1842 -
Oldenburg/Holstein
: Fränckel
- Autor: Detlefs, Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
1»
23. Kains Klagen. -
Als Kain in dkl» Lande Nod wohnete, jenseits Eden gegen den Morgen,
saß er einrs Tages unter einer Terebinthe, und hielt sein Haupt aus seine
Hände gestützt, und seufzte. Sein Weib aber war hinausgegangen, ihn zu
suchen, und trug ihren Säugling aus den Armen. Als sic ihn nun gesunden
hatte, stand sie lange neben ihm, unter der Terebinthe, und hörte daö Scus-
zcn Kains. — Da sprach sie zu ihm: Kain, warum seufzest du, und ist
denn deines Jammers kein Ende? — Da crschrack er, hob sein Haupt empor,
und sprach: „Ach, bist du cs, Zilla? Siehe, meine Sünde ist größer,
denn daß sie mir vergeben werden möge!" — Und als er dieses gesagt hatte,
senkte er von neuem sein Haupt, und bedeckte seine Augen mit der hohlen
Hand. — Sein Weib aber sprach mit sanfter Stimme: Ach Kain, der Herr
ist barmherzig, und von großer Güte. — Alö Kain diese Worte hörete, da
crschrack er von neuem, und sprach: „O, soll auch deine Zunge mir ein
Stachel werden, der mir das Herz durchbohre!" - Sie aber antwortete: Das
sei fern von mir. So höre doch, Kain! und schaue um dich her. Blühen
nicht unsere Saaten, und haben wir nicht schon zweimal reichlich gecrndtrt?
Ist uns denn der Herr nicht gnädig, und thut uns niildiglich wohl? —
Mslitt antwortete: „Dir Zilla! und deinem Hanoch! Nicht mir! Ich erkenne
nur in seiner Güte, Ivic ferne ich von ihm war, alö ich Abel — erschlug." —
Da unterbrach ihn Zilla, und sprach: Bauest du denn nicht den Acker, und
streuest den Saamen in die Furche; und leuchtet dir nicht die Morgenröthe,
wie in Eden? Glänzet nicht der Thau an den Blumen und Halmen? — —
„Ach Zilla, mein armes Weib," erwiederte Kain, „ich sehe in der Morgenröthe
nur das blutende Haupt Abelö, und in'dem Thau hängt mir an jedem Halm
eine Thräne, und an jeder Blume ein blutiger Tropfen! Und wenn die
Sonne aufgehet erblicke ich hinter mir i» meinem Schatten Abel, de» Erschla-
genen, und vor mir mich selber, der ihn erschlug. — Hat nicht daö Nieseln
des Baches eine Stimme, die um Abel klaget, und schwebet mir nicht im Hauch
des kühlenden Windcö sein Odem entgegen? Ach, schrecklicher als das Wort
des Zürnens, das im Donner redete, und mir zurief: „Wo ist dein Bruder
Abel?" ist mir die leise Stimme, die mich überall umfleußt. — Und komiut
die Nacht — ach, sie umsähet mich, wie ein düsteres Grab, und um mich her
ist ein Todtenreich, das mich allein umschließt! — Nur der Mittag ist meine
Stunde; wenn die Sonne meinen Scheitel sengt, und mein Schweiß in die
Furchen tränst, und kein Schatten mich nmgiebt!" — Da sprach Zilla: O
Kai», mein Geliebter! Siehe, dort kommen unsere Lämmer! weiß wie die
Lilien des Feldes, und ihre Euter voll Milch, hüpfen sie fröhlich zur Hürde,
im Glanz der Abendröthc. — Kain sah mit stierem Blick, und rieft „Ach,
das sind Abels Schafe! Sind sie nicht roth von Abels Blut? Ihr Blöcke»
klaget um Abel! Ist eö nicht die Stimme deö Jammers? — Was könnte
den» Kain gehören?" — Da weinte Zilla und sprach: Bi» ich den» nicht
Zilla, dein Weib, die dich liebet? — Er aber erwiederter „Wie kannst du
Kain lieben, der sich selber nicht liebet? Was hast du von mir denn Thrä-
nen und Seufzen--------wie könntest du Kain liebe», der Abel erschlug? —
Da reichte sie ihm Hanoch dar, ihr Kindlein, und das Kind lächelte seinen
Vater an. Da warf sich Kain aus sein Angesicht, schluchzetc und ries: „Ach!
auch noch das Lächeln der Unschuld muß ich sehen! Es ist nicht das Lä-
cheln des Sohnes Kain — eö ist Abels Lächeln! — Es ist Abelö Lächeln,
den Kain erschlug !" — So rief er, und lag verstummend mit seiner Stirn
auf der Erde. Zilla aber lehnte sich an die Terebinthe, — denn sic zitterte
sehr — Und ihre Thränen stoffen aus die Erde.
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- Autor: Detlefs, Heinrich
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
»5
Das menschliche Geschlecht
Sollt' einen Geizhals mehr behalten:
Eö besserte sich mit dem Alten.
Der Pfarrer kommt zu ihm. „Ich weiß wohl, sprach der Greis,
Was ich ihm einst gesagt, wenn er's gleich nicht mehr weiß. —
Hier seh' er selbst, was ich und meine Frau ersparten;
Ich zeig' ihm nur die selt'ncn Arten."
„Steht ihm das große Goldstück an?
Da sind sie noch von größer,» Werthe;
Doch, weil sic Gott mir wunderbar bcschecrte,
So hab' ich ein Gelübd' gethan,
stlicht cinö von allen auszugeben,
Und sollt' ich hundert Jahre leben."
„Will er nunmehr die Silbermünzen seh'n?
Ja, lieber Herr! auch die sind schon.
Hier hab' ich, glaub' er mir, mehr harte Thaler liegen,
Als ich und er zusammen wiegen.
Allein sie mögen immer liegen,
Sie sollen alle für mein Hau-.
Doch laß er uns noch weiter gehen,
Hier sicht er die Zweidrittel stehen; —
Da les' er eins für sich und seine Kinder ans
Und bitt' er Gott um Segen für mein Haus!"
S.4. Der Bauer und fein Svl-u.
Eiir guter dummer Bauerknabe,
Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm,
Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe
Recht dreist zu lügen wieder kam,
Ging kurz »ach der vollbrachten Reise
Mit seinem Later über Land:
Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand,
Log auf die unvcrschämt'stc Weise.
Zu. seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt.
„Ja, Later," rief der freche Knabe,
„Ihr mögt mir's glaube», oder nicht:
So sag' ich's euch und jedem in's Gesicht,
Daß ich einst einen Hund bei — Haag gesehen habe,
Hart an dem Weg', wo man nach Frankreich fahrt,
Der — ja ich bin nicht ehrenwcrth —
Wenn er nicht größer war, als euer größtes Pferd." —
„Das," sprach der Later, „nimmt mich wunder;
Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge seh».
Wir zum Exempel, geh'» jetzunder,
Und werden keine Stunde gehn,
So wirst du eine Brücke sehn,
(Wir müssen selbst darüber gehn)
Die hat dir manchen schon betrogen;
(Denn überhaupt soll's dort nicht gar.zu richtig sein)
Aus dieser Brücke liegt ein Stein,
An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen,
Und fällt sogleich, und bricht ein Bein." —
Der Bub' crschrack, sobald er dies vernommen;
„Ach," sprach er, „lauft doch nicht so sehr!
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dtc Narre» machen. — „Was? wie es die Narren machen?" — Ja, Herr
Till, und muß eö dann anders machen, wie die. ■— „Als zum Exempel?" —
Als zum Exempel, Herr Till. So lebte dahier in meiner Jugend ein alter
Arithmetikus, ein dürres, grämliches Männchen, Herr Beit mit Namen. Der
ging immer herum und murmelte vor sich selbst; in seinem Leben sprach er
mit keinem Menschen. Und einem in's Gesicht sehen, das that er noch we-
niger; immer guckte er ganz finster in sich hinein. Wie meint er nun wohl.
Herr Till, daß die Leute den hießen? — „Wie? einen tiefsinnigen Kopf." —
Ja, es hat sich wohl! Einen Narren! Hui, dachte ich da bei mir selbst;
denn der Titel stand mir nicht an, wie der Herr Beit muß man's nicht ma-
chen. Das ist nicht fein. In sich selbst hineinsehen, das taugt nicht: sieh bu
den Leuten dreist in's Gesicht! Oder gar mit sich selbst sprechen! pfui!
Sprich du lieber mit andern! Nun, was dünkt ihm, Herr Till, hatte ich da
Recht? — „Ei ja wohl, allerdings!" - Aber ich weiß nicht, so ganz doch
wohl nicht. Denn da lief noch ein anderer herum; das war der Tanzmeistcr
Herr Flink, der guckte aller Welt ins Gesicht, und plauderte mit allem, was
nur ein Ohr hatte, immer die Reihe herum; und den — Herr Till, wie meint
er wohl, daß die Leute den wieder hießen? — „Einen lustigen Kopf?" —
Beinahe! Sie hießen ihn auch einen Narren. Hui, dachte ich da wieder, das
ist doch drollig! Wie mußt du es denn machen, um klug zu heiße»? — We-
der ganz wie der Herr Beit, noch ganz wie der Herr Flink. Erst siehest du
den Leuten hübsch dreist ins Gesicht, wie der eine und dann siehst du hübsch
bedächtig in dich hinein, wie der andere. Erst sprichst du laut mit den Leu-
ten, wie der Herr Flink, und dann insgeheim mit dir selbst, wie der Herr
Veit. Sieht er, Herr Till, so habe ich'ü gemacht, und das ist das ganze
Geheimniß. — Ein andermal besuchte ihn ein junger Kaufmann, Herr Flau,
der gar sehr über sein 'ck»glück klagte. — Ei was, fing der alre Witt an, und
schüttelte ihn; er muß das Glück nur suche», Herr Flau; er muß darnach
aus sein. — „Das bin ich ja lange, aber was hilst's? Immer kommt ein
Streich über den andern! Künftig lege ich die Hände gar lieber in den Schoß,
und bleibe zu Hause." - Ach, nicht doch, nicht doch, Herr Flau! Gehen
muß er immer darnach, aber nur hübsch in Acht nehmen, wie er's Gesicht
trägt. — „Was? wie ich'ü Gesicht trage?" -- Ja, Herr Flau, wie er's Ge-
sicht trägt. Ich Ivill's ihm erklären. Als da mein Nachbar zur Linken sein
Haus bauetc, so lag einst die ganze Straße voll Balken, Skeine und Spar-
ren. Da kam unser jetziger Bürgermeister, Herr Trik, gegangen, damals noch
ein blutjunger Rathöherr, der rannte, mit von sich geworfenen Armen, iu'ü
Gelag hinein, und hielt den Nacken so steif, daß die Nase mit den Wolken
so ziemlich gleich war. Pump, lag er da, brach ein Bein und hinkt davon
noch heutigen Tages. Was will ich nun damit sagen, lieber Herr Flau? —
„Ei, die alte Lehre: du sollst die Nase nicht allzu hoch tragen." - Ja, sieht
er! Aber auch nicht allzu niedrig. Denn nicht lange darnach kam auch ein
linderer gegangen, Herr Schall, der mußte wohl Haussorge» in seinem Kopse
haben, denn er schlich ganz trübsinnig einher, und guckte iir den Erdboden,
als wenn er hincinsinken wollte. — Krach! riß ein Seil, ei» Balten stürzte
herunter, und wie der Blitz vor ihn nieder. Bor Schrecken fiel der arme
Mann in Ohnmacht, ward krank und mußte ganze Wochen lang aushalten.
Merkt er nun wohl. Herr Flau, was ich meine, wie man's Gesicht tragen
muß? — „Sic meinen, so hübsch in der Mitte." — Ja freilich, daß man
weder zu keck in die Wolken, noch zu scheu in den Erdboden sieht. Weitn
man so die Augen fein ruhig, nach oben und unten, und nach beiden Seiten
umher wirst, so kommt man in der Welt schon vorwärts, und mit dem Un-
glück hat's so leicht nichts zu sagen. - Noch ein andermal besuchte den
Herrn Witt ein junger Anfänger, Herr Wills; der wollte zu einer kleinen
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schwaches Licht ist höchst schädlich. Hütet euch deshalb, in der Dämmerung
zu lesen, oder bei zu schwachem Lichte feine Arbeiten vorzunehmen. Die Schirm-
lampen sind zu tadeln, weil sic alles Licht auf einer Stelle verbreiten und das
übrige Zimmer dunkel lassen. Zu hell können am Abend die Stuben nicht
erleuchtet werden, schnell abwechselndes Licht, verdorbene Lust, Staub, Rauch,
nasse Dünste. Ocl- und Lichtdämpfe sind ebenfalls für die Augen schädlich,
so wie es auch »achtheilig ist, viel in der Nähe oder von der Seite zu sehen.
Kurzsichtige und alte Leute sind oftmals genöthigt, Brillen zu tragen. Diese
müssen von einem geschickten Manne aus reinem, gutem Glase verfertigt sein,
und jeden Gegenstand gerade so darstellen, wie ein gesundes Auge ihn ohne
Brille sieht. Sonst schaden sic mehr, als sie nützen. Hütet euch, Brillen zu
gebrauchen, so lange ihr noch mit bloßen Augen sehen könnt. Einige Men-
schen trage« Brillen aus Eitelkeit; das ist sehr thöricht.
Die Ohren stehen von Natur vom Kopfe ab. und sind beweglich, aber
durch die Mützen werde» sie an den Kopf gedrückt, und unbeweglich, daher
sind diese dem Gehör schädlich. Außerdem schadet demselben jeder scharfe un-
erwartete Schall, übermäßiges Warmhalten des Kopfes, verdorbene Luft, Staub,
vieler Schleim in Nase und Ohren, u. s. w.
Den Werkzeugen des Gehörs schadet das Tabackschnupsen, der angehäufte
Schleim in der Nase, unreine und übelriechende Luft, und das Athemholen
durch de» Mund.
Wer den Mund nicht rein hält, viel Kaffee, Thee, Wein und Branntwein
trinkt, oft scharfe oder stark gewürzte Speisen genießt, verdirbt seinen Geschmack.
Borzüglich aber geschieht dies durch vieles Tabackrauchen.
Zur Erhaltung des Gefühls giebt es kein besseres Mittel als Reinlichkeit,
häufiger Genuß der freien Luft, und fleißige Uebung deö Gefühls.
Wenn im Winter die Hände vor Frost erstarrt sind, so darf man diesel-
den nicht ans Feuer und nicht an den heißen Ösen halten. Dadurch entste-
hen Frostbeulen. Mau muß sie vielmehr reiben und dadurch zu erwärmen su-
che». Ein crfrorncs Glied muß mit Schnee gerieben, oder mit eiskalten» Wasser
oft gewaschen, aber ja nicht plötzlich erwärmt werden, weil leicht das Glied
dadurch verloren gehen kann. — Die Hände oft in kaltes und plötzlich in
warmes Wasser zu halten, ist sehr gefährlich: rö kann dadurch der schmerz-
hafte Fingcrwurm entstehen.
irr. Vom Verhalten in Krankheiten überhaupt.
Biele Krankheiten konnt ihr zivar durch getreue und vorsichtige Befolgung
derjenigen Borschriften, »velchc ihr bisher gelesen habt, von euch abwenden,
aber ganz werdet ihr doch wohl schwerlich von denselben verschont bleiben. Zhr
müßt also auch wissen, wie rnan sich bei wirklichen Krankheitsfällen zu verhal-
ten hat. Darum lcs't auch daö Folgende niit Aufmerksamkeit und prägt cö
euch recht tief ein.
a. Man brauche nie Arzneimittel, ohne wirklich krank zu sein. Einige ha-
lben die schädliche Gewohnheit, von Zeit zu Zeit zur Ader zu lassen, ein Ab-
führungs-, oder rin Brechmittel einzunehmen, u. s. tv., um dadurch mögliche
Krankheiten zu verhüten. Ost werden die Uebel dadurch erst bewirkt, die man
zu vermeiden suchte, überhaupt aber verliert der Körper die Empfindlichkeit für
solche Mittel, die zu oft angewandt werden; sic nützen alstann vielleicht später
in Krankheiten, Ivo sonst ihre Anwendung sehr heilsam sein würde, nichts mehr.
d. Man sei aufmerksam, sobald man sich krank fühlt; ein unbedeutender
Ansang kann eine schlimme Krankheit zuwege bringen. Vorzüglich ist dies bei
fieberhaften Krankheiten der Fall. Ihre Kennzeichen sind folgende: Mattig-
keit, Mangel an Eßlust, ungewöhnliche Neigung zum Trinken, unruhiger
Schlaf, Unlust, Kopfweh und besonders Frost und Hitze.
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44
3s. Polyknrpus.
„Waö tobtet ihr die Glieder?" rief die Wuth
Des Heidenpöbels, „sucht und würgt daö Haupt!"
Alan sucht den frommen Polykarpus, ihn,
Johannes Bild und Schüler. Sorgsam hatten
Die Seinen ihn ausö Land-geflüchtet. — „Ich
Sah diese Nacht das Kiffen meines Hauptes
In voller Gluth," so sprach der kranke Greis,
Und wachte mit besond'rcr Freude aus.
„Ihr Lieben mühet euch umsonst, ich soll
Mit meinem Tode Gott lobpreisen." — Da
Erscholl daö Hauö vom stürmenden Geschrei
Der Suchende». Er nahm sie freundlich aus.
„Bereitet," sprach er, „diesen Müden noch
Ein Gastmahl, -- ich bereite mich indeß
Zur Reise auch." — Er ging und betete;
Und folgete mit vielen Schmerzen ihnen
Zum Konsul. Als er ans den Nichtplatz kam,
Rief eine mächt'gc Stimm' im Busen ihm:
„Sei tapfer, Polykarp!" — Der Konsul sieht
Den heitern, schonen, ruhig sanften Greis
Verwundernd. „Schone," sprach er, „deines Alters,
Und opfrc hier, entsagend deinem Gott!" —
„Wie sollt ich meinem Herrn entsagen, dem
Zeitlebens ich gedient, und der mir
Zeitlebens Gutes that?" — „Und fürchtest du
Denn keines Löwen Zahn?" „Zermalmet muß
Daö Watzcnkor» doch einmal werden, sei's
Wodurch cö will, zur künft'gcn neuen Frucht."
Der Pöbel rief: „Hinweg mit ihm! Er ist
Der Christen Vater. Feuer, Feuer her!"
Sie trugen Holz zusammen, und mit Wuth
Ward er ergriffen. — „Freunde," sprach er, „hier
Bedarf'ö der Bande nicht. Wer dieser Flamme
Mich würdigte, der wird mir Muth verleih'»!"
Und legte still den-Mantel ab, und band
Die Sohlen seiner Füße loö und stieg
Hinauf zum Scheiterhaufen. Plötzlich schlug
Die Flamm' empor, umwehend rings um ihn,
Gleich einem Segel, daö ihn kühlete;
Gieich einem glänzende» Gewölbe, das
Den Edelstein in seine Mitte nahm
Und schöner ihn verklärte — bis ergrimmt
Ihm eine freche Hand das Herz durchstieß.
Er sank; cö floß sein Blut; die Flamm' erlosch,
Und eine weiße Taube flog empor.
srr. Der gerettete Jüngling.
Eine schöne Mcnschenseele sittden,
Ist Gewinn; ein schöu'rer Gewinn ist,
Sie erhalten, und der schönst' und schwerste
Sie, die schon verloren war, zu retten.
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Der Nutzen, welchen die Fische gewähren, ist sehr groß. Für manche Inscl-
und Küstcnbcwohner sind sic das Hauptnahrungsmittcl, und viele Menschen
ernähren sich durch den Fischfang oder die Fischerei. Einige werden sowohl
frisch als anch cingcsalzcn und geräuchert gegessen; die Haut mancher Fische
kann zu Leder benutzt werden; die Hausenblase giebt einen guten Leim.
Nach ihrem verschiedenen Bau werden sic in 4 Ordnungen getheilt, nämlich
in Bauchflosscr, Brustflosscr, Kahlbänche und Knorpelfische.
1. Ordnung. Bauchflosscr. Hiezu gehören: Der Hering, der Karpfen,
der Lachs, der Hecht u. a.
2. Ordnung. Brustflosscr. Dazu gehören: Der Kabeljau, der
Schwertfisch u. a, Der Schwertfisch hat einen sonderbaren Kopfbau, die obere
Kinnlade ist ungemein verlängert und bildet die Gestalt eines Schwertes. Er
wird 1() Fnsi lang und 200 bis 300 Pfund schwer.
3. Ordnung. Die Kahlbäuchc sind entweder ganz nackt, oder haben
nur kleine Schuppen. Der Aal und der Zitteraal gehören dazu. Der
Aal kann 30 Pfund schwer werden. Er ernährt sich von kleinen Fischen und
Würmern, von Insekten und Fischlaich. Da er lange Zeit ausicr dem Wasser
leben kann, so geht er des Nachts mitunter aufs Land, und, frißt Erbsen oder
Waizcn. Wenn man dann geschwind mit dem Pfluge eine Furche macht, so
kann man leicht mehre sangen. Am Tage liegt er im Schlamm. — Die
Zitteraale, welche sich in Südamerika in stehenden Gewässern und kleinen Flüssen
finden, sind ungemein elektrisch, und vermögen durch ihre Berührung oder anch
nur Annäherung Thiere und Menschen z» betäuben. . >
4. Ordnung. Die Knorpelfische unterscheiden sich durch ihr knorpe-
liges Geripp von den übrigen. Es gehören dazu der Stör, der Sägefisch und
der Haifisch. Der Sägefisch wird 5 bis tt Ellen lang, und hat am Kopfe
eine Säge, einen halben Fuß breit, mit 24 starke» Zähnen. Der Haifisch
hat einen entsetzlichen Schlund; wird 20 Fnsi lang und kan» einen Menschen,
auch wohl ein ganzes Pferd verschlingen. Nach unsern Gegenden verirrt er
sich selten.
L. Wirbellose Thiere.
ü. Die nun folgende Thicrklasse bilden die Insekten. Sie haben wei-
ßes, kaltes Blut, eine geringelte Haut, und gegliederte Füsie. Sie zerfallen
in 2 große Ordnungen, nämlich in geflügelte und u»geflügelte In-
selten. Doch rechnet man auch zu den geflügelten einige, die keine Flügel ha-
den; aber in ihrem ganzen übrigen Bau üiit ihnen übereinstimmen.
1. Ordnung. Geflügelte Insekten. Diese Thiere leben ausschließ-
lich in der Lust, und ziehen dieselbe durch Oeffnnngcn an den Seiten dcö Lei-
des ein. Der Leib ist deutlich in 3 Theile abgesondert, nämlich in Kopf, Hals
und Hinterleib. Das vollkommene Insekt hat 0 Füsie. — Aus den Seiten
des Kopfs stehen 2 Auge», welche aus vielen einfachen zusammengesetzt sind,
bei einigen, z. B. der Stubenfliege, sogar ans mehreren tausend. Bor den
Augen stehen 2 gegliederte Fühlhörner. Von einem eigentlichen Ohr und ei-
ner Zunge ist keine Spur vorhanden, eben so wenig von einer Nase, obgleich
sie gut riechen können.
Ihre Gestalt und Bildung ist sehr verschieden, bei allen aber ungemein
künstlich. Knochen und Gräten haben sic nicht, dagegen sind sie gleichsam m't
einem Harnisch umgeben, der ihren Körper beschützt. Alle entstehen aus Eiern,
welche immer an den Ort gelegt werden, wo die Jungen ihre Nahrung finden;
z. B. in die Haut der Thiere, in Fleisch, in Baumblätter u. s. w. Die Jun-
gen sind anfangs gewöhnlich von den Alten sehr verschieden, und nehmen erst
nach und nach die Gestalt derselben an. Bis dahin werden sie Larven ge-
nannt. Sind diese susilos und wurmartig, wie bei den Bienen, so heißen sie
!)
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Ho
der Wurzel, oder der ganzen Pflanze verbreitet sind, in dem Körper des
Menschen schnell die furchtbarsten, zerslörendstcu und tödlichste» Wir-
kungen hervor zu bringen vermögen. Man nennt diese Gewächse Gift-
pflanzen. Viele Menschen, welche die schädlichen Eigenschaften der-
selben nicht kannten, und deshalb unvorsichtig mit ihnen umgingen,
oder gar davon genossen, mussten diese Unvorsichtigkeit mit ihrem Le-
den, oder mit dem Verluste ihrer Gesundheit hüssen. Sucht euch daher
mit ihnen recht gut bekannt zu machen, damit ihr nicht in die Gefahr
kommt, euch durch Unwissenheit der Vergiftung auszusetzen. — Die
vorzüglichsten einheimischen Giftpflanzen sind folgende:
Der Stechapfel. Er hat diesen Namen von seiner stachlichten,
eirunden Samenkapsel, die mit einer Rosskastanie grosse Aehnlichkeit
hat. Alle Theile der Pflanze sind höchst giftig, insbesondere ober der
Same, welcher schwarzbraun und nierenförmig ist. Häufig ist derselbe
von Marktschreiern und Quacksalbern unter dem Namen Schwarz-
kümmel verkauft worden, und hat deshalb vielen Menschen Gesund-
heit und Leben gekostet. — Die Plätter sind gross, glatt, breit, dunkel-
grün, und bilden am Rande Winkelspitzen und halbmondförmige Buch-
ten. Die Blume isl gross, weiss, trichterförmig, und schnell verblühend.
Die Wurzel ist dick und ungleich faserig. Die ganze Pflanze schwitzt
eine klebrige Feuchtigkeit aus, und verbreitet, wepn sie gerieben oder
zerquetscht wird, einen betäubenden Geruch. — Das Gift des Stech-
apfels ist, wie fast alle übrigen Pflanzengifte, betäubend, und bringt die
schrecklichsten Wirkungen hervor, nämlich: Verlust des Gedächtnisses,
Wahnsinn, Wuth und Raserei, kalten Schweiss, Schlagfluss und Tod.
Schon wenn es in sehr geringen Masse genossen wird, erfolgt Läh-
mung der Glieder, unauslöschlicher Durst, Schwindel, Sprachlosigkeit,
Erbrechen und fürchterliche Kopfschmerzen.
Die Tollkirsche oder Belladonna ist eine strauchartige Pflanze,
deren Stengel 4 bis (> Fuss hoch empor wachsen und röthlich von
Farbe sind. Sie schiessen gleich über dem Erdboden in mehre kleine
Nebenzweige aus, welche mit vielen eirunden, ungezähnten Blättern ver-
sehen sind, die oben eine dunkelgrüne Farbe haben. Zwischen den
Blättern kommen im Julius und August die braunrothen, glockenförmi-
gen Blüthen hervor. Nach dem Verblühen erscheinen die kirschenähn-
lichen Früchte, welche anfangs röthlich—braun sind, zur Zeit der Reife
aber glänzend-schwarz werden, und dann mit einer Kirsche grosse Aelin-
lichkeit haben. Dieses trügerische Aussehen hat oftmals unvorsichtige
Menschen, zumal Kinder, verleitet, von denselben zu gemessen. Die
Folgen des Genusses waren immer: Schwindel, Lähmung der Zunge
und der Glieder, Schlafsucht, Schmerzen im Unterleibe, Wuth, Wahn-
sinn und ein schrecklicher Tod. — Alle Theile der Belladonna sind
giftig, und verbreiten einen widerlichen, betäubenden Geruch. Sie
wächst vorzüglich in Gebirgen und schattigen Wäldern.
Zu den gefährlichsten und am häufigsten vorkommenden Giftpflan-
zen gehören auch die verschiedenen Schierlingsarten. Wir wollen
uns den Wasserschierling, den gefleckten Schierling und
den kleinen Schierling merken. — Der Wasserschierling
wächst in stehenden Gewässern, besonders an den Ufern der Teiche
und Sümpfe. Der Stengel wird .1 bis 4 Fuss hoch; er ist hohl, ge-
streift und nach unten hin röthlich. Aus mehren Knotenabsätzen des-
selben treiben die Nebenzweige hervor. Die Wurzel ist anfangs knol-
lieht, wird aber später, im Spätsommer und Herbste, länglicht. Sic ist
oft sehr gross, und. inwendig voll hohler Zellen, die zum Theil mit
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111
einem scharfen, höchst giftigen Saflc angefüllt sind. Die Blätter sind
lief eingeschritten, zugespitzt, glatt und grün. Einige dieser Blätter sind
mehr als 2 Zoll lang, alle bestehen aus .1 bis t länglichten, am Bande
Sägeförmig eingeschnittenen Blättchen. Vom Mai an, den ganzen Som-
mer über, zeigt sich die grosse wcissc Blumendolde an den Spitzen
der Stengel, wo die Aeste buschweise hinauf steigen. Dieser Schierling
ist von allen der giftigste. — Nach ihm folgt der gefleckte, welcher
mit dem Kälberkropf einige Achnlichkeil hat. Der Stengel desselben
ist hohl, und vorzüglich am untern Ende dicht mit blutrothen Flecken
besprengt. Die Blätter sind ziemlich gross, aber fein und spitzig ein-
geschnitten, glatt und auf der Oberfläche dunkelgrün. Die Pflanze wächst
auf Feldern, Weideplätzen und Schutthaufen, hat eine wcissc, rüben-
förmige Wurzel, und Blumendolden mit wcissc» Blüthe». — Der Geruch
des ganzen Gewächses ist sehr widerlich. — Der kleine Schier-
ling (wilde Petersilie), welchen man häulig in Gärten antrifft,
ist hei weitem nicht so giftig, wie die beiden vorigen Arten; doch hat
auch durch ihn sich mancher, der ihn unvorsichtiger Weise genoss,
eine Krankheit, einen siechen Körper und selbst den Tod zugezo-
gen. Er ist um so gefährlicher, weil er sich so leicht mit der Peter-
silie, zwischen welcher er sich häufig findet, verwechseln lässt; doch
unterscheidet er sich von dieser durch eine dunkelgrüne Farbe und den
Glanz seiner Blätter; auch wächst er viel grösser, als diese, schiesst im
Frühlinge bald in die flöhe, und verräth sich ausserdem durch seinen
hässlichen Geruch, wenn er zwischen den Fingern gerieben wird. —
Der Genuss aller Schicrlingsarten führt Betäubung, Lähmung und Zit-
tern der Glieder, schmerzhaften Krampf, Wahnsinn und Tod herbei.
Der Sturmhut oder das Eisenhütlein wird häufig seiner schö-
nen blauen Blumen wegen in den Gärten gezogen. Den Namen bat er
von seiner Blüthe, welche von unten betrachtet, mit einem Helme einige
Achnlichkcit hat. Die Blätter desselben sind, besonders an wild wach-
senden Pflanzen, äusserst giftig, und bringen Lähmung der Zunge, Er-
starrung des ganzen Körpers, Ekel, Speichelfluss und heftiges Er-
brechen hervor; sie sind dunkelgrün, glänzend und bis an den Stiel in
.‘3 bis 5 und mehr Lappen getheilt, wovon der mittlere allezeit wieder
dreitheilig ist.
Der Nachtschatten wächst häufig an Wegen und Zäunen, auf
Schutt- und Miststätten. Seine Blüthe hat grosse Aehnlichke.il mit der
Kartoffelblüthe, und kommt im Juli zum Vorschein. Er wird nach der
Beschaffenheit des Bodens 1 bis 2 Fuss hoch , und hat in allen seinen
Theilen einen widrigen Geruch. Nachdem die Blüthe verschwunden ist,
kommen die erbsengrossen, anfangs grünen, zuletzt aber schwarzen
Beeren hervor.
Das Bilsenkraut wächst häufig an Wegen und auf Schutthaufen.
Es dauert 2 Jahre aus. Im ersten Jahre bleibt es niedrig; im zweiten
aber wächst cs auf gutem Boden zu einer Höhe von 2 Fuss heran, und
trägt Blüthen und Säumen. Die Stengel sind stark mit haariger Wolle
besetzt, aus welcher eine stinkende Feuchtigkeit quillt. Die Blumen
sind schmutzig-gell). Die Wurzel ist lang, dick und runzlich, aussen
braun, inwendig weiss. Die Blätter sind unten am Stiel grösser, oben
kleiner; sie sowohl, als die ganze Pflanze, duften einen widerlichen
Geruch aus. Alle Theile des Bilsenkrauts sind betäubend, bringen je-
doch erst in grosser Menge genossen, den Tod hervor.
Auch die \er3chiedencn H ahne n fuss arten sind giftig. Die.
Blüthen sind gelb, jedoch bei einigen Arten grösser, bei andern
1842 -
Oldenburg/Holstein
: Fränckel
- Autor: Detlefs, Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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kleiner. Die bekannteste Pflanze unter denselben ist die Butter-
b I u in e.
Der rotbc und gelbe Fingerb ul bat seinen Namen von der
Gestalt seiner Blüthe; er wächst sehr häufig in den Harzgebirgen, wird
aber auch bei uns als Zierpflanze in einigen Gärten gefunden.
Die Wolfsmilch hat einen nicht viel über einen halben Fuss hohen
Stengel, der dicht mit schmalen Blättchen besetzt, und oben ästig ist.
Sic wächst überall an sonnigen, trocknen Orten, und zeichnet sich
durch einen weissen, ätzenden Saft in dem Stengel und den Acslcn aus.
-Die Herbstzeitlose wächst auf feuchten Wiesen und blüht im
August und September, als die letzte der Wiesenblumen. Die Blätter
derselben sind ziemlich lang und breit. Die Wurzel ist knollicht, aussen
braunroth, inwendig weiss. Die rosenfarbenen Blüthen wachsen an suss-
langen, blätterlosen Stengeln, und sowohl sie, als der Same und die
Wurzel, sind sehr giftig, verursachen Brennen im Hagen, Kopfschmerz,
Durst, Durchfall und selbst den Tod.
Die Trespe findet sich häufig als Unkraut zwischen dem Getraide,
und ist allgemein bekannt. Der Sanme derselben ist besonders giftig,
bringt Schwindel, Zittern der Glieder, Bangigkeit und kalten Scbweiss
hervor. Man muss sich daher vor dem Genusse desselben hüten.
Das Mutterkorn, welches ein brandiges Missgewächs der Rog-
genkörner ist, und sich besonders in nassen Jahren häufig zeigt, kann
ebenfalls durch häufigen Genuss gefährliche Zufälle erregen, namentlich
die sogenannte Kribbelkrankheit, welche oftmals tödllich wird. Man
thut daher wohl, wenn man seinen Roggen sorgfältig von allem Mutter-
korn reinigt, bevor man denselben durchmahlen lässt.
Der spanische Pfeffer ist euch allen gewiss bekannt, weil ei
seiner stark duftende» röthlichcn Hljithc und seiner purpurrothen Beeren
wegen häufig in den Gärten gezogen wird. Aber so glänzend die letz-
teren aussehen, und so sehr sic zum Genusse einzuladen scheinen, so
kann män sich doch nie zu sehr vor ihnen in Acht nehmen , denn der
Genuss derselben bewirkt Betäubung, Schwindel, Trockenheit des Mun-
des , Husten und, in grosser Menge genossen, führt derselbe sogar den
Tod herbei.
Trotz der traurigen Wirkungen, welche der unvorsichtige oder unbe-
sonnene Genuss dieser 'gefährlichen Pflanzen hervorbringen kann, sind
sie dennoch in anderer Hinsicht von dem grössten Nutzen: in der Hand
des verständigen Arztes bilden sie nämlich die herrlichsten und kräftig-
sten Heilmittel. So hat der weise Schöpfer überall alles auf den Nutzen
der Menschheit berechnet, selbst da, wo wir auf den ersten Anblick nur
Verwüstung und Schaden wahrnehmen, und gewiss! es würden der Freu-
den mehr, und der Leiden weniger in der Welt sein, wenn wir nur
seine Absichten immer recht verstehen wollten oder könnten.
Die besten Hülfsmittel bei Vergiftungen sind Milch und Ocl,
und zwar gleich viel, ob cs Lein-, Mandel- oder Baumöl ist. Man
lasse also in grosser Menge, so viel als nur der Kranke vermag, Milch
trinken, und alle Viertelstunde eine halbe Tasse Oel nehmen. Biswei-
len ist auch der Weinessig ein herrliches Gegengift, namentlich und vor-
züglich bei Vergiftungen durch Stechapfelsamen, Schierling, Bilsenkraut
und Belladonna.
©. Mineralreich.
Die Mineralien sind unorganische Körper, und Haben als solche keine um-
laufenden Säfte zu ihrer Ernährung, sondern wachsen, indem sich gleichartige
1842 -
Oldenburg/Holstein
: Fränckel
- Autor: Detlefs, Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
— «s —
aufzugraben und auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Mehre Jahre
nachher wurde dieser Befehl vollführt.
Merkwürdiger und bekannter noch durch seine Lehren und Schicksale, als
Wiklef, ist Johann Hust. Er war in Böhmen von leibeigenen Eltern ge-
boren. Der Gutsherr feines Geburtsdorfes nahn: sich feiner an und liest ihn
studiren. Seine Anlagen und fein Fleifi waren so grofi, daß er schon in sei-
nem 27. Jahre als Lehrer (Professor) und Prediger an der nicht lange vor-
her gestifteten Universität zu Prag abgestellt wurde. Er wies seine Schüler
immer bei allen seinen Vorträgen auf die Bibel hin, und daher konnte es
nicht fehlen, daß er oft mit den Lehren deö Papstes in Widerspruch kam. An-
fangs kannte Hust die Schriften Wiklefs nicht, und wollte sie nicht kennen ler-
nen, weil er dieselben für ketzerisch hielt, zuletzt aber las er sie doch, und wurde
nun nicht wenig überrascht, dieselben mit seiner eigenen Ueberzeugung so über-
einstimmend zu finden.— Seine Lehren fingen indeß an Aufsehen zu erregen;
er wurde von dem Bischöfe zu Prag bei dem Papste verklagt, der ihn nach
Nom fordern liest. Der darnalige König von Böhmen verhinderte den Voll-
zug dieses Befehls; es kamen päpstliche Abgesandte nach Prag. Johann Hust
wurde verhört und in den Bann gethan. Endlich wurde sogar über Prag
seinclwegen ein Interdikt ausgesprochen. 91»» verliest er die Stadt und kehrte
nach seinem Geburtsorte zurück, wo er, unter dem Schutze des Gutsherrn,
fortgesetzt dieselben Grundsätze vortrug, um welcher willen er verbannt worden
war, und wo jedermann ihn lieb hatte wegen seiner Redlichkeit, und sanften
Freundlichkeit.
Bald darauf wurde in Kostnitz eine große Kirchciiversammluirg znsammen >
berufen, vor welche auch Hust gefordert ward, um seine Lehren zu vertheidi-
gen. Der Kaiser gab ihm Sicherheitsbriefe, und auch der Papst gab ihm die
Versicherung, daß ihm nichts Böses widerfahren solle. Sv kam Hust voll
Vertrauen in Kostnitz an. Er wurde sogleich vorgeladen,, vertheidigte seine Be-
hauptungen, und bewies die Wahrheit derselben auö der Bibel. Dennoch wurde
er für einen Ketzer erklärt, und in ein feuchtes, höchst ungesundes Gefängnis!
gelegt. Alö Hust sich auf die Sicherhcitöbriefc des Kaisers und die Ver-
sprechungen des Papstes berief, gab man zur Antwort: „Einem Ketzer
brauche ma » nicht Wort zu halten." Bis zum folgenden Jahre mußte
der arme Mann in feinem Kerker schmachten, dann zog man ihn heraus und
nahm ihn abermals ins Verhör. Die Hanptverbrechcn, deren man ihn be-
schuldigte, waren: Er habe sich dem vorigen Papste widersetzt, als dieser zum
Kreuzzuge gegen den König von Neapel aufforderte; er Habe-Wikless Schris-
tcn vertheidigt; er habe noch nach dem Banne Messe gelesen; er habe gesagt,
wenn ihn auch der Papst verdamme, so berufe er sich auf den Nichtcrspruch
Christi; er habe verächtlich von der Kirchenversammlung gesprochen; er habe
die Ohrcnbcichte getadelt u. s. w. Johann Hust widerlegte diese Beschuldigun-
gen , wollte sich aber zu einem Widerruf seiner Lehren nicht anders verstehen,
als wenn man ihn aus der heiligen Schrift des Irrthums überführe. Da
ward er am (5. Juli 1415 zum Fcnertode verdammt. Es wurde ihm die Prie-
sterkleirung ausgezogen, eine papierne, mit Teufeln bemalte Mütze aufgesetzt,
und seine Seele dem Teufel übergeben. Johann Hust aber antwortete: „Und
ich übergebe sie in 1kl rin es himmlischen Baterö Hände." — So
ward er auf den Nichtplatz geführt, und an einen Pfahl gebunden. 9iu»
wurde der Scheiterhaufen angezündet. Ruhig und selbst freudig stand er da
unter den lodernden Flammen. Alle Umstehenden waren gerührt. Nach einem
kurzen Gebet verschied er. — Im folgenden Jahre starb auf derselben Stelle
und aus dieselbe Art Hussens Freund und Schüler/Hieronymus von Prag
9tach rem Tode des Johann Hust kam noch zu seinen Lehren der Zusatz
hinzu: man dürfe den Leuten den Kelch beim Ab end mahle nicht