1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
159. Die Gemsen.
349
Wo längst die gut kletternde Alpen-
ziege nicht mehr hinsteigt, in die unzu-
gänglichsten Grasbetten der steilsten
Hörner, auf den fußbreiten Graszügen,
die bandartig sich von Felsküppen zu
Felsknppen schlingen, da weiden die
Gemsen, wie von der Natur bestimmt,
auch diesen verlornen Theil ihrer Pflan-
zengaben noch auszunutzen, behaglich
das dürftige, aber kräftige und nahr-
hafte Kraut der Alp und werden gegen
den Herbst hin sehr fett davon, — 60,
80 bis 100 Pfund; doch ist uns auch
ein Beispiel bekannt, wo ein glarner
Jäger an Tschingeln ein Thier schoß,
das 125 Pfund wog. Es war der große,
bei den Bergleuten berühmt gewordene
„Rufelibock", der während vieler Jahre
tief gegen das Thal herabgekommen war
und alle Jägerkünste verspottet hatte, bis
endlich der kluge Bläst noch gescheidter
war als der kluge Rufelibock. Die Som-
merkitzen dagegen werden bis zum Spät-
herbst bloß 15 bis 20 Pfund schwer.
Im Winter magern dann die Gemsen
wie alle Alpenthiere beträchtlich ab. Müh-
sam suchen sie unter den Tannen das
spärliche dürre Gras zusammen, wagen
sich oft an schneefreie Stellen in's Thal
an Quellen und fressen die langen, meer-
grünen Bartflechten, die von den Wetter-
tannen niederhangen, ab, wobei sich aber
hin und wieder eine mit den Hörnern in
den Aesten verwickelt, hängen bleibt und
verhungert.
Wie alle Wiederkäuer, lieben auch die
Gemsen das Salz in hohem Grade und
besuchen deßwegen besonders gern Kalk-
felsen, an denen sich Bittersalz findet, wo
sie sich oft so durstig lecken, daß sie wie
toll zum ersten besten Wasser laufen müssen,
um zu trinken.
3. Wie die meisten Thiere ihrer Art,
leben die Gemsen gesellschaftlich zu fünf,
zehn bis zwanzig Stück bei einander.
Früher waren Rudel von 60 Stück
keine große Seltenheit. Sie sind muntere,
zierliche, höchst kluge Thiere. Jede ihrer
Bewegungen verräth außerordentliche
Muskelkraft, Behendigkeit, Frische und
Grazie. Man muß sie selber gesehen
haben, um sich einen Begriff von ihrer
staunenswerthen Schnellkraft, von der
unbegreiflichen Sicherheit ihrer Bewe-
gungen und Sprünge machen Zu können.
Von einem Felsen zum andern setzen sie
über weite und tiefe Klüfte und halten
sich im Gleichgewicht auf kaum zu ent-
deckenden Unebenheiten, schnellen sich mit
den Hinterfüßen auf und erreichen sicher
den faustgroßen Absatz, dem sie festen
Auges zuspringen. Mit heraushängen-
den Eingeweiden oder auf bloß drei
Beinen fliegt die Gemse noch wie unver-
wundet über Fels und Eis. Ist sie stark
angeschossen, so sondert sie sich von der
Heerde ab, zieht sich zwischen verborgenes
Gestein zurück, leckt sich unaufhörlich und
wird leicht heil oder verendet in unersteig-
licher Kluft ohne Gewinn für den Jäger.
Ihr außerordentlich scharfer Geruch,
ihr Gesicht und feines Gehör schützt die
Gemsen vor vielen Gefahren. Wenn sie
truppenweise lagern, so stellen sie nach
tausendfach bestätigter Erfahrung eine
Wachtgemse (Vorthier, Vorgeiß) aus, eine
weibliche Gemse, die, während die Uebri-
gen weiden oder spielen und sich nach Art
der Ziegen und Hirsche mit den Hörnern
stoßen, in einiger Entfernung allein wei-
det, jeden Augenblick sich umsieht und
witternd die Nase in die Luft streckt.
Ahnt sie Gefahr, so pfeift sie wie die
Murmelthiere hell auf, und die Uebrigen
fliehen ihr nach. Nie verstellt sich eine
Gemse, d. h. bleibt unbehilflich und ret-
tungslos auf fast unzugänglichen! Fels-
vorsprunge stehen, wie oft die Ziegen,
die dann meckernd abwarten, bis der Hirt
mit eigener Lebensgefahr sie abholt. Die
Gemse wird eher sich zu Tode springen.
Es ist schwer, etwas Genaues und
Zuverlässiges über die wunderbare
Sprungkraft dieser herrlichen Thiere zu
sagen. Doch ist es sicher, daß sie über
16—18 Fuß breite Klüfte ohne Anstand
setzen und Sprünge in eine Tiefe von
24 Fuß und darüber wagen. Auf weichem
Schnee, wo sie tief einfallen, oder auf
klaren Gletschern gehen sie langsamer
und vorsichtiger, sind daher auch hier am
besten zu jagen. Selbst beim Ruhen strecken
sie sich nur sehr selten ganz platt auf dem
Boden aus; ihre gewöhnliche Haltung ist
zu augenblicklicher Flucht bereit. Sie
liegen auch gern in lichtem Gebüsch, um
sich sicherer zu verbergen; doch am liebsten
an einer Terrasse, wo der Rücken gedeckt
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
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172. Deutsche Waldbäume.
369
Die
In den Nacken des Gebirges schlägt
sie ihre Wurzeln und steigt, eine erhabene
Pyramide, in schwindelnder Steil-Linie
empor, indeß sich ihre Zweige schwer
hinabsenken. Majestät und Schwermuth
mischen sich mit einem Zuge kühnen
Trotzes in diesem Baume. Seine düst're
Macht faßt uns ernstgebietend. Aber
der wolkenanklimmende Wuchs selbst, das
Sonnenlicht, das durch die Wipfel glimmt,
der Sammetteppich zu seinen Füßen,
ewig frisch erhalten von den überall
rieselnden Quellen, die Waldblumen um-
her gemischt mit dem Purpur reifende^
Beeren, all' dieses warme, farbige Leben
lös't das in sich zurückgescheuchte Ge-
müth, so daß es befreit sich neu erhebt.
• Wie gerne denke ich hier deiner, ein-
sames Erzgebirg, mit den finster schat-
tenden Schluchten und den sanftum-
blumten Höhen! Ringsum schreiten die
stolzen Bäume hinan, und von Zweigen
tropft duftig goldenes Harz. Kein Laut
unterbricht das Schweigen, nur daß
drüben vom Felsen der Wildbach sich
brausend niederstürzt. Schon ist die
Nacht hinabgesunken in die Thäler: aber
auf den Bergen ragt die Tanne, das
Die
Dem Froste und dem Sturme, dem
Blitze und selbst der Fäulniß trotzend,
im Sumpfmoor wie im dürren Sande
gedeihend, bedarf die zierliche, schlanke,
zartgegliederte Birke nur einer Spanne
Erde, ihre Wurzeln hineinzusenken. Auf
den norddeutschen Grasebenen steht sie
in zerstreuten Gruppen, weite, schim-
mernde Waldstrecken füllt sie in den
Tiefthälern von Norwegen, und da selbst,
wo einiger Schnee den Fjölengrat um-
hüllt, klammert sie sich an die stiefmüt-
terliche Scholle. Es ist die Zwergbirke,
deren Samen allein im Winter den
Lemming und das weiße Rebhuhn nährt.
— Vielleicht erstreckte sich ehedem das
Reich der Birke weiter hinauf, als heute.
Auf Island wenigstens stand sie vor
Alters im dichten Walde von dem Meeres-
ufer bis zum Fuße der Gebirge und
Marschall. Lesebuch.
Haupt in Sonnenglorie leuchtend, wie ein
Priester Gottes, die müde Erde zu segnen.
Es ist, als ob die Weltruhe, die
auf dem schwarzen, schlafenden Gebirge
lagert, Rede gewönne. Wunderbare
Stimmen klingen h erüber, alle die Wünsche,
die Leidenschaften verstummen, aber aus
der Tiefe der Seele, wie aus einer ge-
heiligten Fluth, hebt sich der Engel des
Gebets. In den Hochebenen, welche
den Polarkreis einschließen, breiten unge-
heure Fichtenwälder ihr Dunkel unun-
terbrochen über das Land. Die mäch-
tigsten Stämme werden zu Tausenden
niedergeworfen, und dennoch scheint der
Wald noch so dicht, wie vordem. Der
schäumende Strom trägt sie zum Fjord,
zum Meer hinab, wo sie abermals be-
stimmt sind, ihre schlanken Gestalten
emporzurichten, entkleidet von den lan-
gen Aesten und den dunkelgrünen Nadeln,
aber mit einer neuen, schneeweißen Hülle
von Segeln angethan.
Die biegsame Faser des Krautes ist
des Baumes Herr geworden, und der
König des Waldes, vor Kurz.em noch
so fest in der Erde wurzelnd, muß der
weitgespannten Leinwand gehorchen.
warf so um die damals fruchtbare
Insel ein wärmendes Gewand, von dem
jetzt kaum die Fetzen in Busch und
Strauch zu sehen sind. In leicht ge-
schwungener, oft unmuthig geschlängelter
Linie steigt der schlanke, gerundete Stamm
hinauf, nach oben schwach gebogen, doch
mit geschmeidiger Härte der Gewalt der
Elemente widerstrebend. Grau bemooste
Furchen zerreißen wohl unten die glatte,
atlasartige Rinde, die aus dem Blätter-
grün hervorleuchtet,
* „als wäre d'ran aus heller Nacht,
das Mondlicht blieben hangen."
Kein mächtiger Ast tritt aus dem
zähen Holz, vielmehr fällt ringsum ein
zierliches Reisernetz in langen Flechten
herab, das sich immer lockerer aufbaut,
bis die Krone wie in einem Federbüschel
endet. Da ist auch nicht Raum für des
24
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175. Die Steinkohlen.
375
mehr oder minder Auflösung des orga-
nischen Zusammenhanges, wodurch die
ganze Masse in einen breiigen, aufge-
lösten Zustand versetzt wurde.
Wenn indeß fast mit Gewißheit ge-
schlossen werden kann, daß die Stein-
kohlenmasse sich meist in einem erweich-
ten Zustande befunden hat, so scheint
derselbe von einer wirklichen Auflösung
doch sehr verschieden gewesen zu sein,
denn sonst würde die Masse völlig gleich-
artig erscheinen. Die Ungleichheit derselben
ergibt sich besonders aus dem verschie-
denen Aschengehalt der Kohlen von den
einzelnen Lagen und denselben Flötzen.
Einen wesentlichen Einfluß hat hier auch
der Druck ausgeübt, wenn die vegeta-
bilischen Massen tiefer eingesenkt von
allmählich erhärtendem Schieferthon und
Sandstein überschüttet wurden. Ferner
beschleunigte eine erhöhte Temperatur
den Umbildungsprozeß. In einzelnen
Fällen mag die Temperatur höher als
die des siedenden Wassers gewesen sein,
dann erstreckte sich die Einwirkung nicht
bloß auf die Kohle selbst, sondern auf
die darauf, darunter und dazwischen
liegenden Sandstein- und Schieferthon-
schichten.
2. Die Entstehung der Stein-
kohlen denkt sich Professor vr. Göppert
auf folgende Weise: Die Inseln in dem
ungeheuren Meere, welches in der Vor-
zeit unseren Erdtheil bedeckte, hatten wie
die Inseln in unserer Zeit Berge, Thä-
ler, Flüsse, Binnenseen, feuchte und
trockene, frische und wärmere, schattige
und sonnigere Stellen. Ueberall war
ein tropisches Klima verbreitet, wie dies
aus der überaus ähnlichen, nur mit der
tropischen Natur vergleichbaren Ädd-
tation hervorgeht. Denn die fossilen
Pflanzen in beiden Hälften der Erdkugel,
im Süden und Norden Asiens, in Altai
und in Sibirien, im nördlichen Europa
durch den ganzen Continent hindurch
bis jenseits des Kanals in England,
Schottland und Irland, gleichwie jenseits
der Meere im nördlichen und südlichen
Amerika und in Neuholland erscheinen
durchaus dieselben. Ungeheure Wälder
mit Stämmen von 70—75 Fuß Höhe,
2 — 3 Fuß Dicke, andere mit 30 Fuß
langen Aesten waren ganz geeignet, in
und unter sich Reste von Vegetabilien
aufzunehmen. Diese gesammte Vege-
tation wurde in den Schichten, welche
die große Steinkohlensormation bilden,
begraben, sodann durch die in Folge von
Niveau - Veränderungen hereinbrechenden
Gewässern überschwemmt und in zusam-
menhängende Kohlenlager verwandelt,
oder vermischt mit Thon und Sand in
allmählich sich verhärtendem Schieferthon
und Sandstein eingeschlossen und er-
halten.
Wenn nun aber entschieden nach-
gewiesen ist, daß, um so bedeutende
Kohlenflötze zu bilden, die Pflanzen, die
auf dieser Fläche zu wachsen vermochten,
nicht ausreichten, und ebenso, daß man
an eine ruhige Ablagerung und nicht an
ein Zusammenschwemmen aus weiter
Ferne denken kann, so sieht man sich,
um dieses Phänomen zu erklären, zu der
Annahme genöthigt, daß sehr viele Koh-
lenlager als die Torflager der Vorwelt
anzusehen sind, die sich ebenso im Laufe
einer langen Vegetationszeit bildeten,
wie die Torflager in unserer Zeit, welche
mitunter auch eine Mächtigkeit von 40
bis 50 Fuß erreichen und große Flächen
einnehmen. Die Torfmoore waren
also die Herde der Bildung der Kohlen-
maflen aller Zeiten. Doch weicht die
Steinkohlenflora ganz und gar von der
jetztweltlichen ab; aber der Gesammt-
charakter derselben läßt auf ein feuchtes,
heißes Klima zurückschließen. Eigentliche
Torfbildung finden wir freilich gegen-
wärtig in der Tropenwelt nicht und
man hat sie den Ländern außerhalb der
kalten und gemäßigten Zone überhaupt
abgesprochen; allein mit Unrecht. Moräste
mit Torfbildung von ungeheurer Aus-
dehnung finden sich doch in Süd-Vir-
ginien und Nord-Carolina, in der Breite
von Tunis und Algier.
In den eigentlichen Tropenländern
fehlen Torfmoore wahrscheinlich nur
deßhalb, weil die zeitweise eintretende
Dürre, welche das völlige Austrocknen
der Moräste zur Folge hat, die Torf-
bildung verhindert; in einem fortwäh-
rend nassen und heißen Klima aber, wie
es die Kohlenflora verlangt, waren auch
die Bedingungen zur Torfbildung ge-
geben. — Ferner läßt die große Aus-
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376
Iv. Naturbilder.
dehnung der Steinkohlenfelder und ihr
Vorkommen in den verschiedensten Ge-
genden unserer Erde nicht bezweifeln, daß
zur Zeit der Steinkohlenbildung bereits
sehr viel Festland auf Erden gewesen
ist, da nur dieses, nie aber das Meer,
Steinkohlen erzeugen kann. Doch liegt
auch auf der Hand, daß die Bildung
der Steinkohlenlager große Zeiträume
einnahm, und daß diese Bildung nicht
eine gewaltsame war, sondern eine Pe-
176. Der
Der Bernstein, dieses in vielfacher
Beziehung so höchst interessante Produkt
untergegangener Wälder, die nm: in der
Erde oder unter dem Meeresgrunde schlum-
mern, wird entweder bei günstigen Win-
den von den Wellen der Ostsee zuweilen
an die Küsten von Pommern, Mecklen-
burg, Dänemark, Schweden u. s. w. ge-
trieben, oder auch an vielen, selbst von
dem Meere sehr entfernten Orten jener
Provinzen mehr oder weniger tief aus
der Erde gegraben.
Aus der See wird der größte Theil
Bernstein in kleinen zerschlagenen Brocken
gewonnen; in der Erde findet man ihn
dagegen meistens in größeren knollen-
förmigen Stücken. Bei heftigen Aequi-
noetialstürmen, die das Meer mehrere
Tage hinter einander bis zum Grunde
aufwühlen, wird die größte Menge Bern-
stein auf den Strand getrieben. Das
Graben nach Bernstein geschieht keines-
wegs kunstmäßig oder bergmännisch, son-
dern wird von Bauersleuten ohne alle
wissenschaftlichen Kenntnisse unternommen,
wobei sie auf gut Glück 5—6 Meter
tief eingraben; mißlingt der Versuch, so
wird das Graben tiefer versucht, oder
an einer andern Stelle wiederholt. In
manchen Fällen ist dieses Graben eine
der undankbarsten Arbeiten, doch lohnt
in andern der Zufall seine Günstlinge
auch auf reichliche Weise.
Man gräbt den Bernstein in allen
Schichten des jüngeren aufgeschwemmten
Bodens sowohl auf Bergesrücken, als in
Niederungen und Wiesen und findet ihn
oft nur ein paar Fuß tief unter der
riode ruhiger Entwickelung umfassen muß.
Die Menge der Steinkohlen ist außer-
ordentlich, und es sind nicht nur in Eu-
ropa, sondern sogar in Deutschland solche
große Massen, theils von wirklichen
Steinkohlen, theils von anderen ähn-
lichen Schwarzkohlen in den Kohlenbecken
aufgespeichert, daß eine gänzliche Er-
schöpfung selbst bei einer bedeutend ge-
steigerten Produktion von Kohlen, in eine
sehr weite Ferne gerückt ist.
Bernstein.
Bodenfläche, oft erst in Tiefen von 70
und 140 Fuß. Einzelne, häufig auch
mehrere Stücke zog man zufällig in
Fischernetzen nicht bloß aus dem Meere,
sondern auch aus Binnenseen, Flüssen,
Teichen und tiefen Brunnen hervor. Der
Boden, wo reichliche Ausbeute zu hoffen
ist, erstreckt sich über Pommern, Ost-
und Westpreußen nach Litthauen und
Polen. Man fand auch Bernstein in
einer Steinkohlengrube bei Ischl und auf
Sicilien; auf dieser Insel aber wie in
England auffallender Weise nur an der
östlichen Küste. Auch an den Ufern des
kaspischen Meeres, in Sibirien, Kamt-
schatka und China, in Nordamerika und
selbst in Madagaskar hat man einzelne
Stücke und auch Lagen entdeckt.
Nun liegt die Frage nahe: Was ist
der Bernstein und wie ist er entstanden?
Es herrscht jetzt kein Zweifel mehr, daß
er wie andere vegetabilische Harze von
einem Baume ausgeschwitzt wurde, der
schon längst von der Erde verschwunden
ist, einst aber mit dichten Waldungen
die Inseln jenes großen Oceans bedeckte,
der damals noch die weite nordeuropäische
Ebene bis zum Fuße des Ural über-
fluthete. Wo heutigen Tages Seegrnnd
ist, da waren noch vor vielen tausend
Jahren undurchdringliche, mit Fichten
und Tannen besetzte Forste, und wo da-
mals Schiffe vor Anker lagen, sieht man
jetzt aufgethürmte Sandberge stehen. Bei
dem ungeheuren Harzreichthum des Bern-
steinbaumes und den vielen Jahrtausen-
den, während deren er bestanden haben
mag, ist es nicht zu verwundern, daß
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442
Ii. Epische Dichtungen.
11. Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis;
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:
12. „Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang!
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sclavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt.
13. Weh' euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Todten entstelltes Angesicht,
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,
Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.
14. Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des Sängerthums!
Umsonst sei all' dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms!
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!"
15. Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwund'ner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
16. Und rings, statt duft'ger Gärten, ein ödes Haideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand;
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch.
93. Der Reiter und der Bodensee.
Von Gustav Schwab.
Der Reiter reitet durch's helle Thal;
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
Er will noch heut' an den Bodensee;
Noch heut' mit dem Pferd in den sichern Kahn,
Will drüben landen vor Nacht noch an.
Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein,
Er braus't auf rüstigem Roß feldein.
Aus den Bergen heraus in's ebene Land,
Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt;
In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus;
Die Bäume gingen, die Felsen aus.
So flieget er hin eine Meil' und zwei;
Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei;
Es flattert das Wasserhuhn empor,
Nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr;
Keinen Wandersmann sein Auge schaut,
Der ihm den rechten Weg vertraut.
Fort geht's, wie aus Sammt, auf dem weichen Schnee;
Wann rauscht das Wasser? Wann glänzt der See?
Da bricht der Abend, der frühe, herein;
Von Lichtern blinket ein ferner Schein.
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
Und Hügel schließen den weiten Raum.
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn;
Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.
Die Hunde bellen empor am Pferd,
Und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.
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36. Die bayerische Hochebene.
63
dieser Ebenen. Die Aehnlichkeit nament-
lich dieser Gegenden mit dem nord-
deutschen Tieflande ist überraschend; er-
innerten nicht die im Hintergründe him-
melanstrebenden Alpen, sowie die Flüsse
mit ihrer grünlichen Farbe und ihrer
Raschheit und Mächtigkeit an die Nähe
des süddeutschen Hochgebirges, man
könnte versucht sein zu glauben, daß
man sich im Gebiete der Nord - oder
Ostsee befinde. Ein Holsteiner oder
Mecklenburger könnte vom Heimweh
überwältigt werden, wenn er, an den
kleinen Seen zwischen dem Ammer-
und dem Starnberger-See wandernd,
diese Buchenhaine erblickt, von so tief
gesättigtem, saftigem Grün, wie man
es in der Regel nur in der Nähe des
Meeres oder in den Alpen trifft; oder
wenn er die smaragdnen Triften über-
schaut, wie sie in dieser Ueppigkeit auch
nur den äußersten Norden und Süden
Deutschlands schmücken. Näher gegen
das Gebirge zu belebt sich die Ebene
mehr und mehr. Sie erscheint zuerst
wellenförmig bewegt, dann tauchen ein-
zelne Höhen aus, die in andern Gegen-
den sich schon Bergen an die Seite stellen
dürften, hier aber gegenüber den Alpen-
riesen zu Hügeln zusammenschrumpfen,
bis endlich der Plateaucharakter ganz
erlischt, weil an die Stelle der vorigen
ebenen und wellenförmigen Fläche ein durch
Quereinschnitte stark zertheiltes Bergland
getreten ist, das Vorland der Alpen
unp das Durchbruchsgebiet der Alpen-
flüsse vom Gebirgsland in die Ebene.
Eine Reihe von See'n, wechselnd mit
halb trocken gelegten Wasserbecken, den |
Moosen und Bergfilzen, verleihen dieser
Region einen unmuthigen Wechsel der
landschaftlichen Scenerie. Auf diesen Vor-
alpen beginnt auch schon die Alpen-
wirthschaft, da sie, 2500—3500 Fuß
über dem Meere gelegen, für das Win-
tergetreide zu lange mit Schnee bedeckt,
für das Sommergetreide zu stark mit
Gras durchwuchert sind, jedoch einen
ungemein üppigen Futterwuchs erzeugen.
Die buntprangenden, malerisch eingeheg-
ten Wiesengründe mit den freundlichen
fensterhellen Gehöften, die reine erquickende
Luft und der Anblick der unmittelbar
aufsteigenden Alpenreihen verleihen die-
- ser Vorterasse des Hochgebirgs einen
Liebreiz, wie man ihn in den zwar er-
habenen, wildromantischen, aber oft dü-
ster eingeengten Hochalpenthälern ver-
gebens sucht.
Unter den gleich mächtigen Wart-
thürmen einer Riesenfestung in die
bayerische Hochebene vorgeschobenen iso-
lirten Bergkegeln nimmt der hohe
Peißenberg zwischen Schongau und
Weilheim, weithin sichtbar in einer Höhe
von 3145 Fuß aufragend, die erste Stelle
ein. Schon seit 300 Jahren krönt seinen
Gipfel eine Wallfahrtskirche; ein stattliches
Pfarrhaus mit einem „Luginsland" auf
dem Dache, ein Wirthshaus, ein paar
andere Häuser und ein Kirchhof nehmen
den Raum der Bergplatte ein, von wel-
cher aus den Vesteiger eine bewun-
dernswerthe Fernsicht lohnt. In einem
j Kranze liegen die Alpen vom Hochsäntis
; bis zum Watzmann ausgebreitet, mitten
! drin der Großglockner, der König der
deutschen Berge, welcher aus dem fernen
! Kärnthen verschwimmend herüberschim-
mert. Ueber das weite Flachland weg
reicht der Blick bis zu dem blauen Rücken
des Jura und der waldigen Höhe des
Böhmerwaldes. In duftiger Ferne ra-
gen die Frauenthürme Münchens, die
Domthürme von Freising und die Ul-
richskirche von Augsburg als graue
Marksteine auf. Nicht mit Unrecht wird
dieser Berg der „bayerische Rigi" ge-
nannt, und dessen Besuch wird nun, da
die Eisenbahn bis an seinen Fuß führt,
bald ein sehr häufiger werden.
Eine Merkwürdigkeit der bayerischen
Hochebene sind die erratischen oder
Wanderblöcke, auch Findlinge
genannt. Sie kommen ihrer Gesteins-
art nach ohne Zweifel von den Central-
alpen und sind in deutlich erkennbaren
Zügen von Süden nach Norden über die
Ebene zerstreut. Ihre Größe wechselt
von 2 bis 3 zu 100 Fuß Kubikinhalt.
Einer der größten, ein riesiger Felsblock,
liegt an der Straße gegen Miesbach.
Früher fand man sie viel häufiger, allein
die Verwendung zu Bauten und Straßen
in dieser an Bau- und Straßenmaterial
so armen Ebene hat ihre Zahl sehr ge-
mindert. Die Frage: Wie sind diese
Blöcke aus den Hochalpen in die Ebene
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- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
36. Die bayerische Hochebene.
zweiten: das 'Erdinger Moos am östlichen
Ufer der Isar, nahe bei München begin-
nend und bis Moosburg hinziehend, das
Dachauer Moos, im Süden Haspelmoor
genannt; zur dritten endlich: die Filze
südlich des Chiemsee's, das Weitmoos
und Filz bei Rosenheim, das Murnauer
Moos südlich vom Staffelsee und das
Haselmoos nordwestlich vom Kochelsee.
Kaum ein Fluß, dessen Säume nicht
irgendwo solche Moosgründe aufzuweisen
haben; und manche Eintiefungen, wie
das Loisach-, Amper- und Innthal sind
daran nur zu reich.
Diese Moose sind entweder mit
sauern Halbgräsern bewachsen, oder sie
weisen röthlich-braune Flächen auf, be-
standen mit Zwergwäldern von krüppel-
hasten Kiefern, Filzkoppen genannt.
Die rothe Farbe rührt von einer eigenen
Moosgattung her, dem Torfmoos, wel-
cher das Wasser aus der Tiefe empor- !
zieht und festhält. Die erste Art der
Moore nennt man Wiesen-, die letztere
Hochmoore, das Volk aber bezeichnet
erstere als Möser, letztere als Filze.
In ihrem ursprünglichen Zustande sind
die Moore hauptsächlich nutzbar durch
Torf, Streu und etwas Brennholz. Den
Torf findet man in beiden Arten von
Mooren, und seit er als Brennmaterial
verwendet wird, beschäftigt der Torfstich
viele Hände, und der Preis eines Tag-
werks Moorgrund ist von 5—10 auf 200 fl.
gestiegen. Vielfach hat man auch die
Moose trocken gelegt und für die Kultur
gewonnen, doch geht diese Umgestaltung
nur langsam voran und noch immer
„kann Bayern durch Entwässerung und
Anbau seiner Moose ein ganzes Fürsten-
thum im Innern erobern;" denn von
der Gesammtfläche der Moorgründe zu
20 Meilen ist noch wenig für den
Anbau gewonnen. Das Wiesenmoor und
die Heide, der überfeuchte und über-
trockene Boden, finden sich merkwürdiger
Weise oft in unmittelbarster Nähe; so
im Lechfelde, so im Dachauer und Er-
dinger Moos, in der Garchinger Heide.
Beide aber finden ihren Uebergang zu
Wiese oder Wald in der Trift, die,
halb Wiese, halb Wald, von ihrer Be-
nutzung zum Viehtrieb den Namen er-
halten hat. Auf magerem Grasboden
Marschall, Lesebuch.
65 '
stehen gruppenweise und in schlechtem,
fast verkümmertem Zustande einzelne
Bäume, Maßholder, Elzbeerbäume, Ei-
chen, Hagebuchen, Espen, Birken, Kiefern,
umgeben von wenig nutzbarem Unter-
holz: Haselsträuchern, Salweiden, Weiß-
! schlehe und Kreuzdornen, Pfaffenkäppchen
und Faulbaum. An den Flüssen, beson-
ders an Isar, Donau und Lech, finden
sich die Auen, in welchen Wiesen und
Triften, Sumpf und Wald abwechseln.
Schon im Einzelnen zeigen diese Auen
! eine große Manchfaltigkeit der Vegetation;
auffallend aber ist der Unterschied der
Auen am Oberlaufe der Alpenflüsse ge-
gen die am Unterlaufe. An der obern
Isar z. B. wechseln blumige Rasenstrecken
und saftige Wiesen bald mit lichten
Nadelholzbeständen, bald mit Gebüschen
von Weiden und Erlen, um welche sich
die Alpenliane mit ihren großen präch-
tigen Purpurblüthen rankt, bald mit
Büschen von Alpenrosen, bald mit Knie-
holzwäldchen.
Nahe der Einmündung der Isar in
die Donau aber herrscht der Wald in
solcher Ueberfülle vor, daß er einem
tropischen Urwalde gleicht. Manche
Bäume erreichen eine ebenso riesige Höhe
als Dicke, und man hat Schwarzpappeln
von 30 Fuß Umfang gefunden. Stau-
nenerregend ist die Manchfaltigkeit und
Ueppigkeit der Baumarten, unter welchen
man nicht selten auch Nadelhölzer, eine
pinienartige Kiefer oder eine säulenartige
Fichte trifft, dazwischen dichtes und blü-
thenreiches Unterholz, umschlungen von
unserer deutschen Liane, der schlanken
Waldrebe; der Boden bedeckt mit üppig
wuchernden, krautartigen Gewächsen. Das
Dickicht ist oft undurchdringlich und es
kostet dem Jäger und Botaniker Mühe,
sich durchzuarbeiten. Aber er wird auch
entschädigt durch reiche Ausbeute und
seltenen Naturgenuß. Da liegt, im tief-
sten Waldesschatten versteckt, ein schilf-
bewachsener Teich, ein sogenanntes „Alt-
wasser", geschmückt mit Seerosen und
gelbblühender Iris; dort läd't ein Rasen-
teppich, umsäumt von Weidengebüsch und
überschattet von malerischen Baumgrup-
pen, zur Ruhe ein, und da blinkt durch's
wildverwachsene Gezweig der Strom im
Sonnenschein, und sein Rauschen klingt
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
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Ii. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde.
geisterhaft durch die unentweihte Stille
der Waldesau.
Aber selbst wirklicher Urw ald fehlt
dieser Gegend nicht. Im Forstamte
Tegernsee ist ein von der Axt noch nicht
berührter Wald. Da ihm von den Mo»
derresten abgestorbener Baumgeschlechter
nichts entzogen worden, so hat sich in
der ungeheuern Anhäufung solcher Massen
eine Ueppigkeit des Wachsthums gebil-
det, welche da, wo Licht und Luft den
Zutritt finden, an's Unglaubliche grenzt.
Bäume jeden Alters und jeder Art
wuchern aus dieser Moderschicht, und
wo einer kolossalen abgestorbenen Tanne
Raum gewährt ist zum Fall, da strecken
hundert andere ihre Häupter her-
vor, wetteifernd, an die Stelle der ge-
fallenen Größe zu treten, deren Leiche,
nachdem sie sich noch lange als dürre
„Rane" aufrecht erhalten, ein Jahrhun-
dert braucht, um in Verwesung zu zer-
fallen. Große Gräser, duftende Farren-
kräuter und Massen von Moos füllen
die Lücken aus zwischen den Baumstäm-
men und Felsblöcken. Undurchdringlich
für die Menschen, sind sie ein ungestör-
tes Asyl des Wildes. Der Urwald ist
eine der großartigsten Erscheinungen in
der Natur. Er hat etwas Heiliges,
Ehrfurchtgebietendes. Er verkündet das
ungestörte Schaffen der Naturkräfte in
stiller, erhabener Majestät.
Wie verschieden von diesen abgele-
genen Wäldern, wie verschieden auch von
den armen unfruchtbaren Moosen und
Heiden sind die reichen Getreideflu-
ren der bayerischen Hochebene! Ein un-
absehbares Meer von Aehren wogt zur
Sommerszeit in der breiten Thalebene
der Donau von Regensburg bis über
Osterhofen hinab! Hier liegt Bayerns
reichstes Weizenland vor uns, mit Recht
als dessen K o r n k a m m e r gepriesen. Der
Bauer in diesem Gau (vom Volk „Kay"
gesprochen) ist stolz auf seinen unerschöpf-
lichen „Dunkelboden", in welchen
eine verdorbene Sprachweise den „ D un g a-
boden", d. h. den Donaugauboden,
umgetauft hat.
Hier hatten die großen Wasserstuthen
längere Zeit ruhig gestanden und über
dem steinigen Geröll fruchtbare Erdschich-
ten abgesetzt. Als die Gewässer sich un-
terhalb Paffau durch die Bergdämme
eine Ausgangspforte gebrochen hatten
und allgemach zum Meere abgelaufen
waren, da ward der Boden des Riesen-
sees trocken gelegt und nach und nach
von Pflanzen und Thieren belebt. Die
Donauniederung aber hatte als köst-
liches Geschenk der Fluthen ihren „Dunga-
boden" erhalten, der sie zur reichen Korn-
kammer Bayerns gemacht.
37. Aus dem bayerischen Alpengebirg.
1) Derchtcsgadrn und der Königsfer.
I.
Von dem berühmten Schloß Hell-
brunn, unweit Salzburg, mit seinen
Wasserkünsten und von da über den Schel-
le nb erg herkommend, langte ich eines
Sonntags Abends in der rings von hohen
Alpen umschlossenen, am Fuße des riesigen
Watzmann gelegenen, ehemaligen gefür-
steten Abtei Berchtesgaden an.
Am andern Tage erhielt ich durch einen
Forstmann in Berchtesgaden, an welchen
ich empfohlen war, Einlaß in das einen
guten Büchsenschuß östlich von der Stadt
entfernte Salzbergwerk an de^i west-
lichen Abdachungen des „hohen Göll" am
Salzberg. Das Bergwerk besteht aus vier
übereinander liegenden Werken, deren jedes,
wie es eben bei den Bergleuten Gebrauch
ist, seinen besonderen Namen trägt.
Fragt der Fremde in dieser Gegend
nach den Salzbergwerken von Berchtesgaden
und Hallein, die nicht so gar weit von
einander liegen, welches das schönste von
beiden sei, so richtet sich die Antwort dar-
auf selbstverständlich immer nach dem Lande,
welchem der Gefragte angehört. Denn Hal-
lein liegt im Oesterreichischen und der Salz-
burger gibt daher dem Bergwerk in Hallein
immer den Vorzug, während der Bayer,
der doch auch etwas Schönes haben will,
stets dem in Berchtesgaden den ersten
Platz einräumt, wenn es gleichwohl nicht
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
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Ii. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde.
stehen, wobei die Hand des Menschen
allerdings viel nachhelfen mußte, damit
diese in ihrer Art einzigen Gebilde zu-
gänglich wurden. Ein schöner breiter
Baumgang zieht sich vom Berge nach
dem an dessen Fuße gelegenen freund-
lichen Alexandersbad, von wo aus eine
gute Straße nach dem etwa eine Stunde
entfernten Wunsiedel führt, das mit
seinen breiten, regelmäßigen Straßen
und seinen neuen reinlichen Gebäuden
einen recht angenehmen Eindruck macht.
Auf dem freien Platze vor der Kirche
prangt das Standbild Jean Paul's
(Friedrich Richters), den Wunsiedel mit
Stolz den Seinen nennt.
Die bedeutendste Stadt des Fichtel-
gebirges und dessen — wie des Kreises
Oberfranken — Hauptstadt ist das nette
Bayreuth am rothen Main, die ehe-
malige Residenz eigener Markgrafen.
Noch erinnern das fürstliche Schloß, in
dem, wie in den Residenzen zu Ansbach
und Berlin die „weiße Frau" der Hohen-
zollern ihren unheimlichen Spuck zu
treiben pflegt, noch das nun verödete
Opernhaus und der Hofgarten an die
alten Zeiten, ebenso die dichten Linden-
und Buchen-Alleen, die auf der einen
Seite zur E r e m i t a g e, auf der andern
zu der noch schönern Fantasie führen.
Auf dem Wege zur Eremitage kommt
man an „Rollwenzels Haus" vorbei,
in dem man noch das Zimmerchen zeigt,
allwo Jean Paul tagelang in stiller
Zurückgezogenheit, das Auge auf sein hei-
matliches Fichtelgebirge gerichtet, an der
Arbeit über seinen unsterblichen Meister-
werken saß. Auch in Bayreuth ist ihm,
der zum glänzenden Siebengestirne am
deutschen Dichterhimmel zählt, von König
Ludwig I. ein Standbild errichtet worden.
Am Ausgange des Fichtelgebirges
gegen Norden liegt das gewerbreiche,
rührige Hof, am Ausgange nach Westen
Culmbach, weit berühmt durch sein
Bier. Auch Culmbach war ehedessen
Residenz derbayreuther Markgrafen; noch
thront das weitläufige und feste Schloß
auf steiler Bergeshöhe, jetzt ein Aufent-
haltsort für solche, die das Recht ver-
wirkt, eine freie Stellung in der Mensch-
heit einzunehmen: die Plassenburg
ist ein Zuchthaus.
Das Fichtelgebirge ist stark bevölkert
und steht in dieser Hinsicht allen ande-
ren bayerischen Gebirgen voran; auf die
Geviertmeile treffen im Durchschnitte
über 3300 Seelen, also nahezu die Zif-
fer der Volksdichtigkeit für das ganze
Königreich. Schon daraus ergibt sich,
daß dieses Gebirge keineswegs öde und
unwirthlich sein kann, und daß seine
Bevölkerung eine arbeitsame und rührige
sein muß. In der That hat der Fich-
telgebirger sich jeden verwendbaren Flecken
Erde nutzbar gemacht: im gelichteten
Walde, auf gesprengteil Felsen, in aus-
getrockneten Mooren hat er sich Acker-
felder angelegt, und wo der steile Ab-
hang den Pflug nicht duldet, da muß
die Hacke das steinige Feld für die Aus-
saat bereiten; — wo das Getreide nur
magere Aehren treibt, weiß man eine
ergiebige Ernte von Kartoffeln und Flachs
zu gewinnen. Größer noch sind die Er-
trägnisse der Viehzucht, der Forsten, des
Bergbaues und der Steinbrüche. Im
Sommer sind die Wälder auf große
Strecken mit den beliebten Preißelbeeren
bedeckt, welche nun mittelst der Eisen-
bahnen weit verführt werden und den
fleißigen Gebirgsbewohnern eine hübsche
Summe Geldes ertragen.
Der Mineralreichthum dieses Gebir-
ges war schon in alter Zeit bekannt,
ist aber bei weitem nicht mehr so be-
deutend, als früher. Außer etwas Gold,
Silber und Zinn birgt es namentlich
Kupfer und Eisen; — das Brechen und
Bearbeiten seiner trefflichen Bausteine
— Granit, Syenit, Marmor — beschäf-
tigt viele Hände, und nennenswerthe
Heilquellen treten aus seinen Felsge-
wölben zu Tage. Von den verschiedenen
Industriezweigen, welche auf dem Fichtel-
gebirge in Flor stehen, sei nur der Ver-
fertigung von Glasperlen und Glas-
kugeln in allen Größen und Farben Er-
wähnung gethan. Sie sind ein Artikel
des Welthandels geworden; sie wandern
in die Wälder der überseeischen Länder
zum Schmucke für die Wilden und in
die Klöster und Wallfahrtsorte zu Pater-
nostern für die andächtigen Katholiken.
Das Volk dieser Berge, wie rauh
auch seine Außenseite in Folge harter
Arbeit und mühsamen Lebenserwerbes
1867 -
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43. Bayerns Land und Volk.
57
seinen saftigen Almen, seinen klaren See'n
und seinen schäumenden Rinnen und
Bergflüssen; — hier breitet sich eine
große, von mächtigen Wasseradern durch-
furchte Hochfläche aus, auf welcher an-
muthige, waldbewachsene Höhenzüge mit
ausgedehnten Ebenen abwechseln, letztere,
wenn auch hie und da Sumpflandschaften,
Haideflächen, magere Triften und ärm-
Uche Kiefernbestände zeigend, meist frucht-
bares Getreideland mit unabsehbaren
Weizenfluren, oder fetter Wiesengrund,
dann und wann unterbrochen durch dunkel-
gefärbte Waldstrecken. Dort wieder steigen
aus der Ebene allgemach die vielfach
verzweigten Höhen des Mittelgebirges
auf, bekleidet hier mit dem dunklern Ge-
wände der Nadelholz-, dort mit den
Hellern der Laubholzwaldungen. — Hier
rankt sich in sorgsam gepflegten Anpflan-
zungen an einem Walde schlanker Stangen
die würzige Hopfenstaude empor, und
dort, wo die Sonne ihre Strahlen glühen-
der zur Erde sendet, schmücken blühende
Obsthaine die Thalgründe und üppige
Rebgelände die Höhen.
Wenn die alten Deutschen meinten,
das Land sei glücklich zu preisen, in dem
folgende fünf W gefunden würden:
Wald, Wiese, Wasser, Wein und
Weizen, dann darf man Bayern ge-
wiß ein gesegnetes Land nennen, denn
an alledem fehlt es bei uns nicht, und
wir können daher gewiß mit Zufrieden-
heit auf unser Heimatland blicken. Sind
auch nicht alle Gegenden Bayerns gleich
freigebig von der Natur bevorzugt, so
stiefmütterlich ist doch auch keine bedacht,
daß sie ihren Bewohnern nicht wenigstens
den nöthigsten Lebensbedarf darböte. Weit-
aus die Mehrzahl der Einwohner Bayerns
erfreut sich eines — anderwärts nicht eben
häufigen — Wohlstandes und Lebensge-
nusses. Die Behäbigkeit des altbayerischen
Bauern ist sprichwörtlich geworden; und
doch ist es eine Frage, ob der Hopfen-
bauer Mittelfrankens oder der Weinberg-
besitzer auf der Hardt sich in einen Tausch
mit ihm einließen. Bei den Berg- und
Waldbewohnern finden wir allerdings
selten ein so ergiebiges Besitzthum; allein
dafür ist ihnen eine andere Gabe zu
Theil geworden, köstlicher wahrlich als
Reichthum an Gut und Geld: ein hei-
terer freier Sinn, Genügsamkeit und Zu-
friedenheit; und das Volk der Berge fühlt
sich daher, trotz äußerer Armuth, meist
glücklicher und wohler, als das Volk
der Ebene. An Quellen ausreichenden
Erwerbs mangelt es aber auch den Ge-
birgsbewohnern nicht. Wo der Wald
deren eigen Gut ist, wirft er kaum ge-
ringeres Erträgniß ab, als Wiese und
Ackerland. Meist freilich sind die Wal-
dungen im Besitze des Staates, der
Stiftungen oder Gemeinden. Dann sucht
der Wäldler seinen und der Seinen Un-
terhalt durch Holzhauen, Kohlenbrennen,
Theer- und Pechgewinnung, Einsammeln
von Beeren, Arzneikräutern u. dgl.
Arm an Vegetation sind nur wenige
Strecken in Bayern; allenthalben lohnen
reiche und manchfache Erzeugnisse die
Pflege und den Anbau des Bodens. Des
großen Getreidereichthums, des Hopfen-,
Wein- und Obstbaues, sowie der Er-
trägnisse der Waldungen ist schon ge-
dacht worden. Außerdem erzielt Bayern
in einzelnen Gegenden, je nach Klima
und Bodenbeschaffenheit: Tabak, beson-
ders in der Pfalz, Oelpflanzen, Flachs
und Hanf, Gemüse, Meerrettig, Süß-
holz, Färbepflanzen. Wohl hat auch der
Maulbeerbaum nennenswerthe Verbrei-
tung gewonnen, aber ohne daß dadurch
die Seidenzucht wesentlich gefördert wor-
den wäre. In den sonnigen Lagen der
Hardt reifen selbst süße Kastanien und
Mandeln.
Dieser Manchfaltigkeit des Pflan-
zenwuchses stellt sich der Reichthum der
Thierwelt würdig zur Seite. Die reißen-
den Thiere, Wolf, Bär und Luchs, im
vorigen Jahrhundert noch sehr häufig
im bayerischen Wald und in den Alpen,
sind nun als Standthiere ausgerottet:
doch wechseln sie noch dann und wann
aus Tirol und Böhmen über die baye-
rischen Grenzen. In den Alpen hatte
sich am längsten gehalten der Luchs,
nämlich bis in die dreißiger Jahre unseres
Jahrhunderts; im bayerischen Walde der
Bär, von dessen Geschlecht noch in unserm
Jahrhundert in diesem Walde an sechzig
erlegt oder lebend gefangen wurden. Der
letzte Bär in den Alpen wurde 1835,
im bayerischen Walde 1853 erlegt; der
letzte Wolf dort 1837, hier 1850. Noch