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41. Der dankbare Wilde.
Ein katholischer Geistlicher, der sich unter die wilden Jn-
dianer in Amerika begeben hatte, erlebte dort folgende Ge-
schichte, die er selbst also erzählt. „Ich kehrte einst an einem Abende
mit meinen Hausgenossen vom Felde zurück. Da hörten wir
in dem Walde einen kläglichen Ton; wir gingen ihm nach,
und fanden unter einem Baume einen alten Wilden, der ganz
entkräftet war, und auf sein Ende zu warten schien. Anfangs
wollte er nicht mit uns reden. „Ach," sagte er endlich, „heute
früh, als der Himmel roth wurde, machte ich mich auf, um
in meine Heimath zu gehen. Nun habe ich mich verirrt; es
wird dunkel, ich bin ermattet und muß hier liegen bleiben.
Hier werden giftige Schlangen, oder wilde Thiere, oder meine
Feinde meinem Leben ein Ende machen." Da hieß ich ihn mit
mir gehen. „Aber du kennst mich ja nicht," sagte er. „Ich
brauche dich nicht zu kennen, komm' nur mit." So führten
wir ihn in meine Hütte. Nachdem er Speise und Trank zu
sich genommen hatte, bereitete ich ihm, ein Lager dicht an mei-
nem Bette, so daß wir nur eine leinene Wand zwischen uns
hatten. Wir legten uns nieder. Mitten in der Nacht erweckte
mich ein Geräusch, als ob der Wilde von seinem Lager aus-
stände. Ich erschrak und horchte. Wie sehr that ich ihm Un-
recht! Er knieete nieder und betete ungefähr mit folgenden
Worten: „O Gott! ich danke dir, daß mich keine Schlange
gebissen, daß mich kein wildes Thier angefallen hat, daß mir
meine Feinde nicht begegnet sind. Ich danke dir, daß dieser
gute Fremdling gekommen ist, und mich in seine Hütte geführt
hat. O Gott! wenn dieser Fremdling oder die Seinigen reisen,
so gib ihnen auch die Sonne auf ihren Weg, beschütze sie auf
ihrem Wege vor Schlangen, wilden Thieren und vor ihren
Feinden; wenn einer von ihnen verirrt und ermattet liegen
bleibt, so laß einen guten Mann kommen, der ihn in seine
Hütte aufnimmt."
42. Bcr schwere Sack voll Erde.
Ein reicher Mann hatte einer dürftigen Wittwe einen
kleinen Acker, von dessen Ertrag sie nur kümmer-
lich lebte, durch einen ungerechten Process abgewon-
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3
Sei angebetet, Herr der Welt!
Gelobt von allen Zungen!
Von Jedem, den dein Arm erhält.
Sei dir, Herr, Lob gesungen!
Der Greis und Jüngling preise
dich,
lind Jeder freue dankbar sich
Des neuen frohen Tages.
So eilt der Tag gesegnet hin.
Ich kann ihn froh beschließen:
Weiß, daß ich Gott gefällig bin.
Und hab' ein gut Gewissen.
Dann schließ ich sanft die Augen zu.
Du, Gotl, schenkst meinem Leibe Ruh'
Und meiner Seele Frieden.
Zur Arbeit gib mir, Vater, Kraft
Und Lust zu jeder Tugend.
Wohl dem, der Gutes denkt und
schafft.
Dich kennt schon in der Jugend!
Ja, deiner soll mein Herz sich freun.
Nicht dieser Tag verloren sein.
Verloren keine Stunde.
5. Gott grüßt Manchen, der ihm nicht dankt.
„Gott grüßt Manchen, der ihm nicht dankt." Zum Bei-
spiel, wenn dich früh die Sonne zu einem neuen kräftigen Le-
den weckt, so bietet er dir: Guten Morgen. Wenn sich Abends
dein Auge zum erquicklichen Schlummer schließet: Gute Nacht.
Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt
er: Wohl bekomm's. Wenn du eine Gefahr noch zur rechten
Zeit entdeckst, so sagt er: Nimm dich in Acht, junges Kind,
oder altes Kind, und kehre lieber wieder um. Wenn du am
schönen Maitag im Blüthenduft und Lerchengesang draußen
gehst, und es ist dir wohl, so sagt er: Sei willkommen in mei-
nem Schloßgarten. Oder du denkst an nichts, und es wird
dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen,
und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt
er: Merkst du, wer bei dir ist? Oder du gehst an einem offe-
nen Grabe vorbei, und es schauert dich, so erinnert er: Du
bist Staub und Asche; indeß: Gelobt sei Jesus Christus! Also
grüßt Gott Manchen, der ihm nicht antwortet und dankt.
K. Gute Meinuug am Morgen.
Was ich thu' und was ich leide,
Soll dir, Herr, geweihet sein.
Jedes Weh und jede Freude,
Jede Lust und jede Pein;
Ob der Himmel hell, ob trübe.
Alles dir zu Ehr' und Liebe!
Drücket mich der Arbeit Schwere,
Siechen meine Kräfte hin.
Alles dir zu Lieb' und Ehre!
Sprech' ich mit ergeb'nem Sinn:
Wirken ist mein Loos auf Erden,
Oben soll der Lohn mir werden.
1 *
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4
Oeffnest du die milden Hände,
Reichst du deine Gaben mir.
Dank' ich dir für deine Spende,
Fleh' ich innig: Ehr' sei dir!
Blickst du huldvoll auf mich nieder.
Blick' ich dankbar zu dir wieder!
Muß ein schwereskreuz ich tragen,
Wohl, dein Wille soll gescheh'n!
Mit dir will ich ohne Klagen
Auf dem rauhen Kreuzweg geh'n:
Weil dich drückt' des Kreuzes
Schwere,
Trag' ich's, dir zu Lieb'und Ehre!
Alle meine Tageswerke
Sollen dir geweihet sein;
Gib mir Muth und gib mir Stärke,
Schenke meiner That Gedeih'n,
Mich erfrisch' dein Himmelssegen,
Wie die Saat der Sommerregen!
Alles meinem Gott zu Liebe,
Alles meinem Gott zu Ehr',
Sei es helle, sei eö trübe,
Fall' es leicht mir oder schwer!
Ehr' sei ihm zu allen Zeiten!
Ehre ihm in Ewigkeiten!
T. Das Kind an seinen Schutzengel.
Du willst mich glücklich sehen!
Wie gut bist du gesinnt!
Du kommst aus Himmelshohen,
Und dienst dem Menschenkind!
Ich bin noch jung an Jahren,
Ich bin noch schwach und klein.
Beschütz' mich vor Gefahren,
Laß mich dein Liebling sein!
Weich' nicht von meiner Seite,
Sei bei mir Tag und Nacht,
Daß ich nicht fall' und gleite.
Gib immer auf mich Acht!
Dich will ich innig lieben.
Mein Engel gut und treu!
Dich will ich nie betrüben!
Ich folg', wohin es sei.
Führ' mich auf dieser Erden,
O sprich, ich folge gleich!
Ein Engel laß mich werden
Im schönen Himmelreich!
8. Zzrr8 3l®!3» €S®44es Asjeaies ist «leaa Alpen.
In einigen Alpenbezirken von Piemont und Savoyen,
in denen die Bewohner zerstreut als Hirten wohnen,
herrscht eine schöne, fromme Sitte, welche den Hirten
in ihrer Einsamkeit einigen Ersatz für das gesellige Le-
den verschalst. Wenn die Sonne das Thal verlassen hat,
und ihre letzten Strahlen noch schwach die schneeigen
Gipfel der Berge vergolden, nimmt der Hirt, dessen
Hütte auf dem höchsten Punkte liegt, sein Alpenhorn und
ruft wie durch ein Sprachrohr: „Lobet den Herrn!8 * * * * * 14
Alle benachbarten Hirten, an der Thür ihrer Hütte ste-
hend, wiederholen der Reihe nach den Schall, so wie
sie ihn vernehmen, und so ertönt eine Viertelstunde lang
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5
von Fels zu Fels, von Tiefe zu Tiefe sich in immer
weitere Ferne verlierend das Echo: „Lobet den Herrn!“
Eine feierliche Stille folgt den letzten Tönen des Horns,
und dann fallen alle Hirten mit entblösstem Haupt und
frommer Andacht auf die Kniee nieder. Und wenn end-
lich Finsterniss die Berge umhüllt, so erschallt das Horn
von Neuem mit einem traulichen „gute Nacht!“ und in
Frieden ziehen sich nun die Hirten in ihre einsamen Woh-
nungen zurück, um auszuruhen von den Mühen des Tages.
9. Ave Maria.
Die Nacht entflieht.
Der Morgen glüht
Und malet purpurn Berg und Thal:
Da sei gegrüßt viel tausendmal,
O Mutter unsers Herrn,
Du schönster Morgenstern! —
Das Glöcklein geht.
Auf zum Gebet!
Ave Maria!
Des Mittags Glanz
Erfüllet ganz
Die schöne Erde weit umher:
Da sei gegrüßet immer mehr,
O Mutter Gottes, rein.
Wie nie der Sonne Schein! -
Das Glöcklern geht.
Auf zum Gebet!
Ave Maria!
Der Abend sinkt.
Ein Sternlein blinkt.
Dann zahllos viele allzumal:
So sei gegrüßet ohne Zahl,
O Mutter, die da wacht
Für uns in dunkler Nacht! —
Das Glöcklein geht.
Auf zum Gebet!
Ave Maria!
19. Abendgebet.
Müde Lin ick, geh' zur Ruh',
Schließe beide Aeuglein zu:
Vater! laß die Augen dein
Ueber meinem Bette sein.
Hab' ich Unrecht heut gethan.
Sieh es, lieber Gott! nicht an.
Deine Gnad' und Jesu Blut
Macht sa allen Schaden gut.
Kranken Herzen
Nasse Augen schkie
Laß den Mond an
Und die stille Wel
Vater! Hab' mit mir Geduld,
Und vergib mir meine Schuld,
Wie ich Allen auch verzeih'.
Daß ich ganz in Liebe sei.
Alle, die mir sind verwandt,
Gott! laß ruh'n in deiner Hand.
Alle Menschen, groß und klein.
Sollen dir empfohlen sein,
sende Nuh',
!e zu;
Himmel steh'n,
beseh'n!
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Extrahierte Personennamen: Maria Maria Maria Maria Maria
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zwei letzten Groschen aber, die ich verschenke, ernähre ich aus
brüderlicher Liebe meine beiden armen und kränklichen Schwe-
stern. Der König war sehr vergnügt über den braven, edlen
Landmann, der mit aller Anspruchlosigkeit und heiterer Laune
von der Verwendung seines Lohnes gesprochen hatte, und be-
zeigte ihm seine herzliche Zufriedenheit. Nach einigen Tagen
wurde ihm dann bekannt gemacht, daß der König durch ein
kleines Zahrgeld ihm bcistehen wollte, seine sonderbaren Schulden
zu vergringern und sein Kapital für Zeit und Ewigkeit zu vermeh-
ren. Da erst erfuhr der gute Mann, wer mit ihm geredet hatte.
46 Schäme dich deiner Eltern nicht.
In dem Negimente des berühmten, von Friedrich dem
Großen hoch geehrten Generals von Ziethen stand auch ein
Rittmeister, mit Namen Kurzhagen. Er war klug, tapfer und
statte ein kindliches Gemüth. Seine Eltern waren arme Land-
leute im Mecklenburgischen. Mit dem Verdienstorden auf der
Brust rückte er nach Beendigung des siebenjährigen Krieges in
Parchim ein.
Die Eltern waren von ihrem Dörfchen nach der Stadt
gekommen, um ihren Sohn nach Jahren wieder zu sehen, und
erwarteten ihn auf dem Markte. Wie er sie erkannte, sprang
er rasch vom Pferde und umarmte sie unter Freudenthränen.
Bald darauf mußten sie zu ihm ziehen und aßen allezeit mit
an seinem Tische, auch wenn er vornehme Gäste statte.
Einst spottete ein Offizier darüber, daß Bauern bei einem
Rittmeister zu Tische säßen. „Wie sollte ich nicht die ersten
Wohlthäter meines Lebens dankbar achten?" war seine Ant-
wort. „Ehe ich des Königs Rittmeister wurde, war ich schon
viele Jahre ihr Kind."
Der brave General von Ziethen störte von diesem Vorfalle,
und bat sich selbst nach einiger Zeit mit mehreren Vornehmen
bei dem Rittmeister zu Gaste. Die Eltern des Letztern wünsch-
ten diesesmal selbst, nicht am Tische zu erscheinen, weil sie sich
verlegen fühlen würden. Als man sich setzen wollte, fragte
der General: „Aber Kurzhagen, wo sind Ihre Eltern? Ich
denke, sie essen mit Ihnen an einem Tische." Der Rittmeister
läcbelte und wußte nicht sogleich zu antworten.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_dem
Großen Friedrich
7
unerlaubte Weise sich seinen Unterhalt verschaffe, und forder-
ten ihn deswegen vor Gericht. Kleanthes erschien. Die Rich-
ter theilten ihm den Verdacht seiner Ankläger mit und legten
ihm auf, sich davon zu reinigen. Da holte er den Gärtner
und die Frau herbei, für welche er bisher gearbeitet hatte; und
diese bezeugten, daß er seinen Unterhalt zur Nachtzeit sich durch
Arbeiten verdiene. — Von diesem seltenen Eifer des Jüng-
lings wurden die Richter gerührt und beschlossen einmüthig,
ihn durch ein Geschenk zu belohnen. Sein Lehrer Zeno verbot
ihm aber, dies Geschenk anzunehmen.
14. Die Fliege und die Biene.
Zur Biene sprach die Fliege: „Geliebte Biene, sprich, wie
kommt es, daß man dich auf keinem deiner Züge verfolgt
und jagt, wie mich? Vor jeder Hand muß ich mein kleines
Leben hüten. Du schwingst dich frei empor, holst ungestraft
aus Blüthen den Honigseim hervor. Mir, streck' ich meinen
Rüssel nach eines Armen Brod, nach eines Reichen Schüssel,
mir droht sogleich der Tod. Ich glaube, könnt' ich stechen und
mich so scharf, wie du, an meinen Feinden rächen, man ließe
mich in Ruh'." —
„Du irrst, versetzt die Biene, was noch weit sich'rer mich
in Schutz nimmt, ist, daß ich durch Fleiß den Menschen diene."
15 Die Gottesmauer.
Die Leute eines einsamen Bauernhofes waren während eines
Krieges in großen Aengsten. Besonders war eine Nacht für
sie sehr fürchterlich. Der Feind nahte sich der Gegend; der
nächtliche Himmel war bald da, bald dort von Feuersbrünsten
roth wie Blut. Zudem war es Winter und das Wetter sehr
kalt und stürmisch. Die guten Leute waren keinen Augenblick
sicher, ausgeplündert und jetzt, zur rauhesten Jahreszeit, von
Haus und Hof verjagt zu werden. Großeltern, Eltern und
Kinder blieben die ganze Nacht hindurch in der Stube bei ein-
ander auf und beteten beständig. Die Großmutter las aus
einem alten Gebetbuche vor. In einem „Gebete zur Zeit des
Krieges" kamen die Worte vor:
Eine Mauer um uns baue.
Daß dem Feinde davor graue!
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8
Der junge Bauer, der andächtig zugehört hatte, meinte
jedoch, das Aufführen einer Mauer sei gar zu viel von dem
lieben Gott verlangt. Indeß ging die Nacht vorüber, ohne
daß ein feindlicher Soldat in das Haus kam. Alle im Hause
wunderten sich darüber. Als sie aber Morgens sich vor die
Thüre wagten, siehe, da war gegen jene Seite hin, wo die
Feinde standen, der Schnee von dem Winde hoch wie eine
Mauer ausgethürmt, so daß man gar nicht hindurchkommen
konnte. Alle lobten und priesen Gott. Die Großmutter aber
sagte: „Seht, so hat Gott eine Mauer aufgeführt, die Feinde
von unserer Wohnung abzuhalten. Ich bleibe dabei:
Wer auf den lieben Gott vertraut.
Der hat auf festen Grund gebaut."
16 Das Haus des Herrn.
Ein Haus lieb' ich vor allen.
Da weil' ich gar so gern.
Es hat mein ^Wohlgefallen:
Das ist das Haus des Herrn.
Will Leid mein Herz zernagen.
Bleibt alle Hoffnung fern.
Wem soll die Noth ich klagen?
Ich geh' zum Haus des Herrn.
Wenn Dunkel mich umhüllet.
Ich kenn' den Himmelsstern,
Weiß, wo die Wahrheit quillet,
Zch geh' zum Haus des Herrn.
Wenn alle mich verlassen.
Mein Gott hat mich doch gern.
Sein Kind kann er nicht hassen.
Ich flücht' ins Haus des Herrn.
Ist siech und krank die Seele,
Bleibt jeder Arzt mir fern.
Ich werde sonder Fehle
Gesund im Haus des Herrn.
Du heil'ge, traute Stätte!
In dir wählt' ich so gern
Mein letztes Ruhebette,
Entschlaf ich einst im Herrn.
Du bist mir lieb vor allen.
In dir weil' ich so gern.
Du hast mein Wohlgefallen,
Du Vaterhaus des Herrn!
1?. Die beiden Bettler.
Die Fürstin von Gallitzin erzählt in ihren Tagebüchern
Folgendes: „Ich begegnete auf der fliegenden Brücke bei Wesel
einem alten, lahmen Invaliden. Er sprach mich um ein Al-
mosen an. Ich gab ihm einen halben Gulden. Da sah ich,
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9
wie er freudig zu einem armen Blinden, der auf einer andern
Bank saß, hinhinkte und die Gabe mit ihm theilte. Ich rief
ihn zurück und fragte: Vater, ist der dein Bruder oder Ver-
wandter? — „Nein," sagte er; „er war mein Kamerad
im Kriege; nun ist er es als Krüppel. Er kann nicht betteln
gehen, weil er nicht sieht; ich aber sehe; es ist also billig, daß
ich auch für ihn Almosen sammle." — Wie gerne gab ich
ihm nun ein Goldstück! Und wenn wir, die wir böse sind, so
ergriffen werden vom Anblicke der Liebe und Treue, wie viel
mehr wird es dann unserm Vater im Himmel gefallen, wenn
er sieht, daß die Menschen einander lieben und brüderlich un-
terstützen! Theile von dem Deinigen mit, so wirst du mehr
empfangen!"
18. Froher Muth geht über Geld und Gut.
Es war einmal ein armer Handwerksmann, ein Leinweber,
der saß täglich schon in aller Frühe in seiner Werkstatt und
arbeitete. Und wie er denn allezeit fröhlichen Muthes war,
so sang er zum Zeitvertreib nebenbei manch schönes weltliches
oder geistliches Liedlein, je nachdem es ihm just ums Herz
war; und er hatte eine so klare und volle Stimme, daß die
Nachbarn keines Haushahns bedurften, der sie aufweckte. Dies
war aber eben dem reichen Kaufherrn nicht recht, der neben
ihm wohnte; denn wenn der vor Mitternacht nicht schlafen
konnte wegen Geldsorgen, so mußte er nach Mitternacht noch
wach bleiben wegen des lästigen Singsangs des Nachbars. Er
Lachte daher ernstlich darauf, dem Unfug ein Ende zu machen.
Verbieten konnt' er's ihm nicht; denn das Singen gehört, wie
das Beten und Arbeiten, zum Hausrecht, darin Niemand ge-
stört werden kann. Also mußte er andere Mittel gebrauchen.
Er ließ den Handwerker kommen, und fragte ihn, wie hoch
er sein Singen anschlage? Der meinte, einen Tagelohn sei es
sicherlich werth, da es ihm das Tagewerk selbst so leicht mache.
Jener fragte weiter, wie viel das betrage? Der Weber ant-
wortete: So und so viel, und es war doch nicht viel. Darauf
sagte der Kaufherr, er wolle ihn einen Monat lang zum voraus
bezahlen, nicht für das "Singen, sondern daß er still sei. Und
er legte ihm das Geld wirklich hin. Der Leinweber dachte bei
s
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37
50. Das arme Kind.
Der Wald war dürr, der Weg war nass,
Und einsam ging ein Mägdlein blass.
Es schien kein Stern, kein Lied erklang,
Und traurig war des Mägdleins Gang.
Ihm war das Herz gar sorgenbang,
Es weinte heiss und weinte lang.
Nicht Lerche sang, noch Nachtigall,
Der Wind nur pfiff mit lautem Schall.
Und riss er leicht am Haselreis,
Dann weint’ das Mägdlein still und leis;
Und brach der Sturm die Eich’ entzwei,
Dann weint’ das Mägdlein laut und frei.
So kommt es hin zur Waldkapell’,
Und knieet dort an heil’ger Stell’.
Dem Kummer lässt es freien Lauf
Und hebt die Hände schluchzend auf.
„Mir ist, o Gott, so bang und yveh,
Nur Leid und Leid ich vor mir seh’.
Ach, gestern ging bei Kerzenschein
Zu Grab der liebe Vater mein.
Der Mutter Herz vor Gram zerbrach,
Sie folgte heut dem Vater nach.
Die Mutter gab mir Milch und Brod,
Der Vater Kleider weiss und roth.
Sie starben, ach, die Eltern mein,
Nun bin ich armes Kind allein.
Der Hunger drückt, der Wind ist kalt,
Die Noth ist gross, mein Kleid ist alt.
0 reicher Christ vom Himmel du,
0 schenke deinem Kinde Ruh,“
So klagt’s und weint’s aus Herzensgrund,
Bis stiller Schlaf ihm schloss den Mund.
Da ward ihm leicht und wohl und süss,
Als wär’s in Gottes Paradies.
Ein Lied mit Flöt’ und Harf erklingt
So lieblich, wie kein Vogel singt.
Von vielen Lichtern, klar und hell,
Erstrahlet rings die Waldkapell’;
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TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T116: [Vater Kind Mutter Sohn Bruder Herr Mann Auge Frau Hand]]
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allein für den ganzen Leib beständig auf der Wache ste-
hen, und für ihn sehen sollten. Und so sprachen auch
alle übrigen Glieder des Leibes, und eines kündigte dem
andern den Dienst auf. Allein was geschah ? — Da die
Füsse nicht mehr gehen, die Hände nicht mehr arbeiten,
der Mund nicht mehr essen, die Augen nicht mehr se-
hen wollten: so fing der ganze Körper in all seinen Glie-
dern an zu welken und abzusterben. Nun kamen sie zur
Besinnung; sie erkannten ihre Thorheit und söhnten sich
wieder aus. Es diente wieder ein Glied dem andern,
und alle wurden auch wieder gesund und stark, wie sie
es vorher gewesen waren.
Die Eintracht baut das Haus , die Zwietracht reisst es nieder.
Einigkeit, ein festes Band, hält zusammen Leut’ und Land.
20. Weihnachtssegen.
Karl und Anna, zwei arme Kinder, saßen allein in der
Stube und arbeiteten. Karl rechnete und Anna strickte. Auf
einem Tische lag ihr Abendbrod, das ihre Mutter bereitet
hatte. Die Kinder sollten es aber erst erhalten, wenn sie mit
ihren Aufgaben fertig wären. Während ihrer Arbeit dachten
sie zuweilen daran, wie gut ihnen heute das Abendbrod schmecken
werde; denn es war besser als gewöhnlich, weil es heiliger
Abend war. Die Mutter sammelte im nahen Wäldchen Holz,
damit sie während der Weihnachtstagc nicht frieren müßten.
Da klopfte es an der Thür. Sollte das die Mutter schon
sein? fragte Anna. Karl aber sprang hurtig hinaus, und
öffnete die Thür der alten Hütte. Da stand ein Kind, zitternd
und blaß. Es hatte nichts als ein dünnes Nöckchen an, und
sein Auge sah so bittend empor, als wollte es sagen: O nehmt
mich auf! Ich bin hungrig und durstig und friere so sehr.
Karl erbarmte sich, und führte das Kind herein in die
Stube. Anna machte große Augen, als sie den fremden Gast
kommen sah. Als sie aber dem Kinde ins Antlitz blickte, ward
sie wunderbar ergriffen. Sie nahm cs bei der Hand, führte
es zum Ofen, und legte rasch einige Reiser auf die Gluth.
Willst du dein Honigbrod nicht essen, Karl? fragte sie,
geschäftig hin und her laufend. Iß du doch das deine, sagte
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Extrahierte Personennamen: Karl Anna Karl Karl Anna Anna Karl Karl Karl Anna Gluth Karl