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411
hat etwas Rührendes und Beneidenswertes, zu sehen, wie sie in
Gefahr und Sorge ruhig und heiter zu Gott wie zu ihrem Vater
aufschaut, der ja nur das Veste für sein Kind wollen kann.
Man kann sich die Freude dieses Mutterherzens vorstellen,
als der geliebte Sohn zu immer höhern Ehren aufsteigt, in jungen
Jahren erster Minister eines Herzogtums, der Freund von Fürsten
und großen Männern wird und als Dichter einen Ruhm erwirbt,
der ganz Europa erfüllt. Wenn der Sohn in der freien Zeit, die
ihm übrigbleibt, zum Besuche nach Frankfurt kommt, dann ist sein
Aufenthalt für die Mutter ein einziger großer Festtag. Eine be-
sondre Freude erlebt Frau Rat, als ihr ältester Enkel sie besucht,
mit dem sie wieder jung wird. Rach seiner Abreise unterhält sie
mit ihm einen regen Briefwechsel. Da schreibt sie ihm einmal:
..Es ist Deine Pflicht. Deinen lieben Eltern gehorsam zu sein und
ihnen vor die viele Mühe. die sie sich geben. Deinen Verstand zu
bilden, recht viele, viele Freude zu machen ... Ich weiß aus Er-
fahrung. was es heißt, Freude an seinem Kinde zu erleben — Dein
lieber Vater hat mir nie. nie Kummer und Verdruß verursacht
— darum hat ihn auch der liebe Gott gesegnet, daß er über viele,
viele emporgekommen ist — und hat ihm einen großen, aus-
gebreiteten Ruhm gemacht."
Im steten Verkehr mit den Freunden des Hauses und des
Sohnes verlebte sie einen heitern Lebensabend. Am 13. Sep-
tember 1808 erlosch dieses merkwürdige Frauenleben, das in seiner
Umgebung so lichten Schein verbreitet hatte. Die Trauerbotschaft
erschütterte den Sohn aufs tiefste. „Er war ganz hin." berichtet
darüber einer seiner Freunde. Auch er ist längst zur Ruhe ge-
gangen. Wenn aber sein Riesengeist vor unsern Augen erscheint,
dann begleitet ihn stets das ewig heitere Antlitz seiner unvergeß-
lichen Mutter, der Frau Rat.
234. Ein Brief der Königin Luise an ihren Vater.
Jeder Brief, den ein bedeutender Mensch geschrieben hat. ist
geeignet, uns den Verfasser persönlich nahezubringen: durch die
eigentümliche Sprache, die uns ihm gegenüberstellt, uns gewisser-
maßen zum Adressaten macht, und durch die Intimität jedes mit
dem Gedanken an nur einen oder wenige Leser verfaßten Schrift-
stücks — die Intimität nicht der Mitteilung der privaten, persön-
lichen Verhältnisse, sondern die Intimität der Form, der Sprache,
des ganzen Seelenzustandes, in dem ein Brief geschrieben wird.
Es ist der Alltagsmensch, der aus Briefen lebendig wird: oft be-
leuchten Briefe, wie aus den: rein Persönlichen, einer höhern Er-
scheinung gleich, das Allgemeine für Momente aufsteigt; Durch-
brüche eines tiefer als in e i n e m Menschen und seinen Lebens-
umständen wurzelnden Gefühls stehen zwischen trockenen Mit-
teilungen. Das Unregelmäßige, Anregende. Ernüchternde und
zum Widerspruch Reizende, aber auch das menschliche Anteilnahme
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
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415
immer größer. Trotzdem besorgte sie die Pflege lange allein.
Ihre Hingabe an diese Lebensaufgabe kannte keine Grenzen. In
allen Ortschaften des Tales richtete sie die Bewahranstalten selbst
ein. Dabei scheute sie nicht die schlechten Wege. sie ließ sich von
ihren Gängen durch keine Witterung abhalten. Erschöpft und
durchnäßt, von Kälte erstarrt, kehrte sie oft von diesen Wegen der
Barmherzigkeit ins Pfarrhaus zurück und ließ es sich nicht nehmen,
hier noch bei der Arbeit behilflich zu sein. Für die Kinder des
Hauses sorgte sie, als ob es ihre eignen Geschwister wären. In
den schweren Zeiten der Revolution, in den Schrecken eines
Hungerjahres, in Krankheit und Leid stand sie treu zu ihrer Herr-
schaft. Und als ihre gütige Herrin starb, da wurde sie den sieben
Kindern eine zweite Mutter. Und für die seltene Hingebung
nahm sie nichts an. als was zur Bestreitung der leiblichen Bedürf-
nisse notwendig war. Ihr schönes Herz. ihre edle Uneigennützigkeit
spricht sich am rührendsten in dem Briefe aus, den sie nach dem
Tode der Frau Oberlin zum Neujahr 1797 an ihren geistigen
Führer schrieb. Er lautet:
Lieber und zärtlicher Vater!
Erlauben Sie mir, daß mit dem Beginn des Jahres ich von
Ihnen eine Gnade begehre, nach welcher ich schon lange trachte.
Da ich nun ganz frei stehe. d. h., da ich meinen Vater und dessen
Schulden nicht mehr zu tragen habe, so bitte ich Sie. lieber Vater,
versagen Sie mir die Gnade nicht, mich ganz zu Ihrem Kinde an-
zunehmen; geben Sie mir nicht den geringsten Lohn in Zukunft.
Da Sie mich in allem wie Ihr Kind halten, so wünsche ich es auch
in dieser Hinsicht zu sein. Ich brauche wenig zu meinem körper-
lichen Unterhalte: was einige kleine Ausgaben verursachen könnte,
sind Kleider. Strümpfe. Holzschuhe, und wenn ich solcher bedarf,
so will ich es Ihnen sagen, wie ein Kind seinem Vater. O ich bitte
Sie, lieber Vater, gewähren Sie mir diese Gnaden, und sehen Sie
mich an als ihr treu ergebenes Kind Luise.
Oberlin nimmt sie freudig als Tochter ün. sucht ihr aber
für ihre ausgezeichneten Dienste auf Umwegen Geld zukommen
zu lassen. Luise merkt aber gar bald die List und bittet inständig,
davon abzustehen. Dem guten Oberlin bleibt nichts übrig, als
die Bitte zu erfüllen, und nun jubelt Luise über das große Glück,
die freie Tochter eines guten Vaters zu sein.
Luise wirkte so jahrelang in der engen Welt. die von Fels-
wänden abgeschlossen war. Die Welt hinter den Bergen kannte
sie nicht. Aber der Ruf von der frommen Gründerin der Kinder-
bewahranstalten schwang sich über die Vergspitzen hinweg, drang
immer weiter in das Land und erreichte auch die glänzende Stadt
Paris. Da hatte ein reicher Graf eine ansehnliche Summe Geldes
gestiftet, die unter besonders brave und tugendhafte Mädchen des
Volkes verteilt werden sollte. Die französische Akademie, der die
Verteilung oblag, erkannte einstimmig der edlen Luise einen
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454
Glückwunschschreiben.
Oppelu, den 30. Dezember 1911.
Herzinnig geliebte Eltern!
Der letzte Tag des alten Jahres ist herbeigekommen, und ich
will das neue Jahr nicht anbrechen lassen, ohne Euch die herz-
lichsten Glückwünsche darzubringen.
Möge Euch, teuerste Eltern, der Himmel im neuen Jahre mir
erhalten und Euch beglücken mit der reichsten Fülle seines Segens!
Mögen Kummer und Sorge Euch fernbleiben, und möge es mir
gelingen. Euch nur Freude zu machen, den Erwartungen, die Ihr
von mir hegt, zu entsprechen und Eurer Liebe und Güte mich
immer würdiger zu zeigen! Dies zu erstreben, ist mein fester
Vorsatz, und ich bitte den Himmel, mir Kraft zu verleihen, ihn
auszuführen, um Euch nicht nur mit Worten, sondern auch durch
meine Handlungen zeigen zu können, wie sehr ich bin
Eure dankbare Tochter
Helene.
Einladung.
Beuthen O. S., den 13. Okober 1912.
Lieber Vetter!
Für Sonnabend abend haben sich einige meiner Freundinnen
bei mir angesagt. Du würdest gewiß angenehm überraschen,
wolltest Du an diesem Tage Dich rechtzeitig bei uns einstellen, um
in bekannter liebenswürdiger Weise Dich der Gesellschaft zu
widmen. Bringe Deine beste Laune mit!
Sicher auf Dein Kommen rechnend, grüßt Dich
Deine Cousine
Berta.
Dankschreiben.
Neustadt a. I)., den 6. Mai 1912.
Meine liebe Freundin!
Für die schnelle und pünktliche Erfüllung meiner Bitte sage ich
Dir hierdurch meinen verbindlichsten Dank! Sei versichert, daß
ich Dir diese Gefälligkeit sehr hoch anrechne und jede Gelegenheit
benutzen werde, um in Gegendiensten mich dankbar zu erweisen.
Erhalte auch fernerhin Deine Freundschaft
Deiner
Dich küssenden
Selma.
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Großen fähig; diese Ehrfurcht ist der starke Schutzengel der kind-
lichen Unschuld und der eiserne Stab, an dem sich auch der Ge-
fallene wieder aufrichtet.
Gehorche Vater und Mutter, aber mit freubtger Seele und
ohne Murren; denn was dir zum Besten dient, das wissen sie
am besten. Ihre Erfahrung ist dir zur Weisheit. Sie nwgen
dich küssen oder strafen, immer ist's ihre Liebe, die dich belohnt,
ihre Liebe, die dich straft.
Ehre Vater und Mutter nicht nur durch die Unterwürfigkeit
deines Willens, solange du unmündig und ihrer Fürsorge uber-
lassen bist, sondern auch durch dein äußerliches Betragen, durch
liebevolle Ehrerbietung in Worten, Gebärden und Handlungen,
wenn du nicht mehr unter ihrer unmittelbaren Obhut stehst. —
Mangel des Zartgefühls, der Schonung, der Hochachtung und
Ehrerbietung im Äußerlichen verrät ein rohes Gemüt, zu großem
Vergehungen fähig. Das Auge und das Wort des Menschen
sind die Verkünder seines innern Wertes oder Unwertes. — Ehre
deine Eltern; denn indem du die mit kindlicher Achtung behandelst,
von denen du herstammst, ehrst du dich selber.
Ehre deine Eltern, auch wenn bn nicht mehr ihrer Leitung
unterworfen bist, und vergiß nie, was sie dir Gutes getan haben.
Ehre den Vater, der deinetwillen manche sorgenvolle Nacht durch-
wachte, wenn du kummerlos einschliefest; der für dich betete,
wenn du freudig deinen Spielen nachjagtest; der sich manche
Freude versagte, um sie dir aufzusparen; der manchen Tropfen
Schweißes vergoß, um dir in der Welt ein gemächliches Los zu
verschaffen. Ach, er hat so lange und nur für dich gelebt, lebe
nun dankbar auch für ihn. Ehre die Mutter, die dich mit Schmerzen
gebar und schon über deiner Wiege Tränen der Liebe und des
Kummers weinte. Womit willst du diese Liebe, diesen Kummer,
diese Tränen vergelten, wenn nicht mit der zärtlichsten Aufmerk-
samkeit für ihre spätern Tage? Denke, wenn du einen frohen
Säugling an seiner Mutier Busen erblickst: so lagst auch du einst
hilflos an der Brust der deinigen und von niemand so heiß ge-
liebt, wie von ihr. Denke, wenn du eine Mutter voll Entzückens
mit ihrem Kinde tändeln oder sie mit bleichgehärmter Wange am
Krankenlager ihres Lieblings siehst: so empfand auch deine Mutter
für dich das gleiche Entzücken, den gleichen Schmerz. Ach, wie
kannst du aufhören, die zu lieben, die aus Liebe für dich so gern
oft in den Tod gegangen wäre? Wie kannst du ihr die zärtlichste
Ehrerbietung verweigern, der unter allen Menschen aus Erden
du das Höchste schuldig bist? Wem nicht Vater, nicht Mutter ehr-
würdig sind, dem ist unter dem Himmel nichts ehrwürdig und heilig;
den fliehe, denn er hat ein Herz, zu allen Verbrechen reif.
Ehre Vater und Mutier, und sei im Alter ihre Pflege, ihr
Versorger, ihr Freund und Beschützer. Es ist die böchste aller
Freuden, die Gott frommen, tugendhaften, dankbaren Kindern auf
Erden gewähren kann, wenn er ihren Eltern ein hohes Alter
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214
Wundsein ist oft ein Zeichen mangelnder Pflege und durch
eifriges Trockenlegen zu bekämpfen. Oft ist es ein Zeichen einer
Verdauungsstörung.
Wogrind entstanden, nehme man Borvaseline oder frisches
warmes Öl. reibe damit abends den Kopf des Kindes ein.
wasche es am andern Morgen mit Wasser und Seife ab und
kämme den noch feuchten Kopf mit einem ganz saubern Kamme
aus. Man sei nicht nachlässig, sonst kann ein schlimmer Ausschlag
entstehen, bedenke aber auch, das; Säuglinge, die Grind bekommen,
besonders bezüglich ihrer Ernährung in acht genommen werden
müssen.
D'e Kinderstube
sei geräumig, licht, rein und trocken und im Winter mäßig warm.
Es soll in dieser keine Wäsche zum Trocknen aufgehängt, auch
der Unrat in den Nachtgeschirren sowie die beschmutzte Wüsche
immer schnell hinausgetragen werden.
Nur in reiner, unverdorbner Luft können sich die Lungen
des Kindes kräftigen. Feuchte und schlecht gelüftete Stuben er-
zeugen eine bleiche Gesichtsfarbe und gefährliche Hals- und
Lungenkrankheiten. Tägliche Lüftung ist daher unerläßlich, jedoch
muß dabei eine Abkühlung der Kleinen sorgfältig vermieden
werden. Bei schönem Wetter ist das Kind möglichst oft ins Freie
zu bringen. Ist die Luft aber kalt, rauh und staubig, so bietet
ihm die Stube einen gesündern Aufenthaltsort. An kalten, reg-
nerischen Sommertagen ist die Kinderstube zu heizen.
In Kinderstuben sollen nie mehr Personen wohnen, als zur
Aufsicht und Pflege der Kinder notwendig sind: am wenigsten
dürfen kränkliche Leute in diesen geduldet werden.
Nach Prof. Dr. Hartmann, Dr. Schreber u. dem Merkblatt des Baterl. Frauen-Dereins.
127. Wiegenlieder.
i.
Mäßig bewegt,
mst.
/--H
* - 4
fr
Karl Maria v. Weber. 1786-1826.
3
:
j-t
r
9—¥
u
du! Tu - e die
du, schwe-ben ums
Zeit. Spä-ter, ach
^ y ¥ v u 7
1. Schlaf, Her-zens-söhn-chen, mein Lieb-Iing
2. En - gel vom Him-mel, so lieb-lich
3. Jetzt noch, mein Söhn-chen, ist gol - de
»
1/
bist
wie
ne
4. Schlaf, Her-zens-söhn-chen, und kommt gleich die Nacht, sitzt doch die
1. blau - en Guck - äu - ge - lein zu! Äl - les ist ru - hig | und
2. Bett-chen und lä - cheln dir zu. Spä-ter zwar stei - gen sie |
3. spä - 1er ist's nim - mer wie heut. Siel-len erst Sor-gen j ums
4. Mut - ter am Bett-chen und wacht. Sei es so spät auch, j und
TM Hauptwörter (50): [T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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Extrahierte Personennamen: Hartmann Karl_Maria_v Karl Maria Weber
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Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
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264 —
mal ohne Lächeln hart und steif und bang nach ihr blickte, alles
dieses brach ihr gänzlich das Herz. Ihre Klagen brachen jetzt
in lautes Schreien aus, und alle Kinder und der Säugling weinten
mit der Mutter, und es war ein entsetzliches Jammergeschrei,
als eben Lienhard die Tür öffnete.
Gertrud lag mit ihrem Antlitz auf ihrem Bette, hörte das
Öffnen der Tür nicht und sah nicht den kommenden Vater. Auch
die Kinder wurden seiner nicht gewahr; sie sahen nur die jam-
mernde Mutter und hingen an ihren Armen, an ihrem Hals
und an ihren Kleidern. So fand sie Lienhard. Todesblässe stieg
in sein Antlitz, und schnell und gebrochen konnte er kaum sagen:
„Herr Jesus, was ist das!" — Da erst sah ihn die Mutter, da
erst sahen ihn die Kinder, und der laute Ausbruch der Klage
verlor sich. „O Mutter, der Vater ist da!" riefen die Kinder
aus einem Munde, und selbst der Säugling weinte nicht mehr.
Gertrud liebte den Lienhard. und seine Gegenwart war ihr
auch im tiefsten Jammer Erquickung, und auch Lienhard verlich
jetzt das erste bange Entsetzen.
„Was ist. Gertrud," sagte er zu ihr, „dieser erschreckliche
Jammer, in dem ich dich treffe?"
„Oh, mein Lieber!" erwiderte Gertrud. „Finstere Sorgen
umhüllen mein Herz, und wenn du weg bist, so nagt mich mein
Kummer noch tiefer."
„Gertrud!" erwiderte Lienhard, „ich weiß, was du meinst...
ich Elender!"
Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lienhard hüllte sein
Antlitz in ihren Schoß und konnte nicht reden. Auch Gertrud
schwieg eine Weile und lehnte sich in stiller Wehmut an ihren
Mann. Indessen sammelte sie all ihre Stärke und faßte den Mut,
um in ihn zu dringen, daß er seine Kinder nicht ferner diesem Un-
glück und Elend aussetze.
Gertrud war fromm und glaubte an Gott, und ehe sie redete,
betete sie still für ihren Mann und für ihre Kinder, und ihr Herz
war sichtbarlich heitrer; da sagte sie: „Lienhard. trau auf Gottes
Erbarmen und fasse doch Mut. recht zu tun!"
„O Gertrud! Gertrud!" sagte Lienhard und weinte, und seine
Tränen flössen in Strömen.
„O mein Lieber, fasse Mut!" sagte Gertrud, „und glaube an
deinen Vater im Himmel, so wird alles wieder besser gehen! Es
geht mir ans Herz, daß ich dich weinen mache. Mein Lieber! ich
wollte dir gern jeden Kummer verschweigen; du weißt, an deiner
Seite sättigt mich Wasser und Brot, und die stille Mitternachts-
stunde ist mir viel und oft frohe Arbeitsstunde für dich und meine
Kinder. Aber wenn ich dir meine Sorge verhehlte, daß ich mich
noch einst von dir und diesen Lieben trennen müßte, so wäre ich
nicht Mutter an meinen Kindern, und an dir wäre ich nicht treu.
O Teurer, noch sind unsre Kinder voll Dank und Liebe gegen uns;
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Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
Geschlecht (WdK): Mädchen
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Sie warf sich neben sein Bett auf die Knie, küßte ihn unter tausend
Tränen und verhüllte ihr Gesicht. „Weine nicht, liebe Mutter."
sagte der Sterbende, „ich bin nicht mehr krank." — „Ich werde ja
nicht im Grabe bleiben." setzte er einige Augenblicke darauf mit
kaum vernehmlicher Stimme hinzu. „Du hast es mir oft gesagt.
Und wenn du auch gestorben bist, und der Vater auch, dann
kommen wir im Himmel alle zusammen und sterben nicht
wieder."
Wie er dies gesagt hatte, lag er einige Augenblicke ganz ruhig
und sah still und freundlich vor sich hin. Dann richtete er sich
plötzlich auf. sank ebenso schnell zurück und war tot. Die letzten
Strahlen der untergehenden Sonne zuckten auf seinem blassen
lächelnden Angesicht. Die Kinder kamen weinend und schluchzend
nach Hause und erzählten ihrem Vater den ganzen traurigen
Hergang. Lange waren sie still und in sich gekehrt. Aber sie
hatten ein heitres Bild von dem Tode bekommen, und so oft sie
jetzt seiner gedachten, stellte er sich ihnen in der Gestalt ihres ver-
storbenen Freundes dar.
Fr. Jacobs.
160. O lieb, solang' du lieben kannst!
1. O lieb. solang' du lieben
kannst!
O lieb. solang' du lieben magst!
die Stunde kommt, die Stunde
kommt,
wo du an Gräbern stehst und
klagst.
4. Und hüte deine Zunge
wohl,
bald ist ein böses Wort ge-
sagt!
O Gott, es war nicht bös ge-
meint, —
der andre aber geht und klagt.
2. Und sorge, daß dein Herze
glüht
und Liebe hegt und Liebe
trägt,
solang' ihm noch ein ander
Herz
in Liebe warm entgegenschlägt.
5. O lieb, solang' du lieben
kannst!
O lieb, solang' du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde
kommt,
wo du an Gräbern stehst und
klagst!
3. Und wer dir seine Brust
erschließt,
o tu ihm, was du kannst, zulieb!
Und mach ihm jede Stunde
froh,
und mach ihm keine Stunde
trüb!
6. Dann kniest du nieder an
der Gruft
und birgst die Augen, trüb und
naß,
— sie sehn den ar •*» nimmer-
mtt./* ui
ins lange, feuchte Kirchhofsgras.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T116: [Vater Kind Mutter Sohn Bruder Herr Mann Auge Frau Hand], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
Geschlecht (WdK): Mädchen
11
gibt. Dann erst, dann ist es ihnen möglich, den Guten das Gute
zu vergelten. Die Schwächen des Alters führen den Menschen
wieder in die Hilflosigkeit der Kindertage zurück. Der greise Vater,
die betagte Mutter haben zur Arbeit keine Kraft, zur Selbst-
beschützung keinen Mut mehr. Nun gib ihnen die frohen Stunden
zurück, die sie dir als Kind gaben; nun ernähre sie und verbanne
die Sorge von ihrem Herzen, so wie sie auch deiner ehemals
pflegten; nun opfere dich für sie auf, wie sie einst sich für dich so
oft geopfert haben.
Ehre deine Eltern; mögen sie auch ihre Fehler haben, ver-
decke sie liebevoll, beurteile sie schonend. Sie haben ja des Guten
soviel für dich getan; sie haben ihr Alter mit Ehre erreicht;
könntest du jetzt ihr strenger Sittenrichter werden? — Und kannst
du, darfst du es nicht vermeiden, gebietet dir deine eigne Hoch-
achtung und Liebe, sie auf dasjenige aufmerksam zu machen, wo-
durch sie vielleicht in der Achtung bei andern einbüßen, o so ge-
schehe es immer mit kindlicher Ehrerbietung, mit sorgfältiger
Schonung in den Worten; so laß nie deinen Mißmut, sondern
nur die ganze Fülle deiner kindlichen Liebe reden. Und wenn
du endlich einsiehst, daß es zu spät sei, diese Fehler, die vielleicht
seit langen Jahren tief einwurzelten, von ihnen zu nehmen, so
schweige. Schweige und dulde du allein. Schweige und mache
diese Fehler für sie und andre so unschädlich, so wenig auffallend
wie möglich. Schweige und verhülle ihre Schwächen; denn die
Ehre deiner Eltern ist deine Ehre. Erinnere dich, wie auch sie
ehemals solange Geduld mit deinen Mängeln und Unarten ge-
tragen haben und dich nicht verachteten, sondern mit treuer Zärt-
lichkeit dir zugetan blieben. Vergilt; denn auch für dich lebt
ein Vergelter.
Ehre deine Eltern, mögen sie gegen dich auch zuweilen hart,
sogar vielleicht ungerecht gewesen sein. Du wardst nicht geschaffen,
der Richter und Straser derer zu sein, durch die dich Gott ins
Dasein rief. Ihr Alter fordert deine Hilfe, ihr graues Haupt
deine Ehrfurcht, ihre Liebe für dich in jüngern Jahren die schuldige
Dankbarkeit deiner spätern Tage. Waren sie hart gegen dich —
vielleicht beförderte diese Strenge dein Wohl. Vergilt nun mit
Milde. Ach, wie süß ist es, seine eignen Eltern zu seinen Schuldnern
machen zu können! Glücklich ist der Sterbliche, dem dieses Himmels-
los zuteil wird. Waren sie ungerecht gegen dich, so sei du nun der
Gerechte gegen sie. Meide es, sie auch nur aus der Ferne daran
zu erinnern. Ach, jede dieser Erinnerungen wäre ja ein Dorn
in des Vaters, in der Mutter Brust; und wie sollte solche Wunde
in ihren letzten Tagen wieder heilen, da die vergangene Zeit un-
widerruflich ist und das Geschehene nicht von ihnen abgeändert
werden kann. Sie waren ungerecht und doch vielleicht unschuldig
und voller Liebe zu dir. Ein Mutterherz kann doch nie ganz
aufhören zu lieben, ein Vaterherz kann sich doch nie ganz verleugnen.
Ehre deine Eltern, solange sie leben auf Erden! Ehre sie
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T116: [Vater Kind Mutter Sohn Bruder Herr Mann Auge Frau Hand], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat]]
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
Geschlecht (WdK): Mädchen
— 263 —
Dann kommt auf einmal über Nacht
ein großes, das uns deutlich macht,
wie klein das ist. um was vom Morgen
bis zum Abend wir grämlich sorgen.
So lernt man erst in schweren Tagen
an sich halten und weniger klagen. Trojan.
157. Trübe und frohe Stunden.
1. Ein Mann. der die Freude außerhalb des
Hauses sucht.
Es wohnt in Vonnal ein Maurer, der heißt Lienhard und
seine Frau Gertrud. Er hat sieben Kinder und guten Verdienst:
aber er hat den Fehler, daß er sich im Wirtshaus oft verführen
läßt. Wenn er da lange sitzt, so handelt er wie ein Unsinniger,
und es sind in unserm Dorfe schlaue, abgefeimte Burschen, die
darauf losgehen, daß sie den Ehrlichern und Einfältigern auf-
lauern und ihnen bei jedem Anlaß das Geld aus der Tasche
locken. Diese kannten den guten Lienhard und führten ihn oft
beim Trunk noch zum Spiel und raubten ihm so den Lohn seines
Schweißes. Aber allemal, wenn das am Abend geschehen war.
reute es Lienhard am Morgen, und es ging ihm ans Herz, wenn
er Gertrud und seinen Kindern Brot mangeln sah.
Gertrud ist die beste Frau im Dorfe: aber sie und ihre blü-
henden Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Hütte
beraubt, getrennt und verstoßen zu werden und ins äußerste Elend
zu sinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte.
Gertrud sah die nahe Gefahr und war davon in ihrem Inner-
sten durchdrungen. Wenn sie Gras von ihrer Wiese holte, wenn
sie Heu von ihrer Bühne nahm, wenn sie die Milch in ihrem rein-
lichen Becken besorgte, ach! bei allem ängstigte sie immer der Ge-
danke. daß ihre Wiese, ihr Heustock und ihre halbe Hütte ihnen
bald werde entrissen werden, und wenn ihre Kinder um sie her
standen und sich an ihren Schoß drängten, so war ihre Wehmut
immer noch größer, und allemal flössen dann Tränen über ihre
Wangen.
Vis jetzt konnte sie zwar ihr stilles Weinen vor den Kindern
verbergen: aber am Mittwoch vor Ostern, da auch ihr Mann
gar zu lange nicht heimkam, war ihr Schmerz zu mächtig, und
die Kinder bemerkten ihre Tränen. „Ach, Mutter," riefen sie
alle aus einem Munde, „du weinst!" und drängten sich enger
an ihren Schoß. Angst und Sorge zeigten sich in jeder Gebärde.
Banges Schluchzen, tiefes, niedergeschlagnes Staunen und stille
Tränen umringten die Mutter, und selbst der Säugling auf ihrem
Arm verriet ein ihm fremdes Schmerzgefühl. Sein erster Aus-
druck von Sorge und von Angst, sein starres Auge, das zum ersten-
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Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
Geschlecht (WdK): Mädchen
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dem Aufgeben der mit dem Ackerbau neu entstandenen Verufs-
arten, daß sie es sich zum strengen Gesetz machten, daß der Sohn
wieder dasselbe Geschäft erlerne, das der Vater getrieben, damit
es niemals den Nachkommen verloren gehen könne. Der Sohn
des Landmanns nutzte wieder den Acker bauen, der des Schmieds,
des Zimmermanns, des Maurers usw. wieder das Geschäft des
Vaters erlernen. Das ganze Volk teilte sich in erbliche Stände,
die man Kasten nannte, und ist bei dieser Verfassung Jahrtausende
geblieben. Am geringsten geachtet wurden die Hirten, am höchsten
aber die Priester, die dem Osiris die Gaben des Feldes als Dank-
opfer auf den Altar legten. Ja, die alten Ägypter gingen so weit,
datz sie alles, was den Ackerbau in ihrem Lande förderte, göttlich
verehrten: den Stier, der ihnen den Acker pflügte und das Getreide
drasch, wie den Flutz Nil. der ihre Felder durch Überschwemmungen
befruchtete. — Wie in Asien und Afrika, so gab es auch in Europa
Völker, die den Ackerbau als göttlichen Ursprungs verherrlichten.
Die alten Griechen glaubten, datz ihnen das Getreide durch die
Göttin Ceres vom Himmel gebracht sei. Dieser war nämlich, so
erzählt die Sage, ihr geliebtes Kind geraubt worden. Trauernd
durchstreifte sie die Erde mit einer am Feuer des Ätna entzündeten
Fackel, um die Tochter aufzusuchen. Nach langem Umherirren
erfährt sie, datz der Gott der Unterwelt sie geraubt habe. Dahin
aber war der unsterblichen Göttin der Weg ewig verschlossen. Ein
Mutterherz weitz Rat. Sie nimmt Eetreidekörnlein, senkt diese
in die Erde und harrt, bis sie aus dieser emporsteigen. Nach unten
die Wurzel, nach oben der biegsame Stengel, rauscht und flüstert
es in dem wogenden Ährenfelde, und wie jetzt wohl eine Mutter
unter der Trauerweide auf dem Grabe ihres Kindes sitzt, so satz die
Göttin am Ährenfelde und hielt Zwiesprache mit der Tochter, wenn
es in den grünen Blättern lebhaft flüsterte. Auf solche Weise
soll das Getreide und mit diesem der Ackerbau nach Griechenland
gekommen sein.
Unsern Vätern, den alten Germanen, war das Getreide
das goldne Haar einer Göttin, das alljährlich die kunstreichen
Zwerge in ihren geheimnisvollen Werkstätten unter der Erde an-
fertigten. Wann das Getreide in unser Vaterland eingewandert
ist. darüber schweigen die Nachrichten: aber auch bei uns hat es
Wälder gestürzt und Sümpfe getrocknet. Eittöden bevölkert und
das Klima gemildert. In jener Zeit. wo der Ackerbau noch nicht
im grotzen betrieben wurde und Deutschland noch ein sumpfiger
Wald war, sagte ein römischer Schriftsteller von dem Klima am
Rhein, es sei der Art. datz daselbst nie eine Kirsche, viel weniger
eine Traube reifen könne. Und siehe, jetzt gedeiht dort nicht nur
der Kirschbaum und die Weinrebe, es reifen dort auch die sützen
Früchte der Kastanien und Mandelbäume. Datz der segnende
Pflug Land und Menschen veredelt hat, mögen wohl wenige be-
denken, wenn sie am Cetreidefelde entlang gehen: ebensowenig
mag ihnen jene Sage der alten Völker einfallen. Aber sollen wir
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Extrahierte Ortsnamen: Asien Afrika Europa Griechenland Deutschland Rhein