181
„Ja, Vater," rief der unverschämte Knabe,
„Ihr mögt mir's glauben, oder nicht,
so sag ich's Euch und jedem ins Gesicht,
daß ich einst einen Hund — bei Haag ge-
sehen habe,
hart an dem Weg, wo man nach Frankreich
., . fährt,
der — na, rch bin nicht ehrenwerth,
wenn er nicht größer war, als Euer größte«
Pferd"
„ Das," sprach der Vater, „nimmt mich
Wunder,
wiewohl ein jeder Ortläßt Wunderdinge sehn;
wir zum Exempel gehn jetzunder
und werden keine Stunde gehn,
so wirst du eine Brücke sehn
(wir müssen selbst darüber gehn),
die hat dib manche)? schön betrogen
(denn überhaupt solls dort nicht gar zu
richtig sein);
auf dieser Brücke liegt ein Stein;
an den stößt man, wenn man denselben Tag
gelogen,
und fällt und bricht sogleich ein Bein.
Der Bub' erschrak, sobald er dies ver-
nommen.
„Ach!" sprach er, „lauft doch nicht so sehr!
Doch wieder auf den Hund zu kommen,
wie groß, sagt' ich, daß er gewesen wär'?
Wie Euer großes Pferd? Dazu will viel
gehören.
Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein
halbes Jahr;
allein daö wollt' ich wohl beschwören,
daß er so groß als mancher Ochse war."
Sie gingen noch ein gutes Stücke;
doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt'
es anders sein?
denn niemand bricht doch gern ein Bein.
Er sah nunmehr die richterische Brücke
und fühlte schon den Beinbruch halb.
„Ja, Vater," fing er an, „der Hund, von
dem ich red'te,
war groß, und wenn ich ihn auch was ver--^.
größert hätte,
so war er doch viel größer als ein Kalb."
Die Brücke kommt. Fritz, tfritz, wie wird
dir's gehen!
Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn
geschwind.
„Ach, Vater," spricht er, „seid kein Kind
und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen;
denn kurz und gut, eh' wir darüber gehen:
der Hund war nur so groß, wie alle Hunde
sind."
36. Der Riese Goliath.
1. War einst ein Riese Goliath,
gar ein gefährlich Mann;
er hatte Tressen auf dem Hut
mit einem Klunker dran,
und ein von Silber strotzend Kleid
mit einem Saum, wer weiß wie breit!
2. An seinen Schnurrbart sah man nur
mit Schauder und mit Graus;
und dabei sah er von Natur
pur wie der Satan aus.
Sein Sarras war, man glaubt es kaum,
so groß schier, als ein Weberbaum.
3. Er hatte Knochen wie ein Gaul,
und eine freche Stirn,
und ein entsetzlich großes Maul,
und nur ein kleines Hirn;
gab jedem einen Rippenstoß
und flunkerte und prahlte groß.
4. So kam er alle Tage her
und sprach Israel Hohn.
„Wer ist der Mann? Wer wagt's mit mir?
Sei's Vater oder Sohn!
Er komme her, der Lumpenhund!
Ich bax' ihn nieder auf den Grund."
5. Da kam in seinem Schäferrock
ein Jüngling, zart und fein,
er hatte nichts, als seinen Stock,
als Schleuder und den Stein,
und sprach: „Du hast viel Stolz und Wehr,
ich komm' im Namen Gottes her."
6. Und damit schleudert' er aus ihn
und traf die Stirne gar;
da fiel der große Esel hin,
so lang und dick er war.
Und David haut' in guter Ruh'
ihm nun den Kopf noch ab dazu.
7. Trau' nicht auf deinen Tressenhut,
noch auf den Klunker dran!
Ein großes Maul es auch nicht thut,
das lern' vom langen Mann;
und von dem kleinen lerne wohl,
wie man mit Ehren fechten soll.
37. Peter in der Fremde.
1. Der Peter will nicht länger bleiben,
er will durchaus fort in die Welt.
Dies Wagestück zu hintertreiben,
der Mutter immer schwerer fällt.
„Was willst du," spricht sie, „draußen machen?
du kennst ja fremde Menschen nicht;
dir nimmt vielleicht all' deine Sachen
der erste beste Bösewicht."
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Extrahierte Personennamen: Fritz David David Peter
183
38. Der brave Mann.
1. Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
wie Orgelton und Glockenklang.
Wer hohes Muths sich rühmen kann,
den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
zu singen und preisen den braven Mann.
2. Der Thauwind kam vom Mittagsmeer
und schnob durch Wclschland trüb und seucht.
Die Wolken flogen vor ihm her,
wie wann der Wolf die Herde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;
auf Seen und Strömen das Grundeiö borst.
3. Am Hochgebirge schmolz der Schnee;
der Sturz vcn tausend Wassern scholl;
das Wiesenthal begrub ein See;
des Landes Heerstrom wuchs und schwoll.
Hoch rollten die Wogen, entlang ihr Gleis,
und rollten gewaltige Felsen Eiö.
4. Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,
aus Quaderstein von unten auf,
lag eine Brücke drüber her,
und mitten stand ein Häuschen drauf.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind.
„Ozöllner, ozöllner, entfleuch geschwind!"
5. Es dröhnt' ilud dröhnte dumpf heran;
laut heulten Sturm und Wog' ums Hand;
der Zöllner sprang zum Dach hinan
und blickt' in den Tumult hinaus.
„Barmherziger Himmel, erbarme dich!
Verloren! verloren! Wer rettet mich?"
6. Die Schollen rollten, Schuß auf Schuß,
von beiden Ufern, hier und dort;
von beiden Ufern riß der Fluß
die Pfeiler sammt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner niit Weib und Kind —
er heulte noch lauter, als Strom und Wind.
7. Die Schollen rollten, Stoß auf Stoß,
an beiden Enden, hier und dort;
zerborsten und zertrümmert schoß
ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich.
„Barmherziger Himmel, erbarme dich!"
8. Hoch auf dem fernen Ufer stand
ein Schwarm von Gaffern, groß und klein,
und jeder schrie und rang die Hand;
doch mochte niemand Netter sein-
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
durchheulte nach Rettung den Strom und
Wind.
9. Wann klingst du, Lied vom braven
Mann,
wie Orgelton und Glockenklang?
Wohlan, so nenn' ihn, nenn' ihn dann!
Wann nennst du ihn, mein schönster Sang?
Bald nahet der Mitte der Umsturz sich:
o braver Mann, braver Mann, zeige dich I
10. Nasch galopirt ein Graf hervor,
auf hohem Roß ein edler Graf.
Was hielt deö Grafen Hand empor?
Ein Beutel war es, voll und straff.
„Zweihundert Pistolen sind zugesagt
dem, welcher die Rettung der Armen
wagt!"
11. Wer ist der Brave? Jst's der Graf?
Sag' an, mein braver Sang, sag' an!
Der Graf, beim höchsten Gott, war brav;
doch weiß ich einen bravern Mann. —
O braver Mann, braver Manu, zeige dich!
Schon naht das Verderben sich fürchterlich.
12. Und immer höher schwoll die Flut,
und immer lauter schnob der Wind,
und immer tiefer sank der Muth. —
„O Retter, Netter, komm' geschwind!"
Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach;
laut krachten und stürzten die Bogen nach.
13. „Halloh! halloh! frisch auf gewagt!"
Hoch hielt der Graf den Preis empor.
Ein jeder hört's, doch jeder zagt;
aus Tausenden tritt keiner vor.
Vergebens durchheulte mit Weib und Kind
der Zöllner nach Rettung den Strom und
Wind.
14. Sich, schlecht undrccht, ein Bauersmann
am Wanderstabe schritt daher,
mit grobem Kittel angethan,
an Wuchs und Antlitz hoch und hehr.
Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort
und schaute das nahe Verderben dort.
15. Und kühn in Gottes Namen sprang
er in den nächsten Fischerkahu.
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang
kam der Erretter glücklich an.
Doch wehe! der Nachen war allzu klein,
der Netter von allen zugleich zu sein.
16. Und dreimal zwang er seinen Kahn
trotz Wirbel, Sturm und Wogcndrang,
und dreimal kam er glücklich au,
bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die Letzten in sichern Port,
so rollte das letzte Getrümmer fort.
17. Wer ist, wer ist der brave Mann?
Sag' an, sag' an, mein braver Sang!
Der Bauer wagt' ein Leben dran,
doch that er's wohl um Goldesklaug?
Denn spendete nimmer Per Graf sein Gut,
so wagte der Bauer vielleicht kein Blut.
18- „Hier," rief der Graf, „mein wackrer
Freund,
hier ist der Preis! Komm' her, nimm hin!"
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189
sie selbst ist nun verfallen,
die Stätte wüst und leer;
du fragest nach den Riesen,
du findest sie nicht mehr.
2. Einst kam das Riesenfräulein
aus jener Burg hervor,
erging sich sonder Wartung
und spielend vor dem Thor,
und stieg hinab den Abhang
bis in das Thal hinein,
neugierig zu erkunden,
wie's unten möchte fein.
3. Mit wen'gen raschen Schritten
durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach
das Land der Menschen bald,
und Städte dort und Dörfer
und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen
gar eine fremde Welt.
4. Wie jetzt zu ihren Füßen
sie spähend niederschaut,
bemerkt sie einen Bauer,
der seinen Acker baut;
es kriecht das kleine Wesen
einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne
der Pflug so blank und klar.
5. „Ei, artig Spielding!" ruft sie,
„das nehm' ich mit nach Haus;"
sie knieet nieder, spreitet
behend ihr Tüchlein aus,
und feget mit den Händen,
was da sich alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein,
das sie zusammenschlägt.
6. Und eilt mit freud'gen Sprüngen
(man lveiß, wie Kinder sind)
zur Burg hinan und suchet
den Vater auf geschwind:
„Ei, Vater, lieber Vater,
ein Spielding wunderschön!
So Allerliebstes sah ich
noch nie auf unsern Höhn."
7. Der Alte saß am Tische
und trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich,
er fragt das Töchterlein:
„Was Zappeliges bringst du
in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden;
laß sehen, was es sei."
8. Sie spreitet aus das Tüchlein
und fängt behutsam an,
den Bauer aufzustellen,
den Pflug und das Gespann.
Wie alles auf dem Tische
sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände
und springt und jubelt laut.
9. Der Alte wird gar ernsthaft
und wiegt sein Haupt und spricht:
„Was hast du angerichtet?
das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen,
da trag' es wieder hin;
der Bauer ist kein Spielzeug,
was kommt dir in den Sinn?
10. Sollst gleich und ohne Murren
erfüllen mein Gebot;
denn wäre nicht der Bauer,
so hättest du kein Brot;
es sprießt der Stamm der Riesen
aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug,
da sei uns Gott davor!"
11. Burg Nideck ist im Elsaß
der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten
die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen,
die Stätte wüst und leer,
und fragst du nach den Riesen,
du findest sie nicht mehr.
47. Irin.
An einem schönen Abend fuhr
Irin mit seinem Sohn im Kahn
aufs Meer, um Neusen in das Schilf
zu legen, welches rings umher
der nahen Inseln Strand umgab.
Die Sonne tauchte sich bereits
ins Meer, und Flut und Himmel schien
im Feu'r zu glühen.
„O wie schön
ist jetzt die Gegend!" sagt' entzückt
der Knabe, den Irin gelehrt,
auf jede Schönheit der Natur
zu merken. „Sieh", sagt er, „den Schwan,
umringt von seiner frohen Brut,
sich in den rothen Widerschein
des Himmels tauchen! Sieh, er schisst,
zieht rothe Furchen in die Flut
und spannt des Fittigs Segel auf. —
Wie lieblich flüstert dort im Hain
der schlanken Espen furchtsam Laub
am Ufer, und wie reizend fließt
die Saat in grünen Wellen fort
und rauscht, vom Winde sanft bewegt! —
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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254
Kaiser und Reich, ja, vor der ganzen christlichen Welt standen sie, mit einem großen Ge-
bet im Herzen, ihre Rechtfertigung darstellend in ihrem Bekenntniß, in vollkommenster
Einigkeit mit allen wahrhaft gläubigen und christlichen Gemüthern in der ganzen Welt
und auf einer Höhe, von wo sie mit göttlicher Zuversicht auf viele Jahrhunderte hinsehen
konnten.
30. Luthers Tod.
Jnl Januar 1540 reiste Luther mit drei Söhnen nach Eisleben. Dahin
hatten ihn die Grafen von Mansfeld gerufen, um Streitigkeiten zu schlichten, die
zwischen ihnen entstanden waren. Unterwegs war er schon sehr schwach; doch
predigte er noch viermal in Eisleben, war auch über Tische recht gesprächig und
schrieb an seine Frau nach Wittenberg tröstliche Briefe voll Glaubens. Am 17. Februar
ward er aber recht krank, sodaß er auf seiner Stube bleiben mußte. Er betete
viel und sprach zu seinen Freunden: „Ich bin hier zu Eisleben geboren; wie,
wenn ich hier sterben sollte?" Nach dem Abendessen ward es schlimmer mit ihm.
Um 10 Uhr legte er sich zu Bett. Darauf reichte er seinen Söhnen und Freun-
den die Hand und sprach: „Betet zu unserm Herrn Gott für sein Evangelium,
daß es ihm nwhlgehe; denn der leidige Papst zürnet hart mit ihm." Schwer
athmend schlief er ein; aber um 1 Uhr erwachte er wieder, von Brustbeklemmun-
gen gequält. Nun kamen Aerzte. Auch der Graf Albrecht von Mansfeld und
dessen Gemahlin erschienen und brachten stärkende Tropfen. Doch die Brustbe-
klemmungen wurden immer heftiger. Seine Freunde meinten, weil er schwitze,
werde Gott Gnade zu seiner Besserung geben; er aber antwortete: „Es ist
kalter Todesschweiß. Ich werde meinen Geist aufgeben, denn die Krankheit meh-
ret sich." Dann betete er: „O mein himmlischer Bater, Gott und Vater unsers
Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen
lieben Sohn Jesum Christum offenbaret hast, an den ich glaube, den ich gepre-
digt und bekannt habe, den ich geliebet und gelobet habe, welchen der leidige
Papst und alle Gottkosen schänden, verfolgen und lästern. Ich bitte dich, mein
Herr Jesu Christe, laß dir meine Seele befohlen sein. O himmlischer Vater,
ob ich schon diesen Leib lassen und aus diesem Leben hinweggerisseu werden muß,
so weiß ich doch gewiß, daß ich bei dir ewig bleiben werde und aus deinen Hän-
den niich niemand reißen kann." Weiter sprach er: „Also hat Gott die Welt
geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, ans daß alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Wir haben einen Gott
des Heils und einen Herrn Herrn, der mitten ans dem Tode uns führet." Dann
betete er dreimal: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Du hast
mich erlöset, du getreuer Gott." Nun ward er still, und ob man ihn gleich rüt-
telte, schlug er kein Auge auf. Da rief ihm Dr. Jonas zu: „Ehrwürdiger
Vater, wollt Ihr auf die Lehre Jesu, wie Ihr sie gepredigt habt, auch sterben?"
Er antwortete mit einem deutlichen Ja, legte sich auf die rechte Seite und starb
so sauft und ruhig, daß die Umstehenden noch lange meinten, er schlummere.
Es war in der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr, am 18. Februar 1546, als Dr.
Luther heimging.
Die Nachricht von seinem Tode verbreitete eine tiefe Trauer über das ganze
Land. Nach dem Willen des Kurfürsten ward der Sarg mit der theuren Leiche
den weiten Weg gen Wittenberg gefahren. Von allen Seiten strömten Begleiter
herbei. Wo der Trauerzug durchkam, wurden die Glocken geläutet. Als man.
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Extrahierte Personennamen: Albrecht_von_Mansfeld Albrecht Jesu_Christi Jesum_Christum Jesu_Christe Jonas
255
der Stadt Wittenberg sich näherte, zog die ganze Universität sammt allem Volk
hinaus, ihn einzuholen. Di'. Bugenhagen hielt die Leichenpredigt. Dann begru-
den sie die Leiche in der Schloßkirche vor dem Altar und deckten eine einfache
Steinplatte über die Gruft.
31. Gustav Adolf.
In dem furchtbaren dreißigjährigen Kriege, der so entsetzliches Elend über
Deutschland gebracht hat, ist auf protestantischer Seite kein größerer Held auf-
getreten als Gustav Adolf, der Schwedenkönig. Schon waren die Evangeli-
schen den Katholiken völlig erlegen, und ganz Rorddeutschland schien der Knecht-
schaft preisgegeben zu sein: da landete Gustav Adolf ini Sommer des Jahres
1030 mit 15,000 Mann in Pommern, um seinen bedrängten Glaubensgenossen
beizustehen. Aber wie klein war dieses Heer gegenüber der Kriegsmacht des
deutschen Kaisers! „Wir haben halt a Fcindle mehr!" sagte dieser spöttisch,
und die Wiener nannten Gustav Adolf nur den Schneekönig, der bald schmelzen
werde, wenn er weiter nach Süden hinabkomme. Der kriegsknndige Tilly aber
meinte: „Der König von Schweden ist ein Feind von großer Klugheit und
Tapferkeit, ein Feind, der den Krieg zu führen weiß. Sein Heer ist ein Gan-
zes, das er wie sein Roß mit dem Zügel regiert." Und Gustav war unstreitig
der erste Kriegsheld seiner Zeit, ejn Feldherr, wie seit Jahrhunderten keiner auf-
gestanden. In seinem Heere herrschte die trefflichste Mannszucht. Während bei
den Wallensteinschen Schaaren alle Laster im Schwange gingen, wachte Gustav
mit eben der Sorgfalt über die Sitten der Soldaten, wie über die kriegerische
Tapferkeit. Jedes Regiment mußte zum Morgen'- und Abendgebet einen Kreis um
den Feldprediger schließen und unter freiem Himmel seine Andacht halten. Flu-
chen, Spielen, Rauben war strenge verboten. In allen Tugenden ging Gustav
selbst den Seinigen als Muster voran. Seine lebendige Gottesfurcht gab ihni in
den schwierigsten Lagen Muth und Besonnenheit, und seine Soldaten waren von
dem festen Vertrauen erfüllt, daß sie unter einem so frommen und tapferen König
siegen müßten.
Als Gustav den deutschen Boden betrat, fiel er im Angesicht seines
ganzen Heeres auf die Kniee, dankte Gott mit lauter Stimme für die glückliche
Ueberfahrt und flehte um seinen ferneren Segen. Den umstehenden Offizieren
kamen vor Rührung die Thränen in die Augen. „Weinet nicht, meine
Freunde," sprach der König, „sondern betet! Je mehr Betens, desto mehr
Sieges. Fleißig gebetet, ist halb gesiegt." Und siehe, bald wichen die Kaiser-
lichen vor den tapferen Schweden zurück. Aber die protestantischen Fürsten waren
so furchtsam vor der Macht des Kaisers, so mißtrauisch gegen den ausländischen
König, daß sie lange zögerten, sich an Gustav anzuschließen. Die ängstlichen
Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen verweigerten ihm geradezu den Durch-
zug durch ihr Land. Daher konnte Gustav das hart bedrängte Magdeburg
nicht mehr retten. Die blühende evangelische Stadt wurde von Tilly erobert.
Ihr Schicksal war furchtbar. Als die wilden Kriegsschaaren raub- und mord-
gierig im Sturm eindrangen, erfolgte ein Blutbad, wie es noch keine deutsche
Stadt in ihren Mauern gesehen hatte. Die ganze Stadt ging in Flammen
auf; binnen zehn Stunden war sie in einen wüsten Schutthaufen verwandelt. Von
30,000 Einwohnern retteten kaum 1500 ihr Leben.
TM Hauptwörter (50): [T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Gustav_Adolf Gustav Adolf Gustav_Adolf Gustav Adolf Gustav_Adolf Gustav Adolf Gustav_Adolf Gustav Adolf Tilly Gustav Gustav Gustav Gustav Gustav Gustav Muth Gustav Gustav Gott Gustav Gustav Gustav Gustav Tilly
Extrahierte Ortsnamen: Wittenberg Deutschland Pommern Schweden Brandenburg Sachsen Magdeburg
260
8. Sieh, da erhebt sich plötzlich
mit Stolz der General
und schlägt an seinen Degen
und spricht laut durch den Saal:
Io. Denn hier mit meiner Elle
mess' ich die Kreuz und Quer
jedweden Wicht, auch wenn er
von altem Erze wär'."
9. „Ihr Herren, den ihr meinet,
der General bin ich.
Der Schneider ist behende,
glaubt mir es sicherlich.
11. Der große Kurfürst lächelt
mit biederm Angesicht,
reicht freundlich ihm die Rechte
und spricht voll Zuversicht:
12. „W.
„Wohl mir und meinem Volke!
Das schönste Rittcrthum
ist unserm Vaierlande
Verdienst und eigner Ruhm."
34. Frobens Aufopferung.
(18. Juni 1675 bei Fehrbellin.)
1. Herr Kurfürst Friedrich Wilhelm, der große Kriegesheld,
seht, wie er auf dem Schimmel vor den Geschützen hält;
das war ein rasches Reiten vom Rhein bis an den Rhin,
das war ein hartes Streiten am Tag von Fehrbellin.
2. Wollt ihr, ihr trotz'gen Schweden, noch mehr vom deutschen Land?
Was tragt ihr in die Marken den wüth'gen Kriegesbrand?
Herr Ludwig von der Seine, der hat euch aufgehetzt,
daß Deutschland von der Peene zum Elsaß werd' zerfetzt.
3. Doch nein, Herr Gustav Wränget, hier steh' nun einmal still,
dort kommt Herr Friedrich Wilhelm, der mit dir reden will.
Gesellschaft aller Arten bringt er im raschen Ritt
sammt Fahnen und Slaudarten zur Unterhaltung mit.
4. Nun seht ihn auf dem Schimmel. eibkriegsgott ist es, traun!
den Boden dort zum Tanze will er genau beschaun.
Und unter seinen Treuen, da rcit/t hintenan
zuletzt, doch nicht aus Scheuen, Stallmeister Froben an-
5. Und wie der Wrangel drüben den Schimmel nun erblickt,
ruft er den Kanonieren: „Ihr Kinder, zielt > geschickt!
Der ans dem Schimmel sitzet, der große Kurfürst ist's.
Nun donnert und nun blitzet; auf wen's geschieht, ihr wißt's."
6. Die donnern und die blitzen und zielen wohl nichts Schlecht's,
und um den Herren fallen die Seinen links und rechts;
dein Derfflinger, dem Alten, fast wird es ihm zu warm,
er ist kein Freund vom Hallen mit dem Gewehr im Arm.
7. Und dicht und immer dichter schlägt in die Heeresreih'n
dort in des Schimmels Nähe der Kugelregen ein.
„Um Gott, Herr Kurfürst, weiche!" Der Kurfürst hört es nicht,
es schaut sein Blick, der gleiche, dem Feind ins Angesicht.
8. Der Schimmel möcht' es ahnen, wem dieses Feuer gilt,
er steigt und schäumt im Zügel, er hebt sich scheu und wild-
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TM Hauptwörter (100): [T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T34: [Schweden König Gustav Dänemark Preußen Krieg Polen Adolf Frieden Holstein], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T30: [Gustav Schweden Adolf Wallenstein Kaiser Heer Tilly König Krieg Schlacht], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Ludwig Ludwig Gustav_Wränget Gustav Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Fehrbellin Rhein Fehrbellin Schweden Deutschland Elsaß
268
Das ganze preußische Volk nahm bald an der schönen Siegesfreude Theil
und stimmte begeistert gleicher: Lobgesang an. Zugleich sang inan:
„Es lebe durch des Höchsten Gnade
der König, der uns schützen kann,
so schlägt er mit der Wachtparadc
noch einmal achizigtausend Mann."
3. Hochkirch. Es war am 13. October 1758 in der Nacht, als alle
Colonnen der österreichischen Armee ihr Lager, verließen, um die Preußen zu
überfallen. Es befände!: sich bei den: Vortrabe freiwillige Grenadiere, die hin-
ter den Kürassieren aufsaßen, vor den: preußischer: Lager aber von den Pfer-
den sprangen, sich in Haufen formirten und so vorwärts drangen. Die Zelte
blieber: in: österreichischen Lager stehen, und die gewöhnlichen Wachtfeuer wur-
den sorgfältig unterhalten. Eirre Menge Arbeiter inußter: die ganze stacht
Bäume zu einem Verhau fällen, rvobei sie sangen und einander zuriefen. Durch
dieses Getöse wollten sie die preußischen Vorposten hindern, der: Marsch der
Truppen wahrzunehmen. Die wachsamen preußischen Husaren aber entdeckten
doch die Bclvegung des Feindes und gaben dem Könige sogleich Nachricht da-
von. Anfangs bezweifelte er die Bewegung selbst; da aber wiederholte Berichte
solche bestätigten, so vermuthete er eine andere Ursache derselben, nur keinen
förmlichen Angriff. Seydlitz und Ziether: befander: sich eben beirr: Könige rmd
erschöpften ihre Beredsamkeit, seine Zweifel in diesen bedeirklichcr: Augenblicken
zu bekämpfen; sie brachten cs auch dahin, daß Befehle an einige Brigaden
geschickt wurden, aufzustehen, wobei mehrere Regimenter Kavallerie ihre Pferde
satteln mußten. Dieser Befehl wurde aber geger: Morgen wieder aufgehoben,
und der jetzt unbesorgte Soldat überließ sich dem Schlafe ohne alles Bedenken.
Der Tag war noch nicht angebrochen, und es schlrrg in: Dorfe Hochkirch 5 Uhr,
als der Feind vor den: Lager erschien. Es karnen ganze Haufen auserwählter
Soldaten zu den preußischen Vorposten und meldeten sich als Ueberläufer.
Ihre Anzahl wuchs so schnell ur:d stark, daß sie bald Vorpostei: und Feldrvacher:
überwältigen konnten. Die österreichische Armee rückte colonnenweise von allen
Seiter: in das preußische Lager ein. Viele Regimenter der königlichen Armee
wurden erst durch ihre eigenen Kanonenkrigeln vom Schlafe, aufgeschreckt; beim
die anrückenden Feinde, die großenteils ihr Geschütz zurückgelassen hatten, fan-
den auf den schnell eroberten Feldwachen ur:d Batterien Kanonen und Munition,
und mit diesen feuerten sie ins Lager der Preußen.
Nie fand sich ein Heer braver Soldatei: in einer so schrecklichen Lage,
wie die urtter dem Schutze Friedrichs sorglos schlafenden Preußen, die nur: aus
eii:mal in: Innersten ihres Lagers vor: einem mächtiger: Feinde angegriffen und
durch Feuer und Stahl zun: Todesschlafe geweckt rvurdcn. Es war Nacht,
und die Verwirrung über allen Ausdruck. Welch ein Anblick für die Krieger!
Die Oesterreicher, gleichsarr: aus der Erde hervorgestieger:, mitten unter den
Fahnen der Preußer:, im Heiligthume ihres Lagers! Viele Hunderte wurden
in ihren Zelten erwürgt, noch ehe sie die Augen öffnen konnten; andere liefen
halb nackt zu ihren Waffen. Die wenigster: konnten sich ihrer eigener: bemäch-
tigen; eir: jeder ergriff das Gewehr, das ihm zuerst in die Har:d fiel, und
floh damit ir: Reih und Glied. Das Kriegsgeschrei verbreitete sich wie ein
Lauffeuer durchs ganze preußische Lager; alles stürzte arrs der: Zelten, und in
einiger: Augenblicken, trotz der unaussprechlicher: Verwirrung, stand der größte
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Man findet ihn in ganz Europa, ausgenommen in England und Irland,
wo er seit Jahrhunderten gänzlich ausgerottet ist; auch zeigt er sich in Afrika bis
nach Aegypten; in Amerika scheint er durch verwandte Arten ersetzt zu sein.
Er ist das schädlichste, gefräßigste und, wenn hungrig, ein wahrhaft
fürchterliches Naubthier, das in Europa allen Thieren wie dem Menschen den
Krieg erklärt hat. Die Pferde vertheidigen sich zwar durch Ausschlagen mit
ihren Husen und das Rindvieh mit seinen Hörnern; werden diese Thiere aber
von Wölfen in Nudeln angegriffen, so vermögen sie, trotz ihrer Stärke, nicht zu
widerstehen. Der Wolf hat im Nacken eine bedeutende Muskelkraft und trägt
springend ein Schaf mit Leichtigkeit davon.
In seinen Sinnen, besonders im Geruch, steht er den Hunden nicht nach
und verfolgt seine Beute laufend, bis sie ermüdet. Im Winter, wenn ihn der
Hunger treibt, streift er bis ganz in die Nähe der Dörfer, und dann ist er auch dem
Menschen sehr gefährlich. Man hat viele Beispiele, daß in Nudeln vereinte Wölfe
Pferde vor Schlitten und Wagen angefallen haben, und selbst die Menschen, trotz
der tapfersten Gegenwehr, von ihnen aufgefressen worden sind. Einzelne Pferde
greifen sie nie von hinten an, weil sic das Ausschlagen fürchten, sondern springen
denselben in den Nacken. Auch die Nenn- und Elenthiere vertheidigen sich mit
ihren starken Vorder- und Hinterfüßen, in welchen sie eine solche Kraft besitzen,
daß sie auf den ersten Hieb einen Wolf zu tödten im Stande sind.
Da der Wolf dem Menschen nur schadet und höchstens durch seinen Balg
nützt, so erlaubt man sich alle Mittel ihn zu vertilgen. Man vergiftet ihn
leicht, wo es ohne Gefahr für Hunde und Schweine geschehen kann, mit
Krähenaugen.
In Deutschland, wo er jetzt im Allgemeinen höchst selten erscheint, wird
er auf Treibjagden erschossen, auch, wie der Fuchs, in großen Tellerfallen und
Schwaneneisen gefangen. Früher war er in Deutschland häufiger, und es wur-
den noch in den Jahren 1648—49 um das Ende des dreißigjährigen Krieges in
dem Fürstenthume Lüneburg 182, dagegen aber in Frankreich in diesem Jahr-
hundert schon gegen 10,000 geschossen.
In dem Regierungsbezirk Posen wurden den Winter 1815 —16 41 Wölfe
erlegt, und noch im Jahre 1819 im Kreise Wongronitz 16 Kinder und 3 Er-
wachsene von Wölfen gefressen. Vergleicht man die Volkszahl dieses Kreises mit
der Insel Singapore, wo der Tiger seine blutigsten Ernten hält, so fordert der
Wolf halb so viele Opfer, als der Königstiger auf dieser kleinen Insel, die er
schwimmend erreicht, und auf der er, obgleich sie nicht größer ist als die Insel
Alsen, jährlich gegen 400 Menschen in der Nähe einer von allen Völkern der
Erde besuchten Handelsstadt zerreißt.
92. Der Fuchs.
Der Fuchs ist, wie man aus den ersten Blick erkennt, dem Hund und dem
Wolf verwandt. Aber gegenüber dem trcuehrlichen Auge des Hundes und der
gemeinen Gier des Wolfes zeigt der Fuchs den vollendeten Ausdruck der Schlau-
heit und List. Sein Kopf ist breit, seine Stirn fällt ganz allmählich ab nach
der spitzen, pfiffigen Schnauze. Sein Gehör ist außerordentlich scharf. Das
graugrüne Auge liegt schief, halb in der Höhle versteckt, leuchtet aber im Dunkeln,
wie bei anderen nächtlichen Raubthieren; zuweilen sieht der Schelm damit aus
rren. Schon im Juli wagen sich die hoffnungsvollen Kinder allein auf die Jagd
und suchen bei einbrechender Dämmerung ein junges Häschen oder Eichhörnchen,
ein Rebhuhn oder eine Wachtel zu überraschen, nehmen aber auch mit einenr
Mäuschen fürlieb. Im Herbst verlasien die Jungen den elterlichen Bau ganz
und leben einzeln in eigenen Löchern.
Während des Frühjahrs durchstreift der Fuchs am liebsten Wälder und
Gebüsch, im Sommer auch wohl die Getreidefelder. Im Herbst besucht er gern
auch die Weinberge und läßt sich die süßen Trauben trefflich schmecken. Seine
schlechteste Jahreszeit ist natürlich der Winter. Geplagt von Hunger, trabt er
in dieser öden Zeit oft tagelang umher, ohne eine gute Mahlzeit auftreiben zu
können. So wagt er sich in der Dämmerung an einzeln liegende Bauerhöfe
heran, kundschaftet den Hühnerstall aus und wartet dann vorsichtig, bis die
Gelegenheit günstig ist. Gelingt es ihm, unbemerkt einzudringen, so würgt er
unbarmherzig, aber möglichst geräuschlos, alles, was ihm vorkommt, und schleppt
es dann fort. Wird er ertappt, so nimmt er natürlich Reißaus, behält aber
dabei noch so viel Besonnenheit, daß er während der Flucht über den Hof noch
ein paar Gänse todt beißt und eine im Maule mitnimmt.
Im Winter, wo sein Balg am schönsten ist, stellen die Jäger ihm am
ineisten nach, besonders mit Fallen. In diese legen sie gebratenes Fleisch, ein-
zelne Stücke auch in einige Entfernung davon, um ihn sicher zu machen. Den
ersten Bissen verschlingt er rasch, aber schon den zweiten umschleicht der schlaue
Meister Reineke auf den Zehen; denn er wittert Gefahr. Er steht still, legt
sich nieder, horcht, wirst die Augen spähend umher, springt wieder auf, kauert
nochmals nieder. Entdeckt er nirgends Gefahr, so wird der Bissen im Nu
ergriffen und unter behaglichem Schwanzwedeln verzehrt. Endlich naht er sich
dem Braten in der Falle. Aber die reichliche Gabe steigert seinen Verdacht: er
wird noch vorsichtiger. Nachdem er wieder sorgfältig alles mit gespitzten Ohren
und funkelnden Angen untersucht hat, setzt er sich nieder und sieht nicht selten
viertelstundenlang unbeweglich und mit unbeschreiblicher Lüsternheit auf den Bissen
hin. Endlich aber trägt doch die Lust den Sieg über die Vorsicht davon. Nach-
dem er die Lockspeise nochmals umkreist, sie nochmals liegend angestarrt hat, ver-
läßt ihn die Klugheit; wie in Verzweiflung fährt er rasch daraus los, und in dem-
selben Augenblick sitzt sein Fuß fest in der Falle, oder klemmt sich das Eisen
um seinen Hals. Indessen der Fuchs ist gelegentlich auch ein Held: ist bloß
sein Fuß gefangen, so beißt er in aller Stille den Schenkel ab und läuft auf
drei Beinen davon.
93. Das Zugthier dev Polavllindev.
Der Eskimohund ist größer, als unser gewöhnlicher Schäferhund. Wenn
er wohl genährt ist, muß man ihn einen schönen Hund nennen, aber leider wird
ihm die Nahrung, wenn er sich nicht selbst solche verschafft, von seinem Herrn
so sparsam zugemessen, paß er viele Monate hindurch mehr einem Geripp, als
einem lebenden Wesen, ähnelt. Sein Verhältniß zu dem Menschen ist eigenthüm-
licher Art. Er weiß, daß er Sklave ist, und versucht, die Kette der Sklaverei
zu brechen. Es ist etwas vom wölfischen Wesen in ihm, in leiblicher Hinsicht so-
wohl, als in geistiger. Dem Wolf der Polarländer gleicht er so sehr durch seine
dichte Behaarung, die anfrechtstehenden Ohren, die Breite des Oberkopfes und
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Die köstlichste und nothwendigste Eigenschaft dieses Thieres ist die, daß es
viele Tage ohne Beschwerde das Wasser entbehren kann, und dies allein macht
es zu dem nützlichen, für den Araber unentbehrlichen Geschöpf. Hat es lange
gedürstet, so wittert es hoch in der Luft, um in weiter Ferne eine Quelle zu
entdecken, und verdoppelt seine Schritte, um dahin zu gelangen und den brennen-
den Durst zu löschen, welcher es jedoch weniger plagt als seinen Herrn. Hat
es zwölf bis zwanzig Tage nicht getrunken, dann ist es aber auch im Stande,
reichlich zwei Hektoliter Wasser zu sich zu nehmen, gewöhnlich aber nicht so
viel. Wenn daher eine Karavaue von dreihundert Stück Kameelen an eine der
dürftigen Quellen der Wüste kommt, wo nur eins nach dem andern saufen kann,
so währt es wohl drei Tage, bis alle ihren Durst gelöscht haben.
Ehe noch die Wüste endigt, öfters schon zwei Tage vorher, erheben die Thiere
die Köpfe, wittern die'in weiter Ferne gelegenen Weiden und Quellen und ver-
doppeln ihre Schritte, sie zu erreichen.
Das Kameel wird mit den Schwielen auf Knie und Brust, welche
scheinbar von seiner Lebensweise stammen, schon geboren. Es schläft knieend
und ruht c^lf den Brustschwielen; dabei soll es die Augen offen halten und sehr
wachsam sein.
Auch zum Kriege wird das Kameel gebraucht; die Perser führen Kanonen
auf demselben und feuern sie auf dem Rücken der Thiere ab. Das Kameel wird
50 Jahre alt. Jung geschlachtet- hat es schmackhaftes Fleisch, das die Araber in
Töpfen mit Fett übergießen, um es zu bewahren. Die Milch ist sehr fett, aber
bläulich, ohne Wasser nicht gut zu genießen, giebt jedoch Butter und Käse; die
Haare liefern Decken und Kleider, und selbst der Kameelmist muß in diesen holz-
armen Gegenden dem Herrn der Erde noch als Brennmaterial dienen.
103. Der Retter vom Tode.
Wenige Menschen mögen daran denken, daß auf den rauhen, felsenreichen
Hochlanden zwischen Sibirien und China ein zierliches Thier lebt von Gestalt
eines Rehes, aber mit abwärts gerichteten Hauzähnen in der oberen Kinnlade,
das, gleich der Gemse von Fels zu Fels springend, keinen Abgrund scheut und
doch von verwegenen Jägern bis auf die schroffsten Zinken verfolgt und gleich der
Gemse erbarmungslos vernichtet wird, weil es einen Stoff bei sich trägt, durch
den es hier in Europa, im engen und schwülen Krankenzimmer, den fast schon
sterbenden Vater einer Familie vom Tode errettet. Das ist das Moschusthier.
In einem von vielen Hüllen umgebenen Beutel, unter dem Bauche, trägt es die-
sen Saft, eine anfangs schmierige, nachmals krümelige braune Masse, welche in
der Nähe einen stark durchdringenden, aber noch im vcrdünntesten Zustande unver-
tilgbaren Geruch hat, der einigen zwar zuwider, anderen aber höchst angenehm
ist. In Krankheiten angewandt, ist dieser Moschus ein äußerst belebendes, kräf-
tiges und krampfstillendes Mittel, das letzte, zu welchem der Arzt seine Zuflucht
nimmt, um die fast erlöschenden Lebenskräfte neu anzufachen.
104. Naturkunde als Mitgift für das Leben.
Je älter der Mensch wird, desto wundervoller zeigt sich ihm die ganze Natur.
Je kleinlicher ihm die menschlichen Sorgen erscheinen, desto inniger fühlt er sich
gedrungen, anzubeten vor dem Allmächtigen, welcher die Dinge dieser Welt geschaf-
fn und beseelt hat. Je mehr der Mensch erfahren hat von dem, was auf Erden
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