Xxv. §. 3. Die französische Uebermacht und der Materialismus. 567
Alles wieder in die tiefste Unterwürfigkeit hinabzuscheuchen. Was vom
stolzen Adel nicht in den Eroberungskriegen des Königs seine er-
wünschte und ruhmvolle Beschäftigung fand, das sah man am Hofe
des Königs um den Sonnenschein seiner Gunst, um den Beifall der
leichfertigen Damen buhlen und zu elenden Hofschranzen, zu entnervten
Lüstlingen herabsinken. Frankreich, das unruhige, durch die Bür-
gerkriege bis auf den Grund zerrissene und zerspaltene Frankreich war
wieder ein einiges, fleißiges, gehorsames Land geworden; Geistlichkeit,
Adel und Bürgerschaft wetteiferten in zuvorkommender Willfährigkeit
gegen die Winke ihres königlichen Herrn. Die angeborene Beweglich-
keit des Geistes richtete sich plötzlich nach des Königs Willen und auf den
Rath seines hochgeschätzten Ministers Colbert (S. 361) aus friedliche
Beschäftigungen, auf Handel und Seefahrt, auf Fabriken und Manu-
sacturen, auf Industrie und gewerbliche Unternehmungen aller Art.
Denn „reich werden wollen" war ja die Losung des Tages geworden,
die Reichthümer einer halben Welt in sein Land zu verpflanzen, war
des Königs und seines Ministers ausgesprochene Absicht; aber nicht
etwa dazu, daß die Unterthanen sich nun an ihrem Wohlstand erfreuen
und unter dem starken Schutz einer gerechten und wachsamen Regie-
rung ein ruhiges und gottgefälliges Leben führen möchten, sondern
— um desto größere Steuern, desto stärkere Auflagen zahlen zu kön-
nen. Denn Geld, Geld bedurfte der König zur Ausführung aller
seiner vielen und weitgreifenden Pläne. Ganz Europa, so hatte er
sich vorgenommen, sollte sich vor ihm beugen und seine Obmacht an-
erkennen. Am liebsten hätte er gleich die Kaiserkrone gehabt. Da
aber das nicht möglich war, so wollte er wenigstens dem Papst, dem
Kaiser und allen Königen Europa's sammt dem türkischen Sultan Gesetze
vorschreiben und sie zu unterwürfigen Bewunderern seiner Größe machen.
Man muß gestehen, es ist ihm gelungen, das Meiste ist ihm gelungen und
es wäre ihm vielleicht Alles gelungen, wenn nicht gerade im entscheidenden
Augenblick, als sein Uebermuth auf's Höchste gestiegen war, der Statthal-
ter von Holland, Wilhelm von Orani en, auf den englischen Thron
berufen wäre (1688), der es sich zur Aufgabe seines Lebens gemacht
hatte, die Uebermacht Frankreichs und Ludwig's Xiv. zu bekämpfen.
Aber wie mächtig und unantastbar stand er schon da! Wie beugte
sich der Papst vor ihm, was hat Spanien sich gefallen lasten müssen, mit
welch' ruchlos empörendem Uebermuthe behandelte er unser unglück-
seliges Vaterland. Nie war einer seiner Nachbaren vor ihm sicher.
Kein Vertrag, kein Herkommen, keine übernommene Verpflichtung
schützte gegen die heißhungrige Raubgier dieses Menschen. Nie war
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm_von_Orani Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Frankreich Europa Holland Frankreichs Spanien
570 xxv. §. 4. Deutschlands Elend und die Anfänge des Rationalismus.
reich gebracht und reichlich gedüngt hatte, erlebte Ludwig Xiv. nicht
mehr. Aber der Regent und Vormund des minderjährigen Nachfol-
gers, Herzog von Orleans (ff 1723), und darnach Ludwig Xv. selbst
(ff 1774) haben redlich das Ihrige zum Gedeihen dieser höllischen
Pflanzung beigetragen durch eine über alles Maß, über allen Glauben
hinausgehende Schamlosigkeit des öffentlichen Lebens, durch eine Ruch-
losigkeit und viehische Gemeinheit, die man außer bei ihren elenden
Nachäffern wohl nur noch bei den niedrigsten Lüstlingen des zusammen-
stürzenden alten Römerreichs gefunden hat. Diese Menschen hatten
ganz Frankreich in ihr Luderleben mit hineingezogen und einen Pest-
hauch über die Tausende von Familien ausgegoffen, deren blühende
Schönheiten sie aus allen Provinzen herantreiben ließen, um sie zum
augenblicklichen Sinnenkitzel zu mißbrauchen und sodann in lebenslange
Schande hinabzustürzen. Die Thränen, die Verzweiflungsschreitz der
gemordeten Unschuld, das teuflische Aufjauchzen befriedigter Fleisches-
brunst, die Flüche und Lästerungen widerchriftlicher Spötter, welche
Tag aus Tag ein aus den königlichen Palästen und aus den Schlössern
der Großen ausstiegen — sie sind nicht wie ein Dampf, wie ein Nebel
verzogen, sondern sie haben sich wie ein tiefes schwarzes Gewölk immer
dichter und dichter über die Dächer und Häupter der Fürsten gesam-
melt, bis dann endlich, endlich der Wetterstrahl des Gerichts aus den
Wolken daherfuhr, und all das schuldbeladene Gelichter zermalmend
traf und niederwarf.
§. 4. Deutschlands Elend und die Anfänge des Ratio-
nal i s m u s.
Wenn wir jetzt von dem mächtig aufstrebenden Westreich wieder
nach unserm Vaterland hinüberblicken, so möchte wohl die Seele von
Zorn und Schmerz erfüllt werden. Denn wo man auch hinsieht,
heißt es Jcabod — die Herrlichkeit ist dahin. Das Volk, welches einst
unter seinen herrlichen Kaisern Italien, Frankreich, Ungarn, Polen und
Dänemark Gesetze vorschrieb, ist jetzt zu einer politischen Null gewor-
den. Der hochmüthige Franzose, der durch den schmachvollen Rhein-
bund alle westlicheren Fürsten und Kurfürsten Deutschlands unter sei-
nen Gehorsam gebracht hatte, schaltete und waltete mit unverhehltem
Hohne im Mittlern und südlichen Deutschland als Herr und Gebie-
ter. Das ganze linke Rheinufer betrachtete Ludwig Xiv. schon als sein
Eigenthum. Als er gegen Holland Krieg führen und doch Belgien
nicht berühren wollte, machte er ohne weiteres Neuß zu seinem Waf-
fenplatz, Jülich und Cleve erfüllten sich mit fraitzösischen Bataillonen,
und die deutschen Reichsfürsten schwiegen dazu. Vielmehr, sie gaben
selber ihre Zustimmung, zogen selber mit gegen Holland und strichen
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xiv Ludwig Ludwig_Xv. Ludwig_Xiv Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Frankreich Deutschlands Italien Frankreich Ungarn Polen Deutschlands Hohne Deutschland Holland Holland
Xxv. 8. 7. Die französische Revolution. 591
renen Männer es schon kommen sehen, und doch, es kam Allen wie
ein Dieb in der Nacht, und Mancher mochte thörlich meinen, es komme
zur Unrechten Stunde, da eben ein so überaus gutmüthiger, sittlich
unschuldiger, bescheidener und friedlicher Fürst auf dem französischen
Throne saß. Wären nicht die Zeiten eines Ludwig's Xiv., des
Regenten, Ludwig's Xv., wo der Gestank ihres Unflaths bis zum
Himmel reichte, die gelegnere Zeit gewesen? Nicht also. Die Früchte,
die sie gesäet, konnte erst eine spätere Generation ernten. Nicht die
Frevel und Sünden eines Einzelnen oder etlicher Weniger oder einer
ganzen Zeitgenossenschast waren zu strafen, sondern die Sünden eines
ganzen Volks, in welchem die Schuld von den Vätern auf die Kin-
der sich vererbt hatte, und daher jetzt auch die Strafe über die gott-
losen Kinder der gottlosen Väter daherfuhr. Mit ihnen mußte auch
Ludwig Xvi. für die Sünden seiner Väter büßen. Aber vergessen
wir nicht, auch für die eignen Sünden, für die Regierungssünden.
Er hat nicht Gottes Willen und seine Pflicht erfüllen, sondern den
Menschen gefallen wollen, und darum ist er zu Grunde gegangen.
Ein durchaus schwacher, unmännlicher Charakter, wagte er nicht, die
gemeinen Ränke und Kniffe seiner Minister und Höflinge abzustellen,
welche die Fortdauer des alten Schlendrians, die alte Verschwendung
und Ungerechtigkeit aufrecht halten wollten, nur um sich selbst zu be-
reichern. Den fähigsten und redlichsten Minister, den er hatte, Tur-
got, verabschiedete er mit der Klage, daß er gezwungen sei, König
zu sein und nicht dem eignen Herzen folgen dürfe. Zu schwach, um
den aller Orten sich aufbäumenden Geist der Frechheit und des Un-
glaubens und trotzigen Selbstvertrauens zu dämpfen, die Presse zu
zügeln, dem Jrrthum der immer weiter sich verbreitenden Lehre von
der Volksgewalt durch die Wahrheit von der von Gott eingesetzten
Königsgewalt entgegenzutreten, verbündete er sich aus Nachgiebigkeit
gegen die Wünsche und Lobredner der Franzosen mit den englischen
Coloniften in Nord-Amerika (1778), die sich soeben gegen ihren Mut-
terstaat empörten und eine freie Musterrepublik in den weiten ameri-
kanischen Wildnissen zu gründen versuchten (1775—83). Ganz Frank-
reich hallte wieder von dem Ruhm der siegreichen Republikaner und
erklärte laut und ungescheut, Königsherrschaft sei eine Last, die überflüssig
sei, deren man sich erwehren müsse, und der König sammt seinen
Ministern ließ Solches ruhig geschehen. Die Finanzminister wirthschafte-
ten in dem völlig verrenkten und aus allen Fugen getriebenen Staats-
haushalt mit einer Thorheit oder Leichtfertigkeit, als stände Frankreich
auf ehernen Füßen, und der König, der die Untüchtigkeit und Unred-
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xvi Ludwig Gott
Extrahierte Ortsnamen: Ludwig's Nord-Amerika Frank- Frankreich
Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt. 627
abgebrochen wurden, als Oe streich sich entschieden auf die Seite der
Verbündeten stellte, und schon zog die große Hauptarmee unter dem
Fürsten Schwarzenberg aus Böhmen über die trennenden Berge
nach Sachsen hinein, um den heiligen Kampf im Verein mit den
Brüdern zum sieghaften Ende zu bringen. Und nun folgten die Sie-
gesnachrichten Schlag auf Schlag, und die dazwischen sich mengenden
Botschaften von einzelnen Verlusten und Niederlagen wurden immer
gleich wieder von neuem Siegesjubel überwogen. Blücher, der
deutsche Heldengreis, machte den Anfang mit seinem großen und
ruhmvollen Sieg an der Katzbach; die Generäle Oftermann und
Kleist von Nollendorf vernichteten die französische Heeresabtheilung
des Vandamme in der Ebene von Culm, wohin das böhmische
Heer sich nach der Schlacht bei Dresden wieder hatte zurückziehen
müssen. Bülow aber, mit der Beterschaar des theuren Vater Jä-
nicke hinter sich, schlug die gegen Berlin heranziehenden Marschälle
Oudinot und Ney erst bei Groß-Beeren, dann beidennewitz
mit der preußischen Landwehr so vollständig, daß dieser ganze Hee-
restheil fast aufgerieben wurde. Das geschah alles in den letzten Ta-
gen des August und Anfangs September. Es waren die Vorübun-
gen zu dem großen Kampf, der noch bevorftand gegen den Schlach-
tenmeister, den Napoleon selber. Der stand noch in Dresden und
versuchte es, während des September bald in Böhmen, bald in Schle-
sien einzudringen, bald rechts, bald links sich freie Bahn zu machen,
aber vergebens. Das Netz wurde fester und fester um ihn herumge-
zogen. Die drei Armeen, die bisher in Böhmen, Schlesien und nörd-
lich an der Elbe vertheilt gewesen waren, zogen jetzt von allen Seiten
heran, um sich bei Leipzig zu vereinigen. Blücher mit seinem schle-
sischen Heere stieß zur Nordarmee, suchte den zaudernden B er nadotte
mit sich fortzureißen, erzwang durch Aork's kühne Waffenthat bei
Wartenberg den Uebergang über die Elbe, und rückte dann von Nor-
den her, gleichwie Schwarzenberg von Süden her in die Ebene
von Leipzig. Auf diesen weitgestreckten Flächen, wo schon so manche
blutige Schlacht geschlagen war, sollte auch der große Entscheidungs-
kampf geschehen, da das in zwei feindliche Hälften zerspaltene Europa
einander gegenüber stand. Der Tag des Gerichts über den Verder-
der war endlich gekommen. Er fühlte seine Schläge schon im eignen
Herzen. Von Verzweiflung zum Trotz, von Hoffnungslosigkeit zum
Uebermuth hin und her schwankend, war er selbst seiner eignen Um-
gebung fürchterlich geworden. Nur mit finsterm Widerwillen oder
bangem Zweifel gehorchten ihm noch seine Generäle ; im ganzen Heere
40*
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Extrahierte Personennamen: Schwarzenberg Bülow August Napoleon Schwarzenberg
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Sachsen Dresden Berlin Dresden Schlesien Leipzig Wartenberg Leipzig Europa
(330 Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt
20. zog er unter dem Zujauchzen des wetterwendischen Volks, an der
Spitze der begeisterten Veteranen in Paris ein. Am 12. Juni zog
er mit einer Armee von 300,000 Mann wieder aus, nach Norden,
nach Belgien, um die dort noch lagernden Engländer unter Wel-
lington und die Preußen unter Blücher unversehens zu überfallen
und zu vernichten, und dann sich gegen die von allen Seiten wieder
heranziehenden Russen und Oestreicher mit ihren Verbündeten zu stür-
zen. Aber schon am 21. Juni kam er als elender Flüchtling aus
der großen Schlacht bei Waterloo und Belle-Alliance nach Paris zurück,
am 22. mußte er auf Begehren der französischen Kammern abermals seine
Abdankung unterzeichnen, und am 15."Juli überlieferte er sich als
Kriegsgefangener in die Hände der Engländer, die ihn nach St. He-
lena brachten. Das waren die berühmten 100 Tage, in denen Na.
poleon und ganz Frankreich der Welt den Beweis gaben, daß sie
durch die bisherigen Niederlagen noch bei Weitem nicht genug gezüch-
tigt, daß sie noch unverändert dieselben seien und zu bleiben gedäch-
ten wie früher. Napoleon ist denn freilich unschädlich gemacht, und
ist nach einer elenden siebenjährigen Gefangenschaft auf seiner einsa-
men Felseninsel 1821 zur Ruhe gegangen. Ob man sagen darf zur
Ruhe? Zwar mit dem Munde hat er in seinen letzten Tagen mehr-
mals den Glauben an Jesus Christus, den Gottessohn und Welter-
löser bekannt, aber ob auch mit den Herzen? Die Früchte, an denen
wir den Glauben erkennen sollten, fehlen gänzlich. — Frankreich
aber ist leider auch durch den zweiten Pariser Frieden keineswegs un-
schädlich gemacht. Zwar wurde es etwas ernster gestraft, namentlich an
Geld und durch mehrjährige Besatzung durch fremde Truppen. Aber
die Verkleinerung Frankreichs, die Einschränkung in die alte natür-
liche Grenze, die Zurücknahme der früher zu Italien, Spanien, Nie-
derlande, Schweiz und Deutschland gehörigen Provinzen erfolgte nicht,
auch sonst keine Maßregel zur Schwächung und Ueberwachung dieses
ohne Unterlaß siedenden und gährenden Meeres, dessen Wellen nichts
Anderes als Koth und Unflath ausschäumen. War es damals Gut-
müthigkeit oder gegenseitige Eifersucht, oder noch Schlimmeres, was
einen günstigem oder Heilsamern Friedensschluß verhinderte, — jetzt
hat man hinlängllch sich überzeugen können, daß das revolutionäre
unbußfertige Frankreich unter Bourbons und Orleans, als Re-
publik oder als Kaiserreich fort und fort die gefährlichste Pest, das
böse Princip für alle seine Nachbaren bleibt, und nach Beseitigung
des ersten sehr wohl im Stande ist, auch noch einen zweiten und drit-
ten Napoleon aus seinem Schooße zu erzeugen.
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Jesus_Christus Koth Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Paris Belgien Paris Frankreich Frankreich Frankreichs Italien Spanien Deutschland Frankreich
Xxv. §. 11. Entwicklung neuer Gegensätze.
641
Unruhestifter in den Zeitungen und in den Kammern brachten bald
Alles wieder zur Ruhe. Aber nur äußerlich. Im Innern der Ge-
müther dauerte die Gährung fort und sollte nach einem neuen An-
stoß von Frankreich her zu einem furchtbaren Ausbruch führen. Dort
hatte sich der König Louis Philipp durch schlaue Benutzung der
Umstände achtzehn Jahre auf dem erschlichenen Thron zu erhalten ge-
wußt, unter unaufhörlichem Ministerwechsel, Aufständen, Barricaden,
Höllenmaschinen, Mordversuchen, unter dem wüthenden Haß der Re-
publikaner und Communisten, welche ganz Frankreich mit einem Retz
von geheimen Gesellschaften und Verschwörungen bedeckten, unter dem
geheimen Groll der Legitimisten, welche das Haus Bourbon, und der
Bonapartisten, welche den jungen Louis Napoleon auf den Thron
wünschten. Louis Philipp glaubte sich hinlänglich gedeckt, wenn
er die Wohlhabenheit der Mittelclassen (besonders zu Paris) zu för-
dern suchte. Er schien kein höheres Menschenglück zu kennen, als
den Reichthum, und soll sich selbst an Handelsunternehmungen be-
theiligt haben. Eine furchtbare Sittenlostgkeit war unter seiner Re-
gierung in ganz Frankreich, besonders unter den höheren Ständen
offenbar geworden. Die gemeinsten Verbrechen, als Mord und Dieb-
stahl wurden von den höchstgestellten Personen, von Herzögen und
Grafen verübt. Jedermann sah oder ahnte, daß ein Wechsel, ein Um-
schwung erfolgen müsse. Der Herr Gott hatte es dem Könige selbst
durch den plötzlichen Tod seines Sohnes und Nachfolgers in's Herz
gedonnert (1842). Endlich erging auch über ihn das Gericht, und
eine neue Revolution zu den unzähligen anderen Revolutionen schuf
Frankreich abermals zu einer Republik um (1848). Es war das
das Werk einer über den ganzen Westen und Süden Europa's ver-
breiteten republikanischen Partei, welche unter dem Namen junges
Italien, junges Frankreich, junges Deutschland, junges Polen, junges
Europa die tollsten Hitzköpfe und haltlosesten Vagabunden und ver-
kommensten Bösewichter in ihren Reihen vereinigt und 1846 und 1847
schon in Posen , Krakau und Galizien, in der Schweiz, in Rom und
dem übrigen Italien ihre empörerischen Unternehmungen begonnen
hatte. In Frankreich fand sie trefflich bereiteten Boden. In einem
Umsehen, ohne viel Vorbereitung, in wenig Stunden war das hohle
und wurzellose Julikönigthum umgestürzt und eine provisorische Re-
gierung eingesetzt. Jndeutschland war Baden, zwischen Schweiz
und Frankreich eingeklemmt, der trefflichste Stützpunkt. Dort konnte
ohne Weiteres die Republik proclamirt werden. In Wien, in Berlin
war trefflich vorgearbeitet. Ehe man sich's versah, war die Regie-
v. Rohden, Leitfaden. 41
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444 Xxii. §. 6. Erstes Hervortreten Frankreichs als Feind und Dränger rc.
Drei Päpste von der verschiedensten Gabe und Gemüthsart traten
nach einander auf, der eigensinnige und hochfahrende I oh an n Xxii.
(1316—34), der ehrenhafte und friedfertige Benedict Xii. (1334
—42), der weltlich gesinnte und herrschsüchtige Clemens Vi. (1342
—52). Mit allen hat Kaiser Ludwig verhandelt, aber obwohl
namentlich Benedict persönlich zu Friede und Freundschaft sehr ge-
neigt war, so waren sie doch allesammt durch die französischen Könige,
insbesondere durch den ehrgeizigen und rücksichtslosen Philipp Vi.
(von Valois) gezwungen, in der gehässigsten, unversöhnlichsten Feind-
schaft gegen Ludwig zu verharren, ihn mit Bannflüchen und Inter-
dicken, mit Absetzungsdecreten und Beraubung alles seines Besitzthums
fort und fort zu verfolgen bis an seinen Tod. Und was war
der Vorwand für alle diese Feindseligkeit? Der Papst, so lautete
die überspannte Behauptung, ist das rechtmäßige Oberhaupt auch
über Deutschland, ist der Schiedsrichter und Genehmiger der Königs-
wahlen, und kein König darf sich irgend welche königliche Handlun-
gen erlauben, ehe er nicht die Bestätigung vom Papst eingeholt hat.
Weil nun Ludwig die Bestätigung nicht nachgesucht hat, so ist er
nicht als rechtmäßiger König anzuerkennen. Dagegen erhoben sich
denn doch die deutschen Fürsten, namentlich die Kur- oder Wahl-
fürsten als gegen eine unerhörte Anmaßung und erklärten dem Papst,
daß nicht er die deutschen Könige zu wählen und zu genehmigen habe,
sondern sie. Dagegen erhoben sich gleichfalls die Gelehrten im Lande,
Theologen, Mönche, besonders die mit dem Papst zerfallenen Francis-
caner, hervorragende Laien, die mit der Feder wohl umzugehen wußten,
und schrieben gründliche Untersuchungen über den Ursprung und die
Grenzen der päpstlichen Gewalt. Es erhüben sich auch die immer
mächtiger heranblühenden Städte, die in ihrem Oberhaupt sich selber
gekränkt sahen; kurz das gesammte deutsche Volk würde ohne Zweifel
sich für den Kaiser und gegen die Päpste entschieden haben, wenn
nicht Ludwig selber durch seine Haltungslosigkeit, die oft bis zur
persönlichen Erniedrigung und Selbstwegwerfung vor den Päpsten
ging, auch seine besten Freunde wiederholt außer Fassung gebracht
hätte. So konnte es geschehen, daß am Ende dann doch ein Geschöpf
des französischen Papstes als Gegenkönig auf den Thron erhoben
wurde, Carl Iv. von Luxemburg und Böhmen (1346), der, wenn
Kaiser'ludwi g nicht gleich darauf plötzlich gestorben wäre, den Fran-
zosen auf's Neue das gern gesehene Schauspiel eines deutschen Bür-
gerkrieges bereitet haben würde.
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Extrahierte Personennamen: Clemens_Vi Ludwig Ludwig Benedict Philipp_Vi Philipp Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Carl_Iv
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Deutschland Luxemburg
558 Xxiv. §. 11. Das Ende der Gegenreformationen »c.
ideales Ziel verfolgten, welches in dem wirklichen Zusammenleben der
Völker keinen Platz mehr fand. Fortan wurde die päpstliche Stellung
auch den katholischen Staaten gegenüber eine schiefe, haltlose, schwan-
kende. Die übrigen Fürsten aber, auch die katholischen, ließen sich die
Feststellung unüberschreitbarer Grenzlinien zwischen Katholiken und
Protestanten gefallen. Spanien erkannte das protestantische Holland
als einen selbständigen Staat an. Frankreich hätte wohl gern ge-
wünscht, die Hauptstreitpunkte noch unausgemacht zu lassen, aber nicht
sowohl zu Gunsten des Katholicismus, als um in Deutschland einen
Anlaß zu beständigem Hader und zu französischer Einmischung bestmög-
lichst zu unterhalten. Uebrigens war Frankreich auch nach dem
Edict von Nantes und nach dem westphälischen Frieden gerade derje-
nige Staat, in welchem der Katholicismus fortfuhr, immer neue Siege
zu feiern, bis endlich der Protestantismus völlig ausgerottet schien.
Heinrich Iv. hatte nach seinem Uebertritt die Katholiken sichtlich be-
günstigt und die Protestanten zurückgesetzt. Sie gingen schon mit dem
Gedanken um, sich einen auswärtigen mächtigen Beschützer zu suchen.
Seine katholische Gemahlin, Maria Medici, sein Sohn Ludwig
Xiii. (1610 bis 1643), dessen gewaltiger Minister Richelieu, sie
waren alle zwar nicht Feinde der Protestanten aus katholischem Eifer,
aber sie wollten ein in sich einiges und gehorsames Frankreich, und
konnten deshalb das fremde, abweichende, zu Aufständen geneigte Ele-
ment des Protestantismus nicht wohl leiden. Wenigstens keine poli-
tische Macht, keine besonderen Rechte wollte Richelieu ihnen zuge-
stehen. Die mächtige Festung Rochelle, das letzte Bollwerk ihrer
politischen Freiheit, hat er im persönlichen Kampf ihnen entrissen.
Dann war eine Zeit lang Friede. Aber unter dem folgenden König
Ludwig Xiv. (1643 bis 1715) fingen die Quälereien wieder an.
Frankreich war inzwischen überschwemmt mit katholischen Orden, Stif-
tungen, frommen Bruder- und Schwesterschaften aller Art, ein neuer
Eifer für die alte Kirche hatte sich entzündet, auch der König ward
davon hingenommen. Nach einiger Zeit hob er das Edict von Nantes
auf (1685). Da begann noch einmal eine Märtyrerzeit der französisch-
resormirten Kirche, und dies Mal eine noch schönere und gesegnetere als
die erste anderthalb Jahrhundert früher. Wie sind sie da im Schmelz-
ofen der Trübsal ausgeglüht, die Glaubenshelden, und als reines Sil-
der erfunden worden! Biel Tausende wunderten aus, flohen heimlich
vor den überall aufgestellten Schergen hinaus in die protestantischen
Länder. Mit offenen Armen nahm der große Kurfürst, nahm auch
Holland und England sie auf. Frankreich aber beraubte sich seiner
trefflichsten Unterthanen und entzündete auf den rauhen Höhen der
Cevennen jenen grausamen Religionskrieg, den Camisardenkrieg, der
uns lebhaft an die alten Greuel der Albigenserkriege erinnert. So
hat in Frankreich der Katholicismus noch seine spätesten Triumphe
erfochten. In anderen Ländern waren seine Bemühungen von keinem
erheblichen Erfolg mehr begleitet. In Schweden freilich haben die
Jesuiten ihr Meisterstück gemacht an Gustav Adolf's Tochter, und
das einzige Kind des protestantischen Glaubenshelden hat dem Papst
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T31: [König Ludwig Karl Sohn Maria Frankreich Kaiser Tod England Philipp]]
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_Iv Heinrich Maria_Medici Maria Ludwig
Xiii Ludwig Richelieu Richelieu Ludwig_Xiv Ludwig Gustav_Adolf's Gustav
Extrahierte Ortsnamen: Holland Frankreich Deutschland Frankreich Nantes Frankreich Frankreich Nantes Holland England Frankreich Frankreich Schweden
5(36“ Xxv. §. 3. Die französische Uebermacht und der Materialismus-
begann, daß er zu gleicher Zeit die Stützen der Throne, die bür-
gerlichen Ordnungen umstieß und die Grundlagen des Chriften-
thums, die Wahrheit der heiligen Schrift in Zweifel stellte. An dem
sittlichen Ernst der großen Mehrzahl der englischen Nation scheiterten
seine Künste zum Theil. In einem neuen begeisterten Aufschwung gläu-
biger Hingabe und strenger Sittenzucht erhoben sie sich bald auf's Neue
zum Bewußtsein ihrer missionarischen Bestimmung nach innen und nach
außen, besonders durch die großen Gründer des Methodismus ange-
regt, Wesley und White fiel d. Aber kein Baum fällt aus den ersten
Hieb. Die höllische Saat, die in England nicht aufgehen wollte, sollte
bald in einem andern Lande ihre greulichen Früchte bringen, und Abfall
vom Christenthum und Staatsumstürzung Hand in Hand unabwendbar
herbeikommen und ein Land nach dem andern mit Todesschatten über-
ziehen.
§. 3. Die französische Uebermacht und der Materia-
lismus.
Die ganze zweite Hälfte des 17. und auch noch der Anfang des
vorigen Jahrhunderts wird als die Epoche Ludwig's Xiv. bezeich-
net. In der That war dieser Enkel Heinrich's Iv. (1643—1715)
der politische Mittelpunkt jener ganzen Zeit und nicht bloß der poli-
tische. Es war ein Mensch zum Herrscher geboren, voll eines solchen
Kraftgefühls, Selbstvertrauens, Siegesgewißheit, Ehrgeiz und Selbst-
vergötterung, daß es mit zu seiner Natur zu gehören schien, alle Welt zu
seinen Füßen zu sehen. Wie hat er die unruhigen, aussätzigen, freiheit-
stolzen Franzosen so zahm gemacht. Was in dieser Hinsicht der eiserne
Arm R i ch e l i e u' ö (Minister Ludwig's Xiii.; vgl. 558) begonnen hatte,
das hat Ludwig Xiv. vollendet. Wo waren sie nun alle diese trotzi-
gen Gestalten, di,e selbstherrischen Prinzen, Grafen und Barone, die
von ihren Schlössern, von ihren Gouvernements aus, die königliche
Regierung unablässig in Athem hielten, welche eigne Heere in's Feld
stellten, wohl gar eigne Münzen schlugen, unter einander und mit
Fremden Bündnisse schlossen und den König zu nachgiebigen Unter-
handlungen zwangen? Wo waren jene unbeugsamen Parlamente,
jene leicht entzündeten Stadtgemeinden, die unaufhörlich gährende
Bevölkerung der Stadt Paris, die noch während Ludwig's Xiv.
Minderjährigkeit seiner Mutter, der Regentin, und ihrem Minister Ma-
zarini so unendlich viel zu schaffen gemacht hatten? In unterwür-
figstem Gehorsam, wie wedelnde und leckende Hündlein schmiegten sie
sich zu den Füßen des übermüthigen Monarchen, und wenn je ein-
mal eins oder das andere es wagen wollte, die Zähne zu blecken, so
genügte ein zorniges Drohen, ein „Schlag mit der Reitpeitsche", um
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Extrahierte Personennamen: Ernst Wesley Ludwig_Xiv Ludwig