1876 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Preuß, August Eduard, Vetter, J. A.
- Auflagennummer (WdK): 100
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
— 178 —
Einen überraschenden Eindruck und alle Erwartung übertreffend macht Böh^
mens Hauptstadt. Mit Prag möchte sich von den deuffchen Städten keine au
Schönheit und Eigenthümlichkeit der Lage messen können, und es lässt sich kein
vollerer Gegensatz denken, als zwischen einer Stadt wie Berlin und Prag.
Berlin in einer durchaus flachen, einförmigen Sandebcne an der unscheinbaren
Spree, — Prag in einem wechselreicken Hügellande, zum Theil selbst auf Ber-
geshöhen erbaut, an den malerischen Ufern der Moldau; um Berlin die Natur
des norddeutschen Tieflandes, — um Prag schon süddeutsche Natur, Wein - und
Obstgärten; die Straßen von Berlin alle breit, regelmäßig, geradlinig — in
Prag kaum zwei breite gerade Straßen, alle andern krumm und eckig; in Berlin
fast alle Häuser wie Paläste, schön, freundlich, aber einförmig, ohne geschichtliche
Erinnerungen, — in Prag viel rußige, alterthümliche Häuser, unregelmäßig mit
-gewölbten Vorbauen und Laubengängen, die Paläste aus ältester Zeit, kein Haus
dem andern gleich, ein bunter Wechsel: in Berlin alles fein, abgeschliffen, elegant,
vornehm, — in Prag viel Schmutz, an allen Ecken und Enden Fleisch- und
L>emmelbuden, Höckerweiber und dampfende „Würstel."
Wie im Lande, so zeigt sich auch im Charakter des Böhmen noch mannigfach
eine gewisse Natürlichkeit. Ein hervorstehender Zug im Charakter des ganzen böhmi-
schen Volkes ist jene unterthänige Höflichkeit. Wenn der Preuße einfach „guten
Morgen" sagt, so spricht schon der Sachse: „schönen guten Morgen", der Böhme
aber kann es dabei nicht bewenden lassen und vollendet den Satz: „guten Morgen
wünsch ich", „guten Abend wünsch ich"; damit indessen noch nicht zufrieden, nennt
er auch noch den gehorsamsten Diener, und ein vollständiger Nachtgruß lautet:
„Gute Nacht wünsch' ich, Ihr gehorsamer Diener, schlafen Sie wohl!"
Der Bauer hat schon seinen Hut unter dem Arme, wenn er seinen Guts-
herrn von Weitem erblickt. Muff er mit ihm sprechen, oder kommt er sonst in
seine Nähe, so begrüßt er ihn mit einem Handkuss. Diese Sitte hat etwas Pa-
triarchalisches und Zutrauliches und ist viel besser, als jenes Kniebeugen der
Polen. Dem Pfarrer küssen Alt und Jung, Männer und Weiber, Bursche und
Mädchen die Hand, sobald sie ihm auf der Straße begegnen oder ihn in seinem
Hause besuchen. Sämmtliches Gesinde nicht nur, sondern auch die obern Haus-
beamten küssen dem gnädigen Herrn, der gnädigen Frau täglich, sobald sie
derselben ansichtig werden, die Hand. In den höhern Ständen küssen die Söhne
und Töchter des Hauses, so lange sie noch nicht das vierzehnte Jahr überschritten
haben, dem Papa und der Mama, dem Onkel und der Tante nach jeder Mittags:
Mahlzeit und vor dem Schlafengehen erst die Hand und dann den Mund.
Das anziehendste und wichtigste Schauspiel bietet Böhmen dar in der Mischung
zweier grundverschiedener Nationen, die seine Bevölkerung bilden. Bon den
nahe fünf Millionen sind über 3,000,000 Czechen (Tschechen). der übrige Theil
Deutsche. Wie zwei feindselige Elemente sind jene zwei Völker oft im Kampfe
gegen einander gefahren, bis der Czeche erlag. Aber seine Hoffnung auf eine
bessere Zukunft lebt in Dichtung und Sage von Geschlecht zu Geschlecht fort.
Aus dem reichen Schatze derselben nur ein Beispiel. Im Taborer Kreise liegt
ein Berg Blanik, aus dem rieselt eine Quelle hervor mit grünlichem Wasser und
weißem Schaume. In alten Zeiten, wo ein sehr mächtiger Feind das Czechen-
volk bedrängte und endlich unterjochte, hatten sich aus der letzten unglücklichen
Schlacht einige tausend Eingeborene gerettet, und vom Feinde hart verfolgt, im
Innern jenes sonderbaren Berges, der sich plötzlich der Reiterschaar geöffnet,
Schutz und Zuflucht gefunden. Allda schlafen sie nun schon viele hundert Jahre
sammt ihren Pferden, sterben aber nicht, sondern werden wieder hervorkommen,
wenn die Zeit erfüllet ist, und Böhmen wieder in der größten Bedrängnis) fern
wird; dann aber werden sie siegen. Zuweilen heben sie die Köpfe empor und
fragen, ob es nicht Zeit sei. Dann spitzen die Pferde die Ohren, aber alsbald
fällt auch Alles wieder in den Schlaf. Wer an dem rechten Tage und zur rechten
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aber, den sie heimtragen, kommt auch den entferntesten Ländern zu Gute durch
ausgedehntesten Handelsvertrieb. — In andern Bezirken baut man auch vortreff-
liches Getreide. Limburgs bedeutendste Stadt ist Roermund.
36. Das Königreich Sachsen. f
Das Königreich Sachsen ernährt auf 272 Qm. 2,100,000 Menschen.
Das will viel sagen; da muss es viel fleißige und genügsame Arbeiter geben.
Und so ist es; selbst das in seiner Bodensläche unfruchtbare Erzgebirge wimmelt
von fleißigen Bergleuten, Leinwebern, Spitzenklöpplern und Strumpfwebern. So
lange es diesen nicht an Absatz ihrer Waaren fehlt, hat es keine Noth; stockt aber
der Verkehr, so tritt der bitterste Mangel ein. Das ebene Land an der Elbe
und die sehr fruchtbaren Gefilde um Leipzig versorgen mit ihren Erzeugnissen das
Bergland, das sich in seinen Gegengaben nicht undankbar erweist. Hier sind die
reichen Silbergruben bei Freiberg, Schneeberg und Annaberg, der Schatz
des ^achsenlandes, welcher durch zahlreiche Bergwerke ausgebeutet wird.
Dresden mit 148,000 Einwohnern, an beiden Ufern der Elbe, die Haupt-
stadt des Landes, hat eine reizende Lage. Zwei steinerne Brücken führen hier
über den Strom, die alte preiswürdige für Wagen und Fußgänger, die neue,
jener nicht unähnlich, für die Eisenbahn. Die berühmte Bildergallerie, so wie die
Kunstschätze und Kleinodien im grünen Gewölbe ziehen Reisende in großer Menge
zu dieser Königsstadt; nicht minder auch die schöne Bergnatur der nahen sächsi-
schen Schweiz, ein Sandsteingebirge an beiden Ufern der Elbe mit reizenden
Fernsichten, freundlichen Thälern, tiefen Schluchten und Abgründen.
Leipzig hat zwar nur 86,000 Einwohner, ist aber durch seine Messen eine
Handelsstadt von europäischem Rufe. Seine Ostermesse wird oft von 10,000
Kaufleuten besucht, die kaufend und verkaufend in den reichen Handelsgewölben
ihr Wesen treiben. Der Leipziger Buchhandel zieht das Netz seiner Verkehrswege
über ganz Europa und weiter hinaus. Auch durch die Völkerschlacht in den
ringsum liegenden Gefilden am 16., 18. und 19. October 1813, ist Leipzig ein
europäischer Name.
37. Die thüringischen Herzogtümer und die schwarzburgischen und
und reußischen Herzogtümer.
Das schöne Thüringen liegt recht in der Mitte Deutschlands. So wenig
einem auf der Landkarte die Zerstü/kelung gefallen mag, fühlt man sich doch im
Lande selbst und unter dem wackern Volke wie in einem herzigen Familienbunde
und unter ein und derselben milden Herrschaft. Und was geben die Lande und
Ortschaften nicht Alles zu erzählen aus der Vergangenheit und Gegenwart. Komm
und sieh! alle Jahrhunderte der deutschen Vorzeit reden mit dir in ihren zurück-
gelassenen Zeugen und Zeichen. Wir begrüßen zunächst
Das Großherzogthum Weimar mit seiner denkwürdigen Hauptstadt
Weimar, in welcher einst die größten Dichter Deutschlands: Göthe, Schiller,
Herder u. a. unter dem Schirme edler Fürsten und Fürstinnen ihre Werke
schufen. Zu aller Deutschen Freude hat der edle Großherzog im Jahre 1856 in
Weimar das Göthe-Schiller-Denkmal errichten lassen. Auf der Wartburg, un-
weit Eisenach, fand Luther Schutz als Junker Georg, aber er führte nur das
Schwert des Geistes und beschenkte die seiner Harrenden binnen Jahresfrist mit
dem neuen Testament.
Das Herzogthum Koburg-Gotha gab uns einst Helden und nennt
heute Prinzen, die von herrschenden Königinnen zum Gemahl erkoren sind und
deren Namen in England und Portugal in sprossenden Königsgeschlechtcrn blühen
werden. Auch der König von Belgien ist gothaischen Stammes. Ko bürg ist als
Stadt unbedeutend, Gotha dagegen als einstiger Herzogssitz durch Alterthümer und
schöne Anlagen seheuswürdig. Noch merken wir:
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noch des Landes alte Eintheilung in Altmark (jetzt zu Sachsen), Mittel-
mark, Priegnitz, Uckermark und Neumark.
Unter den Städten muss Berlin, als die Hauptstadt des Staats und
Residenz des Königs, der Sitz der höchsten Landesbehörden, am meisten unsere
Aufmerksamkeit auf sich richten. Sie ist eine der größten und schönsten Städte
Europa's mit 650,000 Einwohnern. Man findet hier die schönsten Gebäude,
wie das königliche Schloss, das Zeughaus, das Museum, das Opern-
haus, die Paläste der Prinzen und Ministerien, die größte Universität des
Staats und andere zahlreiche Anstalten für Wissenschaft, Kunst und Lebens-
verkehr. Auch drängen sich noch zur Betrachtung in die Reihe des Guten
und Schönen: das Brandenburger Thor mit seinem Triumphwagen
und Viergespann, die Statuen zur Verherrlichung des großen Kurfürsten
und der Helden des siebenjährigen so wie des Freiheitskrieges,
unter welchen die des großen Königs Friedrich Ii. einzig ist, wie er selbst.
Doch wo fänden wir das Ende des Schönen, wodurch alljährlich, ja oft
täglich Tausende von Fremden angelockt und gefesselt werden, und durch welche
Stadt und Land wieder der reichste Gewinn zufließt.
Die zweite Residenz des Königs ist Potsdam an der Havel mit
42,000 Einwohnern, dem großen Militärwaisenhause und schönen Palästen:
nahebei denkwürdige Lustschlösser.
Wir merken noch die Festung Spandau; Charlottenburg mit
königl. Schlosse und der Todtengruft der Königin Luise; Brandenburg,
Neustadt mit Spiegelfabrik, Fehrbellin und Iüterbogk, sowie Frank-
furt an der Oder mit seinen besuchten Messen, Landsberg an der Warthe
und die Festung Küstrin.
59. Kalk. — Kalklager.
Der Kalkstein gehört zu den Gebirgsarten, die in dem ersten Bil-
dungszeitraume der Erde entstanden, daher man diesen Kalk Urkalk oder
körnigen Kalk nennt, zu dem man besonders den Marmor zählt. Als
jedoch in einer spätern Zeit diese festen Massen zerklüftet wurden, entstanden
durch große Fluthen neue Bildungen, die sich in mächtigen Schichten ab-
lagerten, welche Flötze heißen, woher dieses neue Gebilde Flötzgebirge
genannt wird. Diesem gehört unser gemeine Kalkstein an, den man
auch seines dichteren Gefüges wegen dichten Kalkstein nennt. Er ist ein
Mittel, unser Bausteine fest zu verbinden. Aber, wie hat man es anzu-
stellen, um den festen Stein, der dauernd im Wasser liegen kann, ohne auf-
gelöst zu werden, in den bekannten Brei zu verwandeln? Man bringt den
Kalkstein in Kalköfen, in denen die große Hitze ihm einen Bestandtheil,
(die flüchtige Kohlensäure), nimmt und ihn leichter und mürber macht. Dieser
gebrannte Kalk heißt auch Aetzkalk wegen seiner ätzenden Eigenschaft, wes-
halb ihn die Gerber brauchen, um die Thierhäute leichter von den Haaren
zu befreien. Da der gebrannte Kalk das Bestreben hat, die Kohlensäure
wieder zu gewinnen, so muss man ihn vor feuchter Lust schützen, weil er
aus ihr das Master aufnimmt und nicht nur zerfällt, sondern dadurch eine
Wärme entwickelt, die einen Brand herbeiführen kann. Den gebrannten
Kalk löscht man, d. h., man setzt ihm Wasser zu, wodurch er sich unter
großer Hitzeentwickelung in einen Brei verwandelt, der, mit grobem Sande
versetzt, den Mörtel bildet, mit welchem wir mauern, und welcher aus der
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Berliner taugen nichts." „Majestät, ich kenne doch zwei Ausnahmen." „Wer
sind die?" Ew. Majestät und ich." Das gefiel ihm. Der Mann bekam
bald eine gute Pfarre. Reichen Leuten wies er Plätze an, sie mussten dann
Häuser bauen. „Der Kerl ist reich, der kann bauen," sagte er. Das Bauen
förderte er mit Geld, und wie er konnte, noch lieber aber den Ackerbau, so-
bald er sich überzeugte, dass die Wirthschaft gut geführt war. Er war sehr
sparsam und vermehrte seine Einnahmen auf alle Weise, darum konnte er
auch Millionen zu des Landes Besten ausgeben. Das havelländische Lug,
einen 7 Q.m. großen Sumpf, machte er urbar und gründete darin das
Amt Königshorst. Er nahm 17,000 evangelische Salzburger auf, die
1732 im strengsten Winter ihres Glaubens wegen aus der Heimath ver-
stoßen wurden, siedelte sie in Preußen an und verwandte 6 Millionen
dazu und über 20 Millionen, um dem durch die Pest verwüsteten Preußen
aufzuhelfen. Noch viele Tausend Evangelischer aus andern Ländern fanden
bei ihm Schutz und Aufnahme.
Unter seinen vielen Bauten in Berlin nennen wir einen Theil des
Schlosses, die Böhmische und die Dreifaltigkeitskirche, das große
Krankenhaus (Charitö), das Potsdamer Militär-Waisenhaus. Er
gründete mehrere tausend Volksschulen und ließ den Lehrern einschärfen, die
Kinder für Kinder der Ewigkeit anzusehen und sie Christo zuzuführen. Bei
seinem Tode hinterließ er außer einem Schatze, den das Schloss an silbernen
Tischen, Stühlen, Kronleuchtern, einem Orchester u. s. w. enthielt, 9 Millio-
nen baar und ein Heer von 80,000 Mann. Der Staat hatte auf 2275
Q. M. 2,240,000 Einwohner. Berlin 90,000. Nach Hahn.
3. Der Kronprinz Friedrich.
Friedrich Wilhelm I. war außer sich vor Freude über die Geburt
eines Kronprinzen: sein Fritz sollte ganz wie er, der Vater, werden. Das
war sein Streben. Den Erziehern empfahl er, ihm wahre Liebe zum Sol-
datenstande einzuprägen und zu imprimiren, dass nichts in der Welt einem
Prinzen mehr Ehre zu geben vermöge. „Meine Wiege," sagte Friedrich
später, „war mit Waffen umgeben, und in der Armee bin ich aufgewachsen."
Schon im 8. Jahre muffte er beständig eine Uniform tragen, sich die schönen
blonden Locken abschneiden lassen, mit dem Gewehr exerciren, und auf dem
Schlosshofe Wache stehen, selbst bei rauhem Wetter. Im 11. Jahre aber,
da commandirte er schon im Lustgarten, in einem knappen blauen Röckchen,
das dreieckige Hütchen auf dem Kopfe, sicher auf dem Pferde sitzend, seine
Compagnie Cadetten, die aus 110 Knaben, Söhnen adeliger Familien, be-
stand. Der König sah vom Schlosse aus mit Entzücken zu. Doch bald wur-
den Friedrich die Waffenübungen lästig: er hatte einen mächtigen Trieb
zu den Wissenschaften, zur Dichtunst und Musik.
Einst saß der Kronprinz nach dem Exerciren in einem goldgestickten
Schlafrock mit dem Lieutenant v. Katte und dem Flötenbläser Quanz zu-
sammen. Da hieß es plötzlich: „Der König kommt." Schnell verschwan-
den Katte und Quanz, _ Flöte und Noten mit sich nehmend und der Prinz
hatte kaum Zeit, die Uniform anzuziehen. Der König erkannte beim Eintritt
gleich, was vorgegangen war, die Bücher und den Schlafrock warf er in's
Feuer, und der Prinz erhielt eine derbe Strafpredigt. Eine Spannung
zwischen Vater und Sohn trat ein; der König ließ sich in Spottreden über
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Ediths und Adelheid, und vier Ritter, die sein Wappen halten; diese
einen um die Stadt sehr verdienten Bürgermeister, Namens Francke. Von
Otto I. wissen wir, dass er der Stadt den ersten Erzbischof gegeben. Im
Jahre 1648 aber wurde das Erzbisthum, gleich vielen andern, aufgehoben
und in ein weltliches Herzogthum verwandelt (fäcularisirt) und dem Kurfür-
sten von Brandenburg (Friedrich Wilhelm, dem großen Kurfürsten)
zugesprochen. Und so ist noch heute der König von Preußen auch Herzog
von Magdeburg. Hat aber die Stadt auch jetzt keinen Erzbischof mehr,
so hat sie doch einen Generalsuperintendenten, der ist der oberste
Verwalter alles Kirchenwesens in der ganzen Provinz. Auch der Comman-
deur des 4. Armeekorps hat in Magdeburg seinen Sitz. — Und nun wollen
wir wieder nach der Eisenbahn zurückgehen; denn es ist nicht nöthig, dass
wir auch die Vorstädte besuchen, die auch gar weit entlegen sind. Es hat
aber deren die Stadt vier: die Friedrichs stadi am rechtenufer der Elbe,
mit Wällen und Gräben, nördlich der Stadt die alte und neue Neustadt
und südlich von der Stadt die Sudenburg, die viele Fabriken hat. Da
aber Zeit ist, wollen wir noch eine halbe Stunde auf dem Fürstenwall
spazieren, wo wir die Elbe mit ihren Schiffen und die Züge der Eisenbahn,
auch die Stadt zum Thell, recht schön und bequem sehen wnnen. Die Elbe
geht durch die Stadt und an ihr vorbei in drei Armen, der alten, der
neuen und der Zollelbe, über sie führen drei Brücken. In der Nähe der
Stadt liegt der schöne Friedrich-Wilhelms-Garten, in dessen Umfang
vor Zeiten ein Kloster stand, Kloster Berge genannt, weil es auf einer
Anhaye erbaut war. Es stammt aus der Zeit Otto I. Hier wurde 1577
die Concordienformel verfasst. Die Reformation verwandelte das Kloster
in eine Schule, 1612 aber wurde das Haus von den Franzosen von Grund
aus zerstört. Ein Denkstein zeigt den Ort, wo es gestanden.
Und nun weiter! Wir fahren mit der Eisenbahn über Oscherslcben
nach Halb er sta dt. Oschersleben liegt an der Bode. Diese entspringt am
Fuße des Brockens aus zwei Quellen, der warmen und der kalten Bode, geht
vorbei an Thale, Quedlinburg, Ditfurth (wo viel Flachs gebaut wird), Grö-
ningen (mit einem alten Schlosse), Oschersleben, Egeln, Stassfurth und einem
über 1000 Fuß mächtigen Stemsalzlager und mündet bei Nienburg in die
Saale. Sie hat bis Oschersleben eine nördliche, dann eine südöstliche Rich-
tung und nimmt auf der rechten Seite die Selke auf mit Alexisbad, Mägde-
sprung, Falkenstein, Ballenstedt, links den Goldbach und die Holtemme,
welche ebenfalls vom Brockengebirae kommt, Wernigerode und Halberstadt
berührt und bei Gröningen in die Bode mündet.
2. Von Hsibcrstadt in den Har).
a. In Halberstadt ist mancherlei Merkwürdiges zu sehen. Dass es
eine sehr alte Stadt ist, das sieht man schon an den Straßen und den
Häusern. Die Straßen sind meist eng und winkelig, der Häuser viele von
Holz und so gebaut, dass, jedes obere Stockwerk um eine Schwellstärke über-
ragt, auöy mit vielem Schnitzwerk und frommen Sprüchen über dem
Eingang verziert, und die Jahreszahl dahinter zeigt uns an, dass sie schon
manches hundert Jahr erlebt haben. Unter diesen alten Gebäuden zeichnet
sich eins besonders aus durch Größe, und durch Menge und Kunst der ein-
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geschnittenen Bilder und Wappen, das heißt der Sch uh Hof, weil es in frü-
heren Zeiten der Schuhmachergilde gehörte, die es gegründet. An. einem
Hause daneben ist in einer Ecke ein Männlein mit einem Kasten abgebildet,
dem hat man in neuerer Zeit mit muntern Farben etwas angestrichen, daff
er ganz keck und jugendlich dreinschaut in das Getriebe auf dem Markte unter
ihm. Das Bild stellt den Tetzel dar mit seinem Ablasskasten; er hat
nach der Sage in diesem Hause gewohnt. Gehen wir von hier weiter
an dem alterthümlichen und merkwürdigen Rathhauß mit dem großen Ro-
landsbild vorbei auf den Dom platz. Hier sind eine Menge großer und
schöner Gebäude. Vor allen an den beiden Enden nach Osten und Westen
die zwei schönen Kirchen, die Liebfrauenkirche und der Dom. Die Lieb-
frauenkirche bat Fr. Wilhelm Iv. erneuert. Zu dem Dom ist der erste Grund
vor mehr als tausend Jahren (859) gelegt worden, doch ward das Werk
mehrmals wieder durch Feuer zerstört und vollendet erst vor ungefähr 600
Jahren. Von seinem hohen Alter ist er denn an manchen Stellen bau-
S und schadhaft geworden, doch wird seit manchem Jahr schon rüstig
eitet, ihn neu zu schmücken und seine verfallenen Theile wieder herzu-
stellen. Er ist ein gar herrliches Gebäude, das schon von Außen betrachtet,
noch viel mehr aber im Innern, den erhebendsten Eindruck macht. Zunächst
am Dom, zum Theil in einem Anbau deffelben, befindet sich das Dom-
gymnasium. An seiner Nordseite liegt das Appellationsgericht, in der
Nähe deffelben das Haus des Dichters Gleim (t 1803) mit dem Freund-
schaftstempel, der mehr als hundert Oelbilder, Portraits dem preuß. Sänger
befreundeter Dichter und Fürsten enthält (an der Promenade, dem „Poeten-
gange," Gleim's Denkmal); dann weiter hinter der Liebftauenkirche die Ge-
bäude des Landgerichts und des Jnquisitoriats, auf dem sogenannten
Petershof. Auf der Südseite befindet sich unter Anderm das Seminar (ge-
gründet tm Jahre 1778) und die Taubstummenanstalt. Der Platz ist
mit schönen Linden bepstanzt. Auf der Seite nach dem Dom zu liegt ein
großer Stein, der wahrscheinlich in grauer Vorzeit ein heidnischer Opferaltar
gewesen, daher sein Name Lügen- (oder Leggen-) Stein. Noch erinnert
manches Bild und Wappen und Inschrift an die Zeit, wo hier ein Bischof
wohnte und Domherren lebten. Das Bisthum aber wurde 1648 in ein
weltliches Fürstenthum verwandelt und kam an den Kurfürsten von Bran-
denburg, 1807 bis 1813 war es unter westphälischer Herrschaft und 1615
kam es wieder an Preußen rurück. Ein Denkstein in der Mauer eines
Thores eàert an den Kampf, den am 29. Juli 1809 Herzog Wilhelm
von Braunschweig bestand gegen die westphälische Besatzung. — Von
der Umgebung der Stadt wollen wir uns diese Punkte merken: 1. Die
Spiegelsberae mit vielen schönen, von einem Domherrn von Spiegel,
der 1785 gestorben, gegründeten Anlagen; 2. die Clus nahe dabei, einen
merkwürdigen Felsen, vor Zeiten wahrscheinlich Wohnung eines Klausners;
3. weiter nach Norden den gläsernen Mönch, vor einem Altar stehend,
auch Uvei merkwürdige einsame Felsengestalten; 4. den Hsppelberg
(881 Fuß hoch) mit einer wundervollen Aussicht, auch Sargberg genannt,
ìvell er nach der Sage das Grab eines Hünen fein soll, der im Kampf
mit den Bewohnern des Harzes fiel; 5. den Regen st ein (662 Fuß hoch),
gehörte vordem den Grafen von Reinstein und war eine Festung bis zum
Jahre 1757, wo sie von dem preußischen Prinzen Heinrich, nachdem er
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Thurm daneben, von dem man, bei klarem Himmel, eine Rundschau hat
von beinahe 18 Meilen und über 89 Städte und 668 Dörfer und Weiler.
Doch ist das Wetter eben sehr selten so klar, gewöhnlich hat der Alte, wie
der Volksmund sagt, eine Nachtmütze auf. Rings um ihn her find
eine Menge Kuppen und Höhen aufgethürmt, und von diesen (vielleicht
vor Jahrtausenden vom Ganzen als „ Brocken" abgelösten und umher ge-
streuten) Felsen und Blöcken mag der Berg seinen Namen haben. Die
größeren umherliegenden Berge und Felsenmaffen haben meist ihre besondern
Namen, wie Hohneklippen, Königsberg. Heinrichshöhe, kleiner Brocken,
Renneckenberg, Zeterklippen, Feuersteinklippen. Bemerkenswerthe Punkte
auf und am Gipfel des Berges sind die Teufelskanzel, der Hexenbrunnen,
das Schneeloch u. a. Unten am Fuß des Brockengebirges ist sehr frucht-
bares Ackerland. Der Berg gehört zur Grafschaft Wernigerode. — Vom
Brocken wieder abwärts nach Norden führt ebenfalls ein gebahnter Weg
durch das schöne Thal der Ilse, die auf dem Brocken ihre Quelle hat
und in ihrem Oberlauf mehrere prächtige Fälle bildet; diesen Weg wählen
wir, wandern an dem Jlsenstein vorbei nach Jlsenburg und von da nach
Wernigerode.
Vom Jlsenstein berichtet die Sage, es habe daselbst in alten Zeiten
ein Schloff gestanden, darin ein Harzkönig wohnte mit seinem schönen
Töchterlein Ilse. Unten aber auf dem Hügel, wo jetzt das Schloff von
Jlsenburg steht, wohnte eine böse Zauberin, die hatte auch eine Tochter,
aber ein hässliches Mädchen von Leib und Seele. Und da zu der schönen
Ilse sich bald ein Bräutigam fand, ein schöner Königssohn aus fernen
Landen, ärgerte sich das Hexenmädchen, denn sie gönnte der schönen Ilse
nicht ihr Glück. Darum so beredete sie ihre Mutter, eine ungeheure Fluth
hervorzuzaubern mit ihren höllischen Künsten, auf daff das schöne Schloff
unterginge sammt allen, die darinnen wohnten. Und so geschah's. Da
aber auch der Königssohn mit unterging, stürzte in der Verzweiflung auch
sie sich in die brausenden Fluthen. Bald darnach ward es wieder still,
das Gewäffer verlief sich, und nur ein kleines Wäfferlein blieb übrig von
den großen Strömen, das ist die liebliche Ilse, die ihren Namen empfing
von des Harzkönigs Töchterlein, und von dem schönen Schloß auf dem
Berge blieben nur 2 Pfeiler stehen, das ist, was heute der Jlsenstein heißt
und der Westerberg gegenüber. Die schöne Ilse aber ist nicht gestorben,
ein Geisterkönig rettete sie aus den Fluthen und nahm sie mit sich hinab
in sein unterirdisches prächtiges Schloff in dem Jlsenstein. Da wohnt sie
noch bis diesen Tag. An schönen Morgen, ehe die Sonne aufgeht, kommt
sie auch hervor aus dem Felsen, angethan mit einem weißen Kleide und das
Haupt geschmückt mit einem Diadem von strahlenden Krystallen, und badet
sich in den frischen Wellen. Doch wenn die Sonne herauskommt im Osten,
kehrt sie wieder heim in ihr Schloff. Wem es aber glückt, sie zu dieser
Stunde zu finden und zu schauen, den nimmt sie mit in ihr prächtiges, von
herrlichen Edelsteinen und Gold und Silber strahlendes Schloff, gibt ihm
köstliche Speisen und beschenkt ihn reichlich. Ein Jüngling, schön^von Gestalt,
von blauen Augen, blondem Haar und keuschem Herzen soll sie noch einst
erlösen aus ihrem Bann. Das ist das Märlein von der schönen Ilse.
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23 (413)
Die Ilse.
Ich bin die Prinzessin Ilse,
Und wohne im Jlsenstein;
Komm mit nach meinem Schlosse,
Wir wollm selig sein.
Es bleiben todt die Todten,
Und nur der Lebmd'ge
Und ich bin schön und
Mein lachendes Herze bebt.
lebt,
blühend,
Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well',
Du sollst deine Schmerren vergessen,
Du sorgenkranker Gesell!
Und bebt mein Herz dort unten,
So klisigt mein krystallenes Schloss,
Es tanzen die Fräulein und Ritter,
Es jubelt der Knappentrofs.
In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Brust,
Da sollst du liegen und ttäumen
Bon alter Märchenlust.
Ich will dich herzen und küssen,
Wie ich geherzt und geküsst
Den lieben Kaiser Heinrich,
Der nun gestorben ist.
Es rauschen die seidenen Schleppm,
Es klirren die Eisenspom,
Die Zwerge ttompetm und pauken
Und fideln und blasen das Horn.
Doch dich soll mein Arm umschlingen,
Wie er Kaiser Heinrich umschlang;
Ich hielt ihm zu die Ohren,
Wenn die Trompet' erklang.
H. Heine.
Aber auch die Geschichte hat hier eine Stätte. Hoch oben aus dem
Jlsenstein steht ein großes eisernes Kreuz, das hat ein Graf von Wer-
nigerode im Jahre 1814 errichten lassen etlichen seiner lieben Wafsen-
gefahrten, die in den Jahren zuvor im Kamps gefallen waren, zum bleiben-
den Gedächtnisi. Der Jlsenstein ist 1450 Fuß hoch. Jlsenburg hat
viele Mühlen und Hüttenwerke und ein altes Schloss, und zieht durch seine
schöne Lage in der milden Jahreszeit viele Fremde herbei. Wernigerode
hat ein Schloff, in dem der Graf wohnt, dem das Gebiet von Wemigerode,
doch so gehört, dass es, so wie er selbst, unter des Königs, als des Landes-
herrn, Oberhoheit steht. Das Schloff und der Schloffgarten sind schr schön
und sehenswerth, noch anziehender aber die wundervollen Amgehungen, die
zwölf Morgen, das Katharinenthal, das Himmelsschloff und besonders das
Thal von Hasserode und die steinerne Rinne.
e. Von Wernigerode gehen wir nun über Jlsenburg zurück und
kommen, nachdem wir Staplenburg passirt haben, alsbald in das Braun-
schweigische. Die Chaussee führt uns zunächst nach Harzburg, in deffen
Nähe Neustadt und aus dem Burgberg die Trümmer der Harzburg liegen,
eines Schlosses, welches Kaiser Heinrich Iv. wider die Sachsen aufbaute,
diese aber in dem Kriege mit ihm zerstörten. Doch sind die Ruinen, welche
wir sehen, nicht die Trümmer der von den Sachsen (1072) zerstörten Burg,
denn sie ist nachmals noch öfter, auch von Heinrich Iv. schon, wieder auf-
gebaut — und zerstört worden, auch lange Zeit (fast 200 Jahre lang) ein
ubelberüchtigtes Naubnest gewesen, und der letzte Bau ward erst im Jahre
1653 niedergerissen. Die Aussicht hier oben, südlich der große, grüne Wald
und das blaue Gebirg, auf den andern Seiten eine weite Ebene mit pran-
genden Fluren und blühenden Städten ist sehr schön. Von Harzburg gehen
wir über den bedeutenden Hüttenort Ocker nach Goölar. Das Dorf
Ocker liegt an dem Flüffchen des Ramens, welches am Bruchberg ent-
springt, dann von der rechten Seite durch die Ecker und Ilse verstärkt
wird, Wolfenbüttel und Braunschweig berührt, und in die Aller
1876 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Preuß, August Eduard, Vetter, J. A.
- Auflagennummer (WdK): 100
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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von echtem Schrot und Korn ist von starkem, derbem, gedrungenem Körper,
von ruhigem, langsamem, heiterem, behaglichem Wesen, dem man’s ansieht,
dass er die Arbeit nicht scheut, aber sich auch wohl und glücklich fühlt auf
seinem schönen Grund und Boden und dass ihm nichts abgeht zu des Leibes
Nahrung und Nothdurft. Das Kuchenbacken — und, versteht sich, das
Kuchenessen — hört fast das ganze Jahr nicht auf, und das Bier, das sie
trefflich brauen und gerne trinken, ist weit berühmt. Wohlleben und Wohl-
behagen tritt einem in Thüringen in Allem entgegen, in der Leute Gestalt
und Wesen, in Haus und Hausgeräth, in Hof und Heerden, in Kleidern und
Festen. Ihre liebsten Feste sind den Thüringern das Vogelschiessen
und die Kirmse (Kirchweih) — da gehts einmal hoch und lustig heri Und
kämest du einmal unversehen und ungeladen zu solchem Freudentage, du
brauchtest dich nicht lange zu besinnen, ob du auch dürftest hinzutreten
’»nd theilnehmen. Denn es wohnt in diesem lieben Lande und Volke ein
so gemüthliches, biederes und gastfreundliches Wesen, dass dem Gaste gar
bald das Herz aufgeht und auch der Fremdling sich hier wohl und heimisch
findet. Wer aber gern weilt bei Sang und Klang, dem wird es unter die-
sem Völklein auch darum gar wohl gefallen, denn die Musik ist ihm seine
liebste Lust. Die Bauersleute in ihren Dörfern, jung und alt, kennen kein
grösser Vergnügen, als am Feierabend zusammenzutreten und ein fein Lied-
lein zu singen oder Musik zu machen mit Horn und Flöte, Geigen und
Bässen; und könntest du einmal an Feiertagen ihr Singen und Musiciren in
der Kirche hören — du solltest es fürwahr nicht tadeln. Und so sind sie
auch grosse Liebhaber der Glocken: sie halten viel auf ein gutes Geläut,
und wenn am Sonntagmorgen die grossen Glocken mit ihrem vollen, kräf-
tigen Klange sich hören lassen und am Feierabend die kleinen Glöckchen
mit ihren hohen, hellen, wie kindlichen Sümmchen die friedlichen, lieblichen
Thäler entlang ihre wogenden Grüsse senden, da kommen sie vor die Häuser
heraus und stehen bei der Arbeit auf dem Felde und im Walde still und
lauschen, und man sieht’s ihnen an, welch’ eine Herzenserquickung diese
köstlichen Klänge ihnen sind. Aber sie verstehn sich auch auf das Läuten
aus dem Grunde, es wird bei ihnen zu einer Kunst, die zu lernen schon die
kleinen Knaben sich zu den kleinen Glocken drängen, und es ist kein ge-
ringer Ruhm, der beste Läuter im Dorfe oder in der Gegend zu sein.
b. Was nun den Thüringer Wald im Besondern anlangt, so er-
streckt er sich von Norden nach Südosten etwa 1b Meilen lang, 2—4 Meilen
breit. Er liegt in den Gebieten von den sächsischen Herzogthümern Mei-
ningen, Gotha, Rudolstadt, Sondershausen, Weimar, von unsrer Provinz
Sachsen, von Reuß, Kurhessen und Baiern. Und die merkwürdigsten
Städte, die darin liegen, sind: Eisenach, Ilmenau, Königssee, Schwarzburg,
1876 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Preuß, August Eduard, Vetter, J. A.
- Auflagennummer (WdK): 100
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Blickt er zum Himmel:
»Gott, ich erkenne dich,
Am heiligen Altar
Einiete der Kaiser.
Glänzenden Auges
Lässt deine Deutschen
Nimmer und nimmer
Schmählich verderben.
Te deum laudamus! “
Ädotph Donger.
d. Halle hat einen mannigfachen Ruhm. Vorerst und vor allen durch seine
Soole, der die Stadt ihren Ursprung (und Namen) verdankt. Die Leute,
welche das Salz in den Salinen bereiten, die Halloren, sind Nachkommen
der alten Wenden und haben ihre alten Sitten und Trachten vielfach be-
wahrt. Auch haben sie noch manche Gerechtsame aus alter Zeit, z. B. einen
Salzgrafen, der ihre Streitigkeiten entscheidet, freien Fisch- und Vogelfang
u. a. m. Zu Neujahr überreichen sie dem König, wenn er bei Tafel sitzt,
Salz, eine große Schlackwurst und Sooleier, die künstlich in Pyramidenform
aufgebaut sind, und werden dafür von des Königs Tafel gespeist. In jedem
Herbst senden sie ihm außerdem die ersten gefangenen Lerchen. Bei der Hul-
digung eines neuen Königs erhalten sie eine neuefahne und ein schönes Pferd
aus seinem Marstall. Der jährliche Ertrag der beiden Salinen der Stadt ist
6400 bis 6500 Last (die Last — 4000 Psund). Sie sind über 1000 Jahr
alt, denn schon zu Karls der Gr. Zeiten wurde hier Salz bereitet. Die
Arbeit aber bei der Gewinnung ist gegenwärtig durch eine Dampfmaschine, die
die Soole aus dem Brunnen hebt, durch eine Röhrenleitung, die sie in die
Siedepfannen bringt, durch Vergrößerung der Siedehauser und Pfannen außer-
ordentlich vereinfacht, so daff 120 — 140 Halloren den ganzen Dienst ver-
gehen; die übrigen treiben allerhand andere Gewerbe und Geschäfte, und wer
m der Saale ordentlich will schwimmen lernen, der must zu den Halloren in
die Lehre gehen. Der zweite Ruhm der Stadt ist ihre Universität, die
Friedrich Iii., (der nachmalige König Friedrich I. von Preußen) 1692 ge-
gründet hat. Sie hat seitdem viele weltberühmte Lehrer gehabt und gebildet.
Doch hat sie jetzt lange so viel Studenten nicht mehr, w:e vor Zeiten. Sie
ist, seit die Universitäten Wittenberg und Erfurt aufgehoben worden, die ein-
zige Hochschule unserer Provinz. Wir wollen nicht versäumen, das schöne
Gebäude an der Promenade, welches ihr König F r i e d r i ch W i l h e l m Iii. erbaut
hat, von Außen und Innen anzusehen. Ich denke, die Herren Studenten mit
ihren bunten Mützen und Bändern und krausen Bärten werden uns ja wohl
den Eintritt nicht wehren. Der dritte Ruhm von Halle, und wahrlich nicht
der geringste, das ist sein Waisenhaus, von August Hermann Francke
erbaut, dem frommen Pastor in der Vorstadt Glaucha, den der Armen erbarmte,
die so aufwuchsen ohne Zucht und Lehre und Liebe, daff er an einem Tage der
Woche, wenn sie kamen eine Gabe zu heischen an Brot oder Geld, nicht dess
allein etwas gab, sondern auch ein Büchlein und ein gutes Sprüchlein oder
Verslein aus Bibel und Katechismus und Gesangbuch obendrein. Nun hatte er
selber aber wenig. Darum, da seine Mittel nicht zureichten, hängte er eine
Büchse aus in seiner Stube mit der Überschrift: „Wenn aber Jemand dieser
Welt Güter hat und siehet seinen Bruder darben und schließet sein Herz vor
ihm zu, wie bleibet die Siebe Gottes bei ihm?" (1. Joh. 3, 17) und darunter:
„Ein Jeglicher nach seiner Willkür, nicht mit Unwillen oder aus Zwang, denn
einen fröhlichen Geber hat Gott lieb" (2 Cor. 9, 7). Und da er einmal
7 Gulden in der Büchse fand, sprach er: „Das ist ein ehrlich Kapital, davon