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1. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 121

1901 - Glogau : Flemming
— 121 — er dem alten Faust, der seine Leute ähnlich wie die Holländer in den Seeprovinzen mit Deicharbeiten und Polderschöpsungen emsig und segensreich schaffen läßt, die Worte in den Mund legt, er fühle sich zufrieden und beseligt: Im Vorgefühl von solchem Glück Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick! Die Holländer sind zu rechten Wasserbaukünstlern geworden. Schon die mächtigen Seekanäle, die z. B. Amsterdam westwärts und nordwärts mit dem offenen Meere verbinden, und die bewunderten Schleusenbauten bei Katwyk, durch die der Rhein „aus seiner Ver- sandung in die See hinausbugsiert wird", beweisen dies; staunens- werter ist die Austrocknung des Haarlemer Meeres zu einem mächtigen Polder und kulturfähigen Lande, und neuerdings will man sogar den Zuydersee abdämmen, so daß etwa V3 der Wasserfläche für Ackerbau und Wiesenwuchs gewonnen wird. Denn Wiesen und Weiden sind dem Holländer immer erwünscht; beruht doch aus ihnen seine be- rühmte Viehzucht, deren Haupterträgnis die prächtigen Käse sind. Aber in erster Linie sind die Holländer doch eine seefahrende Nation, und in den Tooneels hört er am liebsten die Späße des Matrosen Jom und bewundert die Thaten des Seehelden Ruyter. Daher sind auch am mächtigsten die beiden See- und Handelsstädte Amsterdam und Rotterdam 1 emporgeblüht. Der Stadtbau von Amsterdam ist eigentlich schon an und für sich eine Kulturthat ersten Ranges. Man hat in den Sumps- und Moorboden mächtige Bäume hineingetrieben, um dann aus diesem Pfahlwerk erst die Steinbauten zu errichten. So steht das Rathaus aus einem Roste von 14000 mastbaumgroßen Pfählen, und Erasmus scherzte, er kenne Leute, die wie Krähen aus den Gipfeln der Bäume wohnen. Das Ungünstigste in diesen dam- städten ist die Beschaffung des Trinkwassers, und nach Rotterdam müssen eigene Schiffe das genießbare Wasser herbeischaffen. Niederländisches Wesen und holländische Eigenart haben von je auf uns Ostdeutsche einen bedeutungsvollen Einsluß gehabt. Schon Albrecht der Bär berief Ansiedler aus Flandern und Holland und nützte ihre fleißige Arbeit und ihre landwirtfchaftlichen Kenntnisse zum Besten seiner Mark; die Namen kleiner Städte, wie Niemegk und Brück, sollen an Nymwegen und Brügge erinnern. Dann kamen die Zeiten des Rittertums, und wieder will man in Deutschland die flandrische Einwirkung spüren. Denn über Flandern sollen zu uns die neuen bitten der französischen Ritter gekommen sein, was man aus den niederdeutschen Formen Wappen (und nicht Waffen), Tölpel (und nicht Dörfer) beweisen will. In den Zeiten der Blüte der 1 Über Rotterdams Handelsbedeutung s, Teil I, S. 59.

2. Band 1 - S. 2

1900 - Glogau : Flemming
2 brach in den Stoßseufzer aus, Europa erscheine ihm wie ein Mg^il- wurfshügel, erst Asien sei für ihn eine imposante Ländermasse, dort gebe es große Reiche! Wir gehen nun dazu über, die geschichtlich-ethnographischen Verhältnisse Asiens uns wieder etwas in Erinnerung zu bringen. Asien zerfällt seiner Bevölkerung nach in zwei deutlich von einander geschiedene Gruppierungen, eine kleinere südwestliche und die unverhältnismäßig große und ausgedehnte des Nordostens. Die erstere weist Völker und Stämme der mittelländisch-kaukasischen Rasse ans, die zweite die eigentlichen Repräsentanten Asiens, die Mongolen. Dort am Pamirplateau, am Dache der Welt, treffen sich im letzten Vorstoß und Anprall Kaukasiertum und Mongolismus. Bei den Mongolen spricht man von zwei Hauptstämmen. Ein dritter, der Tschuktische an der Behringsstraße, kann wohl süglicher- weise seiner Unbedeutendheit wegen übergangen werden. Übrigens fand Nordenskiöld dort in den Jurten, die der eisige Buran um- heult, ein fast idyllisches Familienglück und -— die artigsten Kinder von der Welt. Die beiden Hauptstämme der Mongolen sind also der uralisch-tatarische und der südliche indochinesische. Von dem ersteren ragen Ausläufer bis nach Europa hinein, und zwar die Finnen, Ungarn und Türken. Die Finnen haben nie geschichtlich eine Rolle gespielt, aber es sind tapfere Soldaten, und die karelischen Volkslieder zeugen von hoher Begabung dieses nördlichsten europäischen Kulturvolkes. Desto empfindlicher waren die Berührungen Europas mit den Magyaren und Türken: das wilde Treiben des Czikos auf den Pußten der Theiß und alle die verwegenen Bravourstückchen der Husarenwaffe erinnern an die einstigen verheerenden Ungarneinfälle des frühen Mittelalters, und der Nngbärtige, stolz und ruhig in sein Kismet ergebene Muselmann in Konstantinopel ist der Abkömmling jener furchtbaren Türken, vor denen im 16. und 17. Jahrhundert die europäische Christenheit unter stehendem Glockengeläut die Hilfe des höchsten Gottes inbrünstig an- flehte. Auch die nordmongolischen Kernvölker aus der Gobi haben vor Zeiten Europa einen Besuch abgestattet. Wer erinnert sich nicht der Mongolenschlacht auf der Walstatt von Liegnitz 1241 und der langen Herrschaft der goldenen Horde! Es ist besonders interessant, bei diesen hochasiatischen Mongolen das Einst und Jetzt vergleichend nebeneinander zu stellen; wir wollen zunächst mit der Schilderung der heutigen Mongolen beginnen, wie sie uns in den Reiseberichten des vorzüglichsten Kenners Jnnerasiens, Prschewalskis, entgegentritt. Es giebt kein harmloseres und friedlicheres Treiben als das der Kalchamongolen innerhalb und außerhalb ihrer Filzjurten. Der Mongole scheut derart die aufregende Bewegung und jede Thätig- keit, die entfernt nach Arbeit schmeckt, daß er es sogar vorzieht, sich

3. Band 1 - S. 4

1900 - Glogau : Flemming
4 fast ganz Asien unter der neuen Despotenherrschaft. Zu Samarkand auf dem berühmten grünen Steine, der noch heute zu sehen ist, stand der Thron des übergewaltigen Mongolenfürsten, und stets diente ihm ein vornehmer Gefangener als Schemel seiner Füße. Es war, als ob die Genialität des seltsamen Mannes sich auch als besonders erfinderisch erwies in der Bestrafung der eroberten Städte. Ein Massengemetzel unter den unglücklichen Einwohnern hatte auch Dschingischan veranstalten lassen, aber Timur wußte in die Eintönig- keit der Blutscenen noch einige entsetzliche Abwechselungen zu bringen. In Persien wurden auf seinen Befehl die Gefangenen lebendig über- einander geschichtet, mit Lehm und Kalk verputzt und zu Mauern und Türmen kunstmäßig als Baumaterial verwertet. Ein andermal ließ er in einer großen Grube die kugelförmig gefesselten Feinde nebeneinander legen, dann Bretterlagen darüber befestigen und so wie bei den Schichten einer Pastete oder Fruchttorte Menschenleiber und Balkengezimmer in grausigem Gemische abwechseln. Jeder seiner Krieger mußte eine bestimmte Anzahl Köpfe erschlagener Feinde ab- liefern, und aus den übereinander gehäuften Schädeln — in Indien waren es neunzigtausend — wurden Siegespyramiden errichtet, bei deren Anblick wohl das Blut der Bezwungenen erstarren mochte. Wenn gegenüber diesen Mongolenstürmen und Eroberungszügen Europa als der leidende Teil erschien, so hat es auch nicht an An- griffskriegen gefehlt, die Europa gegen Asien geführt hat. Schon in den ältesten griechischen Mythen fordert Europa kampfgerüstet Asien zum Kampfe heraus, und in der troischen Ebene maßen sich zuerst Europäer und Asiaten in erbittertem Streite. Westasien wurde dann durch die Feldzüge Alexanders des Großen und die Kreuzzüge des Mittelalters heimgesucht. Der Einfluß des milderen Klimas, die Einwirkung einer ästhetisch so bezaubernden und als Augenlust dienenden Vegetation sänftigte und veredelte, wie Alexander von Humboldt sagt, die rauheren europäischen Nordländer und hat nach dieser Hinsicht trotz Kampf und Krieg unsäglichen Segen gestiftet. - Dann haben die Engländer sich in Asien ein großes Reich gegründet, und unter den stolzen Titeln der britischen Majestät prangt die wert- volle Bezeichnung einer Kaiserin von Indien. Neuerdings ist nun der gefährlichste Bedränger Asiens erstanden, der langsam und sicher in Asien vordringt —' das ist Rußland. Kaiser Nikolaus pflegte zu sagen, Rußland habe in Asien keine Grenzen, und in der That beherrscht ja heute der Zar aller Reußen drei Fünftel des asiatischen Länderleibes. So lvie die Trancheen gegen die belagerte Festung mehr und mehr vorrücken uní) dem Angegriffenen Raum und Be- wegung abgewinnen, so weiß Rußland von seinem kolossalen nord- asiatischen Länderbesitz her gegen Mittel- und Lmdasien vorsichtig vorzudringen.

4. Band 1 - S. 6

1900 - Glogau : Flemming
6 sagenhafte Rheingold der Nibelungenzeit wieder ans Tageslicht fördern, oder gar das Gold des Schwarzaflusses, das gerade genügt, um den Schwarzburgifchen Fürsten die Trauringe zu liefern! Deshalb ziehen auch die sibirischen Goldsucher, von ihrem Glücke berauscht, im Herbste nach Tomsk, übrigens der heutigen sibirischen Universität, und zechen dort wacker in Champagner, der natürlich entsprechend teuer ist und bis über 7 Rubel die Flasche gelten soll. — Der sibirische Besitz Rußlands hängt durch die Kirgisensteppe mit dem centralasiatischen zusammen. Hier in der Steppe kann man noch völlig echtasiatisches Tierleben beobachten. Wo in Nordasien die Renntierherden am Milz- brand auszusterben anfangen, ähnlich wie ja auch in Nordamerika die Büffel jetzt verschwunden find, gewährt es hier ein recht typisches Bild, wenn der russische Kurier in seinem Gefährte dahinfliegt und der kirgisische Kutscher die vierelang gespannten Kamele zur größten Eile anspornt. Man nennt die Kirgisen die Franzosen Westasiens, und unermüdlich ertönt ihre plappernde Unterhaltung in den zerstreut stehenden Jurten oder Kibitken. —- Und nun sind die Russen erobernd in das alte Baktrien vorgedrungen. Da, wo einst die Nordgrenze auf dem Feldzuge Alexanders des Großen war, wo er am Jaxartes sein Alexandria eschate gründete, haben die Russen schon längst die Grenze passiert und treten von diesem nördlichen Eingangsthore her- ein in die terra eo^nita der Alten. Jaxartes und Oxus, die heutigen Syr und Amu, sind zu russischen Flüssen geworden, in Taschkent residiert der Gouverneur des russischen Turkestan, und Chiwa, Mcrw und Samarkand sind russische Militärstationen geworden. Wo hätten sich das die persischen Dichter träumen lassen, die Samarkand, die Stadt des gewaltigen Timur, mit ihren Kuppeln und Moscheen, mit ihren lachenden Gärten und ihrer herrlichen Umgebung „das Schatz- kästlein der ganzen Erde" nannten, daß einst dieser Wunderort des Orients ein gehorsames Landstädtchen des weißen Zaren sein sollte. Und das entschieden zum Vorteil der ganzen Landschaft, denn die Reisenden sind froh, mitten unter dem Schmutz und Verfall der frü- heren Herrlichkeit auf die Spuren europäischer Civilisation zu stoßen. Von Samarkand und dem Thale des Amudarja aus steigt Asiens Boden zu seinen berühmten centralen Erhebungen. Dort, wo die gewaltigen Hochländer von Hinterasien und Vorderasien etwa um den 73. Längengrad zusammenstoßen, finden sich riesenhafte Ausrichtungen der Erdoberfläche, Bergzüge, Plateaus1 und unweit davon der zweit- größte Gipfel der Erde, der Dapsang in der Karakorumkette mit 8619 Meter Höhe, also fast doppelt so hoch als Europas höchster Berg, der Montblanc. Die dominierende Stellung innerhalb dieser auseinander stoßenden Erhebungen hat das Pamirplateau inne, das S. Anhang 1.

5. Band 1 - S. 7

1900 - Glogau : Flemming
7 deshalb auch den Ehrentitel trägt: Dach der Erde. Und hier an dieser interessantesten physikalisch-geographischen Stelle unseres Erd- planeten bereiten sich auch politische Ereignisse von entschieden welt- historischer Wichtigkeit vor. So wie etwa im lo. Jahrhundert unserer Zeitrechnung Unteritalien den Tummelplatz und das Konfliktgebiet für die drei damaligen Weltmächte abgab, die Deutschen, die Griechen und die Araber, so haben sich hier auf dem Pamirplateau, zunächst aller- dings mit Protesten und völkerrechtlichen Streitpunkten, gegenüber- gestanden die drei Weltmächte Asiens: die Russen, Chinesen und Engländer. Wenn der alte lateinische Spruch des Seipio noch gilt, «plus animi est inferenti quam propulsanti periculum», so hat Ruß- land den Vorteil der größeren Kampfesfreudigkeit und wohl auch des Erfolges für sich. Denn planmäßig und ununterbrochen ist die russische Eroberung vorgedrungen, den Russen fällt die Rolle des siegreichen Angreifers zu, China und England müssen sich verteidigen, natürlich mit verschiedener Widerstandsfähigkeit. — In der letzten Zeit hat Rußland viel für die strategischen Sicherungen eines späteren An- griffskrieges gethan. Das Wichtigste ist natürlich der Bau einer Eisenbahn. Wenn wir die ganze Richtungslinie derselben verstehen wollen, so müssen wir schon einige westlichere Anschlußlinien auf- zählen. Demnach haben die Russen zunächst von Tiflis im Siiden des Kaukasus, der Stadt des Mirza Schaffy, eine Bahn gebaut nach Baku am Kaspischen Meere. Es ist das die heilige Stätte der alten Parsen oder Feueranbeter, wo die Naphthaquellen ihre flammenden Gase aus der Erde auflohen lassen und wo ringsherum Tempel zur Verehrung dieses Naturwunders einladen. Von Baku fahren Dampf- schiffe quer über den Kaspischen See nach Michailowsk im Turkmenen- lande, und dann beginnt jene merkwürdige Bahn im Wüstensande, deren beschwerlicher Bau wohl seines Gleichen gesucht haben mag. Dicht am persischen Gebiete entlang — und Grenzstreitigkeiten und Reibungen sind auch da schon vorgekommen — führt die Bahn nach der Oase Merw, dann wendet sie sich etwas nordwärts, überschreitet den Amu oder alten Oxus und mündet in Buchara und Samarkand. Von Merw ist es leicht, einen Vorstoß gegen Afghanistan zu machen, und von hier wird dann zum letzten Schlage gegen Indien ausgeholt. Den Amudarja befahren jetzt regelmäßig russische Dampfschiffe, und bis an die afghanische Grenze sind kreuzende russische Kriegsschiffe vor- geschoben. Da liegt in unmittelbarster Nähe Batch, das alte Bactra, und von Balch nach Kabul zum berühmten Eingangspasse Indiens, durch den schon Alexander der Große zog, rechnet man nur zehn Tagemärsche. Rußland hat sich den Grundsatz des alten Macedonierkönigs Philipp angeeignet, in seinem großen Eroberungswerke sich mehrere stellen zum Angriffe zugleich offen zu halten und die Gegner, wenn man an der einen Seite Einbuße erleidet, schnell wieder auf der

6. Band 1 - S. 9

1900 - Glogau : Flemming
9 dazu dienen soll, Sibirien in seiner ganzen Richtung von Ost nach West zu erschließen und eine rasche Truppenvorschiebung bis an die Küste des stillen Oceans zu ermöglichen, — das ist der Bau der sogenannten sibirischen Eisenbahn, die in Wladiwostok am Japanischen Meere und auch in Port Arthur am Golf von Petschili münden wird. Hier sind ja schon langst die Vorarbeiten in Angriff genommen, und Sträflinge schaffen im Schweiße ihres Angesichts an dieser eminent civilisatorischen und zugleich strategisch wichtigen Bauarbeit. Hoffentlich wird das Riesenwerk, das in seiner Kühnheit und in der kolossalen Schwierigkeit der Herstellung wohl den Durchstichen der Suez- und Panama-Landengen, den Tunnelbauten der Alpen und den gewaltigen Eisenbrücken, die in Amerika und England über breite Meeresarme führen, an die Seite gesetzt werden kann, langsam aber sicher seiner Vollendung entgegengehen. Bereits werden Schnellzüge von Peters- burg bis Tomsk, der sibirischen Universität, abgelassen. Sie fahren ununterbrochen sechs Tage und sechs Nächte und sollen an Luxus und Komfort noch die amerikanischen Expreßzüge überflügeln. Jen- seits des Tom beginnt Urwald von Cedern oder Espen, und die Ingenieure haben die Arbeit des Vermessens in dieser fürchterlichen Gegend als eine Höllenqual geschildert. Man sinkt Schritt für Schritt in dem Espendickicht in den Sumpf ein, und Myriaden von Insekten verfolgen die kühnen Pioniere. Wird die große sibirische Eisenbahn fertig, so umklammert das eiserne Band der Schienen zuletzt unmittelbar das große chinesische Weltreich, und wir müssen uns also weiterhin mit der Bedeutung und Würdigung des Chinesenreiches beschäftigen. Der größte jetzt lebende Sinologe, von Richthosen, gesteht ein, daß China ein sehr wenig bekanntes Land sei und abschließende Urteile sich kaum werden abgeben lassen. Dies gilt allerdings nur für die eigentlichen Bewohner des Reiches der Mitte. Denn die Chinesen besitzen einen regen Auswanderungstrieb — man hat sie darum mit den Normannen des Mittelalters verglichen —, und die Eigenart der chinesischen Kulis kann man in San Francisco, Australien und in der ganzen Südsee genugsam studieren. Sie sind ja dort so verbreitet, daß man bereits den stillen Ocean als chinesisches Meer bezeichnen will. — Die Russen haben als Nachbargebiet zunächst die Mandschurei mit Mulden, der ehemaligen Hauptstadt der Mandschu- dynastie und jetzt der Totenstadt der Kaiser, in welcher jeder neue Beherrscher die Annalen seines Vorgängers niederlegt. Dann beginnt vom Busen von Petschili ab das eigentliche China mit seinem ganz beispiellosen Volksgewimmel. Das Mündungsland der Flüsse Hoangho und Jantsee —- letzterer der Gürtel Chinas und der eigentlich heilige Strom der Chinesen —, also die Provinz Kiangsu, hat einen Flächen- raum nur viermal so groß wie Pommern, und doch wohnen dort

7. Band 1 - S. 3

1900 - Glogau : Flemming
3 — gar nicht einmal zu waschen und seinen Leib und seine Kleider von dem zahlreichen Ungeziefer zu säubern. An dem mistgenährten Feuer des Herdes wird der Ziegelthee bereitet, und bei den Hauptmahl- zeiten werden außer diesem Nationalgetränk fast fabelhafte Mengen Hammelfleisches vertilgt — Prschewalski spricht von fünf Kilogramm auf eine Mahlzeit. Dabei sind die Mongolen die gläubigsten Bud- dhisten, und neben dem eifrigen Abhaspeln ihrer Rosenkränze und Gebetstrommeln kennen sie kein anderes Interesse als die Pflege ihrer stattlichen Viehherden. Unter der chinesischen Herrschaft ver- sinken sie mehr und mehr in Feigheit und erleiden überhaupt mo- ralische Einbuße jeglicher Art. Und doch singen ihre fahrenden Sänger noch immer von der einstigen Zeit der Mongolenherrlichkeit, da „vor dem Blicke ihrer Chane die zehntausend Völker der Erde erstarrten und die Erde erzitterte, wenn sie sich rührten". Der erste Mongolenchan, von dem die Geschichte erzählt, war Temudschin, später Dschingischan genannt, der Chan aller Chane. Östlich von Urga, dem heutigen Sitze des zweiten großen Mongolenpapstes, des Bogdalama, an den Quellen des Onon wurde Temudschin geboren, und zu Beginn des 13. Jahrhunderts begann er seine welthistorische Laufbahn. Auf dem Kuriltai, dem Reichstage, neben der Fahne, von der vier schwarze Hengstschweife herabhingen, schworen die Mon- golenhäuptlinge ihm blinden Gehorsam, und nun brauste das Völker- unwetter hinab in die westlichen Tiefebenen, Dschingischan gab seinen Kriegern eine furchtbare Lehre. Als bei der Einnahme von Herat nicht alle Einwohner umgebracht waren, wurde er zornig und äußerte, Mitleid wohne nur in schwächlichen Gemütern; von Milde und Barmherzigkeit dürfe und solle niemals die Rede sein. Und so er- klärt es sich auch, daß später bei der Eroberung von Bagdad 20000 Menschen ihr Leben verloren haben. Zudem bereitete es dem Nomadenchan eine rechte Herzensfreude, seiner tiefen Verachtung aller Büchergelehrsamkeit den unzweideutigsten Ausdruck zu geben. Unter den Hufen der Rosse, auf denen die Mongolen in die Moscheen ritten, wurden die heiligen Bücher der mohamedanischen Religions- weisheit zertreten, oder es fraßen gar die hungrigen Gäule, da zwischen die Blätter der Bücher Hafer geschüttet war, alle die tief- sinnigen Sprüche vom großen Allah gleichmütig in sich hinein. — Der zweite große Mongoleneroberer war wenigstens nach dieser Seite hin eine gemildertere Erscheinung — denn er liebte die Gelehrten, namentlich die Ärzte und Gesetzeskundigen —, aber sonst war Tamerlan, der lahme Timur, ein weit entsetzlicherer Mensch als Temudschin. Leider war sein Ehrgeiz und sein Genie womög- lich noch bedeutender als bei dem ersten Mongolenchane. So wie es nur einen Gott gebe, so solle, sagte er, auch nur ein Herrscher auf Erden sein, und wirklich bei seinem Tode 1405 seufzte und zitterte

8. Band 1 - S. 13

1900 - Glogau : Flemming
13 Ereignisse, und wer will sich vermessen, die Zukunft vorauszusagen. Sollte es Deutschland zufallen, sich in Asien gleich den Engländern etwa ein Indien zu erkämpfen, oder sich doch wenigstens mit aller Energie „einen Platz in der Sonne zu verschaffen"? China ergeht es wie den Südsee-Jnsulanern, was Beurteilung und Wertschätzung anbetrifft. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konnte man nicht genug thun im Lobe ihrer einfach patriarchalischen Sitten, und seit Voltaire galt China als ein Land der Gerechtigkeit, der Gelehrsamkeit und friedlichen Kultur, an dem sich die europäischen Nationen immer von neuem ein Muster nehmen sollten. Heutzutage kann man sozusagen die Kehrseite der Medaille betrachten, und die „gelben Teufel" nennt man nur mit Abscheu. Während aber die Südsee-Jnsulaner, von deren enthusiastischer Bewunderung man längst zurückgekommen ist, meist absterbende Generationen sind, hat man es in China mit einer Nation von 400 Millionen zu thun, und wir können im Zweifel sein, ob sich die Chinesen in ihrem Schiking1 in melancholischer Resignation ein richtiges Prognostikon gestellt haben: Wir bau'n mit glänzenden Altanen Gedächtnistempel unfern Ahnen; Wir bau'n mit Kunst an jeder Wissenschaft, Die uns're Weisen einst gegründet, lind wo sie uns ein Licht der Einsicht angezündet, Das hüten wir gewissenhaft. Es blieb von unsrer Geisteskraft Nichts Feinstes unerspäht, nichts Tiefstes unergründet; Doch Untergang ist uns verkündet, Denn unserm Wesen fehlt's am innern Haft. Der Hase mag wohl zierlich hüpfen, Dem Hunde wird er nicht entschlüpfen! Auf dem Wege des Verkehrs und Handels hat sich Deutschland noch an einer anderen Stelle Asiens vorgeschoben, loas wir schließ- lich doch nicht unerwähnt lassen wollen. Wir meinen die anatolische Bahn in Kleinasien, die neuerdings die Konzession zur Erweiterung des Eisenbahnbaus bis Bagdad und zum persischen Golf erhalten hat. Die Türken sind jetzt die Freunde Deutschlands, und man be- zeichnet die Türken Kleinasiens, in denen sich das Osmanentum am unverfälschtesten erhalten hat, geradezu als „Deutsche des Orients". Hier in Kleinasien ist nun die von deutschem Kapital gegründete und von deutschen Ingenieuren gebaute anatolische Bahn schon seit einigen Jahren im Betrieb und trägt deutsche und abendländische Kultur in die weltfremden Dorfschaften des kleinasiatischen Hochlandes. Wiesehr hatte doch die „Mutter der Welt", 2 wie die Türken ihr * 2 ' Bon Rückert übersetzt. 2 umma ed dünja.

9. Band 1 - S. 47

1900 - Glogau : Flemming
47 noch, und in Quito, wo ein ewiger Frühling herrscht, sind Sämann und Drescher gleichzeitig beschäftigt. Echt charakteristisch klimmt die Vegetation hier auch noch zu Höhen hinan, wo bei uns in Europa bereits alles Leben erstorben ist. Die Hochebenen der Anden liefern reiche Getreideerten und sind von stark bewohnten Städten besetzt, wie in Potosi bei 4000 m Höhe, obschon dem Fremdling in der dünnen Lust das raschere Gehen bereits Atembeschwerden macht. In Peru, ihrem eigentlichen Heimatlande, wächst die Kartoffel bei 4300 m Höhe, unweit der Grenze des ewigen Schnees. Und nun erst der Gras- und Wiesenteppich der Prairieen mit ihren leuchtenden Farben- tönen, wo rote Blumen, vor allem die Georginen, dem Auge die seltenste Augenweide bieten. Da spricht man mit vollem Recht von „einem grünen Ocean", der jetzt allerdings vor der mächtig vorschreiten- den Ackerbaukultur westwärts zurückweichen muß. Nichts ist daher auch bezeichnender für Amerika, als die so häufig wiederkehrenden Bezeichnungen einzelner Landschaften als eines Gartengeländes und eines Blumenangers, wie Chile der Garten der neuen Welt heißt und Chicago die Gartenstadt, Paramaribo der Blumengarten, die vom Golfstrom umflossene Halbinsel Florida von den Blumen ihren Namen hat und selbst ins Meer hinaus noch St. Croix und Haiti Garten der Antillen und Westindiens genannt werden. Der Frondosität des Erdteils entspricht der Reichtum an Tieren, nur daß bei der großen Feuchtigkeit, die wir wenigstens in Süd- amerika haben beobachten müssen, mehr Vögel, Insekten und Rep- tilien gedeihen und die Tiere höherer Ordnung schwächer vertreten sind als in der alten Welt. Namentlich in der trockenen Jahreszeit wimmeln die Landschaften Südamerikas von Getier aller Art; Hum- boldt schrieb von Cumana aus an seinen Bruder: Welche Farben der Vögel, der Fische, ja selbst der Krebse (himmelblau und gelb)! Wie die Narren laufen wir bis jetzt herum, und Bonpland versichert, daß er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald aufhörten. In der Nacht erhebt sich ein Höllenlärm im Urwald, die Heultöne der Affen bilden den Grundton in dem infernalischen Konzert, und dazu gesellt sich bei Tage das Gekreisch der grünen Papageien, die in den Waldbäumen sitzen und Kapseln und Beeren von ihrem Fräße wie ein Schloßenwetter auf die harten Blätter herunterfallen lassen. Der Europäer wird den anmutigen Gesang unserer Waldvögel sehr vermissen, und auch in Nordamerika entbehren die Wälder die süßen Melodieen unserer gefiederten Lieblinge. Für die Anmut muß hier wiederum die Kolossalität der Erscheinungs- formen entschädigen. Der Kondor, „der Bote der Sonne", mit 4 m Flügelspannung weilt am liebsten in den höchsten Luftschichten der Anden (bis zu 7000 na), und wenn er „aus solcher Höhe in die glühende Ebene hinabschießt, fährt er in einer Minute durch alle

10. Band 1 - S. 69

1900 - Glogau : Flemming
69 kein Baum, kein Strauch, keine Hütte zeigt sich den Blicken; nur der Kiebitzschrei unterbricht die tiese Stille der ungeheuren Ode. Neuerdings hat man mit Erfolg auch diesen Feind wirtschaftlicher Erstarkung zu bekämpfen gesucht. Man verwandelt die Moore all- .mählich in Fehne, die einen sparsamen Ertrag, namentlich an Buch- weizen, gewähren, und verwertet die inneren Flächen zur Torf- gewinnung. Der Urbarmachung geht das Abbrennen der Moore voraus, es entsteht der häßliche Höhenrauch, dessen dunstige Massen über das ganze Deutschland ziehen, ja sogar 1863 noch am Genfer See gespürt sein sollen, und der Dichter ruft klagend aus: Ganz Deutschland riecht's, wenn unsre Moore rauchen! Abgesehen von diesen kulturfeindlichen Gebieten ist Deutschland ein hervorragendes Getreideland, und der Fleiß seiner dichten Be- völkerung, die noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu zwei Dritteln sich mit Landwirtschaft beschäftigte, hat es erreicht, daß ganz wie in Frankreich die Hälfte der Bodenfläche zur Feldslur geworden ist.1 Die aus den Vergletscherungen der Eiszeit zurückgebliebene Grundmoräne des Geschiebelehms hat in den den Alpen vorgelagerten Hochebenen Süddeutschlands und in dem gesamten Norddeutschland eine willkommene Ackerkrume ergeben, und so entwickelt sich ein ge- deihliches Wachstum der Brotfrucht, namentlich des Roggens, den man als die eigentlich deutsche Cerealie bezeichnen kann. Dazu kommt, daß die klimatischen Verhältnisse im allgemeinen in Deutsch- land günstig sind. Die Hauptscheide der klimatischen Gegensätze ist nicht etwa der Norden und Süden unseres Vaterlandes, wie man es wohl erwarten möchte, — vielmehr hat wegen der süddeutschen Bodenerhebung der Hochebene sich dieser Gegensatz ausgeglichen, und München hat wie Königsberg im Juli ein Jahresmittel von 17 0 —, sondern der Osten und Westen. Westdeutschland hat oceanisches Klima und steht noch unter dem Einfluß des Golfstromes, der wie ein gewaltiger Heizapparat wirkt; Ostdeutschland, je mehr und mehr es sich Rußland nähert, ist mit kontinentalem Klima bedacht. Die nordöstlichsten Provinzen Preußens haben also eine Mittelwärme von nur 60, während dagegen am Mittelrhein (Karlsruhe) Schwalben, Stare und Störche so früh eintreffen, wie sonst nirgends in Deutsch- land, und in den Marschen das Vieh den ganzen Winter über draußen bleibt. Das deutsche Mittelgebirge, das den Zwischenraum zwischen den süddeutschen Hochebenen und der norddeutschen Tiefebene ausfüllt, beein- trächtigt nicht weiter den Eindruck des Maßvollen und Sympathischen, wie er durchweg in Deutschlands Bodenbeschafsenheit zu spüren ist. Mit Ausnahme der Zugspitze in Südbayern und der Schneegruben im 1 Ungefähr ein Zehntel sind Wiesen.
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