78
Da sprach der Geist mit wilder Gier:
»Und läßt du sie nicht zu eigen mir,
So leihe mir ans ein Jährlein
Das schmucke, schmeidige Pärlein.« —
»Ein Jährlein ich sie dir gerne leih',
So kann ich erproben des Teusels Treu'.
Sie werden wohl nicht zerplatzen
An deinen dürren Lätzen.«
Rechbcrger sprengte von dannen stolz,
Er streifte mit seinem Knechte im Holz.
Der Dahn hat ferne gerufen,
Da hören sie Pferdehusen.
Dem Junker hoch das Herze schlug,
Des Weges kam ein schwarzer Zug
Lermummter Niitersleute;
Der Junker wich auf die Seite.
Und hinten trabt noch Einer daher, '
Ein ledig Näpplein führet er,
Mit Sattel und Zeug stafsiret,
Mit schwarzer Decke gezieret.
Reclcherger ritt heran und frug:
»Sag' an! wer sind die Herren vom Zug?
Sag' an, traut lieber Knappe!
Wem gehört der ledige Rappe?« —
»Dem treuesten Diener meines Herrn,
Nechberger nennt man ihn nah und fern.
Ein Jährlein, so ist er erschlagen,
Dann wird das Rapplein ihn tragen.«
Der Schwarze ritt den Andern nach,
Der Junker jit seinem Knechte sprach:
«Weh' mir": voiu Rotz ich steige,
Es geht mit mir zur Neige.
Ist dir mein Nößlcin nicht zu wild,
Und nicht zu schwer mein Degen und Schild,
Nimm's hin dir zum Gewinnste
Und brauch'« iu Gottes Dienste!«
Rechberger in ein Kloster ging:
»Herr Abt, ich bin zum Mönche zu 'ring,
Doch möcht' ich. iu tiefer iiicuc
Dein Kloster dienen als Laie.« —
> Du bist gewesen ein Reilersmann,
Ich seh' es dir an den Sporen an,
So magst du der Pferde walten,
Die wir im Klosterstall halten.«
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125
kommen und fragte ihn, wie er sich's einfallen lassen könnte, das
über seine Thür zu schreiben, da er, der König selber, es nicht
einmal von sich sagen könne und Niemand wisse, was der Morgen
bringe. Der Müller antwortete, es wäre nun einmal so und
ließe sich dazu nichts machen. „Nun," sagte der König, „so komm
Er morgen früh nur einmal zu mir; dann will ich an Ihn drei
Fragen thun, und kann Er die beantworten, will ich's Ihm glauben."
Am andern Morgen kam der Müller. „Guten Morgen, lieber
Freund," sprach der König, „was meint Er: Wie viel Sterne
stehen am Himmel?" Der Müller sagte: „Gebt mir einen groß-
ßen Bogen weiß Papier!" und dann machte er mit der Feder so
viel feine Punkte darauf, daß sie kaum zu sehen waren und einem
die Augen vergingen, wenn man hinblickte. Darauf sprach er:
„So viel Sterne stehen am Himmel, als hier Punkte auf dem
Papier, zählt sie nur." Aber Niemand war dazu im Stand.
„Gut!" sprach der König; aber nun die zweite Frage: „Wie schwer
ist wohl der Mond?" „Höchstens," antwortete der Müller, „vier
Viertel, und wenn Ihr es nicht glauben wollt, mögt Ihr ihn selbst
wiegen." „Und wie tief ist das Meer?" fragte der König wieder,
und der Müller antwortete: „Einen Steinwurf!" Da lächelte
der König und sagte: „Hör' Er, Müller, Er ist ein Schalk; aber
wenn Er mit Allem so schnell fertig werden kann, ist's kein Wun-
der, daß Er keine Sorgen hat." Der König beschenkte darauf den
Müller reichlich und sind ihr Lebtag gute Freunde geblieben.
104. Geschichte eines Goldstücks.
Aus dem Silber der Mansfelder Bergwerke werden Thaler
geschlagen, die auf der einen Seite das Bildniß des Königs
von Preußen tragen, auf der andern Seite aber steht, aüstatt des
preußischen Wappens, die Inschrift: Segen des mansfelder Berg-
baues. Und der Erzähler weiß von einem Kaufmdnn des
bergischen Landes, der alle diese Segensthaler, wie sie-genannt
werden, welche durch seinen Geschäftsverkehr in seine Kasse fließen,
sammelt und sie am Jahresschlüsse zur Mission hingibt, und sind
einmal vierzig Segensthaler zusammen gekommen und hingegeben
mit fröhlichem Herzen. Gott vergelt's.
Der Erzähler hat auch wohl je und wann einen der schön-
geprägten kremnitzer Dukaten gesehen, die immer seltener werden,
jene nämlich, auf denen die Worte stehen: Wohl dem, der Freude
an seinen Kindern erlebt. Und er weiß von einem Kinde, das
durch den Anblick dieser Inschrift immer und immer wieder an
den lieben, längst entschlafenen Vater und seine treuen Ermah-
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197
erschreckt worden, beim sie hatten gehofft, er werbe nicht kommen
ititb sie also Gelegenheit haben, mit ihm beste schärfer zu ver
fahren." Einfach erzählt Luther selbst: „Ich fuhr in einem offenen
Wäglein in Worms ein; bei kamen alle Leute auf bic Gasse und
wollten den Mönch Dr. Martin sehen, ittib fuhr also in Herzogs
Friedrichs Herberg, mib war auch Herzog Friedrich dabei bange
gewesen, daß ich gen Worms kam." Daselbst hatte er von Abend
an bis in die späte Nacht von vielen Grafen, Freiherrn, Rittern
und anderen Herrn vom Adel, geistlichen und weltlichen Standes,
Zuspruch, die seinen unerschrockenen Muth und Fröhlichkeit be-
wunderten. Gleich am folgenden Tage, dem 17. April, wurde
er vor die Reichsversammlnng geladen, und der Reichsmarschall
Ullrich von Pappenheim holte ihn selbst dahin ab. Eh' er dahin
ging, stärkte er sich durch ein Gebet.— Um 4 Uhr begab er sich,
von dem Reichsmarschall und dem kaiserlichen Herold geleitet, vor
die Reichsversammlung; aber sie konnten wegen des zudrängenden
Volks, das Lnthern sehen wollte, nicht auf dem gewöhnlichen
Wege dahin gelangen, sondern mußten durch Gärten und Häuser
gehen; aber Biele fliegen, um zu seinem Anblick zu gelangen, sc
gar auf Häuser und Dächer. Als er in den Saal des Rathhanses,
wo die Versammlung war, treten wollte, klopfte ihm der berühmte
deutsche Feldhauptmann Georg von Freundsberg auf die Schul-
ter mit den Worten: „Mönchlein, Mönchleinl du gehst jetzt einen
Gang, einen solchen Stand zu thun, dergleichen ich und mancher
Oberster auch in unserer allerernstestcn Schlachtordnung nicht ge.
thau haben. Bist du aufrechter Meinung und deiner Sache gc
wiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost! Gott
wird dich nicht verlassen." Im Saale selbst richteten Manche
von den Neichsmitgliedern tröstende und ermuthigende Worte an
ihn, und namentlich rief ihm Einer die Worte Christi zu: „Wenn
sie euch überantworten werden, so sorget nicht, was oder wie ihr #
reden wollet, denn cs wird euch zu derselbigen Stunde gegeben
werden, waö ihr reden sollet." — Andere riefen ihm zu, sich
nicht zu fürchten vor denen, die nur den Leib tödten können. Der
Reichsmarschall aber erinnerte ihn, daß er sich darauf beschränken
müsse, nur auf die ihm vorgelegten Fragen zu antworten. Jo-
hann von Eck, Ofsieial von Trier, begann die Verhandlung
mit der an Luther gerichteten Frage, ob er die aufgehäuft dalie-
genden Schriften für die scinigen erkenne und ob er deren Inhalt
widerrufen wolle. Die erste Frage hätte Luther, in heldenmüthiger
Entschlossenheit unvorsichtig, sofort bejaht, wenn nicht sein Bei-
stand, der Rechtsgelchrte Schürf, dazwischen gerufen hätte, man
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Extrahierte Personennamen: Martin Friedrichs_Herberg Friedrichs Friedrich Friedrich Ullrich_von_Pappenheim Georg_von_Freundsberg Ofsieial_von_Trier
„ Aller Anfang ist schwer, sagte ein Dieb und stahl einen
Ambos" erwiederte er denen, die ihm Vorstellung machten.
Als er wieder frei war und an Leib und Seele immer mehr
herabkam, sagte er eines Tages: „Reinlichkeit ist die Hauptsache"
und bestrich sich den Stiefel, wo der nackte Fuß heraus sah,
mit Mist. (5s fielen nun manche Diebstähle vor, darunter
„sehr ausgezeichnete" wie dw Richter sagen; Hans Klepper wurde
als Thäter erkannt und strenge bestraft. „Gewohnheit!" sagte
er zum Geistlichen, der ihn bekehren wollte.
Als Klepper endlich wieder einige Tage frei herumging, aber
unter polizeilicher Aufsicht stand, sagte er eines Tages: „Paßt
auf!" und zündete dem Nickold das Hans über dem Kopfe an.
Man fragte ihn, was ihn zu diesem Verbrechen veranlaßt habe?
„Das hilft von den Mäusen" sagte er.
Er kam ins Zuchthaus, erschlug dort den Gcfangenwärter
und wurde zu Galgen verurtheilt-------------
„Ordnung muß sein " sagte er, als er gesenkten Kopse- und
mit schlotternden Beinen zkir Nichtstätte ging.
122. Räthsel.
i.
Ergründe mir dies Fündchen,
Wie klug du bist, last schaun!
4-on Knochen ist ein Zaun,
Dran« bellt ein rothes Hündchen.
Iii.
Ein Fastchen ist so weist und klein,
Zwiefache Feuchte schließt es ein:
Doch wenn man es nicht gar zerbricht,
So giebt es fein^Labe nicht.
Ii. 'tv.
Ein eiserne« Pferdchen — begreife! — Oben eine Seele,
Mit einem flächfernen Schweife, Unten eine Seele,
Bald hüpft es auf in die Lüfte, Leder in der Mitten:
Bald schlüpft es durch Höhlen und Grüfte. So wird in Eile hingefchritten.
V.
Pou Hen wobl raget ein Haufen, Zehn zarte Schäflein dran raufen.
1*3. Rübezahl und der Glashändler
Eines Tages sonnte sich Rübezahl, der schelmische Geist des
Riescngebirges, an der Hecke seines Gartens. Da kain ein Weib-
lein ihres Wcges daher, in großer Unbefangenheit, iiitb erregte
durch ihren sonderbaren Aufzug seine Aufmerksamkeit. Sie hatte
ein Kind an der Brust liegen, eines trug sie ans dem Rücken,
eines leitete sie an der Hand, und ein etwas größerer Knabe trug
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175
Das Weib: Ei nun, das kümmert mich auch nicht; werden
sie erschlagen, so sterben sic für den Kaiser und fürs Baterland
in ihrem Berufe, können aber auch Beute machen und der alten
Eltern Pflegen.
Hierauf erneuerte der Geist den Knabenhandel nochmals;
doch das Weib würdigte ihn keiner Antwort, raffte das Laub
in den Korb, band oben drauf den kleinen Schreier fest, und
Rübezahl wandte sich, als wollte er fürder gehn. Weil aber die
Bürde zu schwer war, daß das Weib nicht aufkommen konnte,
rief sie ihn zurück: „Ich hab' Euch einmal gerufen," sprach
sie, „helft mir nun auch auf, und wenn Ihr ein klebriges thun
wollt, so schenkt dem Knaben, der Euch gefallen, ein Gröschel
zu einem Paar Semmeln; morgen kommt der Bater heim, der
wird uns Weißbrod aus Böhmen mitbringen." Der Geist ant-
wertete: „„Aufhelfen will ich Dir wohl, aber gibst Du mir den
Knaben nicht, so soll er auch keine Spende haben."" „Auch gut,"
versetzte das Weib, und ging ihres Weges.
Je weiter sie ging, je schwerer wurde der Korb, daß sie un-
ter der Last schier erlag und alle zehn Schritte verschnaufen
mußte. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen; sie
wähnte, Rübezahl habe ihr einen Possen gespielt, und eine Last
Steine unter das Laub praeticirt; darum setzte sie den Korb ab
auf dem nächsten Rande und stürzte ihn um. Doch eö fielen
eitel Laubblätter heraus und keine Steine. Also füllte sie ihn
wieder zur Hälfte, und raffte noch so viel Laub in'ö Bortuch,
alö sie drein fassen konnte, aber bald wurde ihr die Last von
Neuem zu schwer, und sie mußte nochmals ausleeren, was die
rüstige Frau groß Wunder nahm ; denn sie hatte gar oft hochge-
panste Graslasten heimgetragen und solche Mattigkeit noch nie
gefühlt. Deß ungeachtet beschickte sie bei ihrer Heimkunft den
Haushalt, warf den Ziegen und den jungen Hipplein das Laub
vor, gab den Kindern das Abendbrot, brachte sie in Schlaf, be-
tete den Abendsegen, und schlief flugs und fröhlich ein.
Die frühe Morgenröthe und der wache Säugling, weckten das
geschäftige Weib zu ihrem Tagewerke ans dem gesunden Schlafe. Sie
ging zuerst mit dem Melkfasse ihrer Gewohnheit nach zum Ziegen-
stalle. Welch schreckenvoller Anblick! Das gute nahrhafte Hausthier,
die alte Ziege, lag da, rohhart und steif, hatte alle Biere von sich
gestreckt und war verschieden; die Hipplein aber, verdrehten die An-
gen gräßlich im Kopfe, streckten die Zunge weit von sich, und gewalt-
same Zuckungen verriethen, daß sie der Tod ebenfalls schüttele. So
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177
Jetzt wußte sie ihres Reichthums keiu Ende; doch mit der
Besitznehmung empfand sie auch die drückenden Sorgen desselben.
Sie ward unruhig, scheu, fühlte Herzklopfen, wußte nicht, ob sie
den Schatz in die Lade verschließen oder in den Keller vergraben
sollte, fürchtete Diebe und Schatzgräber, wollte auch den Knauser
Steffen nicht gleich Alles wissen lassen, aus gerechter Besorgniß, daß
er, vom Wuchergeiste angetrieben, den Mammon an sich nehmen
und sie dennoch nebst den Kindern darben lassen möchte. Sie sann
lange, wie sie es klug damit anstellen möchte, und fand keinen
Rath. Endlich nahm sie ihre Zuflucht zu dem trostreichen Seelen-
pfleger des Dorfes, berichtete ihm unverhohlen das Abenteuer mit
Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichthume verholfcn und was
sie dabei für Anliegen habe. Nachdem er lange nachgesonnen
hatte, sagte er': „Hör an, meine Tochter, ich weiß guten Rath für
Alles. Wäge mir das Gold zu, daß ich Dirs getreulich aufbe-
wahre; dann will ich einen Brief schreiben in welscher Sprache,
der soll dahin lauten: Dein Bruder, der vor Jahren in die Fremde
ging, sei in der Venediger Dienst nach Indien geschifft und da-
selbst gestorben, und hab all sein Gut Dir im Testament ver-
macht, mit dem Beding, daß der Pfarrer des Kirchspiels Dich
bevormunde, damit es Dir allein, und keinem Andern zu Nutz
komme. Ich begehre weder Lohn noch Dank von Dir; nur gedenke,
daß Du der heiligen Kirche einen Dank schuldig bist für den Se-
gen, den Dir der Himmel bescheeret hat, und gelob ein reiches
Meßgewand in die Sakristei." Dieser Rath behagte dem Weibe
herrlich; sie gelobte dem Pfarrer das Meßgewand; er wog in
ihrem Beisein das Gold gewissenhaft bis auf ein Quentlein ans,
legt cs in den Kirchenschatz, und das Weib schied mit frohem und
leichtem Herzen von ihm.
Rübezahl war nicht minder ein Weiberpatron. So sehr die
wackere Dörfcrin mit ihren Gesinnungen und ihrem Benehmen
seine Gewogenheit erworben hatte, so ungehalten war er über den
barschen Steffen, trug groß Verlangen, das biedere Weib an ihm
zu rächen, ihm einen Possen zu spielen, daß ihm Angst und Weh
dabei würde, und ihn dadurch so kirre zu machen, daß er der
Frau Unterthan würde und sie ihm nach Wunsche den Daumen
aufs Angehalten könne. Zu diesem Behufe sattelte er den raschen
Morgenwind, saß auf und galophirte über Berg und Thal, spio-
nirte wie ein Ausreiter auf allen Landstraßen und Kreuzwegen von
Böhmen her, und wo er einen Wandrer erblickte, der eine Bürde
trug, war er hinter ihm her, und forschte mit dem Scharfblick
eines Korbbeschauerö nach seiner Ladung. Zum Glück führte
12
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187
Die Mutter war nur wie verwirrt; Nun hab' ich wieder meinen Jungen
Ich hab'« dem Burschen angesehen, Gesund daheim; deß Lin ich froh!»
Wie weit die Reise gehen wird.» — Doch Peter sagte ganz beklommen:
«»Hätt ich nur nicht geglaubt es schneit,
Die Mutter jnbelte, durchdrungen Und wär der Kreuzweg nicht gekommen,
Bon frommem Dank: «'s ist besser so! Ich wäre jetzt, wer weiß, wieweit!».,
128. Dädalus und Ikarus«
Dädalus aus Athen war der kunstreichste Mann seiner Zeit,
Gaumeister, Bildhauer und Arbeiter in Stein. In den verschieb
dcnsten Gegenden der Welt wurden Werke seiner Kunst bewundert
und von seinen Bildsäulen sagte man, sie leben, gehen und sehen
und seien für kein Bild, sondern für beseelte Geschöpfe zu hal-
ten. Aber wegen der Ermordung seines Schülers Talos wurde
er vor dem Gerichte angeklagt und schuldig befunden. Er entwich
nun und irrte anfangs flüchtig in Attika umher, bis er weiter
nach der Insel Kreta floh. Hier fand er bei dem Könige Minos
eine Freistätte, ward dessen Freund und als berühmter Künstler
hoch angesehen. Er wurde von ihnr ausgewählt, um dem Mino-
taurus, einem Ungeheuer von abscheulicher Abkunft, der ein Dop-
pelwesen war, das vom Kopfe bis an die Schultern die Gestalt
eines Stieres hatte, im Uebrigcn aber einem Menschen glich, einen
Aufenthalt zu schaffen, wo das Ungethüm den Augen der Men-
schen ganz entrückt würde. Der erfindsamc Geist des Dädalus
erbaute zu dem Ende das Labyrinth, ein Gebäude voll gewunde-
ner Krümmungen, welche Augen und Füße des Betretenden ver-
wirrten. Die unzähligen Gänge schlangen sich ineinander, wie
der verworrene Lauf des geschlängelten phrygischen Flusses Mäan-
der, der in zweifelndem Gauge bald vorwärts, bald zurück fließt
und oft seinen eigenen Wellen entgegenkommt. Als der Bau
vollendet war und Dädalus ihn durchmusterte, fand sich der Er-
finder selbst mit Mühe zur Schwelle zurück, ein so trügerisches
Jrrsal hatte er gegründet. Im Innersten dieses Labyrinthes wurde
der Minotaurus gehegt und seine Speise waren 7 Jünglinge und
7 Jungfrauen, die, vermöge alter Zinsbarkeit, alle Jahre von
Athen dem Könige Kreta's zugesandt werden mußten.
Indessen wurde dem Dädalus die lange Verbannung aus
der geliebten Heimath doch allmälig zur Last und es quälte ihn,
bei einem tyrannischen und selbst gegen seinen Freund mißtrauischen
Könige sein ganzes Leben auf einem vom Meere rings umschlos-
senen Eilande zubringen zu sollen. Sein erfindender Geist sann
auf Rettung. . Nachdem er lange gebrütet, rief er endlich ganz
freudig aus: ,r Die Rettung ist gefunden! Mag mich Minos
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123
hab ich köstlicher!, edler, theurer und besser Mauer Zeit meines
Lebens noch nicht gesehen; das will ich Gott und euch bekennen,
lieber Schwäher; habt immer Dank, daß ihr mir solche gezeigt habt."
101. Graf Richard ohne Furcht.
Graf Richard von der Normandie
Erschrak in seinem Leben nie.
Er schweifte Nacht wie Tag umher,
Manchem Gespenst begegnet' er;
Doch hat ihm nie was Grau'n gemacht
Bei Tage noch um Mitternacht.
Weil er so viel bei Nacht that reiten,
So ging die Sage bei den Leuten:
Er seh' in tiefer Nacht so licht,
Als mancher wohl am Tage nicht.
Er Pflegte, wenn er schweift' im Land,
So oft er wo ein Münster fand,
Wenn's offen war hineinzntreten,
Wo nicht, doch außerhalb zu beten.
So traf er in der Nacht einmal
Ein Münster an, im öden Thal;
Da ging er, fern von seinen Leuten,
Nachdenklich, ließ sie fürbaß reiten.
Sein Pferd er an die Pforte band,
Im Innern einen Leichnam fand.
Er ging vorbei hart an der Bahre
Und Imete nieder am Altare,
Warf aus 'nen Stuhl die Handschuh eilig,
Den Boden küßt er, der ihm heilig.
Noch hat er nicht gebetet lange,
Da rührte hinter ihm in: Gauge
Der Leichnam sich auf dem Gestelle.
Der Graf sah um und rief: »Geselle,
Du seist ein guter oder schlimmer,
Leg' dich auf's Ohr und rühr' dich nimmer!«
Dann erst er fein Gebet beschloß,
Weiß nicht, ob's klein war, oder groß.
Sprach dann, sich segnend: «Herr, mein' Seel'
Zu deinen Händen ich empfehl'.
Sein Schwert er faßt und wollte gehen,
- Da sah er das Gespenst aufstehen,
Sich drohend ihnp entgegen recken,
Die Arme in die Weite strecken,
Als wollt' es mit Gewalt ihn fasten
Und nicht mehr aus der Kirche lasten.
Richard besann sich kurze Weile,
Er schlug das Haupt ihm in zwei Theile; ,
Ich weiß nicht, ob es weh geschrien,
Doch mußt'« den Grafen lassen ziehn.
Er fand sein Pferd am rechten Orte;
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134
auf den Berg, wo sie den langen, langen Tag unter vergeblichem
Warten und Sorgen zubrachte. — Aber als sie Abends hinter
der gehörnten Schaar das Dorf hinunter ging, kamen einige Maul-
thiere herauf, ihr entgegen. Und ans dem vordersten saß ihr Be-
nedict hinter einem Knechte des Fürstbischofs und zwar so munter,
daß die Wittfrau sogleich sah, es müsse ihm den Tag über nicht
schlecht gegangen sein.
Und so war es auch. Der Bischof hatte sich sogleich für die
Pflastersteine des Sandbuben entschieden und die fremden Stein-
metzen wieder in ihre Heimath entlassen, den Knaben aber mit
sich in sein Haus genommen, gespeist und ihm versichert, daß er
für ihn und seine Mutter sorgen wolle. Dann hatte er ihn mit
dem Baumeister, der das Steinlager untersuchen sollte, nach So-
leuhofen zurückgehen lassen.
Der Bischof hielt Wort. Nachdem Benedict bei einem Mei-
ster Steinmetz in Eichstädt in der Lehre gewesen war, ließ er sich
in Solenhofen nieder und hatte fortwährend so viele Bestellungen
an Pflaster- und Quadersteinen, daß es ihm und seiner Mutter
nie mehr an dem täglichen Brot fehlte.
107. Der reichste Fürst.
Preißend mit viel schönen Reden »Kroße Städte, reiche Klöster,«
Ihrer Länder Werth und Zahl, Ludwig, Herr zu Baiern, sprach,
Saßen viele deutsche Fürsten »Schassen, daß mein Land dein euren
Einst zu Worms im Kaisersaal. Wohl nicht steht an Schätzen nach.«
»Herrlich,« sprach der Fürst von Sach
sen,
»Ist mein Land und seine Macht,
Silber hegen seine Berge
Wohl in manchem tiefen Schacht.«
»Seht mein Land in üpp'ger Fülle,«
Sprach der Kurfürst von dem Rhein,
»Goldne Saaten in den Thälern,
Auf den Bergen edlen Wein!«
Eberhard, der mir dein Barte,
Würtembergö geliebter Herr,
Sprach: »Mein Land hat kleine Städte,
Trägt nicht Berge, silberschwer;
Doch ein Kleinod hält's verborgen:
Daß in Wäldern, noch so groß,
Ich mein Haupt kann kühnlich legen
Jedem Unterthan in Schoß.«
Und eö rief der Herr von Sachsen,
Der von Baiern, der vom Rhein:
»Graf im Bart, Ihr seid der Reichste,
Euer Land trägt Edelstein!«
108. Der Ileberfall im Wildbad.
In schönen Sommertagen, wann lau die Lüste wehn,
Die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn,
Da ritt aus Stuttgarts Thoren ein Held von stolzer Art,
Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Ludwig Eberhard Eberhard_der_Greiner
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so stieg er vom Pferde ab, und setzte die drei Gefangnen wieder in's
Wasser. Sie zappelten vor Freude und riefen ihrem Erretter zu:
„ Wir wollen dirs gedenken und dir's vergelten." Er ritt darauf
weiter, und nach einem Weilchen kam es ihm vor, als hörte er
zu seinen Füßen in dem Sande eine Stimme. Er horchte, und
vernahm, wie sich ein Ameisenkönig beklagte: »»Wenn uns nur die
Menschen mit den plumpen Thieren vom Leibe blieben! Da tritt
mir das ungeschickte Pferd mit seinen schweren Hufen meine Leute
ohne Barmherzigkeit nieder." Er lenkte auf einen Seitenweg ein,
und der Ameisenkönig rief ihm zu: „Wir wollen dir's gedenken
und dir's vergelten." Da führte ihn der Weg in einen Wald,
und er sah zwei Rabenelteru, die stunden bei ihrem Nest, und
warfen ihre Jungen heraus. „Fort mit euch, ihr Galgenschwen-
gel!" riefen sie, »»wir können euch nicht mehr satt machen, ihr
seid groß genug, und könnt euch selbst ernähren." Die armen
Jungen lagen ans der Erde, flatterten ünd schlugen mit ihren
Fittigen und schrien: »»Wir hilflosen Kinder, wir sollen uns er-
nähren, und können noch nicht fliegen! uns bleibt nichts übrig,
als hier Hungers zu sterben." Da stieg der gute Jüngling ab,
tödtete das Pferd mit seinem Degen und überließ eö den jungen
Raben zum Futter. Die kamen herbei gehüpft, sättigten sich und
riefen: »»Wir wollen dirs gedenken und dirs vergelten."
Er mußte jetzt zu Fuße weiter gehen, und als er lange
Wege gegangen war, kam er in eine große Stadt, da war großer
Lärm und Gedränge in den Straßen, und kam Einer zu Pferd
und machte bekannt: Die Königstochter suche einen Gemahl, wer
sich aber um sie bewerben wolle, der'müsse eine schwere Aufgabe
vollbringen und könne er es nicht glücklich ausführen, so habe er
sein Leben verwirkt. Biele hatten cs schon versucht, aber ver-
geblich ihr Leben daran gesetzt. Der Jüngling, als er die Königs-
tochter in ihrer großen Schönheit sah, vergaß alle Gefahr, trat
vor den König und meldete sich als Freier.
Er ward hinaus ans Meer geführt und vor seinen Augen ein
goldener Ring hineingeworfen; dann ward ihm aufgegeben, den
Ring aus dem Grunde herauszuholen, und ihm gedroht, wenn er
ohne ihn wieder in die Höhe käme, so würde er aufs neue hin-
abgestürzt und müsse in den Wellen umkommen. Alle bedauerten
den schönen Jüngling und ließen ihn einsam am Meere zurück.
Da stund er unentschlossen am Ufer, und überlegte, was er wohl
thun sollte, als er auf einmal drei Fische daher schwimmen sah,
und eö waren keine andern als jene, welchen er das Leben ge-
rettet hatte. Der mittelste hielt eine Muschel im Munde, die er
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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