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Streusand in acht, es ist ein widerlicher Anblick, wenn er so umherliegt
wie aus Ihrem Pulte."
Herr Mohrseld war an seinen Platz gekommen, den eine Barriere
von dem Saale schied, er deutete mit der Hand auf mich und auf einen
Stuhl und wendete darauf seine Aufmerksamkeit einer Menge von Briefen
zu, die seiner Ankunft harrten.
Eine tiefe Stille herrschte, die nur durch das eintönige Gekritzel der
Federn unterbrochen wurde, kein lautes Wort ward vernommen, und selten
hörte man hier und da ein unterdrücktes Zischeln. Von mir nahm kein
Mensch Notiz, keine Frage ward an mich gerichtet, ja nicht einmal ein
neugieriges Auge ruhte auf mir.
Der Kaufmann hatte die Durchsicht der Briefe beendet, er rief mehrere
junge Männer herbei und beauftragte sie mit ihrer Beantwortung.
„Um 1 Uhr muß alles zur Unterschrift fertig sein! — Sie, Herr Becker,
müssen sich vorsehen, damit Sie in den ftanzösischen Briefen nicht wieder
wie neulich Fehler einschleichen lassen. Sie arbeiten zu schnell, zu flüchtig;
nehmen Sie Herrn Horst zum Muster, seine englische Korrespondenz ist
eine Musterkorrespondenz. Übrigens merke ich bei Ihnen seit kurzem eine
Neuerung, die nichts taugt. Sie schreiben einen wunderlichen, Phrasen-
haften Stil und brauchen mitunter drei Zeilen, wo drei Worte ausreichen.
Unterlassen Sie das! Dergleichen Wortprunk ist überall eine Narrheit,
bei einem Kaufmann ist er es doppelt; aber das kommt von den un-
finnigen neuen Romanen und Almanachen, die Sie unaufhörlich lesen, die
Sie noch für jede solide Beschäftigung unfähig machen werden. Ich habe
Sie gewarnt, seien Sie auf Ihrer Hut!"
Das waren glänzende Aussichten! Welche Aufnahme konnte ein
Romanschreiber von einem Manne erwarten, der solche Ansichten hegte?
Zum Überfluß wandte sich noch Herr Mohrfeld in diesem Augenblicke zu
mir und sagte ziemlich kurz: „Nun, mein Herr, an unser Geschäft!"
„Zu Befehl!" stotterte ich und überreichte ihm meinen Brief; aber
-roch hatte er denselben nicht geöffnet, als wir durch einen dritten unter-
brochen wurden.
„Sieh da! Guten Morgen, Herr Kapitän Heysen!" rief der Kaufmann
lebhaft. „Sie kommen wahrscheinlich, um Abschied zu nehmen? Reisen
Sie glücklich, und bringen Sie sich und Ihre Mannschaft gesund zurück,
geben Sie mir auf Schiff und Ladung wohl acht, und machen Sie mir
keine Havarie (Seeschaden)! — Ihrer Frau sagen Sie, daß sie sich in
vorkommenden Fällen nur dreist an mich wenden soll. — Wenn Sie eine
einigermaßen gute Gelegenheit haben und sie geschickt zu benutzen verstehen,
sind Sie vor Weihnachten wieder hier. — Nun, adieu, Kapitän, Sie
haben" — hier warf er einen Seitenblick auf den Kalender — „keine
Zeit zu verlieren, es ist hoch Wasser; das Schiff löst die Taue, und ich
habe es nicht gern, wenn meine Kapitäne sich zum Blankeneser Sande
oder gar bis zur Lühe nachsetzen lassen. — Glückliche Reise!"
Der Kapitän beurlaubte sich, und ein anderer Mann nahm seinen
Platz ein. „Guten Morgen, Herr Flügge! Was bringen Sie mir?"
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zum nächsten Stockwerk in einen ungeheuren Saal, von dessen
Decke Hunderte von Treibriemen sausend ebensoviele Webstühle
in Bewegung setzen. Das überwältigende Geklapper und Ge-
rassel, das blitzschnelle Auf- und Niederschlagen der Ketten,
das unaufhörliche Hin- und Herschießen der Schiffchen bilden
ein Durcheinander, das jeder Beschreibung spottet. Vor jedem
Webstuhl steht, gespannt aufpassend und zugreifend, sobald es
nötig ist, ein Arbeiter oder eine Arbeiterin; sie sehen bleich und
müde aus, als ob die feuchte Staubatmosphäre und der nerven-
erschütternde Lärm ihnen alle Frische genommen hätten. Nur
einen Blick noch werfen wir auf die so verschiedenen hier ge-
fertigten Gewebe und atmen erst wieder freier auf, nachdem
wir die Mauern des Fabrikgebäudes hinter uns haben. Nun
haben wir die wichtigsten Teile des Spinnereiverfahrens kennen
gelernt; doch unser Führer ruht nicht, bis er uns auch das
Appreturverfahren, das Sengen und Bleichen, das Strecken und
Kalandern (Glätten) gezeigt hat, das in den Nebengebäuden aus-
geführt wird. Jetzt erst fahren wir, nicht ohne uns zuvor von
dem Baumwollenschnee gründlich gereinigt und dem Fabrikleiter
unsern Dank ausgesprochen zu haben, wieder nach Manchester,
dessen rauchgeschwärzten Mauern wir am nächsten Morgen um
so lieber den Rücken kehren, als uns ein Aufenthalt in ländlicher
Behaglichkeit winkt. Opitz.
Per Wertrieb der Waren.
Fern auf der Reede ruft der Pilot, es warten die Flotten,
die in der Fremdlinge Land tragen den Heimischen Fleiß;
andere zieh'n frohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne,
hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz.
Schiller.
86. Ein Morgen auf einem großen Hamburger Kontor.
Ein junger Schriftsteller ist, weil ihm das Geld ausgegangen, außer stände,
seine Reise, so dringlich sie anch ist, von Hamburg aus weiter fortzusetzen. Glück-
licherweise besinnt er sich noch auf einen Empfehlungsbrief an ein großes Handels-
paus, Mohrfeld in Hamburg, den er aus Unachtsamkeit abzugeben unterlassen hat.
Sofort macht er sich, um dort eine Summe aufzunehmen, früh acht Uhr nach
der Deichstraße auf, wo Herr Mohrfeld wohnen sollte. Er selber erzählt weiter:
Halt! Hier auf dem Hopfenmarkte muß ich einen Augenblick stehen
bleiben — jener kurze, dicke Mann im blauen Oberrock, mit dem schlicht-
gekämmten braunen Haar, dessen fleischiges Angesicht plump und nichts-
sagend aussieht, hat sich ein Gericht Fische gekauft, schickt einen Arbeits-
mann damit ab und setzt seinen Weg weiter fort. Beide Hände auf dem
Rücken, das Auge an den Boden geheftet, geht er leise brummend in die
Deichstraße hinein. Ohne daß er irgend Notiz von mir nimmt, schreiten
wir nebeneinander hin und flehen endlich vor demselben Hause still. Da
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sicherte der Berichterstatter, daß es ihm trotz der schnellen Fahrt vollständig
gelungen wäre, die Gänse auf einer Wiese in der Nähe von Steglitz zu
zahlen. Und das würde wohl jedem Berliner mit ruhigem Blicke gleich-
falls möglich sein.
Diese Voraussetzung bewährte sich vollkommen. Die Bahn wurde
fertig. Die Berliner zählten die Gänse, wenn solche da waren, und ge-
wöhnten sich dermaßen an die Geschwindigkeit, daß man sehr bald die
ganze Fahrt bis Potsdam in anderthalb Stunden abmachen konnte.
Als am» Ende gar noch die Eisenbahn die Post auf den Rücken
nahm und mit ihr in die Welt hineinjagte, vertrauten sich selbst Posträte
ihr an und fanden, daß die Welt nicht ihrem Untergange deshalb zueile.
Von da ab wühlte der böse Zeitgeist gar schrecklich in der unruhigen
Menschheit. Man begnügte sich nicht mehr, mit all den Eisenbahnen nach
allen Seiten hin gewaltige Reisen, auf denen man sonst Wochen zu-
brachte, in einem Tage abzumachen; nein, man faßte den Entschluß, auch
ñachis die Reisenden zu befördern.
Mitten in der Nacht? Gar durch die ganze Nacht? Es war ein
erschreckender Gedanke l Wer wird denn des Nachts reisen? Wer anders
will denn des Nachts reisen als Diebe und Mörder? Wird es selbst
der wachsamsten Polizei möglich sein, hierüber eine Kontrolle auszuüben?
Die verwegene Idee erregte Schaudern in allen redlichen Gemütern, die
da wissen, daß die Nacht keines Menschen Freund ist. Man mochte sich
Nur mit dem Gedanken trösten, daß die Nachtzüge gewiß nur sehr, sehr
langsam fahren und nur ganz solide Reisende befördern werden, die den
Nachweis führen, daß sie durch besondere Umstände genötigt find, zu
Nachtreisen ihre Zuflucht zu nehmen.
In der Tat begannen die Nachtzüge zuerst mit langsamen Fahrten;
«her nach kurzer Zeit kehrte sich die Weltorduung vollständig um, die
Nachtzüge wurden die Jagdzüge, und viele Leute finden jetzt, daß das
Reisen am Tage eine Zeitverschwendung ist, da mau im Schlafcoupä, i«
das man in Berlin abends einsteigt, vortrefflich ruht und am Morgen in
Köln frisch und munter ist, um dort seine Geschäfte abzuwickeln.
Und merkwürdig! Die statistischen Aufnahmen beweisen, daß von
allen Unfällen, die Eisenbahnreisende betreffen, gerade die Nachtfahrer am
allermeisten verschont bleiben. Bernstein.
93. Der letzte Postillon.
Bald ist, soweit die Menschheit haust,
der Schienenweg gespannt;
es keucht und schnaubt und stampft und
saust
das Dampfroß rings durchs Land.
Und wied'rum in fünfhundert Jahr'
weiß der Gelahrtste nicht
zu sagen, was ein kfaudrer war,
was Fuhrmanns Recht und Pflicht.
Nur in der Nacht der Sonnenwende
wo dunkle Schemen gehn,
wird zwischen Grd' und Firmament
ein fremd Gespann gesehn.
Der Schimmel trabt, die peitsche
schwirrt,
laut schmettert posthornton.
Als Geist kommt durch die Luft kutschiert
ein greiser Postillon.
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377
sobald die schwarzen Männer fertig sind mit ihrer schmutzigen Arbeit
und das Scheuern der Decks begonnen hat. Alle sinden sich wieder zu-
sammen, und alle haben zu erzählen, und die meisten schimpfen.
Nun werden die Taue gelöst, und die Reise geht weiter. Links sieht
man die großen Kohlcnschifse aus England und die mächtigen Bagger,
die fast immer zu tun habe» im Kanal, um den nachdrängenden Wüsten^
fand hinauszuschaffen über die Ufer; rechts im Kriegshafen liegen englische
und italienische Kriegsschiffe, reich beflaggt. Nun sind wir im Kanal, und
langsam fährt das Schiff dahin. Rechts ist gelbbraune Wüste, und links
ist gelbbraune Wüste, so weit das Auge reicht. Der Kanal ist eng, und
wir legen an, wenn uns ein anderes Schiff begegnet. In der Nacht
sieht es prächtig aus. Eine Feuerwolke taucht auf in der Ferne. Immer
Heller wird sie, und immer näher kommt sie. Taghell ist der Kanal
erleuchtet durch die elektrischen Scheinwerfer, die an Bord genommen
sind und am Vorderbug der Schiffe hängen. Jetzt gleiten sie stumm an
uns vorbei mit ihren vielen Laternen und Lichtern, und von neuem setz:
sich unser Schiff in Bewegung. Nach zwauzigstündiger Fahrt verlasse»
wir den Kanal und kommen in den Meerbusen von Suez, an die Stätte,
wo die Kinder Israel das Meer durchschritten haben. Rechts sieh: man
hohe, kahle Berge, vor denen Israel gelagert hat. Links liegt eine Oase
mit Wasser und Palmen, der Mosesbrunnen genannt, weiterhin in der
Ferne erblickt man das Sinaigebirge und das Siuaikloster, und nun sind
wir im weiten Roten Meer.
Da begegnet uns ein Schiff des Österreichischen Lloyds. Das ist eiiu
befreundete Linie; höflich nimmt man gleichsam den Hut ab, indem dir
Flaggen am Hintersteven gesenkt werden. Bald muß uns auch ein
Schwesterschiff unserer Linie begegnen, das aus Ostafrrka Zurückkehrt,
wohin wir steuern. Jetzt taucht es aus, das Fernrohr zeigt deutlich
den silbergrauen Anstrich des Schiffes und die breiten Ringe um den
Schornstein in den deutschen Farben. Dicht fahren wir aneinander vorbei,
die Flaggen werden gesenkt, die Dampfpfeifen erdröhnen dreimal zum
Gruß, alle Passagiere schwenken mit den Tüchern und rufen Hurra! Viele
bestellen in ihrem Herzen Grüße an die Heimat. Dann ist alles wieder
still, und unaufhaltsam geht es weiter nach Aden zu.
Immer heißer brennt die Sonne, schon haben wir den Wendekreis
des Krebses überschritten, ein doppeltes Segeltuch ist über das ganze
Schiff gespannt, alle Passagiere erscheinen in Weiß, liegen auf ihren
Stühlen und schwitzen. Schön ist es nur an den Abenden, wenn die
Schiffskapelle spielt und die Sterne funkeln. Viele Passagiere bringen die
ganze Nacht aus dem Deck zu, weil es nicht auszuhalten ist in den engen
Kabinen. Wie schrecklich muß es den armen Heizern ergehen, die tief
unten im Schiff ihre Arbeit tun! Europäer halten es nicht aus. Des-
halb werden in Aden Araber dafür geworben. Es geht das Gerücht,
daß ein Heizer den Hitzschlag bekommen hat. In der Nacht stoppt die
Maschine einen Augenblick. Alle Eingeweihten wissen, jetzt ist der Leichnam
in die See geworfen. Auch ein Passagier der ersten Kajüte ist schwer
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Extrahierte Ortsnamen: England Suez Israel Israel Ostafrrka
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Das Schiff geborsten, das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
*
* *
Alle Glocken geh'n; ihre Töne schwell'n
himmelan aus Kirchen und Kapell'n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
e i n Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug' im Zuge, das tränenleer.
Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldener Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
„Hier ruht John Maynard. In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand;
er hat uns gerettet, er trägt die Krön',
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Theodor Fontane.
37. Erste Hilfe bei Unglücksmen.
i.
Es war an einem schönen Sommertag im vorigen Jahre, als
auf schaumbedecktem Rosse ein Reiter vor mein Haus sprengte mit
der Nachricht, daß auf einem großen Gute, welches mehr als zwei
Meilen von hier entfernt liegt, der einzige Sohn der Besitzerin, einer
Witwe, in den Teich gefallen und ertrunken sei. Sie ließ mich bitten,
so rasch als möglich zu ihr zu kommen. Ich ließ sofort anspannen
und fuhr, was die Pferde laufen konnten, hinaus, allerdings ohne
Hoffnung, noch helfen zu können; denn vor zwei Stunden konnte ich
kaum an Ort und Stelle des Unglücks sein. Als ich eintraf, kam
mir die Mutter jubelnd entgegen mit der Nachricht, daß der Knabe
gerettet sei. Es ward mir nun folgendes berichtet: Der zehnjährige,
wilde Knabe hatte trotz des Verbotes einen Kahn bestiegen, der auf
einem tiefen Teiche im Garten lag, und hatte, wie Kinder es gern
tun, darin so lange geschaukelt, bis der Kahn umgeschlagen und der Knabe
ins Wasser gefallen war. Ein Gärtner, der in der Nähe arbeitete,
war sogleich in den Teich gesprungen, doch war es ihm erst nach
zehn Minuten gelungen, den Knaben vom Grunde des Teiches herauf-
zuholen. Als die Mutter herankam und den Knaben totenblaß und
leblos auf dem Rasen am Rande des Teiches hingestreckt liegen sah,
gab sie sich der wildesten Verzweiflung hin. Der Ruf nach ärztlicher
Hilfe war natürlich für den Augenblick vergeblich. Die Bewohner
des Gutes eilten von allen Seiten herbei, unter ihnen ein alter
Schäfer, der in dem Rufe stand, allerlei ärztliche Kenntnisse zu be-
sitzen. Dieser machte auch sogleich Vorschläge zu Wiederbelebungs-
versuchen: er riet, das Kind bei den Beinen in die Höhe zu heben
und mit dem Kopf nach unten so lange zu schütteln, bis alles Wasser
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124
entstanden in einer Stiftfabrik in Schweden. Das bewegliche
Gestell des Schirmes wurde in Berlin aus Einteilen zusammen-
gesetzt, die in einem walz- und Hüttenwerk im Saargebiet gewalzt
waren. Die Fischbeinspitzen des Gestells stammen von einem Wal-
fische, den bei Grönland schottische Walfischfänger erlegten und
dessen Barten in London auf den Markt gebracht wurden. Der
Seidenstoff, mit dem das Gestell überspannt ist, wurde in Chemnitz
gewebt. Die Seide stammt aus China und wurde von einer Roh-
seidenhandlung in Arefeld gekauft. Die Baumwolle, die dem Seiden-
stoffe beigewebt ist, wuchs in Virginia in Nordamerika, wurde in
der englischen Fabrikstadt Bradford gesponnen und durch Vermittlung
eines Hamburger Dauses bezogen. Die Anilinfarbe, mit welcher der
Stoff gefärbt ist, wurde in der großen chemischen Fabrik zu höchst
am Main hergestellt aus einem Steinkohlenteer, der rheinaufwärts
von der Gasanstalt zu Aöln gekommen war, in der man Gas aus
Aohlen des Ruhrgebietes gewinnt. Das Gummibändchen, das den
Aberzug des geschloffenen Schirmes zusammenhält, wurde in Han-
nover aus Gummi angefertigt, den man aus dem Innern Afrikas
über Kamerun bezog, und der dem Bändchen eingewebte Hanf
kam von Manila. Der aus einem Eisenröhrchen zusammengebogene
Ring, durch den das Gummiband über einen Anopf gespannt wird,
wurde in einem Aleineisenwerke Schlesiens hergestellt. Den Anopf
für diesen Ring hatte man in Thüringen aus dem Hörne eines
Büffels gedreht, der in den Pampas Argentiniens erlegt worden war.
Die aus Aluminiumbronze bestehende kleine Glocke, die sich über die
Bügelspitzen des geschloffenen Schirmes schieben läßt, wurde in Wien
gearbeitet. Von Paris hatte man die Seidenschnur mit Quaste be-
zogen, die um den Griff geschlungen ist. Es war dazu Seide ver-
wendet, die in Lyon gesponnen und gefärbt wurde. Die Rohseide
dazu hatte eine Seidenwurmzüchterei bei Mailand geliefert. Die
Papphülsen, über welche die Aöpfe der Seidenquaste gesponnen sind,
waren aus einem Holzfaserstoffe hergestellt, der von Hölzern aus den
Waldungen der Pyrenäen herkam.
Man erwäge nun, welch mannigfaltige Arbeiten erforderlich
waren, um die zur Verwendung gekommenen Rohstoffe zu gewinnen,
zu verarbeiten, die Teilfabrikate heranzuschaffen und zur Fertigstellung
des Schirmes zusammenzu fügen. Es mußten Berg- und Hülten-
werke angelegt und betrieben, Bodenerzeugniffe angebaut und geerntet
werden, Gebäude der verschiedensten Art errichtet, Araft und Arbeits-
maschinen mannigfacher Anordnung gebaut und in Betrieb gesetzt
werden. Zur Heranschaffung der Stoffe waren Lastträger und Pack-
tiere auf den schmalen Pfaden unkultivierter Länder in mühseliger
Arbeit tätig; die Stoffe wurden auf Schlitten in eisigen Gefilden,
durch Lastwagen auf rohen wegen und Landstraßen, auf Eisenbahnen,
in Fluß- und Seeschiffen, in Seglern und stolzen Dampfern
herbeigeschafft. welche Anstrengungen mußten dabei gemacht,
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Extrahierte Ortsnamen: Schweden Berlin London Chemnitz China Arefeld Virginia Nordamerika Main Afrikas Kamerun Manila Schlesiens Thüringen Argentiniens Wien Paris Lyon Mailand
223
andere machen sich fertig zur Abreise. Unaufhörlich keuchen die Dampfwinden
an Bord der Dampfer, aus drei Luken zugleich werfen sie Baumwolle,
Wolle, Felle, Kleesaat, Getreide, Tabaksfäsfer, Ballen, Kisten usw. her-
vor, und schon sehen wir unten, dicht über der Wasserlinie andere Mann-
schaften beschäftigt, westfälische Kohle einzuladen; denn die Belastung muß
immer möglichst gleichmäßig bleiben.
Hundert Schritte weiter liegt ein anderer Dampfer, der in wenigen
Stunden den Hafen verlassen will. Eben wird die letzte Hand an die
Überladung der Güter aus dem langseits des Schiffes haltenden Eisen-
bahnzuge gelegt; Zuckerkisten, Spritfäsfer, Ballen und Kisten mit Chemnitzer
Strumpfwaren, Lausitzer Tuchen, Berliner Wäscheartikeln, Barmer Litzen,
Krefelder Seidenstoffen, Stuttgarter Trikots, Nürnberger und Sonneberger
Spielwaren fliegen noch an Bord, wo hundert rüstige Hände sie in
Empfang nehmen und verstauen. Schon kommt der Extrazug mit den
Zwischendeckspaffagieren, fünfhundert, ja sechshundert Menschen steigen
heraus und klettern, beladen mit ihren Habseligkeiten, die schwanke
Schiffstreppe hinan, wo alles zu ihrem Empfange vorbereitet ist und
eine militärische Ordnung es ermöglicht, jeden Ankömmling sofort aus
den für ihn geeigneten Platz zu schaffen. In langen Reihen stehen die
Kojen da, Matratze und Wollendecke auf jeder Schlafstätte, Rettungsgürtel
unter jedem Kopfkissen. Endlich ist alles untergebracht, die Seeleute
haben wieder allein das Regiment auf Deck, wo alles zur Abreise klar
gemacht wird. Da kommt noch der letzte Extrazug mit den Kajüts-
paffagieren; ihrer sind nicht so viele, auch sie werden bald übernommen.
Damit ist endlich auch der Augenblick gekommen, wo die Flut hoch genug
gestiegen ist, daß die Hafenschleusen geöffnet werden können. Ein kleiner
kräftiger Schlepper spannt sich vor das im langsamen Tempo so unbehilfliche
Riesenschiff, und unter lautem Hurra derer an Bord und der Zurück-
bleibenden, unter Hüteschwenken und Abschiedstränen geht es aus dem
Hafen auf die Reede, wo die Schraube des Dampfers sich in Bewegung
setzt und dieser bald am Horizonte verschwindet. Manchmal bleibt es nicht
bei einem Dampfer; einer geht nach Neuyork, ein zweiter nach Baltimore
folgt, vielleicht sogar ein dritter nach Galveston, ein vierter nach Süd-
amerika; einer der kleinen Englandfahrer gesellt sich Wohl auch noch
dazu. Auf der Reede liegen schon wieder heimgekommene Schiffe, die den
letzten Schritt in den sicheren Port machen müssen. So bietet sich dem
Auge des Fremden ein buntes und interessantes Bild dar, und auch wer
es oft gesehen, pflegt doch zu verweilen, bis die Ebbe beginnt und
die Schleusen wieder geschlossen werden.
Nach Westermanns Monatsheften.
98. Die Weltpo».
Aus meinen ftühesten Kinderjahren ist mir eine Erinnerung geblieben,
die jedesmal in meiner Seele auftaucht, wenn ich von einem Briefe aus
Amerika sprechen höre. Damals kam nämlich in das Haus meiner Eltern
TM Hauptwörter (50): [T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe]]
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Extrahierte Personennamen: Barmer
Extrahierte Ortsnamen: Neuyork Baltimore Westermanns_Monatsheften Amerika
376
zum Suezkanal. Ein kleines Boot dampft uns entgegen, es bringt den
Lotsen. Die Maschine stoppt, und eine Strickleiter wird über Bord
geworfen. An ihr klettert der wetterfeste Mann in die Höhe; nachdem
er auf die Kommandobrücke gestiegen ist, geht es unter Volldampf vor-
wärts um eine Mole herum, die den Hafen schützt vor den mächtig
andrängenden Wellen. Noch ist das Schiff nicht zum Stehen gebracht,
da umschwärmen uns schon die Boote der Händler; denn Port-Said leb:
von den Fremden, und alle wollen verdienen. Die Stewards haben unz
schon vor ihnen gewarnt und alle Türen und Fenster der Kabinen
verschlossen. Die Falltreppe ist hinuntergelassen, doch auf ihr können sie
nicht herauf; denn ein Matrose steht dort und droht mit dem Tauende.
Was machen sie da? Hier ist eine Kette, und dorr läßt sich ein Strick
befestigen, an ihm klettern sie in die Höhe, und in kurzem wimmelt es
auf dem Deck von braunen und gelben Leuten, und alle preisen ihre
Waren an, zumeist in englischer Sprache, doch hört man auch deutsche
Brocken dazwischen. Da gibt es Seidenstoffe, Schmucksachen, Kleidungs-
stücke, Bernsteinketten, Straußeneier, Olivensachen von Jerusalem, Photo-
graphien, Früchte und alles mögliche andere, das mehr oder weniger
brauchbar ist. Wir bieten die Hälfte vom geforderten Preis, und sofort
wird uns der Gegenstand überreicht, er ist verkauft, und wir sind betrogen.
Bieten wir den vierten Teil, so lachen sie uns verständnisvoll an und
gehen weiter, sie wissen, daß sie es mit einem Alten zu tun haben.
Doch jetzt wird es ungemütlich auf dem Schiffe; denn mächtige
Kohlensähren haben sich an seinen Rumpf gelegt, und Korb/ auf Korb
werden die Kohlen hineingeschüttet in seinen geöffneten Bauch. Ein feiner
schwarzer Staub verbreitet sich über das ganze Schiff und legt sich aus
Gesicht und Kleider der Menschen.
Wer irgend kann, eilt deshalb an Land und besieht sich die Stadt.
Was ist das für ein Gewühl' Man wird fast erdrückt von all den
Eindrücken, die hier zum erstenmal mit ihrer ganzen Frische aus uns ein-
dringen. Alle Völker des Orients sind ja hier zusammengeströmt, alle
Rafsesarben sind vertreten, alle Sprachen werden gesprochen, alle Trachten,
sind zu sehen. Port-Said ist eng gebaut, um Schatten zu gewinnen,
Laden an Laden, Hotels, Konsulate, Banken, Magazine, nur wenige
Privathäuser! Führer drängen sich heran und lassen sich schwer zurück-
weisen , sie zeigen und erklären und verlangen Bezahlung. Man steht
einen Augenblick am Schaufenster, sofort merkt man ein sanftes Reiben
an den Füßen. Ein schwarzer Junge kauert am Boden und putzt die
Stiesel; man geht unwillig fort, doch er folgt nach, immer bereit, den
günstigen Augenblick wieder zu erhaschen und weiter zu putzen. Man
flüchtet sich in ein Cafe und steckt die Füße unter den Tisch. Es dauer;
nicht lange, so werden die Füße wieder durch Bürsten erwärmt. Der
Junge ist unter den Tisch gekrochen und verlangt nun Bezahlung. „Gib
mir 50 Pfennig," wurde einem meiner Freunde gesagt, „dann bist du
mich los."
Unter solchen Umständen kehrt man gern auf das Schiff zurück
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