496 Xxiii. §. 6. Nlederbeucning und Wiederaufrichtung der Papstmacht.
reits erfüllen zu sollen, wonach „die große Stadt, die das Reich hat
über die Könige auf Erden, von eben diesen Königen bloß und wüste
gemacht und mit Feuer verbrannt werden wird." Aber solche Zeit
steht noch bevor. Viel zu sehr hatte der katholische Kaiser den
Papst nöthig, als daß er ihn gänzlich hätte verderben sollen. Wir
sehen ihn bald wieder Unterhandlungen mit seinem Gefangenen an-
knüpfen, ihn freigeben, sich mit ihm verbünden. Mit heimlichem
Widerwillen, aber durch die Umstände gezwungen, tritt der Papst
wieder auf die Seite des Kaisers. Er muß den übermächtigen Nach-
bar in Italien dulden, muß sich bereit erklären, seine politischen Ent-
würfe zu unterstützen — aber Eins bedingt er sich dafür aus, Eins
gewährt ihm der Kaiser zur erwünschten Entschädigung: seinen kräf-
tigen Arm zur Ausrottung der lutherischen Ketzerei. Im Jahr 1529
kommt Kaiser Karl selber aus Spanien nach Italien. In Bologna
trifft er mit dem Papst zusammen. Er ist auf dem Wege nach Deutsch-
land. Da werden die schärfsten Maßregeln gegen die hartnäckigen
Ketzer in Deutschland verabredet. Und bemerken wir es wohl. Der
Kaiser war jetzt ein Anderer, als vor neun Jahren, er war jetzt in die
Jahre der Reife und der Selbständigkeit eingetreten. Von jetzt an
sehen wir ihn im Rache wie im Felde überall selbst an der Spitze,
bei ihm steht immer die letzte Entscheidung, überall sieht er selbst,
urthellt er selbst, handelt er selbst. Unermüdlich ist er in den Staats-
geschäften, unüberwindlich im Felde. Und alle dieft so lange gesparte
Kraft, alle den frischen Eifer einer langsam bedachten, aber nun ent-
schieden ergriffenen Politik ist der Kaiser entschlossen zur neuen
Kräftigung des Papstthums in Deutschland gegen die Protestanten
zu kehren.
Schon länger waren die ersten vorläufigen Wirkungen der neuge-
kräftigten Papstmacht und des entschieden kaiserlichen Katholicismus
in Deutschland wahrgenommen. Die katholisch gesinnten Fürsten und
Städte, insonderheit die geistlichen Fürsten, deren Eristenz bedroht
war, deren Besitzungen hier und da bereits eingezogen wurden, erhüben
wieder ihr Haupt, traten aus einer abwehrenden wieder in eine angrei-
fende Haltung. Da wurden die Lutherischen verfolgt, da wurde das
erste Märtyrerblut der evangelischen Kirche vergossen. Die Herzoge von
Bayern und die kleineren mit dem päpstlichen Legaten verbundenen Für-
sten und Bischöfe hatten gleich nach ihrer Absonderung von der großen
Gesammtaufgabe des deutschen Volks angefangen, evangelisch gesinnte
Priester zu entsetzen, in's Gefängniß zu werfen, adlige Besitzer aus
ihren Gütern zu vertreiben, Beamte peinlich zu verhören, Bürger und
Bauern hinzurichten. Besonders eifrige Prediger wurden mit der Zunge
an den Pranger genagelt, andere mit dem Staupbesen gestrichen, Luther's
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Italien Spanien Italien Bologna Deutsch- Deutschland Deutschland Deutschland Bayern
Xxiv. §. 11. Das Ende der Gegenreformationen rc. 357
Bevölkerung in Deutschland ist bis heute ziemlich derselbe geblieben.
Hier und da sind Protestanten auögewiesen worden, z. B. aus Salz-
burg, aus Tirol; die eine oder andere Fürstenfamilie hat ihre Con-
fession verändert, wie z. B. die sächsische, ohne daß dadurch wesent-
liche Veränderungen herbeigeführt wären. Man gewöhnte sich trotz
der verschiedenen Bekenntnisse und Gebräuche, friedlich mit einander
zu leben. Katholiken und Lutheraner hatten das auch schon
früher gekonnt, viel schwerer wurde es den Lutheranern und den Re -
sormirten. Mit fanatischer Heftigkeit ist von lutherischen Theolo-
gen gegen Calvinisten und Kryptocalvinisten gestritten worden. Von
ihnen wurde alles Gewicht ausschließlich auf die Lehre gelegt und
dagegen die Pflege des Gemeindelebens und der einzelnen Seelen,
die Uebung in der Heiligung versäumt. Wie hart und kalt und todt
waren da so viele lutherische Gemeinden sammt ihren Hirten gewor-
den! Doch waren auch die innig warmen, lauteren, gottinnigen Män-
ner unter ihnen nicht ausgestorben. Unerschöpflich sind die Schätze
der Erbauung, die man in den Schriften findet eines Joh. Arnd
(1-1621), Heinrich Möller (1-1673), Christ. Scriver (1-1629).
Welch eine Tiefe, Klarheit und Erwecklichkeit in den Lehrbüchern eines
Joh. Gerhard. Und welch edle Frucht haben die Leiden des
dreißigjährigen Krieges gezeitigt in den theuren Liederdichtern unserer
Kirche, Paul Gerhard, Paul Flemming, Rist, Rinkard,
Neumark, Herrmann, Rodigast u. a. m. Bei alledem be-
durfte die lutherische Kirche auch na ch dem dreißigjährigen Kriege noch
gar sehr einer neuen Ansassung, und sie wurde ihr durch das ge-
segnete Wirken Spener's und Franke's reichlich zu Theil.
Was sagte nun aber der Papst, was sagten die katholischen Eife-
rer zu diesem Umschwung der Dinge, zu dem westphälischen Frieden?
Sie haben ihn nie anerkannt. Eben derselbe Papst Urban Viii.
(1623 bis 1644), der zur Erhebung Frankreichs gegen den Kaiser, zur
Herbeiziehung der Schweden das Meiste beigetragen hatte, erklärte spä-
ter, als die Erfolge der schwedischen Waffen dem Katholicismus Gefahr
brachten, daß den Protestanten Nichts zugestanden werden dürfe, was
den katholischen Interessen zum Nachtheil gereiche, das Restitutionsedict
müsse ausgeführt, die verjagten evangelischen Fürsten dürften nicht
. wieder eingesetzt, es dürfe mit ihnen gar kein Friede geschloffen werden.
So erklärten sich auch seine Nachfolger. Wäre es auf die Päpste an-
gekommen, so wäre aus dem 30jährigen ein 300jähriger Krieg gewor-
den. Gegen den Abschluß des westphälischen Friedens haben die Päpste
förmlich protestirt. Aber wie die Dinge lagen, war der Friede eine
Nothwendigkeit geworden, man konnte sich um den Einspruch des
Papstes nicht mehr kümmern. So geschah es, daß die Päpste sich
gänzlich außerhalb des lebendigen Verlaufs der Dinge stellten, und ein
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_Möller Heinrich Gerhard Paul_Gerhard Paul_Flemming Neumark Herrmann Rodigast Urban
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Frankreichs Schweden
582 Xxv. §. 5. Der wachsende Unglaube unter Friedrich Ii.
selbst ohne Glauben war. Wie schnell war da der Uebergang gemacht,
von den ehrbaren biblischen Stoffen, die man angefangen zu behan-
deln, von der Messtade, von der Noachiade, vom Tode Abels u. s. w-,
zu völlig heidnischen Gegenständen. Klop stock selbst, wie ver-
senkte er sich so ganz in die altdeutsche Götterwelt; Wieland, wie
sank er von seinen biblischen Jugendpoesieen so völlig hinunter in die
gemeine Lüsternheit der französischen, heidnisch - epikuräischen Schrift-
stellerei. Und schon war der gewaltige Kritiker aufgestanden Lessing,
der mit seinem Alles zernagenden Geiste auch das gesammte Gebäude
des alten Kirchenthums zu unterwühlen anfing. „Das Christenthum,"
das war seine Grundanficht, „muß sich durch sich selbst legitimiren, durch
die Früchte, die es schafft; was liegt mir an den Beweisen für die
Wahrheit der Bibel und an der Behauptung der reinen Lehre? Laß
Christ und Jude und Türke zusammentreten und durch ihre Werke
mit einander wetteifern, wer die beste Religion hat." Das erschien
Tausenden als der Inbegriff aller Weisheit. Ueber dem Körnlein
Wahrheit, das darunter gemengt war, vernahmen sie nicht die unge-
heure Lüge, die in der Behauptung liegt, daß noch immer nicht ent-
schieden sei, welche Religion die besten Früchte trage, und daß der
Glaube aus dem unparteiischen Vergleichen des kühlen Verstandes
komme, statt aus der Tiefe eines bußfertigen und zerschlagenen Her-
zens. Natürlich ward auch Lessing wie alle vermeintlich vorurteils-
freien und parteilosen Denker, je länger je mehr ein Feind und Ver-
folger des christlichen Glaubens. Er freute sich des immer sich ver-
größernden Chores junger Dichter, die mit allem Ernst so redeten und
thaten, als wenn gar kein Evangelium, kein Christus in der Welt
wäre, noch je gewesen wäre, als wenn wir alle noch im heidnischen
Griechenland wohnten, und keine andere Gottheit kennten als Zeus,
Aphrodite und Apollo und die Musen, Faunen und Nymphen
u. dgl. Und nun leider waren es gerade diese Dichter, welche den
frischen jungen Morgen unserer deutschen Nationalliteratur heraufführ-
ten. Lessing erlebte es noch, daß mit Schiller und Goethe diese
neue Entwicklung ihrer vollen Mittagshöhe zuschritt. Aber auch diese
hochbegabten Dichter hatten Christo den Abschied gegeben und sich an
der Götterwelt des alten Heidenthums berauscht. Selbst solche Män-
ner, die mit Einem Fuß noch in dem alten Offenbarungsglauben
standen, wie etwa Herder, sie wurden von dem Zug des Stromes ge-
waltsam abwärts getrieben, und konnten sich nicht erwehren, die
Sprache der ungläubigen Zeitgenossen sich anzueignen. Nur hier und
da stand noch ein einsamer Zeuge der Wahrheit, unerschütterlich wie
Fels im Meer, so der Magus des Nordens, so der Wandsbecker
Bote; und doch auch ihnen merkt man es an, daß sie einer andern
Zeit angehören als der reichbegnadigten und gesalbten Väterzeit. Les-
sing war inzwischen mit sestöm Tritte auf seiner Bahn des kritischen
Niederreißens fortgegangen. Durch die Herausgabe der Wolfen büt-
telschen Fragmente meinte er die Art an die Wurzel des alten
Aberglaubens zu legen. Nur Wahrheit, Wahrheit war seine Losung,
und erkannte nicht oder wollte nicht erkennen, daß in den genannten
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Lessing Ernst Christus Lessing Schiller Goethe Christo
Xxv. §. 8. Napoleon, die Geißel Gottes über die Welt. 603
der aufzurichten. Es ließ sich auch einen Augenblick so an. Napo-
leon schien im eignen Lande so viel zu thun zu finden, durch Her-
stellung einer kräftigen Ordnung in allen Provinzen so in Anspruch
genommen, daß er selber für jetzt gar keinen Krieg wünschen konnte.
Und doch, wie hätte zwischen dem anmaßlichen Emporkömmling Na-
poleon und der allezeit im Trüben fischenden Handelspolitik Eng-
lands ein dauernder Friede bestehen können? Wie hätten die übri-
gen Mächte, namentlich Oestreich und Rußland, bei dem wieder aus-
gebrochenen Kriege längere Zeit müßige Zuschauer bleiben können?
Schon 1803 brach der englisch-französische Krieg wieder aus, und da
die französischen Flotten nicht im Stande waren, dem englischen Jnselreich
nahe zu kommen, so mußte die Landarmee gegen Hannover mar-
schiren, denn die Kurfürsten von Hannover saßen seit 1714 auf dem
englischen Königsthron. Daß er damit das Gebiet und die Rechte
des deutschen Reichs verletzte, kümmerte den Consul natürlich gar nicht.
Denn das deutsche Reich eristirte in seinen Augen gar nicht mehr
(vollends nach den Schlachten von Ulm und Austerlitz und dem Frie-
den zu Preßburg 1805), oder diente ihm nur zum erwünschten Spiel-
raum für die große Scheere, mit der er stets geschäftig war, die Län-
der nach einem neuen Muster zuzuschneiden und eine neue geogra-
phische Mode aufzubringen. Und Rechte? Wo hätte sich jemals
Napoleon um Rechte bekümmert? Er kannte weder göttliche noch
menschliche Rechte, er kannte nur seine Laune, seinen Ehrgeiz, seinen
Vortheil, seine Willkür, er war, so möchte man sagen, die fleischge-
wordene Selbstsucht in eigner Person. Mit festem Schritte stieg er
soeben die Stufen des Thrones hinan, nach welchem seine Herrsch-
gier schon so lange getrachtet hatte. Schon 1802 hatte er sich zum
lebenslänglichen Eonsul ernennen lassen, aber der Titel genügte ihm
noch nicht. Es mußte etwas Glänzendes, Ungewöhnliches, Seltsames
sein, womit er die Franzosen köderte, den Pöbel aller Länder blendete,
die Mächtigen lähmte und über Alles, was sonst auf Ehrfurcht und
Gehorsam auf Erden Anspruch machte, sich kühnlich hinweghob. So
redete er denn seinen Soldaten und Unterthanen vor, das Königthum
sei für immer abgeschafft; denn das Königthum sei Tyrannei, Will-
kürherrschaft, Knechtung der Völker. Aber das Kaiserthum, das sei
die rechte Freiheit, Wohlstand, Macht, Ehre; kurz, alle Glückseligkeit
der Völker liege iin Kaiserthum, wohlgemerkt, in Na pol con's Kai-
serthum verschlossen. Und dann ließ er sich von den wedelnden und
schmeichelnden Speichelleckern förmlich bitten, wie um eine große Gunst,
daß er doch Frankreich zu dem Gipfel alles Glückes emporheben und
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Gottes Hannover Hannover Ulm Frankreich
Xxv. §. 8. Napoleon, die Geißel Gottes über die Welt. 603
Murai abgeben und König von Spanien werden. Denn „die
Linie der Bourbons hat aufgehört in Spanien zu regieren", entschied
der Gewaltige in einer Anwandlung weltgebieterischer Willkür. Es
war ihm so natürlich, Könige abzusetzen und einzusetzen. Schon hatte
er den Hof von Portugal nach Brasilien verjagt; die spanische
Königssamilie lockte er mit lügnerischen Vorspiegelungen nach Frank-
reich und nahm sie dort gefangen. Er hatte gar keinen Zweifel, daß
er der Gott Europa's sei. Alles beugte sich ja vor ihm, Alles gelang
ihm, Alles diente zur Vermehrung seines Ruhms und seiner Größe.
Kein Feind wagte es mehr, sich gegen ihn zu erheben — wenn nur
England und seinen Flotten wäre beizukommen gewesen, wenn nur
Rußlands drohende Gestalt nicht immer noch im Hintergründe ge-
standen hatte, wenn nur nicht in Spaniens glühenden Schluchten
und Wäldern eine Ration sich vertheidigt hatte, die durch keine Nie-
derlage zu schwachen, durch keine Drohungen und Strafen einzuschüch-
tern, durch keine Freundlichkeit und Versprechen zu locken war, die
ein französisches Heer nach dem andern vernichtete und mit unbeug-
samer Zähigkeit an ihrem Glauben, ihrer Königsfamilie, ihren Rech-
ten und heimischen Gewohnheiten festhielt.
Napoleon stand auf dem Gipfel seiner weltgebietenden Herrlich-
keit. Von den Meerengen Messina's und Gibraltars reichte sein Scepter
bis an die Ostsee und bis an den Sund. In Neapel und Madrid
nicht minder als in Hamburg und Warschau galten die französischen
Decrete als das letzte Entscheivungswort. Da war es dem großen
Verderber die höchste Lust, nach willkürlicher Launenhaftigkeit, ohne
wahrnehmbaren Grund, ohne Vorwand alte geheiligte Bande zerreißen,
geschichtliche Erinnerungen vernichten, das Oberste zu unterst kehren.
Quälen, ängstigen, schrecken, verwirren, das waren seine Regierungs-
grundsätze; je frecher desto besser, je unglaublicher desto sicherer, je grau-
samer desto erfolgreicher. Wir Deutschen haben davon sogleich noch
ein besonderes Lied zu singen. Jndeß trotz aller Macht und aller
Schlauheit wollte es ihm doch bisweilen scheinen, als ob er die Ge-
rn üth er seiner Unterthanen sich nicht ganz und richtig unterwerfen
könne, als bleibe im Innersten noch ein Rest von Widerstand, von
Abneigung, der zwar nie sich nach außen zeigen, den meisten Leuten
gar nicht einmal zum Bewußtsein kommen mochte, der aber doch der
stolzen Machrfülle des Weltgebieters wesentlichen Eintrag that. Ueber-
haupt, das hatte der schlaue Mensch schon lange erkannt, Gewaltmittel,
Furcht und Schrecken dienen zwar dazu, die Maschine nach dem Willen
ihres Gebieters zu lenken, aber sie geben nicht die Freudigkeit der Be-
wegung. Solche Freudigkeit und hingehende Willigkeit des Gehor-
sams, das sah er wohl, wird nur durch die Religion, durch das Chri-
stenthum, durch die Kirche in dem Menschenherzen bewirkt. Deshalb
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Gottes Spanien Spanien Portugal Brasilien Frank- England Spaniens Ostsee Neapel Madrid Hamburg Warschau
12
Ii. §. 2. Die Erwählung Abraham's.
der Gottlosigkeit trat Abgötterei. Aberder verborgene Gott leitete
dennoch mit weisem Erbarmen die Geschicke aller der Völker, die ihn
nicht mehr kannten. Ohne daß sie seine leise waltende Hand spürten,
wußte Er sie durch ihren eignen Unverstand, durch ihre Göttersurcht, durch
ihre selbstgewählten Verfassungen, Gesetze, Obrigkeiten, wie mit Dorn-
gehegen zu umzäunen, und die inwohnende Sünde mit ihren Lüsten
und Begierden einzudämmen, daß sie nicht Alles überfluthe. Glück
und Leid wog er einem jeden Volk mit gerechter Wage zu: er erhielt
sie nicht bloß, er richtete sie auch. Er stattete sie mit allen Gaben aus,
deren die sündige Menschennatur fähig ist, er gab ihnen Gelegenheit,
sie in der reichsten und vollkommensten Weise zu entwickeln, er ließ ihnen
Alles gelingen, was den Anschein hat, als ob es das Menschenherz be-
friedigen könnte: Macht und Pracht, Rcichthum und Kunst, Handel
und Wissenschaft, Kraftthaten und Seelengröße, Schönheit und Stärke.
Er selbst aber stand still wartend daneben, wie ein weiser Vater, der
den reichbegabten Sohn, der sich nicht will halten lassen, hintoben läßt
nach seines Herzens Lust, ihn Alles versuchen läßt, ihm selber Vorschub
leistet, Alles zu beginnen, zu erarbeiten, zu erzielen, was ihm als das
Beste und Erstrebungswürdigste erschien, bis dann endlich (der Vater
wußte es ja vorher) der Sohn auch in des vielerfahrenen Salomo
Klage ausbricht: es ist Alles, Alles eitel — nur Eines nicht: Gottes
Vaterwort und Vatertreue.
8- 2. Die Erwählung Abraham's (2000 v. Ehr-).
Aus der großen Masse der vereinzelten Geschlechter, die Gott
von jetzt an ihre eignen Wege gehen ließ, nahm Er ein einiges
Semitengeschlecht oder vielmehr einen einzelnen Mann heraus,
in dessen Nachkommenschaft sich der Herr eine Stätte seiner Offenba-
rung bereiten wollte, bis auf Christus hin. Jetzt sofort den Heilaud
zu senden für alle Welt, war ja nicht möglich. Wer hätte ihn ver-
standen? wer ihn ausgenommen? wer sein Wort und sein Werk zur
Vollendung gelangen lassen? Erst mußte das Gefäß bereitet sein,
in welches er die Fülle seiner Gnadenschätze niederlegen konnte, auf
daß sie von da aus auch Anderen nach dem Maß ihres erwachenden
Bedürfnisses zu Gute kämen. Erst mußte der neue Boden bereitet
werden, auf welchem der neue Lebensbaum (seitdem der Baum des
Paradieses dahin war) sich entwickeln konnte mit seinen Blättern,
die zur Gesundheit der Heiden, mit seinen Früchten, die zur Erqui-
ckung und zum ewigen Wonnegenuß der Gotteskinder dienen sollten.
Und wie klein und unscheinbar fing dies große Gotteswerk an. Wer
hätte denken sollen, als einer der Söhne Tharah's aus seiner Ver-
ivandtschast und Freundschaft in Mesopotamien sich lostrennte, und
mit ven Seinigen nach Canaan zog, daß damit der erste Grundstein
gelegt würde des himmlischen Reichs, welches Gott auf Erden für
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Iß n. §. 3. Das Hervortreten der geschichtlichen Völker.
hin verfolgen, aus welchem laut dem Zeuguiß der Schrift es seinen
Ursprung nahm. Nur über Ein Volk, oder vielmehr eine Staaten-
bilvung scheint uns Moses noch einen besondern Ausschluß geben zu
wollen: über die Gründung von Babylon. Babylon war und
blieb die älteste Darstellung des widergöttlichen Reiches auf Erden.
Als sein Gründer tritt Ham's Enkel, der trotzige Nimrod hervor,
der seine Herrschaft über die semitischen Geschlechter am Eufrat und
Tigris ausbreitete und die Anfänge eines Weltreichs bildete, welches
später von hier aus dem Gottesvolk in Canaan Verderben bringen
sollte. Und schon zu Abraham's Zeit geschah etwas der Art. Ein
Nimrod's Sohn und Erbe Kedorlaomer fiel von Babel aus über
die Grenzvölker Canaan's her, und führte auch den Lot, den Zu-
gehörigen des erwählten Samens, mit sich fort. Aber Abraham hat
ihn geschlagen und den Lot befreit, zum Vorzeichen, daß der Glaube
der Sieg ist, der die Welt und alle Vorkämpfer der Welt überwindet;
daß aber Der, welcher den edlen Glaubensgrund schändet durch den
Eintritt in die Lebensgemeinschaft der Gottlosen, und sich theilhaftig
macht ihrer Werke, die doch nur Holz, Heu und Stoppeln sind, am
Ende doch Schaden leiden, und nur mit Noch noch seine Seele retten
wird (1 Cor. 3, 13).
Anmerkung. Ein theurer Gottesmann äußert sich über diese Verhältnisse
also: Die Israeliten heißen die Kinder des Reichs, weil sie von oben ge-
boren sind. Wäre kein Reich vom Himmel von Gott für die Menschheit
bestimmt und bereitet, so hätte es nie ein Volk auf Erden gegeben, das den
Namen des lebendigen Gottes an seiner Stirn, und die Verheißung eines
ewigen Reichs in seinem Schooße trug. Wie kein einziger Mensch seinen
Anfang kennt und von seiner Geburt und den ersten Jahren seines Daseins
ein Bewußtsein hat, so ist es auch mit allen Völkern der Welt. Kein ein-
ziges kennt seinen Anfang. Je weiter die Völker zurückblicken in die Ver-
gangenheit, desto ungewisser wird ihre Geschichte und endlich verliert sic sich
in dunkle Nacht. Nur Israel allein kennt seinen Anfang. Denn es ist
nicht wie die Weltvölker aus dem dunklen Naturgrund, sondern es ist von
oben herab geboren durch ein Wort Gottes, das nur mit vollem Bewußt-
sein konnte ausgenommen werden, und das in ihni die Quelle eines neuen
Lebens wurde. Mit einem Worte Gottes fängt Jsrael's Geschichte an, mit
dem Worte, welches Gott zu Abraham sprach: ich will dein und deiner
Nachkommen Gott sein, und will dich zu einem großen Volke machen und
durch deinen Samen sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Aus diesem Wort ist Israel geboren, und die ganze Geschichte Jsrael's ist
an dieses Wort geknüpft, und ist von ihm überstrahlt, so daß auch da, wo
alle Wolken der Welt ihre dunklen Schatten über den Weg dieses Volkes
werfen, eg doch nie ganz dunkel hat werden können in seiner wunderbaren
Geschichte. Dieses Wort hat auch dem Volke seinen Charakter ausgeprägt,
so daß es, obgleich es selbst immer zu den Götzen der Well sich hinwendct
und sein will wie die Völker und Reiche von dieser Welt, cs ihnen doch im-
mer als ein anderes Volk und ein anderes Reich gcgenüberstcht. Es ist ihm
durch die Geburt von oben ein göttliches Siegel aufgedrückt, daö keine
Sünde und Wcltdicnst vernichten kann. Auch als Knechte der Sünde, auch
als Kinder der Welt bleiben sie Kinder des Reichs; und zu allen Zeiten
sind sie den Völkern der Erde ein Zeichen und Zeuguiß gewesen von dem
Reich, das nicht von dieser Welt und das doch allein der Menschen Ziel
und Bestimmung ist. Und um diese Kinder des -Reiches dreht sich die ganze
Weltgeschichte. Sic sind immer, auch als Dunkel die Erde deckte und Nacht
die Völker, der leuchtende Stern in dieser Nacht gewesen; ja selbst als sie
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Babel Abraham Abraham
Extrahierte Ortsnamen: Canaan Gottes Israel Gottes Israel
52 V. §. 6. Die Predigt Jsrael's vor seinen Nachbarn.
waren nur ganz kleine unbedeutende Völkerschaften, von denen die
heidnische Weltgeschichte so gut wie gar nichts weiß. Wie sollte sie
sich auch um solche unbedeutende Stämme kümmern, die sich durch
Nichts in der Welt berühmt gemacht, keine großen Reiche gegründet,
keine Erfindungen gemacht, keine staunenswerthen Werke hinterlassen
haben. Nur von den meereskundigen Phöniziern und von den reichen
Syrern, die später noch ein großes Reich gestiftet, ist in alten Ge-
schichten ausführlichere Rede; von den übrigen aber erfahren wir
eigentlich nur etwas aus der Bibel. Warum aber beschäftigt sich
die Bibel mit diesen kleinen und rühmlosen Völkern und redet mehr
von ihnen als von manchem mächtigen Reich? Da können wir
recht deutlich den Unterschied wahrnehmen zwischen heiliger Geschichte
und profaner Geschichte, zwischen Geschichte des Reiches Gottes und
Geschichte der Welt. Diese kleinen Völker haben den hohen Vorzug
gehabt, mit dem Volke Gottes in engster Berührung, in unmittel-
barem, jahrhundertelangem Verkehr zu stehen; deshalb geschieht ihrer
in dem Worte Gottes so vielfach Erwähnung. Zwischen großen
mächtigen Reichen wäre Israel bald genug zerdrückt worden. Um sich
zu seiner eigenthümlichen Bestimmung zu entwickeln, durfte es keine
anderen Nachbarn haben, als solche, die ihm an Macht und Volkszahl
ungefähr gleichkamen. So ist denn diesen kleinen Stämmen die
hohe Gnade zu Theil geworden, wie keinem andern Volk, daß sie die
Herrlichkeit deö Herrn in den Gesetzen und in der Geschichte Jsrael's
stets vor Augen hatten, als eine stets fortgehende gewaltige Predigt
wider die Nichtigkeit aller ihrer Götzen und die schändliche Unflätherei
ihres Götzendienstes. Gleichwie noch heut zu Tage alle die Ge-
nossen und Nachbarn der Gemeinde Christi hoch bevorzugt sind vor den
draußen wohnenden Heiden, weil sie das lautere Evangelium allewege
verkündigen hören, und die köstlichen Früchte des Geistes und die
Wunderwege des Herrn in seinem Reiche stets mit eignen Augen
schauen dürfen, so war es damals mit den Nachbarn Jsrael's. Es
lag nur an ihnen, solche gnadenreiche Predigt anzunehmen und sich
selber solcher Segnungen theilhaftig zu machen. Aber dort wie hier
kehrt immer die betrübende Erfahrung wieder, daß je näher und
eindringlicher die Predigt, desto leichter die Herzen der Welt sich von
ihr abwenden, ja sich feindlich ihr entgegensetzen.
Schon Moses rief aus, nachdem die Gesetzgebung vollendet war
(5 Mos. 4, 6): „Das wird eure Weisheit und Verstand sein bei allen
Völkern, wenn sie hören werden alle diese Gebote, daß sie müssen sagen:
und welche weise und verständige Leute sind das, und ein herrliches
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Extrahierte Ortsnamen: Gottes Gottes Gottes Israel Christi
X. §. 4. Athen und Sparta.
121
der Wein- und Kornernte zu Ehrendes Dionysos und der Deineter
oftmalig zu Sitzen mogischer Sühnungsversuche oder ausgeklärter reli-
gions-philosophischer Systeme wurden.
8. 4. Athen und Sparta.
Obgleich die Griechen kein gemeinsames Haupt, also auch keine
Hauptstadt hatten und jede kleine Stadt Anspruch machte auf die
volle Selbständigkeit eines unabhängigen Staats, so traten doch all-
mälig einzelne bedeutendere Städte in den Vordergrund und mach-
ten die umliegenden kleineren Ortschaften von sich abhängig. Eine
Stadt aber gewann im Lauf der Jahrhunderte das Uebergewicht über
alle anderen und einen geistigen Vorrang, dem sich bewußt oder un-
bewußt alle anderen kleineren Staaten des Mittlern Griechenlands
unterordneten. Das war die Stadt Athen. Die politische Macht
ihrer Könige oder, nach Abschaffung der Könige, der Archonten und
Aristokraten, erstreckte sich zunächst nicht über das kleine Gebiet von
Attika hinaus, das inselartig sich in's Meer streckt und die ionischen
Bewohner fast mit Gewalt zur Beschäftigung mit dem Seewesen zu
drängen schien. Athen war und ward immer mehr der Hauptsitz der
griechischen Cultur und geistigen Entwicklung, die fruchtbare Mutter
der geistvollsten Philosophen, Redner, Schriftsteller, Dichter, der ge-
feiertsten Helden, Staatsmänner und Künstler. Das geistreiche, be-
wegliche, unternehmende Wesen der Griechenwelt, wie es vor allen
Dingen nach Freiheil und nach Schönheit ringt, prägt sich im athe-
nischen Volkscharakter in vollkommenster Weise aus.
Als Widerlage und Gegenbild des anmuthig leichten, spielenden
athenischen Wesens, welches gar zu leicht die Fülle der ihm inwoh-
nenden Kräfte im jugendlichen Eifer verbraucht hätte, hatte der Herr
aber noch eine andere Stadt und Staat großgezogen, die als im-
merwährende Nebenbuhlerin und neidische Aufpasserin die Athener
zwingen sollte, sich zusammenzunehmen und zu vertiefen und dem
Ernst des Lebens gehörig Rechnung zu tragen. Diese Stadt war
Sparta. Sie war von jenem andern griechischen Hauptstamm, den
rauheren Dorern, gegründet, hatte ihre Entstehung den Kriegsthaten
der von Norden her einbrechenden dorischen Schaaren zu danken und
hatte durch Waffengewalt ihre Herrschaft über Lakonien hinaus, über
Messenien, fast über den ganzen Peloponnes ausgedehnt. Auf den
ersten Anblick schienen die Spartaner sowohl der Bildung als dem
schönen Lebensgenuß völlig abgewandt. Sie zeigten sich als Ver-
ächter aller Künste und Wissenschaften, als roh und abgehärtet in
ihrem Hauswesen und in ihrer Lebensweise, und gegen jede geistige
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152 Xii. §. 1. Die Einwohnerschaft Jerusalcm's ic. unter heidnischem Einfluß.
und Wissenschaft. Eben so viel mußten aber auch die Orientalen
opfern von ihrer weichlichen und dumpfen Hingebung tm materiellen
Lebensgenuß. Aber es entstand dadurch doch wirklich eine neue Form
geistiger Entwicklung, die wir mit dem Namen Hellenismus zu be-
zeichnen pflegen, ein mit orientalischen Elementen geschwängertes Grie-
chenthum, welches allen Theilen der zerfallenden Monarchie Alexan-
der's gemeinsam war und ihnen den Stempel der Einheit und Zu-
sammengehörigkeit trotz der Zerstückelung aufprägte. Deshalb stellt
auch die Weissagung Dan. 7, 6 das Thier, welches das griechische
Weltreich abbildet, noch immer als ein einiges Reich dar, obgleich es
schon vier Köpfe hat und mit seinen vier Flügeln nach entgegengesetzten
Richtungen strebt.
Uebrigens hat doch nicht das ganze Reich Alerande'rs des
Großen dieser Entwicklung folgen, auf dieser neuen Bahn sich fortbe-
wegen können. Die Länder hinter dem Eufrat machten sich balv von
dem neuen hellenisch-orientalischen Geistesleben der vorderen Küsten-
länder los und kehrten wieder zu ihrem altorientalischen Wesen zurück,
sei es zu der altpersischen Reiterwirthschaft (Parther) oder zu der neu-
persischen Zoroasterlehre (Saffaniden). Der Eufrat wurde die Grenz-
scheide des hellenistischen und des echt asiatischen Völkerlebens und ist
es mehr als ein halbes Jahrtausend hindurch geblieben. Der Mittel-
punkt, der Schwerpunkt des Weltreichs wird um einen bedeutenden
Schritt weiter nach Westen gerückt. Der Grund und Boden der alt-
orientalischen Pracht und Geistesblüthe entzieht sich allmälig unserm
Auge und verschleiert sich wie mit einem schweren dichten Nebel. Die
Sonne der Gerechtigkeit, welche aus Bethlehem hervorbricht, vermag
kaum diesen Nebel zu durchbrechen. Auf kurze Zeit hat sie ihn über-
wältigt. Aber schnell hat er sich wieder zusammengezogen und fester
und umfassender als zuvor Alles überschleiert und verdeckt. Nur spar-
same Strahlen des ewigen Lichtes vermögen noch in diese Finsterniß
hineinzudringen ; der ganze volle Schein muß sich nach Westen wenden,
und über weite Nebelstrecken, die auch im Westen sich erhoben haben,
nach Norden hin, in die Herzen der evangelischen Christenheit, in die
Herzen der gläubigen Gottesgemeinden hinein.
Xii. Zsrael's Kampf und Sieg wider das feindliche
Weltreich.
Motto: Der Gottlosen Sccptcr wird nicht bleiben über
dem Häuflein der Gerechten.
§. I. Die Einwohnerschaft Jerusalem's und die zer-
streuten Juden unter heidnischem Einfluß.
Mitten in die gährende Bewegung der feindlich wider einander
stürmenden Staaten des griechischen Weltreichs war das Volk Israel
gestellt. Natürlich konnte es von den Kämpfen und Entwicklungen
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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