Sagen, 35
einem Male der wüste Lärm in schallendes Gelächter, denn ein Ratsherr hatte auf
eine Tafel in großen Lettern geschrieben: „Der Roland foll stehen bleiben, wir
wollen ihn nur nicht länger haben, weil er uns schon lang genug ist!" Damit war
das Mißverständnis aufgeklärt. Die guten Bürger sahen, daß sie von dem ver-
meintlichen Künstler arg
genasführt waren. Kein
Wunder also, daß sich ihr
Unmut gegen ihn wandte.
Als sie den Schalk griffen,
steckten sie ihn zur Strafe
in den Wendenturm, Im
Nu aber entwich er mit
einem Hohngelächter: und
jeder wußte nun, daß der
vermeintliche Künstler der
leibhaftige Teufel gewesen
war.
Der Rolaud war
in der früheren Zeit für
die Stadt Stendal das
Zeichen der eigenen
Gerichtsbarkeit. Die
im Jahre 1525 am Rat-
hause errichtete Stein-
figur gehört zu den
größten, die wir besitzen.
Der gewaltige Körper
ruht auf starken Beinen,
dessen Waden stärker sind
als der Brustumfang
eines kräftigen Mannes,
Durch den schweren Pan-
zer wird der Körper ge-
schützt. Die erhobene
rechte Hand hält das 4 m
lange Schwert, das
Werkzeug des strafenden
Rechts; die linke Hand
umfaßt den Schild mit
dem brandenburgischen
Adler, das Sinnbild
des Schutzes. So er-
innert der Roland an die
frühere Größe und Selbst-
ständigkeit der Stadt
Stendal. Der Roland am Rathaus in Stendal.
2. Der wunderbare Ring im Schlosse zu Calbe a. M.
In einer Nacht erschien der Schloßherrin eine Frauengestalt mit einem Lichte
und flehte sie an um Hilfe und Beistand bei einer Kranken, Als die Edelfrau ein-
willigte, bat die Erscheinung, von der Kranken weder Essen noch Trinken noch irgend
ein Geschenk anzunehmen, da sonst Unglück über das Schloß und die Familie kommen
würde. Die Herrin tat nach dem Gebote, und die Kranke wurde wieder gesund.
Da kam eines Tages der Mann der Kranken und überreichte der Schloßherrin eine
Schüssel mit gemünztem Golde. Doch die Herrin dachte an das Gebot der Er-
3*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind]]
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TM Hauptwörter (200): [T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T112: [Schwert Ritter Schild Waffe Lanze Pferd Speer Hand Helm Pfeil]]
Sagen. 49
einem Male der wüste Lärm in schallendes Gelächter, denn ein Ratsherr hatte auf
eine Tafel in großen Lettern geschrieben: „Der Roland soll stehen bleiben, wir
wollen ihn nur nicht länger haben, weil er uns schon lang genug ist!" Damit war
das Mißverständnis aufgeklärt. Die guten Bürger sahen, daß sie von dem ver-
meintlichen Künstler arg
genasführt waren. Kein
Wunder also, daß sich ihr
Unmut gegen ihn wandte.
Als sie den Schalk griffen,
steckten sie ihn zur Strafe
in den Wendenturm. Im
Nu aber entwich er mit
einem Hohngelächter; und
jeder wußte nun, daß der
vermeintliche Künstler der
leibhaftige Teufel gewesen
war.
Der Roland war
in der früheren Zeit für
die Stadt Stendal das
Zeichen der eigenen
Gerichtsbarkeit. Die
im Jahre 1525 am Rat-
hause errichtete Stein-
sigur gehört zu den
größten, die wir besitzen.
Der gewaltige Körper
ruht auf starken Beinen,
dessen Waden stärker sind
als der Brustumfang
eines kräftigen Mannes.
Durch den schweren Pan-
zer wird der Körper ge-
schützt. Die erhobene,
rechte Hand hält das 4 m
lange Schwert, das
Werkzeug des strafenden
Rechts; die linke Hand
umfaßt den Schild mit
dem brandenburgischen
Adler, das Sinnbild des
Schutzes. So erinnert der
Roland an die frühere
Größe und Selbstständig-
keit der Stadt Stendal. Der Roland am Rathaus in Stendal.
2. Der wunderbare Mug im Schlosse zu Calbe a. M.
In einer Nacht erschien der Schloßherrin eine Frauengestalt mit einem Lichte
und flehte sie an um Hilfe und Beistand bei einer Kranken. Als die Edelfrau ein-
willigte, bat die Erscheinung, von der Kranken weder Essen noch Trinken noch irgend
ein Geschenk anzunehmen, da sonst Unglück über das Schloß und die Familie kommen
würde. Die Herrin tat nach dem Gebote, und die Kranke wurde wieder gesund.
Da kam eines Tages der Mann der Kranken und überreichte der Schloßherrin eine
Schüssel mit gemünztem Golde. Doch die Herrin dachte an das Gebot der Er-
Henze-Kohlhase, Die Provinz Sachsen. Ausgabe A. 4
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— Iv —
im Herzen: „In der Heimat ist es schön" und empfiehlt sich
immer mehr das Wort des großen Menschenkenners: „Wer seine
Heimat nicht liebt, die er sieht, wie kann er die Welt lieben, die
er nicht sieht". Warum auch in die Ferne schweifen, da das Gute
so nahe liegt? Es giebt nichts Unglückseligeres, Lästigeres, als
ein Wissen, das vermeint, sich traumartig über das Leben erheben
zu dürfen, das vom Boden der wirklichen Verhältnisse sich loslöst
und den Menschen rat- und hilflos zurückläßt. Die Heimatskunde,
wie sie der natürlichen Liebe und Anhänglichkeit entspricht, läßt
die besondern Verhältnisse, in die man hineinversetzt ist, und unter
denen man nicht als Zuschauer, sondern auch mitthätig leben soll,
erfassen und würdigen. Sie trägt nicht wenig dazu bei, daß ein
jeder sich wohl und heimisch auf seinem Fleck Erde und unter seinem
Volke fühlt.
Der Lehrerschaft Westfalens entbiete ich besondern Gruß. Es
bleibt unvergessen, was gerade sie zur Förderung der Heimatskuude,
durch Forschung, Verkehr mit Land und Leuten, durch Schrift-
stellerei und Unterricht bisher Erfreuliches für Jugend und Volk
geleistet hat. Demnach hege ich den Wunsch, daß die vorliegende
Schrift unseren Lehrern nicht unbekannt und unbeachtet bleibe,
sondern fleißig ausgenutzt werde zum Zusammenschluß, zur Er-
Weiterung und Vertiefung ihres eigenen Wissens, zur noch gründ-
licheren Unterrichtserteilung für die Jugend und zur fesselnden
Belehrung im Umgange mit den Erwachsenen, sowie damit sie
sich in ihrer Heimat um so befriedigter fühlen und von ihren Lands-
leuten um so freudiger als die Ihrigen anerkannt, geehrt und
geliebt werden.
Minden, 13. Juli 1900.
Der Verfasser.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 59 —
Verabredung gemäß, um so den Berg besser umgehen zu können,
über die Weser und lagerten sich am Ufer des Flusses. Wie sie
sich nun aber unter einander besprachen, sürchteten sie, die Ehre
des Sieges möchte dem Theodorich allein zufallen, wenn er in der
Schlacht bei ihnen wäre, und beschlossen, ohne ihn mit den Sachsen
anzubinden, nahmen also die Waffen zur Hand und rückten, als
ib sie es nicht mit einem zur Schlacht geordneten Feinde zu thun,
fondern Fliehende zu verfolgen und Beute zu machen hätten, so
schnell als jeden sein Roß zu tragen vermochte, auf die Sachsen los,
die vor ihrem Lager in Schlachtreihe standen. So schlecht der An-
marsch, so schlecht war auch der Kampf selbst; sobald das Tressen
begann, wurden sie von den Sachsen umringt und sast bis ans
den letzten Mann niedergehauen. Die, welche davon kamen, flohen
nicht in das eigene Lager, von dem sie ausgezogen waren, sondern
in das Theodorichs, welches über dem Berg drüben lag. Der Verlust
der Franken war noch größer, als es der Zahl nach schien, denn die
zwei Sendboten Adalgis und Geilo, vier Grafen und von andern er-
lauchteu und vornehmen Männern bis zu zwanzig wurden getötet
außer den übrigen, welche ihnen gefolgt waren und lieber mit ihnen
sterben als sie überleben wollten."
Erbittert über diesen Verlust und die Treulosigkeit der Sachsen,
rückte noch in demselben Jahre 782 Karl selbst mit einem Heere
heran, durchzog Westfalen und En gern und zwang alle, die
den Aufstand betrieben hatten, mit Ausnahme Wittekinds, der
abermals entflohen war, setzte ein Kriegsgericht, an dem
neben fränkischen auch sächsische Große teilnahmen, über die
Rebellen ein und vollzog das Urteil der Enthauptung an 4509
Sachsen an einem einzigen Tage zu Fardi (Verden a. d. Aller, Regb.
Stade). Dieses Blutbad entstammte die Sachsen zu den größten
Anstrengungen. Wittekind eilte herbei und forderte alle Kämpfer
auf, um der Freiheit, um des Vaterlandes und um der Götter
willen noch einmal dem aisken (bösen) Schlächter Karl die
Stirn zu bieten; die Ostfalen und Engern rückten ihm zuerst ent-
gegen und trafen im Mai 783 bei Thiotmelli (Detmold) Karl.
Er lagerte sich am Teutoburger Walde, die Sachsen standen im
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T83: [Karl Heinrich König Otto Sohn Reich Kaiser Sachsen Ludwig Herzog], T57: [Weser Stadt Hannover Harz Osnabrück Leine Kreis Aller Land Elbe], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T10: [Sachsen Karl Franken König Land Jahr Chlodwig Reich Krieg Volk], T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T38: [Weser Elbe Hannover Land Stadt Lüneburg Leine Nordsee Aller Bremen], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute]]
Extrahierte Personennamen: Karl Karl Wittekinds Karl Karl
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 100 —
Büchern auf, sondern strebte auch darnach, das Lebeu selbst kennen
zu lernen. Wo ihm deshalb die Gelegenheit geboten ward, eine
Fabrik, ein Bergwerk, eine Saline oder eine tüchtige Ackerwirtschaft
mit eigenen Augen kennen zu lernen, da ließ er sie nicht vorüber-
gehen, ohne Einblick bis in das Kleinste der Einrichtungen genommen
zu habeu. In den Ferien machte er gern Reisen, aber nicht, wie
es heutzutage geschieht, wo man an dem Orte nur so vorbeifährt,
ohne ihu kennen gelernt zu haben, sondern Fußreisen, da er nur
auf diesen die Schönheit der Gegenden, die er besuchte, kernten
lernen, nur so Einblick in manche nützliche Einrichtung und in das
Leben des Volkes nehmen konnte. Einerlei war es ihm dabei, ob
er nachts im weichen Bette ruhte, ob er an einer reich-
besetzten Tafel sich erquickte, oder ob er in einem Bauernhause
mit frischer Milch und schwarzem Brote vorlieb nehmen mußte.
Alles, was er auf deu Wanderungen antraf, hatte Interesse für
ihn: Wiesen und Ackerbau, Viehzucht, Waldwirtschaft, Berg- und
Landstraßenbau, Fabriken. Aus allem zog er eine Belehrung, einen
Nutzeu heraus. Die Erfahrungen, die er in dieser Weise ans seinen
Reisen sammelte, kamen ihm in seiner späteren Stellung als oberstem
Beamten der Provinz sehr zu statten.
Kaum einundzwanzig Jahre alt, trat Vincke nach glänzenden
Prüfungen in den preußischen Staatsdienst. Auf diesem Gebiete
sollte sich seine treffliche Natur bewähren. Hier gelangte er von
den Vorstufen des öffentlichen Beamtentums bis in die höchsten
Stellungen hinein. Seine erste Anstellung erhielt er an der
Kurmärkischen Kammer in Berlin. Mit treuem Fleiße verrichtete
er die untergeordneten Dienstleistungen, die ihm hier zuerst oblagen
— mußte er doch wie jeder, der später Tüchtiges leisten will, von
der Pike auf dienen.
Wie Vincke sich mit allem Eiser seinem Berufe hingab, davon
folgendes Beispiel: Einst hatte er die Sache zweier Bauern zu be-
arbeiten. Diese stand aber infolge eigentümlich verwickelter Umstände
so schlimm, daß die Bauern nahe daran waren, Hab und Gut ein-
zubüßen. Vincke vertiefte sich in die Akten, die über die Angelegen-
heit vorhanden waren, und bald hatte er erkannt, daß man im
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T99: [Stadt Verwaltung Provinz Gemeinde Beamter Kreis König Spitze Land Angelegenheit], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 347 —
Hausbewohner die näherkommende Krankenschelle, das Zuschlagen
eines Sarges, die Stimme des Nachbars, der das letzte Gebet
für den Verstorbenen verrichtet. Dagegen ist das Sehen der Vor-
geschichte, das zweite Gesicht, nur wenigen gegeben, und die Menschen,
die mit dieser Gabe behaftet sind, empfinden sie als eine drückende
Last und Qual. Mitten in der Nacht, bei Sturm und Wetter, werden
sie urplötzlich von ihrem Lager aufgeschreckt, sie müssen fort, eine
innere, unwiderstehliche Gewalt treibt sie über Weg und Steg,
über Fluren und Kämpe, bis sie endlich den Ort erreichen, wo über
kurz oder lang ein Ereignis eintreten soll. Da sehen sie denn,
wie die prasselnde Flamme ans dem Gebälk eines brennenden Hauses
funkensprühend zum Himmel emporschlägt, wie die Nachbarn sich
bemühen, das Mobiliar zu retten; oder sie müssen Zeuge sein,
wie ein langer Leichenzug sich aus dem Hause und die Straße entlang
fortbewegt, sie schauen alle die Leidtragenden, die dem Sarge folgen,
und sie kennen sie auch. Erst wenn der ganze Zug vorbeigezogen ist,
können sie umkehren, und damit ist auch das Gesicht verschwunden.
In dem Hause selbst aber liegt alles im tiefen Schlafe, und keiner
ahnt, daß in unmittelbarer Nähe desselben ein Mensch wandelt,
der von höherer Macht hierher gerufen ist, um kommende Er-
eigniffe zu schauen.
Solche Vorgeschichten sind in ihren Folgen unabänderlich und
alle Vorsichtsmaßregeln und Abwendungsversuche erweisen sich als
eitel und erfolglos. Die Seher wissen sogar ungefähr die Zeit,
wann das Ereignis eintreten wird. Je näher nämlich der Augen-
blick der Erscheinung der Morgenstunde lag, desto kürzer ist die
Frist zwischen dem Gesichte und der sich vollziehenden Thatsache.
Über diese Gesichte nur noch zwei Erzählungen, die eine
von dem münsterschen Dichter Junkmann und die andere von West-
salens einzigartigen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff.
Das Gesicht in der Heide des Münsterlttnders.
Aufspringt aus dem Schlaf die emsige Magd:
„Die Glocke schlägt, gewiß hat's getagt!"
Auf die Heide geht sie eilend hinaus,
Zu lesen die Reiser zum Mittag aus.
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T91: [Haus Fenster Wand Stein Dach Zimmer Holz Feuer Raum Decke]]
TM Hauptwörter (200): [T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 93 —
„Aber Hofschulze!" schrie der Pferdehändler, „aus Fordern
und Bieten besteht doch der Handel, und meinen eignen Bruder
überfrage ich, und wenn kein Vorschlagen in der Welt mehr ist,
so hört alles Geschäft auf!"
„Im Gegenteil," erwiderte der Hofschulze, „das Geschäft kostet
dann weit weniger Zeit, und es ist schon um deshalb prositlicher;
aber auch außerdem haben beide Teile von einem Handel ohne
Vorschlagen vielen Nutzen. Ich habe es immer erlebt, daß, wenn
vorgeschlagen wird, sich die Natur erhitzt und zuletzt niemand mehr
recht weiß, was er redet oder thnt. Da läßt denn der Verkäufer,
um nur dem Gehader ein Ende zu machen, die Ware oft unter dein
Preise, den er im Stillen bei sich festsetzte, und der Käufer seinerseits,
in der Begierde des Bietens, verthnt sich eben so oft. Ist aber gar
keine Rede von Ablassen, dann bleiben beide schon ruhig und
wahren sich vor Schaden."
„Da Ihr so vernünftig redet, so werdet Ihr meinen Antrag
jetzt besser erwogen haben," hob der Einnehmer an. „Wie gesagt,
die Regierung will alle Korngefälle der Höfe in hiesiger Gegend
in Geld umwandeln. Sie hat allein den Schaden davon, denn
Korn bleibt Korn, aber Geld ist heute so viel und morgen so viel
wert; indessen ist es nun einmal ihr Wille, um der Last des Auf-
speicherns quitt zu werden. Ihr thnt mir also den Gefallen und
unterschreibt diese neue, auf Geld lautende Urkunde, die ich da zu
diesem Behufe schon mitgebracht habe."
„Durchaus nicht," antwortete der Hofschulze eifrig. „Es ist
ein alter Glaube hier zu Lande, daß, wer seinem Hose eine Last
auflegt, dafür zur Strafe nach seinem Tode auf dem Hofe umgehen
muß. Ich weiß nicht, wie es damit beschaffen ist, aber das weiß
ich: vom Oberhofe sind seit vielen hundert Jahren nur Körner
abgeliefert worden, und damit wolle sich also das Rentamt be-
gnügen, wie das Stift sich ehedem damit begnügt hat. Wächst Geld
auf meinem Acker? Nein. Korn wächst darauf. Woher wollen
Sie also das Geld nehmen?" — „Ihr sollt ja nicht übervorteilt
werden!" rief der Einnehmer. — „Es muß alles beim Alten
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution]]
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 214 —
Rosse, welches die Felsenquelle mit seinen Husen schlägt, kühn und
sinnend darstellt. Der Schützenhos auf dem von vier alten Linden
beschatteten Lutterbergs verdient seinen vielen Besuch, weil er eine
herrliche Aussicht auf die Stadt gewährt.
Nördlich von ihr dehnt sich das Amt Herford-Hiddenhausen mit
Hiddenhausen, einem Dorfe von 1073 Eingesessenen, einem Gnte
Hiddenhausen und einer alten Ritterburg Bustede nebst Arode, die
1443 Gerhard Ii., Herzog von Jülich und Ravensbergischer Graf,
an den Ritter Lüdeke Nagel versetzte, dessen Nachkommen noch in deren
Besitze sind. Der frühere Meier zu Hiddenhausen war einer der
ersten Sattelmeier Herzog Wittekinds.
Westlich von dort wandern wir in das Amt und in den Markt-
flecken Enger. Dieser und namentlich die dortige Kirche ist ganz von
dem Andenken an die letzte friedliche Zeit Wittekinds verklärt. Wir
folgen den Sagen, die jedenfalls einen Kern geschichtlicher Wahrheit
enthalten.
Als Wittekind Christ geworden war und Frieden im Lande
herrschte, da beschloß er, sich einen Königssitz zu erwählen, in dem
er seine Freunde um sich versammeln könnte und beständig bliebe.
Drei Orte waren ihm besonders lieb: die Höhe von Bünde, der
Werder von Rehme und das fruchtbare weidenreiche rings von
Hügeln umschlossene Angerthal.
Da sprach er, welcher dieser Orte zuerst seine Kirche fertig
hätte, an dem wolle er wohnen. Alle drei bauten eifrig fort, Tag
und Nacht, und wie es die Werkleute nur vermochten, und wer weiß,
wes der Sieg geworden wäre, hätte nicht der Baumeister im Thale
seiner Kirche durch eine List den Preis verschafft. Buchstäblich hielt
er sich an des Königs Wort und baute die Kirche — ohne Turm.
Dieser Baumeister ist ein Mohr gewesen. Seinen Kopf hat er in
Stein ausgehauen und zu einem Wahrzeichen an die Kirche gesetzt.
Er steht hoch an der Ostseite. Es ist, als wenn er
seitwärts zu den beiden Kirchen hinblickt, denen er das Vorrecht
und die Ehre abgenommen. Außerdem begleitete seinen Kirchbau
ein besonderes Glück. Indem man glaubte, die Steine von weitem
holen zu müssen, wurden sie unerwartet und ganz nahe in einer
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T9: [Tempel Stadt Kirche Säule Zeit Gebäude Bau Mauer Haus Dom]]
TM Hauptwörter (100): [T57: [Weser Stadt Hannover Harz Osnabrück Leine Kreis Aller Land Elbe], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 346 —
Geh nicht hinaus in die Welt, in die Weite, bitten sie alle,
Bleibe bei uns und bei dir, heiter und sinnend allein.
Gehst du zum wallenden Feld, die Ähren jährlich vergeh'n,
Aber die Eichen rings — weißt du, wie lange sie steh'n?
Wallst du auf dunkelem Weg von der Wälle Gebüschen umwölbet,
Singt dir das Vögelein gern selige Lieder ins Herz.
Niemand begegnet dir, niemand vernimmst du, wenn nicht
die Sonne,
Blickend über den Steg freundlich dich Einsamen an,
Wenn nicht ein Weg, tiefschattig den deinen und lautlos
durchkreuzend,
Wenn nicht das schmucklose Kreuz heil'ge Gedanken dir weckt.
W. Junkmann.
4) Die Gesichte im Münsterlande.
Die Bewohner der Heide sind fast alle furchtsam und aber-
gläubisch. Von der Welt förmlich abgeschlossen, sind sie Gott und
sich selbst überlassen. Träumend und sinnend gehen sie einher,
stets mit sich selbst und ihren Gedanken beschäftigt. Und was die
sichtbare Welt ihnen versagt, das suchen sie in ihren Phantasien
und Vorstellungen aus dem Reich des Wunderbaren und Uber-
sinnlichen zu ergänzen. Da ist es leicht erklärlich, daß der Geist
sich in ferne Regionen verliert und die Lösung manchen Rätsels
in der unsichtbaren Welt sucht.
Namentlich ist die Sehergabe, das sogenannte zweite Gesicht,
unter diesem Volke auch heute noch verbreitet und die „Vorgeschichte"
spielt im Volksglauben eine wichtige Rolle. Ganz besonders sind
es Sterbefälle, Feuersbrünste und andere Ereignisse trauriger Art,
die durch Erscheinungen oder entsprechende Geräusche oder Klänge
vorgedeutet werden. Das Hören der Vorgeschichte ist unter diesen
Leuten etwas sehr Gewöhnliches und durchaus nicht auffällig, und es
möchte wohl kaum eine Familie zu finden sein, in welcher der
eine oder andere nicht schon eine Vorgeschichte gehört hätte. Wochen
und Monate vor der Katastrophe, wenn alles im Hanse noch ge-
suud und munter ist, hört der Mann oder die Frau oder ein anderer
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
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E. Sagen von der roten Grde.
Wie der erste Westfale erschaffen wurde.
Einst wandelte der Heiland mit dem Apostel Petrus durch die damals
noch öden und unbewohnten Fluren des Westfalenlandes. Petrus sprach
zum Herrn: „Willst dn nicht einen Menschen erschaffen, der diese Gegend
bewohne." Freundlich sprach der Herr: „Stoße mit deinem Fuß an
einen der Erdklumpen, der vor dir liegt." Da begann sich der Klumpen
zu regen. Es wuchs aus ihm hervor eiu Mensch von großer, kräftiger
Gestalt, der sofort anf den Apostel losging mit den drohenden Worten:
„Wat hiät hei my antaustänten." Erschrocken ergriff der Apostel die
Flucht. So war der erste Westfale erschaffen.
Sagen aus der heidnischen Vorzeit.
1. Wodan.
Die Erinnerung an Wodan, den Göttervater, hat sich in unserem
Volke bis auf die Gegenwart erhalten. Aus Wodan mit seinem Wolken-
Sleipnir ist der wilde Jäger geworden, der in der Zeit der heiligen zwölf
Nächte (Weihnachten bis Neujahr) anf seinxm Rosse, begleitet von einem
Rudel Hunde, unter lautem Halloh durch die Lüfte führt. Einst hatte er
einem Bauern einen Hund zurückgelassen. Allein der Hund rührte die
vorgesetzten Speisen nicht an, sondern fraß nur hin und wieder etwas
Asche. Da wollte ihm die Bäuerin einen Eierkuchen backen. Als aber
der Huud die Vorbereitungen sah, verschwand er.
Wold, Wold, Wold!
Der Himmelsriese weiß, was geschieht!
Stets er vom Himmel hernieder sieht.
Er hat volle Krüge und Büchsen.
Auf dem Holze wächst mancherlei.
Er war uicht Kind, und wird nicht alt.
Wold, Wold, Wold!
fo sangen noch im Anfang des vorigen Jahrhunderts die Ernte-
arbeiter im Schaumburgischen am Schluß der Roggeuerute, wenn ihnen
das sogenannte „Wodel" oder Wodansbier gereicht wurde.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober], T26: [Gott Christus Christ Volk Herr Jahr Kirche Land Zeit Jude]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr]]