1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
12
Darnach trat der Vater an den Tisch und fand ein seines, großes
Blatt; darauf war ein schöner und frommer Gesang von dem zweiten
Sohne, der eben heimgekommen war von der Hochschule. Und als der
Vater es las, lächelte er und seine Thränen fielen auf das Blatt.
Da sahen die drei Kleinen den Vater an und sagten: „Nicht
wahr, lieber Vater, wir können noch nichts geben und nichts fertigen?
Wir sind noch zu klein." — Der Vater aber nahm sie alle drei, das
Mägdlein und die beiden Knaben, und drückte sie an sein Herz und
sagte: „O denket nicht, daß eure Gabe gering sei in meinen Augen!
Schlagen doch eure kleinen Herzen so gut, wie die anderen, und mein
Vaterherz für euch alle!" Krummacher.
31. Wunsch.
Ein gutes Kind gern wär’ ich nun
Und wollte nie was Böses thun,
Dass Vater und Mutter und alle hier
Sähen ihre Lust und Freude an mir!
Du lieber Gott, der alles thut,
0 hilf auch mir und mache mich gut! Hey.
32. Die Heinzelmännchen.
1. Wie war zu Köln es doch vordem mit Heinzelmännchen so
bequem! Denn war man faul, — man legte sich hin auf die Bank
und pflegte sich. Da kamen bei Nacht, ehe man's gedacht, die Männ-
lein und schwärmten und klappten und lärmten und rupften und
zupften und hüpften und trappten und putzten und schabten ....
Und eh' ein Faulpelz noch erwacht, war all sein Tagewerk ....
bereits gemacht!
2. Die Zimmerleute streckten sich hin auf die Spän' und reckten
sich. Jndesien kam die Geisterschaar und sah, was da zu zimmern
war, nahm Meißel und Beil und die Säg' in Eil'; sie sägten und
stachen und hieben und brachen, berappten und kappten, visirten wie
Falken und setzten die Balken.... Eh' sich's der Zimmermann versah,
klapp! stand das ganze Haus.... schon fertig da!
3. Beim Bäckermeister war nicht Noth, die Heinzelmännchen backten
Brot. Die faulen Bursche legten sich, die Heinzelmännchen regten
sich und ächzten daher mit den Säcken schwer und kneteten tüchtig
und wogen es richtig und hoben und schoben und fegten und backten
und klopften und hackten. Die Bursche schnarchten noch im Chor,
da rückte schon das Brot, .... das neue, vor!
4. Beim Fleischer ging es just so zu: Gesell und Bursche lag in
Ruh'. Indessen kamen die Männlein her und hackten das Schwein
die Kreuz und die Quer; das ging so geschwind, wie die Mühl' im ■
Wind. Die klappten mit Beilen, die schnitzten in Speilen. Die
spülten, die wühlten und mengten und mischten und stopften und
wischten. That der Gesell die Augen auf, wapp! hing die Wurst
da schon zum Ausverkauf!
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T114: [Fleisch Milch Brot Pferd Butter Käse Stück Wein Schwein Getreide], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
15
Freundschaft und Bündniß mit einander haben sollten. Damit hätte
er gerne die Hennen vom Baume geschwätzt. Aber der Hahn sagte:
Das hör' ich gern! und reckte dabei den Kopf auf. Der Fuchs fragte:
Was siehst du? Der Hahn antwortete: Ich sehe einen Jäger mit
Hunden von ferne. Der Fuchs sprach: Da bleib' ich nicht. Ant-
wortet der Hahn: Harre, so wollen wir auch mit dir hinab, wenn
wir sehen, daß die Hunde mit dir Frieden haben. Der Fuchs sagte:
Ei, er möchte ihnen noch nicht verkündigt sein; ich fahre dahin.
S. Frank.
40. Der Jäger und der Fuchs.
Der Jäger birscht mit seiner Büchs', da schleichen über's Feld die Fuchs'.
Er fackelt nicht und spannt den Hahn und legt die Büchse sicher an. Piff,
paff, da prasseln hin die Schrot, und — bauz — der alte Fuchs ist todt!
Der Jäger spricht: „He, Feldmann, flugs, nun apportire mir den Fuchs!"
Der Feldmann sucht mit seiner Schnauz' und hat ihn schon, den alten Kauz.
„Du hast gerupft so manche Gans, jetzt zaust man dich bei deinem Schwanz.
Du hast geschüttelt manchen Hahn, jetzt packt man dich beim Kragen an. Du
hast gefressen manche Taube, jetzt sitzen wir dir auf der Haube!" So schleppt
ihn Feldmann hin zum Herrn, der streichelt ihn und hat ihn gern und sagt:
„So, Feldmann, das war gut!" Geht weiter dann mit frohem Muth und
steckt den Fuchsen in den Sack und schmaucht sein Pfeifchen Rauchtabak.
Güll.
41. Sprüchwörter und Denksprttche.
1. Besser ein offenbarer Feind, als ein verstellter Freund. 2. Wer andern
eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. 3. Seid klug wie die Schlangen und
ohne Falsch wie die Taub.n. 4. Redlich sei des Herzens Grund, redlich spreche
auch der Mund. 5. Nichts Böses thun ist gut; nichts Böses wollen, ist besser.
6. Jeder hüte sich vor Katzen, die vorne lecken und hinten kratzen.
42. Doktor Allwissend.
Es war einmal ein armer Bauer, Namens Krebs, der fuhr
mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es
für zwei Thaler an einen Doktor. Wie ihm nun das Geld aus-
bezahlt wurde, sass der Doktor gerade zu Tisch; da sah der Bauer,
was er schon ass und trank, und das Herz ging ihm darnach
auf, und er wäre auch gern ein Doktor gewesen. Also blieb er
noch ein Weilchen stehen und fragte endlich, ob er nicht auch
könnte ein Doktor werden. „0 ja,“ sagte der Doktor, „das ist
bald geschehen; erstlich kauf’ dir ein Abcbuch, so eins, wo vorne
ein Göckelhahn drin ist; mache deinen Wagen und deine zwei
Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an und was sonst
zur Doktorei gehört; drittens lass dir ein Schild malen mit den
Worten: Ich bin der Doktor Allwissend, und lass das oben über
deine Hausthür nageln.“ Der Bauer that alles, wie es ihm ge-
heissen war. Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch
nicht viel, ward einem reichen, grossen Herrn Geld gestohlen.
Da ward ihm von dem Doktor Allwissend gesagt, der in dem
und dem Dorfe wohnte und auch wissen müsste, wo das Geld
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T169: [Hand Kreuz König Krone Schwert Zeichen Haupt Gold Mantel Kaiser]]
Extrahierte Personennamen: Frank Feldmann Feldmann Feldmann Feldmann Muth Rauchtabak Güll
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Auflagennummer (WdK): 28
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Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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16
I
hingekommen wäre. Also liess der Herr seinen Wagen anspannen,
fuhr hinaus in’s Dorf und fragte bei ihm an, ob er der Doktor
Allwissend wäre. „Ja, der wär’ er." So sollte er mitgehen und
das gestohlene Geld wieder schaffen. „0 ja, aber die Grethe,
seine Frau, müsste auch mit." Der Herr war das zufrieden, liess
sie beide in den Wagen sitzen,*) und sie fuhren zusammen fort.
Als sie auf den adeligen Hof kamen, war der Tisch gedeckt, da
sollte er erst mit essen. „Ja, aber meine Frau, die Grethe auch,"
sagte er, und setzte sich mit ihr hinter den Tisch. Wie nun der
erste Bediente mit einer Schüssel schönem Essen kam, stiess der
Bauer seine Frau an und sagte: „Grethe, das war der erste,"
und meinte, es wäre derjenige, welcher das erste Essen brächte.
Der Bediente aber meinte, er hätte damit sagen wollen: „Das ist
der erste Dieb," und weil efs nun wirklich war, ward ihm angst,
und er sagte draussen zu seinen Kameraden: „Der Doktor weiss
alles, wir kommen übel an, er hat gesagt, ich wäre der erste."
Der zweite wollte gar nicht hinein, er musste aber doch. Wie
er nun mit seiner Schüssel kam, stiess der Bauer seine Frau an:
¿Grethe, das ist der zweite." Dem Bedienten ward ebenfalls
angst, und er machte, dass er hinaus kam. Dem dritten ging’s
nicht besser; der Bauer sagte wieder: „Grethe, das ist der dritte.“
Der vierte musste eine verdeckte Schüssel hereintragen, und der
Herr sprach zum Doktor, er solle seine Kunst zeigen und rathen,
was darunter läge; es waren aber Krebse. Der Bauer sah die
Schüssel an, wusste nicht, wie er sich helfen sollte, und sprach:
„Ach, ich armer Krebs!“ Wie der Herr das hörte, rief er: „Da,
er weiss es, nun weiss er auch, wer das Geld hat!*
Dem Bedienten aber ward gewaltig angst, und er blinzelte
den Doktor an, er möchte einmal heraus kommen. Wie er nun
heraus kam, gestanden sie ihm alle vier, sie hätten das Geld ge-
stohlen; sie wollten’s ja gerne herausgeben und ihm eine schwere
Summe dazu, wenn er sie nicht verrathen wollte; es ging ihnen
sonst an den Hals. Sie führten ihn auch hin, wo das Geld ver-
steckt lag. Damit war der Doktor zufrieden, ging wieder hinein
und sprach: „Herr, nun will ich in meinem Buche suchen, wo
das Geld steckt." Der fünfte Bediente aber kroch in den Ofen
und wollte hören, ob der Doktor noch mehr wüsste. Der sass
aber und schlug sein Abcbuch auf, blätterte hin und her und
suchte den Göckelhahn. Weil er ihn nun nicht gleich finden
konnte, sprach er: „Du bist doch darin und musst auch heraus.*
Da meinte der im Ofen, er wäre gemeint, sprang voller Schrecken
heraus und rief: „Der Mann weiss alles!“ Nun zeigte der Doktor
Allwissend dem Herrn, wo das Geld lag, sagte aber nicht, wefs
gestohlen hatte, bekam von beiden Seiten viel Geld zur Belohnung
und ward ein berühmter Mann. Grimm.
*) — sich setzen.*
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TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
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21
58. Lied von den grünen Sommervögelein.
1. Es kamen grüne Vögelein
Geflogen her vom Himmel
Und setzten sich im Sonnenschein
Im fröhlichen Gewimmel
All' an des Baumes Aeste,
Und saßen da so feste,
Als ob sie angewachsen sei'n.
2. Sie schaukelten in Lüften lau
Auf ihren schwanken Zweigen,
Sie aßen Licht und tranken Thau
Und wollten auch nicht schweigen;
Sie sangen leise, leise
Auf ihre stille Weise
Von Sonnenschein und Himmelblau.
3. Wenn Wetternacht auf Wolken saß,
So schwirrten sie erschrocken,
Sie wurden von dem Regen naß
Und wurden wieder trocken;
59.
Die Tropfen rannen nieder
Vom grünenden Gefieder,
Und desto grüner wurde das.
4. Da kam am Tag der scharfe Strahl,
Ihr grünes Kleid zu sengen,
Und nächtlich kam der Frost einmal,
Mit Reif es zu besprengen;
Die armen Vöglein froren,
Ihr Frohsinn war verloren,
Ihr grünes Kleid war bunt und fahl.
5. Da trat ein starker Mann zum Baum
Und hub ihn an zu schütteln,
Vom obern bis zum untern Raum
Mit Schauer zu durchrütteln;
Die bunten Vöglein girrten
Und auseinander schwirrten;
Wohin sie flogen, weiß man kaum.
Rückert.
Räthsel.
1. Vier Brüder geh'n Jahr aus, Jahr ein im ganzen Land spazieren; doch
jeder kommt für sich allein, uns Gaben zuzuführen.
2. Der erste kommt mit leichtem Sinn, in reines Blau gehüllet, streut
Knospen, Blätter, Blüthen hin, die er mit Düften füllet.
3. Der zweite tritt schon ernster auf, mit Sonnenschein und Regen, streut
Blumen aus in seinem Lauf, der Ernte reichen Segen.
4. Der dritte naht mit Ueberfluß und füllet Küch' und Scheune, bringt
uns zum süßesten Genuß viel Aepfel, Rüss' und Weine.
5. Verdrießlich braust der vierte her, in Nacht und Graus gehüllet, sieht
Feld und Wald und Wiesen leer, die er mit Schnee erfüllet.
6. Wer sagt mir, wer die Brüder sind , die so einander jagen? Leicht
räth sie wohl ein jedes Kind; drum brauch' ich's nicht zu sagen.
60. Die Bremer Stadtmusikanten.
Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu
gedient, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit
immer untauglicher ward. Da wollt' ihn der Herr aus dem Futter
schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort
und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst du
ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war,
fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte, wie einer,
der sich müde gelaufen. „Nun, was jappft du so?" sprach der Esel.
„Ach," sagte der Hund, „weil ich alt bin und jeden Tag schwächer
werde und auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr
wollen todtschlagen, da habe ich Reißaus genommen; aber womit soll
ich nun mein Brot verdienen?" „Weißt du was," sprach der Esel,
„ich gehe nach Bremen, dort Stadtmusikant zu werden, geh' mit und
laß dich auch bei der Musik annehmen." Der Hund war's zufrieden,
und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze
auf dem Wege und machte ein Gesicht, wie drei Tage Regenwetter.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus]]
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Mm
22
„Nun, was ist dir denn in die Quere gekommen?" sprach der Esel.
„Ei," antwortete die Katze,- „wer kann da lustig sein, wenn's einem
an den Kragen geht? Weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne
stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als
nach den Mäusen herum jage, hat mich meine Frau ersäufen wollen;
ich hab' mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rath theuer;
wo soll ich hin?" „Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch
auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden." Die
Katze war's zufrieden und ging mit. Darauf kamen die drei Landes-
flüchtigen an einem Hofe vorbei, da saß auf dem Thore der Haushahn
und schrie aus Leibeskräften. „Du schreist einem durch Mark und
Bein," sprach der Esel, „was hast du vor?" „Da hab' ich gut Wetter
prophezeit." sprach der Hahn, „weil unserer lieben Frauen Tag ist,
wo sie dem Christkivdlein die Tücher gewaschen hat und sie trocknen
will; aber weil morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die
Hausfrau doch kein Erbarmen und der Köchin gesagt, sie wollte mich
morgen in der Suppe essen, und da soll ich mir heut' Abend den
Kopf abschneiden lasten. Nun schrei' ich aus vollem Halse, so lang
ich noch kann." „Ei was, du Rothkopf," sagte der Esel, „zieh' lieber
mit uns fort nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du
überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musiciren,
so muß es eine Art haben." Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen,
und sie gingen alle vier zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tage nicht erreichen
und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der
Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze
und der Hahn machten sich aber hinauf, der Hahn flog bis in die
Spitze, wo's am sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah er sich
noch einmal nach allen vier Winden um, da däuchte ihm, er sähe in
der Ferne ein Fünkchen brennen und rief seinen Gesellen zu, es müßte
nicht gar weit von ihnen ein Haus sein, denn es scheine ein Licht.
Sprach der Esel: „So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen,
denn hier ist die Herberge schlecht." Und der Hund sagte: „Ja ein
paar Knochen und etwas Fleisch daran thäten mir auch gut!" Nun
machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war,
und sahen es bald heller schimmern, und es ward immer größer, bis
sie vor ein hell erleuchtetes Räubkrhaus kamen. Der Esel, als der
größte, machte sich an's Fenster und schaute hinein. „Was siehst du,
Grauschimmel?" fragte der Hahn. „Was ich sehe?" antwortete der
Esel, „einen gedeckten Tisch, und Räuber sitzen daran und lassen's sich
wohl sein." „Das wär' was für uns," sprach der Hahn. „?)a, Aa,
ach wären wir da!" sagte der Esel. Da rathschlagteu die Thiere, wie's
anzufangen wäre, um die Räuber fortzubringen; endlich fanden sie ein
Mittel. Der Esel mußte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster
stellen, der Hund auf des Esels Rücken, die Katze auf den Hund klettern,
und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den
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Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie insgesammt auf ein Zeichen
an, ihre Musik zu machen: der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze
miaute, und der Hahn krähte, indem stürzten sie durch das Fenster in
die Stube hinein, daß die Scheiben klirrend niederfielen. Die Räuber
fuhren bei dem entschlichen Geschrei in die Hohe, meinten nicht anders,
als ein Gespenst käme herein, und flogen in größter Furcht in den
Wald hinaus. Nun sehten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen
mit dem vorlieb, was übrig geblieben war, und aßen, als wenn sie
vier Wochen hungern sollten.
Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus
und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequem-
lichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist. der Hund hinter die Thüre,
die Katze auf den Heerd bei der warmen Asche, und der Hahn sehte
sich auf den Hahnenbalken, und weil sie müde waren von ihrem Wege,
schliefen sic auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war und die
Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Hause war, auch
alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: „Wir hätten uns doch nicht
sollen iu's Bockshom jagen lassen," und hieß einen hingehen und das
Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche,
wollte ein Licht anzünden und nahm ein Schweselhölzchen, und weil
er die glühenden, feurigen Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah,
hielt er es daran, daß es Feuer fcurgen sollte. Aber die Katze verstand
keinen Spaß, sprang ihm in das Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak
er gewaltig, lief und wollte zur Hinterthür hinaus, aber der Hund,
der da lag, sprang auf und biß ihn in's Bein, und als er über den
Hof an dem Miste vorbei rannte, gab ihm der Esel noch einen derben
Schlag mit dem Hinterfuß; der Hahn aber, der vom Lärmen aus
dem Schlafe geweckt und munter geworden war, rief vom Balken herab:
„Kikeriki!" da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann
zurück und sprach: „Ach, in dem Haus sitzt eine gräuliche Here, die
hat mich angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht
zerkratzt, und vor der Thür steht ein Mann mit einem Messer, der
hat mich in's Bein gestochen, und auf dem Hofe liegt ein schwarzes
Ungethüm, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen, und
oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: „Bringt mir den
Schelm her!" Da machte ich, daß ich fortkam. Von nun an getrauten
sich die Räuber nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Musikanten
gefiel's aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten; und
der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.
Gebrüder Grimm.
61. Die zwei Hunde.
Ein Junker hielt sich ein Paar Hunde; es war ein Pudel
und sein Sohn. Der junge, Namens Pantalon, vertrieb dem
Herrchen manche Stunde. Er konnte tanzen, Wache stehn, den
Schubkarr’n ziehn, in’s Wasser gehn, und alles dieses aus dem
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch], T125: [Haus Stein Fenster Dach Holz Stroh Winter Erde Wand Wohnung], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
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Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
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24
Grunde. Der schlaue Fritz, des Jägers Kind, war Lehrer unsers
Hunds gewesen, und dieser lernte so geschwind, als mancher Knabe
kaum das Lesen. Einst fiel dem kleinen Junker ein, es müsste
noch viel leichter sein, den alten Hund gelehrt zu machen. — Herr
Schnurr war sonst ein gutes Vieh, doch seine Herrschaft zog ihn
nie zu solchen hochstudirten Sachen; er konnte blos das Haus
bewachen. Der Knabe nimmt ihn vor die Hand und stellt ihn
aufrecht an die Wand. Allein der Hund fällt immer wieder auf
seine Vorderfüsse nieder. Man rufet den Professor Fritz, auch der
erschöpfet seinen Witz; umsonst, es will ihm nicht gelingen, den
alten Schüler zu bezwingen. Vielleicht, sprach Fritze, hilft der
Stock. Er holt den Stock, man prügelt Schnurren; doch bleibt er
steifer als ein Bock, und endlich fängt er an zu murren. „Was
wollt ihr?“ spricht der arme Tropf, „ihr werdet meinen grauen
Kopf doch nimmermehr zum Doktor schlagen; geht, werdet durch
mein Beispiel klug, ihr Kinder, lernet jetzt genug, ihr lernt nichts
mehr in alten Tagen.“ Pfeffel.
62. Bube und Bock.
Es war einmal ein Bube, der wollte lieber essen, als lesen, Hielt
mehr von Nüssen, als vom Wissen, darum nannten ihn die Leute
den „Faulen".
Das wollte ihn aber sehr verdrießen, und er dachte: „Wart',
ich will's euch allen zeigen, wie fleißig ich bin!" nahm ein Lesebuch
und ging hinunter auf die Straße. Auf der Straße lag ein dicker
Baumstamm, auf den setzte sich der Knabe. Dort mußten die Leute
alle vorbei. Er nimmt das Buch auf den Schooß, hält's aber ver-
kehrt, so daß die Buchstaben alle auf dem Kopfe stehen. Da sitzt er,
guckt hinein und baumelt mit den Beinen. Bald nickt er aber mit
dem Kopfe, denn er ist fest eingeschlafen.
Wer kommt um die Ecke am Gartenzaun? — Der Ziegenbock
ift's, ein munterer Gesell, der seine Kopfarbeit wohl gelernt hat' und
es mit jedem darin aufnimmt; denn seine Hörner sind groß und seine
Stirn ist hart. Der tritt zu dem schnarchenden Buben und sieht ihn
nicken. „Hei," denkt er, „meinst du mich? ich bin schon dabei!" Er
stampft mit dem Vorderbein und geht einige Schritte zurück. Der Junge
nickt weiter. „Gleich!" meint der Bock, nimmt einen Anlauf, bäumt
auf den Hinterbeinen empor, und „Puff!" giebt's einen Stoß. Der
Bock an des Buben Kopf, der Bub' rückwärts hinunter vom Baum-
stamm, das Buch empor, hoch in die Luft! Heulend rafft sich der
Junge auf und eilt in das Haus. Hat er leine Buchstaben im Kopf,
hat er doch eine Beule daran. Der Bock steht aber verwundert im
Weg über den zu leichten Sieg und wartet, ob wieder ein Bub'
kommt, der nichts gelernt hat und auf der Straße dann einschläft.
H. Wagner.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
Extrahierte Personennamen: Fritz Schnurr Fritz Fritze H._Wagner
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Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
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Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
30
75. Die beiden Pflugschaare.
Ein Meister hatte in seiner Werkstätte zu gleicher Zeit aus dem-
selben Eisen zwei Pflugschaare geschmiedet. Ein thätiger Landmann
kaufte die eine derselben und gebrauchte ste bei seiner Arbeit auf dem
Felde. Die andere blieb bei dem Meister noch ein ganzes Jahr lang
in einem Winkel der Werkstätte liegen und ward in dieser Zeit ganz
vom Roste überzogen.
In diesem Zustande kaufte sie ein anderer Landmann und brachte
sie zufällig in die Nähe ihrer Schwester, die schon seit einem Jahre
gebraucht worden war.
„Wie ist das möglich!" rief sie aus, „du siehst ja so schmuck, so
glatt und blank aus, wie du nie zuvor ausgesehen hast! Ich lag die
ganze Zeit über ruhig und schonte mich, und doch hat mich der Rost
so zugerichtet."
„Eben weil du so sehr geschont wurdest," antwortete die blanke
Pflugschaar der verrosteten, „eben darum konnte dir der Rost zusetzen.
Unthätigkeit schadet immer mehr als Arbeit."
Uebung und Gebrauch entwickelt. Dein Geist verrostet, wenn du
ihn nicht anstrengst.
76. Die Bettlerin.
Zur Zeit der Theuerung ging eine unbekannte Bettlerin, die sehr
ärmlich, jedoch sehr reinlich gekleidet war, in dem Dorfe umher und
flehte um Almosen.
Bei einigen Häusern wurde ste mit rauhen Worten abgewiesen;
bei andern bekam sie eine sehr geringe Gabe; nur ein armer Bauer
rief sie, da es sehr kalt war, herein in die warme Stube, und die
Bäuerin, die eben Kuchen gebacken halte, gab ihr ein schönes, großes
Stück davon.
Am folgenden Tage wurden alle die Leute, bei denen die Unbe-
kannte gebettelt hatte, in das Schloß zum Abendeflen eingeladen. Als
sie in den Speisesaal traten, erblickten sie ein kleines Tischchen voll
köstlicher Speisen und eine große Tafel mit vielen Tellern, auf denen
hie und da ein Stückchen verschimmeltes Brot, ein paar Erdäpfel, oder
eine Hand voll Kleie, meistens aber gar nichts zu sehen war.
Die Frau des Schlosies aber sprach: Ich war jene verkleidete
Bettlerin und wollte bei dieser Zeit, wo es den Armen so hart geht,
eure Wohlthätigkeit auf die Probe stellen. Diese zwei armen Leute
hier bewirtheten mich, so gut sie konnten; sie speisen deshalb jetzt mit
mir, und ich werde ihnen ein Jahrgeld auswerfen. Ihr andern aber
nehmt mit den Gaben vorlieb, die ihr mir gereicht habt und hier auf
den Tellern erblickt. Dabei bedenkt, daß man euch einst in jener Welt
auch so auftischen wird. '
Wie man die Aussaat hier bestellt,
So erntet man in jener Welt. Ehr. Schmid.
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1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
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nicht weit davon in den Schnee nieder und that ein so gesundes
Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis
es Heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erstaunen, als
ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag. Mein
Pferd war anfänglich nirgends zu sehen, doch hörte ich's bald daraus
irgendwo über mir wiehern. Als ich nun empor sah, so wurde ich
gewahr, daß es an den Wetierhahn des Kirchthurms gebunden war
und von da herunter hing. Nun wußte ich sogleich, wie ich dran
war. Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz zugeschneit gewesen;
das Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt; ich war im Schlaf nach
und nach, so wie der Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft
herabgesunken; und was ich in der Dunkelheit für de« Stumpf eines
Bäumchens, der über dem Schnee hervorragte, gehalten, und daran
mein Pferd gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn
des Kirchthurms gewesen.
Ohne mich lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Pistolen,
schoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder zu meinem
Pferde und verfolgte meine Reise.
Ein anderes Mal stieß mir in einem ansehnlichen Walde von
Rußland ein wunderschöner schwarzer Fuchs auf. Es wäre jammer-
schade gewesen, seinen kostbaren Pelz mit einem Kugel- oder Schrot-
schusse zu durchlöchern. Herr Reinecke stand dicht bei einem Baume.
Augenblicklich zog ich meine Kugel aus dem Laufe, lud dafür einen
tüchtigen Brettnagel in mein Gewehr, feuerte und traf so künstlich, daß
ich seine Lunte fest an den Baum nagelte. Nun ging ich ruhig zu
ihm, nahm mein Waidmesser, gab ihm einen Kreuzschnitt über's Gesicht,
griff nach meiner Peitsche und karbatschte ihn so artig aus seinem
schönen Pelze heraus, daß es eine wahre Lust und ein rechtes Wunder
zu sehen war.
84. Der Bauer und sein Sohn.
1. Ein guter dummer Bauernknabe, den Junker Hans einst mit auf Reisen
nahm, und der trotz seinem Herrn mit einer Gabe recht dreist zu lügen wieder-
kam, ging kurz nach der vollbrachten Reise mit seinem Vater über Land.
Fritz, der im Geh'n recht Zeit zum Lügen fand, log auf die unverschämtste
Weise.
2. Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. „Ja, Vater," rief
der unverschämte Knabe, „ihr mögt mir'ö glauben, oder nicht, so sag' ich's euch
und jedem in's Gesicht, daß ich einst einen Hund bei — — Haag gesehen habe,
harr an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, der — ja, ich bin nicht
ehrenwcrth, wenn er nicht größer war, als euer größtes Pferd!"
3. „Das," sprach der Vater, „nimmt mich Wunder, wiewohl ein jeder Ort
läßt Wunderdinge seh'n. Wir zum Exempel geh'n jetzunder und werden keine
Stunde geh'n, so wirst du eine Brücke seh'n (wir wüsten selbst darüber geh'n),
die hat dir manchen schon betrogen. Auf dieser Brücke liegt ein Stein, an
den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen, und fällt und bricht sogleich
das Bein."
4. Der Bub' erschrak, sobald er dies vernommen. „Ach," sprachen, „lauft
doch nicht so sehr! Doch wieder auf den Hund zu kommen! Wie groß, sagt'
ich, daß er gewesen wär'? Wie euer größtes Pferd? Dazu will viel gehören.
Lesebuch für Volksschulen.
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1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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Geschlecht (WdK): koedukativ
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Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein halbes Jahr; allein, das wollt'
ich doch beschwören, daß er so groß, als mancher Ochse war."
5. Sie gingen noch ein gutes Stücke. Doch Fritzen schlug das Herz, wie
konnt' es anders sein! Es bricht doch niemand gern ein Bein. Er sah nun-
mehr die richterische Brücke und fühlte schon den Beinbruch halb. „Ja, Vater."
fing er an, „der Hund, von dem ich red'te, war groß, und wenn ich ihn auch
was vergrößert hätte, so war er doch viel größer, als ein Kalb."
6. Die Brücke kommt. Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen! Der Vater
geht voran: doch Fritz hält ihn geschwind. „Ach, Vater!" spricht er, „seid kein
Kind und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen! Denn kurz und gut, eh'
wir darüber gehen: Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde find."
Gellert.
85. Ich mag nicht lügen!
Ein Knabe hatte ein kleines Beil zum Spielwerk bekommen.
Daran hatte er eine große Freude und hieb damit, wie es eben traf;
und es traf manchmal dahin, wo es nicht gut war. Wie der Kleine
mit dem Beil aus der Schulter auch in den Garten kam, sagte er:
„Nun will ich ein tüchtiger Holzhauer sein!" Und er hieb seines
Vaters schönstes Kirschbäumchen ab.
Den andern Tag kam der Vater in den Garten, und als er das
schöne Bäumchen welk am Boden liegen sah, wurde er betrübt und
zornig. „Wer mir das gethan hat," rief er aus, „der soll mir's
schwer büßen!" — Aber wer es gethan hatte, das wußte kein Mensch,
außer einem, der stand gerade hinter der Hecke, hörte, wie der Vater
zürnte, und wurde feuerroth. „Es ist schlimm," dachte er; „aber wenn
ich's verschwiege, so wär's eine Lüge, und lügen mag ich nicht!"
So trat er denn schnell in den Garten zum Vater und sagte: „Vater,
ich habe das Bäumchen umgehauen. Es war häßlich von mir!" Da
sah der Vater den Knaben an und machte wohl noch ein ernsthaftes
Gesicht, aber er zürnte nicht mehr.
Der kleine Knabe lebte in Amerika und wurde nachher ein braver
Mensch und dazu ein gewaltiger General, hat auch niemals gelogen.
Er hieß Georg Washington.
86. Sprüchwörter und Denksprüche.
1. Lügen haben kurze Beine. 2. Mer einmal gelogen hat, dem glaubt
man nie wieder. 3. Wer lügt, der stiehlt auch. 4. Der Lügner muß ein gut
Gedächtniß haben. 5. Jung gewohnt, alt gethan. 6. Mit Schweigen verräth
sich niemand. 7. Laß deinen Mund verschlossen sein, so schluckst du keine
Fliegen ein. 8. Schweigen bis zur rechten Zeit übertrifft Beredsamkeit.
87. Bequeme Schifffahrt.
Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidel-
berg gezogen. Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und einem
Paar heraushängender Stieselschuhe ein Handwerksbursche. „Darf
ich auch mit für Geld und gute Worte? Was muß ich geben?" Der
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Extrahierte Personennamen: Fritz Gellert Georg_Washington