosse, auf denen die Mongolen in die Moscheen
ritten, wurden die heiligen Bücher der mohamedanischen Religions-
weisheit zertreten, oder es fraßen gar die hungrigen Gäule, da
zwischen die Blätter der Bücher Hafer geschüttet war, alle die tief-
sinnigen Sprüche vom großen Allah gleichmütig in sich hinein. —
Der zweite große Mongoleneroberer war wenigstens nach dieser
Seite hin eine gemildertere Erscheinung — denn er liebte die
Gelehrten, namentlich die Ärzte und Gesetzeskundigen —, aber
sonst war Tamerlan, der lahme Timur, ein weit entsetzlicherer Mensch
als Temudschin. Leider war sein Ehrgeiz und sein Genie womög-
lich noch bedeutender als bei dem ersten Mongolenchane. So wie
es nur einen Gott gebe, so solle, sagte er, auch nur ein Herrscher
auf Erden sein, und wirklich bei seinem Tode 1405 seufzte und zitterte
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Ereignisse, und wer will sich vermessen, die Zukunft vorauszusagen.
Sollte es Deutschland zufallen, sich in Asien gleich den Engländern
etwa ein Indien zu erkämpfen, oder sich doch wenigstens mit aller
Energie „einen Platz in der Sonne zu verschaffen"? China ergeht
es wie den Südsee-Jnsulanern, was Beurteilung und Wertschätzung
anbetrifft. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konnte
man nicht genug thun im Lobe ihrer einfach patriarchalischen Sitten,
und seit Voltaire galt China als ein Land der Gerechtigkeit, der
Gelehrsamkeit und friedlichen Kultur, an dem sich die europäischen
Nationen immer von neuem ein Muster nehmen sollten. Heutzutage
kann man sozusagen die Kehrseite der Medaille betrachten, und die
„gelben Teufel" nennt man nur mit Abscheu. Während aber die
Südsee-Jnsulaner, von deren enthusiastischer Bewunderung man längst
zurückgekommen ist, meist absterbende Generationen sind, hat man es
in China mit einer Nation von 400 Millionen zu thun, und wir
können im Zweifel sein, ob sich die Chinesen in ihrem Schiking1 in
melancholischer Resignation ein richtiges Prognostikon gestellt haben:
Wir bau'n mit glänzenden Altanen
Gedächtnistempel unfern Ahnen;
Wir bau'n mit Kunst an jeder Wissenschaft,
Die uns're Weisen einst gegründet,
lind wo sie uns ein Licht der Einsicht angezündet,
Das hüten wir gewissenhaft.
Es blieb von unsrer Geisteskraft
Nichts Feinstes unerspäht, nichts Tiefstes unergründet;
Doch Untergang ist uns verkündet,
Denn unserm Wesen fehlt's am innern Haft.
Der Hase mag wohl zierlich hüpfen,
Dem Hunde wird er nicht entschlüpfen!
Auf dem Wege des Verkehrs und Handels hat sich Deutschland
noch an einer anderen Stelle Asiens vorgeschoben, loas wir schließ-
lich doch nicht unerwähnt lassen wollen. Wir meinen die anatolische
Bahn in Kleinasien, die neuerdings die Konzession zur Erweiterung
des Eisenbahnbaus bis Bagdad und zum persischen Golf erhalten
hat. Die Türken sind jetzt die Freunde Deutschlands, und man be-
zeichnet die Türken Kleinasiens, in denen sich das Osmanentum am
unverfälschtesten erhalten hat, geradezu als „Deutsche des Orients".
Hier in Kleinasien ist nun die von deutschem Kapital gegründete
und von deutschen Ingenieuren gebaute anatolische Bahn schon seit
einigen Jahren im Betrieb und trägt deutsche und abendländische
Kultur in die weltfremden Dorfschaften des kleinasiatischen Hochlandes.
Wiesehr hatte doch die „Mutter der Welt", 2 wie die Türken ihr * 2
' Bon Rückert übersetzt.
2 umma ed dünja.
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Asien Indien China China China Deutschland Kleinasien Bagdad Deutschlands Kleinasiens Kleinasien
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noch, und in Quito, wo ein ewiger Frühling herrscht, sind Sämann
und Drescher gleichzeitig beschäftigt. Echt charakteristisch klimmt die
Vegetation hier auch noch zu Höhen hinan, wo bei uns in Europa
bereits alles Leben erstorben ist. Die Hochebenen der Anden liefern
reiche Getreideerten und sind von stark bewohnten Städten besetzt,
wie in Potosi bei 4000 m Höhe, obschon dem Fremdling in der
dünnen Lust das raschere Gehen bereits Atembeschwerden macht. In
Peru, ihrem eigentlichen Heimatlande, wächst die Kartoffel bei 4300 m
Höhe, unweit der Grenze des ewigen Schnees. Und nun erst der
Gras- und Wiesenteppich der Prairieen mit ihren leuchtenden Farben-
tönen, wo rote Blumen, vor allem die Georginen, dem Auge die
seltenste Augenweide bieten. Da spricht man mit vollem Recht von
„einem grünen Ocean", der jetzt allerdings vor der mächtig vorschreiten-
den Ackerbaukultur westwärts zurückweichen muß. Nichts ist daher
auch bezeichnender für Amerika, als die so häufig wiederkehrenden
Bezeichnungen einzelner Landschaften als eines Gartengeländes und
eines Blumenangers, wie Chile der Garten der neuen Welt heißt
und Chicago die Gartenstadt, Paramaribo der Blumengarten, die
vom Golfstrom umflossene Halbinsel Florida von den Blumen ihren
Namen hat und selbst ins Meer hinaus noch St. Croix und Haiti
Garten der Antillen und Westindiens genannt werden.
Der Frondosität des Erdteils entspricht der Reichtum an Tieren,
nur daß bei der großen Feuchtigkeit, die wir wenigstens in Süd-
amerika haben beobachten müssen, mehr Vögel, Insekten und Rep-
tilien gedeihen und die Tiere höherer Ordnung schwächer vertreten
sind als in der alten Welt. Namentlich in der trockenen Jahreszeit
wimmeln die Landschaften Südamerikas von Getier aller Art; Hum-
boldt schrieb von Cumana aus an seinen Bruder: Welche Farben
der Vögel, der Fische, ja selbst der Krebse (himmelblau und gelb)!
Wie die Narren laufen wir bis jetzt herum, und Bonpland versichert,
daß er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald
aufhörten. In der Nacht erhebt sich ein Höllenlärm im Urwald,
die Heultöne der Affen bilden den Grundton in dem infernalischen
Konzert, und dazu gesellt sich bei Tage das Gekreisch der grünen
Papageien, die in den Waldbäumen sitzen und Kapseln und Beeren
von ihrem Fräße wie ein Schloßenwetter auf die harten Blätter
herunterfallen lassen. Der Europäer wird den anmutigen Gesang
unserer Waldvögel sehr vermissen, und auch in Nordamerika entbehren
die Wälder die süßen Melodieen unserer gefiederten Lieblinge. Für
die Anmut muß hier wiederum die Kolossalität der Erscheinungs-
formen entschädigen. Der Kondor, „der Bote der Sonne", mit 4 m
Flügelspannung weilt am liebsten in den höchsten Luftschichten der
Anden (bis zu 7000 na), und wenn er „aus solcher Höhe in die
glühende Ebene hinabschießt, fährt er in einer Minute durch alle
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Extrahierte Personennamen: Drescher
Extrahierte Ortsnamen: Quito Europa Potosi Peru Amerika Chicago Florida Haiti Westindiens Cumana Bonpland Nordamerika
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kein Baum, kein Strauch, keine Hütte zeigt sich den Blicken; nur
der Kiebitzschrei unterbricht die tiese Stille der ungeheuren Ode.
Neuerdings hat man mit Erfolg auch diesen Feind wirtschaftlicher
Erstarkung zu bekämpfen gesucht. Man verwandelt die Moore all-
.mählich in Fehne, die einen sparsamen Ertrag, namentlich an Buch-
weizen, gewähren, und verwertet die inneren Flächen zur Torf-
gewinnung. Der Urbarmachung geht das Abbrennen der Moore
voraus, es entsteht der häßliche Höhenrauch, dessen dunstige Massen
über das ganze Deutschland ziehen, ja sogar 1863 noch am Genfer
See gespürt sein sollen, und der Dichter ruft klagend aus: Ganz
Deutschland riecht's, wenn unsre Moore rauchen!
Abgesehen von diesen kulturfeindlichen Gebieten ist Deutschland
ein hervorragendes Getreideland, und der Fleiß seiner dichten Be-
völkerung, die noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu zwei
Dritteln sich mit Landwirtschaft beschäftigte, hat es erreicht, daß ganz
wie in Frankreich die Hälfte der Bodenfläche zur Feldslur geworden
ist.1 Die aus den Vergletscherungen der Eiszeit zurückgebliebene
Grundmoräne des Geschiebelehms hat in den den Alpen vorgelagerten
Hochebenen Süddeutschlands und in dem gesamten Norddeutschland
eine willkommene Ackerkrume ergeben, und so entwickelt sich ein ge-
deihliches Wachstum der Brotfrucht, namentlich des Roggens, den
man als die eigentlich deutsche Cerealie bezeichnen kann. Dazu
kommt, daß die klimatischen Verhältnisse im allgemeinen in Deutsch-
land günstig sind. Die Hauptscheide der klimatischen Gegensätze ist
nicht etwa der Norden und Süden unseres Vaterlandes, wie man es
wohl erwarten möchte, — vielmehr hat wegen der süddeutschen
Bodenerhebung der Hochebene sich dieser Gegensatz ausgeglichen, und
München hat wie Königsberg im Juli ein Jahresmittel von 17 0 —,
sondern der Osten und Westen. Westdeutschland hat oceanisches
Klima und steht noch unter dem Einfluß des Golfstromes, der wie
ein gewaltiger Heizapparat wirkt; Ostdeutschland, je mehr und mehr
es sich Rußland nähert, ist mit kontinentalem Klima bedacht. Die
nordöstlichsten Provinzen Preußens haben also eine Mittelwärme von
nur 60, während dagegen am Mittelrhein (Karlsruhe) Schwalben,
Stare und Störche so früh eintreffen, wie sonst nirgends in Deutsch-
land, und in den Marschen das Vieh den ganzen Winter über
draußen bleibt.
Das deutsche Mittelgebirge, das den Zwischenraum zwischen den
süddeutschen Hochebenen und der norddeutschen Tiefebene ausfüllt, beein-
trächtigt nicht weiter den Eindruck des Maßvollen und Sympathischen,
wie er durchweg in Deutschlands Bodenbeschafsenheit zu spüren ist.
Mit Ausnahme der Zugspitze in Südbayern und der Schneegruben im
1 Ungefähr ein Zehntel sind Wiesen.
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TM Hauptwörter (100): [T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T50: [Klima Land Meer Gebirge Europa Zone Norden Küste Süden Winter], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner]]
TM Hauptwörter (200): [T133: [Boden Land Ackerbau Klima Wald Viehzucht Teil Wiese Anbau Fruchtbarkeit], T83: [Klima Winter Sommer Land Meer Wind Regen Niederschlag Zone Gebirge], T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T71: [Deutschland Krieg Preußen Volk Napoleon Frankreich Macht Frieden Europa Land], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch]]
Extrahierte Personennamen: Königsberg
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Deutschland Frankreich Süddeutschlands Norddeutschland Deutsch- Westdeutschland Ostdeutschland Karlsruhe Deutsch- Deutschlands